Prison-info - Kinder von Inhaftierten 4 -28 - Das Magazin zum Straf- und Massnahmenvollzug
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prison-info Das Magazin zum Straf- und Massnahmenvollzug 1/2018 Kinder von Inhaftierten 4 –28 Ein Schweizer an der Spitze Die Überstellung verurteilter des PC-CP Personen fördern 48 51
2 prison-info 1/2018 Editorial «Die Mama hat mir früher kein Bauchweh geschenkt. Da war ich früher immer glück- lich. ... Seitdem die Mama weg ist, habe ich schon immer Bauchweh. Das ist so etwas, wenn man traurig ist. Das ist normal.» Auf diese unbeholfene und gerade deshalb besonders eindrucksvolle Weise schildert die 7-jährige Tochter einer inhaftierten Frau ihre Befindlichkeit. Sie teilt ihr Schicksal mit vielen anderen Kindern: In den Mitglied- staaten des Europarates leben schätzungsweise 2,1 Millionen Kinder getrennt von ihren inhaftierten Vätern oder Müttern. Zwar gibt es Kinder, die dank ihrer psychischen Widerstandskraft und dank der Unterstützung von Angehörigen und weiteren Bezugspersonen diese schwierige Lebenssituation ohne anhaltende Beeinträchtigung überstehen. Doch bei vielen Folco Galli, Redaktor #prison-info anderen Kindern hinterlässt die grosse emotionale Belastung deutliche Spuren: Mehr als zwei Drittel haben psychische Probleme und neigen zu Verhaltensauffällig- keiten, und bei einem Drittel sind negative Folgen auf die körperliche Gesundheit zu verzeichnen. Die jüngste Empfehlung des Europarates zielt darauf ab, die negativen Auswirkun- gen der Haft zu lindern und die Entwicklung dieser Kinder zu schützen. Nach Ansicht des Europarates braucht es eine verstärkte Sensibilisierung und einen Kulturwandel, um die durch die Haft eines Elternteils herrührenden Vorurteile und Diskriminie- rungen zu überwinden. #prison-info rückt deshalb diese in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen «Schattenkinder» in den Fokus. In der Schweiz fällt der Unterschied zwischen den Sprachregionen auf. Während die Stiftung REPR ihre Unterstützung der Familien und Angehörigen von Inhaftierten schrittweise auf die ganze Westschweiz ausgedehnt hat und von den Verantwortli- chen des Justizvollzugs als professioneller und zuverlässiger Akteur anerkannt wird, fehlt in der Deutschschweiz ein Pendant. Hier liegt das Potenzial der Angehörigenar- beit gemäss einer Studie noch weitgehend brach, obwohl es im Interesse aller wäre, dieses Potenzial besser zu nutzen. Denn Väter und Mütter, die trotz Haft soweit als möglich die Beziehung zu ihren Kindern aufrechterhalten wollen, setzen alles daran, dank guter Führung Vollzugslockerungen zu erhalten. Eine kontinuierliche Bezie- Online-Version: hung zwischen dem Kind und dem inhaftierten Elternteil zu ermöglichen, verbessert daher nicht nur die Resozialisierung, sondern bringt auch Stabilität und Ruhe ins Gefängnis.
Inhalt prison-info 1/2018 3 Inhalt Fokus: Kinder von Inhaftierten Kinder sollen die Beziehung zu ihren straffällig gewordenen Vätern und Müttern aufrechterhalten können. Die Inhaftierten sollen ihrerseits unter- stützt werden, auch im Gefängnis soweit als möglich ihre Rolle als Eltern wahrzunehmen, regt eine neue Empfehlung des Europarates an. 4 Im Gefängnis Eltern bleiben 6 Den Alltag der Kinder erleichtern 11 «Die Begleitung der Kinder humanisiert das Gefängnis» 12 Eine fruchtbare Zusammenarbeit 16 «Die Trennung von den Kindern ist der härteste Teil der Strafe» 19 «Ich habe stets die Mutter meiner Tochter sein können» 21 Plötzlich sitzt die Mutter im Gefängnis 24 Ein Vater-Kind-Projekt im Strafvollzug 25 «Die eigene Sicht der Kinder ist kaum im Blick» 27 Auslieferung darf nicht Mutter und Kleinkind trennen 29 Fünf Fragen an Sakib Halilovic 30 Gezielte Massnahmen gegen radikalisierte Straftäter im Justizvollzug Bedingte Entlassung Jährlich werden nur durchschnittlich 10 Prozent der zu einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB verurteilten Personen bedingt entlassen. Und noch seltener bewilligen die Behörden die bedingte Entlassung aus der Verwahrung. 32 Bedingte Entlassung: einheitliche und restriktive Praxis 35 FES: Netzwerk, Plattform und Bindeglied 36 Strafe, Behandlung und Prävention sollen sich die Waage halten 38 Kinder und Jugendliche sind heute bei der ersten Fremdplatzierung älter Foto: Peter Schulthess 40 Die Beziehung in der Krise aufrechterhalten 42 Aus dem Parlament 44 Nachträgliche Anordnung der therapeutischen Massnahme war nicht zulässig 46 Hohe Hürden für die lebenslängliche Verwahrung 48 Im Dienst eines sicheren und humanen Justizvollzugs 51 Die Überstellung verurteilter Personen an ihren Heimatstaat fördern 53 Kurzinformationen 54 Veranstaltungen 55 Neuerscheinungen 56 Carte blanche: Aus dem Teufelskreis des Misserfolgs ausbrechen
4 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten Im Gefängnis Eltern bleiben Empfehlung des Europarates über die Kinder von Inhaftierten Kinder sollen die Beziehung zu ihren straffällig gewordenen Vätern und Müttern aufrechterhalten können. Die Inhaftierten sollen ihrerseits unterstützt werden, auch im Gefängnis soweit als möglich ihre Rolle als Eltern wahrzuneh- men. Dies regt die neue Empfehlung über die Kinder von Inhaftierten an, die das Ministerkomitee des Europarates am 4. April 2018 verabschiedet hat. «In Europa leben In den Mitgliedstaaten des Europarates leben ge- das Wohl der Kinder Vorrang in allen sie betreffen- mäss Schätzungen der Organisation Children of Pri- den Fragen haben sollen. Es sei auch zu beachten, schätzungsweise soners Europe (COPE) 2,1 Millionen Kinder getrennt dass die Kinder von Inhaftierten kein Delikt began- zwei Millionen von ihren inhaftierten Vätern oder Müttern (in der Schweiz rund 9000). Hinzu kommt die beträcht- gen haben und nie so behandelt werden sollten, als ob sie im Konflikt mit dem Gesetz stünden. Das Kinder getrennt liche Anzahl von Kindern ehemaliger Inhaftierter Recht und Bedürfnis des Kindes auf eine affektive sowie von Erwachsenen, die sich als Kind in dieser und kontinuierliche Beziehung zum inhaftierten von ihren inhaf- Lage befunden haben. Diese Kinder können unter Elternteil müsse geschützt werden. Jegliche Stig- tierten Vätern Traumata, Ängsten und anderen Problemen leiden, matisierung und Diskriminierung des Kindes seien die sich negativ auf ihr Leben und ihr Wohlbefinden zu vermeiden. oder Müttern» auszuwirken drohen, gibt der Europarat zu beden- Die Empfehlung setzt bereits bei der Verhaftung ken. Dennoch hätten sie bisher in der Öffentlichkeit an, die von der Polizei möglichst in Abwesenheit des kaum Aufmerksamkeit und