Passion Zukunft Blick zurück nach vorne: 50 Jahre Jugend forscht Das Jubiläumsmagazin 2015
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Passion Zukunft Blick zurück nach vorne: 50 Jahre Jugend forscht Das Jubiläumsmagazin 2015 Wir fördern Talente.
PASSION ZUKUNFT | Auftakt Jugend forscht: 50 Jahre AUFTAKT 04 Grußwort des Bundespräsidenten 05 Grußwort der Bundesministerin für Bildung und Forschung 06 „Mut zur Neugier“ Zukunft und Wandel verantwortungsvoll VERNETZUNG gestalten: Ein Essay von Peter Wippermann & TEILHABE INNOVATION 98 Impressum & WACHSTUM NEUGIER & LEIDENSCHAFT 42 Schulterschluss mit dem Staat Kraftvolles Bündnis: Der Einstieg der Politik bei Jugend forscht 72 Von Note Fünf zum Doktortitel Entdeckergeist, Schüler für Technik und Naturwissen- 44 Bildung im virtuellen Schwarm schaft faszinieren: Das Konzept des 12 Eine Idee macht Schule Über die Demokratisierung des Lernens: forschenden Lernens „Wir suchen die Forscher von morgen.“ Ein Gastbeitrag von Christoph Meinel Emotionen und eine Der Start von Jugend forscht 1965 76 Das Gespür für große Fragen 46 Public-private-Partnership Ob Klimawandel oder Raumfahrt – die 16 „Weiter, immer weiter!“ Das Netzwerk hinter Jugend forscht Talente gehen komplexe Themen an Zwei Jugend forscht Bundessieger über Erfolgsgeschichte Lust und Leid wissenschaftlicher Arbeit 48 Wunder im Kleinen 80 Kluge Köpfe gesucht Grenzen überwinden: Eine Idee vereint Der Mangel an Fachkräften droht die 20 Besessen von der Materie junge Menschen in Ost und West deutsche Wirtschaft zu schwächen Geniale Köpfe: Forscherpersönlichkei- ten von der Antike bis zur Gegenwart 51 „Teilen bringt mehr“ 82 Neugier bewahren Die Plattform ResearchGate vernetzt Wenn Wissenschaft zum Beruf wird – 22 Tiefschläge und Höhenflüge Experten rund um den Globus: Ein Alumni erzählen von ihren Karrieren Ausprobieren, scheitern, vorwärtskom- Interview mit Gründer Ijad Madisch 50 Jahre Jugend forscht – das sind fünf Jahrzehnte men – Zweifel als Motor der Forschung 84 Mein eigenes Ding machen Begeisterung für Zukunftsfragen und das 24 „Dem Traum eine Chance“ 54 Horizont erweitern Die Teilnahme am Wettbewerb eröffnet Entrepreneure: Wie Jungforscher in der Wirtschaft Fuß fassen leidenschaftliche Engagement für junge Talente. Über Glücksmomente, Popularität und auch international Chancen Erleben Sie, wie ein starkes Netzwerk den Nachwuchs Bodenhaftung: ESA-Astronaut Alexan- 86 Mehr erreichen im Verbund der Gerst im Interview 56 Entdeckerlust wecken Arbeitsteilung: Wie internationale in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Wie Jugend forscht und andere Initiati- Forschung von Kooperationen profitiert Technik fördert und warum MINT-Bildung für den 28 Investment in Leidenschaft ven den MINT-Nachwuchs stärken Warum Partner und Förderer sich für 88 50 Siegerköpfe Innovationsstandort Deutschland so wichtig ist Jugend forscht starkmachen 60 Von der Idee zur Siegerehrung So funktioniert der Wettbewerb 90 Mehr Reputation für MINT 32 Wenn der Funke überspringt Ein Plädoyer der Sozialforscherin und Vier von über 8 000: Ehrenamtliche sind 62 Netzwerk für die Zukunft Bildungssoziologin Jutta Allmendinger das Rückgrat des Wettbewerbs Auch über den Wettbewerb hinaus fördert Jugend forscht seine Talente 93 Der Wettbewerb in Zahlen 36 Verliebtheit ins Detail Von der Freude, eine Forschernatur zu 66 Marke mit Profil 94 Schlaglichter: Forschermoden sein: Alumni erzählen Im Fernsehen und im Internet: Die Flowerpower, Punkfrisuren und bauch- Marke Jugend forscht zieht in den Bann frei beim Kanzler: Eine Bilderreise durch 38 Schlaglichter: We are family 50 Jahre Jugend forscht Mitunter befällt das Forschervirus ganze 68 Schlaglichter: Der Promifaktor Familien – oder ruft gar neue ins Leben Stars und Berühmtheiten begegnen: 96 „Das Netzwerk kann mehr“ Die glamouröse Seite des Wettbewerbs Sven Baszio und Nico Kock über die Zukunftspläne von Jugend forscht –2– –3–
PASSION ZUKUNFT | Auftakt Jugend forscht: 50 Jahre Grußworte zum Jubiläum A J ls Idee, als Experiment, als Wagnis – so hat Jugend forscht begon- ugend forscht steht für eine außergewöhnliche nen. In 50 Jahren ist etwas Großes daraus geworden. Das gelang, Erfolgsgeschichte: Knapp eine Viertelmillion weil so viele diese Idee mit Leidenschaft vertreten haben und bis junger Menschen hat sich in den vergangenen heute mit Leben füllen: Schülerinnen und Schüler, Mentoren, 50 Jahren an dem Wettbewerb beteiligt. Die un- Wettbewerbsleiter und Juroren, Patenunternehmen und Part- zähligen Beiträge zeigen immer wieder, zu welch ner aus Stiftungen, Forschungseinrichtungen und Verbänden, auch der Bund und beeindruckenden Leistungen der Nachwuchs fähig ist. die Länder. Ihr Zusammenwirken hat Jugend forscht zu Deutschlands bekanntestem Als Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung Jugend Nachwuchswettbewerb für Naturwissenschaften und Technik gemacht. forscht e. V. gratuliere ich dem Wettbewerb herzlich zu seinem Jugend forscht ist längst eine eigenständige Marke. 50-jährigen Bestehen und zu diesem beeindruckenden Erfolg. Der Wettbewerb ist ein Ideenlabor für junge Menschen, die Mein ausdrücklicher Dank gilt allen, die in dieser Zeit den Wett- aus Neugier Neues entwickeln. Mit vergleichsweise geringen bewerb zu dem gemacht haben, was er heute ist: eine wirkungs- materiellen Mitteln, aber umso größerer Phantasie bringen volle Talentschmiede für den naturwissenschaftlich interessier- sie Überraschendes zustande. Sie zeigen dabei nicht nur, was ten Nachwuchs. in ihnen steckt, sondern erleben selbst Wertschätzung. Nicht Jugend forscht hat die deutsche Bildungslandschaft selten eröffnen sich ihnen auch neue Perspektiven, etwa für in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich geprägt: Aus der den beruflichen Lebensweg. visionären Initiative des ehemaligen STERN-Chefredakteurs Jugend forscht verbindet den Forschergeist junger Henri Nannen entwickelte sich ein gesellschaftlich breit ver- Menschen mit den Erfahrungen der Älteren. So wächst ein ankertes Netzwerk mit Beteiligten aus Schule, Wirtschaft, generationenübergreifendes Netzwerk der Kreativität, das Wissenschaft und Politik. Heute gilt der Wettbewerb als größte Wissensdrang in Wissen verwandelt und damit in einen wert- öffentlich-private Partnerschaft ihrer Art in Deutschland. Das vollen Rohstoff für unsere Zukunft. Denn Mathematik und Netzwerk wirkt auch strukturell erfolgreich, indem forschen- Informatik, Naturwissenschaft und Technik durchdringen des, kreatives Lernen verbreitet wird oder mit Kampagnen Prof. Dr. Johanna Wanka, immer stärker unseren Alltag. Sie formen unsere Lebenswelt; Schülerforschungszentren etabliert werden. Bundesministerin für sie beeinflussen, wie wir arbeiten, einkaufen, reisen oder Es ist wichtig, dass wir junge Menschen so früh wie möglich für Bildung und Forschung kommunizieren. