Piet Mondrian - Freunde der Nationalgalerie
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Zur Eröffnung der Neuen Nationalgalerie am 15. September 1968 sprach Museumsdirektor Werner Haftmann. Zu den Gästen gehörte Dirk Lohan (vorne links). Für die Ausstellung „Piet Mondrian“ wurde nur der hintere Teil der Halle genutzt. Im Vordergrund steht eine Skulptur von Hans Arp aus der Werner Haftmann dirigierte Sammlung. die Hängung der Gemälde von Piet Mondrian. Werner Haftmann, der erste Direk- ich dabei, dass Stellwände nur stabil wären, Hauptsächlich war mein Einwand aber ein tor der Neuen Nationalgalerie, besuchte wenn sie auf breiten Füßen stünden oder architektonisch-ästhetischer, denn diese Ludwig Mies van der Rohe in Chicago und in regelmäßigen Abständen rechtwinklige Hängung war in dem ganz neuen Mies-Bau erklärte ihm bei dieser Gelegenheit, dass Ecken herstellten. Keine dieser Möglichkei- unpassend. Leider haben Werner Haftmann er Piet Mondrian zur Eröffnung des Muse- ten gefiel uns aus architektonischen Grün- und ich uns am Tage vor der offiziellen Eröff- ums zeigen wolle. Er meinte, der abstrakte den und so kamen wir auf den Gedanken, nung ziemlich stark gestritten, weil wir sehr Holländer wäre doch eine gute Verbindung Wände von der Decke zu hängen. Diese Idee gegenteilige Meinungen zu diesem Thema mit der modernen Architektur des Gebäu- passte auch sehr gut zu der oft von Mies hatten. Zum Glück haben wir beide uns am des. Da ich an diesem Gespräch teilnahm, zitierten Bemerkung, dass die große Halle nächsten Tag beruhigt und konnten unsere kann ich mich heute noch daran erinnern, wie eine Bühne zu verstehen sei, auf der Eröffnungsansprachen ohne Ärger absol- wie Mies ihm erwiderte, dass er dankbar Inszenierungen von Kunst stattfinden soll- vieren. Viele der Bilder hingen übrigens für den kunsthistorischen Bezug sei, die ten. Mit dem Wort „Inszenierung“ meinte schließlich parallel an den Hängewänden. Mondrian-Bilder aber, alle recht kleine For- er Kunstausstellungen, die für jede Kunst Ich bedauere sehr, dass Mies niemals die mate, ein architektonisches Problem auf- neue Bühnenbilder (set designs) entwer- vielen großartigen Ausstellungen in seinem werfen würden: nämlich wie diese klei- fen würden. Es ist interessant, im vorliegen- Kunsttempel erleben konnte. Ich persönlich nen Bilder in der großen Halle ausgestellt den Bildband zu sehen, wie man in Berlin bin aber überzeugt davon, dass er glück- werden könnten. Mies erklärte Werner nach anfänglichen Schwierigkeiten mit lich und zufrieden gewesen wäre, weil viele Haftmann, dass er bei dieser Halle haupt- dieser Idee letztlich wunderbare, kreative der Ausstellungen genau die künstlerischen sächlich an großformatige Gemälde und Kunstinszenierungen entwickelt hat. Inszenierungen auf seiner Bühne waren, die Skulpturen gedacht habe, zum Beispiel Aus diesen Überlegungen entwarf ich ein er sich vorgestellt hatte. von Jackson Pollock und vielen Künstlern hängendes Wandsystem, das auf modularen der 1950er und 1960er Jahre. Im weiteren Elementen aufgebaut war und nicht nur län- Dirk Lohan, Architekt und Enkel von Ludwig Mies Gespräch entwickelten wir mehrere Gedan- gere, sondern auch höhere Wände möglich van der Rohe, Projektleiter für den Bau der Neuen Nationalgalerie von 1967 bis 1968 ken für eine angemessene Mondrian-Aus- machte. Die Fotos der Mondrian-Ausstel- stellungsmethodik. Sehr schnell war uns lung zeigen sehr deutlich die erzielte Auf- allen klar, dass der große Raum der Halle teilung des großen Raumes. Als ich ein paar aufgegliedert und durch Stellwände in klei- Tage vor der Eröffnung nach Berlin