Besorgnis erregt. Kindes oder zumindest in einer respektvollen Weise Um die negativen Auswirkungen der Haft zu lin- vorgenommen werden sollte. Die Gerichte sollten ih- dern und die Entwicklung dieser Kinder zu schützen, rerseits die Möglichkeit prüfen, die Untersuchungs- hat der Europarat deshalb eine Empfehlung mit 55 haft oder den Strafvollzug aufzuheben und sie ge- Punkten verabschiedet. Er ist überzeugt, dass die gebenenfalls durch Sanktionen oder Massnahmen Kontakte des Kindes zum inhaftierten Elternteil ei- ausserhalb der Justizvollzugsanstalten zu ersetzen. nen positiven Einfluss auf das Kind, den inhaftier- Im Falle einer Inhaftierung sollten die Eltern in ten Elternteil, das Personal und den Vollzugsalltag einer Einrichtung in der Nähe des Wohnortes ihrer «Das Recht auf sowie letztlich auf die Gesellschaft insgesamt haben Kinder platziert werden. Bei der Platzierung sollte können. Die Respektierung der Rechte und Bedürf- neben dem Sicherheitsaspekt auch das Wohl der eine affektive nisse des Kindes seien mit der Gewährleistung der Kinder berücksichtigt werden, um die Aufrechter- und kontinuier- Sicherheit und eines geordneten Betriebes in den Justizvollzugsanstalten vereinbar. haltung der Kontakte, Beziehungen und Besuche zu erleichtern. liche Beziehung Die Kinder haben kein Delikt begangen Regelmässige und häufige Besuche muss geschützt Der Europarat liess sich bei der Erarbeitung der Emp- Die Kinder sollten laut Empfehlung das Recht haben, werden» fehlung vom Grundsatz leiten, dass die Rechte und einen inhaftierten Elternteil erstmals in der Woche
Fokus: Kinder von Inhaftierten prison-info 1/2018 5 nach seiner Verhaftung und in der Folge regelmäs- Kleinkinder dürften, so die Empfehlung, einzig «Inhaftierte sig und häufig zu besuchen. Die Besuche seien so dann im Gefängnis beim inhaftierten Elternteil blei- zu organisieren, dass sie das Leben des Kindes (na- ben, wenn dies im Interesse ihres Wohls liegt. Die Mütter sollen mentlich den Schulbesuch) nicht stören. Seien wö- chentliche Besuche nicht möglich, sollten längere Entscheide über die Trennung eines Kleinkindes von seinem inhaftierten Elternteil müssten sich auf eine vor- und nachge- Besuche erleichtert werden. Einzelfallprüfung stützen. Im Falle einer Trennung burtliche Pflege Detailliert äussert sich die Empfehlung zur Aus- müsse das Kleinkind möglichst oft die Gelegenheit gestaltung der Besuche: Die Justizvollzugsanstalten erhalten, seinen inhaftierten Elternteil zu treffen. erhalten» müssten in den Wartesälen und Besuchszimmern einen Raum für Kinder (mit Flaschenwärmern, Wi- Die Rolle als Eltern wahrnehmen ckeltischen, Spielen, Büchern usw.) einrichten, damit Der Vollzugsplan muss Programme und Massnah- sie sich sicher, willkommen und geachtet fühlen. Der men vorsehen, die eine positive Beziehung zwi- Besuch solle in einer Umgebung stattfinden, welche schen dem Kind und dem inhaftierten Elternteil die Würde des Kindes und sein Recht auf Achtung begünstigen. Der Vater oder die Mutter solle unter- seiner Privatsphäre respektiert. Zudem müssten die stützt werden, um auch während der Haft soweit Sicherheitskontrollen kindergerecht durchgeführt als möglich die Elternrolle wahrnehmen zu können. werden und ihre Würde und Intimität respektieren. Um die Beziehung zwischen Kind und Elternteil zu Ferner müsse die Benutzung von Informations- und verstärken, sollten die Gefängnisbehörden zudem so Kommunikationstechnologien zwischen den Besu- oft als möglich Hafturlaub gewähren und verschie- chen erleichtert werden. dene weitere Massnahmen vorsehen, wie z.B. den Strafvollzug in Form des Arbeits- und Wohnexter- Bei besonderen Gelegenheiten (z.B. bei Geburts- nats oder die elektronische Überwachung. Dies solle tagen) sollten die Besuche verlängert werden. Das den Übergang von der Haft zur Freiheit erleichtern Personal sollte in den Besuchsräumen weniger for- und es ermöglichen, die Beziehungen zur Familie so mell gekleidet sein, um die Atmosphäre zu normali- rasch als möglich wieder zu knüpfen. Ferner müssen sieren. Die Kinder sollten Zugang zur Zelle und den die Justizvollzugsanstalten, die Bewährungshilfe anderen Örtlichkeiten haben, wo ihr Elternteil seine und andere Dienste die ehemaligen Inhaftierten Zeit verbringt oder Informationen darüber erhalten. auch nach ihrer Freilassung weiter betreuen und Die inhaftierten Eltern sollten ermutigt werden, unterstützen, betont die Empfehlung. die Beziehung und regelmässige Kontakte zu ihren Kindern aufrechtzuerhalten, um ihre Entwicklung Eigens ausgebildetes Personal zu fördern. Die Kontakte zwischen den Inhaftierten und ihren Kindern sollten nur ausnahmsweise und Schliesslich sollten die Gefängnisverwaltungen Justizvollzugsbeamte bestimmen, die eigens aus- «Die Inhaftierten nur für möglichst kurze Zeit eingeschränkt werden. gebildet und für die Unterstützung der Kinder und sollen auch nach Das Recht des Kindes auf einen direkten Kontakt ihrer inhaftierten Eltern zuständig sind. Sie sollten muss selbst im Fall von Sanktionen oder Diszipli- namentlich die Besuche in einem kindergerechten ihrer Freilassung narmassnahmen gegen den inhaftierten Elternteil Rahmen erleichtern und die Verbindung mit den weiter betreut respektiert werden. zuständigen Institutionen und Organisationen ge- währleisten. Den zuständigen Behörden empfiehlt und unterstützt Ausgeglichene Entwicklung der Kleinkinder Ein Abschnitt der Empfehlung befasst sich einge- der Europarat einen multidisziplinären Ansatz, um die Rechte der Kinder und ihrer inhaftierten Eltern werden» hend mit den Kleinkindern. Um das Recht des Kin- zu schützen. Sie sollten namentlich mit der Be- des auf bestmögliche Gesundheit zu gewährleisten, währungshilfe, den Gemeinden, den Schulen, den sollten inhaftierte Mütter vor- und nachgeburt- Gesundheitsdiensten, den Kindesschutzdiensten, liche Pflege erhalten. Schwangere Frauen sollten der Polizei und mit Mediatoren zusammenarbei- ausserhalb der Anstalt in einem Spital entbinden ten. (gal) können. Die Massnahmen und Einrichtungen für die Betreuung von Kleinkindern in Gefängnissen Link: Die Empfehlung über die Kinder von Inhaftier- müssen gemäss Empfehlung vorrangig deren Wohl ten und der erläuternde Bericht sind auf der Web- und Sicherheit berücksichtigen, deren ausgegli- site des Europarates (www.coe.int) auf Französisch chene Entwicklung fördern, den Zugang im Freien (Enfants de détenus) oder Englisch (Children with ermöglichen sowie die Entwicklung der elterlichen imprisoned parents) abrufbar. Kompetenz des inhaftierten Elternteils erleichtern.
