PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
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AUF DEN PUNKT. Das Servicemagazin für unsere Mitglieder Nr. 2 / Mai 2019 Das Jahrhundertgesetz Problemkind Arztbrief: Haus- und Fachärzte im Dialog Seite 46 info.service Offizielle Bekanntmachungen Seite 30
INHALT STANDPUNKT Multi(in)stabile Wahrnehmungsphänomene 3 AKTUELLES „Jeder soll Zugang zu einer qualitativ hochwertigen V ersorgung haben“ 4 Ausgezeichnet 7 Die Würfel sind gefallen 8 Kampagne: KVH macht ÄBD und 116117 bekannt 11 E-Akten: Risiken klar benennen und Chancen nutzen 14 TITELTHEMA Auf Irrwegen zur Staatsmedizin 18 „Handwerklich schlecht, v ielleicht sogar böswillig“ 20 Verordnungsmacht statt Evidenz gefährdet die Qualität der Versorgung 24 TSVG: Was ändert sich? 26 TSVG aus hessischer Sicht 34 „Intention und Änderungen sind nicht konvergent“ 36 PRAXISTIPPS Regresse sind vermeidbar 40 Honorarkürzungen vermeiden! 44 Wie war das? Fragen aus der Praxis 45 Wir müssen reden 46 NACHWUCHS Mit dem MedMobil in die Landarztpraxis 50 Entspannt dank Kita-Förderung 52 QUALITÄT Qualitätszirkel 2.0 53 Qualitätsmanagement – Ihr Gewinn!? 55 VERANSTALTUNGEN Treffpunkt – Fortbildungsveranstaltungen und Termine 57 SERVICE Ihr Kontakt zu uns/Impressum 59 2 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
STANDPUNKT Multi(in)stabile Wahrnehmungsphänomene Liebe Kolleginnen und Kollegen, kennen Sie M.C. Escher? Keine Angst, Sie haben sich nicht in eine Kunstvorlesung verirrt und dies ist auch nicht das Hessische Ärzteblatt, zu dem der Blick auf Kultur und Literatur ja gehört. Escher ist ein 1898 geborener holländischer Künstler und Grafiker, des- sen Werke mittlerweile große Popularität besitzen. In „seinem“ Wikipedia-Eintrag heißt es: „Seine bekann- testen Werke, die Escher nahezu den Status eines Popstars einbrachten, beschäftigen sich mit der Dar- stellung perspektivischer Unmöglichkeiten, optischer entgegenfiebert. Und natürlich sind wir als Vertrags- Täuschungen und multistabiler Wahrnehmungsphä- ärzte und -psychotherapeuten ebenfalls massiv be- nomene. Man sieht Objekte oder Gebäude, die auf troffen, wie wir Ihnen in der Titelstrecke dieses Hef- den ersten Blick natürlich zu sein scheinen, auf den tes zeigen müssen. zweiten aber vollkommen widersprüchlich sind („un- mögliche Figuren“).“ Wer das liest, wird unweiger- Jens Spahn ist ein Politiker dieser Zeit. „Postfaktisch“ lich und direkt auf die aktuelle Gesundheitspolitik, ih- und „populistisch“ sind zwei Attribute, die immer wie- ren Hauptprotagonisten und sein aktuellstes Gesetz der bemüht werden, wenn man Politiker dieses neuen gestoßen. Jens Spahn hat es „geschafft“, innerhalb Typs beschreiben will. Wahrscheinlich würde er sich von nur einem Jahr unser Gesundheitswesen an vie- gegen beide wehren, wenn sie ihm möglicherweise len Stellen „auf links“ zu drehen und wir halten die- auch insgeheim schmeicheln mögen. Auf den ersten se Entwicklung für hochgefährlich. Denn hier geht es Blick wirkt vieles, was er tut, aktiv, anpackend, am Ge- nicht um Kunst, sondern um ein existenzielles Feld der meinwohl orientiert. Schaut man jedoch genauer hin, Daseinsversorgung: um die Gesundheitsversorgung in wirken die Spahnschen Gebäude gar nicht mehr so diesem Land sowie die Rahmenbedingungen, unter stabil, nein, sogar vollkommen widersprüchlich. Wer denen wir „Leistungserbringer“ zu arbeiten haben. mal vergleicht, was vom ursprünglichen Gesetzesent- wurf übrig geblieben ist, der kann eigentlich zu kei- Und schaut man sich Jens Spahns „Wirken“ an, so ist nem anderen Ergebnis kommen, als dass da jemand das gar nicht so weit entfernt von dem, wie Escher arg gerupft wurde. Doch Herrn Spahn ficht das nicht gearbeitet hat. Zwar arbeitet er nicht mit optischen an – er macht einfach weiter, als wäre nichts gewe- Täuschungen, aber wie es geht, die Öffentlichkeit mit sen. Und das macht ihn so gefährlich. Denn am Ge- Nebelkerzen vom Eigentlichen abzulenken, versteht sundheitswesen hat er wahrscheinlich nur wenig In- er meisterhaft. „Präexpositionsprophylaxe“, „die Hei- teresse. Im Mittelpunkt steht er – und seine weitere lung des Krebses“, mit diesen populistischen Projek- politische Karriere. ten an der Oberfläche bemäntelt er sein eigentliches Tun: den kompletten Umbau des deutschen Gesund- Mit kollegialen Grüßen, Ihre heitswesens. Obwohl er sich immer wieder als Fan der „Selbstverwaltung“ bezeichnete, schwingt er die Ab- rissbirne mittlerweile in beängstigenden Radien. Man frage nach beim G-BA und Prof. Hecken (vgl. Seiten 24-25), man frage nach in der deutschen Kranken Frank Dastych Dr. Eckhard Starke kassenlandschaft, die dem „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ Vorstandsvorsitzender stv. Vorstandsvorsitzender AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 3
AKTUELLES „Jeder soll Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung haben“ Kai Klose ist der neue hessische Minister für Soziales und Integration. Im Inter- view mit Auf den PUNKT. spricht er über die Versorgung im ländlichen Raum, den Hausärztemangel und die Notfallversorgung und darüber, welche Schwerpunkte er gesundheitspolitisch setzen möchte. Sie sind seit Januar 2019 neuer Hessischer Mi- dass wir in diesem Jahr beabsichtigen, als nächsten nister für Soziales und Integration. Welche Schritt zur Steigerung der Patientensicherheit in den Schwerpunkte werden Sie in der Gesundheits- hessischen Krankenhäusern unser Konzept des Pati- politik setzen? entensicherheitsbeauftragten vorzustellen. Klose: Für uns ist die Sicherstellung einer flächen- deckenden gesundheitlichen Versorgung als Teil der In einer alternden Gesellschaft ist außerdem die ge- Daseinsvorsorge besonders wichtig. Jede und je- sundheitliche und pflegerische Versorgung eines der der in Hessen soll Zugang zu einer qualitativ hoch wichtigsten Themen: Wir werden deshalb die Inves- wertigen wohnortnahen medizinischen Versorgung titionen in Krankenhäuser verstärken und für eine haben. Durch ein ganzes Maßnahmenbündel wer- gute Erreichbarkeit von Arztpraxen und Kliniken, ge- den wir uns darum kümmern: Dazu gehören bei- rade auch in den ländlichen Räumen, sorgen. So ste- spielsweise auch die Fachkräftesicherung im ärzt hen bereits im Vergleich zum Vorjahr den hessischen lichen und nichtärztlichen Bereich sowie der Einsatz Krankenhäusern 132 Millionen Euro mehr zur Verfü- telemedizinischer Anwen- gung, damit erhöht sich das Gesamtbudget der hes- „Für uns ist die Sicherstellung dungen. sischen Krankenhäuser auf rund 5,3 Milliarden Euro. einer flächendeckenden gesund- heitlichen Versorgung als Teil Wichtige Schwerpunkte Welche Projekte werden Sie im ländlichen der Daseinsvorsorge besonders werden im Koalitionsver- Raum umsetzen, um die gesundheitliche Ver- wichtig.