Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich

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Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
24 Stunden, ein Ort             Interview im IC              Zeitzeugen
Ansichten von der Langstrasse   Auf guter Spur mit der SBB   Umfrage: Welche Momente zählen für uns?

                                                                                                                                             N° 3 Zeit
                                                                                                       2017 / 2018 13. November
                                                                                                       Verband der Studierenden an der ETH
                                                                                                                                                    Polykum
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
VSETH

                                                                                                        Weil Sie wissen,                                                                                                                            Präsikolumne 4
                                                                                                                                                                                                                                                   Eine Diskussion für alle

                                                                                                        was wir tun.                                                                                                              Studiengebührenerhöhung 5
                                                                                                                                                                                                                                         Wann wird Studieren (zu) teuer?

                                                                                                                                                                                                                                        VSETH Pin-Up Board 6
                                                                                                                                                                                                                                                Was los war und sein wird

                                                                                                                                                                                                                                       Alle unter einem Dach 8
                                                                                                                                                                                                                                 Kommissionen & Fachvereine informieren

                                                                                                                                                                                Editorial

                                                                                                                                                                                Zeitreise                                                             globe ETH WELT
                                                                                                                                                                                                                                                 Schweigen tabu 9
                                                                                                                                                                                                                                    Belästigung darf nicht toleriert werden

                                                                                                                                                                                Liebe ETH-Studierende,

                                                                                                                                                                                fast genau 25 Jahre ist es her, dass die Null-
                                                                                                                                                                                nummer des Polykum die Druckerei verliess.
                                                                                                                                                                                    Seitdem ist viel Zeit vergangen und viel
                                                                                                                                                                                passiert. Unser Autor Leif-Thore Deck
                                                                                                                                                                                setzt sich daher mit den Anfängen unserer
                                                                                                                      Jetzt Gönner werden:                                      Verbandszeitung auseinander und lässt
                                                                                                                      www.rega.ch
                                                                                                                                                                                ihre Geschichte Revue passieren – beson-                       typewriter DOSSIER: ZEIT
                                                                                                                                                                                ders die wichtigen Momente und Wende-
                                                                                                                                                                                punkte, die zum heutigen Erscheinungsbild                    25 Jahre Polykum 10
                                                                                                                                                                                der Publikation geführt haben (S. 10-13).               Streifzug durch unsere Geschichte
                                                                                                                                                                                    Zeit wird in dieser Ausgabe zudem an               Von der ETH zur SBB 14
rion_AZ_98x141_Polykum_Girl_2016_08.indd 1                                             17.08.16 10:42
                                                                                                                                                                                symbolträchtigen Orten verbracht. Sei es         Aus dem Berufsleben zweier Absolventen
                                                                                                                                                   Do you have an MSc           bei meinem Interview mit Mitarbeitenden
                                                                                                                                                   degree in the natural                                                                     Campus-Umfrage 16
                                                                                                                                                   sciences, life sciences or   der SBB im IC von Bern nach Zürich (S. 14-                     Über die Sache mit der Zeit
                                                                                                                                                   engineering and seek a       15) oder bei einem 24-stündigen Selbst-
            Policy Challenge                                                                                                                       career where policy anal-
                                                                                                                                                   ysis and management are
                                                                                                                                                                                versuch unseres Autors Sebastian Wagner                            Selbstversuch 21
                                                                                                                                                                                                                                                  24 Stunden Langstrasse
                                                                                                                                                                                an der Langstrasse (S. 21-24).
             The Final Presentation
                                                                                                                                                   important?
                                                                                                                                      Tech-
                                                                                                              M  S c  in  Science, for                                                                                                          Kurzgeschichte 25
                                                                                                        Th  e                    y is
                                                                                                                     nd Polic              dy
                                                                                                        nology a who have alrea                                                 Ich wünsche euch eine genussvolle Zeit                                     Von Benedikt S.
                                                                                                         stude   n ts
                                                                                                                               S c d e g ree                                    beim Lesen dieser Ausgabe.
                                                                                                                        daM
                                                                                                         completeurich or EPF
                                                                                                                T H  Z                  rently
                                                                                                          a t E
                                                                                                                s a n n e o r are cur gram
                                                                                                          Lau                       p ro
                                                                                                                         in a MSc              -
                                                                                                           enrolled urich or EPF Lau
                                                                                                                                                                                Julia Ramseier, Redaktionsleitung Polykum
                                                                                                           at ETH      Z                                                        julia.ramseier@polykum.ethz.ch
                                          10’000 CHF Prize                                                                                                                                                                                                food12 EXTRAS
                                                                                                            sanne.
                                  Join us to find the winning team                                                                                                                                                                           2 Mari – 2 Meere 26
                                                                                                                                                                                                                                                   Ein Vergleich in Bildern
           The Competition
           Challenge 2017 Citizen Science                                                                                                                                                                                                               Musiktipp 27
                                                                                                                                                                                                                                      Death from Above: Outrage! Is Now
           Teams of students and scientists          Now is the time for them to                        Join our info-session to find more about our Master
           from all areas of ETH have been           present their projects and win                     programs & meet the professors and current stu-                                                                                    Südkorea-Kolumne 28
           working to design a feasible and          prizes of up to CHF 10’000.                                                                                                                                                          Schwerpunkt: Auswendiglernen
           sustainable technology-enabled
                                                                                                        dents, who will share their ISTP experiences with you!
           policy application to tackle              Come along and vote for your                                                                                                                                                                       Horoskop 29
           issues such as pollution, noise,          favourite Team and help us find                                                                                                                                                            Achtung, stressfreie Zone!
           infectious diseases and spatial           the winner!
           planning.                                                                                                                                                                                                                                         Comic 30
                                                                    Apero included.                      Where:         ISTP, UNO B 11, Universitätstrasse 41                                                                                             ULF in der Hölle
                   Where? ETH Main Building, HG E Floor                                                                                                                                                                                                   Kruxerei 31
                                                                                                                                                                                Das Polykum ist ein Magazin des
                When? Thursday, 14th December, 2017 at 15:00                                             When: Wednesday, November 15th, 17.15 - 18.45                                                                             Der neueste Fall der drei Sonderzeichen
                                                                                                                     Wednesday, December 13th, 17.15 - 19.00
             An Initiative from the Institute of Science,
                  Technology and Policy at ETH Zurich

                            www.policychallenge.ch                                                        www.istp.ethz.ch                             info@istp.ethz.ch
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
–4–                                                                                                             –5–
        Präsikolumne                                                                                                                    Wann wird Studieren (zu) teuer?

        Studiengebühren –                                                                                  Was es beim Thema
        eine Diskussion für alle!                                                                     ­›Studiengebührenerhöhung‹
                                             Liebe Mitstudentin, lieber Mitstudent
                                                                                                             zu bedenken gilt
                                             Die Hälfte des Herbstsemesters 2017 ist schon wie-                                                   von Medea Fux
                                             der Geschichte. Im VSETH waren es sicher einige
                                             der ereignisreichsten Wochen der letzten Jahre. Am
                                             Tag des Erstsemestrigenfestes, dem 28. September,
                                             hat der ETH-Rat angekündigt, die Studiengebühren
                                             an beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen        An seiner Sitzung vom 27./28. September 2017         wie Personen mit einem Schweizer Schulabschluss.
                                             um 500 CHF pro Jahr erhöhen zu wollen. Nach gera-        hat der ETH-Rat beschlossen, die Studiengebüh-       Die geforderte Ungleichbehandlung stiess auf
                                             de mal drei Tagen im Amt waren ich und der grössten-     ren an beiden ETH-Standorten um 500 CHF pro          Widerstand bei den Studierenden. Schlussendlich
                                             teils neue Vorstand also schon mit einem der umfang-     Jahr erhöhen zu wollen. Die finale Entscheidung      wurden die Forderungen abgelehnt.
                                             reichsten und grössten hochschulpolitischen Themen       wird der ETH-Rat im März 2018 treffen. Der Vor-
                                             überhaupt konfrontiert.                                  schlag durchläuft nun den internen Vernehmlas-       Ein Thema, das alle angeht
                                             Der VSETH beschäftigt sich schon seit über fünfzig       sungsprozess und auch der VSETH kann seine           Es wäre wichtig, die Diskussion nun auf einem
                                             Jahren mit dem Thema ›Studiengebührenerhöhung‹.          Meinung einbringen.                                  grundlegenden Niveau anzugehen und prinzipielle
                                             Einige interessante Ausschnitte aus der Diskussion           Für viele Studierende mag dies die erste Dis-    Fragen zu klären. Welchen Zweck sollen Studien-
VSETH

                                             findet ihr im Artikel von Medea gleich auf S. 5          kussion über eine Studiengebührenerhöhung sein.      gebühren eigentlich erfüllen? Sollen sie den admi-
                                             dieses Polykum.                                          In Wahrheit ist die Debatte zu diesem Thema aber     nistrativen Aufwand eines Studiums decken, sind