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik begeistern. Des- Wir werden weiter auf Innovationskraft angewie- halb wollen wir den Nachwuchs fördern und motivieren, auch außerhalb des sen sein, wenn wir unseren Wohlstand erhalten und mehren regulären Unterrichts seine Talente zu entfalten. Dazu leistet Jugend forscht wollen. Ein Schlüssel dazu liegt in der frühzeitigen und kon- einen bedeutenden Beitrag. Der Wettbewerb zeigt jungen Menschen, wie span- tinuierlichen Förderung von Talenten; ein anderer darin, das nend es ist, eigene Projekte zu entwickeln und zu neuen Erkenntnissen zu Interesse an den sogenannten MINT-Fächern überall in der kommen. Gesellschaft zu wecken und wachzuhalten. Jugend forscht bringt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern jedoch Joachim Gauck, Jugend forscht macht sich diese Einsicht seit 50 Jah- nicht nur kurzfristige Erfolge, sondern hat nachhaltige Wirkung: Etwa die Bundespräsident ren zu eigen: Ein halbes Jahrhundert Begeisterung für Natur- Hälfte der Jugend forscht Alumni ist in Forschung und Entwicklung in Hoch- wissenschaften und Technik, ein halbes Jahrhundert Enthu- schulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder Unternehmen siasmus für Ideen, aus denen Innovationen entstehen und jedes Jahr das aufs Neue tätig. Für die Innovationskraft des Standortes Deutschland ist Jugend forscht eingelöste Versprechen: „Wir suchen die Forscher von morgen“ – und finden sie. ein wichtiger Garant. Denn wir brauchen die kreativen Ideen der jungen Men- schen, um unsere Gesellschaft auf die Zukunft vorzubereiten. Nur so sichern wir die Entwicklungsfähigkeit Deutschlands. –4– –5–
PASSION ZUKUNFT | Auftakt Jugend forscht: 50 Jahre „Mut zur Neugier“ W as macht es so spannend, sich mit Zukunft zu beschäftigen, ob- wohl doch jeder weiß, dass wir nur in der Gegenwart leben kön- nen? Wer sich mit dem Übermorgen auseinandersetzt, den faszi- niert es, Modelle einer wünschenswerten Zukunft zu gestalten. Dazu braucht man Fantasie und Kreativität, das Interesse an den Wissenschaften – sowie vor allem unbändige Neugier. Hier leistet der Wettbewerb Jugend forscht seit einem halben Jahrhundert einen außerordentlich erfolgreichen Beitrag. Jun- Zukunft gestalten und den ständigen ge Wissenschaftler und Forscher werden entdeckt, vernetzt, die Besten der Besten ausge- Wandel beherrschen – was braucht unsere zeichnet. Gratulation! Schon bei diesen Jugendlichen erleben wir die Kraft der Leidenschaft. Etwas Gesellschaft, damit das gelingt? zu entwerfen, zu entwickeln oder zu erforschen, gibt Kraft und Spaß an der Arbeit. Wer Ein Essay von Peter Wippermann Vorschläge machen kann, die kulturell beachtet werden, erntet außerdem gesellschaft- liche Anerkennung und macht die eigene Neugier profitabel. Durch die Aktivitäten von Forschern und Wissenschaftlern entstehen viele – sich auch durchaus widersprechende – Zukunftsmodelle. Ein offener gesellschaftlicher Diskurs entscheidet laufend über die aussichtsreichsten Ideen und Erfindungen. Zukunft ist da, wo sich keiner auskennt Diese Zukünfte entstehen in den Nischen unserer Gesellschaft. Aber sie haben die Kraft, alle Lebensbereiche langfristig zu verändern. Die Alltagskultur passt sich nur zögerlich den neuen Gegebenheiten an, die durch Innovationen von Forschung und Wis- senschaft oder durch Ereignisse wie Klimaveränderungen oder demografischer Wandel entstehen. Zukunftsszenarien bilden sich aus einer Abschätzung von Umweltbedingungen und Innovationen und ihrer kulturellen Akzeptanz. Die Trägheit der Anpassung an neue Gegebenheiten und Möglichkeiten kann man messen und vor allem zum Handeln nutzen. Robert Jungk, einer der ersten Zukunftsforscher, brachte es auf den Punkt: „Die Zukunft hat schon begonnen. Aber noch kann sie, wenn rechtzeitig erkannt, verändert werden.“ Doch welche Faktoren treiben den gesellschaftlichen Wandel? Wie lässt sich ana- lysieren, welche und wie schnell Erfindungen und Entdeckungen unsere Gesellschaft am wahrscheinlichsten verändern werden? Hier scheint es fruchtbar, spezifische Beobach- tungskonstanten zu verwenden, um Zukünfte denken zu können, ohne in Träumereien zu versinken: 1. Der soziale Wandel der Gesellschaft bietet langfristige Orientierung. Der demo- grafische Wandel ist hier Stichwortgeber für die Zukunft. 2. Der technologische Wandel macht Entwicklungen einschätzbar, wenn man die Zeit zwischen Grundlagenforschung und Markteinführung beobachtet. 3. Der ökonomische Wandel ist aussagefähig, wenn man die Businessmodelle analysiert. Finanzkrisen beschleunigen den Strukturwandel. 4. Der kulturelle Wandel ist schwierig zu verstehen, da die Institutionen der Gesellschaft, Familie, Politik, Wirtschaft und Kirchen, ihre Bindungskraft zunehmend verlieren. Pro- jekthafte Gemeinschaften verdrängen das Modell der traditionellen Gesellschaft. Es ent- stehen parallele Lebenswelten. Letztlich ergibt aber nur die ganzheitliche, vernetzte Be- trachtung aller vier Beobachtungskonstanten plausible Szenarien von morgen. Das Übermorgen entwickelt sich langsam Als Henri Nannen, der damalige Chefredakteur des Magazins STERN, Jugend forscht vor fünfzig Jahren ins Leben rief, war der „Bildungsnotstand“ ein Thema, das den öffentlichen Diskurs in Deutschland beherrschte. Es fehlten junge Forscher mit frischen Peter Wippermann ist Gründer des Trendbüros Ideen für die sich seinerzeit schnell entwickelnde deutsche Industrie. Jugend forscht wur- und Professor für Kommunikationsdesign an der de von den „Science Fairs“ inspiriert, den bis heute überaus effizienten amerikanischen Folkwang Universität der Künste in Essen Schülerwettbewerben für Naturwissenschaften und Technik. Damals bestimmte den For- scherdrang die Begeisterung über die Erfolge von Nuklearenergie, Raumfahrt, Farbfernse- hen und ARPANET, dem Vorläufer des Internets. Der Kalte Krieg mit der Systemkonfron- tation zwischen Kapitalismus und Kommunismus setzte die ideologisch gefärbten U –6– –7–
PASSION ZUKUNFT | Auftakt Jugend forscht: 50 Jahre Der Zukunftsgestalter „Ich habe keine besondere PETER Begabung, sondern bin nur WIPPERMANN leidenschaftlich neugierig.“ 2014 Vorstandsmitglied Efficiency Club der U Albert Einstein (1879 – 1955) V Wirtschaft, Zürich Theoretischer Physiker und Begründer der Relativitätstheorie 2010 Beiratsmitglied im Nestlé Zukunftsforum 2002 Mitbegründer der LeadAcademy für Mediendesign und Medien marketing, Hamburg 1993 Berufung zum Professor für Kommunika tionsdesign an der Folkwang Universität der Rahmenbedingungen für die Forschung in West und Ost. Diesen Wettstreit der Systeme Informatiker fehlen. Nur 13 Prozent der jungen Deutschen würden gern mit Informationstech- Künste, Essen über das lebenswertere Gesellschaftsmodell mitgestalten zu können, entfachte eine große nik arbeiten, so die Ergebnisse einer Studie der Vodafone-Stiftung. Jugend forscht hat auf diese Dynamik in Forschung und Wissenschaft und nicht zuletzt auch eine bislang unbekannte bedenkliche Entwicklung sehr vorbildlich bereits frühzeitig reagiert und das Fachgebiet Mathe- 1992 Gründung des Leidenschaft bei jungen Menschen für diese Themen. So entwickelten sich die 1960er-Jah- matik bereits 1968 erstmals um den Begriff Computer, später dann Informatik, erweitert. Trendbüros, Beratungs re zu einem der innovativsten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. unternehmen für Heute geht es nicht mehr um den Kampf zwischen den besten Wissenschaftlern In welcher Welt wollen wir morgen leben? gesellschaftlichen Wandel, von Ost und West – sondern um einen globalen Wettlauf auf dem Weg zur Netzgesellschaft. Hamburg Statt der nationalen ideologischen Bedingungen stehen vor allem individuelle und ökono- Heute sind die entscheidenden gesellschaftlichen Prozesse der Zukunft nur ver- mische Erfolge im Mittelpunkt von Forschung und Wissenschaft. So ist es sicher kein Zu- ständlich, wenn man die Evolution der Medientechnologie versteht. Alles, was man ab- 1988 Gründer der Editorial fall, dass ein Unternehmen, das sich der Informationssuche im Internet verschrieben hat, schließend beschreiben kann, wird Programm. Das wird unseren Alltag in den nächsten Design Agentur Büro die Idee der amerikanischen „Science Fairs“ noch einmal aufgegriffen und globalisiert hat. Jahrzehnten völlig verändern. 