Patagonien Vegan unterwegs am Ende der Welt - Vegan Cruises & Tours
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Patagonien Vegan unterwegs am Ende der Welt Eine vegane Kreuzfahrt durch die Fjord-Landschaft von Feuerland an der Südspitze Südamerikas? Als Dirk Bocklage, Inhaber des auf vegane Kreuzfahrten spezialisierten Reiseveranstalters Vegan Travel, mich mit dieser Idee konfrontierte, waren Ungläubigkeit und Zweifel die natürliche Reaktion. Flüge ans Ende der Welt, eine Kreuzfahrt, und das auch noch vegan im Fleischesser-Land Chile? Kann das was werden, muss das sein? Ü ber die grundsätzliche Frage- uns dieser Handlungsoptionen beraubt, bei einem Angebot berücksichtigt wer- stellung, ob und unter wel- eingepreiste Umweltkosten zu einer den. Zudem stellt sich bisweilen heraus, chen Bedingungen Flug- und massiven Verteuerung und damit einem dass der Teufel im Detail steckt, aber Fernreisen sowie Kreuzfahrten über- erzwungenen Rückgang von Fernreisen dazu später in diesem Artikel über eine haupt noch ökologisch und ethisch ver- (wie von Fleischkonsum) führen wer- Reise nach und durch Chile und einen tretbar sind, lässt sich trefflich strei- den, ist nur noch eine Frage der Zeit, Zipfel Argentiniens. ten. Die Entscheidung darüber ist einer- wobei Fernwehkranke zumindest die seits eine individuelle Angelegenheit, Feuerland ist Teil Patagoniens, des- ein klassischer Fall von Verstand gegen sen südlichster Zipfel, an dem wiede- Emotion, und surft man zu dieser The- rum jene kleine Insel hängt, zu der das matik durchs Netz, stößt man auf den legendäre Kap Hoorn gehört, um das noch neuen Begriff „Flugscham“. Ande- vor Eröffnung des Panamakanals alle rerseits steckt der Drang zum Reisen Schiffe fuhren, die nicht den Weg durch tief im Menschen drin, ob nun –heute – die etwas nördlicher gelegene Magellan- aus „rekreativen“ Gründen oder – einst straße nehmen wollten, um von Europa – aus Forscherdrang und Abenteuerlust. aus nach Asien sowie an die Westküste Konsequent mag es wohl sein, nur noch von Süd- und Nordamerika zu gelan- mit Rad und Bahn zu verreisen, auf dem Santiago de Chile gen. Bei genauer Betrachtung erweist eigenen Kontinent, oder idealerweise sich Feuerland als eine wild zerklüftete wandernd die heimische Region zu Hoffnung hegen dürfen, dass dereinst Insellandschaft, der Westküste Norwe- erkunden, doch so wie eine rein regio- mit ausschließlich erneuerbaren Ener- gens nicht unähnlich. Und Feuerland – nale und saisonale Ernährung ein wün- gien betriebene Flugzeuge und Schiffe Tierra del Fuego klingt noch abenteuer- schenswerter und erstrebenswerter ein ökoverträglich(er)es (Fern-)Rei- licher – selbst ist wiederum nur der süd- Aspekt der eigenen Lebensweise sein sen ermöglichen werden. Bis dahin ist lichste Zipfel von Patagonien, der rie- mag, wird dieses Ideal eben nicht von die Entscheidung eine individuelle, was sigen Südspitze Südamerikas, aufge- jedem geteilt oder ist nur mit gefühlt man tut und was man lässt, muss jede*r teilt in einen größeren, östlichen Teil großen persönlichen Einschränkungen selbst entscheiden. Und wenn dann und einen kleineren, westlichen, der zu umsetzbar. Dass der Zeitpunkt kommen gereist wird, ist es zumindest hilfreich, Chile gehört. Feuerland wiederum ist wird, an dem die Macht des Faktischen wenn ökologische und ethische Aspekte zum größten Teil chilenisch, der andere 26
