Pilatus, Stürmisch, Null Grad - Infomappe für Lehrpersonen

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Pilatus, Stürmisch,
                            Null Grad
                       Infomappe für Lehrpersonen

Lernziel:
LP Sekundarstufe I, Bd. 2, Teil B, LP Geografie, GZ 2, S. 20.

Inhaltsverzeichnis
   Flyer Theatertour „Pilatus, stürmisch, Null Grad“
   Flyer Theatertour „Sagen, Spuk, Pilatusdrachen“
   Flyer Depot
   Pilatus – Rastlose Seele. Begleittext zur Ausstellung
   Pontius Pilatus. Ausschnitte aus der Matthäus Passion
   Obduktionsberichte zu Pontius Pilatus

Hinweise:
   Im Historischen Museum Luzern steht für die Schulklassen ein Atelier zur freien Benützung bereit.
    Der Raum ist mit Hellraumprojektor, CD-Player, Flipchart und Pinwänden sowie diverse Schreib-
    und Zeichnungsmaterialen ausgerüstet. Der Raum kann auch über die Mittagspause zum
    Picknicken genutzt werden. Er steht bereits ab 9 Uhr zur Verfügung (Dienstag bis Sonntag).
   Weitere Infos unter www.historischesmuseum.lu.ch
   Wir beraten Sie gerne: Walti Mathis, Bildung und Vermittlung, Tel. 041 228 54 24/22, E-mail:
    walti.mathis@lu.ch
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                  Historisches Museum Luzern

                         Pilatus – Rastlose Seele
                 Der Berg und sein berühmter Namenspatron

           Begleittext zur Sonderausstellung im Historischen Museum Luzern
                             19. März – 12. September 2010

Texte in der Ausstellung
 „In der Mitte der Talsenkung liegt der See. Er ist nur von dünnen Binsen bedeckt und von
einem mächtigen Wald umgeben. Weder Zufluss noch Abfluss ist bemerkbar. Das Wasser
ist schwarz, unheimlich und ruht in sumpfiger Trägheit. Die Winde haben kaum Zutritt.
Gegen Süden und Westen schützen ihn die Berghöhen, gegen Ost und Nord aber seine tiefe
Lage und das Waldesdickicht.“ Beschreibung des Pilatussees von Joachim von Watt,
genannt Vadian, 1518.

Jeder kennt den Pilatus. Den Berg bei Luzern. Aber niemand weiss wirklich, wer der
Mann war, der dem Berg den Namen gegeben hat. Jener Pontius Pilatus, der Jesus
zum Tod am Kreuz verurteilt hat. Warum hat er das getan? War er ein Bösewicht und
opferte einen Unschuldigen? Oder war er ein Heiliger, der genau das tat, was Gott
von ihm erwartete? Denn indem er ihn verurteilte, schuf er Jesus die Möglichkeit, die
Welt zu erlösen.

Dieser Mensch Pilatus, dieser völlig gegensätzlich beschriebene Mann, war ein
Mensch wie du und ich. Mit dem Potential des Bösen, des Gleichgültigen, des
Zögernden und des Guten. Wie du und ich eben.

In der westlichen christlichen Kultur ist Pilatus der Henker Christi schlechthin, ähnlich
böse wie Judas. In der äthiopischen Kirche ist er ein Heiliger. Irgendwo dazwischen
liegen verschiedene Wahrheiten, die alle zu Pilatus und seinem Dilemma gehören. Er
zieht sich aus der Affäre, indem er seine Hände in Unschuld wäscht. Seit dem
Mittelalter erzählen Legenden, er sei nach dem Tode Christi nach Rom gebracht und
vom Kaiser zum Tode verurteilt worden. Er habe Selbstmord begangen. Man warf ihn
in den Tiber. Da brachen Seuchen aus, sodass man ihn nach Frankreich abschob.
Wiederum Seuchen. Weiter die Rhone hinauf nach Lausanne. Dort dieselben
Katastrophen. Schliesslich habe man ihn in einem kleinen schwarzen Bergsee im
Pilatusgebiet versenkt. Doch auch dort trieb er noch lange sein Unwesen und sorgte
dafür, dass Luzern immer wieder überschwemmt wurde.

Im Pilatussee, einem idyllischen Hochmoor ganz versteckt im Gebirgswald fernab
vom Pilatusgipfel, ist Pilatus mit allen seinen vielen Geschichten präsent. Während
Jahrhunderten glaubte man an seine Existenz. Es war verboten hinaufzusteigen.
Dann wollte man nichts mehr von ihm wissen. Alles nur Legende. Schliesslich
bezwang der Glaube an die Technik den Berg. Eine unglaubliche Wunderbahn
wurde gebaut. Der Erfolg blieb nicht aus. Das Mystische machte dem Spektakel
Platz. Der Pilatus wurde zur leistungsfähigen Touristendestination. Aber noch immer
birgt er Geheimnisvolles, Ungewöhnliches. All jenen, die sich die Zeit nehmen,
abseits in Musse eigene Wege zu gehen. Die Person des Pilatus, der Berg, die
Bahn, der Tourismus und die Natur sind die Themen der Ausstellung.
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                 Historisches Museum Luzern