“ trag der Landesregierung sorgung sicher und zukunftsfest aufzustellen? genannt, die wir jetzt um- Klose: Ein besonderer Schwerpunkt ist die wohn- setzen. Zum Beispiel die Fortsetzung des Gesund- ortnahe Versorgung der Bürgerinnen und Bürger. heitspakts, mit dem wir Projekte fördern, die die Ergänzend zu den Maßnahmen der Nachwuchs- gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum kampagne der KV Hessen unterstützt die Landes- durch Vernetzung der Anbieter, durch Digitalisie- regierung im Rahmen der Offensive „Land hat Zu- rung und neue Ideen zur Arbeitsteilung erhalten kunft – Heimat Hessen“ kommunale Maßnahmen und stärken. Zudem werden wir für chronische Er- zur Sicherung der gesundheitlichen Versorgung im krankungen eine Gesamtbehandlungsstrategie erar- ländlichen Raum. Wir werden weitere regionale Ge- beiten lassen. Wir werden den Weg der Patienten- sundheitszentren fördern, Gemeinschaftspraxen und orientierung konsequent fortsetzen und vor jeder Medizinische Versorgungszentren stärken, den Ein- gesundheitspolitischen Entscheidung abwägen, ob satz von Gemeindeschwestern unterstützen und Sti- und welchen konkreten Nutzen sie für die Patientin- pendien für Landärztinnen und -ärzte ausloben. So nen und Patienten bringen kann. Dazu gehört auch, können wir jetzt schon feststellen, dass die Förde- 4 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
AKTUELLES rung der Famulatur in hessischen Landarztpraxen ein großer Erfolg ist. Seit ihrem Start 2016 wurden be- reits über 1.300 Medizinstudierende mit Landesmit- teln gefördert, die ihre Famulatur in einer hessischen Landarztpraxis absolvierten. Das zeigt, dass das Interesse an einer hausärztlichen Tätigkeit im länd- lichen Raum steigt. Hessischer Minister für Aufgrund der sehr positiven Entwicklung haben wir Soziales und mit der KV Hessen vereinbart, die Fördersumme auf weite Wege zu Facharztzentren entfallen und zudem Integration: bis zu 420.000 Euro in 2019 zu erhöhen. Neben der können unnötige Doppeluntersuchungen abgebaut Kai Klose. Foto: @HMSI Famulatur-Förderung für Studierende unterstützen werden. Durch den Einsatz von IVENA im Rettungs- wir mit Angeboten des „Kompetenzzentrums Wei- dienst, den Aufbau eines Epilepsie-Netzes an den terbildung Allgemeinmedizin“ junge Ärztinnen und Unikliniken Frankfurt und Marburg oder die Verbes- Ärzte in Weiterbildung bis hin zur Niederlassung serung der sektorenübergreifenden Notfallversor- mit verschiedenen Modulen. Zudem wurde durch gung in den Landkreisen Marburg-Biedenkopf und das zweijährige Modellprojekt Medibus von der KV Gießen zeigt Telemedizin bereits jetzt ihren wertvol- ein flexibles Angebot geschaffen, das die Hausärz- len Nutzen. te in ländlichen Regionen Nordhessens unterstützt und als zusätzliche mobile Praxis für kürzere Wege Welche Maßnahmen ergreift Hessen, um den zum Allgemeinmediziner sorgt. Generell benötigen Hausärztemangel zu stoppen? wir eine gute Zusammenarbeit mit allen Akteuren Klose: Uns ist klar, dass wir dafür auch die Studien- der Gesundheit – den Ärztinnen und Ärzten, Kran- plätze in Humanmedizin erhöhen müssen. Aus die- kenhäusern, Krankenkassen etc. Dafür haben wir den sem Grund haben wir im Koalitionsvertrag verein- Gesundheitspakt 3.0 abgeschlossen, durch den wir bart, dass wir die an der Universität Marburg noch uns auf ganz konkrete Maßnahmen verständigt ha- bestehenden Teilzeitstudienplätze der Humanmedi- ben, zum Beispiel zum Ausbau der E-Health-Nutzung. zin mit der Hochschule Ful- da und dem Klinikum Fulda „Zudem wurde durch das zweijähri- Welche Rolle spielt Telemedizin bei den Be- über die bisher vereinbar- ge Modellprojekt Medibus von der mühungen, die ärztliche Versorgung auf dem te Pilotphase hinaus kom- KV ein flexibles Angebot geschaf- Land sicherzustellen? plett in Vollstudienplätze fen, das die Hausärzte in ländlichen Klose: Telemedizin eröffnet Chancen, da sie sehr umwandeln. Mit der Einfüh- Regionen Nordhessens unterstützt schnell medizinische Expertise zu den Menschen rung einer „Landarztquo- und als zusätzliche mobile Praxis bringen und Distanzen überbrücken kann. Damit te“ im Hochschulzugang für für kürzere Wege zum Allgemein- ist sie ein Schlüssel zu einer weiterhin wohnortna- das Studium der Humanme- mediziner sorgt.“ hen Versorgung. Sie generiert zudem moderne, at- dizin werden wir zusätzliche traktive Arbeitsplätze für junge Fachkräfte der Heil- Medizinerinnen und Medizi- und Gesundheitsberufe, gerade im ländlichen Raum. ner für den ländlichen Raum gewinnen. Diese Plät- Wir stellen im Rahmen unserer E-Health-Initiative ze sollen an Studierende vergeben werden, die sich jährlich sechs Millionen Euro hierfür zur Verfügung. verpflichten, sich später im ländlichen Raum nie- Expertenwissen kann auch über telemedizinische derzulassen. Außerdem werden wir Stipendien für Facharztnetze in den ländlichen Raum gebracht wer- Landärztinnen und Landärzte ausloben, um Studen- den. Für Patientinnen und Patienten können dadurch tinnen und Studenten monatlich zu unterstützen, AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 5
