Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen

 
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Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
Das Magazin der
Nr. 1                              Aerztegesellschaft des
Februar 2019                               Kantons Bern

Themen dieser Ausgabe

Politische Kampagne
der BEKAG

Befragung staats.be

Behandlung bei
­Depressionen

                        doc.be 01/2019 Editorial       1
Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
Ärzte und Patienten –
                               miteinander, füreinander

                               Auch im Jahr 2019 sehen wir uns mit grossen Herausforderun­
                               gen konfrontiert. Auf politischer Ebene werden das sicher die
                               sogenannten Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der
                               OKP des Bundesrates sein. Diese zielen in etlichen Punkten
                               in eine Richtung, welche sicher nicht im Interesse der Sache ist.
                               Statt eines der besten Gesundheitssysteme der Welt aufrecht­
                               zuerhalten, wird dieses gefährdet. Leidtragende wären vor
                               ­allem unsere Patientinnen und Patienten, aber auch wir Ärztin­
                                nen und Ärzte.

                               2019 steht aber auch die Wiederwahl der eidgenössischen
                               Räte an, welche über diese Massnahmen befinden werden. Wer
                               ist nun der Wähler der Parlamentarier? Wer hat in unserer
                               ­direkten Demokratie das letzte Wort? Es sind die Stimmbürger,
                                letztendlich also unsere Patientinnen und Patienten. Sie ent­
                                scheiden über ihre und unsere Zukunft, sie stellen die Weichen.
                                Und wir sind aufgerufen, sie zu beraten und zu begleiten.
                                Denn wir kennen ihre Bedürfnisse und Anliegen, aber auch
                                Lösungen für ihre Probleme am besten.

                               Der Vorstand der BEKAG hat deshalb – gerade im Hinblick
                               auf die anstehenden Beschlüsse über die Kostendämpfungs­
                               massnahmen – entschieden, eine Kampagne zu starten (wir
                               ­berichten in dieser Ausgabe des doc.be darüber). Diese soll
                                dazu beitragen, die Entscheidungsträger in der Politik darauf
                                hinzuweisen, was ihre Wählerinnen und Wähler beschäftigt,
                                was sie erwarten und brauchen, ihnen aber auch aufzuzeigen,
                                dass Patienten und Ärzte bei der Reform des Gesundheits­
                                wesens Verbündete sind. Weil sie dasselbe Ziel verfolgen: Ein
                                qualitativ hochstehendes, patientenzentriertes Gesundheits­
                                system, in welchem die vorhandenen Ressourcen optimal ge­
                                nutzt ­werden.

                               Ärzte und Patienten – natürliche Verbündete – miteinander,
                               füreinander.

                               Dr. med. Rainer Felber
                               Vizepräsident Aerztegesellschaft des Kantons Bern

2   doc.be 01/2019 Editorial
Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
Inhalt                                    MAS-Erhebung: Eingabefrist
                                               endet am 28. Februar 2019

4    Ärzte und Patienten sind
     ­Verbündete
                                               Seit dem 12. November 2018 läuft die
                                               Erhebung MAS 2017 des Bundesamtes für
                                                                                            unklar ist, zu welchen Zwecken genau
                                                                                            die Daten weiterverwendet werden.
      Die BEKAG zeigt mit einer politischen    Statistik (BfS). Wir haben Sie im BEKAG-­
      Kampagne auf, was Ärzte und Patienten    Newsletter vom 9. November 2018 orien-       Das heisst konkret: Bevor Sie die Daten
      von der Politik erwarten.                tiert.                                       einreichen, werden Sie gefragt, ob Sie die
                                                                                            Daten zu statistischen und zu aufsichts-

6    Einer allein kann’s nicht
     richten
                                               Falls Sie Ihre Daten noch nicht einge-
                                               reicht haben, unterstützt PonteNova Sie
                                                                                            rechtlichen Zwecken liefern wollen. Bitte
                                                                                            entfernen Sie das Gut-Zeichen aus dem
     An der «Academy on Health Care Policy»    gerne beim Ausfüllen des MAS-Fragebo-        Kästchen «Verwendung zu aufsichtsrecht-
     präsentierten zahlreiche Akteure          gens (Link: www.pontenova.ch/Aerzte/         lichen Zwecken».
     des Gesundheitswesens ihre Sicht auf      MAS-Fragebogen-PonteNova.htm).
     aktuelle Schwierigkeiten.
                                               Empfehlungen der BEKAG

8    Berner Studenten bleiben
     Bern treu
                                               Wir empfehlen, die MAS-Erhebung aus-
                                               zufüllen und nur zu statistischen ­Zwecken
     Die BEKAG hat nachgefragt, wie            an das BfS zu übermitteln.
     Staatsexamensabsolventinnen
     und -absolventen ihre Zukunft sehen.      Von einer aufsichtsrechtlichen Daten­
                                               lieferung raten wir ab, da nach wie vor

10   «Nur als aktives Mitglied kann
     man mitgestalten»
     Das neue BEKAG-Vorstandsmitglied
     Dr. med. Matthias Streich im Gespräch.

12   Bessere Behandlung für
     ­depressive Personen
      Nur eine Minderheit von depressiven
      Personen wird rechtzeitig und adäquat
      behandelt. Das Projekt «Stepped
      Care Kanton Bern» will dies ändern und
      bietet insbesondere Hausärzten Unter-
      stützung.

14   «Problematisch wird es, wenn
     die Alternativen ausgehen»
                                                                                            Impressum
                                                                                            doc.be, Organ der Aerztegesellschaft des Kantons
     Spitalapotheker Enea Martinelli über                                                   Bern; Herausgeber: Aerztegesellschaft des Kantons
     ­Lieferengpässe bei Medikamenten und                                                   Bern, Postgasse 19, 3000 Bern 8 / erscheint
     die Globalisierung im Pharmamarkt.                                                     6 × jährlich; verantwortlich für den Inhalt:
                                                                                            Vorstands­ausschuss der Aerztegesellschaft des

16   Die Ärzte sind die falschen
     Sündenböcke
                                                                                            Kantons Bern; Redaktion: Marco Tackenberg,
                                                                                            Simone Keller und Markus Gubler, Presse- und
     «Wer ist schuld am ungebremsten                                                        ­Informationsdienst BEKAG, Postgasse 19,
     Kostenwachstum?», fragt Simon Hehli                                                    3000 Bern 8, T 031 310 20 99, F 031 310 20 82;
     von der NZZ.                                                                           ­tackenberg@forumpr.ch, keller@forumpr.ch,
                                                                                            ­gubler@forumpr.ch; Inserate: Simone Keller,
                                                                                            keller@forumpr.ch; Gestaltung / Layout: Definitiv
                                                                                            Design, Bern; Druck: Druckerei Hofer Bümpliz AG,
                                                                                            3018 Bern; Titelbild: Bruno Züttel

                                                                                            Äusserungen unserer Gesprächspartner und Beiträge
                                                                                            von Dritten geben deren eigene Auffassungen
                                                                                            wieder. Das doc.be macht sich Äusserungen seiner
                                                                                            Gesprächspartner in Interviews und Artikeln nicht
                                                                                            zu eigen.

                                                                                               doc.be 01/2019 Neuigkeiten                       3
Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
Ärzte und
                                          ­Patienten sind
                                          Verbündete
                                           Prämienzahler sind Patienten sind
                                            Stimmbürger. Der Vorstand der BEKAG
                                            hat beschlossen, mit einer politischen
                                           ­Kampagne kundzutun, was Ärzte und
                                            Patienten von der Politik erwarten. Damit
                                            bereitet er ein mögliches Referendum
                                            gegen die vom Bundesrat vorgeschlagenen
                                            Kostendämpfungsmassnahmen vor.