kam, lei- nere „Räume“ geteilt werden müsste, die der ohne Mies, der nicht mehr reisen konnte, die Bilder in ihrer Bedeutung nicht redu- entdeckte ich ein neues Problem. Die Kura- zierten. toren hatten die Mondrians nicht flach an Nach diesem Gespräch habe ich dann ange- die Wände gehängt, sondern schräg nach fangen, mich mit einer solchen Ausstellung vorn gekippt, um Reflexionen auf den Ver- zu befassen und ein passendes Wandsys- glasungen der meisten Bilder zu vermeiden. tem zu entwickeln. Da wir im Büro ein gro- Das war natürlich nicht in unserem Sinne, ßes, sehr schönes Modell der Halle gebaut zumal diese Hängung ein weiteres Prob- hatten, konnte ich alle möglichen Raumauf- lem am Abend kreierte, weil nun die oberen 10 1968 teilungen inszenieren. Sehr schnell erkannte Rahmen Schatten auf die Gemälde warfen. 11 Piet Mondrian
Die Erstpräsentation der Sammlung im Untergeschoss zeigte Werke von Francis Bacon und Henry Moore neben solchen ganz junger Künstler wie Gernot Bubenik. Zur heiteren Eröffnungs- feier kamen 1.200 geladene Gäste. Direktorengattin Roswitha Haftmann und Kunstmäzen Siegfried Poppe tanzten zu Dixie-Klängen im Skulpturengarten. 12 1968 13 Eröffnung der Neuen Nationalgalerie
1969 Andy Warhol / Sammlung 1968 – Karl Ströher Der Blick über das damals noch kaum bebaute Kulturforum reichte bis zur Berliner Mauer. Von Anfang an experimen- tierte Werner Haftmann mit freien kuratorischen Setzungen in der oberen Halle. Hier vereinte er Die rund 500 „Brillo Boxes“ die Sammlung Karl Ströher von Andy Warhol im Hinter- mit der Warhol-Retrospek- grund waren die originalen tive. Die Filzstapel Verpackungskartons, die von Joseph Beuys trafen nach der Ausstellung ver- auf Malerei von Roy nichtet werden mussten. Lichtenstein. Noch Jahre später geister- ten einige davon als Pack- und Nutzmaterial durch das Museum. Sogar die mit engli- scher Eiche vertäfelten Garderoben wurden als Hängeflächen verwendet. 14 15
1970 Matta Die teilweise über sieben Meter langen Bilder von Roberto Matta waren spektakulär inszeniert worden. Ihre diagonale Ausrich- tung bildete in der Mitte einen weiten, dynamischen Platz. Unter einigen Bildwänden konnten die Besucher hindurchlaufen, andere standen direkt auf dem Boden. Um die Werkchronologie zu ver- vollständigen, hingen kleinere und mittlere Formate entlang der Fenster. 20 21
Die heute legendäre Konzertreihe „Jazz in the Garden“ war von Anfang an eine Publikumsattraktion. Aus sicherheitstechnischen Gründen blieb das Museum geschlossen, die Besucher traten durch das Tor im Skulpturengarten ein. Das Jarrett-Trio tourte 1972 durch Deutschland. Am Flügel: Keith Jarrett. 1970 / 1972 24 1970 / 1972 Jazz in the Garden 25 Jazz in the Garden
1972 J. M. W. Turner Gemälde, Aquarelle Für die umfangreiche Turner-Ausstellung wurden Werke der klassischen Moderne in andere Samm- lungsräume umgehängt, die Nachkriegsmoderne war in der oberen Halle zu sehen. Die Hängung der Bilder war auf einen Dialog mit Werken des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung angelegt. 38 39
1987 / 1988 Alberto Giacometti
Ein besonderes Statement stellte das Figurenensemble in der Weite der oberen Halle dar – vereinzelte Erscheinungen menschlicher Existenz. Im Grafischen Kabinett Der bis dato umfassendste wurde die Serie der großen Überblick über das Werk „Stehenden“ gezeigt. Giacomettis in Deutsch- Eine derartige Dichte der land umfasste 280 Skulptu- Präsentation wäre heute ren, Zeichnungen, Gemälde aufgrund der hohen Versi- und Druckgrafiken mit cherungswerte nicht mehr Leihgaben der Giacometti- möglich. Stiftung sowie aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Neben Skulpturen wie „Vier Frauen auf einem Sockel“, 1950, wurden auch zahlrei- che Gemälde und Zeichnungen ausgestellt. 1987 / 1988 134 1987 / 1988 Alberto Giacometti 135 Alberto Giacometti