AKTUELLES sofern sie sich ebenfalls verpflichten, als Ärztin oder wollen wir diese Frage beantworten. Hier steht am Arzt im ländlichen Raum tätig zu werden. Eingang ein zentraler Tresen, bei dem alle Patientin- nen und Patienten eine Ersteinschätzung und dann, Wie soll Notfallversorgung geregelt werden? je nach Notwendigkeit, eine gute Behandlung in ei- Klose: Das Angebot der Notfallaufnahme in den ner Praxis oder Klinik erhalten. Im Koalitionsvertrag Krankenhäusern wird derzeit sehr stark genutzt, haben wir vereinbart, dieses Modell bis zum Ende auch von Menschen, die vielleicht bei der „norma- der Legislaturperiode flächendeckend einzuführen, len“ ärztlichen Bereitschaft besser aufgehoben wä- denn es ist sehr erfolgreich – und am Ende profitie- ren und dort auch schneller behandelt werden ren alle davon. Die Patientinnen und Patienten wer- könnten. Die Frage ist hier: Wie können wir die Pati- den schneller behandelt und das medizinische Per- entinnen und Patienten dabei unterstützen, den rich- sonal wird entlastet. Wir freuen uns, dass wir hier tigen Ansprechpartner für ihre Situation zu finden? Vorreiter sind. n Mit dem Modellprojekt zur sektorenübergreifenden Die Fragen stellte Notfallversorgung am Klinikum Frankfurt-Höchst Karl M. Roth Kai Klose Interviewpartner Geburtsdatum und -ort: 23.12.1973 in Usingen/Ts. Familienstand: Verheiratet Seit 18. Januar 2019 Hessischer Minister für Soziales und Integration Seit 1. Oktober 2017 Staatssekretär und Bevollmächtigter für Integration und Anti diskriminierung im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration Seit 18. Dezember 2013 Vorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen 2009–09/2017 Abgeordneter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag 2006–2009 Kreistag Rheingau-Taunus-Kreis 2005–2011 Politischer Geschäftsführer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen 2004 –2005 Vorstandsreferent BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen 2004 Zweites S taatsexamen für die Fächer Deutsch, Politik und Wirtschaft 2002–2004 Lehrer im Vorbereitungsdienst 2001–2006 Gemeindevorstand Waldems 2001 Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien an der P hilipps-Universität Marburg 1993–2001 Gemeindevertretung Waldems 1993 Abitur, Pestalozzigymnasium Idstein 6 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
AKTUELLES Ausgezeichnet Schöner Erfolg für das Modellprojekt „Medibus“ der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH): Im Rahmen des Innovationspreises „Ausgezeichnete Gesundheit 2019“ wurde die mobile Arztpraxis in Berlin vom Zentralinstitut für die kassenärzt- liche Versorgung in Deutschland (Zi) prämiert. Seit Juli 2018 ist der Medibus in Nordhessen unter- wegs. Als rollende Arztpraxis hält er regelmäßig in fünf Gemeinden, um die medizinische Versorgung der Patienten in der von Versorgungsengpässen be- troffenen Region zu unterstützen. Das Versorgungs- angebot wird von der Bevölkerung sehr gut an- genommen. Mehr als 2.200 Patienten haben sich bereits untersuchen lassen. Realisiert wurde das Pi- lotprojekt der KVH gemeinsam mit der DB Regio, die den zur mobilen Arztpraxis umgebauten Linienbus bereitstellt. Im März erhielt der Medibus neben drei weiteren Modellprojekten den Titel „Ausgezeichnete Gesund- heit 2019“ in der Kategorie „Versorgung mit Sicher- heit“. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVH, Dr. Eckhard Starke, nahm den Preis in Berlin KVH-Vorstand entgegen: „Es ist uns in Nordhessen mit dem Me- Dr. Eckhard Starke bei der Preisver- dibus gelungen, die angespannte medizinische Ver- Der Preis „Ausgezeichnete Gesundheit“ wurde in die- leihung in Berlin sorgungslage in fünf Gemeinden vorerst abzumil- sem Jahr zum zweiten Mal vom Zi an exzellente Bei- mit Zi-Vorstands- dern. Denn da, wo die Versorgung immer stärker spiele ambulanter Versorgung vergeben. Bereits im vorsitzendem Dr. Andreas Gassen ausdünnt, kann eine mobile Einheit wie der Medibus Vorjahr gewann die KV Hessen den Innovationspreis (l.) und Zi-Kuratori- die Lösung sein. Das haben die vergangenen Mona- in der Kategorie „Versorgung im Notfall“ für das Pro- umsvorsitzendem te, in denen die mobile Arztpraxis nun erfolgreich jekt „Partnerpraxen“. n Dr. Jörg Hermann (r.). im Einsatz ist, gezeigt. Die Auszeichnung als exzel- Marilena Demarez-Bandeh lentes Beispiel ambulanter Versorgung zeigt uns ein- mal mehr, dass wir mit unserem Pilotprojekt Medi- bus ein innovatives Konzept realisieren konnten. Und es bestätigt uns darin, auch einmal unkonven- Weitere Informationen unter: tionelle Wege einzuschlagen und Versorgung neu www.ausgezeichnete-gesundheit.de zu denken.“ AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 7
AKTUELLES Die Würfel sind gefallen Die Vertreterversammlung am 30. März stand ganz im Zeichen der Politik in Berlin und der neuen Regierung in Wiesbaden. Während man beim TSVG nun weiß, wo- hin die Reise gehen soll, ist noch offen, wie sich die zukünftige Zusammenarbeit mit dem Hessischen Sozialministerium gestalten wird. Geschäftsführer Jörg Hoffmann erläutert Details zum TSVG. Der Schleier des TSVG ist gelüftet und das, was da auf User über aktuelle Neuerungen informiert. Erreichbar die Niedergelassenen zurollt, ist für diejenigen, die sich ist das geschützte Portal unter www.kvhaktuell.de. mit der Materie auskennen, nach wie vor besorgniser- Eine Registrierung geht ganz einfach unter Angabe regend. Nichtsdestotrotz startete Dr. Klaus-Wolfgang der LANR und der Postleitzahl. Richter, der Vorsitzende der Vertreterversammlung, seinen Bericht mit positiven Themen. Er informier- MEHR ÄRZTE, MEHR HONORAR te über den Sachstand des BSG-Verfahrens in Sachen EHV vom 12. Dezember 2018 und brachte die frohe Auf Initiative von Dr. Burkhardt Voigt stellte Dr. Rich- Kunde, dass der paritätische Defizitausgleich für rech- ter dann noch eine Resolution zu Veränderungen in tens erachtet wurde. Begeistert sprach er zudem über der Bedarfsplanung von Kinderärzten vor, die ein- das neue Verordnungsportal der KV Hessen. Es bietet stimmig angenommen wurde. Zu erwarten ist, dass den Mitgliedern Hilfestellung rund um das komplexe durch die zum 1. Juli 2019 überarbeitete Bedarfspla- Thema der Verordnungen und enthält alle Beschlüsse nungsrichtlinie die Niederlassung von zusätzlichen des G-BA. Zudem werden per Newsletter registrierte Kinderärzten möglich wird. Diesen dringend benö- 8 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
