POLIS AKTUELL 2/2021 FRAUENRECHTE - DISKRIMINIERUNGSGRUND: GESCHLECHT DIE RECHTE VON FRAUEN - EIN LANGER KAMPF UN-FRAUENRECHTSKONVENTION ...

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polis aktuell           2/2021

                                  FRaUENRECHTE

Frauenprotest

  Diskriminierungsgrund: Geschlecht
  Die Rechte von Frauen – ein langer Kampf
  UN-Frauenrechtskonvention
  Frauenrechtsorganisationen, Materialien, Linktipps
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LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!

Mädchen und Frauen sind allen vorhandenen Gefahren             In einem kurzen Abriss skizzieren wir Meilensteine
von Menschenrechtsverletzungen genauso ausgeliefert         der Frauenbewegungen. Wir stellen Ihnen die Magna
wie alle anderen Menschen. Zusätzlich werden sie aber       Charta der Frauenrechte vor und bringen sie in einen
immer noch aus keinem anderen Grund benachteiligt als       Zusammenhang mit Sichtweisen, die auch heute noch
dem, dass sie eben als Frauen und Mädchen leben. Dabei      verhindern, dass Menschenrechtsverletzungen an Frau-
sind die Formen von Diskriminierung und Gewalt, die sie     en als solche erkannt oder benannt werden.
erfahren, so vielfältig wie die Frauen und Mädchen und         Übungen und didaktische Hinweise ergänzen das
deren Lebensrealitäten selbst.                              Heft. Wie immer schließen wir mit einem Serviceteil.
    Laut einer Studie der EU-Grundrechteagentur aus
dem Jahr 2014 hat jede dritte Frau in der EU körperli-      Wir wünschen Ihnen eine spannende Umsetzung des
che oder sexuelle Gewalt erlebt. Gewalt an Frauen und       Themas im Unterricht und freuen uns über Ihr Feedback.
Mädchen betrifft jedes Land dieser Welt und Frauen und
Mädchen unabhängig von ihrer sozialen Position. Dis-            Ihr Team von Zentrum polis
kriminierende Strukturen machen auch vor Schultüren             > service@politik-lernen.at
nicht halt. Grund genug, geschlechtsspezifische Benach-
teiligungen und Gewalt in der Schule zu thematisieren.      PS: Das Heft zeigt gut die enge Wechselwirkung der beiden Unter-
    Wir starten mit einer vertiefenden Auseinanderset-      richtsprinzipien Politische Bildung und Reflexive Geschlechterpädagogik
zung zum Thema und werfen einen Blick auf die un-           und Gleichstellung auf.
terschiedlichen Lebensbereiche, in denen Mädchen und
Frauen diskriminiert werden.

                                          Geschlechtssensible Kinder-
                                          und Jugendbücher mit Fokus
                                                 Gewaltprävention
                                             Wien: Edition polis, 2016.
                                              ISBN 978-3-902659-13-2
                                             Die Broschüre stellt emp-
                                              fehlenswerte Kinder- und
                                            Jugendbücher vor, mit deren
                                           Hilfe das Thema Gewalt in der
                                           pädagogischen Arbeit aufge-
                                           griffen werden kann bzw. die
       Schulische Bubenarbeit             sich für die Gewaltpräventions-                     Gender Gleichstellung
         polis aktuell 6/2019              arbeit eignen. Darüber hinaus                   Geschlechtergerechtigkeit.
      Bubenarbeit leistet einen            enthält die Publikation Ideen                   Texte, Unterrichtsbeispiele,
      wesentlichen Beitrag zum            und Anregungen dazu, wie die                               Projekte
    Abbau von kulturell tradierten         Dimension Gender in den vor-                   Philipp Leeb, Renate Tanzber-
     Geschlechterstereotypen und          gestellten Büchern in den Blick                ger, Bärbel Traunsteiner. Wien:
    patriarchalen Rollenzuweisun-             genommen werden kann.                      Edition polis, 2014. 72 Seiten.
    gen. Mehr dazu erfahren Sie in          > www.politik-lernen.at/ge-                  Die Broschüre stellt konkrete,
             diesem Heft.                    schlechtssensiblebuecher                      leicht umsetzbare Beispiele
      >  www.politik-lernen.at/                                                           für Schulprojekte und Unter-
            pa_bubenarbeit                                                                 richtseinheiten zum Thema
                                                                                         Geschlechtergerechtigkeit vor.
                                                                                         >   www.politik-lernen.at/gen-
                                                                                                der_gleichstellung

2                                                                                                       polis aktuell 4/2020
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1 DISKRIMINIERUNGSGRUND: GESCHLECHT
Für die wenigsten von uns ist die Welt ein vollkommen        den, bestimmte Kompetenzen oder Verhaltensweisen
sicherer Ort. Je mehr Privilegien – wie zum Beispiel männ-   zu erwerben und andere eher bleiben zu lassen. So ein
liches Geschlecht, Weißsein, finanzielle Mittel oder Auf-    geschlechterungerechter Test führt dazu, dass weniger
enthaltsgenehmigung – eine Person zur Verfügung hat,         Frauen MedizinerInnen werden als Männer. Die Grazer
desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Men-     Medizin-Uni hat auf das schlechte Abschneiden von jun-
schenrechte systematisch verletzt werden. Frauen und         gen Frauen reagiert, indem ExpertInnen einen neuen,
Mädchen erfahren vielfach die gleichen Menschenrechts-       geschlechtergerechteren Test entwickelt haben.
verletzungen wie Buben und Männer. Daneben gibt es ge-           Um strukturelle Diskriminierung aufzudecken, kann
schlechtsspezifische Diskriminierungen und Rechtsverlet-     es hilfreich sein, sich eine Regelung oder Tatsache ge-
zungen, die sie einzig und allein deshalb erfahren, weil     nau anzuschauen und dabei zu fragen, wer letztlich
sie als Frauen und Mädchen leben. Die konkreten Formen       profitiert und wer die schlechteren Startplätze zuge-
von Diskriminierung und Gewalt wiederum sind stark von       teilt bekommt. Aber Achtung: Nicht jede Regelung, die
ihren jeweiligen Lebensrealitäten abhängig.                  eine Gruppe benachteiligt, bedeutet Diskriminierung.
                                                             Es kann auch sein, dass sie eingesetzt worden ist, um
1.1. FORMEN VON DISKRIMINIERUNG AUF                          Diskriminierung zu bekämpfen und das tut, indem sie
RECHTLICHER EBENE                                            einen Ausgleich herstellt bzw. bislang Benachteiligte
RechtsexpertInnen unterscheiden zwischen drei Formen         bevorzugt. Ein Beispiel dafür sind Quoten-Regelungen,
von Benachteiligungen:                                       die etwa besagen, dass in einem Bewerbungsverfahren
    Unmittelbare Diskriminierung benachteiligt eine          bei gleicher Qualifikation Frauen so lange bevorzugt
bestimmte Gruppe direkt. Ein Beispiel wäre eine Stellen-     werden, bis das Ungleichverhältnis zwischen Frauen und
anzeige, mit der nur Männer aufgefordert werden, sich        Männern in bestimmten Positionen nicht mehr so groß
zu bewerben.                                                 ist. Sie sollen als temporäre Förderungsmaßnahmen ein
    Mittelbare Diskriminierung bedeutet, dass eine           Ausgleich sein, um gleiche Startbedingungen für Frau-
Benachteiligung hervorgerufen wird, indem sich die Re-       en und Männer, Buben und Mädchen herzustellen. Das
gelung zwar nicht explizit an eine bestimmte Gruppe          funktioniert aber nur, wenn sich auch die ungerechten
richtet, aber im Endergebnis trotzdem diese ganz be-         Strukturen verändern.
sonders stark trifft. Ein Beispiel wäre ein Gesetz, das
etwa Teilzeit arbeitende Menschen steuermäßig schlech-
ter stellt als Vollzeit Arbeitende. Da überproportional
viele Frauen Teilzeitarbeit machen, würde das Gesetz
                                                                >    tipp Unterrichtsidee