2030 werden allein 96 Prozent der amerikanischen Büroar- Hamburg gemeinsam mit Seit 2011 schreibt Google jährlich den globalen Online-Wettbewerb „Google Science Fair“ beitsplätze durch Computer ersetzt sein, so eine Studie der Universität Oxford. Die Verän- Jürgen Kaffer für junge Spitzenwissenschaftler aus. derungen der Arbeitswelt werden in Deutschland nicht weniger dramatisch eintreten. Die technologische Revolution, die mit den Robotern bereits in den Fabriken Einzug gehalten ab 1981 Art Director beim Wollen wir Programmierte – oder Programmierer sein? hat, wird in absehbarer Zeit auch Verwaltungen, Finanzwelt und Handel erreichen. Die Rowohlt Verlag und beim Industrie 4.0 wird Maschinen und Menschen global vernetzen. Die Automatisierung von ZEITmagazin Als Jugend forscht gegründet wurde, begannen auch die Grundlagenforschungen Wertschöpfungsketten wird in Zukunft ökonomisch wichtiger werden als die Produktion für das Internet – ein Kommunikationsmedium, das sich zunehmend zur Infrastruktur der Produkte. des 21. Jahrhunderts entwickelt. Zum Jahreswechsel 2014/2015 wurde es bereits von über Das Internet der Dinge hat erste Formen angenommen: Autonome Mobilität be- drei Milliarden Menschen genutzt – Tendenz schnell steigend. Deutschland aber verschläft findet sich bereits im Teststadium. Auch Züge und Flugzeuge werden in Zukunft ohne seit vielen Jahrzehnten den digitalen Wandel. Virtuelle Welten und permanente Compu- menschliche Arbeit ihre Ziele erreichen. In Norwegen wird in diesem Jahr der erste füh- ternutzung sollen angeblich zu einer digitalen Demenz bei Heranwachsenden führen. So rerlose Elektrofrachter seinen Dienst aufnehmen. Unabhängig von Menschen werden ei- ist es verständlich, dass Eltern und Erzieher eine digitale Früherziehung ablehnen. Tat- nes Tages intelligente digitale Systeme Produktionen und Logistik steuern und das Inter- sache ist dagegen, dass jedes zweite Kind im Grundschulalter Computerspiele spielt und net der Dinge mit dem Internet des Services vernetzen. jedes fünfte Kind sich schon heute mehr als eine Stunde täglich mit Computer, Tablet oder Umso sinnvoller ist die Aufgabe, der sich Jugend forscht seit 50 Jahren widmet. Smartphone beschäftigt, so eine aktuelle Allensbach-Studie. Unsere Gesellschaft braucht kluge und neugierige Köpfe, die den rasanten Wandel der Welt So drängt sich die Frage auf, ob wir Programmierte oder Programmierer unserer verantwortungsvoll mitgestalten. Wissenschaftliche Talente zu fördern und ihnen ein pro- eigenen Zukunft sein wollen. Das Problem beginnt mit der fehlenden Informatik-Ausbil- fessionelles Netzwerk zu eröffnen, bleibt die immer junge Idee des Wettbewerbs. Ange- dung von Pädagogen an den Universitäten und endet damit, dass qualifizierte Lehrer in sichts der Wahrscheinlichkeit, dass viele Bereiche unseres Alltags und der Berufswelt von den Schulen fehlen. Lediglich drei Bundesländer haben Informatik bisher als Pflichtfach Computern und Robotern übernommen werden, ist es wichtig, dass junge Wissenschaft- eingeführt. Das Ergebnis dieser Anpassungsträgheit: 2014 verließ ein Großteil der deut- ler heranwachsen, die Chancen und Risiken dieser Entwicklung verantwortungsvoll ein- schen Schüler die Schule ohne Grundwissen über digitalen Medien. Der Branchenverband schätzen können. Ihre Kenntnisse werden dafür Sorge tragen, dass auch übermorgen noch Bitkom wiederum beklagt, dass über 40 000 Stellen derzeit nicht besetzt werden können, weil Menschen und nicht Maschinen unsere Lebensqualität bestimmen. –8– –9–
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre Neugier & Leidenschaft Rätsel lösen, Muster verstehen, Neues erschaffen – wo Forscherdrang sich Bahn bricht, trifft Hingabe auf Begeisterung – 10 – – 11 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre Eine Idee mals Verleger des STERN. Oder John Jahr die jüngeren Teilnehmer die Alterssparte jr., Gründungsgeschäftsführer des Verlags „Schüler experimentieren“ eingeführt. Gruner + Jahr. „Wir waren am Anfang nur macht Schule ein sehr kleiner Kreis von Leuten, die sich Breite Basis für den Wettbewerb um Jugend forscht gekümmert haben“, erin- nert sich Angela Koch, die von Beginn an den Doch der Erfolg zwingt die Macher, Wettbewerb mitorganisiert hat und später sich breiter zu organisieren. „Anfangs wur- in die Geschäftsführung der Stiftung Jugend den die Informationen zu mehr als 5 000 forscht e. V. eintritt. Und das Engagement Teilnehmern in einem Karteikasten ge- zahlt sich aus: Beim ersten Wettbewerb im sammelt, das reinste Chaos“, erinnert sich Jahr 1966 nehmen bereits Schüler aus allen Koch. Sie fertigt aus den Kärtchen Listen Bundesländern teil, insgesamt 244 Mäd- an. „Trotzdem zeigte sich schnell, dass der chen und Jungen. Fünf Jahre später sind es STERN den Wettbewerb inhaltlich und or- D schon über 1 000 junge Talente. Angesichts ganisatorisch nicht allein bestreiten kann.“ Henri Nannen hatte er Abiturient Theodor Hildebrand erfährt per gewählten wissenschaftlichen Projekte vor, eine Jury begutachtet die Arbeiten. Nannen der großen Nachfrage wird 1969 eigens für Auch das Engagement der Firmen, U die Eingebung: Seit Zufall von dem neu- en Wettbewerb. „Der ist von diesem Prinzip begeistert. Als Jour- nalist weiß der Chefredakteur des STERN 50 Jahren spürt STERN sucht die For- scher von morgen“, heißt es in dem Aufruf, genau, was für eine starke Triebfeder die Neugier ist. Auch er will junge Talente ent- Jugend forscht die den ihm 1965 ein Freund zeigt. Hildebrand decken und bei Kindern die Begeisterung überlegt nicht lange, die Mathematik begeis- für Naturwissenschaften wecken. Denn ihn Talente von morgen tert ihn, und er weiß auch schon, auf welches sorgt, dass zum damaligen Bildungskanon Projekt er sich stürzen will: In der Schule zwar Grass‘ „Blechtrommel“ gehört, feh- auf. Der erste gibt es ein Rechengerät mit Relais – aber das lende Mathematik- oder Physik-Kenntnisse Bundessieger geht erscheint ihm zu langsam. „Ich besorgte mir also die nötigen Materialien aus Restbestän- aber als chic gelten. „Ich war neugierig. jetzt in Rente den von Firmen und baute einen Computer mit Transistoren“, erinnert sich Hildebrand. Wider den Zeitgeist Das kommt einem „Mein Ziel war zu zeigen, wie ein Computer funktioniert – ganz einfach mit zwei Kompo- Tatsächlich fällt die Gründung von Jugend forscht in eine Zeit großer Skepsis: Journalisten zu. nenten: eine Karte zum Speichern und eine zum Rechnen.