Verschiedene Persönlichkeiten des Pontius Pilatus und ihre
Argumente:
Der Militärkommandant Pilatus: Stimmt. Dieser Mann Jesus wurde mir vorgeführt.
Stimmt. Ich habe ihn zum Tod verurteilt. Was denn sonst? Oder soll ich etwa jeden
Gesetzesbrecher schützen? Jeden selbsternannten Propheten? Weil er glaubt
weiser zu sein als ich und alle die Menschen, die das römische Recht geschaffen
haben? Todsicher nicht. Ich war römischer Militärkommandant von Judäa. Ich war für
Ruhe und Ordnung verantwortlich. Und diese Verantwortung habe ich
wahrgenommen. Ohne Wenn und Aber. Auch wenn es mich im Nachhinein selbst
den Kopf gekostet hat. Das muss ein militärischer Führer akzeptieren können. Ich
habe meine Pflicht erfüllt. Alles andere zählt nicht.
Der Zyniker Pilatus: Das war zum Totlachen sage ich Ihnen. So etwas hatte ich noch
nie erlebt. Das konnte wirklich nur in Judäa geschehen. Ach, diese Juden! Hysterisch
und wankelmütig sind sie. Ich lag gerade beim Mittagessen, da schleppen sie einen
der ihren vor meinen Richterstuhl. Ich solle ihn zum Tode verurteilen, sagen sie. Weil
er behaupte Gott zu sein. Das sei Gotteslästerung. Das war ja nun wirklich nicht mein
Problem. Sondern ihres. Ich kenne keinen Gott. Dann nehmt ihn doch, ihr Juden, und
tötet einen der Euren! Absurd. Ihr wollt einen töten, der von seinem Königreich der
Liebe spricht? Euch ist nicht mehr zu helfen. Macht mit ihm, was ihr wollt. Meinen
Appetit jedenfalls liess ich mir deswegen nicht verderben!
Der Weichling Pilatus: Ich wollte ihn gar nicht verurteilen, diesen Jesus. Mir war
sofort klar, dass man da einen Unschuldigen vorführte. Ich versuchte, ihn frei zu
lassen. Aber das Volk überschrie mich. Was sollte ich tun? Jesus freizulassen konnte
ich unmöglich riskieren. Ich wäre beim Kaiser in Ungnade gefallen. Wenn ich
wenigstens den Mut gehabt hätte, ganz gütig oder ganz hart zu sein? Mit Güte hätte
ich Jesus befreit, mit Härte hätte ich ihn rasch in den Tod geführt. So aber zog ich
sein Leiden nur unnötig in die Länge. Der Mann Jesus tat mir leid. Aber mir blieb gar
nichts anderes übrig, als ihn dem Volk zur Hinrichtung zu übergeben. Vor allen
Leuten wusch ich meine Hände in Unschuld. Wenigstens das mussten sie wissen,
dass ich alle Schuld von mir wies.
Der Politiker Pilatus: Man hat mir diesen langhaarigen Typ vorgeführt, diesen Jesus.
Der sagte mir direkt ins Gesicht, ich solle nicht jeden Gedanken, der neu sei für
mich, gleich abwürgen, denn er könnte mich zu Gott führen. Von Liebe sprach er.
Böses solle mit Gutem vergolten werden. Unsinn. Solche Prinzipien sind der
Untergang des Staates. Keine Regierung kann sich Gesetze der Liebe leisten. Eine
Regierung, die festlegen würde, Böses solle mit Gutem vergolten werden, könnte
kein Strafrecht durchsetzen. Der Typ war überhaupt nicht so harmlos, wie die einen
sagten. Sein Auftreten war in hohem Masse subversiv. Da lag politischer Zündstoff
drin. Darum habe ich ihn zum Tode verurteilt. „Mein Königtum ist nicht von hier“, hat
er gesagt. Ich lasse mich doch nicht auf den Arm nehmen! Der konnte den Menschen
nicht geben, was sie am meisten ersehnen: Sicherheit und Brot.
Der Richter Pilatus: Ich bin ein römischer Richter. Ich kenne das römische Recht.
Wenn einer vor meinen Richterstuhl tritt und sich selbst schuldig bekennt, dann muss
ich ihn gar nicht mehr verurteilen. Er wird zum „confessus“ und verurteilt sich selbst.
Ich fragte Jesus: „Bist Du der König der Juden?“ Er antwortete: „Ja.“ Er masste sich
also an, ein König zu sein. Das kam einer „maiestas“ gleich, einem Hochverrat. Das
ist das schlimmste Verbrechen gemäss römischem Gesetz. Ich kann ihn also gar
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                Historisches Museum Luzern

nicht mehr verurteilen, denn er hat sich zu seiner Tat bekannt und selbst verurteilt.
Da bleibt mir gar nichts anderes übrig, als den Hinrichtungsbefehl zu erteilen.
Der Heilige Pilatus: Ich bin geboren worden, um meine Aufgabe im Heilsplan Gottes
zu übernehmen. Gott wollte, dass ich als römischer Richter seinen Sohn Jesus zum
Tode verurteile. Nur so konnte Jesus die Menschheit erlösen. Mein Urteil geschah
genau nach diesem Heilsplan Gottes. Da gab es gar keine Alternative. Jesus hat
mich provoziert. Und ich habe ihn zum Tod am Kreuz verurteilt. Propheten haben
angekündigt, was ich tun werde. Ich habe es getan. Als göttliches Wesen sah Jesus
seine Handlungen voraus, denn er wusste alles von allem Anbeginn. Ich war zwar
der Vertreter der Weltmacht Rom. Aber in diesem Gerichtsfall nur ein Statist. Ich
habe meine Rolle gut gespielt. Dafür macht man mich jetzt zum Heiligen. Ich nehme
auch dies demütig an. Ändern kann ich sowieso nichts. Es geschieht alles nach dem
Heilsplan Gottes.

Der Selbstmörder Pilatus: Was heisst hier Selbstmörder? Selbstmörder mit diesem
negativen Unterton? Selbstmord gilt unter Römern als nobelster Tod überhaupt. Ich
bin ein römischer Ritter. Selbstverständlich trug ich Zeit meines Lebens eine
Rasierklinge an einer goldenen Kette um den Hals. Für den Augenblick, da ich des
Essens und Trinkens und Regierens überdrüssig würde. Oder von meinem Herrn
dem Kaiser Ungemach erfahren sollte. Das geschah einige Zeit nach dem
Kreuzestode dieses Juden Jesus. Damals brachte man mich vor den Kaiser und
klagte mich des Justizmordes an. Ich zog mich in meine Privatgemächer zurück,
schloss die Türe, zog die Schuhe aus und legte mich auf die Couch. Und dann
schnitt ich mir am Handgelenk die Venen auf. „Aeternum vale“ – „Lebewohl auf
ewig.“

Der Pensionär Pilatus: Warum so aufgeregt? Was ist denn mit Euch los? Lasst mich
in Ruhe! Seit über dreissig Jahren lebe ich hier in Südfrankreich auf meinem schönen
Weingut im Kreise meiner Familie. Und Ihr kommt und werft mir vor, ich hätte einen
Juden namens Jesus zum Tod am Kreuz verurteilt? Wie soll ich mich an so etwas
erinnern? Damals, als römischer Statthalter in Judäa, habe ich Tausende zum Tode
verurteilt. Das war ganz normal. Mit diesen Juden musste man so umgehen.
Hunderte standen vor meinem Richterthron und behaupteten, sie seien Propheten.
Oder Könige. Ja sogar Gott. Auflehnung gegen die Staatsgewalt. Kapitalverbrechen.
Tod. Nur so war diese Provinz überhaupt zu regieren. Und da kommt Ihr und macht
mir Vorwürfe. Schwachsinn! Ich jedenfalls habe meine ewige Ruhe verdient! Oh,
wenn man mich doch nur endlich in Ruhe lassen würde!