geschlechtsspezifische Benachteiligungen bewirken.              Im Beispiel Typisch männlich? Typisch weiblich?
Mittelbare Diskriminierungen sind nicht immer auf den           beschäftigen sich die SchülerInnen mit ge-
ersten Blick als solche erkennbar.                              schlechtsspezifischen Zuschreibungen und Stereo-
    Beiden Diskriminierungsformen treten Gleichberech-          typen im Hinblick auf die Arbeitswelt.
tigungsgrundsätze entgegen, die in nationalem Recht             www.politik-lernen.at/vorbereitungboysday
oder im EU-Recht verankert sind. Am schwierigsten ist
es aber, strukturelle Diskriminierung zu überwinden.
    Strukturelle Diskriminierung heißt in diesem             1.2. DISKRIMINIERUNG – IN WELCHEN
Fall, dass Regelsysteme Mädchen und Frauen im Ergeb-         LEBENSBEREICHEN?
nis benachteiligen. Ein Beispiel: Den Eignungstest fürs      Die Antwort auf die Frage, in welchen Lebensbereichen
Medizinstudium bestanden kurz nach der Einführung            geschlechtsspezifische Diskriminierung vorkommt, ist
bei weitem mehr junge Männer als junge Frauen. Der           denkbar kurz: in allen. Der Einkommensunterschied
Schluss liegt nahe, dass Männer einfach besser geeignet      rein aufgrund des Geschlechts, auch Gender Pay Gap
sind, Mediziner zu werden. Beim Analysieren der Auf-         genannt, ist ein Ausdruck der ökonomischen Benach-
nahmetests stellte sich aber heraus, dass die Tests so       teiligung von Frauen. Andere sind etwa Rechtssysteme
gestaltet waren, dass sie Frauen benachteiligten. Und        in manchen Gesellschaften, die bewirken, dass Besitz
zwar nicht, weil Männer und Frauen von Natur aus un-         innerhalb von Familien tendenziell von Männern an
terschiedliche Fähigkeiten entwickeln, sondern weil sie      Männer weitergegeben wird oder die Eigentumsrechte
aufgrund von stereotypen Vorstellungen darüber, wie          von Frauen einschränken. Oder es existieren etwa Steu-
ein Mädchen oder ein Bub sein soll, dabei gefördert wer-     er- und Pensionssysteme, die diejenigen benachteiligen,

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die sich in Haushalten unbezahlt um Babys, Kinder oder      statt, die keine Einzelfälle sind, sondern die von den
ältere Menschen kümmern. Mädchen werden häufig              meist männlichen Tätern als Bestrafung und mit einem
beim Zugang zu Aus- und Fortbildung benachteiligt und       Gefühl, im Recht zu sein, verübt werden.
später in ihren Erwerbs- und Karrierechancen im Beruf.         Wenn wir spezifische Gewaltformen als nicht-westli-
    Wir alle sind mit stereotypen Vorstellungen von Ge-     che identifizieren, ist es wichtig, dass wir die Frauen und
schlecht konfrontiert, die uns täglich über die (sozia-     Mädchen, an denen sie verübt werden, nicht exotisieren
len) Medien oder alltägliche Unterhaltungen einholen        und sie nicht zu hilflosen und passiven Opfern machen,
und beeinflussen. Genauso hartnäckig sind unsere Vor-       sondern uns anschauen, wie sie als handlungsmächti-
stellungen darüber, wie eine Familie zusammengesetzt        ge Akteurinnen auftreten und sich wehren, und welche
ist, wer welche Arbeiten übernimmt, und wir halten an       Form von Unterstützung sie sich selbst wünschen, um
manchen Ideen und Praktiken fest, ohne uns zu über-         genderbasierte Gewalt und die Diskurse, die sie legiti-
legen, ob diese Traditionen nicht diskriminierend sind.     mieren, beenden zu können.
    Ein anderer Bereich: Wenn wir uns Regierungen und          Wenn Aktivistinnen heute von sexualisierter anstatt
Parlamente anschauen, können wir in diesen Gremien in       sexueller Gewalt sprechen, machen sie darauf aufmerk-
den meisten Ländern mehr Männer als Frauen zählen.          sam, dass Mädchen und Frauen nicht nur von körperli-
In ChefInnen-Etagen von Unternehmen sind oft Männer         chen Übergriffen und Vergewaltigungen bedroht sind,
die Bosse.                                                  sondern dass auch oftmals „verharmloste“ Alltagsprak-
    Fast überall müssen Mädchen und Frauen um ihren         tiken in den Bereich sexualisierter Gewalt fallen: Dazu
Platz im öffentlichen Raum und im öffentlichen Leben        gehören Anmache, anzügliche Äußerungen übers Ausse-
kämpfen und ihn gegen street harassment, also Über-         hen, Diskriminierung in der Werbung und im Internet,
griffe jeglicher Art, verteidigen. Wenn sie draußen         unerwünschte Berührungen und vieles mehr.
Raum für sich in Anspruch nehmen wollen, um zu spie-
len und Zeit mit FreundInnen zu verbringen, gilt es oft
als gefährlicher und unschicklicher als für Buben. Allein
die Vielzahl an rassistischen Graffitis weist darauf hin,
                                                                                        >    tipp literatur

wie unsicher der öffentliche Raum für Frauen ist, die als                              Amana Fontanella-Khan:
nicht weiß oder als Migrantinnen wahrgenommen wer-                                     Pink Sari Revolution
den. Dass Jugendliche, die nicht eindeutig als Mädchen                                 München: Hanser Verlag,
oder Buben erkennbar sind, gehänselt, bedroht oder ge-                                 2014. 272 Seiten.
prügelt werden, ist kein Einzelfall. Auch auf rechtlicher                              Amana Fontanella-Khan
Ebene werden Menschen benachteiligt, die Normen von                                    erzählt die faszinierende
Geschlecht, sexueller Orientierung oder Herkunft nicht                                 Geschichte von Sampat
entsprechen – und das, obwohl es Antidiskriminierungs-                                 Pal und ihrer Gang, die im
gesetze gibt.                                                  indischen Bundesstaat Uttar Pradesh gegen Gewalt
                                                               an Frauen im privaten und öffentlichen Raum
1.3. (K)EIN WESTLICHES PROBLEM?                                auftreten.
GEWALT GEGEN FRAUEN UND MÄDCHEN
Jede dritte Frau hat laut einer Studie der EU-Grundrech-
teagentur1 aus dem Jahr 2014 als Kind oder Erwachsene       1.4. WER IST BETROFFEN?
schon einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt.       Angela Davis, eine Ikone der Schwarzen Befreiungsbe-
Es gibt ganz unterschiedliche Formen von Gewalt, wie        wegung in den USA, sagt in Ausgabe 01/14 der popfemi-
Gewalt in der Familie, sexualisierte und sexuelle Ge-       nistischen Zeitschrift Missy Magazine: „Ich solidarisie-
walt, wirtschaftliche Gewalt oder allgemein psychische      re mich lieber mit einem geschlechterkritischen Mann
und physische Gewalt. Wenn es um Gewalt gegen Frauen        of color als mit einer neoliberalen Feministin.“ Damit
geht, ist in den Medien oft von Praktiken wie Beschnei-     bringt sie auf den Punkt, dass es „die Frau“ und „das
dung oder Zwangsheirat die Rede, die vor allem in nicht-    Mädchen“ nicht gibt und dass die Lebensrealitäten, Pri-
westlichen Gesellschaften oder Migrationsgesellschaften     vilegien und Benachteiligungen von manchen Frauen
ausgeübt werden würden. Es ist aber notwendig, nicht        und Männern einander stärker ähneln als die der Ge-
den unvoreingenommenen Blick für genderbasierte Ge-         samtheit aller Frauen untereinander.
walt in westlichen Gesellschaften zu verlieren: In al-          Frauen und Mädchen sind, abhängig davon, welche
len Ländern der Welt finden Gewalttaten gegen Frauen        Position sie in ihrer Gesellschaft einnehmen, welche
                                                            Ressourcen und Zugangsmöglichkeiten zur Verfügung
1 https://fra.europa.eu/de/publication/2014/gewalt-gegen-
                                                            stehen, ob sie der weißen Mehrheitsgesellschaft ange-
frauen-eine-eu-weite-erhebung-ergebnisse-auf-einen-blick