6 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten Den Alltag der Kinder erleichtern Die Stiftung REPR – Relais Enfants Parents Romands ist seit 1995 tätig Die Stiftung REPR – Relais Enfants Parents Romands setzt sich dafür ein, dass die Justizvollzugsanstalten in der Schweiz die Rechte der Kinder ihrer Insassen beachten. Dieses herausfordernde Engagement erfolgt im Einklang mit der neuen Empfehlung des Europarates betreffend die Kinder von Inhaftierten. Viviane Schekter «Die Inhaftie- Lisa ist neun Jahre alt. Sie zeichnet Mangas, spielt und Sozialpädagogen, Psychologinnen und Psycho- mit der Wii und springt für ihr Leben gern in Was- logen, eine Juristin, einen Zivildienstleistenden, eine rung eines Fa- serpfützen. Sie ist ein ganz normales Mädchen in Verwaltungschefin und eine Direktorin. Ausserdem milienmitglieds einer ganz und gar nicht normalen Situation: Denn ihr Vater ist seit einigen Monaten in einem Waadt- wird REPR unterstützt von rund 60 Ehrenamtlichen, die in fünf kantonalen Anlaufstellen tätig sind. stellt häufig eine länder Gefängnis inhaftiert. Fragt man Lisa, was an Die Stiftung REPR (früher Carrefour Prison) ist ihrem Alltag besser sein könnte, antwortet sie: «Ich seit 1995 in Genf aktiv und hat ihr Tätigkeitsgebiet gesamte Familie möchte Papa anrufen können, auch wenn ich ihm inzwischen auf die ganze Westschweiz ausdehnen ins Abseits» nur eine Kleinigkeit zu erzählen habe. Und manch- können – namentlich dank der finanziellen Unter- mal würde ich gerne mit ihm draussen spielen … stützung der Stiftung Drosos. Auch die Kantone Genf, und vor allem wäre es schön, einmal sein Zimmer Waadt und Freiburg sowie mehrere Gemeinden zu sehen. Seitdem wir an den Ateliers Créatifs teil- unterstützen die Stiftung finanziell. Die restlichen nehmen, ist es besser. Dort hat es andere Kinder und Mittel stammen aus Spenden von Privaten, Stiftun- ich habe eine Freundin gefunden. Und Papa zeigt gen, Unternehmen und Lotterien. REPR verfügt im mir Zaubertricks.» Bereich des Justizvollzugs über ein gutes nationa- les und internationales Netzwerk und ist aktives Die Ziele der Stiftung REPR Mitglied des europäischen Netzwerks Children of Das Gefängnis stellt einen Bruch im Leben der In- Prisoners Europe (COPE). haftierten dar. Doch es ist für unsere Gesellschaft wichtig, dass einige Verbindungen erhalten bleiben. Zum Wohle der Familien … REPR - Relais Enfants Parents Romands ist eine im Die Inhaftierung eines Familienmitglieds verändert Genfer Handelsregister eingetragene Stiftung mit den gesamten Familienalltag und stellt häufig eine Sitz in Lausanne und verfolgt mit ihrer präventiven gesamte Familie ins Abseits. Sie hat hauptsächlich und sozialen Tätigkeit folgende Ziele: psychologische, soziale und wirtschaftliche Auswir- – Sie unterstützt Familien und Angehörige von Per- kungen. Der Gefängnisaufenthalt des Ehemanns sonen, die in der Schweiz inhaftiert sind. oder der Ehefrau, eines Geschwisterteils oder ande- – Sie betreut Kinder von Inhaftierten, damit sie rer Angehöriger ist meistens ein lang nachwirkender ihre Beziehungen zu den Eltern im Gefängnis Schock für die Familien. Eine Frau erzählt: «Ich hörte aufrechterhalten können. nicht auf, mir zu sagen: Das ist nicht wahr, das ist – Sie sensibilisiert die Öffentlichkeit für die Aus- nicht mein Leben! Dieses Gefühl, etwas Unwirkli- wirkungen des Freiheitsentzugs auf die Familie. ches zu erleben, hielt lange, sehr lange an (…). Um durchzuhalten, versucht man, die nächsten fünf Mi- Die Tätigkeit von REPR steht namentlich im Einklang nuten zu überstehen, und dann die nächsten fünf. Viviane Schekter ist die Direktorin der mit der neuen Empfehlung des Europarates betref- So vergehen die Tage. Weiter vorauszuschauen ist Stiftung REPR - Relais Enfants Parents fend die Kinder von Inhaftierten. Die Stiftung hat unmöglich. Es geht einfach nicht.» Romands. zehn fest angestellte Fachleute: Sozialpädagoginnen
Fokus: Kinder von Inhaftierten prison-info 1/2018 7 Die Reaktionen der Kinder auf die In- haftierung sind sehr unterschiedlich und können sich in Traurigkeit, Wut, Unruhe und dem Gefühl der Hilflo- sigkeit äussern. Zeichnung: REPR Die Familien von Inhaftierten fühlen sich häufig niedergeschlagen und isoliert. Alles wird erstickt Inhaftierung eines Elternteils kann erhebliche und nachhaltige Auswirkungen auf die Kinder haben. «Ihnen freund- von Schmerz, Traurigkeit und Wut. Ihnen freund- Die Kinder von Inhaftierten werden häufig wegen lich zu begegnen lich zu begegnen und Gehör zu schenken, gibt ih- ihres Elternteils diskriminiert und stigmatisiert. Sie nen Halt und hilft, das Erlebte zu verstehen. Diese sind traumatisiert, empfinden Angst, Scham und und Gehör zu Familien bei den Besuchen im Gefängnis vor Ort Schuld, fühlen sich wertlos.» schenken, gibt zu unterstützen, bedeutet, ihnen die rechtlichen Abläufe und die Mechanismen des Justizvollzugs Drei Programme von REPR ihnen Halt» zu erklären, heisst manchmal aber auch, sie dank REPR unterstützt die Familien und Kinder inhaftier- individueller Betreuung wiederaufzurichten und ter Personen mit den Programmen Info Familles und aus ihrem Schockzustand und Schmerz zu holen. Focus Enfants sowie mit einer Sensibilisierungs- und Informationskampagne. … und der «Schattenkinder» Die Inhaftierung eines Elternteils wirkt sich in den 1) Das Programm Info Familles bietet betroffenen allermeisten Fällen negativ auf das Leben der be- Familien in der Westschweiz troffenen Kinder aus. Diese Auswirkungen werden – Informationen und moralische Unterstützung in den Strafverfahren aber nur selten berücksich- per Telefon (0800 233 233), per E-Mail (info@ tigt, da unser Justizsystem auf dem Grundsatz der repr.ch), in den sozialen Netzwerken und in den Eigenverantwortung gründet. Die Kind-Eltern-Be- REPR-Anlaufstellen; ziehungen werden häufig beeinträchtigt. Im besten – Rechtsberatung sowie Fall wird ein ein- oder zweistündiges Treffen pro – Informationen, Unterstützung, Betreuung und Woche in einem Besuchszimmer der Justizvollzugs- Fahrdienste vor den Westschweizer Gefängnissen. anstalt genehmigt. Im Mittelpunkt dieses Programms steht der Einsatz «Derzeit gibt es Die haftbedingte Abwesenheit eines Elternteils von REPR vor den Gefängnissen, wo Ehrenamtliche acht mobile An- hat allerdings häufig einen Bruch der Kind-Eltern-Be- unter Aufsicht von Fachleuten den Familien und ziehung zur Folge. Die Reaktionen der Kinder auf die Angehörigen der Inhaftierten eine vertrauliche und laufstellen für Inhaftierung sind sehr unterschiedlich und können sich in Traurigkeit, Wut, Unruhe und dem Gefühl neutrale Anlaufstelle bieten. Derzeit gibt es acht mobile Anlaufstellen (Wohnwagen, Bürocontainer, zwölf Justizvoll- der Hilflosigkeit äussern. Oliver Robertson vom Bauwagen usw.) für zwölf Justizvollzugsanstalten. zugsanstalten» Quaker United Nations Office (QUNO) hält fest: «Die