ist argentinisch, doch wo genau die etwas vor. So abgelegen und dünn besie- überall auf deutschem Niveau und man Grenze läuft, welche Inselchen zu wel- delt Patagonien und Feuerland also sein ahnt, dass sich das nicht jeder leisten chem Land gehören, ist bis heute Teil mögen, die Spuren des Menschen sind kann. Dank Happy Cow, dem Standard- eines Streites zwischen den beiden Län- allgegenwärtig. Teile der Region stehen Handwerkszeug des veganen Travel- dern, der jedoch durchaus das Zeug zum zwar unter Naturschutz, doch im rei- regionalen bewaffneten Konflikt hat, chen Chile mit seiner neoliberalen Wirt- geht es doch um Anteile an der von Kap schaftspolitik wird sowohl den Agrar- Hoorn gerade mal noch 1.000 Kilometer sektor wie Fischfang und -zucht als entfernten Antarktis. auch die Ausbeutung von Bodenschät- zen betreffend eine recht harte Linie Wie „unlocker“ die Nachbarn Chile gefahren. Gegen die, wie wir auf unserer und Argentinien in dieser Hinsicht sind, Reise feststellen mussten, ein nachhal- erkennt man an der massiven Militär- tiger Tourismus eine Möglichkeit zum präsenz beiderseits der Grenze, spezi- Erhalt unberührter Natur sein kann. ell der Marine. Und sowieso stand Pata- Valparaiso gonien schon seit seiner Entdeckung Los ging unsere Reise in der Haupt- 1520 unter anderem durch den portu- stadt Santiago de Chile mit seinen über lers, sind die Restaurants und Cafés mit giesischen Seefahrer Ferdinand Magel- 5 Millionen Einwohnern. Laut WHO ist veganem Angebot oder zumindest vega- lan – auf den auch die Namensgebung die Luftqualität dort im weltweiten Ver- nen Optionen schnell gefunden und es Patagonien und Feuerland zurückgeht gleich sehr schlecht, wir jedoch hatten geht weniger darum, ob es hier vegane – im Fokus von Machtpolitik. Das Wis- das Glück, dass Anfang bis Mitte Okto- Angebote gibt, sondern man hat die Qual sen um Seefahrtsrouten, die Erstellung ber zu Beginn des Frühlings die Wetter- der Wahl. Wir entscheiden uns gleich von Karten, die Kontrolle darüber waren zweimal für El Huerto, etwas außerhalb und sind bis heute pure Machtpolitik. der Altstadt. Ein recht großes Restau- Dass hierbei die Ureinwohner nur eine rant mit vegetarischem, aber überwie- Statistenrolle spielten, wird nicht über- gend veganem Angebot, sowohl regi- raschen und speziell vor Ort, bei der onal inspiriert wie auch international. Lektüre von Reiseführern und durch die An Guacamole kommt man im Avocado- Erklärungen von Guides wird klar, dass land Chile (die heißen hier Palta) nicht die europäischen Eroberer auch im kar- vorbei, aber auch Falafel und mexika- gen Süden des Kontinents eine brutale nisch inspiriertes Essen wird geboten, Vernichtungsstrategie gegenüber der sowie einheimisches, ja sogar patagoni- einheimischen Bevölkerung verfolgten – sches Bier. Und im Ausgehkomplex Bel- so gründlich, dass von jenen heute nur lavista, so eine Art „Düsseldorfer Alt- noch wenige Spuren und kaum Nach- stadt“ im Kompaktformat, gibt es nicht fahren geblieben sind. Genauso brutal nur leckere Cocktails, auch Veggie-Bur- wurde die Ausbeutung der natürlichen ger stehen ganz selbstverständlich auf Ressourcen vorangetrieben, im Meer Allende-Denkmal vor dem der Karte. Mehr zu veganen Angeboten etwa Wal- und Fischfang betreffend, und Ministerium für Menschenrechte in Santiago später, denn erst mal fuh- an Land geht bis heute die nicht nach- ren wir für einen Tag in die Zwillings- haltige Nutzung etwa durch Schaf- und lage günstig war. Die Stadt, die wir zu städte Valparaíso und Viña del Mar, rund Rinderzucht weiter sowie speziell an der Beginn und zum Schluss unserer Reise eine Stunde Autobahnfahrt westlich von chilenischen Küste Patagoniens durch erkundeten, wirkt sehr europäisch, Santiago am Meer gelegen, auf dem Weg extrem umweltschädliche Aquakulturen zumindest was die historische Altstadt durchquert man riesige Anbaugebiete betrifft, in der viele imposante Wohn- für allerlei Gemüse und Wein. und Geschäftshäuser aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert überlebt haben. Viña del Mar ist so was wie die „Som- Die modernen Stadtviertel wirken dage- merfrische“ jener Bewohner von Santi- gen eher austauschbar, Glas, Beton und ago, die es sich leisten können, im Som- Stahl dominieren hier, wie überall in der mer aus der Hauptstadt zu flüchten. Welt. Dass der Wohlstand auch in Chile Viele Ferienwohnungen, viele Hotels, recht ungleich verteilt ist, erkennt man wir waren nicht beeindruckt, vom schon von der Autobahn vom Flughafen nebenan gelegenen Valparaíso dafür in die