Programme für 2023 und die kommenden Jahre
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Berlin 14. März 2023 Programme für 2023 und die kommenden Jahre Zwei Leitbegriffe bilden den Rahmen für das kulturelle und politische Programm des HKW. Sie eröffnen den Raum für eine Vielzahl anderer Konzepte, Philosophien und Praktiken: 1. Pluralität der Welten In Ben Okris Roman The Famished Road (1991, dt. Die hungrige Straße) wechselt der Erzähler Azaro unentwegt von der „realen“ zu einer Geisterwelt, von einer Welt der Ungeborenen zu jener der Geborenen, von vergangenen zu gegenwärtigen und zukünftigen Welten. Es ist eine Einladung der Literatur, die Existenz einer Vielzahl von Welten in Betracht zu ziehen, die von uns anerkannt werden wollen. Tägliche Nachrichten von Kriegen in der Tigray- Region und in der Ukraine, Dürren in Somalia, Überschwemmungen in Pakistan, Erdbeben in Kurdistan, Syrien und der Türkei, politischen Umwälzungen in der ganzen Welt, der Missachtung von Frauenrechten im Iran und andernorts – all diese und noch viele andere katastrophale Zustände geben uns zu denken, dass wir nicht nur in einer, sondern in vielen verknüpften kulturellen, politischen, ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen, epistemischen und spirituellen Welten leben. Ähnliches empfinden wir, wenn uns visuelle und klangliche Kulturen aus anderen Breiten- und Längengraden begegnen. In den kommenden fünf Jahren möchten wir den Wechsel vom Universum zum Pluriversum, von der Universalität zur Pluriversalität vollziehen. Wir möchten uns, um Arturo Escobar zu zitieren, wegbewegen von der „Hegemonie der Eine-Welt-Ontologie der Moderne“, die mit grundlegenden Asymmetrien, Rassismen und anderen Ungleichheiten behaftet ist, und hinwenden zur Möglichkeit einer Vielzahl gleichwertiger Welten, deren Existenzen aufeinander Bezug nehmen. 2. Worlding—welten, entwelten und wiederwelten Es genügt nicht, die Ursachen zu erkennen, warum die Welten, in denen wir uns bewegen, in einem so verheerenden Zustand sind. Wir müssen die Verantwortung annehmen, Welten zu reparieren, zu rehabilitieren, zu restituieren und neue, bessere Welten für die kommenden Generationen zu erschaffen. Dazu gehört auch, dass wir unser Verhältnis zur Welt überdenken und Welt nicht als Substantiv, sondern als Verb auffassen. Nicht als eine Konstante, sondern als einen Prozess und eine Praxis, als ständige Veränderung und Anpassung, als worlding. Damit das künftige HKW der Welt auf diese Weise begegnen kann, müssen wir uns mit Prozessen des
Entweltens und Wiederweltens beschäftigen. Entwelten meint hier die Auseinandersetzung damit, wie das das kapitalistische, koloniale, patriarchalische, extraktivistische und monokulturelle System zur Zerstörung unserer heutigen Welten beigetragen hat. Acts of Opening Again – Eine Choreographie der Konvivialität 2.–4. Juni 2023 Mit Interventionen und Performances von u.a. María Magdalena Campos Pons, Tanka Fonta, Jean-Daniel Lafontant, Masimba Hwati, Bernardo Oyarzún Mit Konzerten von Awilo Longomba, Oumou Sangaré, Estrellas del Caribe und DJ-Sets Vom 2. bis 4. Juni 2023 feiert das HKW seine Wiedereröffnung mit einer Reihe von Konzerten, Lectures, Performances, Prozessionen, Lesungen und Ritualen sowie die Eröffnung der AusstellungO Quilombismo: Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien . Ausgehend von der Geschichte der Institution – 1957 als Kongresshalle eingeweiht, 1989 ins Haus der Kulturen der Welt umgewandelt – rücken wir Kulturen des „Kongregierens“ – etymologisch betrachtet Kulturen des Zusammenkommens, des gemeinsamen Spazierengehens – in den Vordergrund: Praktiken, die Gemeinschaftlichkeit, Gastfreundschaft und die Werte der Pluralität mit sich bringen. Acts of Opening Again versteht sich als Vielzahl von Angeboten und Reflexionen zur Frage, was aufzugeben und was aufrechtzuerhalten ist, damit wir gemeinsam inla casa grande – dem großen Haus, diesem Planeten – wachsen können. Es ist ein Willkommensgruß an die Träger*innen und Vermittler*innen kulturellen und gemeinschaftlichen Wissens und ein Aufschließen der Türen, um gemeinsam einzutreten. Ein Ort, um zu lachen, zu tanzen, zu flirten, zu essen, sich aufzuregen oder traurig zu sein – ein Ort, um sich zu bewegen und bewegt zu werden. Ein Ort für die Verletzlichkeit und die Kraft unserer Präsenz. Ein Haus, um gemeinsam Hoffnung zu schöpfen und Respekt füreinander zu kultivieren. Eine Aktivierung der Archive unserer Körper und die zentrale Rolle des Körperlichen als Ort des Diskurses und der sozialen Transformation – mit diesen performativen Praktiken schafft das HKW Räume für den Ausdruck und die Begegnung einer Vielzahl von Körpern. Sie können uns in Gespräche verwickeln und reaktivieren Emotionen der Vergangenheit, um so die Bedingungen der Gegenwart besser ausdrücken zu können und eine heilsame Zukunft zu suchen. An drei Tagen präsentiert das HKW in der Tradition von Ritualen des Neubeginnns Performances von María Magdalena Campos Pons und Ilê Obá Sileké, dem afrobrasilianischen Candomblé-Haus in Berlin, gefolgt von Jean-Daniel Lafontant. Bernardo Oyarzún lädt das Publikum ein, seine Unterstützung und Beteiligung am „Neubau“ des Hauses mit symbolischen Gaben zum Ausdruck zu bringen, ganz im Sinne vonel medán , einer festlichen Praxis vorkolonialen Ursprungs, die auf einer Feier der Gegenseitigkeit beruht. Im gleichen Geiste einer solchen Orchestrierung lädt uns Masimba Hwati zu einer Zeremonie des Brotbrechens ein, die aus der Geschichte von Chimurenga, dem Befreiungskrieg der Shona und Ndebele im ehemaligen Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, entstanden ist.Bread Scores ist von ins Gefängnis geschmuggeltem 2/25