8 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten «Die haftbe- 2) Das Programm Focus Enfants unterstützt und berät alle Kinder, die von einem Elternteil oder gesamt mehr als 22 100 Gespräche mit Angehörigen geführt. Zahlreiche Familien wurden beraten und dingte Abwesen- beiden Eltern getrennt sind, sowie alle Elterntei- unterstützt, um den Kontakt zu den inhaftierten le oder Fachleute, die solche Kinder betreuen. Die Personen zu erleichtern. heit eines Eltern- Ateliers Créatifs begleiten die Kinder bei ihrem Mehr als 60 Ehrenamtliche schenken jedes Jahr teils hat häufig Gefängnisbesuch. Zeit, um Familien, die ein inhaftiertes Familienmit- Typische Aufgaben für das Focus Enfants-Betreu- glied in einem Westschweizer Gefängnis besuchen, einen Bruch der erteam sind zum Beispiel: einen Elternteil zu be- zu betreuen, anzuhören und zu informieren. Hinzu Kind-Eltern-Be- raten, wie er seinem Kind das Gefängnis erklären soll; mit einer Mutter eine Strategie zu erarbei- kommt die Unterstützung von Fachleuten, die Hun- derte von Telefonaten und E-Mails beantworten ziehung zur ten, wie sie am besten ein kleines Kind begleitet; sowie Treffen organisieren. Folge» praktische Fragen einer Erzieherin oder Lehrerin zu beantworten; einen Heranwachsenden zu un- Der Wandel der Gefängnisbesuche in Form von Ateliers Créatifs ist eine der wichtigsten Entwicklun- terstützen, der sich fragt, ob er wie sein inhaftier- gen der letzten Jahre. Bei diesen Besuchen begleiten ter Vater werden wird usw. die Fachleute von REPR eine Gruppe von Kindern, wenn sie ihre inhaftierten Väter oder Mütter be- 3) Im Rahmen der Sensibilisierungs- und Informati- suchen. Was 2012 mit zehn Ateliers Créatifs in Genf onskampagne organisiert REPR Diskussionen und begann, ist inzwischen auf mehr als 80 Ateliers pro Informationsveranstaltungen und bietet Schu- Jahr in vier Kantonen angewachsen. lungen für Fachleuten aus den Bereichen Sozia- Innert sechs Jahren konnte REPR auf diese Wei- les, Bildung, Kindesschutz und Justizvollzug an. se 1064 Gefängnisbesuche von Kindern begleiten (manche Kinder auch mehrmals). Einige Zahlen Bis zu 250 verschiedene Kinder werden pro Jahr von Die Stiftung REPR hat 2017 rund 200 Kinder unter- REPR betreut. Kinder, die leicht vergessen werden, stützt, mehr als 500 Fachberatungen für Familien obwohl sie doch so sichtbar in unseren Städten sind. und Kinder angeboten, an mehr als 40 Nachmitta- In sechs Jahren enger Zusammenarbeit mit der Stif- gen Ateliers Créatifs in Gefängnissen organisiert und tung Drosos konnte REPR seine Programme konkre- insbesondere dank der Unterstützung der Ehren- tisieren, die Kompetenzen der Mitarbeitenden er- amtlichen mehr als 5900 Gespräche mit Personen höhen, sich Anerkennung bei den öffentlichen und geführt, die ihre in Westschweizer Gefängnissen privaten Entscheidungsträgern verschaffen und die inhaftierten Angehörigen besuchten. Öffentlichkeit verstärkt für die Auswirkungen der Seit 2012 liegt der Schwerpunkt der Stiftung auf Haft auf Familien und Kinder sensibilisieren. dem Aufbau der Anlaufstellen in fünf Westschwei- Eine enge Zusammenarbeit mit den Verantwortli- zer Kantonen. Ausserdem gibt es zwei Busse für den chen des Justizvollzugs ist unerlässlich. Nur diese Transport von Personen, die Angehörige im Gefäng- interdisziplinäre Arbeit kann den betroffenen Kin- nis besuchen möchten. In den vergangenen sechs dern und Familien helfen. Jahren wurden vor den Justizvollzugsanstalten ins- Welche Bedürfnisse erfüllt REPR? – Die betroffenen Familien benötigen vor und nach den Besuchen im Gefängnis Unterstützung, und Entwicklung der Anlaufstellen für Familien 2012–2017 zwar unabhängig von der jeweiligen Haftform. Total = 22'166 Die letzten Jahre haben klar gezeigt, dass die betrof- 7000 fenen Familien Beratung, Gehör und Information benötigen und die Anlaufstellen von REPR diesem 6000 856 Bedürfnis entsprechen. Die kontinuierliche Zunah- 5000 672 me der Kontakte und Gespräche in den Anlaufstel- 4000 547 1586 len belegt dies. 441 1123 3000 964 218 3461 – Die betroffenen Familien benötigen Beratung, Ge- 695 2989 2000 214 618 hör und Information per Telefon und per E-Mail. 2613 1000 375 2117 Die betroffenen Familien und Angehörigen benöti- 1616 1061 gen auch ausserhalb der Gefängnisbesuche Bera- 0 tung und Unterstützung. Die Zahl der Anrufe auf 2012 2013 2014 2015 2016 2017 die allgemeine Nummer von REPR (0800 233 233) Frauen Männer Jugendliche nimmt ohne Werbung stetig zu. Zudem erhält REPR zahlreiche E-Mails an die Adresse info@repr.ch.
Fokus: Kinder von Inhaftierten prison-info 1/2018 9 In acht mobilen Anlaufstellen wie hier beim Gefängnis La Croisée VD berät und unterstützt REPR die Angehörigen vor und nach dem Besuch im Gefängnis. Foto: Peter Schulthess (2018)
10 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten Die Einrichtung des Besucherzim- mers stellt nach Ansicht von REPR einen ersten Schritt im Sinn der neuen Empfehlung des Europarates dar. Foto: Peter Schulthess (2018) – Die betroffenen Familien benötigen Rechts- und – Die betroffenen Kinder brauchen Rat und suchen Sozialberatung. Gehör hinsichtlich der Trennung von ihrem inhaf- Die betroffenen Familien benötigen regelmässig tierten Elternteil. Rechts- und Sozialberatung, zum Beispiel um den Die betroffenen Kinder benötigen auch in ihrem All- Justizvollzug und dessen Fachsprache zu verstehen, tag Unterstützung, um die Fragen ihrer Freunde zu aber auch um zu wissen, welche Schritte unternom- beantworten, um mit Loyalitätskonflikten zwischen men werden müssen und wer wofür zuständig ist. den Eltern umzugehen und um alle Fragen zu ihrer Viele Telefonate oder Gespräche in den REPR-Büros Gegenwart und zu ihrer Zukunft zu stellen. drehen sich um diese Fragen. – Die Eltern - ob im Gefängnis oder zu Hause - brau- – Die betroffenen Kinder benötigen Unterstützung chen Rat und Unterstützung. bei den Besuchen im Gefängnis und müssen ihre Die Eltern im Gefängnis haben häufig grosse Schwie- Erlebnisse mit anderen Kindern teilen können. rigkeiten. An besonderen Gruppentreffen werden sie Die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen in ihrer Elternrolle unterstützt. Auch die Erwachse- wirkt sich positiv auf deren Alltag aus: Die Gruppen- nen, die sich im Alltag um die betroffenen Kinder besuche erlauben ihnen, sich über das gemeinsam kümmern, haben viele Fragen zu ihrer Rolle und Erlebte auszutauschen und Wege zu entdecken, wie ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern. 2018 man damit umgehen kann. wird in Genf ein neues Projekt für Eltern gestartet. «Eine enge Zu- Was erzählst du deinen Klassenkameraden? Sprichst du mit deiner Lehrerin darüber? Wie machst du es, – Die Fachleute brauchen Informationen und Wei- sammenarbeit wenn du eine Elternunterschrift brauchst? Und die terbildungsangebote über die Auswirkungen des Nachbarn? Freiheitsentzugs auf die Kinder und Familien. mit den Mitar- Mit den REPR-Mitarbeitenden über diese Dinge spre- Die Fachleute beachten immer mehr die beson- beitenden aus chen zu können, hilft den Kindern, mit der Situati- deren Erfahrungen der Familien inhaftierter Per- on zurechtzukommen, ihren Alltag zu organisieren sonen, doch es bedarf weiterer Sensibilisierung. Justiz und Straf- und mit den schwierigen Fragen nach Schuld und Die Weiterbildungsangebote werden immer bes- vollzug ist uner- Verantwortung umzugehen. Wir entscheiden gemeinsam, welche Aspekte bei ser genutzt; nun geht es darum, diese Kenntnisse weiterzuverbreiten, namentlich unter den Richte- lässlich» der Vorbereitung der Gefängnisbesuche berück- rinnen und Richtern, den Fachleuten im Sozial- und sichtigt werden. Bildungsbereich, dem Vollzugspersonal sowie den Auch die Unterstützung der Kinder untereinander Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalten. REPR ist sehr wichtig. Der Gruppeneffekt hilft wesentlich erhält immer mehr Anfragen der verschiedenen mit, die Angst und das Gefühl der Stigmatisierung Berufszweige. zu überwinden.