AKTUELLES Impressionen aus der Vertreter- versammlung. tigten zusätzlichen Arztsitzen müsse aber auch zu- ten. Zynismus und Sarkasmus prägten seine Beurtei- sätzliches Honorar folgen, so die Vertreter in der Re- lungen einzelner Zitate von Karl Lauterbach und Jens solution. Eine „Einpreisung“ zusätzlicher Arztsitze Spahn. So sprach er von „Karl ‚der die Menschheit bei gleichbleibendem Honorar sei keine Option. von der Zweiklassenmedizin befreit‘ Lauterbach“ und „Jens ‚der den Krebs heilt’ Spahn“. Dahinter versteck- POLITIK AUS DEM „GIFTSCHRANK“ te sich für alle offensichtlich Dastychs Empörung, dass der Bundestag schlussendlich das Terminservice- und Den politischen Themen aus Bund und Land widme- Versorgungsgesetz durchgewunken hatte. Seine Kri- te sich nach dem Vortrag von Dr. Richter dann umfas- tikpunkte stellte er den Mitgliedern der KV Hessen send Frank Dastych, der Vorstandsvorsitzende der KV Punkt für Punkt dezidiert vor. An dieser Stelle sei da- Hessen. Unter dem Motto „Nach dem TSVG ist vor her auf die Titelstrecke des Heftes sowie auf die Seiten dem GKV-FKG“ artikulierte Dastych unmissverständ- 20-23 verwiesen. Ob es im Zuge der politischen Gän- lich seine Ablehnung des von Bundesminister Spahn gelung durch die Bundesebene für wachsende Ver- geplanten „Faire-Kassenwahl-Gesetzes (GKV-FKG)“. sorgungsaufgaben im ambulanten Sektor in Hessen Dieses Gesetz beinhaltet zwei große Themenblöcke, seitens des Hessischen Sozialministeriums Fürsprache die Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs und aktive Unterstützung geben wird, ist – so der Vor- wie auch Eingriffe in das bisherige Organisations- stand der KV Hessen weiter – eine spannende und recht der regional tätigen Krankenkassen, die primär noch offene Frage. Der seit Januar avisierte Antritts- die AOKen vor große Herausforderungen stellen dürf- besuch von Dastych und Dr. Starke bei Staatsminis- Infobox Die Resolution „Mehr Kinderärzte nur bei zusätzlichem Honorar“ im Wortlaut: „Die Bedarfs- planung wird zum 1. Juli 2019 die allgemeinpädiatrische Versorgung erweitern, weil sie bei steigenden Patientenzahlen die Versorgung unter der jetzigen Bedarfsplanung nicht mehr er- füllen kann. An dieser Stelle wirken sich gesellschaftliche Veränderungen, das Entstehen neu- er Krankheiten sowie zunehmend verunsicherte Eltern, die Krankheiten nicht mehr richtig einschätzen können, besonders aus. Zusätzliche Sitze sind also dringend notwendig, belas- ten aber nach der gültigen Honorarsystematik das ohnehin begrenzte Honorarvolumen der Fachgruppe. Zusätzliche Sitze müssten somit durch das Honorar aller niedergelassenen Kin- der- und Jugendärzte im jeweiligen KV-Bereich finanziert werden. Wir fordern eine adäqua- te Anpassung mit einer basiswirksamen Steigerung des Honorarvolumens in der Fachgruppe. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen wird die Forderung nach einer notwendigen Finan- zierung zusätzlicher Vertragsarztsitze in den demnächst beginnenden Honorarverhandlun- gen stellen.“ AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 9
AKTUELLES Erst anmelden, dann teilnehmen. Armin Beck schreibt sich in die Teilnehmerliste der VV ein. ter Kai Klose fand erst am 2. Mai 2019 statt. Zudem informierte Dastych, dass der Vorstand der KV Hes- sen nach wie vor an regelmäßigen Gesprächen mit dem Gesundheitspolitischen Personal des Sozial- und Integrationspolitischen Ausschusses (SIA) interessiert ist, sobald sich die neuen SIA-Mitglieder in ihre neuen Aufgaben eingefunden haben. Darüber hinaus stellte Dastych noch die Erweiterungen der SiRiLi-Maßnah- men vor (siehe www.kvhessen.de/sirili) und warb begeistert für die KV Hessen-Kampagne zur 116117, die am 30. April startete (siehe Seite 11). Abschließend informierte Dr. Starke, der stellvertre- tende Vorstandsvorsitzende, die anwesenden Mit- glieder der Vertreterversammlung über die anste- hende neu zu entwickelnde Prüfvereinbarung. Einige Verhandlungspositionen, wie die Anerkennung von Praxisbesonderheiten, sind bereits im TSVG veran- kert, andere müssen nun neu bewertet werden. Die entsprechenden Verhandlungen mit den Krankenkas- sen wurden zwischenzeitlich wieder aufgenommen, Informationen dazu folgen zu gegebener Zeit. n Petra Bendrich Angenommen: die Resolution der Kinder- und Jugendärzte. 10 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
AKTUELLES Kampagne: KVH macht ÄBD und 116117 bekannt Wie bekannt sind der Ärztliche Bereitschaftsdienst Hessen (ÄBD) und die Rufnum- mer 116117? Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) machte dazu eine Forsa-Umfrage und erhielt deutliche Ergebnisse. Eine neue Kampagne soll jetzt die Bekanntheit steigern. Husten, Schnupfen, Übelkeit, Kopfschmerzen oder kennen jedoch nur 13 Prozent der hessischen Bevöl- Fieber – wer außerhalb der Praxisöffnungszeiten ei- kerung. Bekannt sind der Bereitschaftsdienst und die nen Arzt benötigt, ist beim ÄBD richtig. Das Prob- Rufnummer – wenn überhaupt – bei älteren Men- lem: Viele hessische Patienten kennen weder den Be- schen in ländlichen Regionen. Jüngeren Hessen, reitschaftsdienst noch die Rufnummer 116117. Das die in Frankfurt, Offenbach, Darmstadt, Kassel oder ergab eine von der KVH in Auftrag gegebene re- Wiesbaden wohnen, sind der ÄBD und vor allem die präsentative Umfrage des Markt- und Meinungsfor- 116117 dagegen überwiegend fremd. Das soll sich schungsinstituts Forsa unter mehr als 2.000 Hessen. möglichst schnell ändern. 116117 IN STÄDTEN WEITGEHEND UNBE- „Mit der Situation können wir nicht zufrieden sein. KANNT Damit die Patienten den Ärztlichen Bereitschaftsdienst nutzen, anstatt in überfüllte Notaufnahmen zu ge- In Zahlen bedeutet das: 72 Prozent aller Befragten ha- hen, müssen sie den ÄBD und die 116117 natürlich ben zwar vom ÄBD gehört oder gelesen. Die 116117 zunächst einmal kennen. Daran müssen wir arbeiten“, AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 11
AKTUELLES so die Vorstandsvorsitzen- CROSSMEDIALE den der KVH, Frank Dastych KOMMUNIKATION IM und Dr. Eckhard Starke. COMICDESIGN JUNGE URBANE ZIEL- Mit der neuen Kampagne GRUPPE IM FOKUS bewirbt die KVH den Be- reitschaftsdienst erstmals Für mehr Bekanntheit soll in großem Umfang und eine hessenweite Kommu- über mehrere Kommuni- nikations- und Werbekam- kationskanäle hinweg. So pagne sorgen, insbesondere gibt es neben einem reich- ausgerichtet auf die jun- weitenstarken Hörfunk-Spot ge urbane Bevölkerung. Los auf hr3 und YOU FM auch ging es bereits Ende April. großflächige Plakate in elf Im Mittelpunkt der Kam hessischen Ballungsräumen, pagne steht die 116117 Werbung auf Bussen, On- (gesprochen elf sechs elf sie- line-Werbung sowie Post- ben), ihr zur Seite stellt die karten zum Mitnehmen in KVH die Botschaft: „Bei Anruf Arzt. Rund um die Uhr.“ der Gastronomie. Optisch setzt die KVH auf ein knal- Bisher hatte der Claim „Die Nummer, die hilft.“ den liges Comicdesign, das mit Motiven wie „Autsch“, Bereitschaftsdienst begleitet. Diesen gibt die KVH ab „Stöhn“ oder „Schnief“ mit dem Kranksein spielt und sofort auf. starke Aufmerksamkeit erzeugt. Damit sich die Kam- pagneninhalte möglichst auch über die Medien ver- „Der neue Claim bringt auf den Punkt, worum es breiten, präsentierte die KVH die neuen Werbeaktivi- geht. Er ist prägnant und zugleich informativ. Darüber täten zudem im Rahmen eines PR-Termins in Frankfurt hinaus berücksichtigt er bereits den im Terminservice- geladenen Medienvertretern. und Versorgungsgesetz (TSVG) vorgesehenen Ausbau der Terminservicestellen. Diese sollen ab Januar 2020 „Wir sind überzeugt, dass die Kampagne den Nerv 24 Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche eben- der Menschen trifft und wir die Bekanntheit des ÄBD falls unter der bundesweit einheitlichen 116117 für und der 116117 bei Jung – und bei Alt – deutlich er- die Vermittlung von Terminen erreichbar sein“, erläu- höhen können“, so das Vorstandsduo der KVH. n tern Dastych und Starke. Alexander Kowalski 12 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