Innenstadt aus – ärmliche Wohn- umso mehr. Über zig Hügel erstrecken Die endlose Weite Patagoniens viertel ziehen sich entlang der Trasse, sich hier alte, oft sehr gepflegte und tra- auch an Slums erinnernde Behausun- ditionell in zig Blau-, Rot-, Gelb- und Fotos: Joachim Hiller – unter anderem Lachs für den europä- gen sieht man, aber insgesamt gesehen Grünschattierungen gestrichene Häu- ischen Markt kommt von hier. Glaubt ist Chile im regionalen Vergleich wohl- ser, oft aus Holz. Mit den vielen histo- man also, besäuselt durch Reiseführer habend. Was man auch an den Preisen rischen Schrägaufzügen – eine Art Seil- und Filmdokus, in eine heile Naturwun- in der Gastronomie feststellt: das Preis- bahn – hat die Stadt etwas von Lissa- derwelt zu reisen, macht man sich selbst niveau ist, nicht nur für Touristen, fast bon, aber auch an San Francisco 27
erinnert die einst reiche Hafen- unter Führung eines erfahrenen Expe- ist. Respekt vor der Natur steht hier im stadt. Sehr wuselig, sehr verwinkelt, mit ditionsleiters den Passagieren – Expe- Vordergrund, der hier ziemlich reale spektakuläre Blicke über die Stadt bie- ditionsteilnehmer wäre doch etwas zu Fußabdruck der Touristen wird auf eng tenden Aussichtspunkten, viel histori- dick aufgetragen – bei den Landgängen umgrenzte Bereiche der besuchten Orte scher Bausubstanz, politischen Wand- und auch an Bord fachkundig Detail- inmitten der Wildnis beschränkt, denn malereien überall und recht „alternativ“ wissen zu Kultur, Flora und Fauna der Australis als Veranstalter hat erkannt, wirkenden Cafés und Läden. Hier kann Region vermitteln. Diese Schiffe sind man es aushalten, schätze ich – schade, die Antithese zu den monströsen Kreuz- dass wir nicht mehr Zeit hatten. Denn fahrt-Partybombern mit tausenden Pas- wir mussten zurück nach Santiago, um sagieren, das wird schnell klar, nach- früh am nächsten Morgen in viereinhalb dem wir an Bord sind. Die grellrote Stunden in den Süden nach Punta Are- Schwimmweste hängt gut sichtbar an nas zu fliegen, aus dem Frühling in den der Garderobe und wird in den nächs- Winter. ten sieben Tagen zu unserem Dauerbe- gleiter. Ein Fernseher? Nicht vorhan- Schon auf dem Flughafen der den, braucht hier keiner. WLAN? Inter- 125.000-Einwohner-Stadt, die sich als net? Gibt’s nicht, nicht für Geld und gute Ureinwohner-Laubhütte das Tor zur Antarktis bezeichnet, fal- Worte, „digital detox“ ist hier angesagt vs. Darwins Forschungsstation len dort geparkte Forschungsflugzeuge sowie ein zweckmäßiger, angenehmer, auf. In der Stadt sind es das rasselnde aber nicht luxuriöser Stil. dass nur ein starkes Engagement für Geräusch mit Spikes versehener Auto- das Bewahren dessen, was den Reise- reifen und eine beißend kalte Brise, Warum auch sollte man auf einen teilnehmern gezeigt wird, langfristig etwas Schneetreiben, ein seltsam kla- Bildschirm starren, wenn doch draußen die Geschäftsgrundlage sichert – und res Licht und das vom scharfen Süd- vor dem großen Fenster in den nächs- das ist die weitgehende Unberührtheit wind aufgewühlte Meer, die uns deut- der Natur. lich darauf hinweisen, dass wir der Ant- arktis nahe sind. Punta Arenas ist der Entsprechend energisch reagierte chilenische Antarktishafen, uns fällt ein auch der Expeditionsleiter, als ich ihn US-amerikanisches Forschungsschiff anlässlich seiner Aussage, dass die auf, das am Kai gerade für die anste- immer bessere touristische Erschlie- hende Sommersaison startklar gemacht ßung von Südpatagonien ein Fort- wird. Und direkt nebenan die Stella schritt sei, auf die sicher recht deut- Australis, eines von zwei Schiffen der sche Sichtweise hinwies, dass es für die chilenischen Australis-Reederei. Das Natur doch wohl am besten sei, wenn 2010 gebaute und mit Marinediesel(öl) Kein Wind, keine Welle. überhaupt keine Menschen, überhaupt betriebene Schiff bietet wie das 2018 in keine Touristen durch die empfindli- Dienst gestellte Schwesterschiff Ventus ten Tagen die spannendsten