Fokus: Kinder von Inhaftierten prison-info 1/2018 11 «Die Begleitung der Kinder humanisiert das Gefängnis» Evaluation des Projekts Les enfants de l’ombre REPR - Relais Enfants Parents Romands ist dank ihren engagierten, motivierten und einfühlsamen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Stiftung mit sehr guten Programmen. In den Justizvollzugsanstalten gilt REPR als professioneller, zuverlässiger und anerkannter Akteur. Dies ist das Ergebnis der Evaluation durch ein Team der Prison Research Group der Universität Bern. Das institutionelle und politische Umfeld, das ge- Familien und Angehörigen der Inhaftierten bei ih- genwärtig der Sicherheit den Vorrang vor der Reinte- ren Anlaufstellen vor den Gefängnissen empfangen, gration einräume, trägt allerdings nach Ansicht des «tragen zu einem ruhigen Verlauf der Besuche bei Evaluationsteams dazu bei, «die optimale Umset- und entlasten das Justizvollzugspersonal». Weiter zung der von REPR angebotenen Dienstleistungen zu hält der Schlussbericht fest, dass REPR mit der Beglei- Die Professionalität der Fachleute und der Freiwilligen ermöglicht bremsen». Diese Tendenz spiegle sich namentlich in tung der Kinder im Rahmen der Ateliers Créatifs die gemäss Evaluationsbericht eine den finanziellen Mitteln wider, welche die Kantone Bedürfnisse der Inhaftierten und ihrer Kinder sowie bedarfsgerechte, passende und der Stiftung zur Verfügung stellen. des gesamten Systems befriedige. «Die Begleitungen qualitativ hochstehende Betreuung Die Stiftung REPR (früher: Carrefour Prison) ist der Kinder humanisieren das Gefängnis und beru- der Angehörigen und Inhaftierten. seit 1995 im Kanton Genf tätig. Mit dem Projekt Les higen das Leben im Innern der Vollzugsanstalten.» Bild: Viviane Schekter, Direktorin von REPR (rechts), und Loraine Kehrer, enfants de l’ombre (Die Schattenkinder) dehnte sie Schliesslich trage REPR zur sozialen Wiedereinglie- Verantwortliche des Programms Info von 2012 bis 2017 ihre Angebote zur Unterstützung derung der Inhaftierten bei und schliesse klar eine Familles, im Innern eines Wohnwa- der Familien und Angehörigen von Inhaftierten Lücke im Justizvollzug. (gal) gens. Foto: Peter Schulthess (2018) auf die ganze Westschweiz aus. Dieser schrittweise Ausbau erfolgte wie geplant, bilanziert das Evalua- tionsteam in seinem Schlussbericht. Bedarfsgerecht, passend und qualitativ hochstehend Indem REPR in den Anlaufstellen vor den Gefäng- nissen Ratschläge, praktische Hilfe und emotiona- le Unterstützung anbiete, entspreche die Stiftung den Bedürfnissen und Anliegen der Familien, Ange- hörigen und inhaftierten Eltern. Die zunehmende Nachfrage nach dem Begleitprogramm für Kinder sowie die positiven Rückmeldungen der inhaftier- ten Eltern und ihrer Angehörigen zeigten, dass ein wirkliches Bedürfnis bestehe. Die Professionalität der Fachleute und der Freiwilligen ermögliche, so der Schlussbericht, eine bedarfsgerechte, passende und qualitativ hochstehende Betreuung für alle. Das Kindeswohl stehe im Mittelpunkt der Begleitung. Ein Beitrag zur sozialen Wiedereingliederung Das Evaluationsteam hat auch beurteilt, wie die Verantwortlichen des Justizvollzugs die Tätigkeit von REPR einschätzen. Die Freiwilligen, welche die
12 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten Eine fruchtbare Zusammen- arbeit Unterstützung und Beratung von Eltern im Gefängnis Champ-Dollon Das Gefängnis Champ-Dollon hat mit verschiedenen Projekten zur Unter- stützung und Beratung von Eltern in Haft eine Vorreiterrolle gespielt. Es hat namentlich die ersten Ateliers Créatifs für Kinder von Inhaftierten von der Stiftung REPR – Relais Enfants Parents Romands zugelassen. Durch die konse- quente Beachtung der Sicherheitsanforderungen hat die Stiftung im Verlauf der Jahre ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Gefängnisleitung aufbauen können. Nathalie Buthey Die Inhaftierung eines Elternteils kann manchmal mehrere Haftregimes mit ihren Eigenheiten un- dazu führen, dass die Beziehung zur Familie in die ter einem Dach betrieben. Diese Vielfalt wirkt sich Brüche geht. Die Beziehung einer inhaftierten Per- auch auf die Leistungen aus, welche die Anstalt son zu ihrer Familie hängt namentlich von der Ein- erbringen kann. richtung ab, in die sie eingewiesen ist. Ursprünglich Trotzdem hat das Gefängnis Champ-Dollon mit war das Gefängnis Champ-Dollon für Personen in verschiedenen Projekten zur Unterstützung und Untersuchungshaft gedacht und konzipiert. Heute Beratung der Eltern in Haft eine Vorreiterrolle ge- sind hier rund 700 Menschen untergebracht – bei ei- spielt. Es hat namentlich in seinen Räumlichkeiten ner Kapazität von 400 Haftplätzen. Rund 60 Prozent die Stiftung REPR – Relais Enfants Parents Romands Sie heben das besondere Vertrauens- der Inhaftierten befinden sich in Untersuchungs- die ersten Ateliers Créatifs für die Kinder von In- verhältnis hervor, das zur Stiftung haft, 40 Prozent im Strafvollzug. Etwa 20 Personen haftierten durchführen lassen. Der Direktor des REPR besteht: Fabrizio Bervini, Direk- befinden sich auch im Massnahmenvollzug. Fast 70 Gefängnisses Champ-Dollon, Fabrizio Bervini, und tor des Gefängnisses Champ-Dollon Prozent der Inhaftierten in Champ-Dollon haben der stellvertretende Leiter des Vollzugspersonals, (links) und Lionel Gueniat, stellvertre- tender Leiter des Vollzugspersonals. keinen Aufenthaltsstatus. Das Gefängnis verfügt Lionel Gueniat, haben #prison-info ihre Erfahrun- Foto: © Champ-Dollon zudem über 35 Plätze für Frauen. Es werden also gen bei der Unterstützung und Beratung der Eltern in Haft mitgeteilt. Ablauf eines Besuchs Ein Kind kann einen in Champ-Dollon inhaftier- ten Elternteil auf verschiedene Art besuchen. Es kann allein kommen, ohne Vorbereitung oder mit Unterstützung eines Dienstes. Für jeden Besuch ist eine ordentliche Bewilligung erforderlich, bei Minderjährigen auch eine Bewilligung der Eltern. Das Vollzugspersonal unterscheidet nicht zwischen Kindern und Erwachsenen, für Kinder gelten die gleichen Sicherheitsbestimmungen. Auch bei den Gegenständen, die in der Anstalt zugelassen werden, wird keine Ausnahme gemacht, ausser bei einem Schoppen mit Milch oder Wasser und bei Windeln. Das erscheint vielleicht streng, die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass einige Eltern ihre Kinder ohne