2001 Jenny Holzer
Besondere Strahlkraft entwickelten die Arbeiten in der Nacht, wenn sich die Buchstaben durch Spiegelungen in den Stadtraum einschrieben. Neben der LED-Licht- installation, die speziell für die Halle entwickelt worden war, projizierte Jenny Holzer in der Eröff- nungswoche ihre ebenso poetischen wie politischen Texte auf öffentliche Gebäude in Berlin. Viele Besucher ließen sich auf dem Boden nieder, Die US-amerikanische um die an der Decke rasch Konzeptkünstlerin kam als vorbeiflutenden Texte Stipendiatin der American zu lesen. Academy für ein Jahr nach Berlin. Während dieser Zeit entwickelte sie das Projekt für die Neue Nationalgalerie. 2001 194 2001 Jenny Holzer 195 Jenny Holzer
2004 Das MoMA in Berlin Meisterwerke aus dem Museum of Modern Art, New York
Woher haben wir – der Vorstand Wir beauftragten eine Umfrage in Berlin: in engem Schulterschluss mit dem Kura- „Was verstehen Sie unter MoMA?“. Vielleicht torium des Vereins der Freunde der Natio- fünf Prozent gaben die richtige Antwort, fünf nalgalerie – eigentlich den Mut genommen, Prozent meinten, das könnte „Morgenma- die MoMA-Ausstellung 2004 zu realisieren? gazin“ heißen, das war alles. Mutig beschloss Am Anfang: Ein Gespräch mit dem Direktor der Vorstand deshalb die Beauftragung der des Museum of Modern Art, Glenn Lowry, Werbeagentur MetaDesign und bewilligte in Schöneberg in einer Mondnacht, vor eine Million Euro. André Odier und Katharina einer Kneipe sitzend und redend mit dem von Chlebowski, die die Geschäftsstelle Ziel, einen streitigen Fall einvernehmlich zu des Vereins leiten, reisten durch die Welt, lösen, das war schnell erreicht. Dann begann um einen fabelhaften, viel Geld einspielen- der Traum: während der – durch Umbau den Museumsshop (wie es ihn vorher und bedingten – siebenmonatigen Schließung nachher nie in Berlin gegeben hat) zu reali- des MoMA dessen Highlights nach Berlin sieren. Jan Oelmann, der engagierte Schatz- zu holen. Bald stimmte der Vorstand, ange- meister, hat das Risiko unseres kalkulierten feuert vom (General-) Direktor Peter-Klaus Abenteuers uneingeschränkt mitgetragen. Schuster, dem kühnen Plan zu, das Board Eine dem Verein zugeordnete GmbH hat des MoMA sagte „ja“, die geforderte „loan „special events“ veranstaltet und viel Geld fee“ bewilligte der Verein. Damit waren die eingespielt. Die gezeigten Werke, die fast unkonventionellen Verhandlungen beendet. 1,2 Millionen Besucher bewunderten, alles „Das MoMA in Berlin“ soll kommen! Nach- Highlights des 20. Jahrhunderts: bis 1945 dem das MoMA eine Liste der möglichen ausschließlich europäische Kunst (mit Aus- Arbeiten für Berlin vorgelegt hatte, begann nahme von Hopper), ab 1945 ausschließ- ein längeres Hin und Her über die Werkaus- lich nordamerikanische Kunst mit Aus- wahl, an der in Berlin neben Peter-Klaus nahme des RAF-Zyklus von Gerhard Richter. Schuster auch Angela Schneider intensiv Die Ausstellung bleibt ein Höhepunkt in der beteiligt war. Wir kämpften in schönster Geschichte des Vereins und der National- Harmonie mit der in New York die Ausstel- galerie. lung betreuenden Jennifer Russell um jedes Bild, jede Skulptur. „Es muss das Beste sein, Peter Raue, 1977 bis 2008 Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie was nach Berlin kommt“, war unser Bitten, auch Newmans unvergleichlich großartige Skulptur „Broken Obelisk“, Rodins grandio- ser „Balzac“, der Rousseau, die Picassos und Matisse.