s P ro j e k t M o b i l e i b u s RUBRIK Med Sie möchten an einem innovativen und zukunftsweisenden Projekt zur mobilen hausärztlichen Versorgung auf dem Land mitarbeiten? Sie haben Freude am Kontakt, an der Behandlung und Begleitung von Menschen und schätzen den Austausch mit Ihren hausärztlichen Kollegen? Dann haben wir genau das Richtige für Sie! Zur Unterstützung der hausärztlichen Versorgung für unser mobiles Projekt Medibus im Landkreis Hersfeld-Rotenburg und im Werra-Meißner-Kreis sind Sie GESUCHT: Fachärztin/Facharzt für Allgemeinmedizin/ Innere Medizin Das sind Ihre Aufgaben: • allgemeinmedizinische Untersuchung, Diagnostik, Behandlung und Begleitung von Menschen im ländlichen Raum • Unterstützung der hausärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen im Rahmen einer mobilen Arztpraxis Das bringen Sie mit: • abgeschlossene Facharztweiterbildung im Fachgebiet Allgemeinmedizin oder Innere Medizin • mehrjährige Berufserfahrung mit persönlichem Patientenkontakt Das bieten wir Ihnen: Gerne informiere ich • die Möglichkeit, an einem innovativen mobilen hausärztlichen Sie persönlich! Versorgungsprojekt mitzuarbeiten, das es in dieser Form noch nie gab Ich freue mich auf Ihren Anruf • einen umgebauten Linienbus als Arbeitsplatz, ausgestattet mit moderner unter 069 24741-6967 medizinischer Ausrüstung Jennifer Reus llende Arztpraxis Personalrecruiting Kassenärztliche Vereinigung Hessen Europa-Allee 90 orgabe - 4. KVH-Entwurf Klingt das interessant? Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung! 60486 Frankfurt am Main Bewerben Sie sich bequem online über unsere Jobbörse unter www.kvhessen.de/karriere Bei entsprechender Eignung werden schwerbehinderte Menschen bevorzugt berücksichtigt. r WIR SORGEN FÜR GESUNDHEIT r AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 13
AKTUELLES E-Akten: Risiken klar benennen und Chancen nutzen Auf der Skala der schützenswerten Daten stehen sie ganz oben: Gesundheits daten. Gerade deshalb werden elektronische Patienten- (ePA) und Gesundheits- akten (eGA) kontrovers diskutiert. Sicher ist: Die ePA wird laut Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ab 2021 verpflichtend eingeführt. Aber: Absolute Da- tensicherheit gibt es dabei nicht. Wie passt das zusammen? Welche Zugeständ- nisse müssen wir machen? Und sollten Ärzte da mitziehen? Diese Fragen haben Ärztevertreter, Krankenkassen und IT-Experten beim Workshop „Elektronische Ge- sundheitsakte: Datenparadies oder Datenleck?“ diskutiert. KVH-Vorstands- vorsitzender Frank Dastych begrüßte die Gäste und führte als Mode- rator durch den Workshop. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) hat vorsitzender. „Wenn wir sie nicht mitgestalten, wird ihren Mitgliedern mit dem Workshop Ende März in es jemand anderes tun.“ Frankfurt die Chance gegeben, sich über ePa- und eGA-Apps der Kassen zu informieren und sich eine Andere Länder sind an dieser Stelle deutlich weiter Meinung darüber zu bilden, ob sie die Digitalisierung als Deutschland, allerdings werfen immer neue Da- im Gesundheitswesen mitgestalten wollen oder tenlecks die Fragen auf, welche Risiken den Nutzen nicht. „Denn eins ist klar: Die Digitalisierung ist eine gegenüberstehen, ob und wie sie minimiert werden riesige Chance für unsere Gesellschaft und jede ein- können und vor allem, wer sie am Ende trägt. Ärzte? zelne Praxis“, sagte Frank Dastych, KVH-Vorstands- Patienten? Anbieter? 14 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
AKTUELLES Norbert Sudhoff, BARMER Hessen gab sich desillusioniert: Über die Digita- lisierung im Gesundheitswesen habe er schon 2001 referiert, passiert sei in der Zwischenzeit zu wenig. „Wir haben das TSVG abgewartet, bevor wir eine App entwickeln. Jetzt, da wir mit der Ver- abschiedung des Gesetzes einen klaren Auftrag haben, machen wir uns an die konkrete Entwicklung und werden am 1. Januar 2021 fristgerecht eine ePA zur Verfügung stellen“, sagte er. Die bisherigen BARMER-Apps könnten gegebenenfalls in eine elektronische Akte eingebaut werden. Anja Nöske und Volker Wagner, AOK Hessen setzen auf Regionalität und stellten die Gesundheitsakte des Digitalen Gesundheitsnetzwerks (DiGeN) vor. Pilotprojekte dazu sind bereits 2016 in einzelnen Regionen gestartet, im Februar 2020 soll die DiGeN bundesweit mit ersten Funktionalitäten live gehen. Im Fokus stehe die Ver- netzung, der 360-Grad-Blick auf den Patienten. Die Vision der Akte sei, alle Akteure durch ein komplexes Rollen- und Rechtekonzept zu vernetzen, also neben Patienten, Ärzten und Kran- kenhäusern auch Reha, Pflege, Heil- und Hilfsmittelerbringer einzubeziehen. AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 15
AKTUELLES Michael Martinet, DAK sieht Defizite bei der Gesundheitskompetenz der Deut- schen und stellte die eGA Vivy vor, die diese stärken soll. Vivy ist aus einem Konsortium mehrerer Kassen entstanden und seit 2018 auf dem Markt, also im AppStore erhältlich. Sie assistiert Patienten durch Terminerinnerungen und Arzt- suche, bietet eine Gesundheitsakte mit Notfalldaten und medizinischen Dokumenten. Zusätzlich können Patienten Lifestyle-Infos eintragen und Dienste ihrer jeweiligen Ver- sicherung verwalten. Im zweiten Quartal 2019 soll Vivy an KV-Connect angebunden werden. Dr. Susanne Ozegowski, Techniker Krankenkasse (TK) ist überzeugt von dieser Investition in die Zukunft und stellte den TK-Safe nicht nur vor, sondern warb um die aktive Teilnahme der Ärzte als „first mover“. Die eGA TK Safe ist Teil der TK-App, hat aktuell 125.000 Nutzer und soll später in die verpflichtende ePA überführt wer- den. Dazu soll sie 2019 als Pilot in Hessen und Berlin an KV-Connect angeschlossen werden. Laut Ozegowski muss die Reise nach der Datenspeicherung und Vernet- zung weitergehen: hin zu smarten Services und einer digitalen Versorgungsplattform. Martin Tschirsich, IT Security Analyst ist Mitglied des Chaos Computer Clubs Darmstadt und Ex- perte für Datensicherheit. 2018 hat er im Rahmen einer Si- cherheitsanalyse elektronischer Gesundheitsdaten auch die eGA Vivy geprüft – und Sicherheitsmängel festgestellt. Trotz aller Kritik hat er anerkannt: „Die Anbieter haben die App professionell überprüfen lassen und sich um einschlägi- ge Siegel bemüht.“ Allerdings suggerierten die Siegel eine Sicherheit, die sie eigentlich nicht geben, und neuen Si- cherheitsmaßnahmen stünden auch immer neue Angriffs- möglichkeiten gegenüber: „Hundertprozentige Sicherheit können sie nicht versprechen.“ 16 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
