71.Jahr Heft4 April 2018 - GEW Hessen
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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 71. Jahr Heft 4 April 2018 zum Inhaltsverzeichnis Foto: H.Heibel, Hessischer Landtag TITELTHEMA Hessen vor der Wahl
IN DIESER HLZ HLZ 4/2018 2 Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung ISSN 0935-0489 I M P R E S S U M Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Hessen Bis zur Landtagswahl in Hessen am 28. analysieren die Arbeit der AfD-Abge- Zimmerweg 12 60325 Frankfurt/Main Oktober 2018 ist noch gut ein halbes ordneten im Landtag von Rheinland- Telefon (0 69) 971 2930 Jahr. Doch schon jetzt zeichnen sich die Pfalz und in niedersächsischen Kom- Fax (0 69) 97 12 93 93 Schwerpunkte des Wahlkampfs deut- munalparlamenten. (S. 16-17) E-Mail: info@gew-hessen.de Homepage: www.gew-hessen.de lich ab (HLZ S.3). Einen ersten Über- Im nächsten halben Jahr wird die HLZ blick über Themen und Positionen zur in Einzelbeiträgen ausgewählte Aspekte Verantwortlicher Redakteur: Harald Freiling Wahl gibt die HLZ in dieser Ausgabe: im Vorfeld der Wahl vorstellen. In den Klingenberger Str. 13 • Professor Georg Fülberth beschreibt Ausgaben unmittelbar vor der Wahl 60599 Frankfurt am Main Telefon (0 69) 636269 langfristige Trends und Veränderungen werden wir die Arbeit der schwarz-grü- Fax (069) 6313775 seit der Gründung des Landes Hessen nen Koalition bilanzieren und die Par- E-Mail: freiling.hlz@t-online.de im Jahr 1945. (S. 6-7) teien zu wichtigen Themen der Wahl Mitarbeit: • Sascha Kristin Futh befasst sich mit befragen. Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch- der hessischen Medienlandschaft und schule), Dr. Franziska Conrad (Aus- und Fortbildung), Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestimmung), ersten Umfragen im Wahljahr. (S. 8-9) Hessenwahl am 28. Oktober Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette Loycke • Die finanzpolitischen Spielräume (Recht), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung), Ka- des Landes analysieren Kai Eicker-Wolf Die GEW wird sich auch in diesen rola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik und Gewerkschaften) und Achim Truger. Ihr Ergebnis: Geld Wahlkampf einmischen und ihre The- für bessere Bildung ist da! (S. 10-11) men und Forderungen einbringen. Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert † • Nach einer Umfrage des Meinungs- Auch darüber wird die HLZ berichten. Titelthema: Harald Freiling und Roman George forschungsinstituts Forsa werden „der Unter der Überschrift „Bildung braucht Illustrationen: Thomas Plaßmann (S. 11, 13, 29, 33), Lehrermangel, der Ausfall von Unter- bessere Bedingungen“ plant die GEW Dieter Tonn (S. 7, 9, 15), Ruth Ullenboom (S. 4) richt und der schlechte bauliche Zu- • regionale Aktionen in der Woche Fotos, soweit nicht angegeben: stand vieler Schulen als gravierendste vom 23. bis 25. Mai H. Heibel, Hessischer Landtag (Titel), GEW (S. 3, 5 23, 24, 34) Probleme im Schulwesen ausgemacht“, • regionale Konferenzen der Schul- so die Frankfurter Rundschau am personalräte und GEW-Vertrauensleu- Verlag: 27. 2. 2018. Roman George vergleicht te in der Zeit vom 21. bis 23. August Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Niederstedter Weg 5 die unterschiedlichen Prognosen zum • einen zentralen Aktionstag am 61348 Bad Homburg künftigen Lehrkräftebedarf. (S. 12-13) Samstag, dem 22. September 2018. Anzeigenverwaltung: • In einem weiteren Beitrag reflektiert Im Rahmen der Kampagne „Bildung Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Roman George einen Aufsatz des hes- braucht bessere Bedingungen“ kon- Peter Vollrath-Kühne sischen Kultusministers Alexander Lorz frontiert die GEW Hessen die Partei- Postfach 19 44 61289 Bad Homburg über die „anthropologischen Prämissen en mit der Forderung nach einem „So- Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 christlich-demokratischer Bildungspo- fortprogramm für Bildung“ mit einem E-Mail: mlverlag@wsth.de litik“. (S. 14-15) Finanzierungsvolumen von 500 Milli- Erfüllungsort und Gerichtsstand: • Professor Benno Hafeneger und Stu- onen Euro im Jahr, das die HLZ in ih- Bad Homburg dierende an der Universität Marburg rer nächsten Ausgabe vorstellen wird. Bezugspreis: Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein- schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten. Aus dem Inhalt Rubriken 19-22 lea-Fortbildungsprogramm Zuschriften: Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder 4 Spot(t)light wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver- Einzelbeiträge 5 Meldungen öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen 34 Aus den Bezirksverbänden 18 Frieden geht: Staffellauf gegen Rüs- vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion 35 Aus dem Hauptpersonalrat tungsexporte auch durch Hessen übereinstimmen. 36 Recht: Betreuung von Kindern 23 GEW-Fach- und Personengruppen: 37 Recht: Mutterschutz Die Landespersonengruppe Frauen Redaktionsschluss: 38 Jubilarinnen und Jubilare 24 Gesetzgebung: Kindertagesstätten Jeweils am 5. des Vormonats 25 Grundschule geht anders: Titelthema: Hessen vor der Wahl VERA 3, Quopp und Co. 6 Langfristige politische Trends 26 Privatschulboom in Hessen Nachdruck: Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- 8 Meinungsbildung vor der Wahl 28 Landesrechnungshof ignoriert gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei- 10 Haushaltspolitik: Das Geld ist da! Investitionsstau an Schulen genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher 12 Genehmigung der Redaktion und des Verlages. Lehrkräftemangel in Hessen 30 Gewerkschaften in Frankreich 14 Bildung: Fragen an Herrn Lorz 31 Algier: Konferenz gegen den Krieg Druck: Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH 16 Die AfD in den Parlamenten 32 Medien: Fake News – True News Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 4/2018 zum Inhaltsverzeichnis KOMMENTAR Vor der Wahl in Hessen: Bildung braucht bessere Bedingungen! Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsfor- Gesamtversorgung von 121 Prozent spricht, ist das schungsinstituts Forsa halten 79 Prozent der be- nicht nur ein Rechentrick, sondern auch eine Ver- fragten Wahlberechtigten den Lehrermangel und den höhnung der Kolleginnen und Kollegen, die offen- baulichen Zustand der Schulen für das größte landes- sichtlich gar nicht wissen, „wie gut es ihnen geht“. politische Problem in Hessen. Die Themen „Bildung/ Die Überlastungsanzeigen der letzten Jahre zeigen, Schule/Ausbildung“ haben auch nach dem Hessen- wie sehr das den Beschäftigten an den Schulen zu- trend des Hessischen Rundfunks anderen Problem- setzt. Pädagogische Berufe werden so systematisch feldern den Rang abgelaufen: Hier sagten im Janu- abgewertet, besonders an Grundschulen. ar 41% der Befragten, dies sei das größte Problem. Bis zur Landtagswahl am 28. Oktober ist es noch Ein Jahr vorher waren es nur 27%. ein gutes halbes Jahr. Die GEW wird diese Zeit nut- An der hessischen Landesregierung ist dies vor- zen, ihre Forderung nach „besseren Bedingungen für beigegangen. Auch der Kultusminister redet sich die gute Bildung“ verstärkt in die Öffentlichkeit zu tra- Situation weiterhin schön und negiert die Verant- gen. Gute Bedingungen für Bildung und Arbeit müs- wortung der Landesregierung. Dass Lehrkräfte feh- sen im Mittelpunkt der Politik stehen. Dazu gehören len und die „demografische Rendite“ in das Land der zusätzliche Stellen in allen Bereichen, auch für In- Märchen gehört, hat die GEW bereits vor mehreren klusion und Ganztag, und die Reduzierung der Ar- Jahren deutlich gesagt (HLZ S.12). Heute gibt es nie- beitszeit. An A 13 für Grundschullehrkräfte darf manden mehr, der die Probleme leugnet. Überall läu- kein Weg vorbeiführen. Viele Schulgebäude müssen ten die Alarmglocken, weil die Zahl der Schülerin- saniert werden. Auch hier legt die GEW weiter den nen und Schüler steigt und dringend mehr Lehrkräfte Finger in die Wunde! Das Geld dafür ist da, es muss benötigt werden. Doch diese sind jetzt nicht da, weil nur anders verteilt werden. Erste kreative Aktionen in den letzten Jahren notwendige Schritte unterlas- wird die GEW Hessen bei ihren Aktionstagen im Mai sen wurden. Schlechte Arbeitsbedingungen werden durchführen. Für weitere Aktivitäten setzen wir auf weiter als „Begleiterscheinungen der Postmoderne“ das bewährte Bündnis mit den Schülervertretungen abgetan, die Zahl der Studienplätze wächst insbe- und den Eltern. Es geht jetzt darum, laut zu werden sondere in den Studiengängen für Grundschulen und und sich einzumischen. Gute Arbeitsbedingungen für Förderschulen nicht mit dem Bedarf. die Kolleginnen und Kollegen in den Bildungseinrich- Ein Anfang wäre es, das Schönreden zu beenden tungen und gute Bildung für alle sind möglich. Die und sich den Fehlentwicklungen der Vergangenheit Probleme müssen benannt und angegangen werden. zu stellen. Seit bald 20 Jahren wird Hessen von der Dafür müssen wir gemeinsam aktiv werden! CDU allein oder in Koalitionen mit FDP oder GRÜ- NEN regiert. In diese Jahre fällt die „Operation Düs- tere Zukunft“ von Roland Koch, die die Beschäftigten Birgit Koch und Maike Wiedwald des Landes zu Sündenböcken für die Haushaltssitua- Vorsitzende der GEW Hessen tion erklärte und mit Gehaltskürzungen und Arbeits- zeitverlängerung bestrafte. In dieser Zeit wurde mehr als einmal der Grundsatz verletzt, dass Tarifergeb- nisse zeit- und inhaltsgleich auf die Beamtinnen und Beamten übertragen werden. Nicht vergessen ist aber vor allem die Politik der letzten Jahre, die den Druck auf Lehrkräfte und Schulleitungen enorm erhöht hat. Die Ressourcen, die für Inklusion und Ganztagsan- gebote zur Verfügung gestellt werden, sind viel zu gering. Wenn die Landesregierung von einer guten
SPOT(T)LIGHT zum Inhaltsverzeichnis HLZ 4/2018 4 Nichts leichter als das! Tischgruppen sortiert, kreuz und quer im Raum verteilt: toll. Schüler, die aufgeregt mit Zetteln durchs Gebäude rennen: wunderbar. Lebendige Schu- le heißt z.B., dass alle Kinder auf dem Du wolltest eigentlich zum Feuilleton. gefressenen Lehrern wird dir niemand Fußboden herumkegeln und die Lehre- Oder wenigstens ins Sportressort. Aber widersprechen. rin mittendrin sitzt. Begeistere dich für auf keinen Fall in die Bildungsredak Beginnen wir mit der richtigen Ter- alles, was du aus deiner Schulzeit nicht tion. Die zuständige Kollegin ist jedoch minologie. Willst du positiv über aus- kennst: Wissensquiz auf dem Smart- schwanger und hat schon im zweiten erwählte Leuchtturm-Anstalten schrei- phone, Recherche im Internetraum (Was Monat das derzeit beliebte Beschäfti- ben, streu unbedingt ein paar der recherchieren sie da eigentlich? – Ach, gungsverbot ausgesprochen bekom- folgenden Begriffe ein. Es ist dabei völ- unwichtig), Gymnastik nach Zahlen, men. Zwei Jahre wirst du sie vertre- lig egal, ob du dir darunter etwas Kon- Grammatik als Zirkeltraining, Galerie ten. Das kann deine große Chance sein. kretes vorstellen kannst: Individualisie- rundgänge, Brabbelphasen, Placemat, Das Einfallstor in die Politredaktion. rung, Inklusion, Binnendifferenzierung, Fish-Bowl. Wundere dich nicht, was Näher ran an den Textchef. Vielleicht spielerisches Lernen, projekt-, kompe- hinter diesen Begriffen oft an Banali- wird sogar das Fernsehen auf dich auf- tenz- und erlebnisorientierter Unter- täten steckt: Schüler reden miteinander merksam! Dort verdient man wesentlich richt, junge Lehrer mit frischen Ideen, oder zeigen sich was… Stell in deinen mehr als beim Zeilenschinden. Erkenntnisse der modernen Hirnfor- Texten Lehrkräfte als ganz besonders Du hast keine Ahnung von Schu- schung, digitale Bildung. Wirf in deinen heraus, die mit ihren Schülern auch le? Wie kannst du so was sagen! Jeder Artikeln mit „Kompetenzen“ um dich mal reden und sich um sie kümmern! Mensch – außer den fröhlichen Freiler- (Medienkompetenz, Selbstkompetenz, Gib grundsätzlich den Schülereltern nern – hat eine Schule besucht. Erinne- Kulturkompetenz, Lebenskompetenz) Recht, wenn es zu Beschwerden und re dich einfach an früher. Was hat dir und denk dir jeden Monat ein neues Prozessen kommt. Falls ein Richter aus- damals missfallen? Irgendein Rohrkre- Fach aus, das die Schule ganz dringend nahmsweise mal auf der Seite des an- pierer, irgendein menschlicher Deser- vermitteln muss: sexuelle Vielfalt, Be- geklagten Lehrers steht, kannst du das teur unter den Lehrkräften wird sich nimmregeln, Steuererklärung ausfül- irgendwann in einem Artikel erwäh- schon finden. Den nimmst du einfach len, Kampfsport, Raumfahrt, Golf und nen. Aber das musst du nicht. Es macht als Negativmuster für kritische Arti- Börsengänge, Emotionen und Freizeit- auch nichts, wenn du dich lauthals für kel. Denk an die Peinlichkeiten deiner gestaltung. Oberstes Prinzip der mo- „Reformen“ begeisterst, später aber Schulzeit. Theaterstücke mit verteilten dernen Schule ist SPASS! Selbst beim deine Meinung um 180 Grad änderst, Rollen lesen, Gedichte auswendig ler- Vokabellernen. Obwohl alte Knaster weil Evaluationsbeauftragte feststellen, nen, in dich gehen und Besinnungs- behaupten, Sitzfleisch und mühsames dass früheres Einschulen und verkürzte aufsätze schreiben: entsetzlich. An der Üben sei effektiver als Spaß. Schulzeit die armen Kinder in großen Tafel Rechenaufgaben lösen: qualvoll. Folgende Begriffe solltest du nur Stress versetzen. Du hast dich für die Im Sportunterricht Mannschaften bil- dann verwenden, wenn eine Schule bei tolle Methode „Schreiben nach Gehör“ den: demütigend. Das alles ist zwar eine der Inspektion durchgefallen ist: Fron- und die Rückkehr zur jahrgangsüber- Weile her, aber du kannst deine Erin- talunterricht, Lehrervortrag, Beamten- greifenden Dorfschule stark gemacht nerungen getrost auf die Schule von status, Überalterung, Pensionierungs- und jetzt kommen in der Bildungsland- heute übertragen. Außer ein paar an- welle, Kreide, Tafel, „Bildung“ (statt schaft Zweifel auf? Macht nichts. Kein Kompetenzen). Mensch merkt, dass du deine Meinung Du wirst bei eventuellen Recher- ständig irgendwelchen Trends