Der Filmtext (gekürzt)
Der Pilatussee. Ganz versteckt am Rande der hintersten Alp im Pilatusgebiet.
Weit weg von der Stadt Luzern. Und weit weg vom eigentlichen Pilatusberg, dem
Wahrzeichen von Luzern. Heute ist dieser ehemalige See ein malerisches
Hochmoor, von Wald umgeben, in einer aussergewöhnlich stimmungsvollen Lage.
Im Laufe von Jahr und Tag hüllen ihn ganz verschiedene Stimmungen ein: Wärme,
Sonne, Nebel, Nacht, Kälte, Regen, Schnee. Schwarzes Moorwasser, Stille,
Bienengesumme und Vogelgezwitscher, ab und zu ein hoch fliegendes Flugzeug,
Gewitter, Blitz, Donner, ferne Kuhglocken, vielleicht eine Alphornmelodie.
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                  Historisches Museum Luzern

Mit diesem ehemaligen Moorsee ist die Geschichte von Pontius Pilatus verbunden.
Seit dem Mittelalter. Einiges ist sicher, alles andere Legende. So bedeutend wurde
die Legende, dass der kleine, unscheinbare Pilatussee dem grossen Berg, der früher
Fractus Mons, Fräkmünt, hiess, den Namen gab.
Sicher ist, dass Pontius Pilatus zur Zeit Jesu Christi römischer Statthalter in Judäa
war. Während der Regierungszeit des Kaisers Tiberius kommt Pilatus im Jahr 26
nach Palästina. Münzen, die er prägen liess, datieren in die Jahre 29 bis 32. Eine in
der römischen Hauptstadt Cäsaräa gefundene Inschrift trägt seinen Namen:
„PONTIVS PILATVS PRAEFECTVS IVDAEAE“.

Pilatus residierte üblicherweise in Cäsaräa. Zu Gerichtsterminen aber weilte er in
Jerusalem. So auch an Ostern, zum Paschafest der Juden. Hier hat er wohl im Jahr
30 oder 31 Jesus zum Tod am Kreuz verurteilt. Pilatus verlässt Judäa Ende 36 und
kehrt nach Rom zurück. Dann hören wir nichts mehr von ihm.

Als höchster Richter im Lande war Pilatus oft tagelang mit Gerichtsverhandlungen
beschäftigt. Das Richten von Jesus war ein Fall von vielen. Wegen Gotteslästerung
spricht der Rat der Juden gegen Jesus das Todesurteil aus. Von Pilatus verlangt er
die Bestätigung des Urteils. Jesus sei ein Aufwiegler des Volkes und behaupte, er sei
ein König. Pilatus hört sich die Anklage an, befragt Jesus, bekommt keine klaren
Antworten, zögert, und bestätigt schliesslich das Urteil. Jesus wird am Kreuz
hingerichtet. Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld: „Ich bin unschuldig am Blute
dieses Gerechten.“

Der römische Kaiser Tiberius leidet an einer schweren Hautkrankheit. Er hört von
Jesus, der Krankheiten heilen könne. Er ruft seinen Vertrauten Volusianus zu sich:
„Reise nach Judäa, suche Jesus und komme mit ihm zu mir nach Rom.“ Volusianus
trifft in Judäa ein und will von Pilatus wissen, wo er diesen Heiler Jesus finden könne.
Pilatus, der Jesus kurz zuvor hinrichten liess, gerät in Bedrängnis. Er beschwichtigt
Volusianus und versucht Zeit zu gewinnen. In Jerusalem begegnet Volusianus
Veronika, einer Bekannten von Jesus. Sie hatte Jesus begleitet und wollte ihn
porträtieren. Doch dieser lächelte nur, legte sich ein Leinentüchlein auf sein Gesicht
und reichte es ihr. Das Leinentüchlein zeigte den Abdruck des Antlitzes Jesu.

„Pilatus hat Jesus hinrichten lassen“, erzählt Veronika Volusianus, „aber dieses
Leinentüchlein, diese kostbare Reliquie des Gekreuzigten, wird den Kaiser ebenfalls
heilen.“ Volusianus reist mit Veronika nach Rom. Veronika zeigt dem Kaiser das
Leinentüchlein, er betrachtet das Antlitz Jesu, und siehe da, er wird geheilt.

Unterdessen war Pilatus in Judäa verhaftet und ebenfalls nach Rom gebracht
worden. Tiberius verhört ihn, wird zornig und will ihn zum Tod verurteilen. Doch im
letzten Moment bringt er das Urteil nicht über seine Lippen und entlässt Pilatus. Am
nächsten Gerichtstage geschieht dasselbe wieder. Veronika weiss warum: „Pilatus
trägt unter seiner Rüstung das nahtlose Gewand Jesu. Dieses behütet ihn vor
jeglichem Ungemach.“ Tiberius befiehlt Pilatus, sich auszuziehen. Und tatsächlich,
Pilatus wird verletzlich. Der Kaiser spricht das Todesurteil aus. Zurück im Gefängnis
begeht Pilatus Selbstmord.

Wie dies bei Selbstmördern üblich war, wirft man ihn in den Tiber. Da stürzen sich
die Teufel auf ihn, heben den Leichnam in die Lüfte und versenken ihn wieder im
Wasser. Sie verursachen Überschwemmungen. Gewitter brechen aus. Entsetzt
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                Historisches Museum Luzern

holen die Römer den Leichnam aus dem Tiber und transportieren ihn nach
Frankreich, nach Vienne, wo er in der Rhone versenkt wird. Aber auch dort
geschehen dieselben Katastrophen. Die Leute bergen den Leichnam und überführen
ihn die Rhone aufwärts nach Lausanne, wo er in den Genfersee geworfen wird.
Kein Tag vergeht, und das Ungemach ereignet sich noch viel stärker. Man
beratschlagt, was zu tun sei. „Nur ein abgelegener See in den Alpen kann diesen
Leichnam aufnehmen.“ So überführt man den toten Pilatus nach Luzern, steigt hinauf
ins unwegsame Gebiet des Fractus Mons und versenkt den Leichnam in einem
kleinen, schwarzen Moorsee zuhinterst im Pilatusgebiet und hoch über dem Eigental.