Brot inspiriert – Mitstreiter*innen, Verwandte und Angehörige schickten versteckte Zeitungsausschnitte, Informationen über den laufenden Kampf, Worte der Solidarität und Unterstützung sowie Liebesbriefe, um die Einsamkeit der politischen Häftlinge zu lindern. Masimba versteckt in den Brotlaiben musikalische Partituren, die von traditionellen Chimurenga-Widerstandsgesängen inspiriert sind, und lädt Musiker*innen ein, sie zu interpretieren. Auf den umlaufenden Fries im Foyer des HKW hat der Künstler Tanka Fonta eine kreisförmige Partitur gemalt, ein im Entstehen begriffenes Wandgemälde und eine bildlich-klangliche Komposition aus neun thematischen Sätzen, in suggestiven Sprachen als visuelle, akustische und poetische Impressionen orchestriert. Diese visuellen Partituren bilden den Ausgangspunkt für eine Hymne, die von Berliner Musiker*innen mit Fulani-, Dioula-, Bambara- und Wolof- Hintergrund arrangiert wurde. Quilombismo lässt sich auch durch Bezogenheit aufeinander und Bewusstsein voneinander erfahren, wie es im Bereich von Musik und Tanz in afrikanischen und afro-diasporischen Improvisationstechniken der Fall ist – mit Call-and-Response, Storytelling, generationsübergreifendem Wissensaustausch sowie der Macht und Spiritualität einer Gemeinschaft. Den Anfang macht der afro-kolumbianische Bullerengue: In Berlin lebende Mitglieder verschiedener Migrant*innen-Communitys, feministischer und anderer emanzipatorischer Gruppen und Interessensvertretungen sind eingeladen, in Workshops die ehrwürdige Tradition der bailes cantados – gesungene Tänze – zu erproben. In dem Wissen, dass der Körper der primäre Ort der Souveränität ist, lädt das HKW an seinem Eröffnungswochenende alle ein, visuelle, akustische, sensorische und choreografierte Erzählungen des Zusammenseins zu erleben und sich von der Philosophie und Praxis der vielstimmigen Performativität des quilombismo inspirieren zu lassen. AI: Ancestral Immediacies Oder die Unmittelbarkeit früheren Lebens Screenings, Performances, Diskussionen, Vorträge 29.–30. Juli 2023 AI: Ancestral Immediacies präsentiert Gespräche, Performances und Filme, die sich mit der Entkopplung von Technologie und Körper befassen. Entgegen der technokratischen Vision von artifizieller bzw. künstlicher Intelligenz (AI/KI) als körperloser Superintelligenz, die das Menschliche entweder beherrschen oder zerstören wird, war KI – und Technologie im Allgemeinen – schon immer und lange vor heutigen Diskussionen um Datenextraktion, Datenschutz und Arbeitsplatzverlust untrennbar mit kulturellem Wissen und menschlichen Körpern verbunden. KI verweist auf ein jahrhundertealtes Problem des Wissens und der Ethik seiner Produktion. Die Entwicklung und wissenschaftliche Nutzung sogenannter HeLa- Zellen ist ein historisches Beispiel unter vielen. HeLa-Zellen zeichnen sich durch die Fähigkeit unbegrenzter Vermehrung aus. Sie waren und sind für die Entwicklung moderner Krebstherapien unverzichtbar und wurden mit sowjetischen Satelliten ins All geschickt, um die Überlebensfähigkeit des Menschen zu testen. Die ursprünglichen HeLa-Zellen wurden in den 1950er Jahren aus dem Gebärmutterhals von Henrietta Lacks gestohlen, einer Nachfahrin versklavter Menschen. Die Zellen leben bis heute fort, während Lacks 3/25
in Virginia in einem unmarkierten Grab, beigesetzt wurde, auf dem erst 2010 ein Grabstein für sie aufgestellt wurde. Wenn Körper solcherart als Technologien verstanden werden, geraten die Dichotomien von künstlich/natürlich, rational/irrational, Geist/Körper, echt/falsch, Intelligenz/Dummheit ins Wanken und verkomplizieren sich gleichzeitig. In dieser Gemengelage erscheint Technologie als eine Praxis, die zeitliche, räumliche und transgenerationale Wissensformen bearbeitet und scheinbar längst vergangene Lebensweisen unmittelbar werden lässt. Technologien sollten nicht als Dinge, sondern als relationale, situierte, kosmologische und kollektive Praktiken begriffen werden. Die Beschäftigung mit der Unmittelbarkeit früherer Zeiten und Leben wird in diesem Projekt zu einer Forschungsstrategie, die untersucht, wie hegemoniale KI die Vergangenheit artikuliert, und die These aufstellt, dass hier im Hinblick auf gesellschaftliche Normen, kulturelle Spaltungen sowie race- und gender-bezogene Ausbeutungen eher eine Wiederkehr vergangener Herrschaftsverhältnisse denn ein radikaler Bruch zu konstatieren ist. Demgegenüber führt die unauflösliche Verschränkung von Körpern und Technologien dazu, die verschiedenen Geschichten von Lust und Leid, von Ausbeutung und Zukunftsvision anzuerkennen und zu würdigen. „Der Mutterleib ist die ursprüngliche Technologie“, lautet ein Satz der Künstlerin Tabita Rezaire, in dem sich Kritik und Utopie zu gleichen Teilen offenbaren. Er zeigt, dass Körper die Kraft und Produktivität besitzen, um generative Welten hervorzubringen. Auch wenn diese Kraft stets im Sinne kapitalistischer Gewinne kanalisiert und gegen ihre Quelle gerichtet wird, sollte das Potenzial, das solchen kollektiven Verkörperungen innewohnt, nicht übersehen werden. In welcher Weise lebt ein Teil von Henrietta Lacks bis heute fort, auf der „Suche nach einem Jetzt, das eine Zukunft hervorbringen könnte“, um es mit den Worten von Audre Lorde zu sagen? Wie kann sie überhaupt lebendig sein, wenn doch Lordes Diktum im weiteren Verlauf ihrer Litanei für das Überleben lautet: „Wir waren nie bestimmt zu überleben“? AI: Ancestral Immediacies kehrt zu den Wurzeln zurück, zu den Ahn*innen und Vorfahr*innen technologischer Objekte und Systeme, um ihre Lehren für die Gegenwart unmittelbar werden zu lassen. Das Programm befasst sich mit Möglichkeiten der Vorhersage und Zukunftsbildung anhand missachteter, kaum beleuchteter Vergangenheiten und Gegenwarten. Welche Techniken der Prophezeiung und Vorausschau führen in welche Zukünfte? Inwiefern sind rituelle Praktiken Technologien der Wissensproduktion? Und wie werden die vielfältigen althergebrachten und spirituellen Vermittlungen vergangener Zukünfte von technokratischen Visionen verhindert, ausgebeutet und zerstört? Almost Blind. Chile 1973/2023 11. September 2023 Am 11. September 2023 veranstaltet das HKW einen multidisziplinären Tag des Gedenkens an den Staatsstreich von 1973 in Chile. Im Mittelpunkt steht eine Untersuchung der Rolle, die kulturelle Erinnerung und postmemory, das Fortwirken des Geschehens in den nachfolgenden Generationen, fünfzig Jahre nach diesem soziopolitischen und wirtschaftlichen Bruch für die Versöhnung, Transformation und Wiederherstellung Chiles spielt. Almost Blind. Chile 1973/2023 greift die Metapher einer fast blinden Gestalt auf, die in Gabriela Mistrals posthum veröffentlichten 4/25