4                                                                                               polis aktuell 2/2021
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hören usw., ganz unterschiedlichen Benachteiligungen             1.5. WAS TUN?
ausgesetzt.                                                      So verschieden die Lebensrealitäten von Frauen und
   Frauen mit Behinderungen oder Women of Colour er-             Mädchen sind, so unterschiedlich sind auch die Kämp-
fahren grundlegend andere Diskriminierungen als weiße            fe gegen geschlechtsbasierte Diskriminierungen, um für
nicht-behinderte Frauen, die der Mittelschicht angehö-           alle Frauen und Mädchen ein gutes Leben nach ihren
ren. Je nachdem von welchem gesellschaftlichen Stand-            Vorstellungen zu gestalten. Die Anschauungen, was
ort aus Benachteiligungen analysiert werden, treten be-          denn ein gutes Leben bedeutet, unterscheiden sich mit-
stimmte Diskriminierungen stärker oder weniger stark             unter stark.
ins Blickfeld.                                                       Frauenrechtskämpferinnen und Feministinnen haben
                                                                 in der Vergangenheit große Erfolge errungen und Rech-
                                                                 te durchgesetzt, die in vielen Ländern zum Teil wieder
                                                                 umstritten sind. Auch gegenwärtig ist es nötig, sich ge-
   25. NOVEMBER
                                                                 gen Diskriminierungen und geschlechtsspezifische Men-
   Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen
                                                                 schenrechtsverletzungen zu wehren.
   Die Schwestern Patria, Minerva und Maria Teresa
                                                                     Organisationen, Initiativen und Aktivistinnen auf
   Mirabal kämpften gegen das diktatorische
                                                                 der ganzen Welt machen auf Gewalt gegen und Benach-
   Regime von Rafael Trujillo in der Dominikanischen
                                                                 teiligungen von Frauen und Mädchen aufmerksam, for-
   Republik und wurden am 25. November 1960 vom
                                                                 mulieren Forderungen und realisieren Projekte, die ei-
   Geheimdienst in einem Hinterhalt ermordet.
                                                                 nen Unterschied machen sollen. Manche Gruppen und
   1981 wurde ihr Todestag beim ersten Kongress
                                                                 Initiativen organisieren sich dabei autonom und versu-
   lateinamerikanischer und karibischer Feministin-
                                                                 chen, ihre Forderungen unmittelbar selbst umzusetzen.
   nen in Bogotá, Kolumbien zum Internationalen
                                                                 Andere engagieren sich in Parteien, manche machen
   Tag gegen Gewalt an Frauen ausgerufen und
                                                                 Mädchenarbeit, wieder andere versuchen, traditionelle
   später auch von den Vereinten Nationen offiziell
                                                                 Rollenbilder in den Medien zu verändern, oder forschen
   dazu erklärt. Weltweit machen Frauenorganisa-
                                                                 und lehren auf Universitäten, um feministisches Wissen
   tionen an diesem Tag auf Gewalt gegen Frauen
                                                                 zu produzieren.
   aufmerksam.
                                                                     Viele finden, dass Frauenrechte ein starker Ansatz-
   Helga Neumayer hat eine Radiosendung über die
                                                                 punkt sind und fordern daher bessere Gesetze und inter-
   Schwestern Mirabal gestaltet:
                                                                 nationale Vereinbarungen. Sie pochen auf die Einhaltung
   https://cba.fro.at/4682
                                                                 und Umsetzung der bestehenden Antidiskriminierungs-
                                                                 und Frauenförderungslegislatur. Eines der Werkzeuge,
                                                                 auf das sie sich stützen, ist die UN-Frauenrechtskon-
                                                                 vention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
                                                                 der Frau, die von den Ländern, welche die Konvention
                                                                 unterschrieben haben, umgesetzt werden muss.

                                                                    #MeToo
                                                                    Die schwarze Bürgerrechtlerin Tarana Burke schuf
    © Miriam Citlaly Ramos Lopez - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0,
                                                                    den Begriff „Me Too“ im Jahr 2006, um sexuellen
    https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=102814117       Missbrauch an schwarzen Frauen zu thematisie-
                                                                    ren. Erst im Oktober 2017 gewann die #MeToo-
                                                                    Bewegung große mediale Aufmerksamkeit, als
   Außerdem beteiligen sich Frauenorganisationen
                                                                    die Schauspielerin Alyssa Milano die sexuellen
   in vielen Ländern an der Kampagne 16 Tage gegen
                                                                    Übergriffe des Filmproduzenten Harvey Weinstein
   Gewalt an Frauen, die jedes Jahr von 25. Novem-
                                                                    auf Twitter mit dem Hashtag #MeToo anprangerte.
   ber bis 10. Dezember, dem Internationalen Tag der
                                                                    Dies löste weltweit gesellschaftliche Debatten
   Menschenrechte, stattfindet. Sie machen in Form
                                                                    über Sexismus und Geschlechterdiskriminierung
   verschiedenster Aktivitäten auf die Bedrohung von
                                                                    aus. Auch an Österreich ist die Bewegung nicht
   Frauen durch meist männliche Gewalt aufmerksam.
                                                                    spurlos vorübergegangen und hat eine stärkere
   In Österreich koordiniert der Verein Autonome
                                                                    Sensibilisierung für dieses Thema hervorgerufen.
   Österreichische Frauenhäuser die Kampagne:
                                                                    Beitrag in Welt der Frauen 6/2019 zu #MeToo:
   www.aoef.at/index.php/16-tage-gegen-gewalt
                                                                    www.welt-der-frauen.at/metoo

polis aktuell 2/2021                                                                                                   5
POLIS AKTUELL 2/2021 FRAUENRECHTE - DISKRIMINIERUNGSGRUND: GESCHLECHT DIE RECHTE VON FRAUEN - EIN LANGER KAMPF UN-FRAUENRECHTSKONVENTION ...
2 DIE RECHTE VON FRAUEN UND MÄDCHEN –
               EIN LANGER KAMPF
Der Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen hat           benssituation der Frauen. Hier sind einige Meilensteine
eine lange Geschichte und entwickelt(e) sich in jedem        zur Orientierung angeführt.
Land anders, jeweils abhängig von der konkreten Le-

                                                                                                      Demonstration
Die Anfänge: Frauenrechtsdeklarationen
                                                                                                      für das allgemeine
1791: Olympe de Gouges widersetzt sich der Unge-                                                      Frauenwahlrecht
rechtigkeit, dass mit der Erklärung der Menschen- und                                                 am 19. März 1911
                                                                                                      am ersten Frauen-
Bürgerrechte nur Männer gemeint sind und verfasst                                                     tag in Wien.
einen Gegenentwurf: die Erklärung der Rechte der                                                      © ÖNB/Wien,
                                                                                                      Wiener Bilder
Frau und Bürgerin. Sie ersetzt in ihrem Text die Worte
                                                                                                      22.3.1911
„Mensch“ oder „Mann“ durch „Frau und Mann“ und hält
im ersten Artikel ihrer Erklärung fest: „Die Frau ist frei
geboren und dem Manne gleich in allen Rechten.“ So           1848–1914: Erste Frauenbewegung
schreibt sie Frauen auch ein Recht auf Widerstand zu,        Der Kampf um politische und bürgerliche Rechte
ein Recht auf Eigentum etc.                                  Den frühen Feministinnen geht es darum, die rechtliche
    1848: In Seneca Falls im Staat New York wird durch       Unmündigkeit von Frauen zu beseitigen (Scheidungs-
Elizabeth Cady Stanton und Lucretia Mott eine Tagung         und Sorgerecht, Aufhebung der Vormundschaft des Man-
einberufen, bei der das Thema Diskriminierung von            nes in der Ehe etc.). Das Wahlrecht hat in ihren Forde-
Frauen auf der Tagesordnung steht. Die Declaration           rungen zunächst nicht Priorität. Allerdings machen die
of Sentiments, die eng an die Unabhängigkeitserklä-          Frauen bald die bittere Erfahrung, dass sie ohne Rechte
rung von 1776 angelehnt ist, wird verabschiedet. Diese       und Stimme in der politischen Öffentlichkeit Bittstel-
Grundsatzerklärung richtet sich gegen die Dominanz           lerinnen bleiben. Folglich konzentriert sich die frühe
der Männer in allen Lebensbereichen. Dem Text liegt          bürgerliche Frauenbewegung mehr und mehr auf die
die Prämisse zugrunde, dass alle Männer und Frauen mit       Erlangung des Stimmrechts, während die proletarische
den gleichen Rechten auf Leben, Freiheit und dem Stre-       Frauenbewegung um verbesserte Arbeits- und Lebensbe-
ben nach Glück geboren werden und dass die Sicherung         dingungen kämpft. Auch die erste Frauenbewegung war
dieser unveräußerlichen Rechte einzig legitimer Staats-      also schon sehr heterogen und in den einzelnen Län-
zweck sei.                                                   dern unterschiedlich organisiert. Als Beispiel sei hier
                                                             die Stimmrechtsbewegung der Suffragetten in England
                                                             genannt. Die wichtigsten politischen Forderungen der
                                                             Frauenrechtlerinnen – insbesondere das Wahlrecht –
                                                             wurden schließlich eingelöst.
                                                                 Nach dem Ersten Weltkrieg tritt der Kampf um die
                                                             Frauenrechte in den Hintergrund, erst Ende der 1960er-
                                                             Jahre formiert sich die zweite Frauenbewegung.