                                                                                                                                                                                                                 VSETH
        Zurück im Jetzt geht die Diskussion wieder richtig los. Wie vielen anderen Studierenden       bereits Jahrzehnte alt. Im Jahr 2003 wollte der      sie zwecklos oder sollen die gesamten Lehrkosten
        ist dir vielleicht nicht bewusst, dass sich der ETH-Rat zwar für eine Studiengebührener-      Bund die Studiengebühren, damals 1 100 CHF pro       damit finanziert werden? Wer soll die Kosten unse-
        höhung ausgesprochen hat, aber erst im März 2018 eine endgültige Entscheidung treffen         Jahr, als Teil eines Sparpaketes verdoppeln. Eine    res Bildungssystems tragen? Welche Rolle spielen
        wird. Bis Ende Jahr haben die Departemente und verschiedene Hochschulgruppen die              Verdoppelung wurde abgelehnt und die Studienge-      die Studierenden dabei? Wie viel Wert legt die
        Möglichkeit, zur geplanten Erhöhung Stellung zu nehmen. Dies wird auch der VSETH tun.         bühren wurden lediglich der Teuerung angepasst.      Gesellschaft auf Bildung und Innovation?
                                                                                                                                                               Als Reaktion auf die geplante Erhöhung des
        Nach der Medienmitteilung des ETH-Rats hat der VSETH mehrere Diskussionsrunden                Aktiv gegen Studiengebühren                          ETH-Rats führt der VSETH eine Informationskam-
        organisiert. Weil wir so allerdings nur einen kleinen Teil der Studierenden erreichen,        2008 waren es die Schulleitungen von der ETH         pagne durch, um eine fundierte Diskussion über das
        organisiert der VSETH am Mittwoch, 15. November, zusätzlich einen Aktionstag, um              Zürich und der EPFL Lausanne, welche eine Er-        Thema zu ermöglichen. Am 15.11.2017 findet ein
        alle Studierenden über das Thema zu informieren. Weiter lancieren wir an diesem Tag
        eine grosse Umfrage, um möglichst viele Meinungen zu sammeln.                                 höhung der Studiengebühren auf 1 000 CHF für         Aktionstag mit anschliessender Podiumsdiskussion
                                                                                                      Schweizer sowie EU-Bürger und auf 5 000 CHF für      statt. Ausserdem wird eine weitere Umfrage unter
        Unser Aktionstag ist bewusst neutral geplant: An diesem Tag ist es nicht unser Ziel, eine     Nicht-EU-Bürger pro Semester forderten. Der VSETH    den Studierenden lanciert. Nimm teil und bring auch
        bestimmte Meinung unter die Leute zu bringen, sondern möglichst neutral über Fakten           stellte sich erneut gegen dieses Vorhaben. Am Ende   du deine Meinung in die Diskussion ein!
        zu informieren. Jede und jeder Einzelne von euch soll sich dann selbst eine Meinung bilden.   verzichteten die Schulleitungen auf eine Erhöhung.
        Grundsatzdiskussionen sind anstrengend und brauchen Zeit. Wir haben mit einem an-                  Auf Initiative der EPFL diskutierte man 2012
        spruchsvollen Studium an der ETH schon einiges um die Ohren, doch dies darf nicht der         eine Verdoppelung der Studiengebühren auf 2 320
        Grund sein, dass eine Diskussion wie diese untergeht.                                         CHF pro Jahr. Der VSETH positionierte sich in der
                                                                                                      Diskussion abermals gegen eine Erhöhung und
        Ich bitte dich deshalb, auch wenn dich die Erhöhung finanziell nicht allzu schwer trifft,     führte unter anderem eine umfassende Umfrage
        dich aktiv an der Diskussion zu beteiligen – weil das ein Thema ist, das alle Studieren-
        den an der ETH und EPFL betrifft. Ich und der ganze Vorstand stehen euch bei Fragen           bei den Studierenden durch. Ende 2012 sprach
        oder Anregungen gerne zur Verfügung.                                                          sich der ETH-Rat grundsätzlich für eine Verdoppe-
                                                                                                      lung der Studiengebühren aus, das Vorhaben
        Liebe Grüsse,                                                                                 wurde jedoch sistiert.
        Lukas Reichart                                                                                     2013 wiederum wurde eine parlamentarische
                                                                                                      Motion eingereicht, die eine Differenzierung der
                                                                                                      Studiengebühren nach Herkunft vorsah. Bildungs-
                                                                                                      ausländer sollten bis zu dreimal so viel bezahlen

                     Polykum
                    2017 / 2018     N° 3           ZEIT                                                                              Polykum
                                                                                                                                    2017 / 2018     N° 3          ZEIT
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
–6–                                                                                                                 –7–

        PUNSCH & MARRONI
        Gratis Punsch und gratis Mar-    lass deine Seele nach stressi-
                                                                                                                                                                                           EISBAHN
        roni? YIPPIEH! Möchtest du      gen Vorlesungen baumeln. Wir                                                                                                                       Egal ob es Eiskunstlauf, Eishockey, Quid-
        auch davon kosten? Dann         bringen ein kleines bisschen                                                                                                                       ditch on Ice oder einfach eine Runde auf
        komm am 5. Dezember auf         Wärme und vorweihnachtli-                                                                                                                          dem Eis sein soll, bei uns findet jede Eis-
        die Polyterrasse, wenn der      che Stimmung in den kalten                                                                                                                         prinzessin und jeder Eisprinz einen Platz.
        VSETH-Vorstand den jährlichen   ­Studi-Alltag. Bring Freunde mit                                                                                                                   Die VSETH-Eisbahn findet vom 30. Novem-
        Punschausschank organisiert.     oder lerne bei einem Becher                                                                                                                       ber bis 20. Dezember auf dem Höngger-
        Geniess mit uns den Tag und      Punsch gleich neue kennen!                                                                                                                        berg statt und wird von Kommissionen,
                                                                                                                                                                                           Fachvereinen, Organisationen und dem

                                     H
                                                                                                                                                                                           Vorstand des VSETH gehostet. Wenn es

                                   T
                                                                                                                                                                                           dir draussen dann doch ein wenig zu kalt

                                  E
                                                                                                                                                                                           wird, kannst du dich mit Glühwein wieder

                               VS
                                                                                                                                                                                           aufwärmen und dich bei einem der Food-
                                                                                                                                                                                           trucks verköstigen.

                                 IN -U  P
                               P
VSETH

                                        D

                                                                                                                                                                                                                                         VSETH
                                BO A  R                  min C   adalber
                                                                         t, Bibia
                                                                                    na Prin
                                                                                              oth, Da
                                                                                                        ra   Colijn &
                                                                                                                      L a rs   Sturm
                                                                                                                                       HOPOSTAMM
                                                                                                                                       Hast du Verbesserungsvorschläge
                                                                                                                                       oder möchtest du wissen, wie du ak-
                                                on Jas
                                        Texte v                                                                                        tiv deine eigene Vorlesung verbessern
                                                                                                                                       kannst? Dann komm zum nächsten
                                                                                                                                       Hopostamm – am 29. November um
                                                                                                                                       18.00 Uhr im StuZ (CAB F 21). Wie
                                                                                                                                       an jedem Stamm ist auch hier wieder
                                                                                                                                       für reichlich gutes Essen und Trin-
                                                                       PROJEKTISTAMM                                                   ken gesorgt. Wenn du gerne dabei
                                                                                                                                       sein möchtest oder Fragen hast, dann
                                                                                                                                       melde dich bei hopo@vseth.ethz.ch.
                                                                       Du organisierst gerne oder hast eine eigene Idee für ein
                                                                       neues Projekt? Es interessiert dich, hinter die Kulissen
                                                                       eines VSETH-Events zu blicken und selbst einmal in ei-
                                                                       nem OK dabei zu sein? Dann komm am 7. Dezember um
                                                                       18.00 Uhr zu unserem Projektistamm auf dem Höngger-
                                                                       berg. Für leckeres Essen und Trinken ist gesorgt. Wenn
                                                                       du gerne dabei sein möchtest, dann schreibe eine Mail
                                                                       an projekte@vseth.ethz.ch. Wir freuen uns auf deine
                                                                       tollen Ideen!

                                             Polykum
                                            2017 / 2018              N° 3                 ZEIT                                                                             Polykum
                                                                                                                                                                          2017 / 2018   N° 3   ZEIT
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
–8–                                                                                                          –9–
                         FACHVEREINE &                                                                                 #metoo – Schweigen tabu!
                        ­K OMMISSIONEN
        Texte von Dario Spilimbergo, Timo Laudi, Dominik Brantschen, Leif-Thore Deck, Aiyana De Vree, Yvette Tritten
                                                                                                                           Unsere Autorin macht sich Gedanken darüber,
                                                                                                                        wie sehr sie die Weinstein-Affäre persönlich bewegt
                                                                                                                               – und was wir aus ihr lernen können.
                                                                                                                                                              von Kanita Sabanovic

                                                                                                                       volume-high
                                                                                                                                    Als die Weinstein-Affäre vor einigen   dann trotz alledem zu einem Vorfall kommt, steht
         KULTURSTELLE                         PAPPERLAPUB                                      UFO                                  Wochen publik wurde, war ich über-     man plötzlich ziemlich alleine da.
                                                                                                                                    rascht, wie nahe mir das Ganze per-         Übergriffe anzusprechen fällt vielen sehr
          Die Kulturstelle – ein Service         BILLIGE PROPAGANDA:               Wenn die Tage kürzer werden         sönlich ging. Die Berichte über Weinstein und       schwer – und genau da sehe ich eine Leistung des
           mit künstlerischem Flair für        »Free beer, topless prostitu-       und die Temperaturen sinken,        die Vorgänge in Hollywood waren schockierend,       #metoo. Es mag nicht die Lösung aller Probleme
        Studierende: günstigere Tickets       tes and false advertising since      lädt der Umwelt- und Forst-         doch viel mehr haben mich die Beiträge zu           sein, sich auf Social Media zu öffnen, doch es
         für die Oper, die Tonhalle, fürs     2010« – das ist das Motto des       fachverein (UFO) zum gemein-         #metoo mitgenommen, dem Twitter-Hashtag,            schafft eine Atmosphäre der Verbundenheit und
           Theater oder ein Konzert?         PapperlaPub. Jeden Mittwoch-           samen Fondue-Plausch ein.          unter welchem Millionen Frauen ihre persönli-       enttabuisiert Themen, über die wir im Alltag nur un-
          Besuche www.kulturstelle.ch          abend versorgen wir fleissige       Das ›UFOndue‹ findet am 23.         chen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen          gern reden. Kritiker argumentieren, dass #metoo
        und registriere dich für unseren      und erschöpfte Studenten von          November um 18.00 Uhr im           teilten. Plötzlich las ich täglich von realen Er-   mehr schadet als nützt, weil strafbare Delikte und
        monatlichen Newsletter. Jeden        18 bis 24 Uhr im Yu&Mi (CAB D        StuZ statt. Das Essen wird von
                                                                                                                       lebnissen meiner Bekannten, Freundinnen und         plumpe Anmachsprüche in den gleichen Topf ge-

                                                                                                                                                                                                                                    globe ETH-WELT
        Monat hat die Kulturstelle neue       21) mit ausgezeichnetem Bier,         uns bereitgestellt, Getränke
VSETH