AKTUELLES 2018 war mindestens jeder zweite Norwe- sen. Auch muss klar sein, wer diese Entschädigun- ger von Datenklau betroffen, als eine Gesund- gen zu tragen hat, wer also haftbar gemacht wird.“ heitsbehörde gehackt wurde. Im Januar 2019 Nur so könnten alle Beteiligten ihren Beitrag zu er- wurde bekannt, dass in Singapur Namen und folgreichen E-Akten leisten: Die App-Anbieter, weil persönliche Angaben von fast 15.000 HIV-Pati- es auch monetär in ihrem Interesse liege, ihre An- enten geleakt wurden. Und in Schweden lagen wendungen so sicher und authentisch wie mög- mehr als zweieinhalb Millionen Patientenanru- lich zu gestalten. Die Patienten, weil sie ihre Daten fe ungeschützt im Netz. in guten Händen wissen – oder zumindest entschä- digt werden, wenn sie es nicht waren. Und die Leis- Mit diesem kurzen Status quo in puncto Sicherheit tungserbringer wie Ärzte, indem sie auf authenti- elektronischer Gesundheitsdaten packte IT Secu- sche (beispielsweise signierte) Daten zurückgreifen rity Analyst Martin Tschirsich nicht nur das Publi- können und nicht für Sicherheitslücken haften, die kum, sondern auch seine Vorredner, die Vertreter außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. der Kassen. Er war ihnen bereits bekannt: 2018 ge- lang es ihm, die Gesundheitsapp Vivy zu hacken. Anregungen, an denen Kassen, die Player im Ge- Und das, nachdem sie – im ehrenwerten Auftrag ih- sundheitswesen und die IT-Branche gemeinsam ar- rer Entwickler – von Profi-Hackern und namhaften beiten müssen. „Ich werde sie definitiv mit nach Ber- Siegeln (beispielsweise TÜV und Fraunhofer-Institut lin nehmen, damit sie eine Chance haben, in die ePA für Angewandte und Integrierte Sicherheit, AISEC) 2.0 einzufließen“, versprach Dastych. „Denn was wir vermeintlich für sicher erklärt wurde. Kein Wunder heute vorgestellt haben, ist zunächst freiwillig. Ärz- also Tschirsichs These: „Absolute Datensicherheit te müssen selbst bewerten, ob sie ihre Patienten bei gibt es nicht.“ der eGA unterstützen möchten. 2021 wird ihre Mit- wirkung durch die Einführung der ePA allerdings ver- Rät er Kassen, Leistungserbringern und Patienten pflichtend – und bis dahin brauchen wir mehr Si- also von der Digitalisierung ab? Nein. „Ich beleuch- cherheit.“ te die Risiken und bin überzeugt, dass wir diese kal- kulieren, klar benennen, transparent kommunizie- ONLINE WEITERLESEN ren und gemeinsam minimieren müssen. Nur so kann es gelingen, das Vertrauen von Patienten und Das war nicht genug? Lesen Sie online weiter, was Leistungserbringern zu gewinnen und zu erhalten“, die Ärzte im Publikum umgetrieben hat: Wie kommt meint Tschirsich. Ohne dieses Vertrauen werden Ärz- der Datensatz vom Patienten in die Praxisverwal- te, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Patien- tungssoftware (PVS)? Welche Sicherheit muss ich als ten die digitalen Akten wohl kaum nutzen, was sie Arzt geben? Kann ich belangt werden, wenn ich die nutzlos macht. Denn, da waren sich zumindest Ärz- elektronischen Akten nutze? Was ist mit gesperrten te- und die meisten Kassenvertreter einig: Nur au- Daten wie psychiatrischen Befunden oder mit Fehl- thentische, möglichst vollständige Daten sind ver- diagnosen? Wie werden die Daten geschützt, wenn wertbare Daten. das Smartphone verloren geht? Und können Patien- ten ihre ePa einfach wieder löschen? RISIKEN KALKULIEREN, MINIMIEREN, KOM- www.kvhessen.de/eakte MUNIZIEREN Tschirsich plädiert deshalb für Entschädigungsrege- lungen und für die Zusammenarbeit der App-Anbie- ter im Sinne der Sicherheit: „Es ist wichtig, dass wir uns bewusst sind und allen Beteiligten bewusst ma- chen, dass jedes System kompromittierbar ist. Und dass Datenlecks Entschädigungen in einer bestimm- n ten Höhe für die Betroffenen nach sich ziehen müs- Sabine Voß AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 17
TITELTHEMA 18 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
TITELTHEMA Auf Irrwegen zur Staatsmedizin Es hat über ein Jahr gedauert, bis Bundesgesund- gender ist indes die übergeordnete Frage, in wel- heitsminister Jens Spahn das Kernstück seiner ge- che Richtung dieser hochaktive Gesundheitsminis- sundheitspolitischen Agenda für die laufende ter unser Gesundheitswesen in den nächsten zwei Legislatur durchbringen konnte: das Terminser- Jahren noch verändern wird. Der nächste Genie- vice- und Versorgungsgesetz, mit dem der Minister streich, das Gesetz zur Neuordnung von RSA und vorgibt, zahlreiche drängende Probleme im deut- Kassenlandschaft, lugt bereits um die Ecke. Und schen Gesundheitswesen zu lösen. Um was geht Spahn, der auf der Tonspur keine Gelegenheit aus- es in diesem Gesetz eigentlich genau und was be- lässt, sich als Fan der Selbstverwaltung zu bezeich- deutet es für Ihre Praxis? Und mit welchem Typus nen, muss sich an seinen Taten und Gesetzen mes- Politiker haben wir es bei Jens Spahn eigentlich zu sen lassen. Und hier ist der Kurs eindeutig: Es geht tun? Unsere Titelstrecke wird hoffentlich einige in die Staatsmedizin. n Antworten darauf geben. Offen, aber umso drän- Karl M. Roth AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 19