Gedichtband Poema de Chile (1967) die Landschaften durchstreift. Gleichzeitig verweist der Titel auf die Ereignisse rund um den sozialen Aufstand im Land von 2019/20. Die gezielte Verletzung der Augen junger Demonstrant*innen wurde hier zum vorherrschenden Mittel der Repression. Ausgehend vom Ansatz der postmemory untersucht Almost Blind den traumatischen Putsch von 1973 und seine Nachbeben in heutigen Kämpfen. Die Auswirkungen der Ereignisse von 1973 auf die sozialen Kämpfe der Gegenwart und die gespenstische Anwesenheit der Diktatur im neoliberalen Chile der letzten Jahre bilden den Ausgangspunkt für einen Dialog über die Verpflichtung, nicht zu vergessen. Indem es unterschiedliche Generationen und Exil-Communitys miteinander ins Gespräch bringt und verschiedene Ansätze von Wissenstransfer und Erinnerungspolitik aufgreift, ermöglicht Almost Blind eine vielstimmige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und möglichen Zukünften. Als hätten wir die Sonne verscharrt im Meer der Geschichten Fragmente zu einer Geopoetik Nordeurasiens Ausstellung, Publikation Oktober 2023–Januar 2024 Als hätten wir die Sonne verscharrt im Meer der Geschichten – gleichermaßen Ausstellung und Forschungsprojekt – webt einen unendlichen Stoff aus Erzählungen von Künstler*innen, Kurator*innen, Schriftsteller*innen und Kenner*innen traditioneller Kulturpraktiken aus der riesigen Landmasse des nördlichen Eurasiens. Das Projekt spürt den vielen Welten nach, die dort neben- und miteinander existierten, häufig trotz oder entgegen der repressiven monolithischen Vorstellungen der wechselnden Regime – vom Russischen Kaiserreich, über die UdSSR bis zum zeitgenössischen Russland –, die weite Teile Osteuropas sowie Zentral- und Nordasiens kontrollierten. Die Beiträge entspringen vielfältigen Biografien und Räumen, die sich in ihrer schieren Fülle überschneiden und gegenseitig bereichern. Aus diesem gemeinsamen Engagement erwachsen neue kulturelle und politische Bezugsrahmen für eine Region, die noch immer von der infrastrukturellen Wirklichkeit der ‚Russischen Breitspur‘ geprägt ist. Mit einer Spurweite von 1520 mm durchqueren diese Bahnschienen das Territorium von mehr als einem Dutzend Ländern, die im Staatsgebiet oder in der Einflusssphäre des Russischen Kaiserreichs, und später der Sowjetunion, lagen. Angesichts dieses geografischen Bezugs erscheint der Projekttitel ein wenig exzentrisch: Seine Inspirationsquelle ist das Gedicht „The Blesséd Word: A Prologue on Kashmir“ des kaschmirischen Autors Agha Shahid Ali, das er 1990 seiner von Gewalt gezeichneten Heimat widmete. Geschrieben zu einer Zeit, als die UdSSR in Auflösung begriffen war, setzt der Text mit einem Zitat des polnisch-jüdisch- sowjetischen Dichters Ossip Mandelstam ein. Der Titel der Ausstellung ist eine Verschmelzung von Versen aus Alis und Mandelstams Gedichten. Alis Worte, die der Tragödie seines Volkes und der Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat Ausdruck verleihen, erinnern an einen weiteren Verlust in einer anderen Zeit und einem anderen Land (akzentuiert durch einen weiteren Verrat an revolutionären Idealen) in Mandelstams Gedicht, das im stalinistischen Russland geschrieben wurde. Ali besingt sein Land, beschwört dessen Name in achtzehn verschiedenen phonetischen und grafischen Varianten. Die Ausstellung steht unter dem Zeichen dieser Rhythmisierung von Zeiten und Orten sowie der Vielstimmigkeit von Bedeutungen – besonders in Zeiten der erneuten imperialen Aggression Russlands. 5/25
Von einer Welt vieler Namen hin zu vielen Welten, die in jenem einen – unlängst noch post-sowjetisch genannten – Raum unter einer einzigen verborgen waren, zeigt Als hätten wir die Sonne verscharrt im Meer der Geschichten Fragmente einer neuen Geopoetik – befreit von offiziellen Versionen der territorialen Kontrolle und der mechanischen Replikation vorgefertigter Haltungen. Sie lädt ein zu Prozessen der kollektiven Erinnerung, zur Wiederbelebung von Kosmologien und verschwundenen Wissensbeständen, zur Betrachtung der Netzwerke all jener, die sich über imperial gezogene Grenzen hinwegsetzen, zur Formierung von kollektivem Widerstand und schließlich zu einer Vorstellung von Zukünften, die gelebt, überlebtt und genossen werden können. Dieses Projekt wurde konzipiert in Zusammenarbeit mit dem Kurator Iaroslav Volovod, der die Kolonialgeschichte des Russischen Kaiserreichs und der UdSSR erforscht; den Künstlern und Kuratoren Nikolay Karabinovych und Saodat Ismailova; und dem Historiker Kimberly St. Julian-Varnon, dessen Forschungen sich auf die ehemalige sowjetische Einflusssphäre konzentrieren. Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds Destination: Tashkent Erfahrungen des cineastischen Internationalismus Screenings mit Live-Kommentierung, diskursives Programm mit Keynote-Lectures, Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden 2024 Destination: Tashkent ist ein Filmfestival, das 2024 im HKW und an weiteren Orte in Berlin stattfindet. Ausgangspunkte sind Konzept und Geschichte des Tashkent Festival for Asian, African and Latin American Cinema, das von 1968 bis 1988 in Usbekistan stattfand. An der ersten Ausgabe waren über 240 Filmschaffende, Schauspieler*innen, Kritiker*innen und Politiker*innen aus 49 asiatischen und afrikanischen Ländern beteiligt; insgesamt wurden 115 Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt. Von 1976 an nahmen auch Filmschaffende aus Lateinamerika teil. Die Heimatländer vieler Beteiligter hatten strategische Bündnisse mit der Sowjetunion gegen Kolonialismus, Kapitalismus und westlichen Imperialismus geschlossen, doch ihre Rolle in Taschkent beschränkte sich keineswegs auf die der nationalen Repräsentanz. Das Kino der sogenannten Dritten Welt wurde aktiv einbezogen, und so entstand ein Raum zum direkten Süd-Süd-Austausch, auch zwischen solchen Ländern, die blockfrei oder sowjet-kritisch eingestellt waren. Ausschlaggebend hierfür waren die zahlreichen Diskussionsrunden, die fester Bestandteil des Festivals waren. Das facettenreiche Programm des Tashkent Festival, in dem sowohl populäre Spielfilme als auch aktivistische Dokumentationen ihren Platz hatten, richtete sich an ein breitgefächertes Publikum. Ein umfassendes Übersetzungsprogramm sorgte außerdem dafür, dass auch Einheimische das Programm genießen konnten. In einem derart multilingualen Umfeld stellte die Übersetzungsarbeit eine besondere Herausforderung dar, denn nur wenige Filme waren untertitelt. Das Organisationsteam beschloss daher, Live-Übersetzungen ins Russische (über Lautsprecher), ins Englische, Französische und später auch Spanische und Arabische (über Kopfhörer) anzubieten. Wie die Historikerin Elena Razlogova beschreibt, haben die Übersetzer*innen in Taschkent die Filme buchstäblich neu bestimmt, indem sie eine Live-Performance über die originale Tonspur legten. Jede*r einzelne Besucher*in erhielt eine Simultanübersetzung; wer keine der offiziellen Festivalsprachen verstand, wurde von Dolmetscher*innen begleitet, die Bengali, Khmer, Wolof oder andere 6/25