Gleich im ersten Raum: „Der Badende“, um 1885, von Paul Cézanne und „Sternennacht“, 1889, von Vincent van Gogh. Die meisten Werke der Ausstellung hatten ihren Auftritt im Unterge- schoss; dafür musste die eigene Sammlung ins Depot gebracht werden. „Der Tanz I“, 1909, von Dem 15-teiligen Zyklus Henri Matisse und „Seerosen“, zum „18. Oktober 1977“ um 1920, von Claude Monet (RAF-Zyklus) von Gerhard gehörten für das Publikum Richter wurde ein zu den beliebtesten Bildern eigener Raum gewidmet. unter den mehr als zwei- hundert Meisterwerken der Ausstellung. Viele Arbeiten konnten im Untergeschoss eine besondere Ausstrahlung erzeugen, weil Mies van der Rohe bei der Planung der Neuen Nationalgalerie die Sammlung des MoMA zum Vorbild genommen hatte. 2004 Das MoMA in Berlin
2009 / 2010 Bilderträume Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch
Mit der Ausstellung präsentierten wir einen Blick und Gegenblick: Das großen Teil unserer Sammlung erstmals öffentlich in Fenster neben einem der Berlin. Gemeinsam sammeln wir seit über fünfzig Jahren Hauptwerke der Sammlung, Kunst, insbesondere Arbeiten des europäischen Surre- einem Porträt von Max Ernst, öffnete sich in den alismus und des Abstrakten Expressionismus der New Gartensaal. York School, darunter Werke von Max Ernst, Joan Miró, René Magritte, Barnett Newman, Jackson Pollock und Mark Rothko. Dabei leitet uns weniger der Wunsch nach kunsthistorischer Vollständigkeit als eigene Vorlieben. Die Ausstellung spiegelte unsere wesentlichen Samm- lungsschwerpunkte wider und verdeutlichte die Ver- knüpfungen der Werke untereinander. Darüber hinaus nahm „Bilderträume“ sogar Bezug auf die Präsentations- weise der Sammlung in unserem eigenen Haus mit vie- len reizvollen Ein- und Durchblicken. Zu unserer großen Freude reagierten die Museumsbesucher mit Neugierde und Begeisterung auf die Ausstellung unserer Werke. Ulla und Heiner Pietzsch, Kunstsammler Zur Sammlung gehören auch surrealistische Zeitschriften. Im lichten Gartensaal stand das „Wüstendenkmal“, 1941, von André Masson. Das Gemälde von Francis Bacon war ausgeliehen und kam erst verspätet in die Ausstellung. Für die frühe, beidseitig bemalte Papierarbeit „Omen“, um 1946, von Mark Rothko wurde eine eigene Wand gebaut. 2009 / 2010 252 2009 / 2010 Bilderträume 253 Bilderträume
Im ersten Ausstellungsraum wie auch im Katalog erschie- nen die Werke vor schwarzem Links die originale Glas- Hintergrund, um die poeti- wand von Mies, daneben sche, mystische Dimension die für die Ausstellung dieser Kunst zu verstärken. entworfene Trennwand. Darf man das? Direkt beim ersten dadurch setzt ein sich gegenseitig heraus- notiert hatte und in dem sich ein zarter Calder Mal? Die „Bilderträume“ waren unser ers- forderndes Ineinandergreifen von Vorstel- in windloser Stille dreht. Surrealismus und tes Projekt für die Neue Nationalgalerie. Wir lung und Erfahrung ein, dieser sich verwan- Abstrakter Expressionismus tanzen mitein- haben lange darüber nachgedacht, haben delnde Taumel des Déjà-vu. Ich gehe durch ander. Eigenartig, wie mir der glasbewehrte abgewogen, gerätselt und gesprochen – das in einen schwarzen Horizont gebettete Blick in meine nahe Zukunft den Weg dorthin und es dann einfach gemacht: Wir haben Traumland von Max Ernst, vorbei an seinen physisch versperrt und ihn zugleich gedank- diese eleganten, raumhoch verglasten und Wächtergruppen aus Gips und Bronze, ich lich öffnet. Mir bleiben nur die Umkehr, das mit Doppeltüren versehenen Holzrahmen, schaue auf die aus einem sonnigen Paradies Wissen und ein vorläufiges Vergessen. Da, im mit denen Mies van der Rohe im Souterrain herabgestiegenen Fragmente ebendieser nächsten Raum, ein weiteres Schaufenster, der