Fokus: Kinder von Inhaftierten prison-info 1/2018 13 Das Gefängnis Champ-Dollon hat mit verschiedenen Projekten zur Unter- stützung und Beratung von Eltern in Haft eine Vorreiterrolle gespielt. Foto: Peter Schulthess (2006) grosse Skrupel benutzen, um verbotene Gegenstän- Das Vollzugspersonal trägt in seiner täglichen de in das Gefängnis zu schmuggeln. Arbeit ebenfalls zur Unterstützung der inhaftierten Champ-Dollon kann sich jedoch auf die Kom- Eltern bei, die sich vor oder nach der Besuchszeit petenzen verschiedener Stellen stützen, welche eventuell nicht wohl fühlen. Jede heikle Situation die Eltern und die Kinder auf die Modalitäten des wird dem medizinischen Personal sofort gemeldet. Besuchs vorbereiten, beispielsweise den Gesund- Jeden Freitagmorgen findet zudem eine Sitzung heitsdienst (somatische Medizin, Psychiatrie und statt, an welcher der medizinische Dienst, der sozi- psychologische Betreuung), den sozialpädagogi- alpädagogische Dienst und der Dienst für Straf- und schen Dienst, die Gefängnisseelsorge oder REPR. Massnahmenvollzug die gemeldeten Fälle gemein- Diese Dienste sind nicht der Gefängnisdirektion sam besprechen können. unterstellt und handeln selbstständig. Die psycho- logische Vorbereitung auf den Eintritt in die Anstalt Ein Leben im Takt der Untersuchungshaft wird von diesen verschiedenen Partnern sicherge- Gemäss den Vorgaben des Gefängnisses Champ-Dol- stellt. Champ-Dollon arbeitet sehr eng mit ihnen lon dürfen die Inhaftierten jeweils einmal pro Woche zusammen, entscheidet aber unter Berücksichti- Besuch von zwei Personen empfangen. Kinder unter gung der sicherheitsbezogenen Einschränkungen einem Jahr werden dabei nicht eingerechnet. Die über die Koordination der Abläufe. Besuche finden zweimal am Tag statt, und zwar von 14–15 Uhr und von 15.30–16.30 Uhr. In Champ-Dollon Ein REPR-Chalet für die Familien gibt hauptsächlich die Untersuchungshaft den Takt Die meisten Kinderbesuche werden über das vor. Aus organisatorischen Gründen ist es deshalb REPR-Chalet am Ende der Zufahrtsstrasse zu nicht möglich, den Rahmen für die Besuche flexib- «REPR hat im Champ-Dollon abgewickelt. Das Chalet öffnet eine Stunde vor der Besuchszeit und schliesst eine Stun- ler zu gestalten. Leider können diese Besuchszeiten nicht den Rhythmus der Kinder berücksichtigen und Verlauf der Jahre de danach. Ehrenamtlich tätige Fachleute von REPR es ist schwierig, sie mit dem Stundenplan und den ein besonderes sind für die Betreuung der Familien da, um den ausserschulischen Tätigkeiten zu vereinbaren. Um Besuch vorzubereiten und anschliessend zu be- zu den normalen Zeiten einen Besuch abzustatten, Vertrauensver- sprechen. Durch die konsequente Beachtung der muss sich das Kind vom Schulbesuch dispensieren hältnis zur Ge- Sicherheitsanforderungen hat REPR im Verlauf der lassen, Ausnahmen werden keine gemacht. Jahre ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Ge- fängnisdirektion fängnisdirektion aufbauen können. Die Direktion schätzt ihrerseits besonders die Kommunikation Ordentliche Besuche: strenge Regeln, aber entspannte Atmosphäre aufbauen kön- und die Dienstleistungen der Stiftung und erfüllt Während der Besuche werden die Erwachsenen und nen» in der Regel deren Wünsche. die Kinder gemeinsam in einem Besucherraum ohne
14 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten Sobald die Kinder kommen, herrscht eine besondere Atmosphäre im Besucherraum. Zeichnung: Patrick Tondeux
Fokus: Kinder von Inhaftierten prison-info 1/2018 15 Trennscheibe empfangen. Das Kind kann von einem Familienangehörigen oder einer anderen Person Bewilligungen liefert. Aus Sicherheitsgründen gibt REPR eine Woche im Voraus bekannt, welche Akti- «Es wird tole- begleitet werden. Grundsätzlich müssen die Per- vitäten mit den Kindern vorgesehen sind (Basteln, riert, dass sich sonen an ihrem Platz bleiben, wobei die Besucher Zvieri, Zeichnen usw.). Am Tag selbst werden dann gegenüber den Inhaftierten sitzen. Es wird jedoch die Tische verschoben, die Teilnehmer setzen sich das Kind auf den toleriert, dass sich das Kind auf den Schoss seines manchmal im Schneidersitz hin und führen die Schoss seines Vaters oder seiner Mutter setzt, und es steht auch Aktivität gemeinsam durch. Das ist ein besonderer Spielzeug zur Verfügung. Während der ordentlichen gemeinsamer Moment für Eltern und Kinder, bei Vaters oder Besuche muss das Vollzugspersonal jedoch streng sein, damit die Ordnung eingehalten und Störungen dem die Kinder im Zentrum stehen. Die ehrenamt- lich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von seiner Mutter vermieden werden. Es versucht aber, auf die Anwe- REPR machen Polaroidfotos, die sie den inhaftierten setzt» senheit der Kinder angemessen zu reagieren, damit Eltern oder den Kindern geben, damit sie diese Mo- der Besuch reibungslos und in einer entspannten mente festhalten können. Atmosphäre ablaufen kann. Das Abschiednehmen Weihnachten, Ostern und das Sommerfest sind ist im Gefängnis oft ein schwieriger Moment. Um im Leben der Familien der Inhaftierten wichtige den Besuch nicht abrupt abzubrechen, signalisiert Momente. Am Mittwoch vor Weihnachten wird im das Vollzugspersonal fünf Minuten vorher, dass die Besucherraum ein Weihnachtsbaum aufgestellt Zeit bald abgelaufen ist. und die Kinder bekommen Kuchen. Zu Ostern er- halten sie von ihrem inhaftierten Elternteil einen Besuche für Familien: bis zu zwölf Kinder Schokoladenhasen. Die Besuche am Mittwoch um 14 Uhr sind für Fami- lien reserviert und finden im gleichen Raum statt. Bald schon Besuche über Skype? Sobald die Kinder kommen, herrscht eine besondere In Champ-Dollon sind viele Ausländer unterge- Atmosphäre und die Räume füllen sich mit Leben. Es bracht, für die es manchmal schwierig und teuer können mehrere Familien gleichzeitig da sein, was ist, den Kontakt mit ihrer Familie aufrecht zu er- zum Wohlbefinden der Kinder und Eltern beiträgt. halten. Zurzeit stellt das Amt für Freiheitsentzug Diese Besuche werden nicht von der erlaubten An- zahl Besuche abgezogen. In dieser Zeit können bis zu des Kantons Genf Überlegungen zu einem Projekt an, um Besuche über Skype zu ermöglichen. Ein «Das Abschied- zwölf Kinder anwesend sein. Wenn mehr als zwölf solches Kommunikationsmittel könnte in einer An- nehmen ist im Kinder angemeldet sind, wird am Mittwochmorgen stalt, die ausschliesslich