AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Krankenhaus
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71. Jahrgang, 30–31/2021, 26. Juli 2021 AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Krankenhaus Julia Rothenburg Fritz Dross ZWISCHEN GÖTTERN HEILENDE HÄUSER? UND GEISTERN Sabine Schleiermacher Thomas Gerlinger ZUR GESCHICHTE DER CHARITÉ KRANKENHÄUSER IM 20. JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND. Maximiliane Wilkesmann · STRUKTUREN – PROBLEME – Jonathan Falkenberg REFORMEN PROFESSIONS Käthe von Bose VORSTELLUNGEN REINIGUNG IN DER ÄRZTESCHAFT IM KRANKENHAUS ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Beilage zur Wochenzeitung
Krankenhaus APuZ 30–31/2021 JULIA ROTHENBURG FRITZ DROSS ZWISCHEN GÖTTERN UND GEISTERN HEILENDE HÄUSER? Das Krankenhaus hat in unserer hochfunkti Die Durchsetzung eines neuen Typus von onalen Gesellschaft den Zweck, die Welt der Krankenversorgung in eigens dazu errichteten Kranken aus dem echten Leben auszuschließen. Häusern hat eine lange Entwicklungsgeschichte. In der Fiktion, in Literatur, Film und Fernsehen, Die moderne Medizin wäre ohne die Entstehung lässt sich diese Welt zur Selbstbefragung betreten des modernen Krankenhauses nicht denkbar – – oder zur Unterhaltung. und umgekehrt. Seite 04–08 Seite 24–31 THOMAS GERLINGER SABINE SCHLEIERMACHER KRANKENHÄUSER IN DEUTSCHLAND. ZUR GESCHICHTE DER CHARITÉ STRUKTUREN – PROBLEME – REFORMEN IM 20. JAHRHUNDERT Krankenhäuser sind ein Eckpfeiler der Kranken Die Charité ist das älteste Krankenhaus Berlins. versorgung. Die Krankenhauslandschaft in Ihre Geschichte im 20. Jahrhundert ist eng Deutschland ist vielfältig und steht vor großen mit den Umbrüchen von 1933, 1945 und 1990 Herausforderungen und Umbrüchen in den verbunden. Nach der Wiedervereinigung wurde nächsten Jahren, um die Bevölkerung bedarfsge das Haus zu einer der größten und bekanntesten recht zu versorgen. Universitätskliniken Europas. Seite 09–16 Seite 32–38 KÄTHE VON BOSE MAXIMILIANE WILKESMANN · REINIGUNG IM KRANKENHAUS JONATHAN FALKENBERG Betrachtet man das Krankenhaus als Organisa PROFESSIONSVORSTELLUNGEN tion, befinden sich die Reinigungskräfte in einer IN DER ÄRZTESCHAFT Randstellung. Durch die Corona-Pandemie Ausgehend von einer soziologischen Einbettung wurde das Thema Hygiene und damit auch die wird in diesem Beitrag die Kontinuität und Reinigung sichtbarer – geht dies mit Verbesse der Wandel von Professionsvorstellungen rungen der Arbeitsbedingungen einher? am Beispiel der Ärzteschaft im Krankenhaus Seite 18–23 gezeigt. Ökonomisierung und Digitalisierung spielen eine große Rolle. Seite 39–46
EDITORIAL Krankenhäuser im Sinne des Krankenhausfinanzierungsgesetzes sind „Einrich tungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden können“. Die moderne Medizin ist ohne die Entstehung des modernen Krankenhauses, in dem Krankheiten studiert und Behandlungen erprobt werden können, nicht denkbar. Im Laufe der Zeit sind Krankenhäuser in Gesundheitssystemen weltweit zu Eckpfeilern der Kranken versorgung geworden. Wohl niemals zuvor hat es einen derart tiefen Einblick in Alltag und Ausnah mezustand in Krankenhäusern gegeben wie im Verlauf der Corona-Krise. Bilder und Berichte von erschöpften Ärztinnen und Krankenpflegern haben die Dra matik der Lage greifbar gemacht und ihre „Systemrelevanz“ verdeutlicht. Auch die für die Krankenhaushygiene so wichtige Arbeit der Reinigungskräfte wurde sichtbarer. Mit fortschreitender Impfkampagne wird die Kennzahl der freien Betten auf den Intensivstationen eine noch größere Rolle in der Bewertung der Pandemie spielen als zuvor. „Freie Betten“ ist auch das Stichwort, das auf zwei zentrale Debatten um die Zukunft der Krankenhäuser in Deutschland verweist. Zum einen ist das jene um Bettendichte, Spezialisierungen und damit verbunden mögliche Schließungen; zum anderen jene um die Personalnot im Pflegebereich – Betten sind schließlich nur verfügbar, wenn die darin liegenden Patient:innen auch versorgt werden können. Eingebettet sind diese und andere Fragen in einen übergreifenden Diskurs um eine „Ökonomisierung“, die, befürwortend oder kritisch, mit der Einführung von diagnosebezogenen Fallpauschalen und der Privatisierung von Krankenhäusern in Verbindung gebracht wird. Anne Seibring 03
APuZ 30–31/2021 ESSAY ZWISCHEN GÖTTERN UND GEISTERN Julia Rothenburg Bei meinem ersten Aufenthalt in einem Kranken gewissen Alter nicht, dass die Welt der Krankheit haus entpuppte ich mich als widerspenstige Patien noch so viel weiter geht als bis zu meinem furcht tin: Obwohl der Blasensprung meiner Mutter am einflößenden weißkitteligen Kinderarzt, in des Vorabend schon etliche Stunden zurücklag, woll sen Wartezimmer es speckiges Plastikspielzeug te ich mich nicht bewegen. Im Krankenhaus aber gab und alles immer warm und stickig war, die sind die Abläufe streng vorgeschrieben, und wenn Luft erfüllt vom Kinderhusten, nur einen Block ein neuer Tag beginnt, beginnt er abrupt und ohne von meinem Zuhause entfernt. Ich wusste nicht, Wenn und Aber: Ein hingeworfenes Klopfen, dann dass es ganze Gebäude gibt, einen Komplex, der, geht die Tür auf und eine Pflegerin schiebt ein Wä wie kaum etwas anderes, eine scharfe Grenze gelchen mit Tabletten, mit Spritzen, mit Fieber zwischen zwei Welten markiert. thermometer oder anderen Messgeräten herein. „Jeder, der geboren wird“, so schreibt Susan Aber anders als andere Patient*innen wollte Sontag in ihrem einflussreichen Essay „Krank ich mich dem durchgetakteten Rhythmus nicht heit als Metapher“, „besitzt zwei Staatsbürger unterwerfen. schaften, eine im Reich der Gesunden und eine „Patient“ oder „Patientin“, das ist der Name, der im Reich der Kranken“.01 Ich also hatte mei eine Kranke oder einen Kranken im Krankenhaus ne zwei Staatsbürgerschaften schon mit einem bezeichnet. Nicht etwa „Klientin“ oder „Kunde“. Schlag angetreten, als ich während der Geburt „Patient“ kommt vom lateinischen Wort pati, was akribisch überwacht wurde und, kaum aus dem so viel wie „erdulden“ oder „leiden“ bedeutet. Die Körper meiner Mutter geholt, durch die endlosen Regeln des Krankenhauses sind nicht danach ausge Gänge des Krankenhauses davongetragen wurde. richtet, sich dem Patienten oder der Patientin und Und schon damals war auch ich den, wie Sontag ihrem individuellen Lebensrhythmus anzupassen. schreibt, „nationale[n] Stereotypen“,02 die mit je Die Hebamme griff also zu rabiateren Metho ner zweiten Staatsbürgerschaft einhergehen, un den, schließlich