Sprachen im Repertoire hatten. So gesehen bildeten Übersetzung und mündliche Kommentierung das Herzstück des Festivals. Viele Filme, die in Taschkent uraufgeführt wurden, fanden anschließend ihren Weg in die Kinos der damaligen Sowjetunion und ihrer zentralasiatischen Sowjetrepubliken, deren Publikum sich sowohl für große Produktionen aus Indien oder Ägypten als auch für politische Filme aus Indonesien oder Kuba begeisterte. Bis zu seiner letzten Ausgabe im Jahr 1988 war das Tashkent Festival eines der wichtigsten Destinationen für Filmschaffende aus den Ländern des Südens, die dort nicht nur ihre Arbeiten präsentieren konnten, sondern auch einen diskursiven Raum zum langfristigen, solidarischen Austausch vorfanden. Das Festival wurde zu einem Ort des gelebten cineastischen Internationalismus und zu einer Kontaktzone, nicht zuletzt durch seine Lage in einer Stadt, die sich schließlich mit ihrer eigenen (semi-)kolonialen Gegenwart innerhalb der Sowjetunion auseinandersetzen musste. Nachdem es lange im Schatten des Kalten Krieges und seiner Verwerfungen stand, hat Berlin sich heute zu einem wichtigen Zentrum der afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Diaspora entwickelt und kann vor dem Hintergrund seines besonderen historischen Kontextes für sich in Anspruch nehmen, ein neuer Treffpunkt für Süd-Süd-Kooperationen nach dem Vorbild des Tashkent Festivals zu sein. 2024 lebt der Geist des Festivals an den Spielstätten HKW, Sinema Transtopia und SAVVY Contemporary wieder auf. Neben historischen Produktionen, die die Vielfalt des ursprünglichen Programms widerspiegeln, zeigt Destination: Tashkent auch aktuelle Filme, die die Möglichkeiten und die Zukunft künstlerischer Zusammenarbeit zwischen Süd und Süd ausloten. Einige Vorführungen werden von einem Live-Kommentar begleitet. Das Diskursprogramm geht den Spuren nach, die das Tashkent Festival in heutigen Filmfestivals, Filmproduktionen und Distributionsnetzwerken hinterlassen hat. Echos der Bruderländer Was ist der Preis der Erinnerung und wie hoch sind die Kosten der Amnesie? Oder: Visionen und Illusionen antiimperialistischer Solidarität Workshops, Performances, Filmvorführungen, Podcasts, Erzählungen, Publikationen, Ausstellungen Sommer 2023–Sommer 2024 Echos der Bruderländer ist ein auf drei Jahre angelegtes multidisziplinäres Projekt, das die komplexen Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und ihren sogenannten Bruderländern künstlerisch erforscht. Es umfasst Ausstellungen, Performances, Workshops, Filmvorführungen, Erzählungen, Podcasts und Publikationen. Ein besonderer Fokus liegt auf Kuba, Ghana, Mosambik und Vietnam. Unter allen Bruderländern hatten sie den größten Anteil exportierter Arbeitskräfte und sie teilen eine schmerzhafte Geschichte der Abschiebungen nach der Wiedervereinigung, verbunden mit einer fehlenden finanziellen Entschädigung für die Arbeitsleistung ihrer Bürger*innen. Dies sind auch die Länder, deren mit der DDR „geteilte Bürger*innen“ prominente und sichtbare Opfer von Rassismus und Ablehnung im wiedervereinigten Deutschland wurden. Doch wie viel wussten gewöhnliche DDR-Bürger*innen damals von deren Geschichte? Und wie viel weiß das Deutschland nach 1989 von ihnen? 7/25
Das Projekt macht sozio-politische Verhältnisse und psychologische Traumata vor und nach 1989 sichtbar. Es untersucht, wie die Bruderländer-Politik bis heute als eine Triebfeder von Rassismus und Fremdenhass nachwirkt. Solche gesellschaftspolitischen Zusammenhänge zu beleuchten und aufzuzeigen, wie sie die Demografie, Kultur, Wirtschaft und Politik Deutschlands weiterhin prägen, ist von zentraler Bedeutung. Möglich ist dies nur, wenn wir akzeptieren, dass Geschichte nicht vergangen ist, sondern sich kontinuierlich fortschreibt – und dass Pädagogik und politische Bildung für die Gestaltung gesellschaftlicher Gegenwart und Zukunft eine herausragende Rolle spielen. Durch die Untersuchung von tiefenstrukturellen Beziehungen und Bruchstellen verlorener Hierarchien will Echos der Bruderländer den Preis ermitteln, den eine Gesellschaft für die Auslöschung von Erinnerung und Identitäten zahlt. Zeitzeug*innen aus der DDR und aus den Bruderländern Kuba, Ghana, Mosambik und Vietnam sowie bildende Künstler*innen, Architekt*innen, Musiker*innen, Historiker*innen, Sozialwissenschaftler*innen, Ökonom*innen und Politiker*innen sind eingeladen, mündlich tradierte Geschichten und Berichte beizutragen, die in kein Raster passen müssen, um so die Voraussetzungen zu schaffen für einen substanziellen Austausch, für gegenseitiges Verständnis und die Gelegenheit, voneinander zu lernen. Diese Darstellungen verfolgen das Ziel, eine antirassistische politische Bildung zu fördern und zu stärken, ohne dabei in pädagogisch bevormundender Weise eine vorgefasste politische Meinung durchzusetzen. In seiner Herangehensweise legt das Projekt Wert auf einen offenen Prozess und Zugänglichkeit: Es erschließt wichtige historische Forschungen aus wissenschaftlichen und archivalischen Kontexten sowie mündliche Überlieferungen, Kunstwerke, kartografische Deutungen, Neuübersetzungen, Filme, musikalische Kompositionen und Radioaufnahmen in mehreren Sprachen für die Öffentlichkeit. Multidisziplinarität und Teilhabe bilden den Kern des Ansatzes, der das „Echo“ im Titel laut und deutlich widerhallen lässt; die Projektbeteiligten und das Publikum werden es auf vielfältige Weise weitertragen und verstärken. Eine Publikationsreihe, die sich der Gattung des Comics bedient, begleitet das Projekt und leistet eine Visualisierung und Kontextualisierung im Sinne seiner pädagogischen Ziele. Gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung // Gefördert im Fonds TURN2 der Kulturstiftung des Bundes Kooperationspartner*innen: Heritage Space, Vietnam Hanoi Ad Hoc, Vietnam Foundation for Contemporary Art – Ghana Savannah Centre for Contemporary Art Tamale, Ghana Mbenga – Artes & Reflexões, Mozambique Ríos Intermitentes, Kuba Aus Liebe zur Freiheit? Franklin be- und entgegnen Installation Juni 2023–2027 Mit Beiträgen von u.a.: Hinemoana Baker, Ken Bugul, Omri Boehm, Ntone Edjabe, Françoise Vergès Das Gebäude, in dem sich das HKW befindet, ist eine Architekturikone der westlichen Nachkriegsmoderne; als politisches 8/25