Eindrücke che Botanik stolpern. Er argumentiert, Australis in 100 Kabinen bis zu 210 Pas- warten? Luxuriös fühlen sich hingegen gerade wegen des touristischen Inte- sagieren Platz und beide werden, darauf die großzügigen Lounges mit bequemen resses und der Entwicklung eines ver- Sofas an, von denen aus man einen Pan- träglichen, nachhaltigen touristischen oramablick auf die langsam vorüber- Angebots in begrenztem Umfang sei- ziehende Landschaft werfen kann. Der tens der Reederei und in Zusammen- Bordshop bietet gerade mal Zweckmä- arbeit mit Forschungseinrichtungen sei ßiges gegen Regen und Kälte, einzige es gelungen, den Alberto de Agostini- Animation ist die morgendliche Yoga- und den Kap Hoorn-Nationalpark zu gruppe, und Pool und Sauna sucht man etablieren und somit die Natur Feuer- auch vergeblich. Schnell wird klar, die- ses Expeditions-Ding ist durchaus wört- lich zu nehmen, wie auch die Reederei, Stella Australis in Punta Arenas die diese Touren seit 1990 anbietet, ihre Verantwortung ernst nimmt. Schließ- legt die Reederei großen Wert, nicht als lich gehen die Fahrten durch Meeres- Kreuzfahrt-, sondern als Expeditions- und Naturschutzgebiete, entsprechend schiff bezeichnet. Die Schiffe sind klein werden an Bord entstehende Abwässer genug, um in engen Fjorden manövrie- aufbereitet und geklärt, sämtlicher Müll ren zu können, haben mehrere große nur in den Häfen entsorgt. Im Gespräch Schlauchboote an Bord, die für Land- mit den Guides und der Besatzung Kleines Schiff, große Berge. gänge zu Wasser gelassen werden, und unterwegs wird deutlich, dass dies keine neben der nautischen Besatzung und Lippenbekenntnisse sind, sondern ver- lands an Land und im Wasser zu schüt- der Küchenmannschaft, gibt es noch ein innerlichte Verhaltensweisen, was auch zen. Die von der mächtigen Fischerei- internationales Team junger Guides, die während der Landausflüge zu spüren und Aquakulturlobby bevorzugte Nut- 28
zung würde logischerweise anders aus- in der man zwar Sojamilch für seinen Landschaft von Fels zu Wald und tun- sehen: noch mehr umweltzerstörende Kaffee bekommen kann und wo man draartigem Buschwerk. Flaches Murä- Lachszuchtanlagen in einem sensiblen auf Nachfrage auch anstandslos eine nengeröll im Vordergrund, schneebe- Ökosystem. In einer Welt, in der alles vegane Pizza (also ohne Käse) serviert deckte Gipfel im Hintergrund, davor einen Wert haben muss, so die Logik, bekommt, wo aber kaum ein paar hun- mal aufgewühltes, sturmgepeitschtes der man sich vor Ort nur schwer entzie- dert Kilo Tofu irgendwo vorrätig sind? Meer, mal eine völlig glatte Wasserflä- hen kann, ist die Natur Feuerlands eben che, gesprenkelt mit weiß-blauen Eis- nur dann schützenswert, wenn sie sich blöcken, die auf einen kalbenden Glet- – mittels Touristen – in Profit, in Steu- scher weiter hinten in diesem Fjord ereinnahmen, in Arbeitsplätze umwan- hindeuten. Da rumpelt es auch mal am deln lässt. Nicht hinzufahren, so scheint Schiffsrumpf beim Voprbeischrammen es, ist auch keine Lösung – was mich eines Mini-Eisbergs, aber man vertraut zu meiner zu Beginn des Artikels auf- dem Kapitän. Genau wie den Piloten der geworfenen Fragestellung zurückführt, mächtigen schwarzen Zodiac-Schlauch- ob ein Komplettverzicht auf Fernreisen boote, die je 14 Passagiere fassen und eine Lösung im Kampf gegen CO2-Emis- mit denen es bei Regen und Schneetrei- sionen und Erderwärmung sein kann. Unsere Reiseroute ben, aber eben auch Sonnenschein, bei Kann Reisen in begrenztem Umfang Temperaturen um die null Grad jeden also doch die Welt „retten“, so im kon- So was will geplant und organisiert Tag ein, zwei Mal in wasserdichter, war- kreten Fall? Sich solche Gedanken zu sein, viele Hürdem galt es zu bewälti- mer Kleidung aufs Meer hinaus ging. machen, ist ein Luxusproblem, keine gen, immer wieder musste erklärt und Mal wurde ein schmaler Fjord erkundet, Frage, aber widerspruchsfrei und ein- definiert werden, was vegan ist und um hinter einer Biegung