musste sie bald zu einer Mitar terworfen. Für Sontag sind das in ihrem Essay vor beiterbesprechung. Sie hielt meiner Mutter einen allem die „grauenhaften Metaphern“ der Krank riesigen Metallwecker auf den Bauch und ließ ihn heiten, mit denen die Landschaft jenes Kranken- schellen. Doch auch diese anscheinend univer reiches „ausstaffiert worden ist“.03 Aber neben sell gültige Aufforderung zum Fahnenappell ließ den Vorannahmen, mit denen wir bei Krankhei mich kalt. Und so musste ich schließlich von ei ten wie Krebs konfrontiert sind und die unsere ner Ärztin mit einer Saugglocke – eine Art Pöm Vorstellung vom Kranken und seinen „Geißeln“ pel – aus dem Mutterleib gezogen werden, da war prägen, sind es auch die Regeln, die Gesetzmä die Hebamme schon längst wieder in den Win ßigkeiten des Krankenhauses, denen wir uns als dungen des Krankenhauses verschwunden. Patient*innen beugen müssen: Ich war damals So wurde ich geboren und war bereits Patien als Neugeborene nicht krank, und doch wurde tin. Wie die Mehrheit der Deutschen, schließlich ich fortgebracht, fort zu merkwürdigen Appara betreten wir fast alle diese Welt durch ein Kran turen, mit denen fremde Menschen die Geheim kenhaus. Ohne zu verstehen, was das für ein be nisse meines Körpers, die mir damals wie heute sonderes Tor ist, das wir da passiert haben. fremd sind, zu ergründen versuchten. * * Auch ich verließ das Krankenhaus nach fünf Ta Was es wirklich bedeutet, diese zwei völlig kon gen in einer Babyschale und wusste bis zu einem trären Staatsbürgerschaften zu besitzen, erfuhr 04
Krankenhaus APuZ ich freilich erst, als ich das nächste Mal im Kran Romane später sogar als „Krankenhaus-Auto kenhaus war. rin“05 bezeichnen würde. Zunächst aber verar Ich war 23 und saß auf einem Krankenbett, beitete ich in meinem ersten Roman „Koslik ist zu dem man mich gebracht hatte, nachdem ich an krank“ (2017) vor allem die gerade geschilderte einem ersten Mai mit merkwürdigen Taubheits Erfahrung: In ihm findet sich Koslik, Anfang 40 symptomen in der Notfallpraxis der Uniklinik und Volkshochschullehrer, ebenfalls plötzlich mit Freiburg vorgesprochen hatte. Ich war verwirrt, merkwürdigen Symptomen – ist es ein Schlagan spürte meinen einen Arm kaum noch, hatte Angst fall? Oder doch etwas anderes? Es muss jeden und wartete dennoch darauf, dass ich gehen durf falls untersucht werden! – in den labyrinthischen te. Ich war noch nie bewusst in einem Kranken Gängen des Krankenhauses wieder. Und verliert haus gewesen. Um mich herum war nur Karg sich nach und nach in dieser fremden Welt. Die heit, die Armlehnen des Bettes kurz vor grau, die Diagnose, auf die er wartet, kommt ihm vor wie Wandfarbe kurz vor pfirsich, der Boden kurz vor ein Urteil, das über ihn gesprochen wird. sand, alles kurz vor, nichts, was sich einbrennt, und in diesem Moment sorgte all das dafür, dass * ich das Gefühl hatte, weder genau sagen zu kön nen, wo ich war, noch, wie viel Uhr es war.123 Wer will das lesen? Die Frage stellte ich mir selbst Man hatte mir noch immer nicht gesagt, wel nicht, die stellten mir andere. Als ich einmal eine che Untersuchungen nötig sein würden und wann Lesung in einem Krankenhaus gab, kamen hin ich gehen durfte, als eine Pflegerin hereinkam. Ihr terher einige Pflegerinnen zu mir und sagten, dass Wägelchen kam genau vor mir zum Stillstand. es genauso sei, wie ich schrieb. Aber ob man sich „Spritze“, erklärte sie nüchtern, und ließ schon, mit so etwas in seiner Freizeit beschäftigen wol wie im Film, den ersten Tropfen aus der Nadel le? Tatsächlich erhielt ich auf Lesungen immer quellen. „Was für eine Spritze?“, fragte ich alar wieder auch die Rückmeldung: „Vielen Dank für miert. „Bauch oder Bein?“, fragte die Pflegerin Ihre Lesung. Aber das ganze Buch zu lesen, traue nur zurück. „Die meisten nehmen Bauch“, füg ich mich nicht!“ te sie hinzu, als würde das irgendetwas erklären. Kein Wunder, das Krankenhaus hat in unse Das war der Moment, an dem mir klar wurde, rer hochfunktionalen Gesellschaft – genau wie dass ich an einem Ort in Freiburg gelandet war, ein Friedhof, der dem Tod einen Platz gibt, so der mitten in der Stadt, aber doch außerhalb ih dass wir ihn zwar in unserer Mitte, aber gut um rer Ordnung zu liegen schien. Ein Ort, an dem zäunt vorfinden – den Zweck, die Welt der Kran mein Körper nicht mehr mir allein gehörte, wo er ken aus dem echten Leben auszuschließen. Es ist mir, der Patientin, nicht mehr „als innerhalb ei eben, wie Sontag sagt, eine andere Staatsbürger ner individuellen Biographie, sondern quasi nur schaft, die für uns erst relevant wird, wenn wir die als räumliches Konstrukt einer Wissenschaft“04 Gefilde jenes anderen Reiches betreten. erschien. Wer die Schwelle des Krankenhauses Doch die Fiktion ist ein Ort, an dem wir die übertritt, das verstand ich dort, lässt etwas zu Regeln unseres Lebens außer Kraft setzen kön rück, seine Gewohnheiten, seine Selbstbestimmt nen. Auch mit ihr können wir Themen bearbei heit, sein Umfeld. Und sein Wissen über sich und ten, die wir in unserem Leben vielleicht noch das, was geschieht. nicht bearbeitet haben, nicht bearbeiten wollen Das Krankenhaus und die Geschichten, die oder können. In der Fiktion leiden wir, wenn Lie sich darüber erzählen lassen, beeindruckten mich bende sich trennen, trauern mit Sterbenden und so stark, dass mich der „Deutschlandfunk“ zwei ihren Angehörigen oder gruseln uns, wenn Mör der oder Geister unter Betten, hinter Türen oder 01 Susan Sontag, Krankheit als Metapher, München–Wien in Parkhäusern lauern. Und zwischen all dem 1978, S. 5. wandeln wir in der Fiktion auch durch die Gänge 02 Ebd. eines Krankenhauses oder finden uns an piepsen 03 Ebd. den Apparaturen wieder. 04 Sigurd v. Ingersleben, Foucaults Ansichten einer Leichen- zentrierten Medizin. Anmerkungen zu Michel Foucaults „Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks“, in: 05 Vgl. die Programmübersicht des Deutschlandfunks, Jahrbuch für kritische Medizin, Bd. 7, Berlin 1981, S. 195–200, www.deutschlandfunkkultur.de/programmvorschau.282.de.html? hier S. 191. drbm:date= 19.3.2019. 05