Symbol hat sich seine Geschichte auf vielfältige Weise in die Mauern und Wände eingeschrieben. Diese Ideologisierung zeigt sich nicht bloß darin, dass die Kongresshalle, errichtet als US-Beitrag zur Interbau 1957, der Stadt Westberlin im Kontext des Kalten Krieges von den USA als Geschenk übergeben wurde, sondern auch in ihrer Architektur sowie – ganz konkret – in einer Wandinschrift, welche die Besucher*innen im Hauptfoyer empfängt. In eine Marmorwand eingraviert steht dort auf Englisch und Deutsch: Gebe Gott, dass nicht nur die Liebe zur Freiheit, sondern auch ein tiefes Bewusstsein von den Rechten der Menschen alle Völker der Erde durchdringe, so dass ein Philosoph, wohin immer er seinen Fuss auch setzen möge, sagen kann: ‚Dies ist mein Vaterland‘ Benjamin Franklin Diesen Idealen und dem Manne, der sie ausgesprochen und nach ihnen gelebt hat, ist diese Kongresshalle gewidmet Im Mai 1955 wurde unter der Führung von Eleanor Dulles, der Berlin-Beauftragten des US-Außenministeriums, eine gemeinnützige Stiftung gegründet, um den Bau zu finanzieren. Bei der Entwicklung des architektonischen Konzepts lag ein besonderer Schwerpunkt auf dem symbolischen Charakter des Gebäudes als Forum für den freien Austausch von Ideen. Dulles sah das Gebäude in West-Berlin – nur wenige hundert Meter vom sowjetischen Sektor entfernt – als „einen Leuchtturm, der nach Osten hin strahlt“. Benjamin Franklin (1706– 1790), einer der Gründungsväter der USA, der Menschen versklavte und vom Handel mit ihnen profitierte, wird hier als Verkörperung des Ideals der intellektuellen Freiheit präsentiert. Zum Namenspatron der Stiftung wurde er gewählt, weil die Grundsteinlegung der Kongresshalle mit seinem 250. Geburtstag zusammenfiel. Das Franklin-Zitat diente als Erinnerung an die Mission des Gebäudes, seinen Zweck und seine ideologische Symbolik. 1989 wurde die Kongresshalle umbenannt und als Haus der Kulturen der Welt neu eröffnet. Bei der historischen Würdigung des Hauses und seiner Umwidmung blieben allerdings wesentliche Aspekte von Imperialismus und Kolonialismus weitgehend unberücksichtigt. Als die Kongresshalle errichtet wurde, gab es weltweit nur rund 100 souveräne Staaten; die überwältigende Mehrheit der weiteren 95 Länder, die es heute gibt – einschließlich Kamerun, Geburtsland des derzeitigen Intendanten des Hauses, Prof. Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung –, mussten erst noch ihre territoriale und politische Souveränität von verschiedenen europäischen Kolonialmächten zurückerobern. Zugleich hatten die USA erfolgreich ihre imperiale Expansion und – von der Verfassung nicht abgedeckte – Kontrolle über Amerikanisch-Samoa, Guam, das Commonwealth der Nördlichen Marianen, Puerto Rico sowie die Amerikanischen Jungferninseln als ein System der „Überseeterritorien“ beziehungsweise „Außengebiete“ gefestigt; zudem unterhielten sie über alle Kontinente verteilt Hunderte von Militärstützpunkten. Im Kontext des US-Imperialismus – regelmäßig durch Verweise auf die „Liebe zur Freiheit“ und die „Rechte des Menschen/Mannes“ legitimiert – hatte Franklins unterschwellig formulierter Zugriffsanspruch auf die Geografien der Welt weitreichende Implikationen. Die Schlüsselrollen, die Eleanor Dulles und ihre Brüder in der US-Regierung mit ihrer aggressiven Außenpolitik während der Hochphase des Kalten Krieges spielten, veranschaulichen diese Tradition sehr deutlich. Im Namen der „Verteidigung der Freiheit“ formulierte John Foster Dulles (US- Außenminister 1953–1959; nach ihm ist die Straße vor dem HKW benannt) 1954 die Strategie der „massiven Vergeltung“ zur nuklearen 9/25
Abschreckung und bestärkte die Umsetzung enormer, unverhältnismäßiger militärischer Maßnahmen als Reaktion auf jedwede Angriffe; Allen Dulles wiederum leitete als CIA-Chef (1953– 1961) verdeckte Operationen zum Umsturz der Regierungen im Iran und in Guatemala. Das HKW möchte die Begrenztheit von Franklins Zitat und die ihm inhärente gewaltvolle, imperiale Vision aufzeigen sowie die paradigmatischen Implikationen der beinahe beiläufigen Bezugnahme auf das koloniale Drehbuch im Namen universalistischer Werte infrage stellen. Das HKW erkennt die Notwendigkeit anderer Perspektiven, um sich mit der Monumentalität, Dauerhaftigkeit und ideologischen Belastung des Zitats auseinanderzusetzen und eine kritische Diskussion zu Franklins Autorität über das Gebäude und die darin befindlichen Institutionen zu führen. Dafür lädt das Haus mehr als ein Dutzend bedeutende Persönlichkeiten aus diversen Disziplinen und Geografien ein, ihre eigenen Zitate in Reaktion auf die Aussage Franklins beizutragen. Sie werden in Form einer längerfristigen, von Studio Yukiko entworfenen Installation rund um das Franklin-Zitat im HKW-Foyer gezeigt. Internationaler Literaturpreis 2023 – Preis für übersetzte Gegenwartsliteraturen Preisverleihung 9. September 2023 Zum fünfzehnten Mal verleihen das Haus der Kulturen der Welt und die Stiftung Elementarteilchen den Internationalen Literaturpreis. Dotiert mit 35.000 Euro – 20.000 Euro für Autor*in, 15.000 Euro für Übersetzer*in – zeichnet er ein herausragendes Werk der internationalen Gegenwartsliteratur in deutscher Erstübersetzung aus. Er würdigt in dieser Allianz sowohl Originalwerk als auch Übersetzung. Dieser doppelte Fokus macht ihn in der deutschen Preislandschaft einzigartig. Aufbauend auf dem bestehenden Erbe des Preises, das Verständnis für heterogene Formen des Geschichtenerzählens zu erweitern, können in diesem Jahr auch deutsche Erstübersetzungen internationaler Lyrik eingereicht werden. Verlage, die internationale Literatur in deutscher Übersetzung publizieren, können bis zu drei Titel vorschlagen. Aus allen Einreichungen ermittelt eine unabhängige Jury zunächst eine Shortlist aus sechs Titeln und in einem zweiten Schritt das Preisduo aus Autor*in und Übersetzer*in. Die Auszeichnung wird am 9. September 2023 im Rahmen eines literarischen Festes auf der Dachterrasse des HKW verliehen. Gefördert durch die Stiftung Elementarteilchen Middle Ground Interaktionen, Transaktionen, Wechselwirkungen Lesungen, Gespräche, Workshops, Vorträge, Performances, Konzerte, Party 24.–27. August 2023 Die Reihe Middle Ground widmet sich Literaturfestivals aus der ganzen Welt, um die globale Vielfalt schriftlicher wie mündlicher literarischer Praktiken und Netzwerke zu erkunden. Jedes Jahr wird ein anderes Festival ins HKW eingeladen. Der Titel ist inspiriert von Überlegungen des nigerianischen Schriftstellers Chinua Achebe zum „Middle Ground“ – dem gemeinsamen Grund, dem Dazwischen – als 10/25