                                           Text: Marco Tackenberg, Leiter Presse-          Kampagne für ein mögliches
                                           und Informationsdienst                         ­Referendum
                                                                                          Diese gefährliche Entwicklung verpflichtet
                                           Die Gesundheitskosten beschäftigen die         die BEKAG, sich in die aktuelle Debatte
                                           Menschen in der Schweiz. Steigende Kran-       zur Gesundheitspolitik einzubringen. Die
                                           kenkassenprämien können vor allem Fa-          BEKAG setzt sich ein für ein Gesundheits-
                                           milien vor ein finanzielles Problem stellen.   wesen, das dem Patienten dient und bezahl-
                                           Prämienzahler sind meist auch Stimm­           bar ist. Die Massnahmen dürfen nicht zu
                                           bürgerinnen und Stimmbürger – daraus           Lasten der Patientenschaft gehen. Alles ist
                                           ergibt sich, dass die Politik sich dem The-    zu unterlassen, was das Vertrauensverhält-
                                           ma annimmt, besonders in einem Wahl-           nis zwischen Arzt und Patient beschädigt.
                                           jahr. Auch der Bundesrat hat sich mit dem
                                           breit rezensierten Expertenbericht «Kosten­
                                           dämpfungsmassnahmen zur Entlastung der        «Die BEKAG setzt
                                           OKP» positioniert. Geht es in die von der      sich ein für ein Gesund-
                                           Regierung vorgezeichnete Richtung, dann
                                           bewegen wir uns hin zu Pauschalen und zur
                                                                                          heitswesen, das
                                           Einführung eines Globalbudgets.                dem Patienten dient
                                                                                          und bezahlbar ist.»
                                           Der BEKAG-Vorstand hat an seiner Klau-
                                           surtagung vom 16. August 2018 über die         Der Vorstand hat deshalb beschlossen, eine
                                           bundesrätlichen Massnahmen diskutiert          Kampagne für ein mögliches Referendum
                                           und ist zum Schluss gekommen, dass ein         gegen die vom Bundesrat vorgeschlagenen
                                           Grossteil der vorgeschlagenen Eingriffe die    Kostendämpfungsmassnahmen zu ­führen.
                                           Bürokratie erhöht. Vieles ginge zu Lasten      Mit dieser Aufgabe wurde ­      Hermann
                                           von Patientinnen und Patienten. Und damit      Strittmatter, Werbeagentur GGK Zürich,
                                           wird nichts weniger in Frage gestellt, als     betraut. Er begleitet nationale politische
                                           was die Schweiz heute auszeichnet: Eines       Kampagnen seit vielen Jahren erfolgreich.
                                           der besten Gesundheitssysteme der Welt.

4   doc.be 01/2019 Politische Kampagne der Aerztegesellschaft des Kantons Bern
Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
«Immer mehr Zeit für Büro-                                                                                                           «Ich finde es grundfalsch,
         kratie aufwenden zu müssen                                                                                                           dass ich wegen der Büro-
         statt für uns Patienten,                                                                                                             kratie immer weniger Zeit
         finde ich skandalös.»                                                                                                                für meine Patienten habe.»

                                                                                     Ärzte und Patienten –
      www.aerzte-und-patienten.ch
      Aerztegesellschaft des Kantons Bern, Postgasse 19, Postfach, 3000 Bern 8       miteinander, füreinander.

                                                                                     «Ich will von meinem                                                                    «Ich wehre mich, meine
                                                                                     Arzt nicht als Kostenfaktor                                                             Patienten als Kosten-
                                                                                     betrachtet werden.»                                                                     faktoren zu behandeln.»

                                                                                                                                                            Ärzte und Patienten –
                                                                                 www.aerzte-und-patienten.ch
                                                                                 Aerztegesellschaft des Kantons Bern, Postgasse 19, Postfach, 3000 Bern 8   miteinander, füreinander.

Die politische Kampagne der
                                                                                                              «Die Kampagne der                                                   optimal erfüllen zu können. Die Patienten
BEKAG mit fiktiven Dialogen                                                                                                                                                       sind der wichtigste Partner für die Anliegen
zwischen Arzt und Patient
                                                                                                               ­BEKAG soll dazu                                                   der Ärzteschaft. Und umgekehrt. Darauf
startet im März 2019.                                                                                            beitragen, der Politik                                           bauen wir auf.
                                                                                                                 klar zu machen, was
                                                                                                              ­Wählerinnen und ­Wähler                                            Die Kampagne startet mit der Frühjahrs-
                                                                                                                 beschäftigt, was sie                                             session des eidgenössischen Parlaments am
                                                                                                                ­erwarten, brauchen                                               4. März 2019 mit Railposters und Zeitungs-
                                                                                                                                                                                  inseraten. Auf diesen Zeitpunkt hin wird
                                                                                                               und wollen.»                                                       auch die Kampagnenwebseite www.aerzte-
                                                                                                                                                                                  und-patienten.ch aufgeschaltet. In Ergän-
                                                                                                              Was die Wählerschaft beschäftigt                                    zung dazu werden Kommunikationsmittel
                                                                                                              Die Kampagne der BEKAG setzt dabei auf                              für die Praxen der BEKAG-Mitglieder ge-
                                                                                                              politisches Lobbying per direkte Demokra-                           plant. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
                                                                                                              tie. Die Patienten und die Ärzteschaft sind
                                                                                                              Verbündete bei der Reform des Gesund-
                                                                                                              heitswesens. Wir lassen deshalb die Patien-
                                                                                                              ten sprechen. Die Kampagne der ­BEKAG
                                                                                                              soll dazu beitragen, der ­  Politik klar zu
                                                                                                              machen, was Wählerinnen und Wähler be-
                                                                                                              schäftigt, was sie erwarten, brauchen und
                                                                                                              wollen. Wir lassen die Patienten sagen, was
                                                                                                              sie von Ärztinnen und Ärzten erwarten und
                                                                                                              was sie ihnen im eigenen Interesse gerne zu-
                                                                                                              billigen. In der Form von fiktiven Dialogen
                                                                                                              zwischen Patient und Arzt sagen wir, was
                                                                                                              wir von der Politik erwarten, um unsere
                                                                                                              Aufgabe im Dienste der Patienten und des
                                                                                                              gesamten Gesundheitswesens der Schweiz

                                                                                                                                            doc.be 01/2019 Politische Kampagne der Aerztegesellschaft des Kantons Bern      5
Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
Einer allein kann’s
                           nicht richten
                           Hört man Experten aus verschiedenen Blick­
                           winkeln zum Thema «Reformen im Gesundheits­
                           wesen» sprechen, wird klar: Die Suche nach
                           gemeinsamen Lösungen nimmt noch lange kein
                           Ende.

                           Text: Simone Keller, Presse- und                       Geht das denn überhaupt, ein solch komplexes
                           Informationsdienst                                     ­System zentral zu steuern? «Das ist ein vermes-
                           Bild: mmconsult volante GmbH                            sener Anspruch!», sagt Felix Schneuwly, Gesund-
                                                                                   heitsexperte vom Vergleichsdienst Comparis. Und
                           Das Schweizer Gesundheitssystem ist komplex; die       er hinterfragt den Einflussbereich der Politik kri-
                           beteiligten Akteure sind zahlreich und sie verfol-      tisch: «Vielleicht können wir mit Politik nicht alles
                           gen unterschiedliche – teils gegensätzliche – Inte-     beeinflussen, was die Kosten in die Höhe treibt. Ich
                           ressen. Das ist altbekannt. Warum nicht Vertreter      denke da etwa an die steigende Lebenserwartung
                           der verschiedenen Bereiche an einen Tisch bringen       und Lebensqualität.»
                           und gemeinsam über Reformen im Gesundheits-
                           wesen diskutieren? Das dachten sich die Organi-        Bewegung auf den Baustellen
                           satoren der «Academy on Health Care Policy» und        Pius Zängerle, Direktor von Curafutura, ortet vier
                           luden im November 2018 in die Schmiedstube in          Grossbaustellen im Gesundheitssystem: Erstens die
                           Bern ein.                                              Finanzierung. Ambulante Leistungen werden zu
                                                                                  100 % durch Prämien bezahlt, stationäre Leistun-
                           Wo kein Ziel ist, ist auch kein Weg                    gen zu 45 % durch Prämien und 55 % durch Steu-
                           Der bundesrätliche Expertenbericht zur Kosten-         ern. Diese ungleiche Finanzierung schafft monetäre
                           dämpfung im Gesundheitswesen sei ein Sammel-           Fehlanreize und führt zu Fehl- und Überversorgung.
                           surium von Massnahmen, die weder neu noch              Die einheitliche Finanzierung von ambulant und
                           innovativ seien, sagt Thomas Weibel. Er kennt die      stationär (EFAS) ist aus Sicht der Versicherten rele-
                           nationale Gesundheitspolitik gut. Seit 2007 sitzt      vant. EFAS spart Kosten. Diese Einsparungen kön-
                           er in der Kommission für soziale Sicherheit und        nen die Krankenversicherer an die Prämienzahler
                           Gesundheit des Nationalrats. Weibel erwartet von       weitergeben. Der Spital­apotheker Enea Martinelli
                           der Politik, dass sie eine Richtung vorgibt: «In der   mahnt, bei diesem Modell auch an die Spitäler zu
                           Schweiz gibt es zahlreiche nationale Gesundheits-      denken. Diese stehen wegen der Verschiebung von
                           strategien. Zum Beispiel die Nationale Krebsstra-      stationär zu ambulant enorm unter Kostendruck.
                           tegie oder die Strategie für Palliativ-Care. Was wir
                           aber in erster Linie brauchen, sind Gesundheits-
                           ziele!» Zuerst die Ziele, dann die Strategie, lautet   Die zweite Baustelle ist gemäss Zängerle die
                           die Devise. Und diese Strategie soll Rahmenbedin-      ­ ulassung: «Es braucht eine qualitätsorientierte
                                                                                  Z
                           gungen für Leistungserbringer wie Leistungsbezie-      Zulassung von ambulanten Leistungserbringern
                           her so setzen, dass das nicht-medizinische Kosten-     und gleich lange Spiesse für Spitäler und nieder-
                           wachstum gebremst wird.                                gelassene Ärzteschaft». Die dritte Baustelle lautet
                                                                                  Tarifierung. Die Ärztevereinigung FMH und der