Neuen Nationalgalerie die Bereiche Wächter und passiere eine Schleuse aus das, diesmal über Eck gebaut, Ein- und Aus- Foyer, Prolog und Epilog so wunderbar von- raumhohen Schaufenstern, das eine Fens- blicke in Überblendung gewährt. Duchamps einander getrennt und durchlässig gemacht ter rosa ausgeschlagen (mit Hans Bellmer), „Boîte-en-valise“ präsentiert sich darin hat, als Schaufenster nachgebaut und damit das andere blau (mit Alexander Calder). In ebenso delikat wie gleichgültig mit einer dem Ausstellungsparcours durch die „Bil- den Auslagen sich bewegend: Betrachter, mir unbekannten Betrachterin, die auf der derträume“ eine unbedingte Richtung und meinesgleichen. Ich folge dem Parcours, Gegenseite des Fensterwinkels mein Ver- undeutliche Verwirrung zugleich gegeben. vorbei am Bildnis eines beunruhigt trop- gnügen zu teilen scheint und der ich – um Im Eckschaufenster befand sich die „Boîte-en-valise“ Es ging uns nicht darum, Mies zu imitie- fenden jungen Mannes (erneut von Max seriös zu bleiben – Komplizenschaft bei dem von Marcel Duchamp. ren. Nein, viel schlimmer: Blasphemie und Ernst), und biege um die Ecke in surreales wechselseitigen Spiel unserer Augen und Missbrauch im Dienste der Kunst! Pietzsch, Rosa, erlebe mich im Schaufenster mit Bell- Gesten unterstellen muss. Ich werde ihr wohl das verdiente Sammlerpaar, ermutigte mit mers chromglänzender „Puppe“, ich schaue folgen, unbemerkt und leicht wie ein Mobile, freundlichen Augen. „Machen Sie mal, junger durch die Glasscheibe hindurch und zurück wir sehen uns im blauen Raum … Mann, dem Mies hätte das gefallen …“ auf meinesgleichen – genau dorthin, von wo Die räumliche Inszenierung einer perfekten aus ich zuvor auf ebendiese geschaut hatte. Meyer Voggenreiter, Ausstellungsgestalter Schleife durch die wiederholende Anwen- Ein puppenhafter Schauder erfasst mich. In dung des Gegebenen – der großen Glas- spiegelglasiger Ferne lockt der blaue Raum, scheiben. Nichts Neues also, aber gerade den ich eingangs im linken Augenwinkel 2009 / 2010 254 2009 / 2010 Bilderträume 255 Bilderträume
2009 / 2010 Thomas Demand Nationalgalerie
Die Ausstellung entstand ganz „deutsche“ Arbeiten von Thomas Demand herangewagt hatte, was man „das Natio- im intensiven Dialog mit Thomas Demand, in der Ausstellung zu konzentrieren. Dieser nale“ nennen könnte. Botho Strauß schrieb den ich seit vielen Jahren kenne. Am Anfang Fokus wäre jedoch falsch verstanden und zu für jedes Werk in der Ausstellung einen Text, unserer Überlegungen, wie man sein inzwi- eng gedacht, wenn man ihn nur als Zusam- der das Bild nicht erklärte, sondern vielmehr schen so großes künstlerisches Werk zeigen menstellung jener Werke des Künstlers ver- weitere Schichtungen hinzufügte. und welche Auswahl man treffen könnte, stünde, die sich mit gesellschaftlichen und Für die offene Glashalle entwickelte Thomas stand der Bau selbst, die Architekturikone politischen Ereignissen beschäftigen. Am Demand gemeinsam mit dem Londoner von Mies. Dabei setzten wir uns nicht nur Beispiel von Deutschland ging es sehr viel Architekturbüro Caruso St. John ein an das eingehend mit der Raumwirkung der offenen genereller um die Frage, ob und inwiefern Raster der Architektur angelehntes Display Halle und den hier verwendeten Materialien sich ein nationales Selbstverständnis in Bil- aus Vorhängen. Die Idee, den Raum mit Vor- auseinander, etwa dem Eichenholz, dem dern konzentriert und kondensiert und über hängen zu gliedern, lässt sich dabei als Wei- Granitboden oder den ursprünglich vor- solche Bilder erinnert und mitgeteilt wird. terentwicklung der schwebenden Wände handenen Vorhängen. Wir sprachen insbe- Gibt es eine Nationalgalerie im Sinne einer sehen, die das Büro