APuZ 30–31/2021 Das Krankenhaus kann dabei als Ort des Kon erkrankung konfrontiert wird, die gleichsam ei trollverlustes auftreten, wie in „Koslik ist krank“, nen Wendepunkt darstellt: Wie soll die Zeit, die oder auch ein Ort der Angst sein, wie zum Bei bleibt, genutzt werden? spiel in Lars von Triers eindrücklicher Serie Einen ähnlichen Moment der Selbstbefragung „Hospital der Geister“ (1994–97), in der ein gan am Schauplatz Krankenhaus findet sich auch in zes Krankenhaus von widernatürlichen Phäno der Literatur, nicht nur in fiktionalen Texten, menen heimgesucht wird, während sich freilich sondern auch in der Autofiktion, der Misch auf der Chefarztebene die üblichen Machtkämp form von autobiografischem und fiktivem Erzäh fe abspielen. Auch der Verlust der Kontrolle über len, wie wir sie zum Beispiel in Kathrin Schmidts den eigenen Körper thematisiert von Trier, wenn „Du stirbst nicht“ (2009), David Wagners „Le auch anders als in meinem Roman: In „Hospital ben“ (2013) oder in Tabea Hertzogs „Wenn man der Geister“ durchlebt die Assistenzärztin Judith den Himmel umdreht, ist er ein Meer“ (2019) le eine Schwangerschaft, an deren Ende das Kind sen können. zu einem monströsen Etwas herangewachsen ist Das Krankenhaus ist hier der Ort, der dem – ein Erzählstrang, der die Unkontrollierbarkeit Übertritt in eine andere Welt eine Rahmung gibt, unserer körperlichen Erfahrung im Krankenhaus die Krankheit selbst aber ist es, die die Welt aus überzeichnet, indem er sie auf eine noch mysti einanderreißt – und damit einen Prozess der bio schere, unheimlichere Ebene hebt. grafischen Aufarbeitung anstößt. Die Krankheit ist schließlich eine Krise, und „Krisen dieses Aus * maßes treffen immer die Substanz unserer Bio graphie, weil sie eine rekonstruierbare und bereits Doch das Krankenhaus findet sich nicht nur in antizipierte Kontinuität unseres ‚Selbstplans‘ ge solchen Fiktionen, die manchem vielleicht zu un fährden“.06 In der Selbstbefragung, die sich daran heimlich sein mögen, sondern bietet weitere man anschließt, kann entweder minutiös die Frage des nigfaltige Möglichkeiten der Thematisierungen. „Warum ich?“ geklärt werden – mit diesem pro Ich würde sogar behaupten, dass es in bestimm blematischen Aspekt und seinen Hintergründen ten Formen, Szenen und Handlungssträngen in beschäftigt sich auch Sontag in ihrem Essay über Film, Fernsehen und Literatur nahezu omniprä den Krebs07 – oder aber die Krankheit als Weck sent ist, schaut man einmal genauer hin. Etwa ruf, als Schlüsselerlebnis verstanden werden, das an einem gewöhnlichen Vorabend: Hier kommt eine Neuordnung (oder auch Neuerzählung) des man, schaltet man den Fernseher an, früher oder Lebens unabdinglich macht. später kaum daran vorbei, auf eine rührselige Krankenhausszene zu stoßen. Wenn es im Finale * am Sterbe- oder Unfallbett zu einer Aussprache kommt, wenn Geheimnisse aufgedeckt werden, Aber das Krankenhaus in der Fiktion kann noch Vaterschaften geklärt oder längst überfällige Lie etwas anderes, gänzlich konträr Stehendes. Es beserklärungen nachgeholt werden, während im eignet sich nämlich in besonderer Weise für et Hintergrund die Apparaturen piepsen. Das Kran was, an das wir möglicherweise – einmal abge kenhaus ist in dieser wohl gängigsten Form der sehen von den besagten rührseligen Szenen am Thematisierung kein Ort der Angst, sondern ein Krankenbett in jeder Vorabendunterhaltung – so Ort des Hoffens, der Umkehr, der Versöhnung. gar als erstes denken: Gossip und Eskapismus. Ein Ort des filmischen Finales, herausgerissen aus Zunächst einmal aus einem ganz banalen dem Leben, dem Alltag – dem sonstigen Schau Grund: Neben seiner Funktion für die Gesell platz der Handlung –, aber genau deswegen be schaft und als Ort des Scheidepunktes ist das sonders gut für eine innige Zusammenkunft und Krankenhaus nämlich auch noch eines: ein Un die Klärung aller offenen Fragen geeignet. ternehmen, ein business. Und als solches lässt sich Das Krankenhaus kann aber in der Fiktion auch am Anfang stehen, ein Ort der Selbstbe 06 Peter Alheit, Alltagszeit und Lebenszeit. Über die Anstren- fragung, der Umkehr oder der Heldenwerdung gung, widersprüchliche Zeiterfahrungen „in Ordnung zu brin- sein. Etwa wenn der Fotograf Romain in Fran gen“, in: Rainer Zoll (Hrsg.), Zerstörung und Wiederaneignung çois Ozons Film „Die Zeit die bleibt“ (2005) mit von Zeit, Frankfurt/M. 1988, S. 371–386, hier S. 377. der niederschmetternden Diagnose einer Krebs 07 Vgl. Sontag (Anm. 1), S. 42. 06
Krankenhaus APuZ herrlich von außen darauf schauen, über Kor Bestsellern von Ulrike Schweikert (2018/19) – er ruption und innere Machtkämpfe berichten, wie leben können. Denn diese Fiktionen setzen genau etwa in der US-amerikanischen Krankenhausse in dem Moment der historischen Entwicklung rie „The Resident“ (seit 2017), oder über inter ein, an dem das character building der „Götter in ne Liebesreigen, Geheimnisse und dramatische Weiß“ erst zur richtigen Form aufläuft: Vor 1850 Rettungsmanöver erzählen, wie in „Grey’s Ana nämlich war das Krankenhaus – in der christli tomy“ (seit 2005) und zahlreichen anderen Kran chen Tradition ursprünglich eher eine Verwahr kenhausserien. anstalt für Arme – kein Ort, an den man sich, hat Was dabei hilft, ist, dass das Krankenhaus frei te man eine Wahl, freiwillig begeben hätte.08 Zu lich nicht irgendein Unternehmen ist, sondern ei groß war das Risiko, bei einer Operation nicht nes, das ein Themenfeld beackert, das für uns so geheilt zu werden, sondern hinterher an Wund wieso schon überaus faszinierend ist. Denn was brand zu sterben. In der ersten Staffel der „Cha könnte spannender sein als Geheimnisse? Und rité“ allerdings erleben wir, wie Robert Koch und der Körper liefert mit seinen unsichtbaren Vor seine Kolleg*innen mit erstaunlichen Fortschrit gängen, seinem verästelten Inneren, wahrlich ge ten in der Bakteriologie die Voraussetzungen da nug Stoff für Geheimnisse, die die Medizin wie für schufen, sich selbst zu Helden und das Kran derum aufzudecken vermag. Welche mysteriöse kenhaus zu dem zu machen, was es heute ist: ein Krankheit führt zu diesem Ausschlag, dem plötz Ort der Heilung, ein Ort des Hoffens. lich auch das Krankenhauspersonal anheimfällt? Wie lässt sich die Blutung stoppen, die das Leben * des alleinerziehenden Familienvaters bedroht, dessen drei kleine, herzzerreißend niedliche Kin Auch die Perspektive der Angehörigen, derjeni der mit ihren Teddys nebenan warten? Unsere gen also, die von außen auf das Krankenhaus bli mutigen Held*innen der Krankenhausserie wer cken, dennoch aber von seinem Inneren betroffen den es im Laufe der Folge sicherlich herausfinden sind, sei es durch Besuche oder Erzählungen ihrer und nebenbei noch mit einem attraktiven anderen Geliebten, die dort behandelt werden, lässt sich in Mitglied des Krankenhausstabs auf der Toilette, der Fiktion gut verarbeiten. Ein Besuch im Kran im Treppenhaus oder Bereitschaftsraum