TITELTHEMA „Handwerklich schlecht, vielleicht sogar böswillig“ Die hessischen KV-Vorstände bilanzieren das TSVG. Unter dem Strich bleiben: Popu- listen, Patienten ohne Verantwortung und ein Gesundheitswesen in ernster Gefahr. tenspeicherung von patientenbezogenen Daten in der TSS und in den Dispositionszentralen erforder- lich macht, sondern das Ganze muss ja auch noch nicht nur an die Praxen, sondern auch an die jewei- ligen Abrechnungsabteilungen der KVen weiterge- geben werden. Das wird einen Riesenaufwand. Und wenn man sich anschaut, und das ist ein Thema für sich, was in den TSS außerhalb der Psychotherapie passiert, muss man einfach mal wirklich nachfragen: Was soll das? Für wen wird das gemacht? Und dass dieses Gesetz eigentlich nichts anderes ist als Popu- lismus. Das fängt ja schon damit an, dass das Gesetz um diese Erhöhung der Mindestsprechstundenzei- ten auf 25 Stunden gebaut ist und das ganze Gesetz atmet diesen Geist „Faule Ärzte sind an allen Ver- Gibt es irgendetwas Positives, das Sie dem sorgungsproblemen schuld“ und er, Jens Spahn, löst TSVG abgewinnen können? jetzt alle Probleme dieser Welt, auch die in 25 Jah- Dastych: (zögert lange) Marginale Verbesserun- ren, von denen wir heute noch gar nichts wissen. gen bei den Prüfverfahren; dahingehend, dass bei Weil ein Bundesminister, der den Krebs heilt, löst den Zufallsprüfungen jetzt eine ablösende Rege- auch sonst alle Probleme im deutschen Gesundheits- lung kommt. Zukünftig müssen die Kassen, wenn wesen, rein mit Gesetzgebungsverfahren. Er braucht sie Wirtschaftlichkeitsprüfungen in einer Praxis wol- dafür keine Ärzte, er braucht dafür kein Pflegeperso- len, einen qualifizierten Antrag stellen. Das, was vor- nal, er braucht dafür niemanden, weil er schafft das her Gang und Gäbe war, dass eine rein statistische alles alleine. Auffälligkeit die Praxis in eine Beweislastumkehr ge- bracht hat – die Praxis musste dann beweisen, dass Starke: Kritisch sehe ich bei der ganzen Geschichte, sie wirtschaftlich ist –, das hat endlich ein Ende. dass die Position des Patienten völlig unberücksich- tigt bleibt. Dass wir in dieser Situation den Patienten Sonst noch irgendetwas, das Ihnen einfällt? nun auch noch anbieten, Termine über sieben Tage Dastych: Also die Idee, eine Rufnummer für je- 24 Stunden die Woche vereinbaren zu können. Dass den Service, ist sicher nicht schlecht. Was aber Herr wir damit natürlich auch eine Art Selbstverständlich- Spahn sich offensichtlich nicht überlegt hat: Wel- keit schaffen für die Patienten, die schon jetzt als ches technische und bürokratische Monster er da Folge eine zunehmende Aggression nach sich zieht, geschaffen hat. Was nicht nur die weitreichende Da- wenn es mal nicht so klappt, wie sie wollen. 20 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
TITELTHEMA Dastych: Auf gut Deutsch: Hier wird die Vollkas- sagt Herr Spahn nicht, aber es sind die freiberuflich ko-Mentalität des deutschen Patienten nach Strich Selbstständigen. Allen anderen ist nämlich das, was und Faden bedient. Offensichtlich sind Umfrage- Herr Spahn in dieses Gesetz reingeschrieben hat, werte für CDU/CSU und SPD wichtiger als eine struk- ziemlich egal, insbesondere den angestellten Ärztin- turierte Gesundheitsversorgung. nen und Ärzten in MVZs. Jetzt hat ja Herr Spahn immer wieder im Ver- Glauben Sie, dass da strategische Überlegun- laufe der Diskussion um das Gesetz und die gen dahinterstecken? Eine Umorganisation des verschiedenen Entwürfe gesagt, er löse nun Gesundheitswesens zum Beispiel? endlich ein Problem, das die Selbstverwaltung Dastych: Ich glaube, dass jeder halbwegs informier- jahrelang nicht gelöst habe. Wie stehen Sie zu te Gesundheitspolitiker mittlerweile weiß, dass es dieser These? so nicht mehr weitergeht. Keiner will es dem Wäh- Dastych: Welches Problem? ler eingestehen. Und man versucht das System jetzt noch bis zum Letzten auszuquetschen und auszu- Vermutlich das Problem rund um Termine und pressen. Und bitte noch eine Bundestagswahl ge- Wartezeiten ... winnen, insbesondere denkt man wahrscheinlich in Dastych: Ja, dann soll Herr Spahn mal dafür sorgen, einer Partei, die bei 15 oder 16 Prozent in den Umfra- dass Patienten nicht bei vier fachgleichen Fachärzten gen liegt, so. Und ansonsten: Nach uns die Sintflut! parallel Termine buchen dürfen, von denen dann der Und das ist eine fürchterliche Denke, weil es kurz- wahrgenommen wird, der einem am besten passt. Die anderen drei werden nicht wahrgenommen, da erscheinen die Patienten gar nicht. Da soll er sich doch mal mit dem Missbrauch, der Fehlinanspruch- nahme im deutschen Gesundheitswesen so intensiv beschäftigen wie mit dem Ärztemobbing, insbeson- dere der Fehlinanspruchnahme in den Notaufnah- men der Krankenhäuser, aber auch in unserem Ärzt- lichen Bereitschaftsdienst. Starke: Die Frage, ob es das richtige Zeichen ist in einer Zeit, wo wir schon heute wissen, dass die ärztliche Versorgung durch Weggang von älteren Kollegen, durch eine ganz andere Auffassung von Lebensführung und Freizeitdenken der jüngeren Ge- neration, ob es da richtig ist, von den Ärzten im- fristig ist und sich nur von Wahltermin zu Wahlter- mer mehr zu verlangen. Ihnen den Beruf sozusagen min bewegt. Aber eben nicht nachhaltig und nicht immer unattraktiver zu machen, ob das der richtige zukunftsträchtig. So hat Deutschland die Digitalisie- Weg ist, die zukünftige ärztliche Versorgung in den rung verschlafen, so verschläft Deutschland gerade Griff zu kriegen. Das wage ich zu bezweifeln. die Mobilitätswende, so fahren wir in der Gesund- heitsversorgung gegen die Wand. Das ist schlimm, Dastych: Und das Gesetz ist doch eine einzige Gift- was wir gerade erleben. Und dieses Gesetz wird die liste für einen immer kleiner werdenden Teil der nie- Erosion im deutschen Gesundheitswesen noch be- dergelassenen Ärztinnen und Ärzte, nämlich die frei- schleunigen. Das macht niemand mit, insbesonde- beruflich Selbständigen. Den Angestellten ist das re wenn er beginnt, dieses Gesetz zu verstehen. Ge- ziemlich egal, ob die jetzt gerade mal offene Sprech- rade die freiberuflich Selbstständigen werden hier stunde haben oder nicht, ob die Neu-Patienten se- quasi in ihren Praxen, was die Praxisorganisation an- hen oder nicht. Die arbeiten ihre Stunden ab und geht, enteignet. Sie müssen freie Termine melden, gehen abends pünktlich nach Hause und freitags sie müssen offene Sprechstunden anbieten, sie müs- um 15 Uhr fällt der Hammer fürs Wochenende. Wer sen jetzt 25 Stunden Sprechzeit anbieten, wobei das hier die zusätzlichen Lasten, die dieses Gesetz den absolut im Bereich des Populismus angesiedelt ist. Ärztinnen und Ärzten auferlegt, stemmen soll, das Denn natürlich arbeiten die allermeisten freiberuflich AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 21