einer Position, die sich „einer Zukunft, auf die wir zusteuern, und einer Vergangenheit, die uns Rückhalt bietet“, bewusst ist. Sie ist „Heimat von Zweifel und Unschlüssigkeit, des vorbehaltlosen Eintauchens in die Fiktion, der Träumereien, des Spielwitzes, des Unvorhergesehenen, der Ironie.“ Middle Ground setzt bei etablierten Festivalkonzepten an und lässt sie doch hinter sich. Es feiert die Poetiken der Vielheit als Grundlage verschiedenster Epistemologien der Literaturproduktion, indem es die Geografien der Entstehung und Verbreitung von Wissen erweitert. In Poétique de la Relation (1990) schreibt Édouard Glissant: „Die Kulturen der Welt unterhielten schon immer mehr oder weniger enge oder aktive Beziehungen; doch erst in der Moderne wirkte eine Reihe ausschlaggebender Bedingungen zusammen, die im Wesen dieser Verbindungen eine enorme Dynamik auslöste.“ Glissants und Achebes Worte geben den ethischen Betrachtungen rund um die Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd einen wichtigen Rahmen. Auf Grundlage eines vertieften Verständnisses für die historischen und soziokulturellen Zusammenhänge solcher Kooperationen entwickelt Middle Ground Paradigmen für einen Austausch, von dem alle Beteiligten profitieren. Als Teil eines größeren Unterfangens, das über den physischen Ort des HKW hinauswächst und sich in die Möglichkeiten einer grenzenlosen Welt hineindenkt, erforschen die hybriden Formen der zu Middle Ground eingeladenen Festivals die Dynamik solcher Zusammenkünfte: Interaktion, Transaktion, Wechselwirkung – eine Dynamik, die den kaleidoskopischen Charakter literarischer Praktiken über Geografien, Kulturen und Sprachen hinweg in den Fokus rückt. Den nach Berlin eingeladenen Festivals bietet sich die Gelegenheit, in Vorträgen, Seminaren, Lesungen und Performances mit Autor*innen in Deutschland – einschließlich jener aus hiesigen transnationalen und diasporischen Communitys – in Kontakt zu treten. Erstes Gastfestival bei Middle Ground ist PREE: Caribbean. Writing. aus Jamaika. 2018 von der Autorin und Redakteurin Annie Paul als Literaturfestival und Onlineplattform gegründet, erforscht PREE das karibische Schreiben und kartiert die literarischen Landschaften und Praktiken verschiedener Länder. „Die Karibik befand sich stets an einer Art Scheideweg“, schreibt Paul in der Auftaktausgabe der gleichnamigen Literaturzeitschrift. PREE will das karibische Schreiben (ver)stärken und den Diskurs mitgestalten. Das Festival interessiert sich für zeitgenössische Texte von etablierten wie noch unbekannten Stimmen in der Karibik und stellt sie der Öffentlichkeit vor. Das macht PREE zum idealen Partner, um Geografien des Wissens zu erkunden und zu erweitern. Von PREE veröffentlichte Autor*innen und Theoretiker*innen befassen sich unter anderem mit Kunst und Politik, Rassifizierung und Geschlecht, Technologie und Macht. Im Rahmen von Middle Ground nehmen von PREE ausgewählte Autor*innen an Performances, Lesungen, Vorträgen und Podien teil und geben Seminare für Schriftsteller*innen. In Zusammenarbeit mit PREE: Caribbean. Writing. 11/25
O Quilombismo Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien Gruppenausstellung, Forschungsprojekt, Workshops, Performances 2. Juni–27. August 2023 Beitragende Künstler*innen (Auswahl): Laeïla Adjovi; Amina Agueznay; Ana Beatriz Almeida, Archive Ensemble; Barby Asante; Mago Aristote; Leo Asemota; Maria Auxiliadora; Carol Barreto; Farid Belkahia; Maria Magdalena Campos-Pons; Ange Dakouo; Diana Ejaita; Adama Delphine Fawundu; Tanka Fonta; Gwladys Gambie; Vanessa German; Assaf Gruber; Antonio Jose Guzmán / Iva Jankovic; Hermosa Intervención; Lisa Hilli; Nikau Hindin; Hayv Kahraman; Grada Kilomba; Jiun-Yang Li; Ibrahim Mahama; Masimba Hwati; Georgina Maxim; Tuli Mekondjo; Marie Claire Messouma; Oscar Murillo; Nontsikelelo Mutiti; Abdias do Nascimento; Eustáquio Neves; Lizette Nin; Olu Oguibe; Temitayo Ogunbuyi; Owusu-Ankomah; Bernardo Oyarzún; Moisés Patrício; Anand Patwardhan; Zica Pires; Alberto Pitta; Joshua Serafin; Taller Portobelo; Jasmine Thomas- Girvan; Trương Công Tùng; Glicéria Tupinambá; Rubem Valentim; Charmaine Watkiss; Hajra Waheed; Sawangwongse Yawnghwe; Bruno Zhu O Quilombismo: Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien – Forschungsprojekt, Ausstellung, Workshops und Performancesreihe – lädt Künstler*innen, Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Menschen aus anderen Lebensbereichen dazu ein, auf der Basis verschiedener emanzipatorischer Initiativen in Vergangenheit und Gegenwart neue Formen des kulturellen und politischen Widerstands zu entwerfen. Die Ausstellung speist sich aus vielen Stimmen: aus den quilombos (in Brasilien), cumbes (in Venezuela), palenques (in Kuba und Kolumbien), cimarrones (in Mexiko) und maroons (in Jamaica und den USA) sowie aus weiteren emanzipatorischen Räumen auf der ganzen Welt. Unabhängig von der Größe dieser Räume haben Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen, Geschichtenerzähler*innen und andere kreative Akteur*innen die kulturellen, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufgaben der Befreiung und (Selbst-)Bestätigung in Bilder gefasst und in die Tat umgesetzt. Die Ausstellung bezieht sich auf quilombos als Metapher, befasst sich aber auch mit den intellektuellen und politischen Wirkungen einer Philosophie und Ideologie, die auf den quilombos beruht. Sie kartiert die sozialen Räume, die diese Orte ermöglicht haben – ob in früheren Zeiten, in geteilten Vorstellungswelten oder in unseren multiplen zeitgenössischen Existenzweisen. Ausgangspunkt des Projekts ist die Philosophie des quilombismo , wie sie vom brasilianischen Künstler, Schriftsteller und Politiker Abdias do Nascimento (1914–2011) entwickelt wurde. Er definierte die quilombos – Siedlungen, die von befreiten, der Versklavung entflohenen Menschen gegründet wurden – als Gesellschaften der „brüderlichen und freien Wiedervereinigung; der Solidarität, des Zusammenlebens und der existenziellen Gemeinschaft“. Die Tradition des quilombistischen Widerstands zieht sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts durch die Amerikas, als versklavte afrikanische Gruppen sich der europäischen Kolonisierung und Unterdrückung verweigerten und neue Formen der Staatlichkeit und Organisierung schufen. Zentral für die Ausstellung ist eine „Suche nach einem freien Raum, von wo aus die fortwährende Revolte gegen die kulturelle Kolonisierung zu führen ist“, um die Worte der Schriftstellerin und 12/25