herum kenhaus kann, so zumindest habe ich es empfun knutschen. den, schließlich mindestens genauso eindrücklich Die Geheimnisse des Körpers und die für uns und verstörend sein wie die eigene Patienten Laien beinahe mythischen Methoden der Medi werdung. zin, schon Verlorengeglaubte zu retten, sind auch Es gab eine Zeit in meinem Leben, da gehör der Grund dafür, warum Ärzt*innen, die nicht ten Krankenhausbesuche zu meinem Alltag. Und umsonst im Volksmund „Götter in Weiß“ ge immer, wenn ich dort meinen Vater an medizi nannt werden, die idealen Held*innen der Fikti nische Apparaturen angeschlossen, mit merk on sind: Wenn zum Beispiel ein schmucker Assis würdigen Bett- und Leidensgenossen beschenkt tenzarzt im Angesicht der krampfenden Patientin oder um mir unverständliches Vokabular reicher mit Fachbegriffen und Befehlen um sich wirft, die vorfand, war ich tief beeindruckt von der Unter – eilfertig vom Personal ausgeführt – natürlich schiedlichkeit der Leben, die wir führten. Und zur heldenhaften Rettung der fast Toten beitra beschämt von meiner Möglichkeit, als Besucherin gen, führt uns das nicht nur einmal mehr vor Au zwischen beiden Welten zu changieren, während gen, wie geheimnisvoll und folgenschwer doch er gezwungen war, in der seinen zu bleiben. Er, die Vorgänge innerhalb unseres Körpers sind und der sich an die Regeln der fremden Welt zu hal befeuert unsere Faszination für all das, was wir ten hatte, seinen Status als Kranker nicht ablegen nicht sehen. Es unterstreicht auch die Götterhaf konnte. Ich, die ich gehen und kommen konnte, tigkeit unseres Helden, der eine wahre Heldentat beinahe wie ich wollte. vollbringt – nämlich eine, die nicht jede*r nach Und die ich immer erst, wenn ich die Kli machen könnte. nik verließ, das Gefühl hatte, wieder aufatmen Diese Beobachtung bestätigt sich auch mit Blick auf historische Krankenhausfiktionen, wie 08 Vgl. Johann Jürgen Rohde, Soziologie des Krankenhauses. wir sie in der „Charité“ – der von der ARD pro Zur Einführung in die Soziologie der Medizin, Stuttgart 1974, duzierten Serie (2017–21) wie den gleichnamigen S. 65, S. 80. 07
APuZ 30–31/2021 zu können. Verbunden mit der flauen Erkennt * nis, dass der, der zurückbleibt und die, die gehen kann, getrennter nicht sein könnten. Das kann In gewisser Weise kann man kaum anders, als den eine Bürde sein. Oder eine Befreiung. Radiergummi anzusetzen, wenn man sich wieder In meinem zweiten Roman „hell/dunkel“ im Reich der Gesunden befindet: Zu wenig lässt (2019) – der mir dann schließlich auch die ehren sich das, was man, ob nun als Angehöriger oder volle Bezeichnung als „Krankenhaus-Autorin“ als Patientin, im Krankenhaus erlebt hat, in das einbrachte – muss die Mutter der ungleichen tägliche Erleben integrieren. Es sei denn durch Geschwister Valerie und Robert wegen ih die Fiktion. Was wir schließlich machen kön rer Krebserkrankung über einen längeren Zeit nen, ist, zum Beispiel einen Roman aufzuklap raum im Krankenhaus behandelt werden. Doch pen. Und schon sind wir wieder da, in den lan anstatt dass die 19-jährige Valerie sich von die gen weißen Gängen des Krankenhauses. Können ser Trennung verunsichern lässt, nimmt sie den mitleiden und mitfiebern oder uns in die lebens Ausschluss der Mutter aus dem gemeinsamen, verändernden Konsequenzen einer Erkrankung durch den Krebs ohnehin bedrückenden Leben, hineindenken. Aber mit dem sicheren Gefühl des beinahe dankbar an. Für das Krankenhaus gilt Papiers zwischen den Fingern. in Valeries Gedanken das, was sie später, als die Mutter schließlich verlegt wird, fürs Hospiz zu JULIA ROTHENBURG sammenfasst: „Aus dem Fenster sieht das Hos hat Soziologie und Politikwissenschaft in Freiburg piz aus wie ein Schuhkarton, weit weg und so und Berlin studiert. 2017 wurde ihr Debütroman klar umrissen, wie mit Bleistift gemalt. Genau „Koslik ist krank“ veröffentlicht; 2019 folgte „hell/ so leicht auch lässt es sich aus den Gedanken dunkel“; im März 2021 erschien „Mond über Beton“. radieren.“ www.juliarothenburg.de 08
Krankenhaus APuZ KRANKENHÄUSER IN DEUTSCHLAND Strukturen – Probleme – Reformen Thomas Gerlinger Krankenhäuser sind heutzutage in wohl allen Ge Für die Sicherstellung der Krankenhausver sundheitssystemen ein Eckpfeiler der Kranken sorgung sind die Länder verantwortlich. Sie ha versorgung.01 Gemeinsam ist ihnen, dass dort die ben zu diesem Zweck einen Landeskranken stationäre Versorgung stattfindet, also jener Teil hausplan aufzustellen und die Investitionen der der Krankenversorgung, der es erfordert, dass die Krankenhäuser zu finanzieren, kommen Letzte Patientinnen und Patienten in der Einrichtung rem aber nur unzureichend nach. Daher sind vie übernachten und verpflegt werden. Darüber hi le Krankenhäuser, sofern es ihre wirtschaftliche naus nehmen sie auch Aufgaben in der ambulan Situation erlaubt, dazu übergegangen, Investitio ten Versorgung wahr. Die institutionellen Merk nen aus ihren Überschüssen zu finanzieren. Die male von Krankenhäusern, also etwa ihre Größe Krankenkassen tragen die laufenden Betriebskos und Zahl oder die Art ihrer Träger, und ihre Ver ten der Krankenhäuser. sorgungsfunktionen können sich sowohl im inter Das Krankenhaus ist für das Versorgungssys nationalen Vergleich als auch in jedem einzelnen tem in Deutschland von ungemein großer Be Gesundheitssystem erheblich unterscheiden.02 deutung. 2019 gab es in deutschen Krankenhäu sern knapp 495 000 Betten, rund 19,4 Millionen STRUKTURMERKMALE stationäre Behandlungsfälle wurden registriert.04 UND BESONDERHEITEN Statistisch betrachtet, wurde also beinahe je der vierte Bürger pro Jahr im Krankenhaus ver Die Krankenhauslandschaft in Deutschland ist sorgt, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich da sehr vielfältig. Die lokale oder regionale Grund runter auch Personen befinden, die mehrmals versorgung wird durch zumeist kleinere Häuser stationär aufgenommen werden. Das gesam sichergestellt, die in der Regel über eine internis te Ausgabenvolumen für Krankenhäuser belief tische, eine chirurgische und eine gynäkologi sich 2019 auf 100,8 Milliarden Euro, von de sche Fachabteilung verfügen. Demgegenüber ist nen allein 80,3 Milliarden Euro auf die gesetz das medizinische Leistungsspektrum von Häu liche Krankenversicherung (GKV) entfielen. sern der Maximalversorgung sehr breit und um Dies entsprach einem Anteil von 24,5 Prozent fasst in manchen Fällen sogar das gesamte Leis an den gesamten Gesundheitsausgaben bezie tungsspektrum der modernen Medizin. Häuser