         Veranstaltungen zur ­Auswahl.        leckeren Drinks, heisser Milch         könnt ihr vor Ort erwerben.
                                                                                                                       Familienmitglieder, die seit Jahren niemandem       worfen werden und den Opfern wirklicher Strafta-
                                             und einer entspannten, geselli-          Die Anmeldung wird per           anvertraut worden waren. Das führte mir auf be-     ten so die Glaubwürdigkeit nehmen. Ich sehe dies
                                             gen Atmosphäre. Vorbeischauen          Mail an alle UFO-Mitglieder        drückende Weise vor Augen, wie alltäglich sexu-     anders: Es geht darum, eigene Erfahrungen wei-
                                                 lohnt sich auf jeden Fall!              bekannt­gegeben.              elle Belästigungen verschiedener Form und           terzuerzählen und die Erlebnisse anderer mitzu-
                                                                                                                       Couleur für viele Frauen sind.                      kriegen. Jeder erhält die Möglichkeit, gehört zu
                                                                                                                            Um die Relevanz der Bewegung zu verstehen,     werden, ohne dass die Grösse des Vorfalls einge-
                                                                                                                       reicht es, ein Gedankenexperiment durchzuführen:    stuft werden muss. Denn jeder Vorfall, der unter
                                                                                                                       Was wäre meine erste Reaktion, wenn ich mitbe-      #metoo gefunden werden kann, ist einer, der nicht
                                                                                                                       käme, wie ein Fremder beispielsweise eine ihm       hätte passieren dürfen.
                                                                                                                       nicht bekannte Mitreisende im Bus begrapscht?
                                                                                                                       Und was wäre meine Reaktion, wenn es nicht ein      Was nun kommen muss
                                                                                                                       Fremder wäre, sondern mein Bekannter? Solche        Doch wie jedes Online-Phänomen wird auch #metoo
                                                                                                                       Situationen kommen täglich vor und die traurige     nicht ewig leben. Stellt sich also die Frage: wie
                                                                                                                       Wahrheit ist, dass betretenes Wegschauen die        weiter? Denn alle Geschichten wurden umsonst
                                                                                                                       häufigste Reaktion ist.                             erzählt, wenn dieser positive Ansatz wie viele vor ihm
            FILMSTELLE                                   VIAL                                HÖNK                      Scham und Resignation
                                                                                                                                                                           ins Nichts abdriftet. Und gerade darum ist es wichtig,
                                                                                                                                                                           den Dialog von der Online-Plattform in den Alltag zu
           Die Filmstelle hat noch fünf        Am Freitagnachmittag, dem           Auch dieses Semester gibt es        Auch als Betroffene/r solcher Situationen weiss     überführen. Dies heisst einerseits, mit der eigenen
        Filmabende, an denen ihr in den      6. Oktober, wanderten wir bei          wieder viele Events auf dem        man meistens nicht, was getan werden kann. Sei      Familie, Freunden und Bekannten über deren Erfah-
         Genuss feinster südostasiati-        schönstem Herbstwetter von           Hönggerberg! Schaut bei der         es »nur« schon in Bezug auf eine unpassende         rungen zu reden. Andererseits müssen wir auch
        scher Filmkunst und ebenso le-      Mendrisio nach Cragno. Unter-            grossen Sushi-Night Ende          Bemerkung, auf verbale Attacken oder Handgreif-     achtsamer werden und lernen, mit problematischen
         ckerer Apéros kommen könnt.        wegs sammelten wir Kastanien,         November im HXE vorbei oder          lichkeiten. Als Frau lernt man schon ab zwölf,      Situationen umzugehen. Oftmals beginnt dies im
        Das vollständige Programm so-        die wir später über dem Feuer          besucht die Mittwochsfilme         dreizehn Jahren, dass man nicht wirklich etwas      Kleinen: damit etwa, deutlicher zu kommunizieren,
          wie Filmbeschriebe findet ihr      rösteten. Am Samstag stürm-           im HIT und geniesst frisches        gegen Typen machen kann, die einem aus dem          dass man gewisse Verhaltensweisen störend fin-
         unter www.filmstelle.ch. Jeden       ten wir den Gipfel des Monte        Popcorn. Wenn ihr aktiv bei der      Auto nachpfeifen. Dass man nachts in gewissen       det, damit, jemanden auf respektloses Verhalten
           Dienstag im StuZ CAB (z.B.       Generoso und wurden mit Weit-         HöNK mitmachen wollt, meldet         Stadtteilen besser nicht alleine unterwegs sein     hinzuweisen, oder damit, beobachtete Missstände
        14.11.17), ab 19.30 Uhr Kasse/      sicht auf die Alpen und die Po-       euch bei praesi@hoenk.vseth.         sollte. Und dass man einem allzu aufdringlichen     zu melden und den Betroffenen zur Seite zu stehen.
          Bar, um 20.00 Uhr Filmstart,       Ebene belohnt. Als krönenden            ethz.ch – die HöNK sucht          Bewerber im Ausgang lieber eine falsche Telefon-    Es ist der Minimalschritt, den jeder vornehmen muss,
          gratis für VSETH-Mitglieder.      Abschluss genossen wir regio-              immer neue M­ itglieder!        nummer gibt, als ihn durch ein entschiedenes        damit wir in Zukunft hoffentlich nicht mehr über
                                               nal hergestellte Pizzoccheri
                                                                                                                       »Nein!« womöglich zu beleidigen. Und wenn es        Affären wie die von Weinstein berichten müssen.
                                                     in einem Grotto.

                                     Polykum
                                    2017 / 2018       N° 3            ZEIT                                                                           Polykum
                                                                                                                                                    2017 / 2018     N° 3          ZEIT
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
– 10 –
                                                                           für Studierende. Gestartet wurde mit einem kleinen
                                             Das Polykum wird 25!          Redaktionsteam, das bei einer Vorgängerzeitung

                          25 Jahre
                                                                           bereits journalistische Erfahrungen gesammelt
                                                                           hatte. Doch die Gründung einer eigenen Zeitschrift
                                                                           war keineswegs von langer Hand geplant: Nach
                                                                           siebzig Jahren Zusammenarbeit mit dem VSUZH

                     in Bewegung                                           im Rahmen des ›Zürcher Studenten‹ führten Diffe-
                                                                           renzen in der Frage der Ausrichtung dieser Zeitung
                                                                           zum Rückzug des VSETH mit anschliessender
                                                                           Neugründung einer eigenständigen Zeitung. Das
                                                von Leif-Thore Deck        Polykum war geboren.
                                                                               Die neue Zeitschrift sollte als offizielles Ver-
                                                                           bandsorgan des VSETH fungieren und als solches
                                                                           jedem Vereinsmitglied gratis zugestellt werden.

                     cake
                                Es ist kaum zu glauben, doch die           Damit war auch die thematische Ausrichtung weit-
                                erste Ausgabe des Polykum ist              gehend vorgegeben: Man wollte sich auf studenti-
                                bereits vor 25 Jahren erschienen.          sche Themen beschränken, Vereins-Events vor-
                     Am 9. Oktober des Jahres 1992 war die                 stellen und relevante Aktivitäten und Pläne der
                     Stunde null: nicht mit einer ersten Ausgabe,          ETH beleuchten.
                     sondern eben mit einer Nullnummer. Schon                  Es gelang schnell, eine grosse Redaktion von
                     damals wollte man Akzente setzen. In sei-             Studierenden aus allen Fachbereichen aufzustel-
                     nen 25 Jahren hat das Polykum unzählige               len. Dadurch konnten die Artikelthemen so ausge-
                     Themen aufgegriffen, die Studierende, ETH             wählt werden, dass Studierende aller Bereiche
                     und Gesellschaft betreffen – seien es Pla-            stets etwas für sie Interessantes fanden. Die bal-
                     nung und Fortschritt der Science City auf             dige Eingliederung des ETH-Magazins ›ETH-intern‹
                     dem Hönggerberg, die Gründung neuer                   erlaubte es, sich bei Polykum-Artikeln noch stärker
typewriter DOSSIER

                     Departemente und Vereine oder die Ernen-              auf studentische Belange zu konzentrieren, und
                     nung und der Abschied diverser Persönlich-            im Polykum-Teil der gemeinsamen Zeitschrift
                                                                           wurden von Zeit zu Zeit auch provozierende Artikel
                     keiten der ETH-Gemeinschaft. In all der               veröffentlicht.
                     Zeit hat das Polykum auch akribisch den                   Die Finanzierung ist damals wie heute immer
                     Studienalltag verfolgt und seine Leser ex-            noch ein brandaktuelles Diskussionsthema. Natur-
                     klusiv informiert. Damit bieten die Ausga-            gemäss fiel es bei den ersten Ausgaben noch
                     ben der vergangenen 25 Jahre eine einzig-             schwer, überhaupt Partner für Anzeigen zu finden.
                     artige Dokumentation der Studierenden-                Zugleich hat sich der VSETH in den letzten 25
                     generationen vor uns. Es wird Zeit, einmal            Jahren selbst stark weiterentwickelt: Damals war
                     genauer zu stöbern.                                   man politisch wesentlich aktiver als heute und
                                                                           dementsprechend weniger attraktiv für potenzielle
                     Wie muss eine Studierendenzeitung aussehen?           Werbepartner. Diese finanziell belastende Situa-
                     Dazu hat vermutlich jeder seine eigene Meinung        tion führte daher bald zu einer Professionalisie-
                     und in 25 Jahren kommen zwangsläufig zahlreiche,      rung der Zeitung und war letztlich auch Anlass zur
                     ganz unterschiedliche Ansichten zusammen.             Kooperation mit ›ETH-intern‹.
                     Manche Leser bevorzugen vor allem professionell-
                     informative Artikel, andere möchten lustige Details   Professionalisierung und Neuorientierung
                     aus dem Studienalltag erfahren und wieder andere      Mit der Trennung vom ›ETH-intern‹-Nachfolger
                     schauen sich ohnehin am liebsten Bilder an. Wie       ›ETH Life Print‹ im Jahr 2013 wurde daher eine
                     wird man dieser Vielzahl von Ansprüchen gerecht?      Neuorientierung nötig. Von nun an wurden auch
                     Wie kann man sicherstellen, dass die Zeitung nicht    Hochschulthemen vermehrt ins Portfolio aufge-
                     nur bei den Studierenden gut ankommt, sondern         nommen, vor allem Vorstellungen von Instituten
                     auch andere Leser, etwa ETH-Mitarbeiter und           und Interviews mit Professoren und anderen ETH-
                     Lehrende anspricht?                                   Angehörigen. Gleichzeitig stieg mit dem Alter des
                                                                           Polykum auch das Alter seiner Redaktion – viele
                     Vom holprigen Start zur erfolgreichen Mitglieder-     Autoren blieben und bleiben ihm auch Jahre nach
                     zeitung                                               dem Verlassen der ETH und ihrem Studienende
                     Damit eine solche Zeitung erfolgreich sein kann,      noch treu. Das Polykum entwickelte sich mehr                  Die vielen Gesichter des
                                                                                                                                        Polykum: als Kehr- oder
                     muss sie auf ebendiese Fragen Antworten finden.       und mehr zu einer professionellen Zeitschrift mit          (Wieder-)Solo-Zeitung, auf
                     In seinen Anfangsjahren verfolgte das Polykum         einer Struktur, die sich an etablierten Zeitungs-      Zeitungs- oder Offsetpapier, in
                     ganz die Strategie einer Zeitung von Studierenden     medien orientiert.                                      Farbe oder in Schwarz-Weiss.