6   doc.be 01/2019 Herbst-Academy on Health Care Policy
Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
Von links: Felix Schneuwly,       Kassenverband Curafutura haben sich im Novem-          Globalbudget formiert, wird vom Gesundheits­
Urs Stoffel, Pius Zängerle,       ber auf eine Vorstufe zu einem neuen Ärztetarif        ökonomen Willy Oggier wissenschaftlich unter-
Thomas Weibel, Willy Oggier,      geeinigt. In der nächsten Etappe geht es nun um        mauert: «Ein Vergleich über alle Länder zeigt:
Gregor Pfister, Enea Martinelli   die Regeln zur Anwendung und zur Abrechnung.           Die Höhe des Kostenwachstums ist vergleichbar,
                                  Die vierte Baustelle betrifft die Qualität: Es brau-   egal welches Gesundheitssystem zugrunde liegt.
                                  che wirkungsvolle qualitätsverbessernde Mass-          Globalbudgets sind unfair, denn sie sind immer
                                  nahmen, denen alle Tarifpartner verpflichtet sind.     losgelöst vom tatsächlichen Bedarf.» Er erinnert
                                  Zängerle ruft zur Zusammenarbeit auf und zeigt         daran, dass vor der Einführung des Krankenver-
                                  sich optimistisch: «Wir sehen auf allen vier Bau-      sicherungsgesetzes mit Deckeln gearbeitet wurde –
                                  stellen viel Bewegung.»                                davon wollte man wegkommen. Oggier warnt da-
                                                                                         vor, zu fest auf die Kosten zu fokussieren und dabei
                                  Differenzierter Dialog                                 die Qualität zu vergessen: «Eine Kostendiskussion
                                  Weniger optimistisch sieht Martinelli die aktuellen    muss zwingend den Nutzen oder die Auswirkun-
                                  Debatten: «Es geht immer nur um Kosten. Und            gen auf die Patienten berücksichtigen!» Diesem
                                  es wird immer pauschalisiert! Die differenzierte       Votum schliesst sich Felix Schneuwly an und gibt
                                  Diskussion fehlt.» Wenn man an einem Ort et-           den Anwesenden folgenden Rat: «Mein Appell als
                                  was verändert, hat dies Auswirkungen auf andere        Bürger lautet: Ich möchte ein möglichst flexibles
                                  Stellen im System – das wird gemäss Martinelli zu      System, das auf meine individuellen Präferenzen
                                  wenig berücksichtigt. «Es ist eben kompliziert, das    eingeht. Denn am Schluss bin ich es, der zahlt.»
                                  Gesundheitswesen», so der Chefapotheker. Auch
                                  Nationalrat Weibel wünscht sich bessere Debatten:      Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Koope-
                                  «Es muss zwingend Einigung über Begrifflichkei-         ration zwischen doc.be und dem Swiss Dental
                                  ten bestehen – sonst funktioniert der Dialog nicht.    ­Journal SSO.
                                  Derzeit haben wir ein regelrechtes Begriffswirr-
                                  warr!» Die Probleme beim Dialog liegen aber auch
                                  anderswo. Schneuwly formuliert es treffend: «Alle
                                  wollen steuern, aber wir haben gar kein gemein­
                                  sames Ziel.»

                                  Qualität vor Kosten
                                  Wie immer, wenn in jüngster Zeit über kosten-
                                  dämpfende Massnahmen debattiert wird, darf
                                  das Globalbudget nicht fehlen. Der rege Wider-
                                  stand, der sich von verschiedenen Seiten gegen ein

                                                                                  doc.be 01/2019 Herbst-Academy on Health Care Policy      7
Politische Kampagne der BEKAG Befragung staats.be Behandlung bei Depressionen
Berner
                                         ­Studenten
                                          ­bleiben
                                           Bern treu
                                          Spital oder Praxis, Vollzeit oder Teilzeit,
                                          Chirurgie oder Radiologie: Was bewegt
                                          die junge Ärztegeneration? Die BEKAG
                                          hat nachgefragt.

                                          Text: Simone Keller, Presse- und              weil sie der Aufbau des Studiums und die
                                          Informationsdienst                            wissenschaftliche Ausrichtung anspricht.
                                                                                        Auch die Empfehlung durch Bekannte und
                                         Es ist die Generation Y, die zwischen 1981     Familienangehörige hat einen Einfluss auf
                                         und 2000 Geborenen, die derzeit in den Ar-     die Wahl (8 %).
                                         beitsmarkt drängt. An ihren ­A rbeitgeber
                                         stellen die Ypsiloner hohe Ansprüche:
                                         Autonomie, Selbstverwirklichung und In-
                                         dividualismus werden gross geschrieben.        Hausarztberuf wieder beliebter
                                         Sie wollen eine ausgewogene Work-Life-­        Nähere Erkenntnisse zum Hausarztberuf liefert
                                         Balance, sind aber gleichzeitig bereit, sich   eine schweizweite Umfrage des Berner Instituts für
                                         stetig weiterzubilden.                         Hausarztmedizin (BIHAM). Gemäss ersten Resulta-
                                                                                        ten will am Ende des Studiums ein Fünftel (19 %)
                                          Die Aerztegesellschaft des Kantons Bern       aller Medizinstudierenden in der Schweiz Hausarzt
                                          wollte wissen, was den Nachwuchs beschäf-     oder Hausärztin werden. 42 % sehen die Hausarzt-
                                          tigt. Sie hat deshalb im Sommer 2018 eine     medizin als Option, 24 % hingegen schliessen diese
                                          Befragung bei den Staatsexamensabsol-         Richtung aus. Den Entscheid, in die Hausarztmedi-
                                          ventinnen und -absolventen der Universität    zin zu gehen, fällen die Studierenden mehrheitlich
                                          Bern durchgeführt. An der Umfrage teil-       (fast 50 %) im 5. oder 6. Studienjahr. Ungefähr 20 %
                                          genommen haben 66 Personen, was einer         beginnen mit diesem Berufswunsch das S­ tudium.
                                          Rücklaufquote von 46 % entspricht. Im
                                          Folgenden werden ausgewählte Resultate        Für die Hausarztmedizin sprechen gemäss der
                                          präsentiert.                                  Umfrage des BIHAM die Arzt-Patienten-­Beziehung,
                                                                                        die Arbeitsautonomie und die Möglichkeiten zur
                                          Wahl der Universität                          Teilzeitarbeit. Hingegen nennen die Antwortenden
                                          Knapp die Hälfte (48 %) wählt die Univer-     das Einkommen, die Karrieremöglichkeiten und
                                          sität Bern aus praktischen Gründen: Sie       das politische Umfeld als Gründe gegen einen
                                          liegt in der Nähe des Wohnortes und der Fa-   Schritt in die Hausarztmedizin.
                                          milie. 32 % entscheiden sich für diese Uni,