hungsweise von 31,8 Prozent der GKV-Ausga der Zentral- oder Maximalversorgung haben eine ben.05 Zugleich ist das Krankenhaus ein bedeu auch überregionale Versorgungsfunktion und tender Beschäftigungssektor: Ende 2019 war es zählen häufig zu den größeren Krankenhäusern, Arbeitsplatz für knapp 1,3 Millionen Menschen; manchmal mit mehr als 1000 Betten. Daneben dies entsprach rund 928 000 Vollkräften im Jah haben Einrichtungen der Schwerpunktversor resdurchschnitt. Darunter waren knapp 168 000 gung an Bedeutung gewonnen, also solche Häu Vollkräfte im ärztlichen Dienst und gut 760 000 ser, die sich auf die Diagnose und Behandlung im nicht-ärztlichen Dienst und von diesen wie bestimmter Krankheiten spezialisiert haben, bei derum gut 345 000 Vollkräfte im Pflegedienst, spielsweise auf die Versorgung von Schlagan mehr als 80 Prozent von ihnen Frauen.06 fall- oder Krebspatientinnen und -patienten.03 Im internationalen Vergleich weist das deut Die fachliche Ausrichtung der Krankenhäuser in sche Krankenhaussystem eine Reihe von Beson Deutschland unterliegt einem Prozess der Aus derheiten auf. Dazu zählt erstens die Pluralität der differenzierung, der sich in den kommenden Jah Trägerstrukturen, also das Nebeneinander öffent ren fortsetzen dürfte. licher, freigemeinnütziger und privater Träger. Sie 09
APuZ 30–31/2021 ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal des deut und 18 600 Entlassungen.09 Bei der stationären schen Krankenhaussystems, aber in vielen Län Verweildauer belegt Deutschland mit 8,9 Ta dern befinden sich Krankenhäuser überwiegend gen je Behandlungsfall in der EU hinter Ungarn in öffentlicher123456 Trägerschaft.07 (9,6 Tage) und Tschechien (9,4 Tage) den dritten Zweitens ist die Bettendichte im internatio Platz. Am unteren Ende rangieren hier die Nie nalen Vergleich sehr hoch, obwohl die Zahl der derlande (4,5 Tage) und Schweden (5,6 Tage).10 Betten bereits seit den 1970er Jahren drastisch Die Gründe für diese Besonderheiten lassen sich reduziert worden ist. Deutschland verfügt über nicht abschließend klären. Vermutlich spielen die 60,2 Betten je 10 000 Einwohner (EU-27-Durch starke Orientierung der Krankenversorgung an schnitt: 39,3). In der Europäischen Union ist die der ärztlichen Intervention sowie die hohe Zahl ser Wert nur in Bulgarien höher (62,4). Andere der vorgehaltenen Betten eine wichtige Rolle. wohlhabende Länder wie Frankreich (30,4), die Viertens ist die ambulante Versorgung im Niederlande (26,9) oder Schweden (19,7) kom Krankenhaus in Deutschland nur von margina men mit zum Teil deutlich weniger Krankenhaus ler Bedeutung. In wohl allen anderen Gesund betten aus.08 heitssystemen der EU-Mitgliedstaaten spielt das Drittens weist Deutschland bei den Indika Krankenhaus für die ambulante Versorgung eine toren zur Patientenbewegung im Krankenhaus deutlich stärkere Rolle. Insbesondere in staatli überdurchschnittlich hohe Werte auf. Dies gilt chen Gesundheitssystemen – aber auch nicht nur sowohl für die Zahl der stationären Behandlungs dort – ist die ambulante fachärztliche Versorgung fälle (Entlassungen stationärer Patienten aus dem überwiegend oder (fast) ausschließlich am Kran Krankenhaus) je 100 000 Einwohner als auch für kenhaus angesiedelt.11 Der Erstzugang zum Ver die stationäre Verweildauer. Mit rund 24 400 Ent sorgungssystem erfolgt hier in der Regel über lassungen je 100 000 Einwohner und Jahr wurde den Hausarzt, der die Patientinnen und Patienten Deutschland in der EU nur von Bulgarien (33 600) im Bedarfsfall zur fachärztlichen Versorgung ins übertroffen. In den meisten EU-Mitgliedstaa Krankenhaus überweist. In Deutschland existiert ten liegen die jeweiligen Werte zwischen 10 400 hingegen eine doppelte Facharztstruktur: Fach ärztinnen und Fachärzte sind hier bekanntlich nicht nur am Krankenhaus, sondern auch in freier 01 Vgl. Thomas Gerlinger/Rolf Rosenbrock, Gesundheitspolitik. Niederlassung oder in ambulanten Medizinischen Eine systematische Einführung, Bern 2021 (i. V.). 02 Vgl. Martin Schölkopf/Simone Grimmeisen, Das Gesund- Versorgungszentren (MVZ) tätig. Diese sind per heitswesen im internationalen Vergleich. Gesundheitssystem- Gesetz grundsätzlich zuständig dafür, Kassenpa vergleich und europäische Gesundheitspolitik, Berlin 20214; tientinnen und -patienten ambulant zu versorgen. Roosa Tikkanen et al. (Hrsg.), International Profiles of Health Letztere haben das Recht der freien Arztwahl, die Care Systems 2020, www.commonwealthfund.org/international- auch Fachärztinnen und -ärzte einschließt. Kran health-policy-center/system-profiles. 03 Vgl. Gerlinger/Rosenbrock (Anm. 1). kenhäuser sind nur in eng definierten Ausnahme 04 Vgl. Statistisches Bundesamt, Grunddaten der Kranken- fällen zur ambulanten Behandlung von Kassen häuser 2019, Wiesbaden 2021, www.destatis.de/DE/Themen/ patientinnen und -patienten berechtigt.12 Dazu Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikatio- nen/Downloads-Krankenhaeuser/grunddaten-krankenhaeuser- 2120611197004.pdf. 09 Vgl. Eurostat, Hospital Discharges and Length of Stay Statis- 05 Vgl. Statistisches Bundesamt, Gesundheitsausgaben nach tics, https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php? Einrichtungen, www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Um- title=Hospital_discharges_and_length_of_stay_statistics# welt/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/Tabellen/einrichtun- Hospital_discharges. Die Daten beziehen sich auf das Jahr 2018. gen.html; Bundesministerium für Gesundheit, Gesetzliche Kran- 10 Vgl. Eurostat, Durchschnittliche Krankenhausverweildauer kenversicherung – Kennzahlen und Faustformeln. KF21 Bund, stationärer Patienten (Tage), https://ec.europa.eu/eurostat/da- Stand: März 2021, www.bundesgesundheitsministerium.de/ tabrowser/view/hlth_co_inpst/default/table?lang=de. Die Daten fileadmin/Dateien/3 _Downloads/Statistiken/GKV/Kennzahlen_ beziehen sich auf das Jahr 2018. Daten/KF2021Bund_Maerz_2021.pdf. 11 Vgl. Schölkopf/Grimmeisen (Anm. 2); Tikkanen et al. 06 Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 4), S. 10 f., S. 29, S. 56. (Anm. 2). 07 Vgl. Schölkopf/Grimmeisen (Anm. 2); Tikkanen et al. 12 Anders verhält es sich mit privat Krankenversicherten, denen (Anm. 2). grundsätzlich auch die Inanspruchnahme ambulanter Leistungen 08 Vgl. Eurostat, Krankenhausbetten für medizinische Be- im Krankenhaus offensteht. Auf die Unterschiede in der Versor- handlung, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/ gung von gesetzlich und privat Versicherten kann hier nicht ein- tps00168/default/table?lang=de. Die Daten beziehen sich auf gegangen werden. Vgl. dazu Hartmut Reiners, Privat oder Kasse? das Jahr 2018 (Deutschland: 2017). Politische Ökonomie des Gesundheitswesens, Hamburg 2017. 10