                                                                >
                                         Olympe de Gouges
                                         (1748–1793),
                                         Autorin der
                                                                     tipp Online-Ausstellungen
                                         Erklärung der
                                                                Frauen wählet! 100 Jahre Frauenwahlrecht:
                                         Rechte der Frau
                                         und Bürgerin aus       Zeitungsausschnitte, Fotos, Plakate etc. aus den
                                         dem Jahr 1791          Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek
                                         @Wikimedia,
                                         gemeinfrei             www.onb.ac.at/forschung/ariadne-frauendokumen-
                                                                tation/frauen-waehlet

                                                                „Sie meinen es politisch!“ 100 Jahre Frauen-
                                                                wahlrecht: www.frauenwahlrecht.at

6                                                                                              polis aktuell 2/2021
POLIS AKTUELL 2/2021 FRAUENRECHTE - DISKRIMINIERUNGSGRUND: GESCHLECHT DIE RECHTE VON FRAUEN - EIN LANGER KAMPF UN-FRAUENRECHTSKONVENTION ...
Gründungsdokument
                                                                                               des Vereins Soziale
Ab etwa 1969: Zweite Frauenbewegung                                                            Hilfen für gefährdete
Die Frauen müssen bald erkennen, dass die Studenten-                                           Frauen und Kinder
und Friedensbewegung der späten 1960er-Jahre zwar                                              (1978), der das erste
                                                                                               Wiener Frauenhaus
den „Muff von 1.000 Jahren“ an den Universitäten                                               schuf, in der Ausstel-
entfernen will, aber wenig mit der Gleichberechtigung                                          lung „Am Anfang war
                                                                                               ich sehr verliebt …“
von Frauen im Sinn hat. Als die Studentinnen nämlich                                           @Wikimedia, gemein-
die ungleiche Rollenverteilung thematisieren (Männer                                           frei
auf dem Podium, Frauen beim Kochen, Abtippen der
Manuskripte und Betreuen der Kinder), werden sie ab-       Third Wave Feminism
geschmettert. Ihre Forderungen seien unpolitisch, der      Viele Forderungen haben jedoch nichts an Aktualität
Widerspruch zwischen den Geschlechtern sei ein „Ne-        eingebüßt und werden erst heute nach und nach umge-
benwiderspruch“, der sich von selbst lösen würde, sobald   setzt (z.B. Anerkennung von frauenspezifischen Flucht-
sich der „Hauptwiderspruch“, nämlich die Klassengesell-    gründen, Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe,
schaft, aufgelöst habe. Die Studentinnen organisieren      Rechte von Lesben und Inter-/Transsexuellen). Manche
sich daraufhin autonom in sogenannten „Weiberräten“        Feministinnen sprechen heute vom third wave feminism,
und setzen sich unter Ausschluss männlicher Mitglieder     in dem soziale Proteste und Globalisierungskritik mit
intensiv mit der Rolle der Frau auseinander. Einprägsa-    queer_feministischen Anliegen verbunden werden. Da-
mer Leitgedanke dieser Zeit, der bis heute Gültigkeit      bei geht es darum, Zweigeschlechtlichkeit und Hetero-
hat: „Das Private ist politisch“.                          sexualität als Norm zu hinterfragen.
    Die neue Frauenbewegung beschäftigt sich mit der
Diskriminierung von Frauen in allen Lebensbereichen        Herausforderungen heute
(Alltag, Zusammenleben, Kindererziehung, sexuelle Ge­      Frauen in westlichen Industrieländern setzen oft ganz
walt – „Wir erobern uns die Nacht zurück“, Kunst und       andere Schwerpunkte im Kampf gegen Diskriminierung
Kultur, Lust und Liebe, Arbeit, Wissenschaft und Frau-     als Frauen in Ländern des Südens und in Diktaturen,
enforschung, Frauengesundheit u.v.m.). Auch diese Be-      weil die Anliegen sehr unterschiedlich sind. Inzwischen
wegung ist nicht homogen, es gibt die Gleichheitsfe-       hat sich ein Bewusstsein herausgebildet, dass es einer
ministinnen, die Anhängerinnen der Differenztheorie,       Vielzahl feministischer Ansätze bedarf, um den unter-
jedes Land hat andere Gallionsfiguren. Selbstverständ-     schiedlichen Lebenswirklichkeiten der Frauen gerecht
lich kämpfen nicht nur Studentinnen, sondern auch Ar-      zu werden.
beiterinnen um ihre Rechte. Und es gibt nicht immer            Eine wichtige Aufgabe der Frauenbewegungen heu-
Einigkeit, etwa beim Kampf um die Fristenlösung. Die       te ist die Verankerung der Frauenrechte als Bestandteil
Frauenbewegung wird von innen dafür kritisiert, dass       der universell gültigen Menschenrechte im Völkerrecht.
meist die Rechte von weißen Mittelklassefrauen im Zen-     Die Frauenrechte müssen über religiösen und kulturel-
trum stehen, während etwa die Lebensrealitäten von         len Traditionen der einzelnen Länder stehen. Es braucht
Frauen mit Behinderungen oder von Frauen of Color und      internationale Sanktionsmöglichkeiten gegen Staaten,
Migrantinnen vernachlässigt werden.                        welche die Frauenrechte nicht achten.
    Die zweite Frauenbewegung hat viel erreicht: Sie
hatte in allen gesellschaftlichen Bereichen einen kaum                                                 Afghanische
zu überschätzenden Einfluss – sowohl auf der institu-                                                  Frauen gehen
tionellen wie auch auf privater Ebene, z.B. im Zusam-                                                  in Pakistan für
                                                                                                       ihre Rechte auf
menleben der Geschlechter. Viele Forderungen wurden                                                    die Straße.
umgesetzt (Ungleichbehandlungen von Ehefrauen im                                                       © RAWA
Familien- und Eherecht, Scheidungsrecht und Sorge-
recht wurden beseitigt), in vielen Ländern wurde die
Fristenlösung eingeführt, Quoten zur Frauenförderung
existieren etc.

polis aktuell 2/2021                                                                                                    7
POLIS AKTUELL 2/2021 FRAUENRECHTE - DISKRIMINIERUNGSGRUND: GESCHLECHT DIE RECHTE VON FRAUEN - EIN LANGER KAMPF UN-FRAUENRECHTSKONVENTION ...
2.1. WARUM WERDEN MENSCHENRECHTS-
VERLETZUNGEN AN FRAUEN NICHT ALS
SOLCHE ERKANNT?
Wenn wir von Frauenrechten sprechen, dann begegnen
uns – auch heute noch – ganz hartnäckig immer wieder
die gleichen Sichtweisen und Probleme, die dazu ge-
führt haben, dass Menschenrechtsverletzungen an Frau-
en nicht als solche benannt werden oder wurden.
    Menschenrechte werden immer noch häufig so ver-
standen, dass sie das Individuum vor staatlichen Über-
griffen in der öffentlichen Sphäre schützen sollen. Wenn
aber die Privatsphäre ausgeklammert bleibt und der
Staat sich für systematische Rechtsverletzungen in die-    Im Haus Panah in Pakistan können sich Opfer von Gewalt in der
                                                           Familie von ihren Verletzungen erholen und sind vor Verfolgung durch
sem Bereich nicht verantwortlich fühlt, sind die Frauen    die Täter sicher.
davon in besonders hohem Ausmaß betroffen. Denn sie        © Panah Shelter, Pakistan
erfahren in vielen Fällen Menschenrechtsverletzungen
durch private und nicht durch staatliche Täter (Gewalt         8. März
im sozialen Nahraum etc.).                                     Internationaler Frauentag
    Wenn den bürgerlichen und politischen Rechten              Seit 1911 wird der internationale Frauentag
mehr Bedeutung beigemessen wird als den wirtschaft-            zelebriert. Sein Ziel ist es, die Gesellschaft für
lichen, sozialen und kulturellen Rechten, wenn diese           frauenspezifische Problematiken, wie Gleichbe-
Rechte zu Bedürfnissen abgewertet werden, hat das gro-         rechtigung im Erwerbsleben und im Politik- und
ße Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit von Frau-           Sozialbereich, zu sensibilisieren. An diesem Tag
en, denn gerade diese Rechte sind für Frauen von be-           finden Veranstaltungen, Workshops und Informa-
sonderer Bedeutung und werden ihnen besonders häufig           tionskampagnen statt, die diese genderrelevanten
vorenthalten (Bildung, Arbeit etc.).                           Themen aufgreifen und Konzepte zur Erreichung
    Wenn Menschenrechtsinstrumente gender-blind sind           der Ziele vorstellen. Der Frauentag stand 2021
oder gender-blind eingesetzt werden (wie die Anti-             unter dem Motto „Frauen in Führungspositionen:
Folter-Konvention oder die Genfer Flüchtlingskonven-           Für eine ebenbürtige Zukunft in einer COVID-
tion, aber auch die Kinderrechtskonvention birgt hier          19-Welt“.
Gefahren – wenn vergessen wird, dass Kinderrechte              Die Geschichte der organisierten Frauenrechts-
Buben- und Mädchenrechte sind), verschwinden Men-              bewegungen hat ihren Anfang schon im 19.
schenrechtsverletzungen an Frauen systematisch aus             Jahrhundert. Karoline von Perin-Gradenstein
dem Blickfeld und werden nicht als solche erkannt              gründete 1848 den „Ersten Wiener Demokratischen
(wie Vergewaltigung als Kriegswaffe, frauenspezifische         Frauenverein“, der sich für Gleichberechtigung und
Fluchtgründe).                                                 Zugang zu Bildung stark machte.
    Wenn eine menschenrechtliche Bewertung von Bräu-           1910 setzte sich die deutsche Sozialistin Clara
chen und Traditionen abgewehrt wird, dann betrifft das         Zetkin für die Einführung eines Frauentages ein.
Frauen und Mädchen in höherem Ausmaß als Männer                Am 19. März 1911 fanden das erste Mal Demons-
und Buben (Vergewaltigung, female genital mutilation,          trationen zum Internationalen Frauentag statt.
Verbrennungen, Morde, Säureattacken). Wenn patriar-            20.000 Menschen zogen auf die Wiener Ringstraße
chale Religionen Gewohnheitsrechte und traditionelle           und forderten unter anderem ein freies und gleiches
Rechte unterstützen, die Gewalt an Frauen legitimieren,        Wahlrecht für Frauen. Es wurde 1918 in Österreich
trifft dies Frauen besonders hart, weil strukturelle und       eingeführt.
soziale Gewalt an Frauen und Mädchen verstärkt wird.           Ein Bezugspunkt, warum im Jahr 1921 der 8. März
    Auf alle diese Problembereiche gibt die UN-Frauen-         als Internationaler Frauentag festgelegt wurde, ist
rechtskonvention Antwort.                                      der Streik von Textilarbeiterinnen in New York für
                                                               bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne am
    Das Frauenmuseum Hittisau dokumentiert das Kul-            8. März 1857.
    turschaffen von Frauen und Frauengeschichte(n) und         Weitere Infos zum Frauentag: www.bpb.de/politik/
    macht diese sichtbar.                                      hintergrund-aktuell/287033/internationaler-frau-
    www.frauenmuseum.at                                        entag