8   doc.be 01/2019 Befragung Staatsexamensabsolventen
Karriereplanung                                        Fachrichtung                                             Zukunfts­
                                                                                                                perspektiven

                                                       71 %
Zum Zeitpunkt des Staatsexamens ist der grösste
Teil der Absolventen motiviert, als Arzt oder Ärztin                                                            Die Treue zum Kanton Bern hält auch in Zukunft
tätig zu sein.                                                                                                  an:

94 %                                                                                                            55 %
                                                       der Antwortenden haben zum
                                                       Zeitpunkt des Staatsexamens bereits
                                                       entschieden, welche Fachrichtung
                                                       sie anstreben.
beginnen gleich nach Abschluss mit                                                                               möchten in zehn Jahren hier
der Assistenzzeit.                                     Fast die Hälfte will in die allgemeine                   ­praktizieren.
                                                       innere Medizin (AIM), nämlich

                                                       48 %
Je 3 % nehmen eine berufliche Auszeit oder orien-                                                                Ungefähr 5 % aller Antwortenden sehen sich in
tieren sich beruflich neu. Letztere streben keine                                                               zehn Jahren in der Forschung. 44 % wollen in
klinische Tätigkeit an.                                                                                         ­einem Spital tätig sein, 51 % ziehen die Praxis vor
                                                                                                                (3 % Einzelpraxis, 48 % Gruppenpraxis). Die Ten-

62 %
                                                                                                                 denz geht also klar in Richtung Gruppenpraxis:
                                                       An zweiter Stelle folgt die Gynäkologie und Ge-

                                                                                                                5%
                                                       burtshilfe (10 %), an dritter die Kinder- und Jugend­
                                                       medizin (6 %). Die Gründe für AIM sind vielfältig: das
bleiben für die Weiterbildung im                       spannende Fachgebiet an sich, das breite Angebot
Kanton Bern.                                           an Stellen und die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten
                                                       in Praxis und Spital.                                    der Antwortenden möchten eine
Die Gründe hierfür liegen in der geographischen                                                                 eigene Praxis führen, während
Nähe zum Wohnort und zur Familie oder in der be-                                                                47 % zusammen mit einem Kollegen
ruflichen Tätigkeit: Ein Drittel bleibt wegen einer                                                             oder einer Kollegin eine Praxis­
interessanten Stelle an einem Ausbildungsspital                                                                 gemeinschaft leiten wollen.
im Kanton Bern. Diejenigen, die den Kanton verlas-
sen, zieht es überwiegend in die Kantone Luzern,                                                                Die übrigen 48 % möchten sich anstellen lassen.
Solothurn und Aargau.
                                                                                                                Auch beim Pensum zeigt sich ein klarer Trend:
                                                                                                                69 % wollen Teilzeit arbeiten, 31 % Vollzeit. Bei
                                                                                                                den Teilzeitkandidaten liegt das Wunschpensum
                                                                                                                der Mehrheit (74 %) zwischen 51 und 80 %. Knapp
                                                                                                                ein Viertel (24 %) möchte zwischen 81 und 90 %
                                                                                                                arbeiten. Die restlichen 2 % streben ein Pensum
                                                                                                                zwischen 41 und 50 % an.

                                                                                               doc.be 01/2019 Befragung Staatsexamensabsolventen                  9
«Nur als aktives
                                Mitglied kann man
                                ­mitgestalten»
                                Seit Oktober 2018 vertritt Dr. med. Matthias Streich
                                 den ärztlichen Bezirksverein Berner Oberland
                                im Vorstand der BEKAG. Dieses Engagement
                                 gewährt ihm Einblick in die komplizierte Welt der
                                ­Standespolitik. Und ein Mitspracherecht.

                                Interview: Simone Keller, Presse- und                 Gynäkologie und Geburtshilfe gewonnen. Die
                                Informationsdienst                                    Breite der Tätigkeit von Familienplanung, Geburts-
                                Bild: Marco Zanoni                                    hilfe, Onkologie, Chirurgie, Vorsorge, Beratung
                                                                                      etc. macht dieses Fach ebenso aus wie die Spann-
                                doc.be: Sie haben nach der Sekundar­stufe             breite der Patientinnen von jung bis alt, von gesund
                                das Lehrerseminar absolviert. Wieso                   bis sehr krank.
                                sind Sie dann doch Arzt und nicht Lehrer
                                geworden?                                             Ich fühlte mich sofort sehr wohl in der Rolle als
                                Dr. med. Matthias Streich: Die Naturwissenschaf-      Frauenarzt. Dieses Bauchgefühl war schliesslich
                                ten und insbesondere die Funktion unseres Körpers     ausschlaggebend, obwohl ich mich immer wieder für
                                haben mich immer schon fasziniert. Zum Beispiel       diese Wahl erklären oder sogar rechtfertigen musste.
                                die chirurgische Rekonstruktion des durch einen
                                Unfall wüst entstellten Gesichtes eines Jungen, den
                                ich in meiner Kindheit kannte. Oder die interessan-   «Es ist ein Privileg, als Arzt
                                ten Berichte meines Cousins Markus Streich, der       auch gesunde Frauen
                                Medizin studierte. Daneben machte ich im Prak-
                                tikum einige nicht so erfreuliche Erfahrungen mit
                                                                                      in erfreulichen Situationen
                                unmotivierten Schülern. Dies waren wichtige Grün-     begleiten zu dürfen. Die
                                de, die mich nach dreieinhalb Jahren vom Lehrer­      Arbeit macht mir Spass!»
                                seminar ins Gymnasium wechseln liessen, um später
                                Medizin studieren zu können.
                                                                                      Worin liegt der Reiz der Arbeit im Spital?
                                Weshalb haben Sie sich auf Gynäkologie                Ich schätze die gute und enge Zusammenarbeit mit
                                und Geburtshilfe spezialisiert?                       Hebammen, Pflegefachpersonen und Kolleginnen
                                Während des Studiums interessierten mich auch         und Kollegen der anderen Disziplinen. Der schnel-
                                die Urologie, die Hals-Nasen-Ohren-­Heilkunde         le und direkte Zugang zur Expertise der anderen
                                und die Hausarztmedizin. Professor Uli H
                                                                       ­ errmann,     Fachrichtungen ist enorm hilfreich. Die Ausbil-
                                Dr. David Ehm und Dr. Marin Aljinovic haben           dung von Studenten und Assistenten motiviert
                                mich schliesslich für das faszinierende Fach der      mich zusätzlich und macht oft viel Freude. Da ich

10   doc.be 01/2019 Interview
nur zu 70 % als Chefarzt angestellt bin, führe ich
daneben eine eigenständige Praxis in den gemiete-
ten Räumen im Spital. Damit habe ich sozusagen
den Fünfer und das Weggli.

Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit
am meisten?
Die Abwechslung. Jeder Tag ist spannend, immer
wieder treffe ich auf neue Herausforderungen. Es
ist ein Privileg, als Arzt auch gesunde Frauen in
erfreulichen Situationen begleiten zu dürfen. Die
Arbeit macht mir Spass!