                                                     Polykum
                                                    2017 / 2018     N° 3          ZEIT
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
– 12 –                                                                                                               – 13 –

                                                                                       arrow
                                                      1992                             1995                              2001             2001                             2013                              2014                              2016
                                               Das Polykum wird geboren!          Umbau zur Kehrzeitung               Druck vollständig    Aus ›ETH-intern‹       Trennung von ›ETH Life Print‹    Vollständige Neugestaltung inklu-   Grundlegende Modernisierung
                                                                                    mit ›ETH-intern‹                      in Farbe        wird ›ETH Life Print‹                                   sive Wechsel von Papier und Format           des Layouts

                         Doch diese Entwicklung blieb nicht ohne Folgen.     gehört zum VSETH – sie sitzt in keinem Elfenbein-            25 Jahre Polykum                                        Life Print‹ und der Druck wurde vollständig auf
                     Gerade in den letzten Jahren traten daher vermehrt      turm. Im Mitgliederrat und anderen Organen des                                                                       Farbe umgestellt. An dieser Struktur sollte sich
                     Fragen nach den Zielen dieser stark gewachsenen         VSETH wird regelmässig offen und demokratisch                Ein kurzer Abriss                                       lange Zeit, bis zum September 2013, nichts mehr
                     Campuszeitschrift auf, die ursprünglich nicht mehr
                     als ein Informationsorgan des VSETH gewesen war.
                                                                             über das Polykum debattiert, um eine bestmögliche
                                                                             Strategie für die Zeitung zu finden. Und tatsächlich:
                                                                                                                                          der Geschichte                                          ändern. Denn zu diesem Zeitpunkt endete die
                                                                                                                                                                                                  Kooperation zwischen ›ETH Life Print‹ und Poly-
                     Es kam Kritik, dass die Zeitung nicht mehr studen-      So umfangreich und schnell wie in den vergang-                                                                       kum: ›ETH Life Print‹ wurde als ›life – das Maga-
                     tisch genug sei und die Themen am Studienalltag         enen vier Jahren hat sich das Polykum noch nie               Dünnes Zeitungspapier, 16 Seiten lang, der Inhalt       zin für die ETH-Community‹ zu einer eigenständi-
                     vorbeigingen. Dass man sie wieder verkleinern und       weiterentwickelt. Dabei ermöglicht gerade die Kritik         nur schwarz-weiss gedruckt und eine Ausgabe             gen Publikation, die in dieser Form seither viertel-
                     entprofessionalisieren sollte. Und weiter, dass eine    unserer Lesenden, die Zeitschrift immer weiter zu            jede zweite Woche – das ursprüngliche Konzept           jährlich erscheint, und auch das Polykum wurde
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                                                                                                                                                                                                                                                                 typewriter DOSSIER
                     solche Zeitung in der heutigen Zeit der digitalen       optimieren.                                                  hat mit dem heutigen nicht mehr viel zu tun. Ein-       im Zuge dessen umgestaltet. Die Ära der Kehrzei-
                     Medien ein veraltetes Relikt sei und bei der hohen           Mit einem modernisierten Design und einem               zig, dass die Zeitung standardmässig an jeden           tung ging endgültig zu Ende, bereits 2014 erfolg-
                     Auflage umweltschädigend dazu.                          verstärkten Fokus auf studentische Themen soll der           Studierenden im VSETH verschickt wird, blieb bis        ten ein Redesign, der Wechsel vom Zeitungs-
                                                                             Spagat zwischen einer sowohl studierendennahen               heute Polykum-Grundsatz. Doch wie hat sich das          zum heutigen Offsetpapier und zugleich zum
                     Zurück zu den Wurzeln?                                  als auch professionellen Zeitung gemacht werden.             Polykum im Laufe der Zeit weiterentwickelt?             Format A4.
                     Doch es gehört eben auch zu den Vorteilen dieser        Gleichzeitig soll mit einer intensivierten Werbestra-                                                                     Im Laufe der Jahre wurden einige der be-
                     Art von Zeitung, auf solche Kritik zeitnah und effek-   tegie die Kostenbelastung für den VSETH gesenkt              Die ersten Schritte zum Informationsorgan               kannten Rubriken eingeführt – etwa der Ulf-
                     tiv reagieren zu können: Die Polykum-Redaktion          werden, ohne inhaltliche Einschnitte vornehmen zu            Zunächst fokussierten sich die ersten Ausgaben vor      Comic und das obligatorische Horoskop am
                                                                             müssen. Auch wurde der VSETH-Newsletter als                  allem auf rein studentische Themen: Aktuelle Infos      Ende jeder Ausgabe. Auch die Platzierung der
                                                                             Informationsorgan deklariert, sodass es ausreicht,           und Kalender zu Events von Fachvereinen und des         Rubriken änderte sich stetig: So war ›Ulf‹ zu-
                                                                             wichtige Vereinsanlässe in diesem anzukünden. Das            VSETH, Interviews mit Professoren und Personen aus      nächst auf der Doppelseite in der Mitte der Zei-
                                                                             Polykum wurde dadurch flexibler – und die Weichen            dem universitären Umfeld sowie diverse Kolumnen         tung platziert, damit man ihn einfach heraus-
                                                                             für die nächsten Jahre sind gestellt.                        prägten die ersten Jahre. Dabei wurde die Redaktion,    nehmen und aufhängen konnte. Inzwischen sind
                                                                                                                                          die zu Beginn nur aus drei Personen bestand, stetig     an dieser Stelle meistens jene Artikel mit den
                                                                             Ein Ausblick auf die nächsten 25 Jahre                       vergrössert und die Themenvielfalt erweitert.           aufwendigsten und ansprechendsten Bildern
                                                                             Gerade mit Blick auf die letzten Jahre hat das                    Zu einem ersten Einschnitt kam es jedoch           verortet – denn die Seite ist auch die, die man
                                                                             Polykum eine rasante Entwicklung durchlaufen.                schon wenige Jahre nach der Gründung: Das               unbewusst häufig zuerst aufschlägt.
                                                                             Manche Rubriken wie beispielsweise der Ulf-                  Magazin wurde im Umfang verdoppelt und als
                                                                             Comic werden uns sicher noch lange erhalten                  Kehrzeitung gemeinsam mit ›ETH-intern‹ heraus-          Das Polykum heute: modernes Design seit Sep-
                                                                             bleiben. Doch die stetig fortschreitende Digitali-           gegeben. Von nun an verstand sich das Polykum           tember 2016
                                                                             sierung wird den Druck immer weiter erhöhen, den             als Zeitschrift für alle Angehörigen der ETH. Egal      Erst seit einem letzten, grundlegenden Redesign
                                                                             Schritt von einer papiergebundenen Zeitung zum               ob Studierende, akademischer Mittelbau oder             im September 2016 gibt es das Polykum im ver-
                                                                             modernen, multimedialen Informationsträger zu                Professoren: Alle sollten angesprochen werden.          trauten Layout. Auch einige der heute bekannten
                                                                             vollziehen. Schon jetzt sind die jüngsten Ausgaben           Im Mittelpunkt standen beim Polykum aber noch           Rubriken wurden erst in den letzten Jahren ein-
                                                                             online verfügbar – und wer weiss, vielleicht wird in         immer studentische Artikel, wohingegen ›ETH-            geführt, etwa das ›VSETH Pin-Up Board‹ zu Be-
                                                                             ein paar Jahren, im Zuge des nächsten Redesigns,             intern‹ mit einer eigenen Redaktion klassische          ginn jeder Ausgabe. Das Polykum sollte nach der
      So weit, so gut – der                                                  sogar der Druck eingestellt.                                 Universitätsthemen behandelte, etwa die Vorstel-        Trennung von ›ETH Life Print‹ wieder studenti-
    Status quo. Wenn sich                                                        Nur eines ist sicher: Geben wird es das Poly-            lung neuer Institute und Kooperationen an der ETH.      scher werden und sich daher auch wieder stärker
          optisch auch viel                                                  kum noch lange, doch wie es in ferner Zukunft                                                                        auf die Aktivitäten des VSETH fokussieren. Im ver-
        verändert hat, bei
            einem bleibt's:                                                  aussehen wird, kann man unmöglich vorhersagen.               Modernisierung zur Jahrtausendwende                     gangenen September wurde deshalb eine weitere
      Wir schreiben für die                                                  Wie stellt ihr euch die Zukunft des Polykum vor?             Zu einer grundlegenden Neukonzipierung kam es           Rubrik ergänzt, in der Fachvereine und Kommissi-
    Studierenden der ETH!                                                    Schreibt uns eure Meinung in einem Leserbrief!               im Oktober 2001: Aus ›ETH-intern‹ wurde ›ETH            onen ihre Aktivitäten vorstellen können.

                                                      Polykum
                                                     2017 / 2018       N° 3         ZEIT                                                                                   Polykum
                                                                                                                                                                          2017 / 2018       N° 3          ZEIT
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
– 14 –                                                                                                                                                   – 15 –

                                                                        Begegnung im IC
                                                            Robert Strietzel hat Informationstechnologie und
                                                           Elektrotechnik an der ETH studiert, Nicolas Müller
                     Nicolas Müller begann anfangs
                                                         Bauingenieurwissenschaften. Heute haben sie denselben
                     September 2017 das 18-mona-         Arbeitgeber, die SBB. Auf einer Zugfahrt treffen sie sich
                     tige Technical Trainee-Programm
                     der SBB. Er schloss im Sommer           zum Austausch über Arbeitsanfänge, Unterneh-
                     2017 das Masterstudium in Bau-
                     ingenieurwissenschaften an der
                                                               mensalltag und berufliche Leidenschaften.
                     ETH Zürich ab, mit Vertiefung                                          Interview von Julia Ramseier
                     Verkehr und Geotechnik. Zwi-
                     schen Bachelor- und Master-
                     studium absolvierte er zwei
                     Praktika als Bauingenieur und
                     Bauleiter. In den ersten sechs
                     Monaten seines Trainee-Pro-        Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus,     Sie haben Elektrotechnik und ICT an der ETH
                     gramms arbeitet er im Bereich      was sind Ihre inhaltlichen Schwerpunkte?             studiert. Wie war der Übergang vom Studium zu
                     Fahrbahn und Geomatik. Zu-                                                              Ihrer derzeitigen Arbeit bei der SBB, wie viele
                     dem plant er – zusammen mit        RS Ich arbeite in der Regel drei Tage im Büro        Stationen haben Sie durchlaufen und warum?
                     seinem Mentor – seine weiteren          in Zollikofen, die restliche Zeit bin ich un-
                     Einsätze, optional einer davon          terwegs und arbeite an anderen Standor-         RS Ich wollte unbedingt Erfahrung in einem
                     bei einer Partnerunternehmung           ten, im Homeoffice oder im Zug. Den Zug              Unternehmen von der Grössenordnung der

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Fotos: Hannes Hübner
                     der SBB im In- und Ausland.             schätze ich als Arbeitsplatz, weil ich da            SBB sammeln. Das hat sich bereits wäh-
                                                             gut organisatorische Arbeiten erledigen,             rend meines Studiums gezeigt. Daher habe
typewriter DOSSIER