plötzlich auf deutig ist eben nichts im Leben, auch wie vegan überhaupt geht. Dazu kam die weißblaue Eiswand eines Gletschers nicht im veganen, ökobewussten Leben. die Erstellung eines abwechslungs- zu stoßen, mal ging es an einen Strand, reichen, kulinarisch anspruchsvol- an dem nur alle paar Wochen, Monate Womit wir bei dem „kuriosen“ len Menüplans, denn wie wir alle wis- oder gar Jahre für ein, zwei Stunden Nebenaspekt dieser Reise sind, die uns sen, sind wir Veganer*innen mehr- ein paar Menschen den Frieden stö- überhaupt hierhin geführt hat: norma- heitlich extreme Leckermäulchen, die ren – sicher wie wir geblendet von der lerweise ist auf diesen Fahrten die Ver- neben der Ausbeutung von Tieren vor unwirklichen Landschaft: mal üppig köstigung so fisch- und fleischlastig, allem eines nicht verzeihen: schlechtes grüne Farne, Sträucher und Bäume, mal Essen. Und so war hier Vieles eine Pre- felsig-eisige Wüste. Wir stolperten über miere, etwa die ganzen Backwaren, die Trampelpfade, Geröll und einige wenige es ohne Eier und Milchprodukte zuzu- Holzbohlenwege, auf Bitten der Guides bereiten galt – alles wurde frisch amn immer leise und respektvoll. Über uns Bord gebacken, niemand kam auf die kreisen bisweilen Kondore, mit etwas Idee, Tiefkühlprodukte zu verwenden –, Glück waren Seelöwen zu beobachten, oder die schiere Menge an Gemüse und Greifvögel ... Man ahnt, dass die Land- Hülsenfrüchten, die 200 vegan lebende schaft zwar karg ist, aber durchaus das Menschen so verputzen können. Wehe, Potenzial hat, Menschen wie einst die da geht 500 Kilometer vom nächsten Ureinwohner zu ernähren. Die es wegen Alles frisch gebacken! Großmarkt entfernt der Vorrat aus! der Ausrottungspolitik der Herrschen- Nun, die Australis-Leute sind Profis, den in den beiden vorangegangen Jahr- wie das eben „normalerweise“ der Fall was man auch besser sein sollte, wenn ist. Hier jedoch, und dank des Organi- man in einem der rauhesten Seegebiete sationstalents von Vegan Travel-Grün- der Welt navigiert, und so wurde auch der Dirk Bocklage, wird die ganze der kulinarische Teil der Reise mit Bra- Woche lang vegan gekocht. Von der nor- vour absolviert – sonst hätten kaum der malen Küchenmannschaft, verstärkt Kapitän und seine Offiziere statt in der um einen chilenischen veganerfahre- Kombüse mit der Mannschaft (ja, die nen Koch aus Santiago und unter Auf- bereitete sich auch mal Fleisch zu ...) sicht von Lena, ihres Zeichens Küchen- jeden Tag mit den Passagieren im Spei- chefin der Münchener Veganinstitu- sesaal vegan gegessen. Eine Geste, die tion Max Pett. Klappt die Veganisierung Respekt und Interesse bewies. Im Schneeregen zu Berge wir ziehen ... des Menüs bei den „normalen“ vega- nen Flusskreuzfahrten in Europa mitt- Unsere Fahrt durch die Fjorde Feu- hunderten hier freilich nicht mehr gibt. lerweile reibungslos, waren die Her- erlands war überwältigend: man stelle Die einzigen Menschen hier sind ein ausforderungen hier noch mal andere: sich eine Schifffahrt durch eine alpine paar Touristen und Fischer, auf man- Punta Arenas ist zwar eine große Stadt, Hochgebirgsregion vor – die Gletscher chen der Inseln dort stationierte Solda- aber eben am Ende der Welt. Woher und Gletscherzungen, es sind allein in ten, und etwa in der Nähe von Puerto ausreichend Tofu und andere typische Feuerland Dutzende, reichen bis an die Williams im Sommer eine gewisse Lebensmittel bekommen in einer Stadt, Küste, aber direkt daneben wechselt die Anzahl von Wanderurlaubern. Und 29