Krankenhaus APuZ zählen traditionell die Versorgung in Notfällen schaftliche Trägerstruktur prägt die Kranken (§ 76 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, SGB V) sowie – in hauslandschaft zwar auch heute noch, allerdings dem für Lehre und Forschung notwendigen Um haben private Träger ihren Anteil in den ver fang – die Versorgung in Hochschulambulanzen gangenen Jahrzehnten zulasten öffentlicher Trä (§ 117 SGB V). Zwar sind die Krankenhäuser seit ger stark erhöht. Waren 1991 lediglich 14,8 Pro den 1990er Jahren punktuell weiter für die am zent aller Krankenhäuser in privater Trägerschaft, bulante Versorgung geöffnet worden. So dürfen stieg dieser Anteil bis 2019 auf 37,8 Prozent. Ins Krankenhäuser ambulant operieren oder in be besondere das Gewicht von großen Kapitalge stimmen Fristen vor und nach einer stationären sellschaften, vor allem von Aktiengesellschaften, Behandlung Patientinnen und Patienten auch am im Vergleich zu Ärztinnen und Ärzten als priva bulant versorgen. Jedoch folgten diese punktuel ten Trägern hat deutlich zugenommen. Der Zu len Öffnungen keinem übergreifenden Konzept wachs privater Krankenhäuser geht insbesondere für die Rolle des Krankenhauses, sondern stellten zulasten der öffentlichen Häuser, deren Anteil in lediglich Versuche dar, einzelne Versorgungspro diesem Zeitraum von 46,0 auf 28,5 Prozent zu bleme mit Ad-hoc-Maßnahmen zu lösen.13 Dem rückging. Immerhin belief sich der Anteil der in Mikrozensus 2017 zufolge wurden von den gut öffentlicher Trägerschaft aufgestellten Kranken 6,1 Millionen Personen, die in den vier Wochen hausbetten 2019 auf 47,7 Prozent, der von priva vor dem Befragungszeitpunkt in ambulanter Be ten Trägern auf 19,3 Prozent. Aber auch bei den handlung waren, nur gut 0,5 Millionen (8 Pro Betten ist ein deutlicher Anteilszuwachs der pri zent) im Krankenhaus versorgt.14 vaten Träger erkennbar. Diese Privatisierung ist sowohl auf finanzi KRANKENHAUSLANDSCHAFT elle als auch auf politische Motive zurückzufüh IM WANDEL ren. Vor allem Kommunen waren in der Vergan genheit angesichts ihrer prekären Haushaltslage Der Krankenhaussektor in Deutschland hat sich häufig bemüht, sich defizitärer Krankenhäuser in den vergangenen Jahrzehnten tiefgreifend ge zu entledigen. Zudem folgten manche Kommu wandelt. Wichtige Basistrends sind – ungeach nen in den 1990er und 2000er Jahren auch dem tet der im internationalen Vergleich nach wie vor neoliberalen Zeitgeist, der in der Privatisierung hohen Werte – die deutliche Reduzierung der kommunaler Aufgaben ein geeignetes Instrument Bettenzahlen und der Verweildauer je Behand zur Kostensenkung und Qualitätsverbesserung lungsfall. Zwischen 1991 und 2019 sank die Bet sah. Schließlich engt die Schuldenbremse die fi tenzahl von gut 665 000 auf knapp 495 000 Betten nanziellen Handlungsspielräume der öffentlichen und die durchschnittliche Verweildauer von 14,0 Hand weiter ein. Häufig treten private Kapitalge auf 7,2 Tage. Gleichzeitig ist in diesem Zeitraum sellschaften auf, um potenziell profitable Häuser die Zahl der Behandlungsfälle von rund 14,6 auf zu übernehmen und nach eigenen Vorstellungen rund 19,4 Millionen gestiegen,15 vor allem, weil umzugestalten.16 Die Privatisierung von Kran der demografische Wandel zu einer Zunahme des kenhäusern ist auch in den vergangenen Jahren Behandlungsbedarfs und der medizinische Fort weiter vorangeschritten, auch wenn sich die Dy schritt zu einer Zunahme der Behandlungsmög- namik etwas abgeschwächt hat.17 lichkeiten geführt hat. Das Nebeneinander von öffentlichen und frei Zu den wichtigsten strukturellen Veränderun gemeinnützigen Häusern einerseits und privaten gen zählt die fortschreitende Privatisierung der Einrichtungen andererseits bringt eine Reihe von Krankenhäuser. Die traditionelle gemischtwirt Problemen mit sich. Steht bei Ersteren – durch aus auch unter Verfolgung von Gewinninteres 13 Vgl. Wulf-Dietrich Leber/Jürgen Wasem, Ambulante Kran- sen – die Versorgungsfunktion im Mittelpunkt, kenhausleistungen – ein Überblick, eine Trendanalyse und einige ordnungspolitische Anmerkungen, in: Jürgen Klauber et al. 16 Vgl. Nils Böhlke et al. (Hrsg.), Privatisierung von Kranken- (Hrsg.), Krankenhaus-Report 2016. Schwerpunkt: Ambulant im häusern. Erfahrungen und Perspektiven aus Sicht der Beschäftig- Krankenhaus, Stuttgart 2016, S. 3–28. ten, Hamburg 2009. 14 Vgl. Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2017. Fragen zur 17 Vgl. Michael Simon, Das deutsche DRG-System: Weder Gesundheit – Kranke und Unfallverletzte, Wiesbaden 2018, Erfolgsgeschichte noch leistungsgerecht, in: Anja Dieterich et al. S. 15. (Hrsg.), Geld im Krankenhaus. Eine kritische Bestandsaufnahme 15 Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 4), S. 10. des DRG-Systems, Wiesbaden 2019, S. 295–324. 11
APuZ 30–31/2021 so ist es bei Letzteren die Gewinnmaximierung. reiche Studien auf eine Reihe von negativen Aus Um dieses Ziel zu verfolgen, setzen private Ein wirkungen hin.19 Demzufolge veranlasst der richtungen häufig darauf, ihr Angebot auf weni Kostendruck die Krankenhausträger zu primär ge, standardisierbare Leistungen zu begrenzen, kurzfristig orientierten Personaleinsparungen die sie aufgrund der Spezialisierung und der hö und führt häufig nicht zu sinnvollen, qualitäts heren Behandlungsfallzahlen dann kostengünsti neutralen Rationalisierungsmaßnahmen. Darun ger – und zum Teil auch in einer besseren Quali ter leidet insbesondere die persönliche, emotio tät – erbringen können. Dadurch verschlechtert nale Zuwendung zum Patienten. Es entstehen ein sich die Kalkulationsbasis derjenigen – zumeist erhöhter Aufwand in der nachstationären Ver öffentlichen – Krankenhäuser, die aufgrund ih sorgung (beispielsweise in der Rehabilitation) so res Versorgungsauftrages nach wie vor die gesam wie hohe Belastungen für Patienten (etwa durch te Palette an Leistungen und die dafür notwendi eine steigende Zahl präoperativer Krankenhaus ge Infrastruktur vorhalten müssen, ohne an der besuche) und für ihre Angehörigen, die bei einer Kostenersparnis bei standardisierbaren Leistun frühzeitigen oder verfrühten Entlassung aus dem gen teilhaben zu können. Krankenhaus die Versorgung im häuslichen Um Die sicherlich gravierendste Veränderung