Sie vertreten im Vorstand der BEKAG den
ärztlichen Bezirksverein Berner Oberland.
Was hat Sie dazu bewogen?                              Dr. med. Matthias Streich
Mein Freund und Vorgänger Alex Schallberger hat        geboren am 15.04.1969
mir die Aufgabe schmackhaft gemacht.                   Schulen in Thierachern (Prim, Sek), ­Lehrerseminar in Thun,
                                                       Gymnasium Interlaken
Wie viel Zeit investieren Sie dafür?
Das kann ich als frisch gewählter Vertreter nicht      Aus- und Weiterbildung
genau beantworten.                                     1990–1997: Medizinstudium Universität Bern
                                                       1998–1999: Assistenzarzt Chirurgische Notfallstation,
                                                       Klinik Sonnenhof, Bern, Dr. Ch. Gubler / Dr. F. Herkert
«Es ist sehr viel spannender,                          1999–2002: Assistenzarzt Gynäkologie und Geburtshilfe,
 ein kleines Rädchen im                                Spital­zentrum Biel, Prof. Dr. U. Herrmann
                                                       2002–2003: Assistenzarzt Gynäkologie und Geburtshilfe,
 System zu sein als ausser­                            Hôpital Cantonal Fribourg, Prof. Dr. D. Stucki
 halb zu stehen und zu                                 2003: Facharztexamen inkl. Schwerpunkt operative
­jammern.»                                             Gynäkologie
                                                       2003–2003: Senior resident Department of Obstetrics
                                                       Groote Schuur Hospital, University of Cape Town,
Viele Kolleginnen und Kollegen scheuen                 Prof. Z. van der Spuy
ein Engagement in der Standespolitik.                  2003–2005: Oberarzt Gynäkologie und Geburtshilfe,
Wie überzeugen Sie sie vom Gegenteil?                  ­Hôpital Cantonal Fribourg, Prof. Dr. D. Stucki
Nur als aktives Mitglied kann man in einer Ge-         2005–2007: Oberarzt Klinik für Gynäkologie, Universitäts-
sellschaft mitgestalten. Natürlich ist der Einfluss    spital Zürich, Prof. Dr. D. Fink
eines Einzelnen vielleicht nicht sehr gross, aber      ab 2007: Chefarzt Gynäkologie und Geburtshilfe,
wer weiss das schon so genau? Jedenfalls ist es viel    FMI Spital Interlaken
spannender, ein kleines Rädchen im System zu sein
und Einblicke in die komplizierte Welt ausserhalb      Dissertation
der eigenen Praxis zu erhalten, als ausserhalb zu      2006: Dissertation unter der Leitung von
stehen und zu jammern.                                 Prof. Dr. M. D. Müller, Bern
                                                       Mueller MD, Vigne JL, Streich M, Tee MK, Raio L, Dreher E,
Wo trifft man Sie in der Freizeit – eher auf           Bersinger NA, Taylor RN.
der Skipiste oder im Theatersaal?                      2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin increases glycodelin
Obwohl ich ein gutes Konzert sehr schätze, verbrin-    gene and protein expression in human endometrium.
ge ich im Moment sehr viel Zeit auf der ­Skipiste      Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism.
und im Keller mit der Präparation der Rennskis         90(8) :4809-15, 2005 Aug.]
unserer drei Kinder. Auch sonst bewege ich mich
gerne in der Natur, etwa auf der Nachtloipe oder
im Sommer auf dem Mountainbike oder am See.

Was zaubert Ihnen im Alltag ein Lächeln
aufs Gesicht?
Ausgelassenes Kinderlachen, die Freude der E
                                           ­ ltern
beim ersten Anblick ihres neugeborenen Babys,
der Anblick von Eiger, Mönch und Jungfrau im
Abendlicht nach einem strengen Arbeitstag, die
Begrüssung und Umarmung meiner Kinder und
meiner Frau wenn ich nach Hause komme. Die
Liste ist fast unendlich erweiterbar.

                                                                              doc.be 01/2019 Interview         11
Bessere
                           Behandlung
                           für depressive
                           ­Personen
                             Den meisten Menschen mit einer depressiven
                            ­Erkrankung könnte durch geeignete M ­ edikamente
                              und/oder Psychotherapie erfolgreich geholfen
                           ­werden. Aber nur eine Minderheit der Betroffenen
                              erhält eine adäquate Behandlung. Mit dem
                             Projekt «Stepped Care Kanton Bern» erhalten
                             ­Hausärzte Unterstützung.

                            Text: Simone Keller, Presse- und                        Deswegen sind sie eine unserer H­ auptzielgruppen»,
                            Informationsdienst                                      sagt Philipp Schmutz. Er ist Psychologe am PZM
                                                                                    und Vizepräsident des Berner Bündnisses gegen
                            Jeder fünfte Mensch in der Schweiz erkrankt min-        Depression. Hausärzte, die beim Stepped-Care-­
                            destens einmal im Leben an einer Depression. Oft        Projekt mitmachen, werden spezifisch weiterge-
                            geht der Erkrankung eine besondere Belastung            bildet. Die vierstündige Schulung behandelt die
                            oder ein kritisches Ereignis voraus. Aber sie kann      Themen Depression, Entstehung, Erkennung,
                            auch unvermittelt, quasi aus heiterem Himmel,           Diagnosestellung und leitliniengerechte Behand-
                            auftauchen. Die gute Nachricht: Depressionen las-       lung. Zudem besteht die Möglichkeit, einen zwei-
                            sen sich in der Regel gut behandeln.                    tägigen Kurs in IPT-Counseling zu absolvieren.
                                                                                    IPT steht für Interpersonelle Psychotherapie. Das
                             Neues Projekt will kantonale                           IPT-Counseling ist schnell und einfach zu erlernen
                            ­Behandlungskette                                       und kann in der Beratung leicht depressiver Perso-
                            Der guten Behandelbarkeit vieler depressiver Er-        nen angewendet werden.
                            krankungen steht jedoch entgegen, dass sich nur            Alle Hausärzte im Kanton Bern – auch jene, die
                            rund die Hälfte der Betroffenen jemals in Behand-       sich nicht am Projekt beteiligen – erhalten ausser-
                            lung begibt, wovon wiederum nur etwa die Hälfte         dem Zugang zu einem Online-Programm, das auf
                            adäquat und fachgerecht behandelt wird. Oft wird        der Basis der Problem Solving Therapy (PST) auf-
                            eine Depression auch erst spät erkannt.                 gebaut ist, eines der wirksamsten Psychotherapie-
                               Das Projekt «Stepped Care Kanton Bern» will          verfahren zur Behandlung depressiver Personen.
                            dies ändern. Es hat zum Ziel, dass depressive Er-      Auf der Webseite des Berner Bündnisses gegen
                            krankungen möglichst früh erkannt werden und            Depression ist ein Zwei-Fragen-Test aufgeschal-
                            die Betroffenen möglichst schnell eine leitlinienge-    tet, der bei der Erkennung einer Depression hilft.
                            rechte Behandlung erhalten. Am Projekt beteiligt       Ärzte können ihn gemeinsam mit Patienten ausfül-
                            sind das Berner Bündnis gegen Depression, das           len. Werden die beiden Fragen bejaht, sind weitere
                            Psychiatrie­zentrum Münsingen (PZM), die Abtei-        ­Abklärungen notwendig. Auch für die Diagnos-
                            lung Klinische Psychologie und Psychotherapie der       tik stehen den Ärzten Hilfsmittel zur Verfügung;
                            Universität Bern sowie die Abteilung Klinische          unter anderem eine webbasierte ICD-Diagnostik.
                            Psychologie der U­ niversität Zürich.                   Andererseits besteht auch die Möglichkeit, die
                                                                                    Patienten zur Diagnostik an die psychotherapeu-
                           Weiterbildung für Hausärzte                              tische P
                                                                                           ­ raxisstelle der Universität Bern oder ans
                           «Bei Hausärztinnen und Hausärzten bemerken               Ambulatorium des PZM zu verweisen.
                           wir immer wieder Unsicherheiten im Umgang mit
                           und bei der Behandlung von depressiven Personen.