anpasst. chen schnell merken, dass Deutschland Außer dieser einen missgelaunten Leh- bei allen Vergleichstests miserabel ab- rerin, die dich regelmäßig mit ihren schneidet. Das kannst du selbst als Laie Mails belästigt. Hat wohl nichts zu tun, ganz leicht erklären: Kein Lehrer ist die Frau. auf heterogene Lerngruppen vorberei- Du musst vor allem eins verinnerli- tet. Und diese Querköpfe bilden sich chen: Schule steht im wertfreien Raum auch nicht entsprechend fort. Obwohl und ist als Sündenbock für alle mögli- es an den Hochschulen von praxiser- chen Fehlentwicklungen hervorragend fahrenen Experten mit wertvollen Tipps geeignet. Es gibt keinen Zusammen- nur so wimmelt!!! Statt sich fortzubil- hang mit gesellschaftlichen Missstän- den, verursachen und zementieren die den, sozialer Spaltung oder gar mit „ka- meisten Lehrkräfte soziale Unterschie- pitalistischen Verwertungsprozessen“, de. Die Ausbildung der älteren Leh- wie manche Alt-68er es behaupten. rer ist am 19. Jahrhundert ausgerich- Hüte dich vor solchen Gedanken und tet, aber nicht für die Welt von morgen Formulierungen, forsche nicht nach geeignet und schon gar nicht für das übergreifenden Ursachen und stelle „wahre Leben“. auf keinen Fall die Systemfrage! Sonst Wenn du mal echte Schulen besu- wird das später nichts mit der Nähe zur chen solltest, achte darauf, wie die Kin- Chefredaktion oder der eigenen Fern- der sitzen. Frontal und vereinzelt an seh-Talkshow! Tischen: ganz schlecht. In Teams an Gabriele Frydrych
5 HLZ 4/2018 zum Inhaltsverzeichnis MELDUNGEN Pensionen an der Börse: Hochschulstreik in England Einem Streikaufruf der britischen Uni- versity and College Union (UCU), der Schwestergewerkschaft der GEW für Beschäftigte britischer Hochschulen, folgten vom 22. Februar bis 6. März 2018 fast 100.000 Hochschulangehö- rige. Sie protestierten gegen die Pläne des Arbeitgeberverbandes der Univer- sitäten, die Pensionen der Beschäftig- ten zukünftig an der Börse zu handeln. Einbußen von bis 1.000 Pfund pro Mo- Bei der zentralen Veranstaltung der GEW nachteiligung überwinden!“ Danach sang nat und Person könnten die Folge sein. Hessen zum Internationalen Frauentag dis- und spielte das Musikkabarett „Konduetti- An der größten Demonstration am 28. kutierten am 8. März Landtagsabgeordnete na“. Auf dem Podium von links nach rechts: Februar in der Innenstadt von London aller Fraktionen mit der stellvertretenden Gabi Faulhaber (Die Linke), Manuela Stru- nahmen auch mehrere Mitglieder der GEW-Vorsitzenden Karola Stötzel und dem be (SPD), Karola Stötzel (GEW), Wiebke Fachgruppe Hochschule und Forschung Publikum über das Thema „Pädagogische Knell (FDP), Daniel May (Grüne) und Eva der GEW Hessen teil. Arbeit = Frauenarbeit? Strukturelle Be- Kühne-Hörmann (CDU) Trotz Minustemperaturen und Schneefall beteiligten sich 3.500 Men- schen an der Demonstration, landesweit GEW analysiert den lea-Tagung am 25. April: wurden 60 Hochschulen erfolgreich be- streikt. Örtliche „Picket Officers“ sorg- Privatschulboom in Hessen 200 Jahre Karl Marx ten für die Bestreikung „ihrer“ Ein- Im Rahmen einer Landespressekonfe- Am 5. Mai 1818 wurde Karl Marx in richtung. Der Arbeitgeberverband hat renz stellte die GEW-Landesvorsitzende Trier geboren. Mit seinem 200. Geburts- inzwischen Gespräche angeboten. Birgit Koch gemeinsam mit der stellver- tag beschäftigen sich neue Bücher, Ver- • Weitere Infos: https://www.gew.de/in- tretenden Vorsitzenden Karola Stötzel anstaltungen und Symposien. Bei einer ternationales und dem Referenten der GEW für fi- Fachtagung von lea, dem Bildungswerk nanzpolitische Fragen Kai Eicker-Wolf der GEW Hessen, referieren und disku- einen ausführlichen Bericht zur Ent- tieren unter anderen Prof. Rainer Roth, Inklusion in Hessen: wicklung der Privatschulen in Hessen Dr. Ingo Elbe, Prof. Freerk Huisken, Dr. Kurswechsel überfällig vor. Die Zahlen belegen eine deutliche Nadja Rakowitz und Günther Sandleben Zunahme der Zahl der Privatschulen über das Thema „200 Jahre Karl Marx Eine internationale Tagung von meh- und des Anteils der Kinder und Jugend- – Revolution? Revolution!“ Die Veran- reren hundert Inklusionsforscherinnen lichen, die eine Privatschule besuchen. staltung findet am 25. April, von 9.30 und -forschern an der Justus-Liebig- Regional ist der Anstieg vor allem im bis 17.30 Uhr in Frankfurt statt: Universität Gießen bestätigte in einer Regierungsbezirk Darmstadt und hier • Infos und Anmeldung: www.lea-bil- Resolution die Kritik der GEW am Kurs wiederum in der Stadtregion Frankfurt dung.de; anmeldung@lea-bildung.de; Tel. der hessischen Landesregierung. Die festzustellen. Die von den Privatschu- 069-971293-27 hessische Landesregierung nehme ihre len erhobenen Schulgebühren von mo- „Verantwortung für die konsequente natlich 300 Euro und mehr verstoßen Umsetzung der UN-Behindertenrechts- aus Sicht der GEW gegen das „Sonde- 5. Mai: Treffen der Studie- konvention auf der Ebene der landes- rungsverbot“ des Grundgesetzes, das renden in der GEW Hessen politischen Steuerung von Schul- und eine Auslese nach den Besitzverhält- Unterrichtsentwicklung, Aus-und Fort- nissen der Eltern untersagt. Die GEW Das Landesausschuss der Studentin- bildung“ nicht ausreichend wahr und spricht dabei von „besorgniserregenden nen und Studenten in der GEW Hessen fahre „die Inklusion an die Wand“. Die Tendenzen“ und fragt, ob die Geneh- (LASS) lädt am Samstag, dem 5. Mai stundenweise Abordnung von Son- migung neuer Privatschulen und die von 10.45 bis 16 Uhr zu einem Vernet- derpädagoginnen und Sonderpädago- Schulaufsicht über bestehende Schulen zungstreffen und einer offenen Mit- gen an Regelschulen führe „zu erheb- „mit der gebotenen Sorgfalt gehand- gliederversammlung der Studierenden lichen Reibungsverlusten in zeitlicher, habt wird“. Es trage auch nicht zum Zu- in die Geschäftsstelle der GEW Hessen inhaltlicher und organisatorischer Hin- sammenhalt der Gesellschaft bei, wenn in Frankfurt ein (Zimmerweg 12). Wer sicht“ und „regelmäßig wiederkehren- sich wohlhabende Familien schon beim an Hochschulpolitik und am Austausch den Auftrags- und Rollenklärungen“. Schuleintritt ihrer Kinder „aus dem öf- mit anderen Studierenden interessiert Auch das Assistenzsystem sei „kein fentlichen Bildungssystem verabschie- ist, ist herzlich eingeladen. Das Tref- Ersatz für qualifiziertes multiprofessi- den“ können. fen gibt einen Einblick in die Aktivitä- onelles Personal zur umfassenden Um- • Ein ausführlicher Bericht erscheint in ten des LASS. Außerdem steht die Wahl setzung des Bildungsanspruches aller dieser HLZ auf Seite 26. Das Dossier der des neuen LASS-Teams an. Kinder“. GEW steht auf der Homepage der GEW • Tagesordnung und Infos: www.gew- • Die Resolution im Wortlaut: www.gew- als Download zur Verfügung: www.gew- hessen.de/bildung/hochschule-und-for- hessen.de; http://bit.ly/2FGhDld hessen.de oder http://bit.ly/2Hnq2Y3 schung/studierende/