Doch Pilatus gibt keine Ruhe. Er löst heftige Gewitter aus, sodass der Krienbach
anschwillt und Luzern überschwemmt. Niemand weiss, wie diesem Ungeheuer,
diesem Wiedergänger, der nie seine Ruhe finden kann, zu begegnen sei. Da weilt
ein fahrender Schüler aus Salamanca in Luzern. Er anerbietet sich hinaufzusteigen
und Pilatus zu beschwichtigen. Er steht auf dem Widderfeld hoch über dem See und
ruft Pilatus an. Dieser schiesst wie eine Furie in die Luft hinauf. „Pilatus, ich
beschwöre dich mit allen Zauberformeln, die mir heilig sind, besänftige dich, gib
endlich Ruhe.“ Pilatus hält inne. Der fahrende Schüler trifft mit ihm ein Abkommen,
und Pilatus bestätigt es: „Ja, ich ziehe mich in den Moorsee zurück. Aber einmal im
Jahr, am Karfreitag, steige ich heraus, setze mich auf meinen Richterthron, umhülle
mich mit dem roten Richtermantel und walte meines Amtes. Nie aber darf jemand in
die Nähe des Sees treten, meinen Namen rufen oder gar Steine ins Wasser werfen.
Sonst werde ich, Pontius Pilatus, augenblicklich schwerste Gewitter über den Berg
aussenden. Dieser Berg aber soll in Zukunft meinen Namen tragen.“

Ruhe kehrt ein am Pilatus. Aber dann beginnen besonders Neugierige und
Wagemutige zum Pilatussee hinaufzusteigen, um selbst zu erfahren, ob denn da
etwas Wahres an dieser Geschichte sei, die sich um das Jahr 1250 verbreitete. Der
Rat von Luzern will nichts riskieren. Er verbietet den Besuch des Sees ausdrücklich.
Im Jahr 1387 wollen sechs Priester trotz des Verbotes zum See hinauf gehen. Sie
werden abgefangen, verhaftet und verurteilt. Anderen geht es ebenso.

Das Verbot wird zum Magnet. Das Verbotene lockt Neugierige an. Einigen gestattet
der Rat auf besonderes Ansuchen hin, unter strengen Sicherheitsmassnahmen den
See zu besuchen. Solche werden von Älplern hinaufgeführt. Es sind vor allem
gebildete Leute, welche die Mühe auf sich nehmen, zum See hinaufzusteigen. Diese
sind der Überzeugung, die ganze Pilatusgeschichte sei nichts als eine schöne Sage.

Im 16. Jahrhundert wird auch die katholische Kirche aktiv.1585 steigt Magister
Johann Müller, der Pfarrer von Luzern, mit seinen Getreuen zum See hinauf, in der
festen Absicht, dem Aberglauben mit Methoden des Exorzismus, der
Teufelsaustreibung, ein Ende zu setzen. Er befiehlt den Stadtknechten: „Watet durch
diesen See, er ist ja nur etwa 80 Meter lang und 30 Meter breit. Und kaum einen
Meter tief. Werft Steine hinein. Ruft den Namen von Pilatus. Ja, seht und hört –
nichts geschieht! Kein Gewitter und keine Überschwemmungen gibt es!“ 1594 gräbt
man den See sogar ab und lässt das Wasser auslaufen, um ganz sicher zu sein,
dass Pilatus nicht anwesend ist.

Nun wurde es ruhig um den Pilatussee. Das Magische verflüchtigte sich, obwohl
immer wieder Touristen hinauf stiegen, um den Schauplatz dieser in ganz Europa
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bekannten Legende selbst zu sehen. Noch heute. Und noch heute zieht der Ort in
seinen Bann.

Hofbrückenbilder mit Pilatusszenen
Die Gemälde der ehemaligen Hofbrücke Luzern, die um 1575 entstanden sind und
1646 übermalt wurden, stellen Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament
dar. In der Passion Christi erscheint Pilatus mehrmals, und schliesslich ist im Teil der
Apostelgeschichte auch der Selbstmord von Pilatus ein Thema.

Die Juden führen Jesus vor Pilatus, der als Richter den Stab über Jesus bricht.

Procula, die Frau von Pilatus, hatte einen schrecklichen Traum. Durch ihren Diener
lässt sie Pilatus einen Brief überreichen, worin sie ihren Mann beschwört, Jesus
freizusprechen, denn er sei unschuldig.

Es war üblich, dass der römische Statthalter zum Osterfest einen Gefangenen
freiliess. Pilatus schlägt den Juden vor, Jesus zu begnadigen. Doch diese wollen den
eingekerkerten Mörder Barabbas frei haben, um Jesus zu kreuzigen.

Pilatus lässt Jesus abführen und wäscht seine Hände in Unschuld.

Jesus wird gegeisselt. Im hinteren Teil des Palastes hält sich Pilatus bei seinen
Soldaten auf und lauscht den Einflüsterungen seiner Frau.

Pilatus führt den gegeisselten und mit Dornen gekrönten Jesus den Juden vor. „Ecce
Homo – Seht diesen Menschen!“ Dann übergibt er Jesus den Juden zur Kreuzigung.

Nach der Legende wird Pilatus von Kaiser Tiberius nach Rom zitiert und dort zum
Tod verurteilt. Im Gefängnis begeht Pilatus Selbstmord, indem er sich ersticht. Sein
Leichnam wird von Soldaten in den Tiber geworfen.

Gotische Federzeichnungen: Veronika, Pilatus und die
Zerstörung Jerusalems
Die 28 lavierten Federzeichnungen befinden sich in der Handschriftenabteilung der
Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern und wurden noch nie ausgestellt. Sie
dürften um 1470 in unserer Region entstanden sein. Sie wurden im 19. Jahrhundert
in Beromünster gefunden, wo sie in einem der Chorherrenhäuser als Einzelblätter auf
Tapeten geklebt waren. Offensichtlich hat man sie zu einem unbestimmten Zeitpunkt
aus einem Buch geschnitten. Joseph Stutz (1839-1909), Propst in Beromünster,
schenkte sie 1880 in die Kantonsbibliothek Luzern. Ähnlich den zeitgenössischen
Chroniken wechseln Bild und Text ab. Allerdings sind nicht mehr alle einst
vorhandenen Zeichnungen erhalten. Auch ist der Text auf den Rückseiten der
ausgeschnittenen Zeichnungen nur bruchstückhaft zu lesen. Trotzdem sind diese
Zeichnungen äusserst interessant, weil sie ganz ungewöhnliche Geschichten
illustrieren.
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                 Historisches Museum Luzern

Pilatus der Selbstmörder
Das nahtlose Leinengewand Christi
Der Kaiser Tiberius liess Pilatus nach Rom kommen, um ihn wegen seines
Fehlurteils an Jesus zu richten. Mehrmals trat Pilatus vor den Kaiserthron, doch
Tiberius konnte ihn nicht verurteilen, sondern entliess ihn immer wieder in aller
Freundlichkeit. Alle waren erstaunt und konnten sich das Verhalten des Kaisers nicht
erklären. Da sprach Veronika: „Zieht Pilatus aus, denn er trägt unter seinen Kleidern
das Gewand Jesu, das ihm die römischen Soldaten von Golgatha gebracht haben.
Dieses nahtlose Leinenkleid schützt ihn vor jedem Unheil.“ So geschah es. Pilatus
wurde entkleidet, und tatsächlich kam das Gewand Jesu zum Vorschein. Man nahm
es ihm ab, und erst dann konnte Kaiser Tiberius Pilatus zum Tod verurteilen. Dieser
beging Selbstmord.