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          typewriter DOSSIER
                                                             Mails beantworten oder Präsentationen                ich dann auch meine Masterarbeit bei der
                                                             vorbereiten kann. Der Hauptteil meiner               SBB im Bereich ›Netzbetrieb/Bahnstrom-
                                                             Aufgaben fällt bei laufenden Projekten an            versorgung‹ geschrieben. Daraus hat sich
                                                             und hat einen klar umrissenen Zeithorizont.          eine Festanstellung im selben Arbeitsbe-
                                                             Nur wenige Aufgaben sind wiederkehrend.              reich ergeben.
                                                             Inhaltlich liegt mein Schwerpunkt auf
                                                             dem von der SBB betriebenen Stromnetz.
                                                             Zusammengefasst geht es bei meiner              Wie kommt man in Ihrem Fall von einer Assistenz
                                                             Arbeit um die Effizienz, Ausfallsicherheit      am Institut für Geotechnik der ETH dazu, Techni-   Können Sie Ihre im Fachstudium erworbenen              Wir suchen Sie!                             wie viel CO₂-Ausstoss bei der Produktion
                                                             und Optimierung dieses Netzes. Ein kon-         cal Trainee bei der SBB zu werden?                 Kenntnisse in Ihrer täglichen Arbeit anwenden?         In keinem anderen Land der                  von Strom anfällt, und da spielen dann
                                                             kretes Beispiel dafür wäre etwa die auto-                                                                                                                 Welt wird mehr Bahn gefah-                  auch Umweltauflagen eine Rolle.
                     Robert Strietzel ist als Fach-          matische Spannungsoptimierung in der            NM Verkehr und Geotechnik haben mich im            NM Die Grundlagenforschung (Geotechnik                 ren als in der Schweiz. Die
                     spezialist Bahnstromversor-             Leitstelle.                                          Studium bereits sehr interessiert, aber wie       und Unterbau) hat mir beim Einstieg bei            SBB ist mit ihren 33 000               NM Das ist bei mir auch so, ich muss bei ganz
                     gung für den sicheren und                                                                    mein konkretes Berufsbild aussehen würde,         der SBB geholfen, aber natürlich musste            Mitarbeitenden nicht nur die                vielen technischen Details darauf achten,
                     effizienten Betrieb des SBB        NM Bei mir ist es ähnlich. Ich bin einer der 24           wusste ich da noch nicht. Klar war mir aber       ich mir spezifische Kenntnisse für mein            grösste Reise- und Trans-                   wo die Fahrbahn ist und in welchen Kon-
                     Hochspannungsnetzes verant-             Trainees, die jährlich ihr Programm bei der          nach fünf Jahren ETH-Studium, dass ich            derzeitiges Arbeitsfeld erst aneignen.             portfirma der Schweiz,                      text sie »eingebettet« ist. Beim Fahrbahn-
                     wortlich. Er hat an der ETH             SBB starten. Wir durchlaufen ein 18-mo-              lieber in einem Unternehmen arbeiten              Sicher bringt man neben dem Fachwissen             sondern auch eine der                       bau muss unter anderem darauf geachtet
                     Zürich Elektrotechnik und               natiges Programm, in dem wir verschiedene            wollte, als eine akademische Laufbahn zu          aber auch grundsätzliche Skills vom                grössten Immobilienbesitze-                 werden, dass Schutzräume für Kleingetier
                     Informationstechnologie stu-            Arbeitsbereiche im Unternehmen kennen-               verfolgen. Daher ist das Trainee-Programm         ETH-Studium mit: Zielvorgaben einzuhal-            rinnen und IT-Arbeitgeberin-                wie Eidechsen gewahrt bleiben.
                     diert und war während seines            lernen. Das allein bringt schon keine sich           ideal für mich, weil es mir die Möglichkeit       ten, strukturiert und analytisch vorzugehen        nen der Schweiz. Bei der
                     Studiums als Hard- und Soft-            ständig wiederholende Arbeitsroutine mit             bietet, in verschiedene Unternehmensbe-           oder auch methodisches Denken zur                  SBB können Sie Ihre Ideen
                     wareentwickler bei verschiede-          sich. Derzeit arbeite ich im Bereich Fahr-           reiche bei der SBB hineinzuschauen und so         Problemlösung anzuwenden.                          einbringen, mit Kundinnen              Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Arbeit?
                     nen Start-ups tätig. Nachdem            bahn und Geomatik und bin rund drei Tage             den passenden Arbeitsbereich für mich zu                                                             und Kunden arbeiten und
                     er für seine Masterarbeit zum           pro Woche im Büro in Olten, die anderen              finden. Dabei helfen auch die persönlichen    RS Ich arbeite heute sehr viel im Bereich der          schnell Verantwortung                  RS Ich mag, dass ich keinen Standardarbeits-
                     Thema ›Modellierung von                 zwei Tage unterwegs. In diesem Bereich               Ansprechpartner/innen im Unternehmen:             Simulation von Stromnetzen und das war             übernehmen. Qualifizierte                   ablauf habe, dass ich projektabhängig ar-
                     Nebenverbrauchern im SBB                dreht sich alles um Tiefbau, auf die SBB             Mein Götti, zum Beispiel, ein ehemaliger          bereits ein grosser Bestandteil meines Stu-        und engagierte Mitarbei-                    beite und dadurch sehr viel Themenbreite
                     Stromnetz‹ bereits mit der SBB          bezogen heisst das »Schiene, Schwelle &              SBB Trainee, der in einem anderen Fach-           diums. Insofern kann ich hier das Wissen           tende sind für unseren Erfolg               und Abwechslung entsteht.
                     zusammengearbeitet hatte,               Schotter«. In diesem Arbeitsbereich werde            bereich arbeitet, oder mein Mentor, eine          aus dem Fachstudium gut anwenden. Aller-           entscheidend.
                     wurde er nach Abschluss des             ich sechs Monate arbeiten, danach mein               Person aus dem SBB Top-Kader. Sie sind            dings sind Stromnetze immer auch einge-            Darum setzen wir auf mo-               NM Während des Trainee-Programms bin ich
                     Studiums im Bereich SBB                 Wissen in drei weiteren sogenannten                  für mich da, etwa wenn es darum geht, die         bettet in Kontexte – da spielen zum Bei-           derne Arbeitsformen, attrak-                relativ frei in der Wahl meiner Einsatzberei-
                     Energie als Fachspezialist              Förderstellen von je vier Monaten erwei-             Entwicklung meiner Arbeitsleistung oder           spiel Umweltaspekte eine Rolle. Daher bin          tive Anstellungsbedingungen                 che und Projektmitarbeit. Ich bekomme so
                     eingestellt. Aktuell beschäftigt        tern. Teil unseres Programms ist, dass wir           meine nächsten Stationen im Unternehmen           ich froh, dass ich in meinem Studium auch          und eine umfangreiche                       einen intensiven Einblick in verschiedene
                     er sich mit der Weiterentwick-          uns auch mit anderen Trainees austau-                zu besprechen.                                    interdisziplinäre Interessen in den Feldern        Aus- und Weiterbildung.                     Abteilungen der SBB und muss nicht von
                     lung von Netzsimulationen und           schen. Dafür gibt es regelmässige Treffen.                                                             Umweltpolitik und Businessmanagement               Werden Sie Teil der SBB und                 »9-5« in einem Büro sitzen. Als Berufsan-
                     Koordination von Eingriffen in          So kann ich mir auch ein internes Netzwerk                                                             vertieft habe. Eine interdisziplinäre Frage        vollbringen Sie gemeinsam                   fänger finde ich es schön, dass ich diese
                     das Hochspannungsnetz.                  aufbauen.                                                                                              beim Betrieb eines Stromnetzes ist etwa,           täglich eine Meisterleistung.               Vielfalt erleben kann.

                                                         Polykum
                                                        2017 / 2018        N° 3               ZEIT                                                                                                                 Polykum
                                                                                                                                                                                                                  2017 / 2018      N° 3                ZEIT
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
– 16 –                                                                                                                               – 17 –

                                                                                               Ansichten
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                                                                                        Eine Umfrage an der ETH
                                                                                   zu ­unserem ganz alltäglichen                                                                                                             Ivan Graum
                                                                                         Begleiter: Tempus fugit!                                                                                                                         ann, Physik-
                                                                                                                                                                                                                                                         Doktorand

                                                                                                                     von Nathalie Wehrli
                                                                           its­
                                                               Ge   sundhe
                                                      helor in
                                      h n e id er, Bac ologie
                               tte Sc              echn                                                                                                                           Bachelor in Biologie
                       Charlo chaften und T                                                                                                                   Florencia Zwicky,
                            e n s
                       wiss
                                                                                          Was war die längste Minute deines Lebens?                                                                                           Was war die längste Minute deines Lebens?
                                                                                          Minute... Sekunde wäre leichter zu beantwor-                                                                                        Ich habe früher Gitarre gespielt und erinnere
                                                                                      ten: Da fällt mir spontan Klippenspringen ein.                                                                                      mich noch exakt an meine Gitarrenprüfungen.
                                                                                      Wenn man aus 15 Metern irgendwo runterspringt,                                                                                      Diese Minute, in der ich da vor dem Prüfer sass
                         Was war die längste Minute deines                            ist man vielleicht zwei Sekunden in der Luft, aber                                                                                  und darauf wartete, mein Vorspiel beginnen zu
                         Lebens?                                                      es kommt einem vor wie fünf oder zehn Sekunden.                                Was war die längste Minute deines                    dürfen – da war ich immer unglaublich nervös
                         Als ich nach der letzten Operation                                                                                                          Lebens?                                              und entsprechend endlos erschien mir dieser
typewriter DOSSIER