8                                                                                                     polis aktuell 2/2021
POLIS AKTUELL 2/2021 FRAUENRECHTE - DISKRIMINIERUNGSGRUND: GESCHLECHT DIE RECHTE VON FRAUEN - EIN LANGER KAMPF UN-FRAUENRECHTSKONVENTION ...
3 DIE UN-FRAUENRECHTSKONVENTION –
           MAGNA CHARTA DER FRAUENRECHTE
Die Frauenrechtskonvention – korrekt die Konvention              Tonga, Niue und der Vatikanstaat. Die USA haben unter-
zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau          schrieben, aber noch nicht ratifiziert.2 Mehr Ratifikatio-
oder im Englischen Convention on the Elimination of all          nen als die CEDAW hat nur die Kinderrechtskonvention,
Forms of Discrimination against Women, kurz CEDAW –              die bisher nur noch von den USA nicht ratifiziert ist.
wurde von der UNO-Generalversammlung am 18. Dezem-                   Viele Staaten haben Vorbehalte gegen einzelne Ar-
ber 1979 verabschiedet und trat am 3. September 1981             tikel der Konvention eingebracht, sodass die Frauen-
in Kraft.                                                        rechtskonvention in diesen Staaten nicht ihre volle
    Die CEDAW ist ein rechtlich verbindliches Dokument,          Wirkung entfalten kann. Das bedeutet, dass die Staaten
d.h. die Staaten verpflichten sich mit ihrer Unterzeich-         das nationale Recht in bestimmten Bereichen über die
nung zur Umsetzung, und sie ist eines der sechs mäch-            Frauenrechtskonvention stellen. Die CEDAW ist die am
tigen Instrumente des internationalen Rechts, u.a. weil          meisten mit Vorbehalten belegte Konvention.
sie mit einem Individualbeschwerderecht ausgestattet                 Der aktuelle Stand der Ratifikationen und Vorbehal-
ist (siehe Seite 11).                                            te kann abgerufen werden unter: www2.ohchr.org/eng-
    Österreich hat die Konvention 1982 mit zwei Vorbe-           lish/bodies/cedaw
halten ratifiziert (diese Vorbehalte sind inzwischen zu-
                                                                2 Wenn ein Staat eine internationalen Konvention unterzeichnet, erklärt er
rückgenommen). Derzeit sind 189 Staaten der CEDAW                 mit der Unterschrift zunächst seinen Willen, der Konvention beizutreten.
beigetreten, das entspricht mehr als 90 % der Staaten             Danach findet ein innerstaatlicher Prozess statt, der zur Ratifikation der
                                                                  Konvention führt. Diese Ratifikationsurkunde wird dann bei der UNO
und ist der zweithöchste Ratifikationsstand einer Kon-            hinterlegt. Erst danach hat die jeweilige Konvention Gültigkeit für die
vention. Nicht ratifiziert haben Iran, Somalia, Sudan,            Staaten.

                                             der Inhalt in Kurzform3
Artikel 1 definiert Diskriminierung als …                        Artikel 8 fordert die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen
    … jede aufgrund des Geschlechts vorgenommene Unter-          auf internationaler Ebene.
    scheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zum          Artikel 9: Der Staat muss die staatsbürgerlichen Rechte
    Ziel oder zur Folge hat, dass die … Anerkennung, Inan-       der Frau garantieren.
    spruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte oder            Artikel 10, 11 und 12 fordern den Abbau geschlechts­
    Grundfreiheiten der Frau … beeinträchtigt oder vereitelt     spezifischer Diskriminierung in Bildung, Arbeit und im
    wird.                                                        Gesundheitswesen. Es handelt sich um sehr umfassende
Artikel 2: Die Vertragsstaaten müssen eine Politik der           Artikel. Sie sind die Grundlage für die gründliche Überprü-
Beseitigung der Diskriminierung der Frau verfolgen.              fung der Situation in den einzelnen Vertragsstaaten durch
Artikel 3 verpflichtet die Staaten, die uneingeschränkte         den CEDAW-Ausschuss.
Entfaltung und Förderung der Frau sicherzustellen.               Artikel 13 verlangt Maßnahmen im Hinblick auf Teilhabe
Artikel 4 stellt explizit klar, dass positive Diskriminierung    am wirtschaftlichen und sozialen Leben (Freizeit, Sport,
erlaubt ist: Vorübergehende Sondermaßnahmen zur Förde-           Kultur, Zugang zu Krediten, Familienbeihilfen etc.).
rung der Gleichberechtigung sind keine Diskriminierung,          Artikel 14 fordert ein Diskriminierungsverbot von Frauen
z.B. Quoten, sofern sie bei Erreichen der Gleichberechtigung     in ländlichen Gebieten (ein sehr wichtiger Artikel für Frauen
wieder abgeschafft werden.                                       des Südens).
Artikel 5 fordert die Vertragsstaaten auf, einen Wandel in       Artikel 15: Gleichstellung vor dem Gesetz; dieselbe
den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann          Rechtsfähigkeit von Frauen und Männern.
und Frau zu bewirken (Bekämpfung von herkömmlichen               Artikel 16: Ehe- und Familienrecht: gleiches Recht auf
Rollenbildern, von überkommenen Sitten, Traditionen, Bräu-       Eheschließung, freiwillige Eheschließung, gleiche Rechte
chen, Neuverteilung der Erziehung der Kinder und familiärer      und Pflichten in der Ehe, Verbot der Kinderheirat, Recht auf
Aufgaben).                                                       Beruf in der Ehe etc.
Artikel 6 verbietet jede Form von Frauenhandel und Aus-
                                                                 Die restlichen Artikel sind keine inhaltlichen, sondern
beutung durch Prostitution.
                                                                 verfahrensorientierte Artikel (außer Artikel 24) zu den Be-
Artikel 7 fordert die Staaten zur Bekämpfung der Diskrimi-
                                                                 richtspflichten der Staaten, zum CEDAW-Ausschuss etc.
nierung im öffentlichen und politischen Leben (Wahlrecht,
Zugang zu Ämtern etc.) auf.                                      3 Gesamter Text der CEDAW: www.frauenrechtskonvention.de/uebereinkom-
                                                                 men-zur-beseitigung-jeder-form-von-diskriminierung-der-frau-cedaw-2234