Von Selbstmördern im Mittelalter
Wie mittelalterliche Quellen bezeugen, war es üblich, die Leichname von
Selbstmördern in ein Fass zu legen und dieses in den Fluss zu werfen. Bei diesem
„Rinnen lassen“ wurde das Fass mit einem Brief versehen, worin geschrieben stand,
was geschehen war. Beispiele sind aus Basel (1484 und noch 1727), Baden (1384)
sowie 1508 und 1546 aus Luzern bekannt. Die Pilatuslegende, welche vom
Versenken des Leichnams im Tiber, in der Rhone und schliesslich im Pilatussee
erzählt, entspricht also der mittelalterlichen Rechtspraxis und ist, was die Handlung
an sich anbelangt, nicht frei erfunden. Weitere Quellen erwähnen das Vergraben des
Leichnams eines Selbstmörders in einem Sumpf oder in einem Grenzgebiet, was
wiederum auf den Pilatussee zutrifft. Offensichtlich ging es darum, dem Selbstmörder
die Möglichkeit zu nehmen, als Wiedergänger den Weg zurück zu den Lebenden zu
finden. Wie Diebold Schilling 1512 erzählt, sprang in Basel, als man ein Fass mit
einem Selbstmörder darin in den Rhein warf, der Boden auf, ein schwarzes Tier
huschte heraus, und darauf folgte in der Gegend ein Hagelwetter.

Das Drachenmessgewand aus der Hofkirche Luzern
Dieses Messgewand in der Form einer Kasel ist aus einem blauen Seidentaft des 18.
Jahrhunderts gefertigt. Blau ist keine offizielle liturgische Farbe, war im Mittelalter
und in der frühen Neuzeit aber verbreitet. Der aufgesetzte blaue Rückenstab ist
bedeutend älter als die Kasel selbst. Er zeigt eine Seidenstickerei aus China, die im
15. Jahrhundert entstanden ist. Der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat (1545-
1614) berichtet als erster von diesem Messgewand und bringt die
Drachendarstellung mit der Sage vom Küfer auf dem Pilatus in Verbindung. Gemäss
Cysat soll diese Rettung im Jahr 1410 stattgefunden haben. Demnach hat die
Stickerei schon eine Kasel geziert, bevor sie auf diejenige des 18. Jahrhunderts neu
übertragen wurde. Der Drache hat einen blauen, weiss geschuppten Schlangenleib
und vier Füsse mit langen Krallen und gelben und grünen langen Haarbüscheln.
Auch vom Drachenkopf stehen solche Haare senkrecht in die Höhe. Die
Drachenaugen sind aus einer rot bemalten Papiermasse gemacht und mit braunen
Seidenfäden überspannt. Der blaue Grund rund um das Tier ist mit kleinen stilisierten
Wolkenbändern gefüllt. Das Tier in der oberen Hälfte des Kaselstabes ist durch ein
zweites gleiches Tier ohne Kopf auf dem angefügten unteren Teil verlängert.
Die überaus feine chinesische Seidenstickerei ist eine Rarität.
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                Historisches Museum Luzern

Die Sage vom Küfer und den Pilatusdrachen
Um das Jahr 1410 ging ein Küfer ins Pilatusgebiet, um Reifstangen für seine Fässer
zu sammeln. Plötzlich stürzte er in ein tiefes Loch. Darin waren zwei mächtige
Drachen, die sich hier zum Überwintern eingerichtet hatten. Sie taten ihm nichts, ja
sie wurden sogar ganz zutraulich. Wie sie leckte der Küfer die feuchten Felswände
ab, auf der eine gesalzene Flüssigkeit tropfte. So brachte er den Winter zu. Im
Frühling erwachten die Drachen und bereiteten sich zum Ausflug vor. Der Küfer
setzte sich auf den Schwanz des einen Drachen, schoss aus dem Loch und stand
wieder auf der Alpweide. Noch ganz benommen kehrte er zurück nach Luzern. Aus
Dankbarkeit für die wunderbare Errettung liess er ein Messgewand machen, das
noch heute in der Hofkirche Luzern aufbewahrt wird, wie Renward Cysat berichtet.
In Erinnerung an sein Erlebnis habe er „die Form der Würmen daruff näyen lassen.“

Pilatusdrachen
Renward Cysat erzählt die Geschichte vom Drachenstein
Im Sommer 1421 war der Bauer Stämpfli in Rothenburg am Heuen, als kurz nach
Mittag ein schrecklicher Drache von der Rigi her über ihn hinweg Richtung Pilatus
flog. Er verbreitete grosse Hitze und üblen Gestank, sodass der Bauer in Ohnmacht
fiel. Als er wieder zu sich kam und dem Drachen nachblickte, sah er, dass dieser
etwas fallen liess. Mit seinem Gesinde eilte er zu der Stelle, wo ein Klumpen
geronnenes Blut lag. Mit einem Stock tat er dem Klumpen auseinander und fand
darin einen Drachenstein. Von der Heilkraft dieser Steine, lateinisch „traconites“
genannt, wird viel geschrieben. Sie seien wirksam gegen die Pest, Wassersucht,
Geschwulst und Gift. Der Bauer reinigte den Stein und bewahrte ihn als grosse
Kostbarkeit auf. Der schöne, glatte, runde Stein hat die Grösse eines Apfels. Er ist
mit Flecken geziert, die sich weder abwaschen noch abkratzen lassen. Reiche Leute
und Fürsten wollten dem Bauern viel Geld für diesen Stein geben, doch er verkaufte
ihn nicht. Später allerdings veräusserten ihn die Nachkommen, sodass er mehrmals
die Hände wechselte und um 1600, zur Zeit Cysats, dem Luzerner Schultheissen
Ludwig Schürpf gehörte. Der Kanton Luzern kaufte ihn 1929 von der Familie Meyer
von Schauensee. Heute befindet sich das Original im Naturmuseum Luzern.