TITELTHEMA: HESSEN VOR DER WAHL zum Inhaltsverzeichnis HLZ 4/2018 6 Hessen vorn? Langfristige politische Trends in Hessen Am 28. Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Der wurden Anstrengungen zur Milderung des Süd-Nord-Ge- Landtagswahlkampf wirft seine ersten Schatten voraus – mit der fälles unternommen. Dabei half der bundesweite ökonomi- Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten in den Wahlkrei- sche Aufschwung. 1957 errichtete der Volkswagen-Konzern sen, mit Parteitagen und ersten Meinungsumfragen zu Wahlaus- ein großes Werk in Baunatal. In den Folgejahren gelang der sichten und Themen. Die aktuellen Themen dieses Wahlkampfs Übergang von der traditionellen kleinen Montanindustrie in sind jedoch eng mit langfristigen Entwicklungen der Landes- Mittelhessen zu verarbeitendem Gewerbe, oft auch für die politik verbunden. Georg Fülberth, von 1972 bis 2004 Profes- überregionale Zulieferung an rasch expandierende Automo- sor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg, gibt ei- bilhersteller. Mit Bundes- und Landesmitteln wurde in Ost nen Überblick über die langfristigen politischen Trends seit der hessen das so genannte Zonenrandgebiet gefördert. Gründung des modernen Bundesstaats Hessens im Jahr 1945. Seit Anfang der siebziger Jahre erfolgte der Ausbau der Beginnen wir 1945, im Gründungsjahr des modernen Hessen. Universitäten in Gießen und Marburg und der Technischen Wenn man so will, könnte man von einer Wiedergründung Hochschule Darmstadt, deren Bausubstanz durch den Bom- sprechen. Es wurden Gebiete zusammengefasst, die schon in benkrieg schwer geschädigt worden war. Gießen hatte zu- der frühen Neuzeit einen Territorialstaat gebildet hatten, in nächst keinen Universitätsstatus mehr, sondern existierte ab den folgenden Jahrhunderten aber zersplittert und wieder 1946 zunächst als Hochschule für Landwirtschaft und Vete- teilweise vereinigt wurden. 1918 blieben davon in Nordhes- rinärmedizin und darauf bezogene Naturwissenschaften. Ab sen eine preußische Provinz und im Süden der „Volksstaat“ 1957 wurde es wieder Voll-Universität. Hessen übrig. Aus ihnen wurde 1945 „Groß-Hessen“ unter Auf diese Phase der Rekonstruktion folgte in ganz Hes- US-amerikanischer Besatzung. Seit 1946 ist „Hessen“ der of- sen – zumindest baulich bereits vor 1968 einsetzend – an- fizielle Name. Rheinhessen, das einst zum „Volksstaat“ ge- gesichts steigender Studierendenzahlen eine Periode der hörte, kam zu Rheinland-Pfalz. Expansion. 1971 wurde die Gesamthochschule Kassel ge- Das neue Land war wirtschaftlich und sozialstrukturell gründet. Die Lehrerausbildung auch für Grund- und Real- uneinheitlich. Der Norden war noch stark agrarisch geprägt. schulen ist aus den bisherigen Pädagogischen Seminaren Eine Ausnahme bildete Kassel mit Maschinenbau und Rüs- bzw. Abteilungen für Erziehungswissenschaften jetzt voll tungsindustrie, die aber nun zunächst entfiel. Nordhessen in die Universitäten integriert. Der Verbesserung der statio- galt teilweise als eine Art Notstandsgebiet. Als die Westalli- nären medizinischen Versorgung in der Fläche dienten die ierten 1949/1950 dem widerstrebenden Bundeswirtschafts- neu errichteten Hessenkliniken. Bürger- und Dorfgemein- minister Ludwig Erhard ein kurzfristiges Arbeitsbeschaf- schaftshäuser verbesserten die lokale Infrastruktur vor al- fungsprogramm vor allem für unterentwickelte Regionen lem auf dem Lande. aufzwangen, kam es auch diesem Gebiet zugute. Anders sah Diese dynamische Infrastrukturpolitik folgte langfristig es in Südhessen mit seiner Chemie- und Automobilindus- angelegten konzeptionellen Vorstellungen, Mitte der sech- trie aus. Die ehemaligen Residenzstädte Darmstadt und Kas- ziger Jahre niedergelegt im „Großen Hessenplan für die Ent- sel waren schwer zerbombt. Deshalb kam die Landesregie- wicklung des Landes Hessen bis 1975“, weitergeführt 1970 rung nach Wiesbaden. im „Landesentwicklungsplan Hessen 80“. Die Bildungspolitik erhielt zwischen 1969 und 1974 neue Hessen: Ein deutsches Schweden? Impulse unter Kultusminister Ludwig von Friedeburg: Auf die Ordinarien-Universität folgte – wie in anderen SPD-regierten Die ersten Jahre waren durch die Erfordernisse des Wieder- Ländern – die Gruppenuniversität. Das überkommene drei- aufbaus geprägt, darunter vorrangig die Beschaffung von gliedrige Schulsystem wurde durch Gesamtschulen in Frage Wohnraum für die Ausgebombten und Flüchtlinge. Dies gestellt. Überregionale Aufmerksamkeit lösten die Auseinan- prägte im Grunde bis heute das Gesicht der zerstörten Städ- dersetzungen um die Versuche des Kultusministeriums aus, te, nicht nur Darmstadts und Kassels, sondern z.B. auch Gie- die Lehrpläne durch Rahmenrichtlinien zu erneuern. ßens. Errichtet wurden Wohnblocks in ihren Zentren, bald spielte die so genannte „(individual-)verkehrsgerechte“ Stadt- planung eine Rolle. Eine große Bedeutung hatte der sozia- Umbruch in den siebziger Jahren le Wohnungsbau der Kommunen und von gemeinnützigen Mitte der siebziger Jahre bahnte sich ein Umbruch an. Ein Genossenschaften, auf dem Land auch der subventionierte bundesweiter und weltwirtschaftlicher konjunktureller Ein- Eigenheimbau. bruch und die darauf folgende Verlangsamung der ökono- „Hessen vorn!“ und „Eins – zwei – drei – in Hessen schul- mischen Entwicklung bremste die expansive Reformpolitik. geldfrei!“ – mit solchen Losungen wurden in den fünfziger Hinzu kamen regionale und sozialstrukturelle Verschiebun- Jahren Wahlkämpfe der regierenden SPD geführt. Das war gen: Der tertiäre Sektor (Dienstleistungen) dehnte sich ne- kein leeres Eigenlob. Hessen war in den fünfziger und sech- ben dem sekundären (Industrie) aus. Frankfurt am Main ziger Jahren eine Art deutsches Schweden. Als erstes Bun- entwickelte sich zu einer Global City: ein Finanzdienstleis- desland schaffte es die Gebühren für den Besuch weiter- tungs- und Verkehrszentrum mit wachsender Bedeutung des führender Schulen ab. Wirtschafts- und regionalpolitisch Rhein-Main-Flughafens. Neben der traditionellen Indus- Foto: Sven Teschke (CC BY-SA 3.0)
7 HLZ 4/2018 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA triearbeiterschaft und den Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes traten nun neue Gruppen von Lohn- und Gehaltsabhängigen und auch Selbstständigen vor allem in Intellektuellenberufen stärker hervor. Das bis zum Anfang der siebziger Jahre andauernde Wirt- schaftswachstum hatte den einzelnen Ländern Gestaltungs- spielräume eröffnet, die in Hessen betont sozialstaatlich und egalitär genutzt worden waren. Diese Möglichkeiten vereng- ten sich nun. Jetzt ging es eher um Bestandserhaltung. Die Auswirkungen auf die politische Kultur wurden erst allmäh- lich sichtbar. Parteipolitisch gab es in Hessen seit der ersten Wahl ei- nes Ministerpräsidenten 1946 Jahrzehnte lang eine Hegemo- nie der SPD, getragen von einer starken und gewerkschaft- lich gut organisierten Industrie- und Bauarbeiterschaft, im Lauf der langen Zeit zusätzlich von Beschäftigten des Öffent- lichen Dienstes in Landes- und Gemeindeverwaltungen, die oft auch SPD-Mitglieder waren. Die erfolgreiche Integration der Vertriebenen in den fünfziger Jahren hatte diese Domi- nanz noch zusätzlich