Strafen vollzieht, einfacher um 9 Uhr eine weitere Besuchszeit angeboten. Bis- eingesetzt werden, und das Gefängnis La Brenaz ist Gefängnis oft her scheint das Angebot aber der Nachfrage zu ent- daran interessiert. Champ-Dollon könnte sich auf ein schwieriger sprechen. Die zwölf verfügbaren Plätze genügen in dieses Projekt stützen, müsste es jedoch an seine der Regel und die Besuchszeit vom Mittwochmorgen Vorgaben anpassen. Moment» wird selten in Anspruch genommen. Die meisten Besucher kommen regelmässig jede Ein innovatives Projekt Woche oder jeden Monat vorbei. Daneben gibt es Champ-Dollon beteiligt sich zudem an einem inno- viele Inhaftierte, deren Familie nicht in der Region vativen Projekt von REPR, das auf dem schwedischen wohnt, die eine kurze Strafe verbüssen oder sich Konzept «Let’s talk about your children» basiert. nur kurz in Untersuchungshaft befinden. Es kann Mit dem dreijährigen Projekt sollen Eltern in Haft aber auch vorkommen, dass die inhaftierte Person unterstützt und beraten werden. Champ-Dollon ihr Kind nicht sehen oder keinen Kontakt mit seiner möchte es in der Frauenabteilung umsetzen. Vorge- Begleitperson haben will. In diesem Fall wird mit sehen sind schriftliche Information aller Inhaftierten den Betroffenen das Gespräch gesucht. Im Alltag durch Flyer, Plakate und Videos, halbstrukturierte ist festzustellen, dass zahlreiche Inhaftierte psychi- persönliche Interviews, Arbeit in kleinen Gruppen sche Probleme haben. Manchmal werden Familien- und Erhebung statistischer Daten über die Eltern besuche auch von Psychologen im Rahmen einer in Haft und ihre Kinder. Während der sechsmona- Therapie beantragt. tigen Vorlaufzeit werden die Beteiligten von einer schwedischen NGO ausgebildet. Für das Projekt Ateliers Créatifs: ein besonderer gemeinsamer müssen REPR, der Dienst für Bewährungshilfe und Moment Wiedereingliederung sowie das Vollzugspersonal Jeden ersten Mittwoch des Monats organisiert REPR eng zusammenarbeiten. Es steht bereits fest, dass im Besucherraum Ateliers Créatifs. Dafür meldet das Projekt im Kanton Genf im Rahmen des Resozi- man sich nicht direkt bei der Anstalt an wie für alisierungskonzepts gestartet werden kann. die normalen Besuche, sondern bei REPR, die der Anstalt die Teilnehmerliste und die erforderlichen
16 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten «Die Trennung von den Kindern ist der härteste Teil der Strafe» Was in der JVA Hindelbank für inhaftierte Mütter und ihre Kinder getan wird Straffällig gewordene Frauen sollen in der Haft die Beziehung zu ihren Kindern aufrechterhalten und sich um sie kümmern können. Die Justizvollzugsanstalt Hindelbank unterstützt sie dabei auf vielfältige Weise – ob sie zusammen mit ihrem Kind in der Wohngruppe Mutter und Kind leben oder sich getrennt von ihren Kindern im Normalvollzug befinden. Ein Augenschein vor Ort vermittelt den Eindruck, dass hier der Standard der Empfehlung des Europarates über die Kinder von Inhaftierten bereits weitgehend erreicht ist. Folco Galli In Hindelbank BE befindet sich die einzige Justizvoll- Beispiel alleine mit einer überforderten Mutter in zugsanstalt für Frauen in der deutschsprachigen einer Wohnung. In der Kita seien sie gut integriert Schweiz. Mit ihren 107 Haftplätzen dient sie dem und würden nicht stigmatisiert. In der Anstalt könn- Vollzug von Strafen und Massnahmen im offenen ten sie sich auch oft aufs Areal begeben und hätten und geschlossenen Vollzug. Rund zwei Drittel der freien Zugang zum Tiergehege. «Zugleich tun Kinder Insassinnen sind Mütter. In der Wohngruppe Mut- auch unserem Betrieb gut und sorgen dafür, dass ter und Kind leben bis zu sechs Frauen mit ihren er menschlich bleibt.» Kleinkindern im Alter bis zu drei Jahren. Es sind Hindelbank ist allerdings keine heile Welt ohne Frauen, die schwanger in den Vollzug eingetreten Konflikte. Bei einem Anteil von rund 50% auslän- sind, oder Schweizerinnen, die eine kürzere Frei- dischen Insassinnen stellen unterschiedliche Vor- heitsstrafe verbüssen. stellungen von Erziehung zuweilen eine besonde- «Anders als im Normalvollzug bleiben in dieser re Herausforderung dar. So könne es zum Beispiel Wohngruppe die Zellen während der Nacht geöff- vorkommen, dass «die Mutter zuerst wenig Ver- net, damit die Mutter zum Beispiel jederzeit in der antwortung übernimmt, weil in ihrem Kulturkreis Wohnküche einen Schoppen zubereiten kann», er- das Dorf zum Kind schaut», führt Annette Keller läutert Annette Keller, die Direktorin der Justizvoll- aus. Dies werde ebenso wenig geduldet wie wenn zugsanstalt. Tagsüber befinden sich die Kinder in die Mutter ihr Kind schlage oder die Förderung ih- der Kita von Hindelbank; ihre Mütter arbeiten wie res Kindes – etwa durch aktives Spielen – vernach- alle anderen Insassinnen bis 16 Uhr in einem der lässige. In Einzelfällen musste ein Kind zu seinem anstaltsinternen Werke. Die Arbeit hat in Hindel- Wohl auch schon von der Mutter getrennt werden. bank einen hohen Stellenwert: Sie soll die Frauen Als äusserst harte Situation empfindet es Annette befähigen, nach ihrer Entlassung ihren Lebensun- Keller, wenn das Kind von der Kindes- und Erwach- terhalt selber zu verdienen oder zumindest eine senenschutzbehörde (KESB) fremdplatziert werden stabile Tagesstruktur einzuhalten. muss und dann später nach Verbüssung der Strafe mit seiner Mutter ausgewiesen wird. Ein guter Ort «Die Wohngruppe Mutter und Kind ist ein guter Die Familie aus dem Vollzug heraus managen Ort für den ersten Teil des Lebens dieser Kinder», Die meisten in Hindelbank inhaftierten Mütter Annette Keller ist Direktorin der Jus- ist Annette Keller überzeugt. Es werde ihnen viel leben getrennt von ihren Kindern, was besonders tizvollzugsanstalt Hindelbank. geboten und es gehe ihnen hier wohl besser als zum belastend ist. «Die Trennung von ihren Kindern ist