Weitere Geschichten von Pilatusdrachen
1566 schoss ein Drache eine Stunde nach Sonnenuntergang von der Rigi zum
Pilatus. Gelehrte sagen, es sei ein Meteor gewesen.
1503 traf ein Jäger im Pilatusgebiet, als er sich im Wald auf dem Weg nach Malters
befand, auf einen am Boden schlafenden Drachen. Er dachte er sehe einen
morschen Baumstamm. Plötzlich bemerkte er den durchdringenden Gestank und
Dampf, der aus dem Drachen herausdrang. Der Jäger griff zur Axt und schlug sie
dem Untier auf den Kopf. Doch diese konnte dem Lindwurm nichts anhaben. Der
Drache erwachte, schwang sich in die Höhe und flog über den Wald davon. Der
Boden war ganz verbrannt, und auch die umliegenden Bäume waren versengt.
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                               Historisches Museum Luzern

Das Dominikloch
Wer von der Bründlenalp aus die Felswand des Widderfeldes betrachtet, kann
verschiedene Höhlen erkennen. Eine dieser Höhlen wird Dominik- oder Dominiloch
genannt. Man erzählt sich, die Höhle führe durch den ganzen Berg und sei auch auf
der Alpnacher Seite sichtbar, was allerdings nicht stimmt. In der Öffnung dieser
Höhle steht eine etwa drei Meter hohe Bildsäule von weissem Gestein. Sie ähnelt
einem Mann, der sich mit seinen Armen auf einen Tisch stützt, die Beine
übereinander schlägt und den Eingang zur Höhle bewacht. Man nennt ihn „Unsern
Cornell“ oder auch „St. Dominik“ und glaubt, ein römischer Legionär, welcher auf den
Pilatus flüchtete, habe den Stein in eine Bildsäule umgeformt. In der Höhle befinde
sich ein unermesslicher Goldschatz, und Dominik müsse ihn hüten, bis er durch
wirksame Exorzismen gezwungen werde, die mächtigen Klumpen herauszugeben.
Andere glauben, in der Tiefe der Höhle schliefen die drei Tellen ihren verzauberten
Schlaf, aus dem sie einst, wenn die Zeit gekommen sei, erwachen würden, um noch
einmal ihr Vaterland von der Knechtschaft zu befreien. Einmal, wohl 1740, habe ein
gewisser Huber von Luzern in das Dominikloch eindringen wollen. Er habe sich vom
Widderfeld abgeseilt, doch das Seil sei gerissen und habe ihn in den Tod gestürzt.

Das Mondmilchloch
Auf der gegenüberliegenden, südlichen Seite des Widderfeldes befindet sich eine
weitere Höhle, das sogenannte Mondmilchloch. General Pfyffer hatte es untersucht
und 1786 behauptet, darin die Glocken der auf der Bründlenalp weidenden Kühe
gehört zu haben. Auch diese Höhle hätte also durch den ganzen Berg bis an die
Nordseite geführt. In Wirklichkeit gelangt man aus der grossen Haupthöhle durch
einen engen Gang zu einem etwa drei Meter hohen Wasserfall, und, falls dieser nicht
zu viel Wasser führt und man ihn erklimmen kann, kriechend weitere rund 100 Meter
in den Berg hinein. Die Wände der Höhle sind mit glitschiger weisser Kalkerde
überzogen, der sogenannten „Mondmilch – lac lunae“, welche gegen viele
Krankheiten gut sein soll und weit herum verkauft wurde. „Im Glauben an
wachstums- und fruchtbarkeitsspendende Wirkung streicht man sie auf fliessende
oder unreine Geschwüre. Bei innerer Anwendung lindert die Mondmilch
Magenbrennen und Durchfall. Frauen brauchen sie besonders bei Mangel an
Muttermilch. Die Wirkung wird erhöht, wenn man Regenwürmer, Glaskorallen oder
Fenchelsamen darunter mischt.“ Im Mondmilchloch leben Bergmännchen, deren
Fussstapfen jenen von dreijährigen Kindern entsprechen.
Vom Besuch der ersten Frauen auf dem Pilatus vernehmen wir 1760. Damals
erklomm die Französin Anne d’Hemel aus Argenteuil bei Paris, die Gattin des
Luzerner Patriziers, französischen Generals und Kartographen Franz Ludwig Pfyffer
von Wyher, mit mehreren anderen wagemutigen Frauen den Pilatusgipfel.
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                               Historisches Museum Luzern

Sammlung von Versteinerungen im Pilatusgebiet
Der Pilatus ist Teil der Alpenrandkette, die vom Thunersee an den Vierwaldstättersee
reicht. Ihr gehören auch der Bürgenstock, der Vitznauerstock und die Rigihochfluh
an. Im Pilatus ist diese Randkette besonders stark aufgefaltet. Die den Pilatus
aufbauenden Gesteinsschichten gehören der Kreide- und der älteren
Tertiärformation an. Dies sind ehemalige Meeresablagerungen. Darum enthalten
viele der harten Kalkbänke und Gesteine Schalenreste von Ammonshörnern,
Muscheln, Meeresschnecken, Seeigeln und Röhrenwürmern. Wer sich die Zeit
nimmt, im Pilatusgebiet beim Wandern genau hinzusehen, entdeckt unerhört viel
Interessantes. Robert Kaiser ist seit Jahrzehnten am Berg unterwegs und hat
zahlreiche Versteinerungen gesammelt. Eine kleine Auswahl ist hier ausgestellt.

Modell einer nicht ausgeführten Schwebebahn von
Klimsenhorn auf Pilatus
Im 19. Jahrhundert ersetzte der Glaube an die Technik den Glauben an die
Ungeheuer. Dies ist das Modell der schwebenden Drahtseilbahn vom Klimsenhorn
auf den Pilatus. Das Projekt stammt von Ingenieur Leonardo Torres y Quevedo aus
Santander in Spanien. Der Bundesrat stand dem ungewöhnlichen, vom Berner
Ingenieur Anselmier 1888 eingereichten Konzessionsgesuch einigermassen ratlos
gegenüber und stellte fest, dass das Eidgenössische Eisenbahngesetz eine solche
Bahn nicht vorsehe und daher der Kanton zuständig sei. Die Konzession wurde von
der Nidwaldner Regierung im Mai 1889 erteilt. Doch der Verwaltungsrat der im
gleichen Jahr eröffneten Pilatus-Bahn stellte sich quer und konnte den Obwaldner
Regierungsrat davon überzeugen, dass die neue Bahn die Touristen von Obwalden
nach Nidwalden verschieben würde. So kam es, dass die erste Luftseilbahn in der
Schweiz nicht am Pilatus, sondern im folgenden Jahrhundert am Wetterhorn gebaut
wurde. Die Fahrleitung hätte aus sechs Kabeln bestanden, auf welchen ein am
Zugseil befestigter Wagen auf- und abfahren sollte. Die obere Station ist am
Oberhaupt-Grat projektiert, die untere am Känzeli auf dem Klimsenhorn. Das Zugseil
läuft über eine Rolle am Oberhaupt-Grat zur Dampfmaschine, welche im Nauen
positioniert ist. Sollte das Zugseil reissen, kann der Wagen-Kondukteur eine Bremse
so betätigen, dass er den Wagen kontrolliert zur Talstation zu bringen vermag. Die
Bahn hätte nur mit grössten Aufwendungen betrieben werden können, denn die auf
der Höhe des Klimsenhorns zugängliche Dampfmaschine steht über der Waldgrenze,
Holz hätte also heraufgetragen werden müssen.