gefördert: Ihre politische Interessen- vertretung, der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechte- ten, koalierte in den fünfziger Jahren mit der SPD, der sich nach seiner Auflösung einige seiner Funktionsträger vor al- lem auf der unteren Ebene anschlossen. Unter den neuen Bedingungen verschob sich das regiona- le Parteienspektrum. Die CDU, die sich seit Anfang der fünf- ziger Jahre in der untergeordneten Stellung als Daueroppo- sition eingerichtet hatte, war bereits seit 1967 unter ihrem neuen Vorsitzenden Alfred Dregger zu einem Kurs des offen- siven Kampfes um die Führung übergegangen, zunächst noch erfolglos. Immerhin gelang es ihr, am rechten Rand Wähler wieder zu binden, die 1968 der NPD für vier Jahre zum Ein- zug in den Landtag verholfen hatten. Die 2011 in der Hessischen Verfassung verankerte „Schul- Veränderungen in der Parteienlandschaft denbremse“ ist für Georg Fülberth Ausdruck einer Politik der „Standortsicherung“, die insbesondere nach dem Re- 1970 verlor die SPD die absolute Mehrheit im Landtag und gierungswechsel im Jahr 1999 „das sozialstaatlich und eher koalierte mit der FDP. Diese, zunächst sozialliberal, ging egalitär geprägte hessische Modell durch ein eher markt Anfang der achtziger Jahre auf einen marktradikalen Kurs. liberales ersetzt“. (Illustration: Dieter Tonn) Nachdem der (auch dank sozialdemokratischer Bildungsre- formen mögliche) Aufstieg der Intelligenz zu einer Massen- schicht politisch in die Gründung der Partei „Die Grünen“ Ökonomisch steht Hessen im Vergleich der Bundesländer mündete, hatte die SPD noch einmal eine Koalitionspart- nicht schlecht da: Hinter Baden-Württemberg und Bayern nerin. 1987 gewann die CDU zum ersten Mal das Amt des nimmt es den dritten Platz in der Pro-Kopf-Entwicklung des Ministerpräsidenten. Nach einer weiteren rotgrünen Regie- Brutto-Inlandsprodukts ein. Die sozialpolitische Bilanz sieht rungszeit (ab 1991) setzte sie sich 1999 langfristig in wech- anders aus. Auch in Hessen hat die Ungleichheit zugenom- selnden Kombinationen – mit der FDP, mit absoluter Mehr- men. Für neue Herausforderungen, unter anderem für den ge- heit, schließlich zusammen mit den Grünen – durch. stiegenen Pflegebedarf einer alternden Bevölkerung, wurden Nunmehr wurde das sozialstaatlich und eher egalitär ge- bislang keine ausreichenden Konzepte gefunden. Die Nach- prägte hessische Modell durch ein eher marktliberales er- frage nach bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsgebieten setzt. Zentrales Ziel war die Stärkung des Wirtschaftsstand- des Landes ist offenbar privatwirtschaftlich nicht zu decken. orts. Die Ausgabenentwicklung im Landeshaushalt fällt in Wirtschaftspolitisch stößt die hessische Variante des der Tendenz restriktiv aus. 2011 wurde die Schuldenbremse Marktliberalismus mittlerweile an Grenzen. Mit dem Kauf ohne steuerpolitische Kompensation nicht nur im Grundge- des landeseigenen Universitätsklinikums Gießen-Marburg setz, sondern auch in der Hessischen Verfassung verankert. 2006 hat sich der Rhön-Konzern so verhoben, dass eine sol- Da die erforderlichen Investitionsausgaben im Bereich der che Privatisierung der Hochschulmedizin andernorts keine öffentlichen Infrastruktur nicht mehr ausreichend mit öf- Nachahmung gefunden hat. fentlichen Mitteln getätigt werden konnten, setzte man das Wie der Verfall der öffentlichen Infrastruktur ohne steu- Mittel der Privatisierungen ein: von Kliniken, 2005 zumin- erpolitische Korrektur in Hessen und im Bund aufgehalten dest teilweise auch einer Strafvollzugsanstalt in Hünfeld. Der werden soll, ist unerfindlich. Mit Spannung kann deshalb Technischen Universität Darmstadt wurde partielle finanzi- der Auseinandersetzung um die weitere Entwicklung dieses elle Autonomie eingeräumt, die unter anderem zu besonders Bundeslandes entgegengesehen werden. enger Kooperation mit der Industrie genutzt werden kann. Georg Fülberth
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 4/2018 8 Politische Meinungsbildung Vor der Wahl: Die Medien in Hessen Die hessische Bevölkerung widmet Landtagswahlen nicht das Mittel, über das die Bevölkerung von Landespolitik er- mehr die Aufmerksamkeit wie Wahlen im Bund. Erzielten fährt, über das Meinungen zu landespolitischen Themen und Landtagswahlen in Hessen bis in die 1980er Jahre eine Be- zu den politischen Akteuren gebildet werden und das dafür teiligung von über 80 %, lag sie Ende der 2000er Jahre ge- sorgt, dass repräsentative Umfragen zur Stimmung im Bun- rade noch bei 60 %. Die hohe Wahlbeteiligung von 73,2 % desland erhoben werden. bei der letzten Landtagswahl war der Tatsache geschuldet, Doch Landespolitik ist im Vergleich zu Bundespolitik in dass sie zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfand. Seit den doppelter Hinsicht benachteiligt: Es existieren einerseits we- 1990er Jahren beträgt der Abstand bei der Beteiligung an niger Medien, die über Landespolitik berichten, und anderer- beiden Wahlen in der Regel mehr als 10 %. Dies hängt einer- seits ist der Umfang, der innerhalb der Medien der Landes- seits mit Entscheidungsbefugnissen der Landesebene, ande- politik eingeräumt wird, geringer. Medien, die ausführlich rerseits mit der höheren Bedeutungszuschreibung der Bun- über Landespolitik berichten und von der gesamten hessi- despolitik durch die Bevölkerung zusammen. schen Bevölkerung konsumiert werden können, sind rar. Im Die Ergebnisse der zeitgleichen Wahlen am 22. September Rundfunk berichten einzig das hr-fernsehen und der Hör- 2013 zeigen, dass die Hessinnen und Hessen durchaus zwi- funksender hr-info regelmäßig umfassend über Landespoli- schen der Politik in Bund und Land differenzieren. CDU und tik, daneben wurde den beiden bundesweit stärksten privaten Linke schnitten bei der Landtagswahl jeweils um 3 % schlech- Fernsehsendern RTL und Sat1 staatlich auferlegt, 30-minüti- ter, die SPD um 5 % und die Grünen um fast 3 % besser ab. ge Fensterprogramme zur Darstellung von politischen, wirt- Es stellt sich jedoch die Frage, auf welcher Grundlage diese schaftlichen, sozialen und kulturellen Ereignissen in jedem Unterschiede zustande kamen. Bundespolitik ist stets in al- Bundesland zu senden. Im Printwesen ist einzig die Frank- ler Munde: Aktuelle Debatten und Entscheidungen werden furter Rundschau (FR) mit ihrer landespolitischen Bericht- täglich auf mehreren Hörfunk- und Fernsehsendern dar- erstattung in ganz Hessen erhältlich. Die Frankfurter Allge- gestellt, eine Vielzahl an Printmedien berichtet täglich auf meine (FAZ) erscheint dagegen nur in Südhessen mit dem mehreren Seiten und diverse Umfrageinstitute fragen alle Rhein-Main-Teil, in dem auch über Landespolitik berichtet paar Tage die Stimmung sowie die beabsichtigte Wahlent- wird. Zudem existieren elf Regionalzeitungen, die jeweils in scheidung der Bevölkerung ab. Landespolitik hingegen fin- einem begrenzten Gebiet Hessens verfügbar sind und über det eher leise in einer begrenzten Anzahl von Medien statt. Landespolitik berichten. Umfragen zur Stimmung im Bundesland gibt es im