der feld gewährleisten müssen. Schließlich nehmen vergangenen Jahrzehnte war die Umstellung der Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal in Vergütung von Krankenhausleistungen auf diag wachsendem Maße Konflikte zwischen Versor nosebezogene Fallpauschalen (Diagnosis Related gungsqualität und Kostendruck wahr.20 Groups – DRGs). Im DRG-System richtet sich die Höhe der Vergütung nach dem Schweregrad ARBEITSBEDINGUNGEN der Erkrankung des Patienten, die mithilfe eines IM KRANKENHAUS Patientenklassifikationssystems erfasst wird, und nach den vorgenommenen Eingriffen und thera Das DRG-System hat erhebliche Auswirkun peutischen Maßnahmen, die aus einem Operati gen auf die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. onen- und Prozedurenschlüssel (OPS) hervor Diese sind insbesondere für die Beschäftigten im gehen. Dabei werden einem Krankenhaus nicht Pflegedienst schlecht. Dies kommt in der ausge seine realen Kosten, sondern die für den jewei prägten Arbeitsunzufriedenheit und in der star ligen Behandlungsfall bei Modellkrankenhäusern ken Fluktuation von Gesundheits- und Kran ermittelten Durchschnittskosten erstattet. kenpflegerinnen und -pflegern zum Ausdruck. Finanzielle Anreize und Kalküle bei der Er Deren Kritik richtet sich vor allem auf die hohe bringung von Krankenhausleistungen haben mit Arbeitsverdichtung und deren negative Auswir der Einführung des DRG-Systems beträchtlich kungen auf die Arbeitsqualität sowie auf die aty an Bedeutung gewonnen. Die Krankenhäuser er pische Lage der Arbeitszeiten und die niedrigen halten mit den DRGs einen Anreiz, die Kosten je Gehälter.21 Vor diesem Hintergrund wundert es Behandlungsfall so weit wie möglich zu senken nicht, dass der Personalmangel in der Pflege au und die Behandlungsfallzahlen bei solchen Dia ßerordentlich groß ist und sich in den nächsten gnosen und Eingriffen zu erhöhen, bei denen die Jahren noch verstärken könnte.22 Die Gründe Kosten deutlich unter den DRG-Erlösen liegen. Auf diese Weise haben die DRGs die „Ökono 19 Vgl. hierzu und zum Folgenden zum Beispiel Heinz Naegler/ misierung“ der Krankenhausversorgung, also de Karl-Heinz Wehkamp, Medizin zwischen Patientenwohl und ren Orientierung an finanziellen Interessen, wei Ökonomisierung. Krankenhausärzte und Geschäftsführer ter gefördert.18 im Interview, Berlin 2018; Dieterich et al. (Anm. 17); Kaspar Molzberger, Autonomie und Kalkulation. Zur Praxis gesellschaft- DRGs werden kontrovers diskutiert. Wäh licher Ökonomisierung im Gesundheits- und Krankenhauswesen, rend deren Befürworter die Leistungsgerechtig Bielefeld 2020. keit und den Anreiz zur Rationalisierung von 20 Vgl. Naegler/Wehkamp (Anm. 19). Versorgungsprozessen hervorheben, weisen zahl 21 Vgl. Rolf Schmucker, Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen. Ergebnisse einer Sonderauswertung der Beschäftigtenbefra- gung zum DGB-Index Gute Arbeit, in: Klaus Jacobs et al. (Hrsg.), 18 Vgl. Michael Simon, Das DRG-Fallpauschalensystem für Pflege-Report 2019: Mehr Personal in der Langzeitpflege – aber Krankenhäuser. Kritische Bestandsaufnahme und Eckpunkte für woher?, Berlin 2020, S. 49–60. eine Reform der Krankenhausfinanzierung jenseits des DRG- 22 Vgl. Karl Blum/Matthias Offermanns/Petra Steffen, Situati- Systems, Hans-Böckler-Stiftung, HBS Working Paper 196/2020. on und Entwicklung der Pflege bis 2030, Düsseldorf 2019. 12
Krankenhaus APuZ für die schlechten Arbeitsbedingungen sind viel desministerium für Gesundheit wurde ermäch schichtig, aber eine ganz wesentliche Rolle spielt tigt, dafür eine Untergrenze festzulegen. Ferner die mit dem DRG-System vorangetriebene Öko verpflichtete der Gesetzgeber die Krankenkas nomisierung der Krankenhausversorgung. Der sen, die Ausgaben für Tarifsteigerungen zu über damit erzeugte Druck auf die Betriebskosten nehmen. Außerdem sollen sie die Vergütung im schlug sich über viele Jahre vor allem in Einspa ersten Ausbildungsjahr tragen, um den Kran rungen beim Pflegepersonal nieder, die durch ge kenhäusern einen Anreiz zu geben, mehr Aus ringe Gehaltssteigerungen und durch eine geringe bildungsplätze anzubieten. Diese Maßnahmen Zahl von Einstellungen erzielt wurden. Letzteres sollen dazu beitragen, die Ausstattung mit Pfle wurde dadurch begünstigt, dass der Aufwand für gepersonal und damit sowohl die Arbeitsbedin pflegerische Leistungen – im Unterschied zu dem gungen als auch die Versorgungsqualität zu ver für ärztliche Leistungen – bei der Berechnung bessern. Schließlich wurden die Pflegekosten der der Pauschalen nicht angemessen berücksichtigt Krankenhäuser mit Wirkung von 2020 an aus dem wird. Vor diesem Hintergrund hat sich die Zahl DRG-System ausgegliedert und werden seitdem der Ärztinnen und Ärzte (Vollkräfte) zwischen krankenhausindividuell vergütet. Jenseits der ge 1991 und 2019 von 95 208 auf 167 952 nahezu ver nannten gesetzlichen Bestimmungen bemüht sich doppelt, während die Zahl der Pflegekräfte (1991: die Bundesregierung verstärkt um die Rekrutie 326 082, 2019: 345 407) eher stagnierte.23 Diese rung von Pflegekräften aus dem Ausland, vor al Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund lem in Asien und (Süd-)Osteuropa.24 steigender Behandlungsfallzahlen und einer sin Die jüngeren Maßnahmen zur Verbesse kenden durchschnittlichen Verweildauer, die ih rung der Pflegepersonalausstattung stellen ei rerseits von einem Anstieg des Versorgungsbe nen Schritt in die richtige Richtung dar. Um den darfs je Belegungstag einherging, weil sich mit ihr Pflegenotstand in den Krankenhäusern zu über der Anteil der betreuungsintensiven Aufnahme-, winden, bedarf es aber deutlich weitergehender Operations- und Entlassungstage je Behand Schritte. Dabei fehlt es an einer mittelfristigen lungsfall erhöhte. Zielsetzung für die Zahl der neu einzurichtenden Dass die Zahl der Vollkräfte im Pflegedienst Stellen im Pflegedienst. jüngst überhaupt wieder über den Wert des Jah res 1991 stieg, geht zudem primär auf die vom HERAUSFORDERUNGEN Gesetzgeber angesichts des Personalmangels er FÜR DIE KRANKENHAUSPOLITIK griffenen Maßnahmen zurück. Die wachsende öffentliche Kritik an den Arbeitsbedingungen im Die Krankenhauspolitik steht auf unterschiedli Pflegedienst und Proteste der Pflegekräfte selbst chen Handlungsfeldern vor großen Herausforde haben die Bundesregierung dazu bewogen, eine rungen. Es bedarf, wie oben gezeigt, eines Vergü Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der tungssystems für Krankenhausleistungen, das so Arbeitsbedingungen und zur