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3.1. AUFBAU, INHALT UND FUNKTIONSWEISE
DER UN-FRAUENRECHTSKONVENTION                                     TIpp LINK UND LITERaTUR
Die CEDAW umfasst alle Menschenrechte. Sie umfasst            Informationen und Dokumente zur CEDAW
die bürgerlichen und politischen Rechte ebenso wie die        Eine Zusammenstellung auf der Website des
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und         Bundeskanzleramts
stellt sie in einen neuen Rahmen, der der ganzen Kon-         www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-
vention zugrunde liegt:                                       gleichstellung/internationale-frauenrechte-und-
                                                              gleichstellung/konvention-zur-beseitigung-jeder-
     • das Diskriminierungsverbot                             form-der-diskriminierung-der-frauen.html
     • das Gleichberechtigungsgebot
                                                              Frauen haben Recht(e). Rechtliche Informa-
Die Frauenrechtskonvention gilt für alle Regionen die-        tion, praktische Hinweise und Unterstützungs-
ser Welt, sie umfasst alle Ebenen (national/internati-        angebote für gewaltbetroffene Frauen.
onal ebenso wie Privatleben/Öffentlichkeit) und alle          Bundeskanzleramt / Bundesministerin für Gesund-
Bereiche (Politik, Wirtschaft, Sozialwesen, Kultur). Das      heit und Frauen (Hrsg.): Wien, 7. Auflage, 2017.
heißt, sie umschließt von Anfang an auch den Bereich          146 Seiten.
des Privaten und misst dem Staat Verantwortung für            Unter folgendem Link finden Sie die Broschüre,
diesen Bereich zu.                                            wie auch weitere zum Thema Gewalt gegen Frauen:
                                                              www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-

     >
                                                              gleichstellung/gewalt-gegen-frauen/formen-der-
          TIppS METHODE                                       gewalt.html
     z.B. für den Englischunterricht
     Auf der CEDAW-Website sind (in englischer
     Sprache) alle Vorbehalte der Staaten aufgelistet.
                                                           3.2. WIE WIRD DIE CEDAW ÜBERPRÜFT?
                                                           Die UNO richtete zur Überwachung der Konvention das
     Geben Sie den SchülerInnen jeweils einen
                                                           CEDAW-Komitee ein. Dieser Ausschuss trifft sich seit
     Staatennamen und lassen Sie sie recherchieren:
                                                           1982 regelmäßig (das erste Treffen fand übrigens in
        Hat der Staat die CEDAW ratifiziert?
                                                           Wien statt). Das Komitee besteht aus 23 ExpertInnen,
        Wenn ja, hat er sie mit Vorbehalt(en) ratifi-
                                                           die von den Vertragsstaaten nominiert werden.
        ziert?
                                                              Die Vertragsstaaten haben ein Jahr nach der Ratifi-
        Welcher Art sind diese Vorbehalte?
                                                           kation einen Bericht an den Ausschuss über die Durch-
        Warum hat der Staat diese Vorbehalte
                                                           führung der Konvention zu erstatten, dann alle vier
        gemacht?
                                                           Jahre und immer dann, wenn der Ausschuss es verlangt.
        Welche Vorbehalte hatte Österreich gegen
        die Konvention?
     www2.ohchr.org/english/bodies/cedaw
                                                              STAATENBERICHTE ZUR UMSETZUNG VON CEDAW
     (Unter Ratifications and Reporting)
                                                              Österreich hat bislang neun Berichte zum Stand
                                                              der Umsetzung der Frauenrechtskonvention abge-
                                                              geben, den letzten im Jahr 2017. Dieser Bericht
     Lassen Sie die SchülerInnen recherchieren, welche
                                                              wurde 2019 geprüft. Das Komitee hat nach der
     Artikel der CEDAW besonders häufig mit Vorbehal-
                                                              Prüfung abschließende Bemerkungen zu diesem
     ten ratifiziert wurden. Was könnten die Gründe
                                                              Bericht an Österreich übermittelt, die auch in
     dafür sein? (Artikel XY verändert Gewohnheits-
                                                              deutscher Sprache heruntergeladen werden kön-
     recht oder religiöses Familienrecht, Artikel YZ
                                                              nen:
     würde es den Frauen ermöglichen, z.B. ihre Rechte
                                                              www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-
     in gerichtlichen Verfahren durchzusetzen etc.).
                                                              gleichstellung/internationale-frauenrechte-und-
     www2.ohchr.org/english/bodies/cedaw
                                                              gleichstellung/konvention-zur-beseitigung-jeder-
     (Unter Ratifications and Reporting)
                                                              form-der-diskriminierung-der-frauen.html

                                                           NGOs spielen eine wichtige Rolle im Rahmen dieser Be-
                                                           richtsprüfungen. Sie können den Vereinten Nationen
                                                           sogenannte Schatten- oder Alternativberichte zukom-

10                                                                                           polis aktuell 2/2021
men lassen, die die menschenrechtliche Situation von         1) Individualbeschwerdeverfahren
Frauen und Mädchen regierungsunabhängig darstellen.          Individualbeschwerdeverfahren bedeutet, dass beim
Der CEDAW-Ausschuss begrüßt diese Schattenberichte           Ausschuss eine Beschwerde eingereicht werden kann,
ausdrücklich. In Österreich setzt sich das „NGO-Forum        wenn eine Frau glaubt, dass ihre durch CEDAW garan-
CEDAW in Österreich“ für eine systematische Umsetzung        tierten Rechte von einem Staat verletzt werden. Sowohl
der Konvention ein.                                          einzelne Frauen als auch Frauengruppen können selbst
                                                             oder durch eineN VertreterIn die Beschwerde einbrin-
3.3. ALLGEMEINE EMPFEHLUNGEN                                 gen. Vertreterin könnte etwa eine Frauenorganisation
Der CEDAW-Ausschuss hat es sich seit 1986 auch zur Ge-       sein.
wohnheit gemacht, Allgemeine Empfehlungen (General
Recommendations) oder auch Spezielle Empfehlungen               Voraussetzungen sind:
zu beschließen, die sich an alle Staaten richten. Diese            Der Staat muss Vertragspartei der Konvention und
Empfehlungen erklären die Konvention ergänzend.                    des Zusatzprotokolls sein.
   Eine sehr wichtige Empfehlung ist Empfehlung Nr.                Beschwerden müssen schriftlich abgefasst sein
19 betreffend Gewalt an Frauen. Das CEDAW-Komitee                  und den Namen des Opfers enthalten.
reagiert darin auf die Tatsache, dass Gewalt gegen Frau-           Das Opfer muss vor Einbringen der Beschwerde
en in der Konvention nicht explizit genannt wird. Das              alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft
wäre jedoch angesichts des weltweiten Ausmaßes von                 haben.
Gewalt an Frauen wichtig gewesen. Deswegen stellt
das Komitee 1992 fest, dass die Definition des Begriffs      Stellt der Ausschuss fest, dass die Beschwerde zuläs-
Diskriminierung geschlechtsspezifische Gewalt ein-           sig ist, fordert er den Staat auf, binnen sechs Mona-
schließt.                                                    ten Stellung zu nehmen. Bei drohender Gefahr kann
                                                             er den Staat auffordern, Maßnahmen zum Schutz der
   „Geschlechtsspezifische Gewalt, die den Genuss der        Frau zu ergreifen. Stellt der Ausschuss nach Prüfung der
   Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frauen       Stellungnahme des Staates eine Rechtsverletzung fest,
   behindert oder zunichte macht, … ist Diskriminie-         kann er Empfehlungen zur Beendigung und Wiedergut-
   rung im Sinne von Artikel 1 der Konvention.“              machung der Rechtsverletzung abgeben. Der Staat muss
                                                             innerhalb von sechs Monaten über die von ihm ergriffe-
Das Komitee betont zudem, dass Staaten auch für Ge-          nen Maßnahmen berichten. Es entsteht somit zwischen
waltakte privater Personen, Organisationen oder Un-          dem beschuldigten Staat und dem CEDAW-Ausschuss ein
ternehmen Verantwortung tragen, wenn die Staaten es          Menschenrechtsdialog.
unterlassen, mit gebührender Sorgfalt private Rechts-
verletzungen zu verhindern, zu untersuchen, zu bestra-
fen und für die Entschädigung des Opfers zu sorgen.
    Die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 ist also eine ex-
trem wichtige Ergänzung der Frauenrechtskonvention.
Insgesamt sind bis heute 26 solche Empfehlungen vom             Bislang 32 Verurteilungen, zwei davon betref-
Ausschuss abgegeben worden.                                     fen Österreich
    Wenn wir den Inhalt der CEDAW und der Empfehlung            Bis Anfang 2020 hat der CEDAW-Ausschuss 155
Nr. 19 bzw. aller Empfehlungen zusammennehmen, ha-              Beschwerden registriert, von denen allerdings
ben wir ein Werkzeug in der Hand, das darstellt, wie die        noch nicht alle entschieden sind. 59 Fälle hat der
Durchsetzung von Gerechtigkeit möglich ist; ein Werk-           Ausschuss abgewiesen, weil sie nicht alle Voraus-
zeug, das im Jahr 1999 seinen bisher letzten Schliff er-        setzungen erfüllt hatten, 13 Verfahren wurden
halten hat.                                                     unterbrochen. 32 Mal hat der CEDAW-Ausschuss
                                                                Staaten verurteilt.
3.4. DAS ZUSATZ- ODER FAKULTATIV­                               Gegen Österreich gibt es zwei Urteile, beide wegen
PROTOKOLL                                                       Gewalttaten durch Männer in Beziehungen. Die
Im Jahr 1999 ist die CEDAW durch ein Zusatz- oder               österreichischen Beschwerden und Verurteilungen
Fakul­tativprotokoll ergänzt worden, das im Jahr 2000           sind in diesem Heft (auf Seite 13) dargestellt.
in Kraft trat. Auch Österreich hat dieses Zusatzprotokoll
ratifiziert. Das Zusatzprotokoll sieht zwei Verfahren vor,
welche die Durchsetzung der Rechte der Frau wesentlich
erleichtern.