von Mies van der Rohe sondere über die eminente Bedeutung des Bildwelt, die nationenbedingte Eigenheiten, eigens für das Gebäude entworfen hatte. Gebäudes für die Geschichte West-Berlins eine auf staatlicher Zugehörigkeit begrün- Anders als bei der Mondrian-Ausstellung oder im größeren Sinne Westdeutschlands. dete Mentalität zu verkörpern vermag? Mit 1968 bildeten die bodenlangen Vorhänge Die Neue Nationalgalerie ist ja ein symboli- Sicherheit waren dies Fragen, die die Aus- in der Halle ganze Raumkompartimente aus. scher Bau, mit dem die Nachkriegsgesell- stellung „Nationalgalerie“ mehr aufwarf, als In dieser bewusst konstruierten und gleich- schaft an die Bauhaus-Tradition anknüpfte, dass sie sie beantwortet hätte. Es sollten zeitig höchst anspielungsreichen Ausstel- auch im Sinne einer „Wiedergutmachung“ Anregungen für die Besucher sein, sich auf lungsarchitektur setzte sich das Modellhafte nach den Gräueltaten der Nazis, und mit dem eigene Assoziationen, Erinnerungen und und Inszenatorische in Thomas Demands sich viele Hoffnungen verbanden. Zufälliger- Stimmungsbilder einzulassen. Arbeiten fort. Eine weitere Ebene des Pro- weise sollte die Demand-Ausstellung ausge- Thomas Demands Arbeiten wurden in der jektes waren Gespräche in der Ausstellung rechnet im Jubiläumsjahr der Gründung der Ausstellung durch Bildlegenden von Botho zwischen Wissenschaftlern, Künstlern und Bundesrepublik Deutschland vor sechzig Strauß begleitet, jenem Autor also, der schon Politikern über Aspekte der deutschen Kul- Jahren und zum zwanzigjährigen Jubiläum einmal als „Orpheus in der Bundesrepublik“ tur und Gesellschaft. Diese Dialoge standen des Mauerfalls stattfinden. Aus diesen ver- bezeichnet worden war und der sich auf jeweils unter dem Titel „How German is it?“. schiedenen Aspekten heraus entwickelten notwendig umstrittene Weise immer wieder wir schließlich das Konzept, uns ganz auf an den schwierigen Themenkreis dessen Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie Um die Arbeiten von Thomas Demand vor Stoff zu präsentieren, mussten zwischen die Vorhänge Holzwände zur Befestigung gebaut werden. 2009 / 2010 258 Thomas Demand 259
Die literarischen Beiträge von Botho Strauß wurden mit den dafür entworfenen Vitrinen zu einem eigen- ständigen Raumelement. „How German is it?“ Eine Vortragsreihe mit namhaften internationalen Rednern stellte während der Ausstellung erneut die Frage nach der deutschen Identität. 2009 / 2010 Thomas Demand
2010 / 2011 Moderne Zeiten Die Sammlung 1900 –1945 Als „Schattengalerie“ wurden beispielhaft einige Werke integriert, die die Nationalgalerie durch die Aktion „Entartete Kunst“ 1937 eingebüßt hatte. Sie waren als schwarz-weiße Fotorepro duktionen in Original- größe zu sehen, etwa an der Kirchner-Wand. Die Porträtgalerie mit angedeutetem Kamin erin- nerte an die vormoderne Salonhängung. 266 267
Unter dem Raumtitel „Stützen der Gesellschaft“ wurde politische und sozialkritische Kunst der Weimarer Republik gezeigt. Neben Werken von George Grosz und Otto Dix konnten auch Gemälde von Ludwig Meidner, Heinrich Ehmsen und Josef Scharl ausge- stellt werden. Unter dem von Charlie Chaplins berühmtem Film über Potsdam“ von 1930 konnten wir während der entliehenen Titel „Moderne Zeiten“ begann im Frühjahr Laufzeit eine Neuerwerbung vorstellen und in die Schau 2010 die erste von drei großen, chronologisch anein- integrieren. Künstler wie Oskar Fischer und Curt Querner ander anschließenden Sammlungspräsentationen, die hatten dem Kommunismus nahe gestanden, ihre Werke jeweils das gesamte Untergeschoss der Neuen National- waren in der DDR gesammelt, nach der Wiedervereini- Erstmals traten alle galerie füllten. In den Jahren zuvor waren