“ Gerade erst hat die Sowjetunion den ers- ten Satelliten ins All geschossen – der Wes- Und so gründete ich Seine Idee überzeugt: Der Berliner lässt seine Mitstreiter auf Landesebene ten steht noch unter dem „Sputnikschock“. Kurz zuvor war der Fächerkanon an den Jugend forscht.“ hinter sich und wird im Jahr 1966 Bundes- Gymnasien reduziert worden: Chemie, sieger – zum ersten überhaupt von Jugend Biologie und Physik sind nur noch Wahl- forscht. „Beim ersten Bundeswettbewerb pflichtfächer. Und in der Politik wird von U Henri Nannen V wurde noch nicht nach Fächern getrennt“, rechts bis links wahlweise die „Bildungs- ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift STERN erinnert sich Hildebrand. „Mein Haupt- misere“ oder der „Bildungsnotstand“ aus- konkurrent trat damals mit einer Biologie- gerufen – Unternehmer bangen um den Arbeit an.“ Darüber hinaus wird mit Maria naturwissenschaftlich und mathematisch Willenborg (geb. Klein) eine weibliche Bun- begabten Nachwuchs im Land der Inge- dessiegerin ausgezeichnet sowie die beste nieure. Auch der Zweite Weltkrieg wirkt Arbeit einer Gruppe. nach: „In den sechziger Jahren herrsch- Mit dem Preis im Gepäck geht es te eine große Technikfeindlichkeit in weiter in die USA – dort darf auch Hilde- Deutschland“, sagt Hildebrand rückbli- brand bei der „International Science Fair“ in ckend. „Technologie wurde zu oft mit dem Dallas seinen Computer präsentieren. In ge- Dritten Reich in Verbindung gebracht. Die wisser Weise eine Reise zu den Wurzeln von Gründung von Jugend forscht hat da einen Mit Euphorie Jugend forscht. Denn dieser Wettbewerb ganz neuen Akzent gesetzt.“ und Leiden- ist es, der Henri Nannen 1965 zur Grün- Begeistert von der Aussicht, dem schaft beglei- dung von Jugend forscht inspiriert hatte. Zeitgeist etwas entgegensetzen zu können, tete Henri Die Science Fairs haben in den USA große schart Nannen Gleichgesinnte um sich, etwa Nannen den Tradition: Schüler stellen dort ihre selbst Gerd Bucerius, Gründer der „Zeit“ und da- Wettbewerb. – 12 – – 13 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre Bundessieger der ersten Streiter für die Neugier: Runde: Theodor Hilde- Nannens Gespür für brand präsentierte 1966 Themen war legendär. eine Rechenmaschine. Unten: Teilnehmer des ersten Bundeswettbe- werbs. Der Vater des Wettbewerbs HENRI die 1966 die ersten Landeswettbewerbe ausrichten, reicht schnell nicht mehr aus. Henri Nannen sucht deshalb den Kontakt ternationalen Karriere. „Eigentlich wollte ich Atomphysik studieren, mit meinem Va- ter einigte ich mich dann jedoch erst einmal NANNEN zu Anzeigenkunden des STERN, um wei- auf Mathematik.“ Das Fach Informatik gibt tere Patenunternehmen an Bord zu holen. es zu seinem Bedauern damals noch nicht – Er selbst sei als Schüler ein „naturwissen Anders als die „Science Fairs“ in den USA doch auch das ändert sich mit Hildebrands schaftlicher Versager“ gewesen, gestand setzt Jugend forscht so schon früh auf eine Hilfe. Er arbeitet für die Gesellschaft für Nannen einmal. Schon immer aber sei er breite Basis für den Wettbewerb: Bis heu- Mathematik und Datenverarbeitung, heu- neugierig gewesen, habe wissen wollen, te unterstützen Partner insbesondere aus te Fraunhofer-Gesellschaft, und setzt sich wie die Welt funktioniert. Deshalb habe er der Wirtschaft Jugend forscht vor allem als dort für die Gründung des Studiengangs Jugend forscht gegründet, „als Nachhol Ausrichter der Wettbewerbe auf Regional-, Informatik in Deutschland ein. Auch im bedarf in eigener Sache sozusagen. Und aus Landes- und Bundesebene. Vom kleinen elektronischen Bezahlverkehr zählt Hilde- schlechtem Gewissen“. Mittelständler bis zum Großkonzern sind brand zu den Pionieren: Er entwickelt das Prominenter Besuch: mittlerweile rund 250 Unternehmen dabei. erste Kreditkartennetzwerk in Frankreich. 1913 wird Henri Nannen in Emden gebo Herzchirurg und Einige sogar von Anfang an, neben Jetzt ist der dreifache Vater zwar offiziell in ren. Er macht eine Buchhändlerlehre und Transplantations- den Vereinigten Flugtechnischen Wer- Rente gegangen. Doch noch immer arbeitet studiert Kunstgeschichte. Erste journalisti Pionier Christiaan Bar- ken (heute Airbus) und BASF auch Bayer. er gemeinsam mit einem seiner Söhne in ei- sche Erfahrungen ab 1934. nard (re.) gemeinsam Jährlich richtet das Chemie- und Phar- ner eigenen Technologiefirma. Diese liefert mit Gerd Bucerius (li.) maunternehmen den Landeswettbewerb Marktforschungsstudien für französische 1948 gründet Nannen den STERN, dessen und Henri Nannen in Nordrhein-Westfalen aus und versucht Firmen, die nach Deutschland exportieren. langjähriger Herausgeber und Chefredakteur 1968 auf dem Weg zu dabei, immer auch einen Blick in die fir- Ein Thema begleitet Hildebrand bis er wird. Das Magazin entwickelt sich zum den Jungforschern. meneigenen Forschungslabore zu ermögli- heute: der Blick auf den technisch-naturwis- auflagenstärksten Zeitschriftentitel Europas. chen. Seit 1966 sei Jugend forscht für den senschaftlichen Nachwuchs. Die hiesige Dis- Konzern „eine Herzensangelegenheit“, so kussion, wie wir Kinder und Jugendliche für 1965 ruft Nannen, inspiriert von den die heutige Patenbeauftragte des Unter- Mathematik, Informatik, Naturwissenschaf- „Science Fairs“ in den USA, den Wettbewerb nehmens, Monika Schütze. „Hier werden ten und Technik (MINT) begeistern können, Jugend forscht ins Leben, den er viele Jahre Den Horizont weiten: Talente gefördert und Jugendliche am An- verfolgt er genau. Immer mehr Initiativen begleitet. Nannen begleitete die fang ihrer Karriere unterstützt.