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           typewriter DOSSIER
                     aufgewacht bin. Ich hatte nicht nur                                  In welche Zeit würdest du gerne reisen?                                    Spontan fallen mir da die Warte-                     Moment. Auch die Minute danach, als ich zu spie-
                     starke Schmerzen, ich konnte auch                                    500 Jahre in die Zukunft? 1 000 Jahre sind                             zeiten an der Bushaltestelle ein. Gerade                 len begann und mich langsam vom Stück treiben
                     nicht sagen, wo ich bin, und habe zu                             vermutlich zu viel. Da könnte es gut sein, dass gar                        im Winter, wenn es draussen bereits                      liess, hatte etwas Unendliches an sich.
                     allem Übel auch nichts gehört. Das war                           nichts mehr existiert. Da, denke ich, sind 500                             eiskalt ist, kommt einem so eine Minute
                     schon sehr unangenehm.                                           Jahre noch sicher.                                                         unglaublich lange vor.                                       In welche Zeit würdest du gerne reisen?
                                                                                                                                                                                                                              Ich glaube, ich würde lieber in die Vergangenheit
                         In welche Zeit würdest du gerne                                  Nostalgie-Moment: Was vermisst du von                                     In welche Zeit würdest du gerne                       reisen. Nach Paris, irgendwann im 19. Jahrhundert. Ich
                         reisen?                                                          früher?                                                                   reisen?                                               finde es faszinierend, mir vorzustellen, wie die Leute
                         300 Jahre in die Zukunft vielleicht?                             Eine gewisse Verantwortungslosigkeit, die man                             Definitiv in die 1980er! Warum?                       damals gelebt haben und was für eine Stimmung
                     Möglicherweise sind wir dann technolo-                           als Kind noch hatte, auch gegenüber sich selbst                            Wegen der Kleidung [lacht].                              herrschte. Aber vielleicht nicht gerade in die 1920er,
                     gisch bereits so fortgeschritten, dass                           [lacht].                                                                                                                            so unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg [lacht].
                     wir uns an andere Orte beamen können.                                                                                                           Was bedeutet Zeit für dich?
                                                                                          Angenommen, morgen fallen unerwartet alle                                  Ich sehe Zeit als Konstrukt, welches                     Was bedeutet Zeit für dich?
                          Was bedeutet Zeit für dich?                                     Vorlesungen, Seminare, Übungen und Prak-                               uns Menschen helfen soll, Termine ein-                       Zeit ist etwas, wovon man nie genug hat.
                          Zeit heisst vor allem Planung. Das                              tika aus – was würdest du mit dem freien Tag                           zuhalten. Gleichzeitig erleben wir Zeit                  Nicht, dass ein Tag zu wenig Stunden hätte, das
                     ist für mich kein Müssen und hat inso-                               machen?                                                                aber auch sehr subjektiv, was den uni-                   meine ich damit nicht. Es ist bloss nicht leicht,
                     fern auch nichts Krampfhaftes an sich.                               Ich würde wohl bis 12 Uhr schlafen und dann                            versalen Charakter dieses Zeitkonstrukts                 neben der Arbeit und den Dingen, die man sonst
                     Vielmehr ist gute Zeitplanung ein wich-                          klettern gehen.                                                            auch wieder relativiert.                                 noch so macht, die verbleibende Zeit gut einzutei-
                     tiges Werkzeug, welches mir hilft sicher-                                                                                                                                                            len. Die Zeit vergeht einfach immer viel zu schnell.
                     zustellen, dass ich zu allem komme,                                                                                                             Was würdest du deinem jugendli-
                     was ich machen möchte, und gleichzei-                                                                                                           chen Ich gerne sagen?                                   Wo siehst du uns in zehn Jahren?
                     tig auch verhindert, dass mein Leben                                                                                                            »Mach so weiter wie bis anhin.«                         Ich finde es zum jetzigen Zeitpunkt schwierig,
                     chaotisch wird.                                                                                                                             [lacht]                                                  das abzuschätzen. Ich könnte mir vorstellen, dass
                                                                                                                                                                                                                          immer mehr automatisiert wird. Wer weiss? Gut
                         Was würdest du deinem jungen Ich                                                                                                                                                                 möglich, dass wir Menschen dann mehr Zeit ha-
                         gerne sagen?                                                                                                                                                                                     ben, weil uns Roboter einen Teil unserer Arbeit

                                                                                                                                                                                                                                                                                   Fotos: Hannes Hübner, Nathalie Wehrli
                         Nimm es locker im Leben.                                                                                                                                                                         abnehmen werden.

                                                                                                                David Schaurecke
                                                                                                                                   r, Bachelor in Phys
                                                                                                                                                         ik
                                                                 Polykum
                                                                2017 / 2018        N° 3      ZEIT                                                                                                         Polykum
                                                                                                                                                                                                         2017 / 2018    N° 3     ZEIT
Polykum N 3 Zeit 13. November - ETH Zürich
– 18 –                                                                                                                             – 19 –
                                                                                                                                                                                                                           Was war die längste Minute deines Lebens?
                                                                                                                                                                                                                           Vielleicht nicht gerade die längste Minute... Aber
                                                                                                                                                                                                                      die längsten Momente im Alltag sind zum Beispiel
                          Was war die längste Minute deines Lebens?                                                                                                                                                   die, in denen man darauf wartet, dass Daten wie zum
                          Schwierig. Wohl etwas Unangenehmes, die                                                                                                                                                     Beispiel ein Bild endlich vollständig geladen sind.
                     schönen Momente gehen ja bekanntlich immer                                                                                                                                                       Sowas erscheint mir immer wie eine halbe Ewigkeit.
                     viel zu schnell vorbei. Vermutlich, als ich in den                                                                                                                                    technik
                                                                                                                                                                                              in Elektro
                     Sommerferien am Gepäckband auf meinen Koffer                                                                                                       c o m u z z i, Master                             In welche Zeit würdest du gerne reisen?
                                                                                                                                                                     ia
                     warten musste. Ein Gepäckstück nach dem ande-                                                                                          Sandro G tionstechnologie                                     Zum Übergang vom »Urmenschen« zum Homo
                                                                                                                                                                       a
                                                                                                                                                            und Inform
                     ren erschien – nur mein Koffer nicht. Schliesslich                                                                                                                                               sapiens. Mich nimmt es wunder, was da für Schlüsseler-
                     war das Gepäckband leer und ich stand immer                                                                                                                                                      eignisse stattgefunden haben, die uns Menschen zu dem
                     noch mit leeren Händen da. Immerhin: Einen Tag                                                                                                                                                   gemacht haben, was wir heute sind, aber auch, wie sich
                     später wurde mir mein Koffer dann nachgeliefert.                                                                                                                                                 unsere Denkweise damals von unserer heutigen unter-
                                                                                                                                                                                                                      schieden hat. Wie haben wir die Welt wahrgenommen?
                         In welche Zeit würdest du gerne reisen?                                                                                     In welche Zeit würdest du gerne                                  Um das alles in Erfahrung zu bringen, würde ich einen
                         In die Zukunft gerade eher nicht. Also in die                                                                               reisen?                                                          Tag aus der Sicht eines solchen Urmenschen erleben
                     Vergangenheit – vielleicht ins alte Ägypten, sehen,                     Lea Gyger, Bachelor
                                                                                                                   in Erdwissenschaften              Eher in die Zukunft. Sagen wir: 200                              wollen – vorausgesetzt natürlich, ich überlebe diesen
                     wie Cleopatra gelebt hat und wie die Pyramiden                                                                              Jahre in die Zukunft. Mich nimmt es wun-                             Ausflug und kann die daraus gezogenen Erkenntnisse
                     erbaut wurden?                                                                                                              der, wie sich unsere Gesellschaft entwi-                             und Erinnerungen in die Gegenwart mitnehmen [lacht].
                                                                                                                                                 ckelt haben wird. Aber vielleicht gibt es
                          Was bedeutet Zeit für dich?                                                                                            dann ja gar keine Menschen mehr, bloss                                    Was bedeutet Zeit für dich?
                          Teilweise stressig, aber auch schön, wenn man                                                                          noch Roboter [lacht].                                                     Ich habe das Gefühl, dass die Zeit so, wie wir sie
                     die Möglichkeit hat, sie zu geniessen. Diese ganze                       Was war die längste Minute deines                                                                                       im Alltag verwenden, extrem subjektiv ist. Ein Beispiel:
                     »Zeit ist Geld«-Einstellung wird in der Arbeitswelt                      Lebens?                                               Was bedeutet Zeit für dich?                                       jemand, der an einem Abend zu steil ging und danach
                     viel zu hoch gewertet und ist bis zu einem gewis-                        Gute Frage. Ich weiss es nicht.                       Zeit ist für mich eine Ressource. Ich                             einen Filmriss hat. Haben sich die folgenden Ereignisse
                     sen Grad auch gefährlich für unser psychisches                                                                              kann von ihr schöpfen, um Dinge zu tun.                              tatsächlich so zugetragen für diese Person, wenn sie
typewriter DOSSIER

                                                                                                                                                                                                                                                                                   typewriter DOSSIER
                     Wohlbefinden. Im Moment bedeutet Zeit für mich                         In welche Zeit würdest du gerne                                                                                           doch überhaupt keine Erinnerung an diese Nacht hat?
                     vor allem gute Planung, damit auch wirklich alles                      reisen?                                                  Was würdest du deinem Ich von vor                                Für mich bedeutet Zeit auch, mir diese bewusst zu
                     reinpasst in einen Tag. Dadurch lernt man die ge-                      In die Vergangenheit, ein paar Milli-                    zehn Jahren gerne sagen?                                         nehmen. Mein Körper hat mir in der Vergangenheit oft zu
                     gebene Zeit aber auch als etwas Wertvolles zu                      onen Jahre vor unserer Zeit [lacht].                         [lacht] »Tu's nicht!« Nein, ich glaube,                          verstehen gegeben, dass ich einen Gang runterschalten
                     schätzen.                                                          Dann kann ich die Erde mal etwas an-                     ich würde meinem jungen Ich ans Herz                                 muss. Ich habe mich selber mit zu vielen Dingen ge-
                                                                                        ders sehen – das ist sicher spannend                     legen, das Studium zielgerichteter anzu-                             stresst und musste lernen, mir für diese einfach mehr
                         Was würdest du deinem Ich von vor zehn                         mit den Kontinentalplatten. Aber nur für                 gehen und sich im Voraus zu überlegen,                               Zeit zu lassen und damit aufzuhören, mich dermassen
                         Jahren gerne sagen?                                            eine Weile, danach möchte ich doch                       was es danach damit anstrebt. Aber ich                               durch den Alltag zu pushen. Nun schlafe ich häufig aus,
                         Mach dir nicht zu viele Gedanken [lacht].                      auch wieder zurück in unsere Zeit.                       könnte mir vorstellen, dass es da anderen                            lerne dann, wenn ich mag. Ich warte im Alltag also ei-
                                                                                                                                                 ähnlich geht wie mir.                                                gentlich auf die Zeit und schaue, was sie mir für Mög-
                                                                                            Was ist Zeit in deinem Leben?                                                                                             lichkeiten bereithält. Dadurch habe ich das Gefühl, Zeit
                                                                                            Zeit ist etwas, von dem man meis-                         Wofür hättest du gerne mehr Zeit?                               viel intensiver zu erleben. Die effektive und die gefühlte
                                                                                        tens nicht genug hat. Dafür ist sie auch                      Für Ruhezeiten. Diese Zeiten, in                                Zeit sind auch nicht kongruent. Häufig leben wir unserer
                                                                                        etwas Wertvolles.                                        denen zur Abwechslung mal gar nichts                                 Zeit voraus, machen uns Gedanken darüber, was pas-
                                                                                                                                                 los ist und man wieder ein Buch in die                               sieren könnte, und beginnen ein Zeitgefühl für solche
                                                                                            Wo siehst du uns in zehn Jahren?                     Hand nehmen kann – und dann auch                                     Ereignisse zu entwickeln, obwohl diese noch nicht ein-
                                                                                            Ich weiss es nicht, hoffe aber sehr,                 einfach den ganzen Tag liest.                                        mal stattgefunden haben. Hinzu kommt, dass die Zeit
                                                                                        dass wir Menschen auch in zehn Jahren                                                                                         in den eigenen Erinnerungen nicht zwingend linear ver-
                                                                                        noch miteinander kommunizieren und                                                                                            läuft: So wird die Abfolge bestimmter Ereignisse in der
                                                                                        nicht alles über digitale Kanäle laufen                                                                                       Erinnerung vertauscht und auch beim Träumen verlau-
                                                                                        wird.                                                                                                                         fen die zwei Zeitebenen – die reale und die erlebte –
                                                                                                                                                                                                                      nicht parallel zueinander.
                                                                                           Wofür hättest du gerne mehr Zeit?
                                                                                           Mehr Zeit, um Freunde zu besuchen                                                                                             Wofür hättest du gerne mehr Zeit?
                                                                                        und auch wirklich Zeit für sie zu haben.                                                                                         Ich hätte gerne sehr viel mehr Zeit für Musik.
                                                                                                                                                                                                                      Musik ist etwas, das Zeit braucht und gleichzeitig
                                                                       ng
                                                           entwicklu                                                                                                                                                  auch von ihr lebt. Das kommt gerade definitiv zu kurz.
                                               r in Raum
                            n a G lo o r, Maste e
                       Kime                 ystem
                                 strukturs
                       und Infra