Erhöhung der Ar weit wie möglich Anreize zu einer am tatsächli beitsentgelte in der Krankenhauspflege zu ergrei chen Bedarf orientierten Versorgung schafft und fen. So stellte sie Mittel für die Anstellung zusätz unerwünschten Umgehungsstrategien von Leis licher Pflegekräfte zur Verfügung und führte sie tungserbringern enge Grenzen setzt. Ferner ist in einigen „pflegesensitiven Bereichen in Kran eine durchgreifende Verbesserung der Arbeits kenhäusern“ (§ 137i SGB V), wie beispielswei bedingungen und eine Erhöhung der Arbeits se Kardiologie oder Geriatrie, Pflegepersonalun entgelte erforderlich, um die Attraktivität des tergrenzen ein, die eine Mindestvorgabe für die Krankenhauses für Gesundheits- und Kranken Verhältniszahlen von Pflegekräften und Patienten pflegerinnen und -pfleger zu erhöhen. umfassen. Ferner wird seit 2020 für jedes Kran Aber die Herausforderungen gehen noch kenhaus ein Pflegepersonalquotient ermittelt, der deutlich über diese Aspekte hinaus. Trotz zahl das Verhältnis von Pflegepersonal und Pflegeauf reicher Verbesserungen und mancher Fortschrit wand beschreibt (§ 137j Abs. 1 SGB V). Das Bun te ist das Versorgungssystem nach wie vor durch 23 Vgl. Statistisches Bundesamt, Grunddaten der Kranken- 24 Vgl. Jan Kordes, Anwerbeprogramme in der Pflege: Migra- häuser 1991, Wiesbaden 1993, S. 42; Statistisches Bundesamt tionspolitiken als räumliche Bearbeitungsweise der Krise sozialer (Anm. 4), S. 27. Reproduktion, in: Prokla 4/2019, S. 551–567. 13
APuZ 30–31/2021 eine wechselseitige Abschottung der unterschied Insofern gibt es gute Gründe für eine stärke lichen Versorgungssektoren, also ambulanter, sta re Spezialisierung und Schwerpunktbildung in tionärer, rehabilitativer und pflegerischer Versor der Krankenhausversorgung. Der Gesetzgeber gung, gekennzeichnet.25 Hier entstehen Brüche hat diesen Prozess durch den Auftrag an die ge im Versorgungsverlauf, die die Versorgungsqua meinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Kran lität mindern und unnötige Kosten verursachen. kenkassen forciert, für Leistungen, bei denen ein Die Einbettung des Krankenhauses in ein Ver Zusammenhang zwischen Frequenz und Quali sorgungssystem, das eine kontinuierliche Versor tät existiert, Mindestmengen vorzugeben (§ 136b gung auch an den Schnittstellen von ambulanter Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Zu diesen Leistungen zäh und stationärer Versorgung gewährleistet, zählt len unter anderem der Einsatz von Kniegelenk- daher zu den zentralen Herausforderungen für Totalendoprothesen oder Transplantationen von die Gesundheitspolitik.26 Ein wichtiges Instru Leber und Niere. Demnach sind Ärzte, Fachab ment für die Integration von Versorgungsstruktu teilungen oder Krankenhäuser nur dann berech ren und -verläufen ist die grundsätzliche Öffnung tigt, bestimmte Eingriffe mit den Krankenkas von Krankenhäusern für die ambulante Versor sen abzurechnen, wenn sie in einem bestimmten gung. Weil die in der Vergangenheit unternom Zeitraum (häufig: ein Kalenderjahr) die vorgege menen Schritte in diese Richtung stets als punk bene Mindestmenge erreichen beziehungsweise tuelle Ausnahmen von der grundsätzlich nach wie erreicht haben. Mindestmengen sind für eine Rei vor geltenden Zuständigkeit von Vertragsärztin he von Eingriffen gut begründet, allerdings ist der nen und -ärzten für die ambulante Versorgung Zusammenhang zwischen beiden Größen nicht konzipiert waren, haben sie bisher nicht zu einem immer – und nicht immer für alle behandlungs grundlegenden Wandel der Rolle des Kranken relevanten Qualitätsindikatoren – eindeutig.28 hauses in der ambulanten Behandlung geführt. Der Ausschluss vor allem kleinerer Kranken Ein weiterer bedeutsamer Aspekt ist der Zu häuser von der Erbringung bestimmter Leistun sammenhang zwischen den Krankenhausstruktu gen könnte allerdings dazu führen, dass manche ren und der Versorgungsqualität. Ausgangspunkt Fachabteilungen oder Häuser in wirtschaftli ist der Befund, dass bei einer Reihe von Leistun che Schwierigkeiten geraten oder sogar schließen gen ein Zusammenhang zwischen der Leistungs müssten. Daraus würde ein Dilemma erwachsen: frequenz und der Leistungsqualität existiert. Dies Eine Spezialisierung und Zentrenbildung wür ist vor allem bei komplexen Eingriffen der Fall, de sich negativ auf die Wohnortnähe und damit die, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, nicht die schnelle Erreichbarkeit des Krankenhauses in großer Zahl anfallen und nicht zur Routine ei auswirken. nes Fachgebietes zählen. Solche diagnostischen Der Ruf nach einem Umbau der Kranken Verfahren und Operationen werden vor allem in hausstrukturen wird unter Verweis auf die im in den zahlreichen kleineren Krankenhäusern ohne ternationalen Vergleich hohe Bettendichte häufig die dafür erforderliche Erfahrung und daher zu mit der Forderung nach einem deutlichen Bet häufig nicht in der erforderlichen und möglichen tenabbau und der Schließung von Krankenhäu Qualität durchgeführt – zum Nachteil für die Pa sern verknüpft. Unter den gesundheitspolitischen tientinnen und Patienten.27 Akteuren sind es vor allem die Krankenkassen, die auf einen Bettenabbau und auf Krankenhaus schließungen drängen. Sie versprechen sich da 25 Vgl. Thomas Gerlinger, Vom versäulten zum integrierten von neben den Qualitätsverbesserungen auch Versorgungssystem: Reformbedarf und Handlungsempfehlungen, Kosteneinsparungen. Demgegenüber zeigen sich HBS Working Paper 205/2021. die Länder diesbezüglich weit skeptischer und 26 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Jahresgutachten 2018: Bedarfsgerechte weisen darauf hin, dass es die Wohnortnähe als Steuerung der Gesundheitsversorgung, Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 19/3180, 4. 7. 2018. 27 Vgl. Reinhard Busse/Elke Bergner, Weniger (Standorte, 28 Vgl. Thomas Gerst, Qualitätssicherung: Mindestmengen Betten und Fälle) ist mehr (Zugang, Qualität und Ergebnisse): vor dem Aus, in: Deutsches Ärzteblatt 34–35/2011, A-1765; Standpunkte der Gesundheitsökonomie, in: Dirk Janssen/Boris Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswe- Augurzky (Hrsg.), Krankenhauslandschaft in Deutschland. Zu- sen (IQWiG), Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und kunftsperspektiven – Entwicklungstendenzen – Handlungsstrate- Qualität des Behandlungsergebnisses bei Nierentransplantation gien, Stuttgart 2018, S. 99–114. (inklusive Lebendspende), IQWiG-Berichte 904/2020. 14
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