“ erkennen die Bedeutung dieser Fächer und Jungforscher auch setzen Förderprogramme auf. Dabei sorgt 1966 nehmen am ersten Bundeswett persönlich, oben bei Wegbereiter für die Informatik auch ein Wettbewerb wie Jugend forscht bewerb 244 Mädchen und Jungen teil. Hoechst, unten im dafür, dass in Kinderzimmern über Biologie Hamburger Hafen. Für Theodor Hildebrand ist der und Chemie, Weltall und Flüsse, Compu- 1996 stirbt Nannen 83-jährig. Sieg im Bundeswettbewerb von Jugend terchips und Flugsaurier nachgedacht wird. forscht tatsächlich der Auftakt zu einer in- Heute genauso wie vor 50 Jahren. – 14 – – 15 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre „Weiter, immer weiter“ Bakterien bewachen und Sterne beobachten: Die Bundessieger Sibylle Gaisser und Julian Petrasch sprechen über die Liebe zur Wissenschaft und den Geist von Jugend forscht Frau Gaisser und Herr Petrasch, können Sie sich daran erinnern, wann das For- schervirus bei Ihnen ausbrach? Gaisser: Recht früh, mit acht oder neun Jahren: Es gab damals diese Experimentier- kästen für Kinder inklusive Mikroskop. So ein einfaches Teil, das man selbst zusam- menbauen musste. Das fand ich toll. Ich hatte diesen Drang – ich wollte wissen, was die Dinge im Innern zusammenhält. Klingt das zu hochtrabend? Petrasch: Finde ich nicht. Ich weiß noch, dass ich einmal im Kindergarten tagsüber den Mond gesehen habe und davon faszi- niert war. Mit sechs habe ich mein erstes Teleskop bekommen, primitiv und wacke- lig, aber danach ging es immer weiter mit dem Beobachten und Entdecken. Gaisser: Sie haben recht: Bei mir war die- Zwei Generationen, se Neugier im Grunde auch vor den Expe- eine Leidenschaft: rimentierkästen vorhanden. Ich kann gar Sibylle Gaisser und nicht mehr exakt sagen, ab wann. Vermut- Julian Petrasch lich schon immer. sind begeisterte Petrasch: Seitdem ich denken kann. Forscher. Gaisser: Ich erinnere mich an frühe Wald- spaziergänge, auf denen ich meine Eltern damit löcherte, warum das Moos an Bäu- men nur auf der einen, aber nicht auf der U anderen Seite wuchs. U – 16 – – 17 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre stehen, mein Ziel erreichen? Wie kann ich Gaisser: Und Ihre Klassenkameraden? Fan- Gaisser: Ich war ein schüchternes Mädel, „Nachts denkt man aus Rückschlägen lernen, um zu einem Er- den die das gut oder galten Sie als Streber? durch den Wettbewerb habe ich massiv an gebnis zu kommen? Da kommt viel zusam- Petrasch: Natürlich gab es Sprüche, wie in- Selbstvertrauen gewonnen. Vor gestande- schon manchmal: Was tue men: Analyse, Kreativität, Disziplin, Fleiß. telligent ich doch angeblich sei, aber das war nen Professoren mein Projekt zu präsentie- alles nett gemeint. War es bei Ihnen anders? ren – das war eine wertvolle Erfahrung. ich mir hier nur an?“ Und manchmal stellen sich dann Erfolge Gaisser: Ich erntete teilweise Unverständ- Petrasch: Und man ist ja bereits durch die ein. Wie haben Sie 1987 Ihren Sieg erlebt? nis von anderen Mädchen. Einige konnten Regional- und Landeswettbewerbe gezwun- Gaisser: Ach, das war einfach toll. Ich hatte überhaupt nicht nachvollziehen, dass ich gen, das eigene Projekt zu erklären, bis hin es nicht erwartet. Gar nicht. mich nicht für Klamotten und Aussehen zu den internationalen Wettbewerben, bei U Sibylle Gaisser V Petrasch: Was haben Sie damals gemacht? interessiere und lieber im Hobbyraum he- denen ich viele Kontakte knüpfen konnte. 1987 Bundessiegerin von Jugend forscht, heute Gaisser: Ich habe mir In-vitro-Verfahren rumexperimentiere. Ich entsprach einfach Jugend forscht öffnet Türen. Professorin für Biotechnologie in Ansbach zum Testen von Hautschutzpräparaten aus- nicht dem gängigen Frauenbild. Gaisser: Schön ist auch die Unterstützung, gedacht, um von Versuchen mit Tieren oder Petrasch: War das nicht verletzend? die man während der Projektarbeit von an- mit Probanden wegzukommen. Gaisser: Ja, ein bisschen schon. Umso hilf- deren Wissenschaftlern erfährt. reicher war für mich in dieser Zeit eine Bio- Petrasch: Stimmt! Bei meinem ersten Pro- Waren Sie damals sehr stolz? grafie von Marie Curie und ihrer Tochter jekt durfte ich riesige Teleskope in Hawaii Bei Jugend forscht Gaisser: Total! Die Urkunden wurden im Irene, die mir damals in die Hände fiel. Die- und Australien nutzen. Die Wissenschaft- untersuchte Sibylle Treppenhaus der Schule aufgehängt, ich se beiden Frauen waren für mich in meiner ler dort waren sehr hilfsbereit, das klappte Gaisser (rechts) war plötzlich bekannt wie ein bunter Hund. weiteren Orientierung sehr wichtige Vor- völlig unbürokratisch. zusammen mit ihrem Petrasch: Bei mir war es ähnlich. Mein ers- bilder, denen ich nacheifern wollte. Gaisser: Ich habe im Sommerurlaub auf Mitschüler John Sobeck, tes Projekt habe ich an einer Sternwarte dem Campingplatz ein Mädchen kennen- wie Schadstoffe in die gemacht, davon wussten meine Lehrer gar Trotzdem scheinen ja nach einem Sieg gelernt, das sich für Jugend forscht inter- Haut eindringen. nichts. Und nach dem Sieg gab es plötzlich bei Jugend forscht die positiven Effekte essiert. Wir stehen jetzt in Mailkontakt und Presseanfragen, ein paar Tage später wuss- zu überwiegen – oder? ich gebe ihr Tipps beim weiteren Vorgehen. ten es alle an der Schule, was übrigens recht Petrasch: Diese offizielle Bestätigung, dass Die Hilfe, die ich damals erfahren habe, praktisch war, etwa wenn man eine Ent- man etwas Besonderes geschafft hat, tut gebe ich heute weiter. Auch das ist der Geist schuldigung brauchte (lacht). sehr gut. Der Sieg ist eine Art Ritterschlag. von Jugend forscht. Und wie haben Ihre Eltern reagiert? Gibt es einen Zeitpunkt, ab dem sich das Petrasch: Schwer zu sagen, ich war wie in- „Der Sieg ist eine Art Gaisser: Die haben nach bestem Wissen ganze Leben um Jugend forscht dreht? fiziert. Und es bleibt immer spannend. Bei Auskunft gegeben. Mein Vater ist Physiker, Wird man ein bisschen süchtig? meinem letzten Projekt, das mit den Stra- Ritterschlag.“ meine Mutter Erzieherin. Bei uns wurde Petrasch: Bei meiner ersten Teilnahme war tosphärenkapseln, konnten die Kameras kei- immer viel geredet und gefragt. Es herrsch- das schon eine Katastrophe (lacht). Da habe ne Bilder übermitteln. Aus so großer Höhe te eine große Aufgeschlossenheit für Natur- ich die Schule quasi ausfallen lassen. Ich gibt es keinen Datenempfang. Der große Mo- wissenschaften und kreative Spiele. Mein bin natürlich hingegangen, habe aber kaum ment kam immer dann, wenn ich die Kapsel Vater war es auch, der mich damals ermu- noch Hausaufgaben gemacht, sodass meine nach der Bergung öffnete und sich heraus- U Julian Petrasch V tigte, bei Jugend forscht mitzumachen. Noten nicht mehr richtig gut waren. Das stellte, ob das Ergebnis monatelanger Arbeit 2009 und 2013 Bundessieger von Jugend forscht, Petrasch: Mein Vater ist ebenfalls tech- war mir in der zehnten Klasse aber egal. unglaubliche Aufnahmen der Erde waren heute studiert Petrasch Informatik in Berlin nisch interessiert. Als ich klein war, hat er Gaisser: Ich hätte mich nie getraut, in der oder eine Fehlermeldung. mich auf Dampflokfahrten mitgenommen Schule fünfe gerade sein zu lassen. Die For- Gaisser: Man braucht ein hohes Maß an oder wir haben Bergwerke besichtigt. Er schung wurde erst viel später bestimmend Frustrationstoleranz beim Forschen. Und hat mich später bei Jugend forscht immer in meinem Leben – mit der Diplom- und der den Glauben daran, dass man es schaffen unterstützt. Ich glaube, diese Rückende- Doktorarbeit. Wenn die Bakterien nachts wird. Während meiner Doktorarbeit habe ckung ist sehr wichtig. um drei ihr maximales Wachstum hatten, ich einmal ein geschlagenes Jahr in die fal- Gaisser: Bei uns zu Hause wurde immer stand ich natürlich im Labor. sche Richtung gearbeitet. Da musste ich Für Jugend forscht ließ viel gebastelt oder wir werkelten im Hobby- Petrasch: In der praktischen Astronomie schon schwer schlucken. Petrasch Kameras per raum im Keller herum. können fast alle Messungen nur nachts Petrasch: Oh je, und dann? Ballon aufsteigen. Sie Petrasch: Oh ja, handwerkliches Geschick durchgeführt werden. Und