Durch- schnitt zwei Mal im Jahr. Konzentration bei den Printmedien Die geografische Verteilung der Regionalzeitungen zeigt, dass Wählertraditionen zerfallen über 30 % der Hessen nur eine Regionalzeitung zur Auswahl Das soziale Umfeld spielt nach wie vor eine entscheidende haben. Der Zugang zu Informationen und die Meinungsbil- Rolle für die Wahlentscheidung der Menschen. So existieren dung ganzer Gebiete, insbesondere in Nordhessen, ist häufig in Hessen sozialstrukturelle Wählertraditionen: Die Region nur durch eine Zeitung geprägt. Darüber hinaus gehören ei- Frankfurt ist traditionell eine Hochburg der FDP und auch nige hessische Zeitungen gleichen Verlagen an und die Ver- die CDU schneidet überdurchschnittlich ab, während die SPD lagskooperation und -konzentration nimmt weiter zu. Da- unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. In industriell ge- durch werden Artikel zwischen Zeitungen ausgetauscht und prägten Regionen oder ländlich protestantischen Gegenden es findet eine Konzentration auf einen gemeinsamen Korre- wie Nordhessen erzielt die SPD überdurchschnittliche Ergeb- spondenten in Wiesbaden statt. Dies hat zur Folge, dass über nisse. Katholische Gebiete in Osthessen sind ebenso wie länd- die hessischen Medien immer weniger verschiedene Meinun- lich-agrarisch geprägte Gebiete traditionell Hochburgen der gen über Landespolitik transportiert werden. Die politische CDU. Verwaltungs- und Dienstleistungsstädte wie Wiesbaden, Bandbreite der Berichterstattung über hessische Landespoli- Frankfurt oder Kassel sind eher Hochburgen der Grünen (1). tik ist im Vergleich zu anderen Bundesländern jedoch breit Sozialstrukturelle Wählertraditionen zerfallen jedoch im- aufgestellt. Die hessische Bevölkerung profitiert davon, dass mer mehr, sodass insbesondere Themen und Personen für in Hessen zwei Qualitätsmedien mit gesamtdeutscher Bedeu- die Wahlentscheidung zentraler werden. Finden Debatten tung beheimatet sind: die FAZ mit einem liberal-konserva- über Kommunalpolitik häufig vor Ort statt, spielen die Me- tiven Profil und – mit sinkender Auflage – die FR, die eher dien für Landespolitik eine entscheidendere Rolle. Sie sind linksliberale Positionen vertritt. Darüber hinaus gewährleistet der Hessische Rundfunk Das Ergebnis der Landtagswahl am 22.9.2013 (HR), dass umfassend und länger als bei den Privatsendern über Landespolitik berichtet wird. Der HR hat mit Abstand Die Landtagswahl am 22.9.2013, die zeitgleich mit der Bundes- die meisten Korrespondentinnen und Korrespondenten in tagswahl stattfand, erbrachte folgendes Ergebnis: CDU 38,3 % Wiesbaden. Dadurch verfügt er über ausreichend Kapazitä- (47 Sitze), SPD 30,7 % (37), Grüne 11,1 % (14), Linke 5,2 % (6), ten, um eine umfassende Berichterstattung bereit zu stellen. FDP 5,0 % (6) und AfD 4,1 % (-). Dagegen sind die Korrespondentinnen und Korrespondenten
9 HLZ 4/2018 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA der Zeitungen nicht zuletzt aufgrund der wachsenden wirt- schaftlichen Probleme des Printwesens immer schlechter ge- stellt oder werden immer häufiger aus Wiesbaden abgezogen. Eine geringer werdende Anzahl an Korrespondentinnen und Korrespondenten führt in der Tendenz dazu, dass im- mer weniger direkt aus Wiesbaden berichtet wird und Agen- turmeldungen an Bedeutung gewinnen. Parallel nimmt die Bedeutung von Internetangeboten zu. So können Landtags- debatten in einem Video-Archiv auf Youtube und die Bericht- erstattung über Landespolitik auf den Internetauftritten der Medien verfolgt werden. Das Internet bietet damit die Mög- lichkeit, Medien zu konsumieren, die vor Ort nicht erwor- ben werden können. (2) Neben der Berichterstattung über Landespolitik bieten Umfragen zu landespolitischen Themen und Wahlabsichten Orientierung für Wählerinnen und Wähler. So können gute Umfrageergebnisse für Parteien dazu führen, dass Wählerin- nen und Wähler eher den gewünschten Koalitionspartner un- terstützen oder zu Hause bleiben, da sie davon ausgehen, dass ihre Stimme nicht benötigt wird. Zugleich schaffen Umfra- gen Aufmerksamkeit für kleine Parteien. Erreichen Parteien mehr als 3 % in Umfragen, werden sie bei der Ergebnisprä- sentation abgebildet, erreichen sie diese Schwelle nicht, wird in den Ereignissen ihre Existenz verschwiegen. Dies kann dazu führen, dass solche Parteien weniger gewählt werden. Werte zwischen 3 % und 5 % sind dagegen eher Antrieb, sie zu unterstützen. Dass es den Wählerinnen und Wählern in Hessen möglich ist, sich an Umfragen zu orientieren, wird maßgeblich durch die hessischen Medien ermöglicht. Der HR gibt einmal im Jahr eine Umfrage bei Infratest dimap in Auftrag, die Frank- Mit der Landtagswahl am 28. Oktober 2018 geht die 19. furter Neue Presse sowie zuletzt RTL und die FR bei Forsa. Legislaturperiode des Hessischen Landtags zu Ende. Seit Darüber hinaus hat der Landesverband Hessen der CDU in 2003 wird der Landtag alle fünf Jahre neu gewählt. Nach den letzten Jahren regelmäßig Umfragen bei dimap in Auf- der Landtagswahl 2013 wurde in Hessen die erste schwarz- trag gegeben und zuletzt auch der Landesverband der FDP grüne Landesregierung gebildet. In dieser und in den nächs- bei Allensbach. Erfahrungsgemäß bündeln sich die Umfra- ten Ausgaben widmet die HLZ der Bilanz der Koalition von gen kurz vor Landtagswahlen. CDU und Bündnis 90/Die Grünen, den Themen des Wahl- kampfs und den Positionen der Parteien im Wahlkampf besondere Aufmerksamkeit. Außerdem wird die GEW ihre Umfragen zur Landtagswahl Forderungen an die Parteien und den nächsten Landtag Zu Beginn des Jahres 2018 wurden drei Umfragen, allerdings darstellen und begründen. mit unterschiedlichen Inhalten, veröffentlicht: am 19. 1. 2018 im Auftrag des HR von Infratest dimap, am 25. 2. 2018 im hat. Laut Infratest dimap würden sich 45 % der Befragten für Auftrag von RTL und der FR von Forsa und am 2.3.2018 im Bouffier und 40 % für Schäfer-Gümbel entscheiden. Bildung Auftrag des Landesverbands Hessen der FDP von Allensbach. wird laut Infratest dimap- und Allensbach-Umfrage als das Üblicherweise differieren die Ergebnisse je nach Umfragein- wichtigste Problem in Hessen eingeschätzt. Zugleich wird stitut, doch alle drei Umfragen zeigen, dass die CDU gegen- der SPD in der Infratest dimap-Befragung mehr Kompetenz über der letzten Landtagswahl von 38 auf 31 bis 33 % verlo- zugeschrieben, eine gute Schul- und Bildungspolitik zu be- ren hat. Gleiches gilt für die SPD, die von 30 auf 23 bis 26 % treiben. Es wird somit entscheidend darauf ankommen, wie abgerutscht ist. Die Grünen legen leicht zu von 11 auf 12 bis sich die Parteien für die Landtagswahl 2018 aufstellen und 14 %, ebenso die FDP von 5 auf 8 bis 9 % und die Linke von ihre Positionen gegenüber der Bevölkerung kommunizieren. 