Eine Seilbahn für den Holztransport

Im Jahr 1870 kaufte ein Berner namens König in der Gemeinde Alpnach im Kleinen
Schlierental einen Wald. Dieser auf 1300 m an der Pilatusflanke gelegene
Sagelmatten- oder Finsterwald umfasste 110 Hektaren. Um das Holz nutzen zu
können, baute Herr König eine Drahtseilbahn und transportierte es an die Station
Alpnachstad, von wo es per Eisenbahn weiterbefördert wurde. Das Drahtseil hatte
eine Länge von 2100 Metern und führte mit einem Gefälle von 35% ins Tal hinunter.
Oben war es an einem Baum befestigt, wurde dann über mehrere Holzstützen
geführt und unten auf einer zwischen zwei Bäumen montierten 120 cm langen und
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                Historisches Museum Luzern

50 cm dicken Walze aufgerollt. Die Walze konnte mit zwei mächtigen Hebebäumen
gedreht werden. Das Tragseil war 3 cm dick. Im Wald selbst wurde das Holz mit
einer Rollbahn transportiert und dann auf die Drahtseilbahn umgeladen. Täglich
konnten 20 Lasten à 600 Kilogramm zu Tal befördert werden. Die Laufseile dienten
einerseits dem Bremsen der Lasten, anderseits konnten mit ihnen die leeren Wagen
wieder heraufgezogen werden.

Modell eines Dampftriebwagens der Pilatus-Bahn auf dem
gemauerten Trassee
Im Jahr 1885 legten die Ingenieure Eduard Locher und Eduard Guyer-Freuler aus
Zürich ein Projekt für eine Zahnradbahn von Alpnachstad auf den Pilatus vor. Am 29.
März 1886 fand die erste Generalversammlung der Aktiengesellschaft statt, am 4.
Juni 1889 wurde die Bahn eröffnet. Mit 48% Maximalsteigung war und ist die Pilatus-
Bahn die steilste Zahnradbahn der Welt. Um die beste Sicherheit zu gewährleisten,
um zu verhindern, dass die Zahnräder aus der Zahnstange springen könnten,
entwickelte Ingenieur Locher ein neues System mit seitlich horizontal eingreifenden
Zahnrädern, die zudem durch Radscheiben, die unter die Zahnstange reichen,
gesichert sind. Der Bau der Bahnanlage erfolgte von Alpnachstad her, wobei jedes
Teilstück sogleich für den Materialtransport verwendet wurde. Weil die Geleise in
äusserst schwierigem Gelände montiert werden mussten, wurden sie auf einem
gemauerten Unterbau aus Granitplatten mit Eisenquerschwellen und einer
Verankerung durch Rundstangen befestigt. Bis zu zwanzig Ingenieure waren im
Einsatz und neben vielen Schweizer Arbeitern 600 Italiener. Jeder Dampftriebwagen
bot 32 Personen Platz. Die Maschine mit quer liegendem Dampfkessel befand sich
am talseitigen Ende des Wagens. Für die 4618 m lange Strecke mit einer
Höhendifferenz von 1623 m und einer Spurbreite von 80 cm benötigten die
Triebwagen 70 bis 80 Minuten Fahrzeit. 1937 wurde die Bahn elektrifiziert. Ein
Gleichstromsystem mit 1550 Volt von Brown Boveri Baden kam zur Anwendung. Die
neuen Triebwagen der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur
SLM (Wagenbau) und der Maschinenfabrik Oerlikon (elektrischer Teil) boten 40
Sitzplätze. Die Fahrt mit der Pilatus-Bahn war anfänglich sehr teuer. Man bezahlte für
die Bergfahrt 10 Franken, für die Talfahrt 6 Franken. Eine ähnlich lange Strecke
kostete wenig später auf der Luzerner Trambahn 10 Rappen, ein Pilatusträger
bekam für einen Zentner, den er auf den Pilatus schleppte, 2 Franken. Trotzdem
wurden schon 1889, im ersten Betriebsjahr, 36'892 Passagiere befördert, 1937
100'846, 2009 336’511. 1954 kam die Gondelbahn auf die Krienseregg und die
Fräkmüntegg dazu, 1956 als dritte Sektion die Luftseilbahn auf den Pilatus. Alle
Anlagen zusammen transportierten im Jahr 2009 537'876 Gäste.

Der Name des Berges
Der „Fractus mons“ (Fräkmünt), einer der ältesten Schweizer Bergnamen, taucht im
11. Jahrhundert in der Abschrift eines Rodels der Luzerner Benediktinerabtei im Hof
auf. Dessen verschollenes Original datiert wohl sogar in die Zeit vor 840. Die
Verbindung der Pilatussage mit unserem Berg setzt um 1250 ein. In die Zeit um 1337
fällt die Bezeichnung „Pilatus-Fragmuonde bi Lützerne“. Der Pilatussee hat also dem
ganzen Berg den Namen gegeben.
Pilatus, Stürmisch, Null Grad   Historisches Museum Luzern
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                       Historisches Museum Luzern