da wird es dann Gaisser: Ich habe nicht aufgegeben und lieferten spektakuläre bringt einen bei Jugend forscht weiter! gerne bitterkalt. einen anderen Ansatz gesucht. Weiter, im- Bilder aus der Die Stratosphärenkapseln meiner Ballons, Gaisser: Ja, diese Nächte, in denen man mer weiter! Stratosphäre. mit denen ich 2013 zum zweiten Mal Bun- dann doch schon mal denkt: Was tue ich Petrasch: Darum geht es, nicht wahr? Neue dessieger wurde, habe ich aus Styropor- mir hier nur an. Wege finden, ein Problem anders anpacken. blöcken selbst gesägt. Auch die Kameras Eine Fragestellung auf originelle Art und habe ich selbst umgebaut und neu pro- Aber es geht dann trotzdem immer wei- Weise angehen und lösen wollen. grammiert. Da kam eine Menge Kopf- und ter. Woher rühren der Drang, der Ehrgeiz Gaisser: Ja, das ist ganz zentral. Wie kann Handarbeit zusammen. und der Durchhaltewille beim Forschen? ich mit den Mitteln, die mir zur Verfügung – 18 – – 19 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre Besessen Detailverliebtheit, Beharrlichkeit, Mut – all das zeichnet von der Forscher durch die Jahrhunderte Materie aus. Wir würdigen stellvertretend ein Dutzend Otto Lilienthal Leonardo da Vinci (1848 - 1896) studiert Maryam Mirzakhani (1452 - 1519) verkörpert fliegende Störche (*1977) ist die erste den Universalgelehr- Edwin Hubble und unternimmt per Carl von Linné Alfred Wegener Gabriel Fahrenheit Frau der Welt, die mit ten schlechthin. In der (1889 - 1953) unter- Hängegleiter als erster (1707 - 1778) schafft (1880 - 1930) stellt die (1686 - 1736) ist faszi- Archimedes der Fields-Medaille Claude Elwood Shannon Renaissance befasst sich Marie Curie sucht die Beschaffenheit Mensch systematische durch seine Beschrei- Welt auf den Kopf. Seine niert von wissenschaftli- (um 287 - 212 v. Chr.) ausgezeichnet wird. Ihr (1916 - 2001) wird zum der Künstler und Erfinder (1867 - 1934) entdeckt kosmischer Spiralnebel Lise Meitner Flugversuche. Die Expe- bung von Mineralien, spektakuläre Theorie chen Instrumenten. Der beschreibt erstmals Rechentalent fällt früh Urvater der Computerära. Mary Kingsley neben Bildhauerei mit ihrem Ehemann Pier- und weist so Galaxien (1878 - 1968) ist schon rimente des Luftfahrtpi- Pflanzen und Tieren die der Kontinentalverschie- Physiker und Feinme- genau die später als Pi auf. Schon als Teenager Er prägt den Begriff „Bit“, (1862 - 1900) bricht und Malerei auch mit re Curie die radioaktiven außerhalb der Milchstra- als Mädchen von oniers beschreiben das Grundlagen des heutigen bung sorgt anfangs für chaniker experimentiert bezeichnete Kreiszahl. holt sie für ihr Heimat- versucht sich als einer der allein nach Westafrika Naturwissenschaften, Elemente Polonium und ße nach. Seine Forschung dem Wunsch beseelt, physikalische Prinzip der Ordnungssystems der Kopfschütteln in Wissen- mit Schnee, Wasser und Das Mathematik-Genie land Iran Gold bei Ma- ersten Wissenschaftler auf, um die dortige Mechanik und Architek- Radium. Die Physikerin zur Ausdehnung des Naturwissenschaften Tragfläche. Den Traum Biologie. Akribisch erfasst schaftskreisen. Viermal Salzen zur Frage des der Antike beweist sich thematik-Olympiaden. an künstlicher Intelligenz Kultur und Natur zu tur. Seinem begabten lehrt als erste Frau an Weltalls ebnet der späte- zu studieren. Mit dem vom Fliegen bezahlt der und klassifiziert er die bereist der Meteorolo- Nullpunkts, entwickelt auch als Physiker und Das leidenschaftliche und ist ein humorvoller studieren. Die unerschro- Geist entspringen unter der Pariser Universität ren Urknall-Theorie den Chemiker Otto Hahn passionierte Ingenieur Arten. Auch die Bezeich- ge und Polarforscher die ersten präzisen Ther- Ingenieur. Im Badezuber Forschungsinteresse der Tüftler: Der Mathema- ckene Britin erforscht anderem Fluggeräte, Sorbonne und wird für Weg. Der Physiker und erforscht die Physikerin mit dem Leben, bei nung Homo sapiens hat Grönland, die letzte mometer und die nach entdeckt er der Legende Stanford-Professorin tiker und Ingenieur als Ethnologin Gebiete, hydraulische Maschinen ihre Forschungsleistun- Astronom ist Namens- das Phänomen der Kern- einem seiner Versuchs- die Wissenschaft dem eif- Expedition kostet ihn das ihm benannte Tempera- nach den Auftrieb. gilt bislang ungelösten erfindet unter anderem die noch kein Europäer und Brückenkonstrukti- gen zweimal mit dem pate eines Weltraum- spaltung, der Nobelpreis flüge verunglückt er rigen Naturforscher und Leben. turskala. Heureka! Rätseln der Geometrie. eine Jongliermaschine. betreten hat. onen. Nobelpreis geehrt. teleskops. bleibt ihr verwehrt. tödlich. Mediziner zu verdanken. – 20 – – 21 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre Von Tiefschlägen len: Ist die Spritze richtig mit Wasserstoff heranzuführen. „Kinder lieben Experimen- befüllt? Ist da ein Loch im Schlauch? War- te“, sagt Schulze, die sich seit Anfang dieses um ist die Spannung so gering? Spinnt das Jahres im Ruhestand befindet. „Ein for- und Messgerät? schend-entwickelnder Unterricht, der eige- Ausprobieren, vorwärtskommen, ne Entdeckungen ermöglicht, ist besonders scheitern: Jeder Forscher und Wissen- geeignet, sie für Naturwissenschaften zu Höhenflügen schaftler kennt diese Momente zur Genüge. begeistern.“ Je früher Schule, Kindergärten Das endlose Hin und Her zwischen Versuch und Kitas damit beginnen, umso besser. und Irrtum, das mit Glück und Fleiß zu neuen Erkenntnissen führt, die Endorphi- Nicht aufgeben ne in Wallung bringt. Psychologen haben vielfach nachgewiesen, wie wichtig Erfolgs- Ein Sieg bei Jugend forscht er- erlebnisse für unser Handeln sind. Sie mo- öffnet Chancen, ist aber kein Garant für Ohne Zweifel keine Erkenntnis: Vier Jugend tivieren uns durchzuhalten. Vergessen wird eine prompte wissenschaftliche Karriere. forscht Alumni zur Frage, wie sich Rückschläge dabei gerne, dass sich auch die Kehrseite des Glücks, der Zweifel, in einen mächtigen Selbst sehr begabte und fleißige Forscher sind nicht vor Durststrecken gefeit; Roland in Glücksmomente verwandeln lassen Motor verwandeln kann. Er treibt uns an, Speicher erlebte es. 1979 wurde er gemein- fordert uns auf, hartnäckig zu bleiben und sam mit Michael Schwarz Bundessieger in Dingen auf den Grund zu gehen. Mathematik/Informatik – eine gewaltige E Ein Prozess, den jeder Forscher Motivation für das Arbeiterkind Speicher. s kommt durchaus vor, auf seine eigene Art und Weise erlebt und Gleichwohl wartete er nach dem Studium dass man zu seinem Glück bewältigt. Bei Baier und Mahlenbrei etwa eine kleine Ewigkeit darauf, dass seinem gezwungen werden muss. machten die öffentliche Anerkennung und Fachgebiet – der Freien Wahrscheinlich- Bei Verena Baier und Katja das Lob die zähen Stunden im Labor schnell keitstheorie – in Deutschland ein ernst- Mahlenbrei war das so: In vergessen. Aus den beiden Frauen wurden haftes universitäres Interesse entgegenge- der neunten Klasse lud sie ihr Chemieleh- zwar keine Wissenschaftlerinnen – Mah- bracht wurde. Vergeblich bewarb er sich an rer am Kreisgymnasium Riedlingen im lenbrei studiert heute Werbung und Markt- europäischen Hochschulen, ein Jahrzehnt Landkreis Biberach in die Jugend forscht kommunikation, Baier wird Vertriebsinge- lang forschte und lehrte er schließlich in AG ein. „Jugend forscht? Wir?