Einfach nur wow! doch ist die Landschaft auf man- Gletscher sich auch wieder ausdehnen, in einem Café ein veganes Sandwich, chen der Inseln nicht so unberührt, ist kein Grund für Entwarnung, son- bekamen Kaffee mit Sojamilch. Auf der wie es scheint: eingeschleppte kanadi- dern ein Effekt von Veränderungen – anderen Seite der Bucht dann die Wie- sche Biber vermehren sich unkontrol- insgesamt nimmt das Eisvolumen ab. dereinreise nach Chile, beim Besuch im liert, verändern Landschaft und Vege- dörflichen Puerto Williams: eine kleine tation, es wird über „Populationskont- Landgänge gibt es auch in der Zivili- rolle“ nachgedacht, und auch nicht jeder sation, etwa im argentinischen Ushuaia, Baum, jeder Strauch ist hier heimisch. wo wir für einen Vormittag anlegen. Mit Was man freilich nur mitbekommt, Punta Arenas und dem auf der anderen wenn man den fachkundigen Ausfüh- Seite der Magellanstraße gelegenen Ört- rungen der Guides folgt, die nebenher chen Puerto Williams streitet man sich um den Titel der südlichsten Stadt der Erde. Doch wo Punta Arenas städtisch wirkt, wirkt Ushuaia provinziell und wirklich wie das Ende der Welt. Zudem sieht man hier deutlich, dass Argenti- Wind, Wellen, Wolken. nien wirtschaftlich erheblich schlechter dasteht als der Nachbar Chile – und wir Marinebasis, eher armselig aussehende sind vor Beginn der Tourismus-Saison Holzhäuser, ein paar Hostels für Wande- hier, die Outdoor-Läden und die Agen- rer – und eine schicke Holzkonstruktion turen der Tourenveranstalter sind noch mit einem mollig warm geheizten Café Autor vor Schiff in Ushuaia. im Winterschlaf. Im Sommer boomt hier darin, dessen Betreiberinnen für die der Wandertourismus – und die Marine veganen Reisenden extra einen Kuchen für wissenschaftliche Studien Notizen spielt eine starke Rolle. Im Hafenbe- gebacken haben: Veganer Apfelstrudel machen, Wildkameras auslesen, Stand reich erinnern martialische Gedenkta- am Ende der Welt. Auch wenn wir satt und Entwicklung von Vegetation beob- feln daran, dass viele der im von Argen- waren, wir hätten es nicht übers Herz achten und dokumentieren für univer- gebracht, hier nichts zu essen.. sitäre Forschungsprojekte. Weiter ging es dann übers Meer, Hauptattraktion sind und bleiben Richtung Kap Hoorn, und der Kapitän freilich die Gletscher, in deren Nähe wir hatte uns gewarnt: sobald wir uns aus mal zu Fuß gelangen, mal im Schlauch- der Deckung der Inselwelt hervorwa- boot, mal mit dem Schiff, immer auf gen, fällt der Wind erbarmunglos über respektvolle Distanz bedacht, denn unser Schiff her. Zeit für die Seekrank- die blauweißen Riesen kalben ständig: heitstabletten, denn je kleiner ein Schiff mal klingt es wie ein Schuss, mal wie ist, desto mehr schaukelt es auch. Man ein Gewittergrollen, wenn vorne an der gewinnt großen Respekt für die Men- Zunge Eisblöcke abbrechen und mit schen, die hier einst in Kanus manöv- Getöse ins Wasser stürzen, recht große rierten, später in immer noch erstaunlich Wellen erzeugend – man ahnt, dass das kleinen Segelschiffen – die Nässe, die schnell unangenehm werden kann in Kälte, der Wind, kein Essen ... Wir hin- so einem engen Fjord. Die Gletscher gegen reisen bequem und warm. Dann Patagoniens, auch das können die Wis- Auf Exkursion Kap Hoorn, morgens um halb sieben. An senschaftler und hier in Feuerland Landgang nicht zu denken, keine Wan- auch die Besatzungen der Expeditions- tinien angezettelten Falklandkrieg getö- derung die steilen Treppen hinauf zum schiffe beobachten, ziehen sich zurück, teten Soldaten aus dieser Stadt stamm- Leuchtturm, bewohnt von einem chile- das mächtige Inlandeis, das sie speist, ten. Uns haben ein paar Stunden hier nischen Marinesoldaten mit Frau und wird weniger. Dass ein paar wenige gereicht – und selbst hier fanden wir Kindern – ein Jahr in der Einsamkeit. 30
Knapp 250 km/h Windgeschwindig- Beiwerk, die Tiere ignorieren die Beob- keit vermeldet der Kapitän, das Schiff achter gefühlt noch nicht mal. Ein ein- kreist vor der Insel Isla de Hornos, der maliges Erlebnis kurz nach Sonnenauf- Himmel reißt auf, dramatisches Licht, gang bei strahlend blauem Himmel. ein ständiger Wechsel von Sonne und Wolken. Wir torkeln über das schwan- Kurz darauf ist die Expeditionsfahrt kende Deck, jeder schießt zig Fotos, zu Ende. Der Abschied von vielen net- denn weiter südlich gen Antarktis wer- ten Menschen aus aller Welt, die meis- den wir in unserem Leben nicht mehr ten vegan lebend. Diese