Fokus: Kinder von Inhaftierten prison-info 1/2018 17 der härteste Teil der Strafe», betont Annette Keller. «Viele Frauen leiden unter Schuldgefühlen.» Sie Weise unterstützt. Sie können alle Fragen mit ihrer Bezugsperson (Sozialarbeiterin oder Sozialpädago- «Die Wohn- fragten sich zudem, wie sie ihren Kindern erklären gin) besprechen, sagt Annette Keller und stellt fest: gruppe Mutter sollen, was sie getan haben. Es stelle sich für sie «Trotz der Kombination von Kontrolle und Unter- aber auch die Frage, wie sie ihre Verantwortung aus stützung entwickelt sich oft ein Vertrauensverhält- und Kind ist ein dem Vollzug heraus wahrnehmen können. «Einige nis». Die Hälfte der Frauen unterziehe sich zudem guter Ort für den Frauen telefonieren fast jeden Tag mit ihren Kin- einer Therapie und könne in diesem Rahmen die dern und managen ihre Familie aus dem Vollzug drängenden Fragen aufarbeiten: Wie kann ich die ersten Teil des heraus.» Die Gefängnisdirektorin sieht eindeutige geschlechtsspezifische Unterschiede: «Die Frauen Beziehung zu meinem getrennten Kind gestalten? Wie gehe ich mit Schuld- und Versagensgefühlen Lebens dieser sind nach wie vor die Hauptbezugsperson und füh- um? Wie kann ich mit dem Kind über meine Tat Kinder» len sich für die Kinder hauptverantwortlich – ausser und Strafe sprechen? etwa drogenkranke Frauen, deren Kinder bereits vor der Inhaftierung fremdplatziert werden mussten». … und Kontakte ermöglichen Die Frauen pflegen auch die Beziehung zu den Um die Beziehung zu den Kindern aufrechtzuer- Grosseltern, Pflegeeltern oder anderen Bezugsper- halten, ermöglicht die JVA regelmässige Kontakte: sonen, die sich draussen um ihre Kinder kümmern. Die Frauen können täglich über das Festnetz nach Zuweilen sähen sie sie aber auch als Konkurrenten aussen telefonieren und einmal wöchentlich ein und fragten sich, wen das Kind wohl lieber habe. Telefonat von ihren Kindern empfangen. Dreimal «Dies kann dazu führen, dass die Frauen ihr Kind im Monat können sie zudem von Erwachsenen und verwöhnen und fast ihr gesamtes Arbeitsentgelt Kindern besucht werden. Zusätzlich können sie un- «Kinder tun un- für Geschenke ausgeben.» Die Trennung sei auch beschränkt Besuche von Kindern unter 14 Jahren für die Kinder eine schwierige Situation und kön- empfangen; faktisch sind allerdings diese Besuche serem Betrieb ne dazu führen, dass sie sich zurückziehen oder ein wegen der in vielen Fällen langen Anreise meist nur gut und sor- auffälliges Verhalten entwickeln. alle zwei Wochen möglich. Ferner steht das Bezie- hungs- und Familienzimmer für Familienbesuche gen dafür, dass Aufarbeitung fördern … Die Mütter werden in Hindelbank bei der Bewälti- bis zu fünf Stunden zur Verfügung. Weitere Mög- lichkeiten, um die Beziehung zu den Kindern auf- er menschlich gung der Trennung von ihren Kindern auf vielfältige rechtzuerhalten und zu vertiefen, bieten die Haft- bleibt» In der Wohngruppe Mutter und Kind leben bis zu sechs Frauen mit ihren Kleinkindern im Alter bis zu drei Jah- ren. Foto: Peter Schulthess (2018)
18 prison-info 1/2018 Fokus: Kinder von Inhaftierten positiv auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind aus. Kinder erweisen sich oft als der «entscheiden- de Motivationsfaktor». Mit der Absolvierung einer Attestlehre gelinge es den Frauen, Versagensängste zu überwinden und wieder ein Vorbild für das Kind zu sein. «Wenn sie solche Fähigkeiten entwickeln», so Annette Keller, «wirkt sich dies in hohem Mass deliktpräventiv aus». Die Mutter bleibt in der Regel wichtig In welchem Ausmass gelingt es den inhaftierten Frauen in Hindelbank, trotz der Trennung Mutter ihrer Kinder zu bleiben? «Die Mutter bleibt in der Regel wichtig», stellt Annette Keller fest und verweist auf eine Studie, die ihre eigenen Beobachtungen bestätigt. Allerdings spiele auch immer das Delikt eine Rolle, unterstreicht sie und erinnert, dass je ein Drittel der Frauen wegen Gewalt-, Drogen- bzw. Vermögensdelikten in Hindelbank inhaftiert sind. Die meisten Kinder wollten aber den Kontakt zur Mutter aufrechterhalten und hätten nach wie vor einen starken Bezug zu ihr. Die Kinder neigten so- gar oft dazu, die Mutter infolge ihre Abwesenheit zu idealisieren. Kinder wollen sich nicht outen Es gebe aber auch Kinder, die sich schämten. «Wir wissen wenig, wie sie mit dieser schwierigen Situ- ation umgehen», gesteht die Gefängnisdirektorin. Klar scheine es zu sein, dass sie sich nicht gerne ou- ten wollen. Bezeichnend sei die Erfahrung, welche die schweizerisch-kanadische Regisseurin Léa Pool beim Drehen des Dokumentarfilms Double peine (Doppelte Strafe, weil die Kinder inhaftierter Mütter ihre engste Bezugsperson verlieren, aus ihrem Um- feld gestossen und so indirekt mitbestraft werden) «Einige Frauen telefonieren fast jeden urlaube und die Versetzung in den offenen Vollzug: gemacht habe: Sie habe erfolglos versucht, Kinder Tag mit ihren Kindern und managen In der Aussenwohngruppe können die Frauen ihre aus der Schweiz zur Teilnahme zu bewegen und ihre Familie aus dem Vollzug heraus», bis 14-jährigen Kinder über ein Wochenende oder ihnen eine Stimme zu geben. sagt Direktorin Annette Keller. Foto: Peter Schulthess (2018) für einige Tage aufnehmen. Viele Kinder sorgten sich zudem um das Wohl- Darüber hinaus planen die Verantwortlichen ergehen der Mutter im Gefängnis. Um Abhilfe zu in Hindelbank verschiedene weitere Massnahmen: schaffen und ihnen zu zeigen, wie ihre Mutter in «Wir möchten, dass die Mütter auch über Skype mit der Zelle und Wohngruppe lebt, bekommt in Hin- ihren Kindern kommunizieren können», erklärt die delbank jede Mutter eine DVD mit der Folge Wie Gefängnisdirektorin. Im Rahmen des Neubaus sei lebt man im Gefängnis? der Kindersendung Rosanna zudem ein Familienpavillon geplant, um Übernach- checkt’s vom Schweizer Radio und Fernsehen SRF. tungen zu ermöglichen. Ein besonderes Anliegen ist Die Moderatorin, die für die Sendung zwei Tage Annette Keller auch ein in Schweden entwickeltes als Insassin in Hindelbank verbracht hat, soll das Gruppenprogramm für Eltern im Gefängnis, das Schlusswort haben: «Ich habe viel über das Leben «Viele Kinder die Inhaftierten in ihrer Elternrolle unterstützen und die Menschen im Frauengefängnis gelernt, … sorgen sich um und dadurch die positive Entwicklung ihrer Kinder dass es wahnsinnig wichtig ist, dass die Familie zu fördern will. einem steht, dass man es aushält im Gefängnis, das Wohlerge- Das breite Bildungsangebot in Hindelbank för- solange man etwas zu tun hat, und dass es keine hen der Mutter dert nicht nur die Selbständigkeit der Frauen und die Chancen auf eine erfolgreiche Wiedereinglie- schlimmere Strafe gibt, als von jenen Menschen getrennt zu sein, die man liebt». im Gefängnis» derung in die Gesellschaft, sondern wirkt sich auch
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