Philosophin Sylvia Wynter zu gebrauchen. Es handelt sich um einen Raum, der die Bühne bereitet für eine quilombistische, demokratische, egalitäre Erfahrung, die Rassifizierung, Klasse, Geschlecht, Religion, Politik, Gerechtigkeit, Bildung, Kultur – und alle weiteren Ausdrucksformen des Lebens in Gesellschaft – sowie unterschiedliche Ebenen der Macht in öffentlichen und privaten Institutionen berücksichtigt. O Quilombismo verkörpert einen anti-imperialistischen Kampf, der sich an verschiedenen Strömungen der panafrikanischen Bewegung orientiert und für eine radikale Solidarität mit allen Menschen einsteht, die weltweit gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Armut sowie gegen rassistisch, sexistisch, religiös oder ideologisch motivierte Ungleichheit kämpfen. Als Suche nach und als Erfahrung von Befreiung vom Kolonialismus sowie als eine solidarische Praxis mit dem Ziel wechselseitiger Emanzipation ist das quilombistische Projekt nicht von den fortwährenden Befreiungskämpfen Indigener Gesellschaften auf der ganzen Welt zu trennen. Im HKW, einem Haus, das eine Kultur der Konvivialität und Gastfreundschaft pflegt, lebt und verbreitet, wird Quilombismo als eine Philosophie des Widerstands, der Beharrlichkeit und der Befreiung durch kollektives Handeln und Freude verstanden. Das setzt den Ton für ein Programm, das – getragen von Ansätzen, die bezaubern, beflügeln, begeistern – eine enthusiastische Atmosphäre schafft, geleitet von ethischen und egalitären Werten. Zonen der Auseinandersetzung steht die Möglichkeit gegenüber, sich zurückzuziehen, zu regenerieren, andere Strategien zu entwickeln und so die nötige Energie zu sammeln, um andere Zukunftsentwürfe zu skizzieren. Das Projekt nimmt den eigenen Anspruch ernst, dass von den Quilombos und ähnlichen Orten viel zu lernen ist. So beharrt es darauf, dass Räume der Freiheit – und die Freiheit selbst – kontinuierlich gepflegt, neu geschaffen und konzipiert werden müssen. Ausstellung, Performances, Filmvorführungen, Konzerte, Storytelling-Begegnungen, Kochsessions, Vorträge sowie Forschungs- und Vermittlungsprogramme sind Praktiken, die das quilombistische Erbe der Solidarität und des Kampfes als lebendige Kultur weitertragen. Das Projekt in und ums HKW-Gebäude bietet ein pluriversales und generationenübergreifendes Programm jenseits des Kanons der kolonialen Moderne. Es nährt sich aus Genealogien der Widerstandsbewegungen und aus künstlerischen Strategien der Selbstvergegenwärtigung, aus politischen Revolten, Widerstandsbewegungen und Befreiungskämpfen – und bildet so neue kulturelle Formen und ästhetische Paradigmen von Neugestaltung und Rückgewinnung, sowie des Queerings als Emanzipation. O Quilombismo schlägt einen neuen Ton an, um Verbindungen und Bezüge herzustellen, die in den kommenden Jahren weitergeführt werden: Als Sommerschule bietet die Escola de Quilombismo ab 2023 einen alljährlichen Raum, um sich wiederzutreffen, Anregungen auszutauschen und gemeinsam zu feiern. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. In Zusammenarbeit mit der Calouste Gulbenkian Foundation als Teil des Programms PARTENARIATS GULBENKIAN zur Förderung der portugiesischen und lusophonen Kunst in europäischen Kulturinstitutionen. 13/25
Shaped to the Measure of the People’s Songs Jährlich wechselnder Pavillon am HKW 2023 mit Raumlabor Berlin 2023–2027 Die Methodik des Bauens als solche können wir durchaus nutzen, aber wir müssen ihr die Detailverliebtheit nehmen und uns von den Bildern in unseren Köpfen lösen, in denen Häuser auftauchen, die so wunderbar unsere persönlichen Wünsche erfüllt haben. Wir müssen von vorn anfangen und unsere neuen Häuser aus dem Alltag jener Menschen entwickeln, die in ihnen wohnen werden. Wir müssen die Häuser im Takt der Lieder des Volkes gestalten, das Muster eines Dorfes entwerfen, als wäre es das Produkt eines dortigen Webstuhls – achtsam gegenüber den Bäumen und dem Getreide, die dort gedeihen sollen, respektvoll vor den Umrissen am Himmel und in Demut vor den Jahreszeiten. Weder erfundene Tradition noch gefälschte Moderne darf es sein, sondern eine Architektur, die der sichtbare und dauerhafte Ausdruck einer Gemeinschaft ist. Das bedeutet jedoch nicht weniger als eine völlig neue Architektur. —Hassan Fathy, Architecture for the Poor: An Experiment in Rural Egypt (1969) Das HKW präsentiert eine neue Reihe mit jährlich wechselnden temporären Pavillons. Mit dieser architektonischen und programmatischen Erweiterung des Hauses entsteht ein experimenteller Begegnungsraum an der Schnittstelle zwischen der historischen Kongresshalle, dem Biotop des Tiergartens und dem urbanen wie politischen Gewebe der Stadt. Die Krisen rund um Klima, Wohnraummangel und exkludierende städtische Infrastrukturen unterstreichen die Notwendigkeit, räumliche Fragen praktisch anzugehen, um eine Vision kollektiver Lebensweisen zu entwickeln. Das Pavillon-Projekt greift diesen Impuls einer kritischen Untersuchung des Raums und seiner materiellen wie immateriellen Implikationen auf. Jedes Jahr übersetzt ein neuer Pavillon die komplexe Frage des Zusammenlebens in einen räumlich-materiellen Lösungsvorschlag. Als öffentlich zugänglicher, barrierearmer und offener Ort ermöglicht der Pavillon Dialog und Engagement außerhalb des eigentlichen HKW-Gebäudes und bietet Besucher*innen wie Spaziergänger*innen die Gelegenheit, sich rund um das Programmangebot und außerhalb davon ohne formellen Rahmen zu begegnen. Durch seinen nahezu privaten Charakter ermöglicht der Pavillon einen engen Kontakt zwischen Mensch, Material und Architektur. Als Intervention unter freiem Himmel stellt er zudem eine Verbindung zu vergangenen und gegenwärtigen Aktivitäten, Gemeinschaften und Ökologien im Tiergarten und seiner Umgebung her. Der Eröffnungspavillon wird von Raumlabor Berlin entworfen und gebaut. In den letzten 20 Jahren hat das Architekturkollektiv zahlreiche experimentelle urbane Interventionen auf der Grundlage einer kollaborativen, forschungsbasierten Gestaltung entwickelt, nicht zuletzt am HKW. Der diesjährige Pavillon beruht auf Buckminster Fullers Dymaxion Map – einer erstmals 1943 entwickelten, experimentellen Bildprojektion: Eine Weltkarte wird auf eine Fläche projiziert, die aus vielen Einzelflächen eines Polyeders besteht; ihre Geografie wird in einer erweiterten und vernetzten Matrix aus dreieckigen Formen dargestellt. Diese visuelle Übung sperrt sich gegen eine Lesart des Planeten als Cluster getrennter, eigenständiger Einheiten und beharrt auf der Untrennbarkeit unserer globalen Geografien, die Kommunikation, 14/25