polis aktuell 2/2021                                                                                                 11
2) Das Untersuchungsverfahren                               shaming“ kommt der Staat unter einen gewissen Recht-
Der Ausschuss kann von sich aus ein Untersuchungsver-       fertigungsdruck. Und je besser diese Ergebnisse auch von
fahren einleiten, wenn ihm Informationen über schwere       nationalen NGOs in ihre Öffentlichkeits- und Lobbying­
oder systematische Verletzungen der Frauenrechtskon-        arbeit einbezogen werden, desto größer der Druck, der
vention seitens eines Vertragsstaates vorliegen. Das ers-   auf den Staat entsteht, etwas zu unternehmen.
te Untersuchungsverfahren wurde 2004 abgeschlossen              Manches Mal wird bemängelt, dass vorwiegend eu-
und betraf die Morde an Frauen in Ciudad Juárez (Mexi-      ropäische Staaten Beschwerden vor das CEDAW-Komitee
ko). Wie bekannt ist, hat auch dieser Bericht nicht zu      gebracht haben. Das ist richtig, aber die Erkenntnisse
einem Ende der Morde geführt. Aber er ist ein wichtiger     aus diesen Verurteilungen können allen Frauen zugu-
Mosaikstein im Kampf gegen diese Frauenmorde.               tekommen, vorausgesetzt sie werden bekannt gemacht
                                                            und in der frauenrechtlichen Argumentation genutzt.
   Mit diesen beiden Verfahren wurde also nach langen           Von besonderer Bedeutung ist der geringe Bekannt-
Verhandlungen der Mechanismus zur Durchsetzung der          heitsgrad der CEDAW allgemein. Das betrifft die Frauen
Frauenrechte geschaffen (übrigens durch eine von einer      selbst, die gar nicht wissen, dass es dieses Instrument
österreichischen Diplomatin, Aloisia Wörgetter, geleite-    gibt, aber auch viele Frauenorganisationen und sogar
te Arbeitsgruppe). Bis heute haben 108 Mitgliedstaaten      im Justizbereich tätige Menschen. Es braucht also Schu-
der UNO das Zusatzprotokoll ratifiziert.                    lungen und Sensibilisierung auf allen Ebenen. Denn die
                                                            CEDAW und das Fakultativprotokoll haben, wie das Bei-
3.5. SCHWÄCHEN UND CHANCEN VON CEDAW                        spiel der Verurteilung Österreichs zeigt (siehe Seite 13),
Als große Schwäche von CEDAW werden häufig die vielen       das Potenzial, etwas zu bewegen.
Vorbehalte genannt, mit der die Konvention belegt ist.
Es stimmt, dass diese Vorbehalte die Konvention aus-
höhlen. Es liegt aber auch eine Chance darin, denn die         Istanbul-Konvention
Tatsache, dass die Konvention ratifiziert ist, gibt den        Seit 1. August 2014 ist das „Übereinkommen des
Frauenrechtsorganisationen vor Ort die Möglichkeit,            Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von
sich einzubringen, indem sie dem CEDAW-Ausschuss               Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“,
ihre Sicht der Dinge mitteilen. Sie gibt den Frauen die        die sogenannte Istanbul-Konvention, in Österreich
Möglichkeit, gezielt für die Aufhebung einzelner Vor-          in Kraft. Die Konvention gilt derzeit als eines der
behalte zu kämpfen. Und vor allem sind die Staaten in          wichtigsten Rechtsinstrumente zur umfassenden
die Pflicht genommen, immer wieder ihre Vorbehalte zu          Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen.
rechtfertigen. Und dem CEDAW-Komitee gibt es die Mög-          2016 waren Österreich und Monaco die ersten
lichkeit, beharrlich auf eine Aufhebung der Vorbehalte         Länder, die bzgl. Implementierung der Istanbul-
zu drängen. Das ist mühsam, aber kann im einen oder            Konvention evaluiert wurden. Die Staatenprüfung
anderen Fall tatsächlich zu Verbesserungen für die Frau-       endete 2018 mit Empfehlungen des Vertrags-
en führen.                                                     staatenkomitees an Österreich. 2021 erfolgt ein
    Ein weiteres Problem ist die Schwäche des internatio-      Bericht Österreichs bzgl. Umsetzung der Empfeh-
nalen Rechts allgemein. Es gibt keine Sanktionsmöglich-        lungen.
keiten, wenn ein Staat seiner Berichtspflicht nicht nach-      www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-
kommt, wenn die Empfehlungen des CEDAW-Komitees                gleichstellung/gewalt-gegen-frauen/istanbul-
nicht umgesetzt werden etc. Aber in jedem Fall sind die        konvention-gewalt-gegen-frauen.html
Defizite im Menschenrechtsschutz für Frauen einmal be-         www.aoef.at/index.php/istanbulkonvention
nannt und öffentlich gemacht. Durch dieses „naming and

12                                                                                             polis aktuell 2/2021
Die österreichischen Beschwerden vor dem UN-Frauenrechtsausschuss

  Die zwei Beschwerden wurden vom Verein Frauen-                          Was haben die Beschwerden in diesem Fall
  Rechtsschutz und der Wiener Interventionsstelle ge-                     gebracht?
  gen Gewalt in der Familie eingebracht und zwar für                      Laut Information von Rosa Logar (Geschäftsführerin
  zwei Frauen (Sahide Gökce und Fatma Yildirim), die                      der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der
  2002 und 2003 von ihren Ehemännern ermordet wur-                        Familie und Obfrau der Autonomen Österreichischen
  den.                                                                    Frauenhäuser) wurde einiges erreicht.
     Beide Täter hatten vor den Morden eine Serie von
  Gewalthandlungen gegen die Frauen begangen und                              Die Rechtsvertreterinnen gingen in der Halbzeit
  ihnen die Ermordung angedroht. Die Drohungen und                            des Beschwerdeverfahrens an die Öffentlichkeit.
  Gewalttaten wurden der Polizei gemeldet und ange-                           Österreich reagierte und versprach den Schutz
  zeigt. Beide Täter waren von der Polizei aus der Woh-                       von Frauen vor Gewalt zu verbessern. Das passier-
  nung weggewiesen und ein Betreten der Wohnung                               te 2006 z.B. mit der Novelle zur Strafprozessord-
  bzw. der unmittelbaren Umgebung untersagt worden.                           nung. Die Zustimmung des Opfers ist seither nicht
  Im strafrechtlichen Verfahren wurde die Gefährlich-                         mehr nötig, wenn eine gefährliche Drohung im
  keit der Täter jedoch seitens der Staatsanwaltschaft                        Familienkreis ausgesprochen und dann verfolgt
  nicht ausreichend ernst genommen. Die Täter wurden                          wird. Die Strafverfolgung liegt zur Gänze beim
  nicht in Haft genommen und ermordeten, wie ange-                            Staat, das Opfer ist entlastet und kann nicht mehr
  kündigt, ihre Ehefrauen.                                                    mit Drohungen eingeschüchtert werden. Auch das
                                                                              Anti-Stalking Gesetz verbesserte die Situation der
  Österreich wurde in beiden Fällen vom CEDAW-Aus-                            Frauen.
  schuss verurteilt. Der Ausschuss stellte in seinem Be-                      Als der Bericht des CEDAW-Komitees 2007 ver-
  richt aus 2007 fest,                                                        öffentlicht wurde, reagierte Österreich mit einer
      dass die Ermordungen der beiden Frauen eine                             Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Si-
      Verletzung der durch CEDAW garantierten Rech-                           tuation der Frauen, etwa durch die Einführung
      te durch Österreich darstellen, insbesondere des                        eines Gewaltschutzpakets, das die Schaffung ei-
      Rechts beider Frauen auf Leben und auf körperli-                        nes neuen Straftatbestands beinhaltete, nämlich
      che und geistige Unversehrtheit;                                        die beharrliche Gewaltausübung, die höher unter
      dass trotz umfangreicher rechtlicher Gewalt-                            Strafe zu stellen ist, als die einzelnen Taten. Eine
      schutzmechanismen die staatlich getroffenen                             weitere Maßnahme ist der Versuch, in größeren
      Schritte nicht ausgereicht haben, um die Frau-                          Staatsanwaltschaften eine Sonderzuständigkeit
      en vor der Ermordung durch ihre Ehemänner zu                            für Gewalt im sozialen Nahraum einzurichten.
      schützen
      und dass Polizei- und Justizbehörden für man-                       Es gab noch weitere Maßnahmen. Die Beschwerden
      gelnde Sorgfalt beim Schutz der Frauen verant-                      vor dem CEDAW-Komitee waren auf jeden Fall eine
      wortlich sind. Der Ausschuss übermittelte auch                      Möglichkeit, um Druck auf Österreich auszuüben.*
      eine Reihe von Empfehlungen an Österreich.