5 auf 7 bis 8 %. Zudem wäre laut Sonntagsfrage die AfD mit Sascha Kristin Futh 10 bis 12 % im Landtag vertreten. Die Autorin war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Die Ergebnisse zeigen, dass über ein halbes Jahr vor der Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel und arbeitet Landtagswahl Schwarz-Grün keine Mehrheit mehr besitzt. inzwischen für den Hauptvorstand der IG Metall. Die derzeit einzig denkbaren Koalitionen wären eine Große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis. Es wird deutlich, dass (1) vgl. Arijana Neumann, 2016: Parteiensystem und Wählermilieus sich die SPD in Hessen von den Umfragen im Bund bei ak- in Hessen, in: Wolfgang Schroeder und Arijana Neumann (Hrsg.): Politik und Regieren in Hessen, Wiesbaden, S. 229-247. tuell 16 bis 18 % abkoppeln kann. Die Grünen schneiden et- (2) Eine ausführliche Darstellung und Bewertung der Medienland- was besser ab und Linke sowie AfD haben schlechtere Umfra- schaft Hessens findet sich in: Sascha Kristin Futh, 2016: Politische gewerte. Zugleich zeigt sich, dass Thorsten Schäfer-Gümbel Medienlandschaft in Hessen, in: Wolfgang Schroeder und Arija- (SPD) in der Frage der Direktwahl des Ministerpräsidenten na Neumann (Hrsg.): Politik und Regieren in Hessen, Wiesbaden, gegenüber Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) aufgeholt S. 207-228.
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 4/2018 10 Hessen: Mehr Geld für Bildung Finanzpolitische Spielräume nutzen und erweitern Vor allem aufgrund der unerwartet guten und anhaltenden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen: 0,5 Milliarden Euro im Konjunkturerholung nach der internationalen Finanz- und Jahr 2019, eine Milliarde Euro im Jahr 2020 und zwei Mil- Wirtschaftskrise seit 2010 ergaben sich auch für die Finanz- liarden Euro im Jahr 2021. Legt man aus Gründen der Ver- politik in Hessen immer wieder positive Überraschungen einfachung den Anteil der hessischen Bevölkerung an der durch stärker als erwartet steigende Steuereinnahmen. Da- deutschen Gesamtbevölkerung von 7,5 Prozent zugrunde, durch konnte das Land sein Haushaltsdefizit immer wei- stehen für die hessischen Kitas knapp 38 Millionen Euro im ter verkleinern und in den letzten beiden Jahren sogar Jahr 2019, 75 Millionen Euro 2020 und 150 Millionen Euro Überschüsse erzielen, ohne eine rigorose Sparpolitik fahren im Jahr 2021 zur Verfügung. oder gegen die Schuldenbremse verstoßen zu müssen. Das Weitere zwei Milliarden Euro sieht der Koalitionsvertrag bedeutet aber nicht, dass dem Land nun mehr Geld zur Ver- für die Ganztagsbetreuung in den Jahren 2018 bis 2021 vor. fügung stünde, als eigentlich gebraucht würde: Insbesonde- Auf Hessen würden hiervon etwa 150 Millionen Euro entfal- re der Bildungsbereich in Hessen muss als chronisch unterfi- len, das wären pro Jahr rund 38 Millionen Euro. Als Nach- nanziert angesehen werden. Dies gilt sowohl für das Personal folgemittel für den Hochschulpakt sind ab 2021 insgesamt als auch für die Infrastruktur auf der Landes- und auf der 600 Millionen Euro vorgesehen. Gemeindeebene. Da das Konjunkturglück nicht ewig anhal- Allerdings kommen auf den Landeshaushalt auch Min- ten wird, muss die Finanzierung der Ausgabenbedarfe lang- dereinnahmen zu. Zwar sind Länder und Kommunen nicht fristig bundespolitisch durch eine strukturelle Verbesserung von der geplanten teilweisen Abschaffung des Solidaritäts- der Steuereinnahmen sichergestellt werden. Angesichts der zuschlags betroffen, aber bei den Ländern werden die Er- Versäumnisse der Vergangenheit und der gestiegenen ge- höhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge – dies sellschaftlichen Anforderungen gerade an die Bildungspoli- ist in zwei Schritten geplant – die Steuereinnahmen schmä- tik lässt sich dies auch gut rechtfertigen. lern. Das Gleiche gilt für die steuerliche Förderung von mehr Wohneigentum. Für die Jahre 2019 und 2020 ist hier in Hes- sen nach einer Überschlagsrechnung mit einem Minus von Bildungsinvestitionen: Die Versprechen der GroKo jeweils rund 100 Millionen Euro und im Jahr 2021 mit rund Aber auch kurz- bis mittelfristig finden sich auf Basis der 300 Millionen Euro zu rechnen. Mittelfristigen Finanzplanung des Landes noch einige Spiel- räume für eine moderate, aber spürbare Erhöhung der Bil- Mittelfristige Finanzplanung in Hessen dungsausgaben. Und auch die im Koalitionsvertrag auf Bun- desebene vorgesehenen Maßnahmen haben Auswirkungen Die aktuelle Mittelfristige Finanzplanung (MifriFi) für Hes- auf den hessischen Landeshaushalt und die Mittel, die für sen für die Jahre 2017 bis 2021 stammt aus dem Septem- die frühkindliche Bildung, für Schulen und für Hochschulen ber 2017 (1). Die Planung sieht für die Jahre 2018 bis 2021 ausgegeben werden können. Haushaltsüberschüsse und jeweils eine deutliche Übererfül- Im Koalitionsvertrag sind elf Milliarden Euro mehr für lung der Kreditaufnahmegrenzen der Schuldenbremse von Bildung vorgesehen. Hiervon entfällt ein Teil auch auf Be- jeweils über 400 Millionen Euro pro Jahr vor. Zudem sind in reiche, die in der Verantwortung der Länder oder Kommunen der Planung für die Jahre 2020 und 2021 vorsorglich so ge- liegen. Zum Ausbau des Kita-Angebots und zur Steigerung nannte „globale Mindereinnahmen“ in Höhe von 423 Milli- der Qualität will die neue Bundesregierung 3,5 Milliarden onen Euro bzw. 740 Millionen Euro enthalten. Damit woll- te die Landesregierung laut eigener Aussage Vorsorge für bestehende Haushaltsrisiken treffen, unter anderem für die Investitionsbedarf zur Sanierung maroder Schulen Auswirkungen einer möglichen Steuerreform nach der Bun- destagswahl 2017. Genaue Zahlen, wie viel Geld für die Baumaßnahmen im Die vom Jahr 2019 bis zum Jahr 2021 vorgesehenen spür- Schulbereich in den einzelnen Bundesländern und damit auch in Hessen erforderlich ist, gibt es nicht. In Hessen gibt es baren Haushaltsüberschüsse sollen für die Tilgung von Lan- solche Zahlen für die Städte Frankfurt (rund eine Milliarde desschulden verwendet werden: 100 Millionen Euro im Jahr Euro) und Wiesbaden (mindestens 400 Millionen Euro) und 2019 und jeweils 200 Millionen Euro in den Jahren 2020 für die Landkreise Marburg-Biedenkopf (170 Millionen Euro) und 2021. Dies wird unter anderem mit der „finanzpoliti- und Bergstraße (150 Millionen Euro). Der Kämmerer der Stadt schen Verantwortung für künftige Generationen“ begründet. Kassel sprach schon im Jahr 2013 von 155 Millionen Euro, Angesicht des Tatsache, dass die Schuldenstandsquote, das die eigentlich in Baumaßnahmen an den Schulen in seiner Verhältnis von Schulden und Bruttoinlandsprodukt, ohnehin Stadt fließen müssten. Eine möglichst genaue Erhebung des im Laufe der nächsten Jahre kontinuierlich sinken wird, sind kommunalen Investitionsstaus in Hessen wäre schon deshalb solche Tilgungen angesichts erheblicher Ausgabenbedarfe wichtig, um die Auswirkungen von Investitionsfördermaßnah- zu Gunsten zukünftiger Generationen gerade im Bildungs- men durch Bund und Land abschätzen zu können. Neueren bereich unsinnig. Denn eine sinkende Schuldenstandsquote Datums sind die beiden Kommunalen Investitionsprogramme bedeutet, dass sich die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung I und II (KIP I und II), die sich jetzt in der Umsetzung befinden. entsprechend kontinuierlich erhöhen wird.