Kontakte, der kommen. Weniger als drei Tage Fahrt Austausch mit Amerikanern, Briten, wären es, weniger als tausend Kilome- Belgiern, Holländern, Kanadiern, Deut- ter, bis zum nördlichsten Ausläufer des schen ist immer wieder interessant und vereisten Südkontinents. Wir denken an schon aus dem Grund ist so eine Fahrt die rund 10.000 toten Seeleute hier im mit Gleichgesinnten immer so wohltu- Meer, gehen unter Deck, genießen das end und entspannend. Dazu muss es gar Frühstück und lassen uns im Warmen in nicht bis ans Ende der Welt gehen, dafür ruhigeres Gewässer schippern. tut es auch eine vegane Flusskreuzfahrt auf dem Rhein. Dann eben ohne Pingu- Mit kleinen Zwischenstopps geht es ine und Gletscher. über die „Gletscherallee“ zurück Rich- tung Punta Arenas, im Viertelstunden- Für uns und andere ging die Reise takt passiert man hier die Eiszungen, aber noch ein paar Tage weiter, denn während man – die Absurdität der Situ- von Punta Arenas ist man individuell ation ist jedem bewusst – gemütlich in oder per Bus in zwei bis drei Stunden in der Panorama-Lounge sitzt, zwischen- durch noch einem der Vorträge des Expeditionsleiters lauscht, in denen es etwa um Kartografie, Flora und Fauna oder die Urbevölkerung geht. Die täg- liche arte-TV-Doku „in echt“, vor den Fenstern, wie beim Vortrag. Kurz vor der Ausschiffung noch ein letz- ter unwirklicher Ausflug zur Isla Mag- dalena, nahe Punta Arenas: nur in der Brutsaison versammeln sich auf die- Im Torres del Peine-Nationalpark ser kahlen Grasinsel, die von einem rotweißen Leuchtturm gekrönt wird, Puerto Natales, einer quirligen, deutlich hunderte, vielleicht tausende Magel- von Backpacker- und Trekking-Touris- lan-Pinguine, die sich durch das Feh- mus beherrschten Kleinstadt rund 200 len jeglicher Scheu vor dem Menschen km nordwestlich, von wo aus es wiede- auszeichnen. Unter strenger Aufsicht rum nur rund zwei Stunden Autofahrt der Nationalpark-Ranger darf eine zum Nationalpark Torres del Peine sind – dem touristischen Hotspot im Süden von Patagonien. Man kann wandernd und kletternd Wochen in diesem Nati- onalpark mit seinem wilden Wechsel von Wald, Seen, Hochgebirge und Glet- schern zubringen – oder wie wir nur einen Tag. Auf dem Weg dorthin – ent- weder in kleinen Reisegruppen oder im Mietwagen machbar – muss man an der beeindruckenden Riesenhöhle Cueva ... Pinguine! del Milodón halten. Im 19. Jahrhundert fand dort ein deutscher Auswanderer begrenzte Anzahl Besucher über den und Farmer ein mumifiziertes, tausende angelegten Rundweg laufen – die Pin- Jahre altes Riesenfaultier – spätestens guine haben Vorfahrt – und die Tiere dann weiß man, dass die Metallstatue beobachten, die sich durch uns wirk- im Kreisverkehr an der Ortseinfahrt von lich nicht im Geringsten bei der Braut- Puerto Natales nicht Godzilla darstellen schau und Brüten in ihren Erdhöhlen soll. Auf staubiger Schotterpiste ging es stören lassen. Der Mensch ist hier nur weiter zum Eingang des Nationalparks. 31
Rund 27 Euro pro Person kostet der Ein- nach zwei Nächten weiter, zurück nach ter Seitan ist dabei – ich bekomme eine tritt – Tourismus in Chile ist nicht billig. Punta Arenas, zum Flughafen und nach Ahnung, wie chilenische Hausmanns- Santiago. Auch wenn es nur zwei Stun- kost geht. Hier sind keine Vegan-Hips- Wir fuhren weiter zum Lago Grey, dem den Fahrt sind, gewinnt man doch einen ter am Werk, sondern Szene-Menschen, Schmelzwassersee an der Zunge des wunderbaren Eindruck von der end- das gefällt, und man erkennt das auch mächtigen Grey-Gletschers. Dort und los wirkenden Weite und Leere der pat- am Publikum. Und auch der Pisco Sour an anderen Stellen im Nationalpark fin- agonischen Pampa – hier und da eine ist exzellent und wie das Essen günstig. det man ein Hotel, doch auch hier gilt: kleine Siedlung oder eine Farm entlang Der Friseur nebenan ist weit über acht- billig geht anders. Erstaunt zur Kennt- der schnurgeraden Straße, Himmel, Wol- zig, man kann da auch T-Shirts