  Die Gewaltschutzbroschüre, herausgegeben von der Wiener Interventionsstelle und
  dem Verein Autonome Frauenhäuser enthält alle wichtigen Informationen zum Schutz
  vor Gewalt und kann in 20 Sprachen heruntergeladen werden:
  www.interventionsstelle-wien.at/gewaltschutzbroschuere

 * Der Inhalt der Beschwerden, die Argumentation Österreichs, die Argumentation des CEDAW-Ausschusses und die Maßnahmen,
   die Österreich getroffen hat, sind umfangreich von Rosa Logar dokumentiert. Der Artikel „Die UNO-Frauenrechtskonvention
   CEDAW als Instrument zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen: zwei Beispiele aus Österreich“, ein Beitrag von Rosa Logar zur
   Tagung „Die Relevanz des UNO-Frauenrechtsabkommens CEDAW für die juristische Praxis“ im März 2009 in Bern, ist erschienen
   in Frauenfragen 1.2009 und online abrufbar unter:
   www.interventionsstelle-wien.at/images/doku/die_uno-frauenrechtskonvention_zwei_beispiele_aus_oesterreich.pdf

polis aktuell 2/2021                                                                                                                 13
4 UNTERRICHTSIDEEN
4.1. MEILENSTEINE DER FRAUENRECHTSBEWEGUNG IN ZITATEN
           Dauer     1 Stunde

       Schulstufe    ab der 9. Schulstufe

       Methoden      Kleingruppenarbeit, Diskussion

            Ziele    Sich differenziert mit dem Thema Frauenrechte auseinandersetzen und geschichtliche Zusammen-
                     hänge herstellen, Einstieg in das Thema Geschichte der Frauenrechte

      Materialien    je ein Kartensatz „Frauenrechte im Zitat“ pro Gruppe

           Ablauf    • Teilen Sie die Klasse in Kleingruppen von vier bis fünf Personen. Jede Gruppe erhält einen
                       Kartensatz mit den ausgeschnittenen und gemischten Kärtchen.
                     • Jede Gruppe versucht nun, die Zitate den richtigen Frauen zuzuordnen. Am besten werden die
                       Kärtchen auf ein Blatt geklebt.
                     • Die Gruppen sollen sich nun über den Inhalt der Zitate Gedanken machen.
                       a) Welche Zitate waren leicht den richtigen Frauen zuzuordnen und warum? Welche sind
                          besonders schwierig zuzuordnen?
                       b) Was ist die Aussage des Zitats?
                       c) In welchem geschichtlichen Kontext ist der Text zu sehen?
                       d) Hat der Text für uns heute noch Gültigkeit?
                     • Danach entscheiden sich die SchülerInnen für ein Zitat, das ihnen besonders gut gefällt oder
                       das sie besonders interessiert.
                     • Die Gruppen vergleichen ihre Ergebnisse und stellen sich die Zitate vor, die ihnen besonders
                       gut gefallen haben.
                     Wenn die Übung als Einstieg ins Thema gewählt wird, werden sicher viele Kärtchen nicht richtig
                     zugeordnet. Dann könnte die Recherche der richtigen Antworten als Hausübung gegeben werden
                     oder die Auflösung erfolgt über die Lehrkraft.
                     Tipps und mögliche Erweiterungen
                     • Lassen Sie die SchülerInnen die Biografien der Frauen recherchieren. Dadurch wird deutlich,
                       dass der Kampf um Frauenrechte nicht etwas Abstraktes ist, sondern eine Vielzahl von Lebens-
                       geschichten dahinter steht.

     Online unter    www.politik-lernen.at/MeilensteineFrauenrechtsbewegung

          Autorin    Patricia Hladschik

 Themenvorschläge für vorwissenschaftliche Arbeiten
 und Diplomarbeiten
     Anmache und sexistische Übergriffe im öffentlichen Raum: Ist street harassment eine individuelle Erfahrung oder
     Diskriminierung von Frauen und Mädchen im öffentlichen Raum? (Dazu auch Umfrage an der Schule)
     #Netzfeminismus: Existieren Diskriminierung von und Gewalt an Frauen und Mädchen auch im Internet? Welche
     Formen nehmen sie an? Welche Initiativen dagegen gibt es, z.B. in sozialen Medien wie Twitter oder Facebook?
     NGO-Schattenberichte zur UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW): Zielsetzung und Hauptkritikpunkte
     Das österreichische Gewaltschutzgesetz, ein internationales Vorzeigeprojekt?

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KOpIERVORLaGE: FRaUENRECHTE IM ZITaT

                                                                In diesem Zusammenhang möchte ich ganz
                                                             besonders auf die Pflicht der Eltern aufmerksam
                                                             machen, ihre Knaben und Mädchen nicht in den
     Die Frau hat das Recht, das Schafott zu be-             Vorurteilen aufzuziehen, dass es Arbeiten gibt,
     steigen. Sie muss gleichermaßen das Recht                 die des Mannes unwürdig sind, die aber dem
      besitzen, die Rednertribüne zu besteigen.               Weibe geziemen. Knaben und Mädchen sollen
                                                             alle Verrichtungen, die das häusliche Leben mit
                                                              sich bringt, mit gleich großer Geschicklichkeit
                                                                    und Freudigkeit verrichten können.

    Wenn es für Männer richtig ist, für ihre Freiheit zu
     kämpfen, ist es auch für Frauen richtig, für ihre
    Freiheit und die ihrer Kinder zu kämpfen. Dies ist
                                                                         Das Private
      das Glaubensbekenntnis der militanten Frauen                      ist politisch.
                         Englands.

                                                              Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige
     Man wird erst wissen, was die Frauen                       Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere
     sind, wenn ihnen nicht mehr vorge-                      Fesseln trägt als ich. Ich bin nicht frei, solange
      schrieben wird, was sie sein sollen.                     noch ein einziger farbiger Mensch in Ketten
                                                                liegt. Und solange seid auch ihr nicht frei.

                                                            Wir Algerierinnen, Marokkanerinnen, Iranerinnen
                                                             und Sudanesinnen haben uns zusammengetan,
                                                              um etwas zu fordern, was im Westen selbst-
       ... als Frau wird man nicht                          verständlich ist: die Universalität der Menschen-
       geboren, zur Frau wird man                            rechte, die unabhängig von Geschlecht, Haut-
                                                             farbe oder Religion für alle gelten. In meinem
                 gemacht.                                     Land jedoch verbinden die Feinde der Frauen
                                                                mit dem Begriff Universalität immer auch
                                                                das Attribut „international“, was für sie
                                                                          gleich „westlich“ ist.

                Hinweis: Die Anordnung der Biografiekärtchen entspricht der Anordnung der Zitate.

      Olympe de Gouges (1748–1793): Erklärung der
                                                                         Clara Zetkin (1857–1933)
          Rechte der Frau und Bürgerin, 1791

            Emmeline Pankhurst (1858–1928)                         Slogan der Zweiten Frauenbewegung

               Rosa Mayreder (1858–1938)                                 Audre Lorde (1934-1992)

      Simone de Beauvoir (1908–1986): Das andere
                                                                  Khalida Messaoudi, * 1958 in Algerien
       Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, 1949

polis aktuell 2/2021                                                                                              15
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