11 HLZ 4/2018 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA Zusätzliche Bildungsausgaben sind finanzierbar Der auf Basis der MifriFi ableitbare Ausgabenspielraum wür- de vom Jahr 2020 an bei mindestens etwa 500 Millionen Euro pro Jahr liegen – und zwar unter Berücksichtigung der Min- dereinnahmen aufgrund der geplanten Maßnahmen im Ko- alitionsvertrag der Großen Koalition im Bund. Im Jahr 2020 würde ein Verzicht auf die Tilgung mit 200 Millionen Euro zu Buche schlagen. Die getroffene Vorsorge gegen steuerpoliti- sche Maßnahmen auf Bundesebene von 423 Millionen Euro übersteigt die aufgrund des Koalitionsvertrages tatsächlich zu erwartenden Mindereinnahmen um 323 Millionen Euro. Im Jahr 2021 lägen die entsprechenden Beträge bei ebenfalls 200 Millionen Euro aus dem Verzicht auf die Tilgung und sogar 440 Millionen Euro aus den globalen Mindereinnahmen (740 Millionen minus 300 Millionen). Wenn Mehrausgaben von 500 Millionen Euro in zentralen Zukunftsbereichen geleistet würden, bliebe dennoch ein Sicherheitsabstand von jeweils über 200 Millionen Euro zu den Grenzen der Schuldenbrem- se. Hinzu kommt, dass auf Basis der aktuelleren Steuerschät- zung vom November 2017 die Gesamtheit der Bundesländer 2018 und 2019 jeweils mit Mehreinnahmen gegenüber der vorherigen Schätzung von knapp 3 Milliarden Euro rech- nen kann (2). Auf Hessen entfielen davon gut 200 Millionen Euro, die zum Beispiel zur Speisung eines Vorsorgefonds für die Folgejahre genutzt werden könnten, sollte es etwa auf- grund des Wegfalls der erhöhten Gewerbesteuerumlage für das Land zu Netto-Mehrbelastungen kommen. Der Ausgabenspielraum könnte gezielt für eine Steigerung der Bildungsausgaben vom Jahr 2020 an um 500 Millionen Euro pro Jahr eingesetzt werden. So könnten den Kommunen etwa 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich zu den Bundes- mitteln für den Kita-Bereich zur Verfügung gestellt werden. Auf dieser Basis wäre es möglich – ausgehend von den ak- tuellen Personalschlüsseln – über 4.000 Erzieherinnen und kenhäuser in einem sachgerechten Zustand zu halten oder Erzieher einzustellen. Damit würde sich Hessen deutlich an gestiegenen Bedarfen anzupassen. die in der pädagogischen Forschung empfohlenen Personal- Dabei steht dem Verfall des öffentlichen Vermögens ein schlüssel annähern (3). steigendes privates (Netto-)Vermögen in Höhe von rund 9 Bil- lionen Euro gegenüber. Hiervon konzentrieren sich mehr als Spielräume durch gerechte Steuerpolitik erweitern 60 Prozent bei den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Diese extrem ungleiche Vermögensverteilung sollte durch die Für den Schulbereich könnten 250 Millionen Euro zusätzlich Steuerpolitik korrigiert werden. Zu denken ist hier in erster verwendet werden, unter anderem um auch Grundschullehr- Linie an die Wiedererhebung der Vermögensteuer, aber auch kräfte nach A13 zu besolden. Dies wäre ein wichtiger Schritt, an eine höhere Besteuerung von hohen Erbschaften. Das Auf- um der für die nächsten Jahre prognostizierten Personalnot kommen sowohl aus der Vermögen- als auch der Erbschaft- im Grundschulbereich zu begegnen (HLZ S.12). Dies wür- steuer fließt in die Kassen der Bundesländer. Auf Grundla- de das Land nach Aussagen von Kultusminister Alexander ge der so zu erzielenden Mehreinnahmen könnte dann auch Lorz vom August 2017 70 Millionen Euro kosten. Außerdem der erhebliche Investitionsstau im Bereich der öffentlichen könnte das Land zusätzlich zu den Bundesmitteln Geld für Infrastruktur aufgelöst werden. den Ausbau des Ganztagschulangebots und die inklusive Be- Kai Eicker-Wolf und Achim Truger schulung zur Verfügung stellen. Auch im Hochschulbereich wären angesichts einer schlechten Betreuungssituation ge- Kai Eicker-Wolf ist finanzpolitischer Referent der GEW Hessen. rade in Hessen zusätzliche Mittel zur Verbesserung der Per- Achim Truger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hoch- sonalausstattung sinnvoll (4). schule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Tatsächlich besteht im Bildungsbereich ein deutlich höherer Bedarf, als durch die vorgeschlagenen zusätzlichen (1) Finanzplan des Landes Hessen für die Jahre 2017 bis 2021 (Stand Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro gedeckt werden kann. September 2017), Wiesbaden 2017. Zu denken ist etwa an den Investitionsstau im Bereich der (2) Bundesministerium der Finanzen, Ergebnis der 152. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vom 7. bis 9. November 2017 Bildungsinfrastruktur. Dabei ist es um die gesamte öffentli- in Braunschweig, Berlin 2017. che Infrastruktur in Deutschland nicht gut bestellt. Aufgrund (3) Kathrin Bock-Famulla, Eva Strunz und Anna Löhle: Länderreport der Schuldenbremse und wegen einer unzureichenden Be- Frühkindliche Bildungssysteme 2017, Gütersloh 2017. steuerung hoher Einkommen und Vermögen fehlten der öf- (4) Tobias Cepok und Roman George: Hessen hinten. Zur Betreu- fentlichen Hand die Mittel, um Straßen, Schulen oder Kran- ungssituation der Studierenden in Hessen, HLZ 12/2016.
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