“ Die damals nieurin –, aber eine wertvolle Lektion aus Kanada, und erst mit 50 Jahren erhielt er ei- 15-jährigen Mädchen waren baff. Ihre Che- dem Wettbewerb wird sie immer begleiten: nen Ruf als Professor für Mathematik an die mie-Noten konnten sich zwar sehen lassen, sich nie entmutigen zu lassen. Universität des Saarlandes. Für seine weg- aber der Anblick des Periodensystems riss weisenden Erkenntnisse hat Speicher 2013 sie deswegen noch lange nicht zu Begeiste- Begeisterung wecken den höchstdotierten Wissenschaftspreis rungsstürmen hin. Warum dann also Ju- der EU erhalten, den ERC Advanced Grant. gend forscht? Jugend forscht prägt seine Teil- Im vergangenen Jahr war er Hauptredner Ganz einfach: Ihr Lehrer ließ nicht nehmer, so auch Ilona Schulze. 1967 wurde beim International Congress of Mathemati- locker. So sagten sie zu. Auf leisen Soh- sie Bundessiegerin im Fach Chemie mit ei- cians, dem weltweit größten Kongress für len schlich es sich an, das Forscherfieber, ner Arbeit über den Vitamin-C-Gehalt von Mathematiker. Hier sein Forschungsgebiet und schließlich fanden die beiden jungen Gartenkresse. „Ohne diesen Erfolg hätte ich vertreten zu dürfen, gilt in dem Fach als Frauen sogar echtes Forscherglück: 2010 wahrscheinlich nicht Chemie und Physik eine der größten akademischen Ehren. wurden sie mit ihrem Projekt – der Ent- für das Lehramt studiert“, sagt sie. Päda- Was ihn all die Jahre durchhalten wicklung eines Sensors zur Messung von gogin wollte sie schon immer werden, aber ließ? „Die Liebe zur Mathematik“, sagt er. Wasserstoffkonzentration – Landessieger die Liebe zu den Naturwissenschaften und „Das Suchen und Finden von schönen, ele- im Fach Chemie in Baden-Württemberg. der Wunsch, die Faszination des Forschens ganten Strukturen und Lösungen – das hat Auf Bundesebene errangen sie Platz fünf. anderen zu vermitteln, wurden durch den mich schon damals bei Jugend forscht an- Wettbewerb geweckt. getrieben. Und das ist heute noch so.“ Hin- Feuer fangen Ein Knoten war geplatzt: Die Ängs- zu kommt, dass Speicher zu den Pionieren te, am Chemie- und Physikstudium mög- und Koryphäen seines Fachgebiets zählt. „Die Atmosphäre in der AG war un- licherweise zu scheitern, traten in den Er war unmittelbar daran beteiligt, die geheuer motivierend“, erinnert sich Baier Hintergrund. „Diese positive Erfahrung Freie Wahrscheinlichkeitstheorie bekann- heute. „Irgendwann fingen wir Feuer, woll- hat mich sehr beeinflusst“, sagt Schulze. ter zu machen, und freut sich heute über ten unbedingt selbst am Wettbewerb teil- So sehr, dass sie sich als Lehrerin, Schul- die wachsende Zahl an Forschungsstellen. nehmen“, ergänzt Mahlenbrei. Drei Jahre leiterin und als Fachdezernentin bei der Der Kreis von Experten sei allerdings im- Hier nistet sich der Zweifel genauso gerne ein wie das Glück: Das menschliche Gehirn ist Schauplatz gewaltiger Emotionen, auch beim Forschen. lang feilten sie an ihrem Projekt, investier- Bezirksregierung in Köln in verschiedenen mer noch relativ klein, erklärt er. „Aber der ten viele Nachmittage und Wochenenden. Projekten und Initiativen ihr ganzes Berufs- Austausch und die Anerkennung, die man Ein paar Mal drehten sie sich im Kreis – es leben lang dafür einsetzte, Schülerinnen hier erfährt, sind umso direkter und per- gab einfach zu viele potenzielle Fehlerquel- und Schüler an die Naturwissenschaften sönlicher. Das motiviert enorm.“ – 22 – – 23 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre „Dem Traum eine Weltraumforscher mit Mission: Alexander Gerst flog 2014 als dritter Chance geben“ Deutscher zur Internatio- nalen Raumstation ISS. Als Astronaut der Raumstation ISS erlebte Geophysiker Alexander Gerst die Erde aus einem ganz neuen Blickwinkel. Ein Gespräch über Glücksmomente im All, plötzliche Popularität und Bodenhaftung Herr Gerst, Sie waren sechs Monate lang habe ich daher oben in der Aussichtskup- „unser Mann im All“ – was bedeutet das in pel der ISS diesen Ausblick gesucht und der Rückschau für Sie? in unendlich vielen Fotos festgehalten. Als Als ich mich 2008 bei der ESA bewarb, habe Geophysiker kenne ich unseren Planeten ich nicht wirklich daran geglaubt, eines Ta- eigentlich in- und auswendig. Diese klei- ges Astronaut zu werden. Ich wollte damals ne Steinkugel und ihre hauchdünne Hülle einfach nur einem Traum eine Chance ge- dann plötzlich mit eigenen Augen inmitten ben. Nicht mehr und nicht weniger. Dass des gigantischen schwarzen Universums ich dann tatsächlich das Glück hatte, ein kreisen zu sehen, ist eine Erfahrung, die halbes Jahr auf der ISS verbringen zu dür- kein Astronaut vergisst. Aber auch ein Er- fen – darüber staune ich heute noch. lebnis, das einen nachdenklich und sogar traurig machen kann. Sie sind als einer von sechs aus über 8 400 Bewerbern für die Weltraummission aus- Welche Momente waren das? gewählt worden. Da nur von Glück zu Von der Raumstation aus mussten wir mit sprechen, klingt nach falscher Beschei- ansehen, wie über den Krisenregionen die- denheit. Was hatten Sie den anderen Kan- ser Welt Raketen flogen und Bomben ein- didaten voraus? schlugen. Und man bekommt von da oben Ich bin ein ziemlich rationaler Typ. Bei mir ein Bild davon, welch gigantische Ausmaße schlägt das Gefühlspendel nicht so schnell die Vernichtung der tropischen Regenwäl- aus, weder nach oben noch nach unten. der schon erreicht hat. Mir wurde schlag- Wohl auch deshalb hat die ESA mich an artig klar, wie verletzlich das ganze System Bord geholt. Astronauten dürfen sich in Ex- ist – und wie unglaublich absurd es ist, dass tremsituationen nicht von Emotionen be- wir Menschen uns und noch dazu die Natur herrschen lassen. Egal, ob es einen Notfall bekriegen. Hätte jeder von uns die Chance, gibt oder ein Forschungsexperiment dane- einmal diese Perspektive einzunehmen, es bengeht. wäre wahrscheinlich besser bestellt um un- sere Welt. Wie bitte? Gefühle spielen so gar keine Rolle da oben? An Gedanken wie diesen haben Sie wäh- Doch, natürlich (lacht). Schließlich haben rend Ihres Raumfluges via Twitter und auch Astronauten Gefühle. Der erste Blick Facebook viele Menschen teilhaben las- aus dem Weltraum auf die Erdkugel ist sen. Warum war Ihnen das wichtig? überwältigend. Und diese Faszination hört Weil es mir ein Bedürfnis war, all meine auch während der ganzen Mission nicht persönlichen Eindrücke aus dem All mit auf. Wann immer es die knappe Zeit zuließ, Gleichgesinnten zu teilen. Es ist eine U – 24 – – 25 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre Galaktische Karriere DR. ALEXANDER GERST 2015 Auszeichnung mit dem Bundesverdienst- kreuz, Berufung zum UNICEF-Botschafter 2014 Teilnahme an der sechsmonatigen Mission „Blue Dot“. Als Bordin- genieur auf der Interna- tionalen Raumstation ISS führt Gerst über 100 Experimente durch 2011 Berufung zum Besatzungsmitglied