12   doc.be 01/2019 Stepped Care Kanton Bern
Das Berner Bündnis gegen         Behandlung nach Leitlinien                            «Stepped Care Kanton Bern» ist das erste Projekt
Depression sensibilisiert        Die anschliessende Behandlung hängt vom Schwere­       dieser Art in der Schweiz. Eine Ausweitung in
Betroffene, Fachleute und       grad der depressiven Störung sowie der Patienten-      ­andere Kantone ist bereits angedacht.
die Öffentlichkeit – neustens    präferenz ab. «Stepped Care Kanton Bern» will
auch mit Filmen.                 eine leitliniengerechte Behandlung fördern. «Das
                                 ist eine Behandlung, die sich an sogenannten leit-
                                 linienbasierten ‹Steps› orientiert. Den Hausärzten    Berner Bündnis gegen Depression
                                werden bei jedem Step verschiedene Behandlungs-        Das Berner Bündnis gegen Depression setzt sich seit 2003
                                optionen aufgezeigt. Und natürlich erhalten sie        für die Verbesserung der Betreuung und der Versorgungs­
                                auch Unterstützung, etwa beim Einsatz von Anti­        lage von Menschen mit Depressionen und deren Angehörigen
                                 depressiva oder bei der Beratung mittels IPT-Coun-    ein. Das Bündnis sensibilisiert und informiert verschiedene
                                 seling», so Schmutz.                                  Anspruchsgruppen zu den Themen Depression und Suizida-
                                     Zum Projekt gehören auch eine Online-Thera-       lität. Es bietet Weiterbildungen für Fachpersonen, Schulen
                                 pie sowie eine Telefontherapie für die Betroffenen.   und Firmen an. Der Vorstand des Bündnisses ist interdiszip-
                                «Die Betroffenen sind unsere zweite wichtige Ziel-     linär aufgestellt. Präsident ist Prof. Thomas Reisch, der ärzt-
                                gruppe. Auch für sie gibt es einen Online-Selbst-      liche Direktor des Psychiatriezentrums Münsingen. Weitere
                                 test. Mit dem Ergebnis werden sie auf das Projekt     Informationen: www.berner-buendnis-depression.ch
                                 hingewiesen und – bei Bedarf – an ihren Hausarzt,
                                 das PZM oder die psychotherapeutische Praxis­
                                 stelle der Universität Bern verwiesen», erklärt
                                ­Philipp Schmutz.
                                                                                       Kostenlose Schulungen für Hausärzte
                                Projekt mit Vorbildcharakter                           Schulungsdaten:
                                Der Psychologe Schmutz ist überzeugt, dass             –	Donnerstag, 28. März 2019, 13.30 bis 17.30 Uhr
                                «­
                                 Stepped Care Kanton Bern» wichtige Bedürf-                PZM Psychiatriezentrum Münsingen AG,
                                nisse von Betroffenen wie auch von Fachleuten              Hunzigenallee 1, 3110 Münsingen, Raum: Rittersaal
                                abdeckt. Die Versorgungslage depressiver Perso-        –	Donnerstag, 4. April 2019, 13.30 bis 17.30 Uhr
                                nen sei noch ausbaufähig. «Wenn ich in ländlichen          UniS, Schanzeneckstrasse 1, 3012 Bern, Raum: A101
                                Regionen einen Vortrag halte, werde ich danach
                                regelrecht mit Fragen zur Behandlung von Depres-       Anmeldung via Philipp Schmutz:
                                sionen bombardiert.» Gerade die Online-Therapie        T 031 720 81 53, philipp.schmutz@pzmag.ch
                                kann da, wo eine Unterversorgung herrscht oder
                                das Stigma noch gross ist, wichtige Unterstützung
                                bieten.

                                                                                            doc.be 01/2019 Stepped Care Kanton Bern               13
«Problematisch wird es,
wenn die Alternativen
ausgehen»
Die Lieferengpässe bei Medikamenten nehmen zu. Spital-
apotheker Enea Martinelli erklärt, was das für Auswirkungen
hat und wie der globale Pharmamarkt funktioniert.

Interview: Simone Keller, Presse- und          Wie entstehen Lieferengpässe?                  Deutschland beziehen, aber die Kranken-
Informationsdienst                             Da gibt es verschiedene Gründe. Zum Bei-       kassen machen nicht mit. In der Schweiz
Bild: Marco Zanoni                             spiel weil sich ein Hersteller zurückzieht     kostet eine Monatspackung 102.50 Fran-
                                               oder weil eine Medikamentenfabrik zer-         ken; in Deutschland 233.90 Franken. Die
Kürzlich sagten Sie gegenüber dem              stört wird. Die Ursachen sind vielfältig und   Kassen bezahlen maximal den Schweizer
Tagesanzeiger, die Lieferengpässe              häufig schwer zu ergründen.                    Preis. Wer zahlt die Differenz von über
für Medikamente seien auf einem                                                               100 Franken? Der Leistungserbringer, weil
Rekordhoch. Wie sehen die Zahlen               Was sind die Auswirkungen für                  die Mehrkosten nicht den Patienten über-
heute aus?                                     die Patienten?                                 tragen werden dürfen. Das will der Leis-
Derzeit (Januar 2019) haben wir ungefähr       Meistens müssen sie das Medikament             tungserbringer natürlich nicht. Wissen Sie,
520 Lieferengpässe. In den letzten Wochen      wechseln. Als junge, gesunde Menschen          was jetzt passiert? Man steigt auf ein teure-
ist diese Zahl massiv gestiegen. Bei Medi-     denken wir: «Das ist doch kein Problem,        res Medikament um. Dieses kostet im Mo-
kamenten, bei denen wir zahlreiche Alter­      dann nehme ich eben die rote anstatt die       nat rund 2500 Franken – wird aber von den
nativen haben, ist das nicht so tragisch.      blaue Pille.» Aber die Realität sieht anders   Kassen bezahlt. Wenn 1000 Patienten um-
Problematisch wird es, wenn auch die Al-       aus: Der Durchschnittspatient, der viele       gestellt werden, sind das Mehrkosten von
ternativen ausgehen. Erschwerend kommt         Medikamente nimmt, ist über 70 Jahre alt.      knapp 30 Millionen im Jahr! Das ist doch
hinzu, dass wir zum Zeitpunkt des Engpas-      Diese Patienten sind relativ schnell ver-      unglaublich!
ses nicht wissen, wie lange er dauert.         wirrt, wenn ihre Behandlung umgestellt
                                               wird. Es besteht die Gefahr, dass sie Medi-    Wieso reagiert niemand?
Sie erfassen diese Zahlen auf Ihrer            kamente verwechseln oder die falsche Do-       Anscheinend fehlt das Bewusstsein – in der
eigenen Webseite (drugshortage.ch).            sis nehmen. Auch für das Pflegepersonal        Politik ebenso wie in der Öffentlichkeit.
Gemäss Bundesamt für wirtschaft­               ist ein häufiger Wechsel verwirrend. Wenn      Die typische Reaktion lautet: «Wir haben
liche Landesversorgung (BWL) sehen             man nicht nur das Präparat, sondern auch       in der Schweiz eine grosse Pharmaindust-
die Zahlen weniger dramatisch aus.             den Wirkstoff wechselt, sind zusätzliche       rie. Da gibt es doch keine Engpässe.» Aber
Die Liste des BWL ist im Gegensatz zu          Untersuchungen notwendig. Das verur-           die Medikamente kommen meistens nicht
meiner selektiv. Das BWL hat bestimmte         sacht natürlich Kosten. Aber nicht nur hier    aus der Schweiz.
Wirkstoffe definiert, die es auf die Liste     entstehen Mehrkosten.
nimmt. Der Fokus liegt auf der Landesver-                                                     Der Pharmamarkt ist globalisiert.
sorgung. Bei mir liegt der Fokus auf der Pa-   Wo noch?                                       Genau. Und es gibt nur noch wenige Wirk-
tientenversorgung. Ich will eine Übersicht     Engpässe verteuern zuweilen das ganze          stoffhersteller; fast keine mehr in Europa.
über den Markt bieten, um die Leute zu         System. Ein Beispiel: Litalir wird unter an-
informieren und sensibilisieren.               derem bei der Behandlung von chronischer       Warum?
                                               Leukämie eingesetzt. Es ist derzeit in der     Aus rechtlichen und finanziellen ­Gründen.
                                               Schweiz nicht lieferbar. Wir könnten es aus    Wer ein Generikum auf den Markt bringen