dort meist Son- gung jedoch in die Depots verbannt worden. Durch ihre zehn der Nationalgalerie derausstellungen zu sehen gewesen, und wenn dazwi- Aufnahme in die Sammlungspräsentation wollten wir gehörenden Skulpturen von schen die eigene Sammlung gezeigt wurde, dann nur in auch den politischen Charakter des Nationalgalerie- Rudolf Belling zusammen auf und veranschaulichten einem kleinen Ausschnitt der Bestände. Nach seinem Bestandes deutlich hervorheben. die stilistische Band- Amtsantritt als Nationalgalerie-Direktor traf Udo Kittel- Um die Vielfalt der Moderne zu vermitteln, konzipierten breite dieses Bildhauers. mann die programmatische Entscheidung, das Unter- wir einen Wechsel thematisch, stilgeschichtlich und geschoss dauerhaft der Sammlung zu widmen. Durch künstlermonografisch ausgerichteter Räume. Diese die Dreiteilung der Präsentation konnten wir neben dem waren nicht mit politischen oder kunsthistorischen Kanon der „Highlights“ auch viele unbekanntere, aber Begriffen benannt, sondern jeweils nach dem Titel gleichermaßen bedeutende Werke vorstellen. Außerdem eines in ihnen enthaltenen Kunstwerks, etwa „Brüder wollten wir demonstrieren, dass die Sammlung die zur zur Sonne, zur Freiheit“. Unterschiedliche Wandfarben Verfügung stehende Fläche gleich mehrfach füllt und akzentuierten inhaltliche Aspekte und Grundstimmun- daher dringend einen Erweiterungsbau benötigt. gen. Es gab eine für Sammlungspräsentationen erstaun- Kuratorisch wurden die drei Sammlungspräsentationen lich große, positive Resonanz in der Presse und beim „Moderne Zeiten“, „Der geteilte Himmel“ und „Auswei- Publikum. Die erstmals ausschließliche Konzentration Als permanenter Gast tung der Kampfzone“ gemeinsam von Udo Kittelmann, auf die klassische Moderne war dafür ebenso wichtig wie bespielte das Kupferstich- Joachim Jäger und mir erarbeitet. Den Ausgangspunkt die Tatsache, dass wir die Zeit des Nationalsozialismus kabinett einen Raum mit wechselnden Präsentationen bildeten ausführliche Depot-Rundgänge, bei denen wir nicht ausgeklammert hatten. von Arbeiten auf Papier. Entdeckungen machten und intensiv diskutierten. Dabei Damit wurde auch an die hatten wir beispielsweise zu dem 1919 entstandenen, Dieter Scholz, Kurator für klassische Moderne Sammlung der Zeichnungen in der Neuen Nationalgalerie erinnert, die bis 1986 expressiven Gemälde „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ zur Nationalgalerie gehört von Oskar Fischer durchaus unterschiedliche Ansichten, hatte. nahmen es aber in die Präsentation auf. Auch den bisher weniger beachteten Realismus versuchten wir neu zu 268 2010 / 2011 bewerten, und mit Lotte Lasersteins Hauptwerk „Abend 269 Moderne Zeiten
2014 Otto Piene More Sky
2014 2014 Otto Piene Otto Piene
An einem der heißesten Tage des Jahres begann bereits morgens die Befüllung der Heliumschläuche für das Sky Art Event. Für Otto Piene, den Licht- und bis in die späte Nacht, möglichst bei freiem löste uns Stephan Landwehr mit zwei kleinen ZERO-Künstler, der seit 1974 am MIT Eintritt, zu erleben. Diese Aufhebung des Bars, die er in den Garderoben einrichtete (Massachusetts Institute of Technology in normalen Betriebs begeisterte Otto Piene, und an denen Cocktails angeboten wur- Cambridge, USA) ein eigenes Künstlerins- der darauf verwies, dass die ZERO-Künstler den. Fraglich, bei allem Aufwand, schien uns titut leitete, waren Prozesse immer wichti- die Regularien der Museen schon immer für jedoch, ob jenseits einzelner Nachtschwär- ger als einzelne Ergebnisse. Kunst, sagte zu engstirnig gehalten hätten. Klar war uns mer überhaupt jemand kommen würde? Wir Tausende Zuschauer kamen zu Ehren von Otto Piene. er oft, bestehe „im Wagnis und im Experi- jedoch