Die Steinbockkolonie am Pilatus
Das Steinwild wurde am Pilatus erst wieder heimisch, nachdem es auf Initiative der
Pilatus-Bahnen in Zusammenarbeit mit dem Kanton Obwalden 1961 neu angesiedelt
worden war. Seither hat sich die Steinbockkolonie gut entwickelt. 2006 war der
Steinbock von der Schweizer Naturschutzorganisation Pro Natura zum Tier des
Jahres erkoren worden. Der „König der Alpen“ ist heute der häufigste wild lebende
Hornträger der Berge. Seit der Jungsteinzeit und bis ins späte Mittelalter war der
Steinbock in den Schweizer Alpen weit verbreitet. Dann wurde er so intensiv gejagt,
dass er seit 1809 als ausgerottet galt. Um 1905 gelangten die beiden Bundesräte
Josef Zemp und Ludwig Forrer an den italienischen König Vittorio Emanuele III., um
ihm ein paar Kitze abzukaufen. Denn der König besass in seinem persönlichen
Jagdrevier Gran Paradiso, zwischen dem Aostatal und dem Piemont, einen Bestand
von etwa 3000 Steinböcken. Das Geschäft kam aber nicht zustande. So wurde 1906
der Wilderer und erfahrene Kitzfänger Giuseppe Bérard beauftragt, drei Jungtiere
aus dem königlichen Park zu stehlen. Er schmuggelte sie im Rucksack aus dem
Aostatal ins Unterwallis. In Martigny übergab er sie dem Tierarzt des Wildparks
„Peter und Paul“ in St. Gallen. Hier wurden die Tiere gezüchtet und später
ausgesetzt. Vom Pilatusgebiet schreibt M.A. Kappeler 1725 S. 1569, es gebe keine
Steinböcke. Hingegen sei der Bär kein seltener Gast. Auch Cysat erwähnt keine
Steinböcke. Die Kolonie am Pilatus besiedelt die Kette Steiglihorn-Esel-Tomlishorn-
Widderdossen-Stäfeliflue-Risetenstock und das vorgelagerte Matthorn. Als
Wintereinstand sind die südlich exponierten Hänge im Gebiet Matthorn, Steiglihorn,
Tomlishorn und Widderfeld bevorzugt. Heute umfasst die Kolonie am Pilatus 107
Tiere. Um den Bestand nicht übermässig anwachsen zu lassen, werden gelegentlich
Hegeabschüsse bewilligt, allgemein aber wird der Steinbock im Pilatusgebiet nicht
gejagt. Die Steinböcke sind gesellige Tiere und leben in Bock- und Geissenrudeln.
Nur zur Brunstzeit im Dezember und Januar kommen die Geschlechter zusammen.
Im Mai oder Juni werden die Jungen geboren, die ausschliesslich von den Geissen
aufgezogen werden.

Impressum:
Pilatus – Rastlose Seele
Eine Ausstellung des Historischen Museums Luzern
Konzept und Texte: Heinz Horat, 041 228 54 21, heinz.horat@lu.ch
Gestaltung: velvet Luzern, www.velvet.ch
Film: velvet Luzern

Historisches Museum Luzern
Pfistergasse 24
Postfach 7437
6000 Luzern 7
Telefon 041 228 54 24 / 22
info.hml@lu.ch
www.historischesmuseum.lu.ch
Öffnungszeiten: 10-17 Uhr (Montag geschlossen)
Informationen zum Rahmenprogramm: Walti Mathis walti.mathis@lu.ch und Silvia Hächler
silvia.haechler@lu.ch
Pilatus, Stürmisch, Null Grad                                    Historisches Museum Luzern

PONTIUS PILATUS Ausschnitte aus der Matthäus Passion
Evangelist: Und der ganze Haufe stand auf, und führeten ihn zu dem Landpfleger und fingen
an, ihn zu verklagen:
Chor: ‘Er hat das Volk erreget und er verbietet, den Schoß dem Kaiser zu geben!’
Evangelist: Da ging Pilatus heraus zu den Juden und sprach:
Pilatus: Was bringst ihr für Klage wider diesen Menschen?’
Evangelist: Sie riefen:
Chor: ‘Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hõtten dir ihn nicht überantwortet!’
Evangelist: Pilatus:
Pilatus: ‘So richtet ihn nach eurem Gesetz!’
Evangelist: Da sprachen die Juden zu ihm:
Chor: ‘Wir dürfen niemand töten!’
Evangelist: Ging Pilatus wieder hinein in das Richthaus und rief Jesum.
Pilatus: ‘Bist du der Juden König?’
Evangelist: Aber Jesus gab ihm keine Antwort. Sprach Pilatus zu ihm:
Pilatus: ‘Redest du nicht mit mir?’
Evangelist: Da sprach Jesus:
Jesus: ‘Ich bin ein König, aber mein Reich ist nicht von dieser Welt.’
Evangelist: Da ging Pilatus wieder hinaus zu den Juden und sprach zu ihnen:
Pilatus: ‘Ich finde keine Schuld an ihm!’
Evangelist: Er pflegte ihnen aber auf das Osterfest einen Gefangenen loszugeben, welchen
sie begehrten. Und Pilatus spricht zu ihnen:
Pilatus: ‘Wollt ihr, daß ich euch den König der Juden losgebe?’
Evangelist: Da schrien sie allesamt:
Chor: ‘Nicht diesen, sondern Barabbam!’
Evangelist: Barabbas war ein Mörder, aber die Hohenpriester reizten das Volk, daß er ihn
losgebe. Pilatus:
Pilatus: ‘Ich finde keine Schuld an ihm! Ich will ihn aber züchtigen und ihn loslassen!’
Evangelist: Da nahm Pilatus Jesum und geißelte ihn, und die Kriegeknechte flochten eine
Dornenkron und setzten sie auf sein Haupt, und legten ihm ein Purpurkleid an, und riefen:
Chor: ‘Sei gegrüßet, lieber Judenkönig!’
Evangelist: Und gaben ihm Backenstreiche. Ging Pilatus zum dritten Mal heraus und sprach
zu ihnen-
Pilatus: ‘Ich führe ihn heraus zu euch. Sehet! Sehet! Sehet, welch ein Mensch!’
Evangelist: Da sie Jesum sahen, schrien sie:
Chor: ‘Kreuzige ihn!’
Evangelist: Die Hohenpriester sprechen:
Chor: ‘Nach dem Gesetz soll er sterben! Denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht!’
Evangelist: Der Haufe aber schrie noch mehr.
Chor: ‘Lässest du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht, denn wer sich zum Königs
machet, ist wider den Kaiser!’
Pilatus: ‘Soll ich euren König kreuzigen?’
Evangelist: Die Hohenpriester antworteten:
Chor: ‘Wir haben keinen König, denn den Kaiser!’
Evangelist: Da aber Pilatus sahe, daß er nicht schaffte, sondern daß viel ein größer
Getümmel ward, nahm er Wasser, wusch er die Hände vor allem Volk und sprach:
Pilatus: ‘Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten. Sehet ihr zu!’
Evangelist: Da schrie das ganze Volk:
Chor: ‘Sein Blut komme über uns und unsre Kinder!’
Choral: ‘Lehr mich, Jesu, daß ich gern dir das Kreuz nachtrage, daß ich Demut von dir lern
und Geduld in Plage, daß ich dir geb Lieb um Lieb, wie du mir gegeben, bis auch ich, der
Erden müd, scheiden werd vom Leben.’
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