der ISS-Crew 40/41 2009 - 2010 ESA Raum- fahrtausbildung im Europäischen Astronau- Atemberaubendes Pa- tenzentrum EAC, Köln norama: Mehr als sechs Stunden hält sich Alexan- 2004 - 2010 Forschungs- der Gerst am 7. Oktober tätigkeit am Institut für 2014 zwecks Wartungs- tolle Erfahrung zu sehen, dass die bemann- ne Erfahrung ist, dass das Leben immer et- Geophysik der Universi- arbeiten außerhalb der te Raumfahrt mit ihrer spektakulären Sicht was Spannendes auf Lager hat, man muss tät Hamburg, Promotion Raumstation auf. auf die Erde so viele Menschen bewegt – nur offen dafür sein. Zudem stehe ich auch aber eben auch zum Nachdenken anregt. in Zukunft für Missionen zur Verfügung, 1998 -2003 Studium der und bis dahin gibt es viele interessante Auf- Geophysik an den Uni- Sie haben heute Fans in aller Welt, was gaben bei der ESA – auch am Boden. versitäten Karlsruhe und eher ungewöhnlich ist für einen Wissen- Wellington, Neuseeland schaftler. Hat der Rummel um Ihre Per- Sie hatten von der ISS aus einen direkten son Sie verändert? Draht zu Schülerinnen und Schülern. 1995 Abitur am Tech- Ich hoffe nicht. Ich denke, ich bin immer Was bedeutet Ihnen die Arbeit mit Kin- nischen Gymnasium in noch der Alexander Gerst, der ich vor der dern und Jugendlichen? Öhringen bei Heilbronn Mission war. Vor mir sind Menschen in Viel, weil in den Händen dieser jungen Men- den Weltraum geflogen, und nach mir wer- schen die Zukunft unseres Planeten liegt. den es viele andere tun. Ich stehe in jeder Es ist wichtig, die nächste Generation für Hinsicht wieder mit beiden Beinen auf der Forschung und Wissenschaft zu begeistern. Erde. Allerdings verändert so eine Mission Denn die Kinder von heute sind es, die dafür die Sichtweise auf unseren kleinen blauen sorgen werden, dass die Erde auch morgen Planeten natürlich nachhaltig. noch ein lebenswerter Ort ist. Ich möchte etwas von der Inspiration weitergeben, die Sie waren im Weltall, ein Erfolg, der mir als Jugendlicher durch die Raumfahrt kaum zu toppen ist – was kann jetzt noch zuteilgeworden ist. Wenn Weltraumflüge kommen? dazu beitragen können, dass Jugendliche Spektakuläre Perspektiven: Mit seinen Das Leben fühlt sich sehr gut an so, wie es sich für Technik- und Umweltfragen inter- Aufnahmen der Erdoberfläche fas- jetzt ist. Ich bin niemand, der von einem essieren, dann ist einer der wichtigsten Tei- zinierte der deutsche ESA-Astronaut zum nächsten Höhepunkt jagen muss. Mei- le meiner Mission erfüllt. Millionen Menschen in aller Welt. – 26 – – 27 –
PASSION ZUKUNFT | Neugier & Leidenschaft Jugend forscht: 50 Jahre Investment in V Prof. Dr.-Ing. Udo Ungeheuer Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Düsseldorf Wissbegierde „Pioniere und Erfinder, die Innovationen von morgen anstoßen und neue Technologien entwickeln – solche und Leidenschaft Menschen braucht unsere Gesellschaft. Ingenieure leisten einen Beitrag, die Welt ein Stückchen besser zu machen. Sie nehmen sich globaler Megathemen wie Umwelt, Energie, Mobilität, Kommunikation oder Gesundheit an. Das erfordert neben Fachwissen auch Aufgeschlossenheit, Neugier und Kreativität – also den Blick über den Tellerrand. Die technische Allgemein Unternehmen, Ministerien, bildung in den Schulen gleicht in Deutschland noch Verbände, Forschungsorganisationen einem sehr löchrigen Netz. Umso wichtiger ist die frühe Förderung von Interessen und Talenten, wie und Stiftungen – sie alle sind Partner und sie Jugend forscht äußerst nachhaltig und in hoher Förderer des Wettbewerbs. Viele Qualität betreibt. Wir möchten den Wettbewerb künf tig noch stärker mit unseren Nachwuchsangeboten unterstützen Jugend forscht schon vernetzen. Es fasziniert mich, mit welcher Leidenschaft seit Jahrzehnten und Akribie die Jugendlichen bei der Sache sind. Und dass sie sich so viele Gedanken darum machen, wie wir eine bessere Zukunft schaffen können. Das ist wirklich toll mitanzusehen!“ N icht nur jede Menge ein eigenständiges Markenprofil. „Der Dr. Kurt Bock U spannende Ideen und hohe Bekanntheitsgrad und das exzellente Vorstandsvorsitzender der BASF SE, viel Leidenschaft flie- Image sichern dem Wettbewerb – und da- Ludwigshafen ßen alljährlich in den mit auch unserem gesamten Unterstützer- Wettbewerb. Hinter Ju- netzwerk – eine breite öffentliche und me- „Menschen, die Mut haben, außer gend forscht steckt auch eine bemerkens- diale Aufmerksamkeit“, erklärt Nico Kock, gewöhnliche Ideen zu verfolgen und den werte Investitionsleistung: Mindestens stellvertretender Geschäftsführer und Mit- Willen mitbringen, Dinge voranzutreiben, zehn Millionen Euro lassen sich die Partner glied des Vorstands der Stiftung Jugend auch wenn sie schwierig erscheinen. Solche des Wettbewerbs ihr Engagement Jahr für forscht e. V. „Wer als unser Partner in Er- Persönlichkeiten brauchen wir bei BASF. Wir Jahr kosten. Finanziert wird Jugend forscht scheinung tritt, dem bieten sich zahlreiche sind mit Forschung und Innovationen groß vornehmlich von der Wirtschaft – ein Er- Möglichkeiten, das Engagement mit der ei- geworden. Den ersten Forschungsleiter folgsrezept, das sich seit der Gründung genen Kommunikationsarbeit zu verknüp- gab es bei uns schon drei Jahre nach bewährt hat. Zu den rund 250 Partnern fen.“ So betten viele Förderunternehmen unserer Gründung im Jahr 1865. Wir zählen mittelständische Firmen genauso den Wettbewerb in ihre Corporate Social wollen, dass junge Menschen genauso viel wie Weltkonzerne. Aber auch Ministerien, Responsibility-Strategie ein und verstehen Freude an Naturwissenschaften haben wie Verbände, Stiftungen, Forschungsorganisa- ihn oft auch als identitätsstiftenden Bau- wir. Unser Unternehmen ist daher Partner tionen und Hochschulen bringen sich mit stein der eigenen Unternehmenskultur. der ersten Stunde von Jugend forscht, eine Eigenmitteln bei Jugend forscht ein. Reihe von Alumni arbeitet heute bei der Was treibt diese Akteure an, sich Talente angeln BASF. Mich beeindruckt immer wieder, wie finanziell und auch personell für den Wett- die jungen Leute sich für eine Sache bewerb zu engagieren? Es ist vor allem der Es sind aber bei Weitem nicht nur begeistern und mit welchem Spaß und herausragende Ruf, den Jugend forscht Imagegründe, die Unternehmen, Verbände Erfindergeist sie an den Wettbewerb über alle Branchen und Institutionen hin- oder Stiftungen dazu bewegen, mit Jugend herangehen. Ein riesiges Potenzial, weg genießt, der ein Engagement für die forscht zu kooperieren. Auch handfeste öko- Kreativität und Offenheit stecken in den Organisationen attraktiv macht. Als einzi- nomische und strategische Interessen halten Jugendlichen. Das ergibt in der Summe ger deutscher Ideenwettbewerb für Mathe- sie dazu an. Allen voran steht die Überzeu- immer tolle Ergebnisse. Da sind wir im matik, Informatik, Naturwissenschaften gung, dass die Unterstützung von Jugend Jubiläumsjahr 2015 gerne als Bundes- und Technik verfügt Jugend forscht über forscht ein nachhaltiger Beitrag zur U patenunternehmen dabei.“ – 28 – – 29 –
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