auch: Wegen der Dimensionen der rechneten mit maximal fünfzig Menschen ment“. Unsere Treffen in Berlin, zu denen Halle konnten die Dias nicht mit der histo- pro Nacht. Doch es kam anders. Otto Piene der damals bereits weit über achtzigjährige rischen Kodak-Technik projiziert werden, konnte die parallel in der Deutschen Bank Künstler mehrmals im Jahr von Boston aus die um 1964 vor allem wegen der endlos KunstHalle stattfindende Ausstellung zu anreiste, waren aus seiner Sicht bereits Teil laufenden Rundkarusselle Furore gemacht Werken aus seiner ZERO-Zeit noch selbst seiner künstlerischen Arbeit. Für die Halle hatte. Es mussten also digitale Versionen eröffnen. Auch in der folgenden Nacht, bei hatte Otto Piene zunächst vorgeschlagen, verwendet werden, die für die alten Dias der Preview der Dia-Performance, nahm große aufblasbare Skulpturen, sogenannte bereits vorlagen. Der Fotograf Michael er im Rollstuhl den Applaus der Gäste ent- Inflatables, zu zeigen. Zeitgleich hatte er die Wesely half uns dabei, die neu hinzugekom- gegen. Am nächsten Mittag jedoch, im Taxi alten Farben seiner frühen Glasdias wieder- menen Dias ebenfalls zu digitalisieren. Test- vom Museum ins Hotel, verstarb der Künst- entdeckt, mit denen er erneut zu arbeiten projektionen, nachts in der menschenleeren ler gänzlich überraschend. Das für das erste begann. So entstanden malerische, viel- K. O.-Götz-Ausstellung, zu denen Otto Piene Wochenende nach der Eröffnung geplante farbige neue Dias. Parallel lernten wir Otto eigens anreiste, überzeugten und halfen uns Sky Art Event wollten wir zunächst absagen, Pienes alte Glasdias aus den 1960er Jahren bei der Entwicklung einer räumlichen Dra- es fand dann aber, auf vehementes Zureden kennen, die sich hauptsächlich im Besitz maturgie. Hinzu trat das akustische Element. aller Piene-Vertrauten, wie geplant statt. der Kunsthalle Bremen, aber teilweise Neben den Dias haben sich in Bremen und Mit dem Aufblasen der ersten Luftkörper auch bei dem Künstler zu Hause befanden. auch in der ZERO foundation in Düsseldorf wurde bereits morgens begonnen, tatkräf- Diese begeisterten uns mit ihrer spirituellen Tonband-Aufzeichnungen einer historischen tig unterstützt vom Technischen Hilfswerk Energie und Leuchtkraft. Recherchen über Piene-Performance erhalten, die wir auslei- und zahlreichen Künstler-Assistenten. Die frühe Dia-Performances von Piene in Bonn, hen konnten. Streng nach dem Takt dieses Hauptaktion vollzog sich vom Nachmittag Düsseldorf und New York bestärkten uns Tonbandes wurden die Beamer program- bis in die Nacht. 10.000 Menschen kamen, Otto Piene, zwei Tage vor seinem Sky Art Event schließlich darin, ein Revival zu wagen: eine miert. Lange Diskussionen ergaben sich zu um dem stundenlangen, äußerst langsamem auf dem Dach, zeigte sich Re-Inszenierung der Dia-Performances der der Frage, ob man das „Klick“-Geräusch der Schwebe-Prozess der Stoff-Skulpturen bei- begeistert von den idealen 1960er Jahre. Von Anfang an war dabei klar: alten Diakarussells nachahmen sollte oder zuwohnen. Es war ein denkwürdiger Abend. Ausgangsbedingungen. Neben ihm seine Freunde Günter Die große Halle musste dunkel sein. Ganz gerade nicht. Wir entschieden uns dage- Thorn und John Powell. aus pragmatischem Denken beschlossen gen. Statt Beschriftungen, die im Nachtbe- Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie wir, die Öffnungszeiten umzudrehen. Tags- trieb des Museums sinnlos gewesen wären, 2014 298 über sollte in der Halle nichts geschehen; wurde eine Zeitung mit zentralen Texten 2014 Otto Piene 299 die Performances wären aber von 22 Uhr von Piene entwickelt. Die Versorgungsfrage Otto Piene
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