                                                                                                                                                                 t Biologie
                                                                                                                                          Roman Vonwil, Lehram

                                                                Polykum
                                                               2017 / 2018    N° 3    ZEIT                                                                                                   Polykum
                                                                                                                                                                                            2017 / 2018              N° 3       ZEIT
– 20 –                                                                                                              – 21 –
                                                                                                                                                                     24 Stunden Langstrasse

                                                                                                                                                              Impressionen
                                                                                             Was war die längste Minute deines                                                                                            [ 6:13 ]
                                                                                             Lebens?                                                                                                                      Dem Bann der Langstrasse entzieht man sich
                                                                                             Das Nachschauen der Resultate                                                                                           nicht. Die erste Zigarette schmeckt, wie die Lang-
                                                                                         von der Basisprüfung. Alle meine Kolle-                                                                                     strasse an diesem Samstagmorgen aussieht: vorwie-

                                                               r ETH Zürich
                                                                                         gen hatten ihre bereits und ich musste
                                                                                         noch warten, bis die Seite endlich fertig
                                                                                         geladen war.
                                                                                                                                                            einer ­kollektiven                                       gend schal und ein bisschen ungesund. Nahe dem
                                                                                                                                                                                                                     Limmatplatz spucken die Essensbuden die letzten
                                                                                                                                                                                                                     Nachtschwärmer aus, während Lastwagen unter-
                                                                                                                                                                                                                     schiedlicher Grösse ihre Waren entladen. Insgesamt

                                                                                                                                                              ­Performance
                                   es Martin,   Dozent an de
                     Dr. Oliver Yv                                                                                                                                                                                   sind mehr Fahrzeuge als Menschen unterwegs.
                     (D-BIOL & IB
                                    Z)                                                       In welche Zeit würdest du gerne
                                                                                             reisen?                                                                                                                      [ 6:35 ]
                                                                                             In die Vergangenheit. Ich denke, die                                                                                          »Ey, Kamera!«, bemerkt ein 30-Jähriger interes-
                                                                                                                                                                                                                     siert das klobige Ding in meiner Hand, nur um fortzu-
                                                                                         Industrialisierung war eine sehr span-
                         Was war die längste Minute Ihres Lebens?                        nende und bewegte Zeit. Ich würde aber                           Unser Autor macht den Selbst­                              fahren: »Täsche dihei vergässe. Häsch zäh Franke für
                                                                                                                                                                                                                     mich? Oder foif.« Mich plagt kein schlechtes Gewissen,
                         Das war bei der Geburt unserer ältesten Tochter.
                     Sie begann nicht sofort zu atmen: Ich mag mich noch
                                                                                         auch gerne noch weiter zurück, zum
                                                                                         Beispiel ins Mittelalter. Einen Tag Ritter                    versuch: 24 Stunden an einem Ort,                             lügend zu verneinen, er hat sich auch keine Mühe
                                                                                                                                                                                                                     gemacht, seinen Coup glaubwürdig zu verkaufen.
                     sehr klar an diesen Moment erinnern, besonders an
                     die Reaktionen der verschiedenen Leute im Raum.
                                                                                         sein – so eine Kindheitsfantasie eben
                                                                                         [lacht].                                                        der in Zürich berühmt-berüchtigt                                 [ 6:54 ]
                     Wahrscheinlich waren es bloss dreissig Sekunden,
                     aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit.                                   Zeit ist...
                                                                                                                                                        ist. Was dabei herauskommt? Die                                   Nähe der Josefstrasse setze ich mich auf eine
                                                                                                                                                                                                                     Bank, neben mir schläft ein Mann. Er wacht kurz auf,

                                                                                                                                                         Chronologie einer etwas anderen
                                                                                                                                                                                                                     setzt sich auf, legt sich wieder nieder und schnarcht
                                                                                              ...wertvoll. Man muss sie halt auch                                                                                    weiter. Zwei Denner-LKWs sind fertig mit Entladen
                          Wie sieht Ihr Umgang mit Zeit aus?                             immer gut einteilen. Wobei ich es auch                                                                                      und fahren. Ich mache mich auf die Suche nach
                          Als Biologe habe ich etwa im Zusammenhang mit                  immer schön finde, mal Zeit zu haben,                                      Normalität.                                      einem Frühstück.
                     Tag-Nacht-Rhythmen mit Zeit zu tun, so auch beim                    die ich nicht einteilen muss. Wenn man
                                                                                                                                                                Text und Fotos von Sebastian Wagner                       [ 7:37 ]
                     Untersuchen der Auswirkungen von Alter auf verschie-                sagt: »Ich nehme mir jetzt eine Stunde                                                                                           Jenseitig der Gleise sieht's anders aus. Ecke
                     dene Prozesse. Im alltäglicheren Umgang mit Zeit kommt              Zeit für mich«, dann gibt es ja fast schon                  [ 6:31 ]
                                                                                                                                                                                                                     Langstrasse/Dienerstrasse. Aus der Piranha-Bar
                     mir da als Erstes diese Zeitplanung in den Sinn. Wie will           wieder den Zwang, etwas machen zu                                                                                           dröhnt unermüdlich Salsa, von der anderen Strassen-
typewriter DOSSIER

                     ich meine Zeit einteilen und wie schaffe ich es, dass alles         müssen. Ich meine daher auch eher Zeit,                                                                                     seite wummert nicht besonders abwechslungsrei-
                     reinpasst? Als Vater ist es natürlich auch spannend zu              um sich einfach mal hinzusetzen und                                                                                         cher Bass aus dem Lambada. Die Kakophonie wird
                                                                                                                                                                                                                     perfektioniert durch Partymenschen in teils bedenk-
                     sehen, wie Kinder verschiedener Altersstufen über ein               dann zu überlegen, was man jetzt als                                                                                        licher Schieflage, die brüllen, lachen und Glasscher-
                     komplett unterschiedliches Zeitgefühl verfügen. So                  Nächstes machen könnte – oder um sich                                                                                       ben zertreten. Zwischen ihnen balancieren die orange-
                     können sie sich nicht erklären, wie die tollen Zeiten immer         auch mal zu erlauben, gar nichts zu tun.                                                                                    farbenen Männer der ERZ geübt hindurch. Einer der
                     wie im Flug vergehen, wohingegen langweilige Beschäfti-                                                                                                                                         Feiernden hat »Sorry, not sorry« auf seinem T-Shirt
                     gungen scheinbar eine halbe Ewigkeit beanspruchen.                      Ich hätte gerne mehr Zeit für...                                                                                        stehen und hebt seine Stimme, die heute Nacht
                                                                                             ...mich selber. Zeit, die nicht bis                                                                                     offenbar schon einiges erlebt hat, zu einem Soul-
                                                                                                                                                                                                                     Solo an. Man ist begeistert.
                         Zeit ist etwas Subjektives und so scheint auch                  zur letzten Sekunde durchgeplant wer-
                         die Grösse eines Organismus' dessen Zeitwahr-                   den muss. Etwas, das man an der ETH                                                                                              [ 7:57 ]
                         nehmung zu beeinflussen. Wie sehen Sie das?                     natürlich nicht unbedingt hat, beson-                                                                                             Jetzt kommt die Polizei: Zwei unglaublich gut
                         Prinzipiell kann man schon sagen, dass es in der                ders wenn noch eigene Pläne und Hob-                                                                                        aussehende Beamte fangen Schwätzchen mit dem
                     Tierwelt Organismen gibt, die über ein sehr genaues                 bys dazukommen.                                                                                                             Türsteher der Piranha-Bar an. Einer der beiden Poster-
                                                                                                                                                                                                                     Polizisten zündet sich eine Zigarette an und fordert ein
                     Zeitempfinden verfügen. Natürlich besteht diesbezüglich                                                                                                                                         paar Übriggebliebene, die am Boden sitzen, zum Auf-
                     eine grosse Variabilität, da auch die Lebensdauer ein                                                                                                                                           stehen auf. Der andere lässt sich von einer schick an-
                     ausschlaggebender Faktor dafür ist, wie Zeit wahrge-                                                                                                                                            gezogenen Dame seinen Bart komplimentieren. Vom
                     nommen wird. Sprechen wir von einem Organismus, der                                                                                                                                             »Schrecken Polizei« ist auf der Party nichts zu spüren.
                     bloss ein paar Tage lebt, dann wird dieser eine Sekunde                                                                                                                                         »Guate Morge, ich bi de...« – ein Typ Mitte zwanzig
                     sicherlich völlig anders erleben als wir.                                                                                       [ 7:20 ]                                             [ 7:22 ]   torkelt auf mich zu. Seinen Namen verstehe ich nicht,
                                                                                                                                                                                                                     aber er erklärt der versammelten Menge, dass er heute
                                                                                                                                                                                                                     nicht arbeiten müsse und heute und morgen deshalb
                          Was würden Sie Ihrem früheren Ich gerne sagen?                                                                                                                                             alles trinke. Er zieht weiter, schüttelt mehrere Hände
                          Bewusster mit der Zeit umzugehen. Früher dachte                                                                                                                                            und auch ich setze meine Suche nach einem Café fort.
                     ich immer, ich hätte alle Zeit der Welt [lacht]. Heute
                     sehe ich das eher so, dass man gewisse Zeitabschnitte
                     hat, die man auch gleich nutzen kann, um bestimmte
                     Dinge zu erledigen. Wenn ich also heute zehn Minuten
                     Zeit habe, dann finde ich bewusst eine Beschäftigung,
                     die angepasst ist auf die mir zur Verfügung stehende
                     Zeit. Da dachte ich früher vielleicht eher, dass es sich
                     doch gar nicht lohnt, in diesen zehn Minuten überhaupt                   Tobias Staube
                                                                                                            r, Bachelor in
                     noch etwas anzufangen [lacht].                                           schaften                     Bauingenieurw
                                                                                                                                         is   sen-

                                                                Polykum
                                                               2017 / 2018     N° 3    ZEIT                                                                                          Polykum
                                                                                                                                                                                    2017 / 2018    N° 3     ZEIT
[ 8:20 ]
                                                          – 22 –                                                                                                                                                      – 23 –                                                [ 18:03 ]