14      doc.be 01/2019 Interview
Enea Martinelli: «Weltweit      will, muss an dem Tag, an dem das Patent      braucht ein Radar, damit er erkennt, wie
gibt es nur noch wenige Wirk-   abläuft, parat sein. Aber: Während das        gravierend das Problem der Lieferengpässe
stoffhersteller. Deswegen       Patent besteht, darf eigentlich nichts ent-   ist. Die Liste vom BWL ist in dieser Hin-
entsteht ein Klumpenrisiko –    wickelt werden. Deswegen gliedern die         sicht unzureichend.
und das ist problematisch.»     Firmen die Produktion in Länder aus, die
                                es mit dem Patentschutz nicht so genau        Wie würden Sie das Gesundheits­
                                nehmen. Zum Beispiel Indien oder ­China.      wesen reformieren?
                                Wenn es nur noch wenige Hersteller gibt,      Man sollte die Anreize so setzen, dass sie
                                entsteht ein Klumpenrisiko. Als 2017 der      auch dem System dienen. Je günstiger bei-
                                Wirbelsturm Maria über Puerto Rico fegte,     spielsweise ein Präparat ist, desto höher
                                wurde eine Wirkstofffabrik lahmgelegt.        sollte die Marge sein – und zwar in Fran-
                                Das spürten die ganze Pharmabranche           ken, nicht in Prozent. Dann gibt es einen
                                und insbesondere Staaten mit niedrigeren      Anreiz, das günstigere Präparat zu verord-
                                Medikamentenpreisen. Denn bei einer
                                ­                                             nen. Weiter müsste man Boards bilden und
                                Verknappung werden zuerst die Länder          therapeutisch einwirken mit Guidelines.
                                beliefert, die am meisten zahlen.             So wie es die Initiative Smarter Medicine
                                                                              will.
                                Dann haben wir in der Schweiz
                                Glück, weil wir höhere Preise haben?          Dieses Interview ist in Politik+Patient 1/19
                                Bis anhin ja. Mit dem Referenzpreissystem,    erschienen. Der Abdruck erfolgt mit freund-
                                das der Bund als Massnahme zur Kosten-        licher Genehmigung der Zeitschrift.
                                dämpfung vorschlägt, riskieren wir, die-
                                sen Vorteil zu verlieren. Wenn wir bei den
                                günstigen Produkten den Preis drücken,
                                müssen wir damit rechnen, dass wir nicht      Dr. pharm. Enea Martinelli
                                mehr beliefert werden. Und dann müssen        Dr. pharm. Enea Martinelli ist seit 1994 Chef­
                                wir trotzdem wieder auf teurere Produkte      apotheker der Spitäler fmi (Frutigen Meiringen
                                ausweichen. Das kann ja nicht die Lösung      ­Interlaken). Er war 2012–2014 Vizepräsident der
                                sein!                                          BDP-Fraktion im Berner Kantonsparlament und
                                                                              2015–2018 Präsident der BDP des Kantons Bern.
                                Was soll der Bund stattdessen tun?
                                Er soll bei der Preisgestaltung aufpassen.
                                Damit kann er das Problem der Engpäs-
                                se gar noch verschärfen. Und der Bund

                                                                                           doc.be 01/2019 Interview       15
Die Ärzte sind die
f­ alschen Sündenböcke
Die Gesundheitskosten steigen ungebremst, die Krankenkassen­
prämien belasten viele H
                       ­ aushalte. Wer den Medizinern
die Schuld in die Schuhe schiebt, handelt unbedacht – die Liste
der Verantwortlichen ist lang.

Text: Simon Hehli, NZZ                          aus dem Departement von SP-Magistrat            zentrale Steuerungsinstanz des Gesund-
                                                ­Berset: Die Kosten steigen nicht zuletzt       heitswesens. Sie entscheiden relativ frei, ob
Das Gesundheitswesen bereitet den Schwei-        deshalb, weil sich manche Ärzte eine gol-      ein Patient eine teure Behandlung erhält –
zerinnen und Schweizern Bauchschmerzen.         dene Nase verdienten. Die Entrüstung der        oder nicht. Klar ist, dass sich die Medizi-
Im neusten CS-Sorgenbarometer schiesst          Mediziner ist insofern nachvollziehbar, als     ner dabei nicht von ökonomischen Überle-
dieser Bereich um 15 Prozentpunkte nach         es sich bei der BAG-Statistik um künstlich      gungen leiten lassen dürfen. Entscheidend
oben und steht neu auf Platz 2, direkt hin-     auf ein Vollzeitpensum hochgerechnete           ist vielmehr die Diagnose und, daraus
ter der Altersvorsorge. Das kommt nicht         Zahlen handelt. Vergleicht man nüchtern         abgeleitet, die effizienteste Therapie. Nur
von ungefähr. Die Prämienrunde für 2019          die effektiven Medianeinkommen der             wird diese Maxime im Alltag nicht immer
fällt zwar vergleichsweise milde aus. Aber      Ärzte­schaft von 2009 und 2014, zeigt sich:     befolgt.
der Anteil der Gesundheitskosten an den          Sie stiegen von 190 000 auf 209 000 Fran-
Haushaltbudgets steigt und steigt. 2017          ken, also um 10 Prozent.
mussten die Haushalte durchschnittlich                                                          «Die Ärzteeinkommen
schon 14 Prozent des verfügbaren Ein-           Im gleichen Zeitraum verteuerte sich            taugen nur beschränkt
kommens für die Grundversicherung OKP           der gesamte Gesundheitssektor um rund
aufwenden. Am härtesten trifft es Famili-       17 Prozent, die Krankenkassenprämien
                                                                                                zur Erklärung des
en mit Kindern, die in bescheidenen wirt-       stiegen gar um 19 Prozent. Die Ärzteein-        rasanten Kostenwachs-
schaftlichen Verhältnissen leben. Denn die      kommen taugen also nur beschränkt zur           tums.»
Verbilligungen, bei denen manche Kantone        Erklärung des rasanten Kostenwachstums.
sparen, halten nicht Schritt mit den steigen-   Das wird auch offenkundig, wenn man sie
den Prämien.                                    in Relation setzt: Die Kosten für die Ein-      Problematisch sind in diesem Zusammen-
                                                kommen der 37 000 hiesigen Ärztinnen            hang auch Fehlanreize, die Spitalleitungen
Angesichts dieser Umstände stellt sich die      und Ärzte betragen geschätzte 7 Milliar-        setzen: Mit Boni für besonders arbeits­same
Frage: Wer ist schuld am ungebremsten           den Franken jährlich – der gesamte Ge-          Operateure oder Kickback-Zahlungen für
Kostenwachstum?                                 sundheitssektor verschlingt jedoch über         die Überweisung lukrativer Patienten muss
                                                80 Milliarden. Angenommen, die Politiker        Schluss sein. Zwar sind von solchen Akti-
Problematische Boni                             wollten den Medizinern 10 oder 20 Prozent       onen oftmals Privatversicherte betroffen.
Besonders eine Gruppe findet, sie müsse         ihres Einkommens wegnehmen, hätte dies          Doch für jede unnötigerweise eingesetzte
zunehmend als Sündenbock herhalten –            nur bescheidene Auswirkungen auf die            Hüftprothese zahlen auch die Grundver-
die Ärzte. Sie sind sauer, weil das Bun-        Ausgaben.                                       sicherten mit. Die Ärzte sehen sich aller-
desamt für Gesundheit (BAG) aufgrund                                                            dings auch einem steigenden Druck seitens
einer neuen Studie verkündete, die Ärzte­       Dennoch dürfen die Ärzte auch nicht so          der Patienten ausgesetzt. Wie in jeder Ver-
einkommen seien satte 30 Prozent höher          tun, als hätten sie mit der Kostenentwick-      sicherung gibt es auch in der OKP ein Pa-
als angenommen. Die subtile Botschaft           lung nichts zu tun. Schliesslich sind sie die   radoxon: Die Versicherten zahlen Prämien