bedru- nis genommen haben wir das expli- ken und weit entfernte Berge bilden eine cken lassen, und irgendwie haben ihn zit als vegan ausgewiesene Linsencurry beeindruckende Kulisse. seine Nachbarn „übernommen“, denn im Ausflugslokal des Glacier Bay Bush hier bekommt man eine große Auswahl Camps, bevor durch die Schotterebene Schnell waren wir zurück im Trubel cooler veganer Motive. am Seeende zum Aussichtspunkt wan- der chilenischen Hauptstadt, erkunde- derten. Anschließend fuhren wir weiter Am nächsten Morgen stürzen wir uns durch den Park, mussten gefühlt alle 500 ein letztes Mal für ein paar Stunden in Meter vor der überwältigenden Aussicht den Großstadtrummel. Alle Reisefüh- kapitulieren und fotografieren. Erfreu- rer verweisen auf den Mercado Central, licherweise posierten auch Guanakos der aber letztlich nur eine Ansammlung (die wilden Verwandten der Lamas) und fleisch- und fischlastiger Restaurants Nandus (der kleine Bruder des Straußes) für Touristen ist. Interessant wird es erst für uns. Auch wenn auf der Karte alles auf der anderen Seite des Flusses: Hier größer aussah, schafften wir an einem ist das Vegan-Paradies! Auf einer Flä- Tag entspannt die Highlights des Parks, che von mehreren Fußballfeldern erstre- inklusive kleiner Wanderungen, und hat- cken sich die Markthallen, in denen man ten nicht das Gefühl, da „durchgehetzt“ eine unfassbare Vielfalt an Gemüse und zu sein. Aber natürlich kann man hier Obst entdeckt (und ja, auch etwas Fisch auch Wochen verbringen. und Fleisch). Nie habe ich so viele mir Vorfreude! unbekannte Früchte gesehen, alle For- Kaum zurück in unserem Hostel, mach- men und Farben – was immer der Boden ten wir uns ein zweites Mal auf in den ten noch einmal die Altstadt, verharr- in Chile hergibt, hier kann man es kau- Vegan-Hotspot von Puerto Natales, das ten vor La Moneda, wo 1973 das chile- fen, teilweise zu Spottpreisen. Restau- nische Militär unter den wohlwollen- rants wie Endverbraucher kaufen hier den Augen von CIA und US-Regierung den linken Präsidenten Salvador Allende wegputschte und ermordete und statt- dessen den faschistischen Diktator Pino- chet einsetzte – die damals geschlagenen Wunden sind in der chilenischen Gesell- schaft bis heute nicht verheilt. In einer der beeindruckenden alten Einkaufs- passagen spüren wir das Restaurant El Living, Puerto Natales Soju vegan auf, das bei Happy Cow unser Interesse geweckt hat, weil hier güns- Adios, Chile. vom Briten Jeremy betriebene El Living- tige veganisierte chilenische Küche ver- Restaurant. „Homemade, healthy and ein, wir staunen über fünf verschiedene vegetarian“ lautet das Motto des gemüt- Sorten Paltas (wie Avocados hier heißen) lichen Cafés, das auch viele vegane Spei- an Ständen, die nur Paltas anbieten – sen anbietet – hier kann man es aushal- bergeweise! Wir bereuen es zutiefst, von ten. Wie auch in der Last Hope-Bar, die hier nichts mitnehmen zu können – über sich rühmt, den südlichsten Gin der Welt Wochen könnten wir uns hier durchtes- zu destillieren, natürlich mit patagoni- ten, Neues entdecken. Wir kaufen ein schen Botanicals wie der Calafate-Beere. paar Paltas, verpacken sie gut und neh- Eine beeindruckende Gin- und Whiskey- men ein Taxi zum Flughafen – mit dem Auswahl findet der Spirituosen-Gourmet Wissen, dass uns nun 24 Stunden Air- in der gemütlichen, von einem Austra- Paltas, überall Paltas! line-Fraß erwarten. lier geführten Bar. Aufgrund des inter- nationalen, jungen Publikums ist Puerto sprochen wird. In der Tat, Burger, Fala- Joachim Hiller Natales während der Tourismus-Saison fel und Co. bekommen wir überall auf www.vegan-cruises.co/de ein nettes Städtchen, wo man gerne ein der Welt, also: eat local. Die Gerichte sind paar Tage verbringt. Wir mussten schon eher „basic“, vleischlastig, selbstgemach- Offenlegung: Der Autor bekam vom Veranstalter Vegan Travel eine Kabine gestellt, die Anreise wurde selbst bezahlt. 32
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