                                     [ 8:16 ]                                                 [ 10:30 ]
                                     Ein gemütliches Frühstücksplätzchen zu finden,            Bis zum Limmatplatz komme ich nicht. Nach          stecherei, die hier vor zwei Wochen stattgefunden               kende Schweizer würdigen die Szene keines Blickes,
                                das gestaltet sich nicht so einfach: Fettiger Geruch      einem misslungenen Fotoversuch vor der Piranha-         hat. Die Überwachungskameras liefen nicht, am                   nur die leichten Mädchen aus den benachbarten
                                wabert aus den Bäckereien, in deren Zielgruppe ich        Bar beschwert sich eine junge Frau lautstark über       Ende stünde es Aussage gegen Aussage, aber er                   Lokalen kommen angerannt und protestieren. Mami
                                mich im Moment nicht befinde, und auch die char-          meinen Voyeurismus. Obwohl sie gar nicht auf dem        wisse genau, wer zuerst geschlagen habe. Er geht                geht und lächelt uns zum Abschied zu. Ich verab-
                                mantesten Angebote für bezahlten Sex sind nicht           Foto ist – genau genommen ist darauf gar nichts zu      etwas essen, aber meine neu gewonnene Freundin                  schiede mich auch, die Blonde gibt mir ihren In-
                                das, wonach ich suche.                                    erkennen –, gehe ich zu ihr hinüber. Mit Dosenbier      ist noch nicht bereit, die Nacht hinter sich zu lassen,         stagram-Account, die Krankenschwester sagt:
                                                                                          in der Hand klärt sie mich über die Weissen auf, die    und schlägt eine Runde Tequila vor.                             »This is not reality.« Ich folge meinem Hunger in
                                     [ 8:40 ]                                             immer nur was sehen wollen, aber eigentlich arme                                                                        Richtung Limmatplatz.
                                     Endlich Kaffee und Gipfeli. Auf einer Bank bei       Hunde seien. Ein Taxifahrer kommt vorbei, sie ken-           [ 11:46 ]
                                der Tramhaltestelle ›Helvetiaplatz‹ sitzend kommt         nen sich und er wagt ein paar halbherzige Flirtver-          Wir kommen zu einem Lokal, das von einer                        [ 15:07 ]
                                eine Dame mit riesigem Rollkoffer vorbei: »Gebed          suche. Ihren Verstand trübt kaum, dass sie nicht        liebenswerten Dame um die sechzig geführt wird,                      Mehrere Versuche, eine Zwischenbilanz zu
                                Sie de Vögeli au es bizzeli, die händ Hunger. Guate       ganz nüchtern ist. Plötzlich schreit sie auf – eine     die hier alle »Mami« nennen. Meine Begleiterin                  ziehen, sind fehlgeschlagen. Wieder an der Diener-
                                Morge!« Sie lacht und rattert mit ihrem Gepäck            Rangelei auf der anderen Strassenseite! Einer liegt     bekommt das Übliche – Whisky-Cola. Ich tu es ihr                strasse, vor dem Denner, versuche ich nun eine
                                weiter, worauf ein paar Tauben das Interesse an           am Boden, viel Aufregung, passiert ist kaum was,        nach. Die vielen knapp bekleideten Damen unterhal-              Revue über den Morgen, während sich unweit etwa
                                meinen Bröseln verlieren und auseinanderstieben.          der Aggressor schon verschwunden. Es ist nicht          ten sich auf Spanisch, Portugiesisch über die ver-              fünfzig Grashopper-Hooligans zusammenrotten,
                                Die ersten Kinderstimmen sind zu hören.                   ganz klar, ob er aufgrund der Auseinandersetzung        gangene Nacht. Sie zünden sich gegenseitig die                  Fangesänge grölen und von Polizisten, die mit Trä-
                                                                                          Mühe hat, wieder aufzustehen, eher liegt es wohl an     Zigaretten an, lachen und laufen eine nach der                  nengasgranaten bewaffnet sind, bewacht werden.
                                     [ 9:13 ]                                             seinem Zustand. Es gelingt ihm schlussendlich mit       anderen nach Hause. »Voy a dormir, mañana!«
                                     Die Dame war offenbar auf dem Weg zum                Unterstützung. Er legt sich auf die Bank gegenüber                                                                           [ 15:52 ]
                                Flohmarkt beim Xenix, von dort kamen auch die             von uns. Ein anderer mit Rossschwanz fängt an                [ 12:01 ]                                                       Während ich mit meiner Chronologie aufgeholt
                                Kinderstimmen. Da ist schon richtig was los. Die          herumzupöbeln, auch nicht gerade taufrisch. Die              Eine Bekannte von meiner Tischgenossin                     habe, haben neben mir ein paar Leute um die vierzig
                                Leute feilschen mit den Händlern um Silberbesteck         junge Frau lässt sich das nicht gefallen und brüllt     kommt vorbei, sichtlich neben der Spur. Meine Be-               Platz genommen. Sie trinken Dosenbier und teilen
                                und Pelzmäntel – »Nei, me muess nöd alles ha!« –,         ihm ein gepflegtes »Fuck you!« ins Gesicht. Der         gleiterin prüft ihren Puls – das macht sie offenbar             sich ein Essenspaket aus dem Denner, streiten drum,
                                Kuhglocken und Äxte, Ayran-Mixer und Trompeten.           Angesprochene ist verdattert und braucht ein wenig,     professionell – und sagt, das sehe nicht gut aus.               wer etwas erzählen darf, eine Anekdote über franzö-
                                Ich suche nach einem schönen Aschenbecher.                um ebenselbiges murmelnd zu retournieren. Er            Sie will sie aufs WC bringen, damit sie sich das                sischen Weichkäse gewinnt. Es folgen Geschichten
                                                                                          widmet sich dem Schlafenden, der auf einmal wie-        Gesicht waschen kann. Die beiden werden aber                    über Tätowierer und wer schon alles die Mietkündi-
                                     [ 9:51 ]                                             der hellwach ist. Sie unterhalten sich auf Spanisch,    prompt von Mami hinausgeworfen: »Du bisch so                    gung bekommen hat: alle. Ich gehe los, verabschiede
                                     Plötzlich herrscht grosse Aufregung: Die Stand-      man kommt ins Gespräch, sie sind aus Peru oder          zue, gang weg!« Die Proteste der fürsorglichen                  mich knapp, worauf ein dichter Regen mit besten
                                besitzer vermessen in beflissener Selbstkontrolle         Kolumbien oder Mexico oder Bolivien, das ist nicht      Freundin bringen zumindest noch einen Becher                    Wünschen für Nachmittag, Abend und das Leben
                                ihre Marktstände, die Arrangements müssen den             ganz klar.                                              Wasser für die Leidende, die das wegleert, sich                 auf mich einprasselt.
                                gemieteten Parametern entsprechen.                                                                                stattdessen Cola von den Flaschen auf unserem
                                                                                              [ 11:32 ]                                           Tisch einschenkt und von dannen zieht. Meine                         [ 16:21 ]
typewriter DOSSIER

                                                                                                                                                                                                                                                                                        typewriter DOSSIER
                                     [ 10:05 ]                                                  Mit meinem reluktanten Fotomodell quatsche        Begleiterin presst mit Tränen in den Augen hervor:                   Ich habe mich auf eine Bank neben der Bahn-
                                     Bepackt mit Kabelrollen, Velos, Zinnbechern          ich noch ein bisschen weiter. Sie glaubt mir nicht,     »Weisch, Mami, sie isch au en Mensch!« Die bleibt               Unterführung gesetzt. Die vorbeifahrenden Züge
                                und Spielzeug verlassen die ersten glücklichen            was ich hier mache, vergewissert sich aber mit Blick    hart, aber ihre Augen verraten resignierte Trauer               erinnern mich entfernt an die Normalität. Ich bin
                                Käufer den Platz. Unter den Händlern ist man vor-         auf meinen Studentenausweis und lacht dabei [ 01:29
                                                                                                                                          nur ]   hinter der Fassade. Unsere Getränke sind leer,                  keine zehn Stunden hier – und wähne mich in einer
                                sichtig optimistisch: »Etz isch scho fascht halbi elfi.   ein bisschen über mein Portrait. Auch wenn Freund-      meine Begleiterin lädt mich auf einen doppelten                 anderen Welt. Die Designermäntel, Elektroroller und
                                S'Gschäft isch nöd guet hüt, d'Lüüt schlafet na.«         lichkeit nicht gerade das Paradigma der Langstrasse     Tequila ein, bald lachen wir wieder.                            Hunde der Langstrasse-Freizeit-Flanierer wirken
                     [ 9:01 ]   Untereinander drehen sich die Gespräche haupt-            ist, herrscht doch Respekt hier. Einer mit Rausche-                                                                                                                               [ 18:51 ]
                                                                                                                                                                                                                  seltsam fremd. Auch meine Kamera passt nicht
                                sächlich um alte Flohmarkthändler. »Häsch de              bart setzt sich zu uns, offenbar auch kein Unbekann-         [ 12:39 ]                                                  wirklich hierher.
                                kännt?«, hört man alle paar Minuten. Einer davon          ter hier. Mit angenehmem Timbre erzählt er von               Nach einem kurzen WC-Besuch hat sich eine
                                will mir ein Plüschpony mit rosa Mähne andrehen.          trächtigen Tauben, Polizei in Zivil und der Messer-     Frau auf meinen Platz gesetzt. Ihre blondierten                      [ 17:45 ]
                                Ich widerstehe der Versuchung, bleibe aber auch                                                                   Haare erheben sich senkrecht über die mächtige                       Der Asphalt liegt ruhig vor dem Sturm. Es be-
                                mit meiner Aschenbechersuche erfolglos. Zurück                                                                    Sonnenbrille, die mit Nieten besetzt ist. Erschrocken           ginnt erneut zu regnen, dieses Mal leicht, mir ist kalt
                                Richtung Limmatplatz.                                                                                             überlässt sie mir meinen Platz, bleibt aber bei uns             und ich setze mich in das Bushaltestellenhäuschen
                                                                                                                                                  am Tisch. Ich lese den beiden Frauen meine bisheri-             am Helvetiaplatz und rauche.
                                                                                                                                                  gen Notizen vor. Sie haben natürlich bessere Ideen,
                                                                                                                                                  die sie in mein Buch kritzeln. Wie ein Märchen soll
                                                                                                                                                  es sein, »fuck a little«, das sei in jedem Märchen
                                                                                                                                                  essenzieller Bestandteil. Am Café schlendert wäh-
                                                                                                                                                  renddessen die andere Normalität vorbei: Rennvelos
                                                                                                                                                  und Menschen in eleganter Kleidung.

                                                                                                                                                       [ 13:22 ]
                                                                                                                                                      Geschrei im Café. Glas zerbricht und ein etwa
                                                                                                                                                  30-Jähriger tobt hinter der Bar. Das sei Mamis
                                                                                                                                                  Sohn, murmeln ein paar Café-Besucherinnen. Die
                                                                                                                                                  Alkohol trinkenden Gäste gehen, zwei Kaffee trin-

                                          Polykum
                                         2017 / 2018          N° 3              ZEIT                                                                                                                     Polykum
                                                                                                                                                                                                        2017 / 2018    N° 3              ZEIT
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