16       doc.be 01/2019 Gesundheitspolitik
ein in der Hoffnung, das versicherte Er-       ist, dass sich die Kassen bloss einen            dazu bei, dass das Gesundheitswesen im-
eignis trete nie ein. Bleiben sie lange von    Pseudo­wettbewerb liefern. Offensichtlich         mer noch teurer wird. Einfache R  ­ ezepte
Krankheiten verschont, haben sie indes         haben sie sich gut mit dem Kostenwachs-          gegen den Trend gibt es nicht. Wer in
das Gefühl, das Geld aus dem Fenster ge-       tum arrangiert, solange sie das Schreck-          diesem hochkomplexen System an einem
worfen zu haben. Umso mehr pochen sie          gespenst Einheitskasse fernhalten können.        Rädchen dreht, löst womöglich an ande-
auf das All-Inclusive-Paket, wenn ein me-      Ihre Grundversicherungsprodukte unter-            rer Stelle ungewollte Bewegungen aus.
dizinischer Eingriff nötig wird. Manch ein     scheiden sich kaum – die einen bezahlen          Die Gesundheitsausgaben sind seit 1980
Arzt kann Geschichten erzählen über Pa-        einfach die Rechnungen für Behandlungen           linear angestiegen – unbeeindruckt von
tienten, die drohen: «Wenn Sie mich nicht      etwas früher als andere. Ein Wettstreit um       allen politischen Reformversuchen. Das
operieren, gehe ich einfach zum nächsten       die Kunden mittels innovativer P ­ rodukte,       heisst nicht, dass es keine Möglichkeit zu
Spezialisten.» Es ist ein Teufelskreis. Je     mittels bestmöglicher Betreuung im                kostendämpfenden Korrekturen gibt, etwa
mehr Prämien die Menschen bezahlen,            Krank­heitsfall? Gibt es nicht. Mitverant-       ­erwähnte Förderung ambulanter Behand-
umso mehr Gegenleistung erwarten sie           wortlich für diese Trägheit ist die Politik.      lungen. Aber Wunder sind nicht zu erwar-
dafür auch.                                    SP-Bundes­rat Berset setzt auf staatliche         ten.
                                               Lenkung. Und lässt deshalb nicht zu, dass
Möglich macht ein solch konsumistisches        die Krankenkassen alternative Versiche-
Verhalten unter anderem die freie Arzt-        rungsmodelle mit günstigeren Prämien vo-         «Ein grosser Teil der
wahl. Diese ist ein Luxus – doch der Prä-      rantreiben oder (zu) teuren Spezialärzten        Kostensteigerungen ist
mienaufschlag im Vergleich zu sinnvollen       die Zusammenarbeit verweigern können.
Alternativen wie dem Hausarztmodell            Die Gesundheitspolitiker im Parlament ha-
                                                                                                ohnehin die Folge ge-
ist viel zu gering. Auf der Suche nach den     ben seit Jahren keine Reform von grösserer       sellschaftlicher und öko-
Gründen für diesen Systemfehler lan-           Tragweite zustande gebracht. Und die kan-        nomischer Megatrends,
det man schnell bei einem weiteren Ver-        tonalen Gesundheitsdirektoren forcieren          die auf absehbare Zeit
antwortlichen für das Kostenwachstum:          zwar ambulante Operationen, was Einspa-          anhalten werden.»
dem Stimmbürger. Das Volk lehnte die           rungen verspricht. Doch gleichzeitig brem-
Managed-­Care-Vorlage, die alternative         sen sie bei einer anderen nötigen Gross­
Modelle mit besserer Steuerung hätte stär-     reform, der einheitlichen Finanzierung von       Ein grosser Teil der Kostensteigerungen ist
ken sollen, 2012 wuchtig ab. Die Schweizer     ambulanten und stationären Leistungen.           ohnehin die Folge gesellschaftlicher und
verhalten sich ohnehin in gesundheitspo-                                                        ökonomischer Megatrends, die auf abseh-
litischen Belangen zuweilen widersprüch-                                                        bare Zeit anhalten werden. Die Bevölke-
lich. Als Versicherte jammern sie über die     «Die grösste ­politische                         rung und die Wirtschaft wachsen, zudem
Prämienlast. Und steigen als Bürger auf        Herausforderung                                  steigen die Löhne – im personalintensiven
die Barrikaden, wenn das lokale Spital die                                                      Gesundheitswesen schlägt sich das beson-
Türen schliessen soll – gegenwärtiges An-
                                               ist, dass Medizin auf                            ders nieder. Die Bevölkerung wird immer
schauungsbeispiel ist der Kanton St. Gallen.   ­hohem Niveau auch für                           älter und die Medizin immer leistungs-
Wohlgemerkt: Es ist eine legitime Position,    Geringverdiener und                              stärker. Die Individualisierung führt dazu,
dass sich das Land eine hohe Spitaldichte      Familien erschwinglich                           dass die familiären Bande schwächer wer-
leisten kann und soll. Aber dann muss man       bleiben muss.»                                  den und mehr Menschen auf professionelle
auch die Konsequenzen auf der Kostensei-                                                        Pflege angewiesen sind. Das alles ist teuer,
te tragen, bei Steuern und Prämien. Die                                                         doch für die reiche Schweiz finanzierbar.
Verantwortlichen der Spitäler selber haben     Als letzter wichtiger Akteur ist die
in den letzten Jahren ebenfalls wenig zur      Pharma­branche zu nennen. Rund 6 Milli-          Die grösste politische Herausforderung ist,
Kosteneindämmung beigetragen. So haben         arden Franken gibt die Schweizer Bevöl-          dass Medizin auf hohem Niveau auch für
sie lange die Förderung des (spital-)ambu-     kerung jährlich für Arzneimittel aus. Die        Geringverdiener und Familien erschwing-
lanten Bereichs verschlafen und damit das      Hersteller, aber auch die Apotheken schöp-       lich bleiben muss. Sonst wird das Gesund-
Potenzial günstigerer Behandlungen ohne        fen gerne die Kaufkraft der Konsumenten          heitswesen auf Jahre hinaus einen Spitzen-
stationären Aufenthalt zu wenig ausgereizt.    ab: Gerade Generika sind hierzulande             platz im Sorgenbarometer belegen.
Die Krankenversicherer wiederum gebär-         massiv teurer als in anderen europäischen
den sich gerne als heroische Verteidiger       Ländern, wie der Preisüberwacher immer           Dieser Text ist erstmals am 11.12.2018 in
der Interessen der Versicherten und spüren     wieder zu Recht kritisiert hat. Verschärfen      der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.
Ärzten nach, die zu viel abrechnen. Gleich-    wird sich die Situation aus finanzieller Sicht
zeitig verdienen die Kassenmanager üppig.      zudem, wenn zunehmend individualisier-
Pro Jahr garnieren manche von ihnen mehr       te, extrem teure Therapien auf den Markt
als eine halbe Million Franken.                kommen.

Doch das ist nicht einmal das Hauptprob-       Keine Wunder zu erwarten
lem, zumal die Verwaltungskosten in der        Ärzte, Spitäler, Patienten, Stimmbürger,
Grundversicherung mit rund 5 Prozent           Krankenkassen, Politiker, Medikamenten­
nicht übermässig hoch sind. Gravierender       hersteller: Sie alle tragen also ihren Teil

                                                                                                   doc.be 01/2019 Gesundheitspolitik     17
NEUER WEBAUFTRITT

           Politik+Patient schaut dort hin, wo politische
          Entscheide und behördliche Auflagen sichtbar
             werden: auf das Arzt-Patienten-Verhältnis.

                   www.politikundpatient.ch
Kurier bleibt Kurier.
  Schnell, das                                                                          Terminplan 2019

  sind wir.                                                                             	Aerztegesellschaft des
                                                                                              Kantons Bern

                                                                                        28. Februar
                                                                                        	Bezirksvereinsversammlungen,
                                                                                              ­kantonsweit

                                                                                        21. März
                                                                                        	Delegiertenversammlung,
                                                                                              ­nachmittags

                                                                                        9. Mai
                                                                                        	FMH Ärztekammer,
                                                                                               ganzer Tag in Biel

                                                                                        22. Mai, 14.00 Uhr
  Das medizinisch-diagnostische                                                         	Berner KMU, ordentliche Frühjahrs-­
  Labor an der Südbahnhofstrasse 14c                                                          Delegiertenversammlung
  in Bern.
                                                                                        6. Juni
                                                                                        	erw. Präsidentenkonferenz
                                                                                               (Bezirksvereins- und
                                                                                                Fach­gesellschaftspräsidentInnen),
                                             professionell                                     ­nachmittags
  www.medics.ch                              und persönlich
                                                                                        13. Juni
                                                                                        	Bezirksvereinsversammlungen,
                                                                                               ­kantonsweit
                                                                            publix.ch

                                                                                        15. August
                                                                                              Klausurtagung, Vorstand

MOB L
                                                                                        15. Oktober, 17.00 Uhr
                                                                                        	Berner KMU, ordentliche
                                                                                               Herbst-Delegiertenversammlung

                                                                                        17. Oktober
                                                                                        	Delegiertenversammlung,
                                                                                               nachmittags

                                                                                        31. Oktober
                                                                                        	FMH Ärztekammer,
                                                                                              ganzer Tag in Biel

                                                                                        14. November

Die elektronische Kranken­                                                              	Bezirksvereinsversammlungen,
                                                                                               ­kantonsweit
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