Fürsorge und Problemlösungen durch planetare Zusammenarbeit erfordern. Nach dieser Eröffnung wird die Reihe alljährlich mit einer offenen Ausschreibung an Künstler*innen, Architekt*innen und andere Praktiker*innen fortgesetzt, die mit je eigenen Ansätzen auf die ortsspezifischen Belange der natürlichen wie gebauten Umwelt antworten können. Was sind heute und künftig die relevanten Formen, Materialien, Größenordnungen und Maßnahmen unserer sozialen und räumlichen Beziehungen? Der Titel der Reihe Shaped to the Measure of the People’s Songs geht auf Hassan Fathys einflussreiches Buch Architecture for the Poor: An Experiment in Rural Egypt zurück, in dem der Autor die Bedeutung von Räumlichkeit, Ästhetik, Tradition und der Verortung von Architektur in spezifischen Kulturen, geschichtlichen Zusammenhängen, Gesellschaften sowie wirtschaftlichen und klimatischen Bedingungen reflektiert. Pluri-Rhythm Festival 15. Juli 2023 Nichts nimmt man leichter wahr als Rhythmus – und nichts ist weniger materiell. —Leopold Sédar Senghor Die Schlagzeugmusik ist der zeitgenössische Übergang von einer aufs Klavier bezogenen Musik zu einer Allklangmusik der Zukunft. —John Cage Polyrhythmen – Kombinationen von zwei oder mehr Rhythmen, die eine je eigene, unabhängige Folge musikalischer Ereignisse erzeugen – gehen auf Wurzeln in unterschiedlichen Kulturen weltweit zurück und sind in verschiedenen musikalischen Genres zu hören: in afro- kubanischer Musik, Jazz, Rock oder Disco, in Rap, Funk, Beatboxing und anderen Musikrichtungen. Berlins über Jahrzehnte gewachsene Szene für elektronische Musik und ihre Clubs werden heute mehr denn je durch verschiedenste Communitys aus aller Welt bereichert, die sich hier niedergelassen haben. Wenn man über Musik und Sound in Berlin nachdenkt, wären Polyrhythmen dann nicht ein idealer Ausgangspunkt, um den neben- und miteinander existierenden Klangwelten der Stadt zuzuhören, sie zu erleben und zu beschreiben? Das Pluri-Rhythm Festival holt die Diaspora-Communitys Berlins ins HKW und bietet eine Plattform für Performer*innen, Musiker*innen, DJs und Klangkünstler*innen, die weniger durch ein musikalisches Genre als durch einen polyrhythmischen Sound verbunden sind. Das Festival lädt ein breites Publikum verschiedener Altersgruppen, Gender-Identitäten, kultureller Hintergründe und Erfahrungen ein, in die diversen Klangwelten Berlins einzutauchen und sich der vielfältigen Verbindungen mit der lokalen Musikszene bewusst zu werden. Das Line-Up der ersten Festivalausgabe richtet sein Augenmerk auf die Idee einer Pluriversalität verschiedener instrumentaler Formen, musikalischer Techniken und Rhythmen ebenso wie auf den Kontakt zwischen musikalischen Traditionen und Fusionen, die Performance-Räume, Clubs, und Klangerfahrungen im gesamten Stadtraum verbinden. Ergänzt wird das Programm durch eine Podiumsdiskussion, die die Überschneidungen zwischen polyrhythmischer und elektronischer Musik thematisiert. 15/25
Sensing Worlds Epistemologien und Praktiken zwischen Süd und Süd Gespräche, Performance Lectures, Podcast, Publikation Bis ich die Freiheit habe, in zwei Sprachen zu schreiben und zwischen ihnen zu wechseln, ohne immer übersetzen zu müssen; solange ich immer Englisch oder Spanisch sprechen muss, während ich lieber Spanglish spräche; und solange ich den Englisch-Sprechenden entgegenkommen muss, anstatt sie mir; solange wird meine Zunge illegitim bleiben. —Gloria Anzaldúa, „How to Tame a Wild Tongue“ (1987) Ausgehend von Epistemologien des Südens befasst sich diese Reihe mit dem Denken von und mit Räumen und Menschen, die von Kapitalismus und Kolonialismus marginalisiert und zum Verstummen gebracht wurden – sowie jenen, die sich diesen Formen der Unterdrückung widersetzen. Dieser Süd-Süd-Austausch konzentriert sich nicht nur auf Wissensbestände, sondern auch persönliche Erfahrungen und Verhaltensweisen, um zu erkunden, wie Welten übersetzt, dem Wissen zugänglich gemacht und mit allen Sinnen erlebt werden. In Gesprächen und Performance Lectures widmen sich Wissensproduzent*innen und Praktiker*innen aus vielen Feldern einer je spezifischen, im Körper verwurzelten Sinnesempfindung, aus der heraus sich verschiedenste Bedeutungsebenen und Praktiken des Wissens und der Welterzeugung entfalten. In diesem Prozess unterziehen sie die dominante Ordnung und Konzeptualisierung der Sinne einer kritischen Diskussion und betreten neue Wege der Erfahrbarkeit unterschiedlicher Welten. Zugleich ringen sie mit Fragen der Übersetzung und ihrer Ausrichtung: Wer sind die imaginären Anderen, für die Wissensproduzent*innen des Südens sich selbst und ihre Arbeiten übersetzen? Welche Bezugsrahmen nutzen sie? Wessen Ohren, Augen und Sinne adressieren sie? In Richtung welcher Räume und Geografien übersetzen sie und warum? Schließlich: Wie können wir uns Übersetzungen vorstellen, die die Richtung wechseln und entlang der Süd-Süd-Achse fließen? Durch die Beschäftigung mit diesen Fragen will das Programm den Horizont der Wissens-, Seins- und Beziehungsformen im Globalen Süden erkunden, theoretisieren und erweitern. Ziel ist eine kritische Bestandsaufnahme der Repräsentationen und Begrifflichkeiten von ‚Welt‘, ihrer Verknüpfungen und Brüche. Die Logiken der Störung, aber auch der Erholung und Wiederherstellung, der (Wahl- )Verwandtschaft und schöpferischen Kraft aufgreifend, steht Sensing Worlds für eine pluriversale Weltsicht, die horizontale, dialogische Beziehungsformen betont und danach strebt, neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, die weniger auf Gleichförmigkeit denn auf Vielfalt und Unterschiedlichkeit setzen. Dieses Projekt wurde konzipiert in Zusammenarbeit mit meLê yamomo. Tongue and Throat Memories In Gastfreundschaft geteiltes kulinarisches Wissen 2023–2027 Im Wolof, das in der Senegambia-Region in Westafrika gesprochen wird, bedeutet das Wort kër in etwa „Haus“. Doch die Konnotationen gehen weit über ein materielles Verständnis hinaus: Sie umfassen nicht nur das Gebäude selbst, sondern die Menschen im Haus samt ihrer kollektiv herausgebildeten Erfahrungen, Rollen, Energien, Werte und Formen der Fürsorge. Eine bessere Übersetzung von kër wäre somit „einladendes Haus“, ein Ort, der mit Essen und Liebe willkommen heißt: ein Zuhause. Tongue and Throat Memories 16/25
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