TITELTHEMA Selbstständigen weit über 40 Stunden, zum Teil über stunden, dass dies de facto ein Minusgeschäft ist 50 Stunden in der Woche. Die angestellten Ärzte ar- und zulasten des Praxiserlöses geht, da war er schon beiten exakt so lange, wie es ihr Arbeitsvertrag vor- ziemlich hilflos. Jetzt kommt er mit ganz anderen sieht. Man muss schon extrem indolent sein, wenn Lösungen um die Ecke, indem er all das, was er bis- man sich unter den Bedingungen des TSVGs noch als her extrabudgetär verspricht bis hin zu Neupatien- freiberuflich Selbständiger niederlässt. ten, bereinigen lassen will. Jetzt stellen wir uns das mal vor: Es übernimmt eine junge Ärztin eine beste- Herr Spahn reißt also in seiner Hyperaktivität hende Einzelpraxis: Was passiert? Diese Praxis erhält ein funktionierendes System ein? im ersten Quartal 800, vielleicht auch 1.200 Fälle, Dastych: Das System funktioniert im Moment de- das sind alles Neupatienten. Die werden bereinigt, finitiv. Das System hat seine Schwachstellen, aber auch wenn die Bereinigung erst einmal auf ein Jahr Herr Spahn geht diese Schwachstellen nicht an. Ins- angelegt ist. Wir wissen ja nicht, was dem Gesetzge- besondere da, wo durch Fehlinanspruchnahme des ber alles so in den Sinn kommt. Und das heißt, die- Systems enorme Ressourcen gebunden werden, se Patienten werden dadurch finanziert, dass man aber auch finanzielle Ressourcen verbrannt wer- das Geld aus der Gesamtvergütung herausnimmt, den. Da geht er nicht dran. Stattdessen konstruiert den Krankenkassen zurückgibt und dann bezah- er Pseudoprobleme, die er mit zum Teil fatalen Lö- len die den Fall quasi extrabudgetär. Es kommt als sungen zu heilen gedenkt. Und es ist tatsächlich so, mehr Geld im ersten Jahr lediglich der kleine Gap dass die geschilderte Übergriffigkeit ganz klar Rich- zwischen der Budgetquote und der Euro-Gebühren- tung Staatsmedizin geht, was auch in den dem- ordnung an. Klein ist immer relativ, das kann im Ein- nächst anstehenden Gesetzen noch deutlicher wer- zelfall schon einmal zehn bis 15 Prozent bedeuten. den wird. Jetzt gucken wir aber mal in das zweite Jahr. Da ist der Neupatient gar kein Neupatient mehr, muss aber Starke: Was völlig fehlt, ist auch die Beschäftigung im Budget bezahlt werden. Es gibt also keine erneu- damit, dass sich immer mehr Investorgruppen in die te extrabudgetäre Vergütung. Das heißt: Die Kran- ambulante Versorgung einklinken, sie bestimmen kenkasse ist fein raus! Im ersten Jahr bekommt sie das Geld zurück, das in der MGV drin ist, muss den kleinen Gap zur 1:1-Vergütung drauflegen und im zweiten Jahr lacht sich die Kasse einen ab nach dem Motto: Jetzt nix mehr extrabudgetär. Es wird aber auch nicht wieder rückbereinigt und dann haben wir hier das Ergebnis, dass die Ärzte für die ehemali- gen Neupatienten, für die sie vielleicht zehn oder 20 Prozent mehr bekommen haben, bei einer gu- ten Vergütungsquote nun nur noch einen margina- len Honorarzuwachs haben. Im zweiten Jahr legen sie also gegebenenfalls drauf. Hier haben wir einen Minister, der glaubt, wir Ärzte wären dumm und wir könnten nicht rechnen. Insofern bin ich schwer ent- täuscht, weil sein Angebot, hier über dieses Prob- und sich die Rosinen herauspicken und die Basisver- lem, das er offensichtlich bis dahin nicht verstanden sorgung vernachlässigen. hatte, zu reden, sogar noch zu einer Verschlimm- besserung führt. Und so kann man mit einem Teil Im Zusammenhang mit dem TSVG war immer der Leistungsträger im deutschen Gesundheitswe- wieder vom Einstieg in das Ende der Budgetie- sen nicht umgehen. rung zu hören. Stimmt das? Dastych: Ich bin extrem enttäuscht von Herrn Das ist ein ziemlich vernichtendes Urteil ... Spahn, weil er die Unwahrheit sagt. Als ich ihm im Dastych: Die Frage ist, wofür das ein vernichten- Januar in Berlin mit meinem Abrechnungsbeispiel des Urteil ist? Für das Gesetz, dass es handwerklich zur größten Innovation seit der Erfindung des Rads schlampig oder boshaft ist? Oder für die Kompetenz angesprochen habe, nämlich den offenen Sprech- dieses Gesundheitsministers? 22 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
TITELTHEMA Auf KBV-Ebe- Politik seit Jahren versäumt. Sie verspricht den Pati- ne versucht enten Dinge, die kaum haltbar sind und wiederholt man positive dies Jahr für Jahr. Die Schraube wird immer enger Aspekte zu gedreht, ohne dass man die Patienten endlich auch finden, vor al- miteinbezieht. lem beim The- ma Patienten- Dastych: Wenn wir allein die No-shows und Mehr- steuerung ... fachinanspruchnahme von Haus- und Fachärz- Starke: Wir ha- ten und von Kinderärzten wirksam in den Griff be- ben ja anfäng- kommen, bekämen wir genügend Termine frei, um lich erwähnt, schon einmal einen Teil des vermeintlichen Mehrbe- dass die 116117 darfs abdecken zu können. als einheitliche Nummer für das KV-System tatsächlich partiell zu ei- Können die Mitglieder, kann die KV irgendet- nem Vorteil werden kann. Man kann insofern die KBV was dagegen unternehmen? verstehen, dass sie dies als Positives darstellt, auf der Dastych: Solange Herr Spahn parlamentarische anderen Seite aber ausblendet, dass wir den Patien- Mehrheiten hat, von der seine Gesetze in der Form ten damit noch nicht in der richtigen Ebene haben. durchgewinkt werden, sehe ich keine Chance auf Änderung. Wie werden Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Praxen nun mit diesen Zumutungen um- Starke: Die Patienten, die Wähler allgemein, müs- gehen? sen sich in Zukunft noch genauer anschauen, wel- Dastych: Die Ärztinnen und Ärzte werden das als che Veränderungen ihre Vertreter in Berlin in unse- sukzessive Enteignung ihrer Praxen empfinden, zu- rem Gesundheitssystem beschließen. Noch sind die mal hier ein jahrzehntealter, unge- Ärzte, noch ist die indivi- schriebener, aber doch immer gül- duelle medizinische Ver- tiger Kompromiss von Herrn Spahn sorgung, die wir mit letz- aufgekündigt wurde. Der Zulas- ter Kraft bieten, bei den sungsausschuss gibt dir eine Zulas- Patienten sehr beliebt. sung, du übernimmst einen Teil des Wenn sie stattdessen aber Versorgungsauftrags in deiner eige- lieber eine Staatsmedizin nen Praxis hast aber auch das Recht, wollen, die der Gesetzge- in deiner eigenen Praxis, Betriebs- ber wohl plant, werden sie wirtschaftlichkeit herzustellen. Jetzt sich wahrscheinlich in eini- kommt Herr Spahn und sagt: Du gen Jahren wundern. musst Termine für, für, für, für an die Terminservicestelle liefern. Du Dastych: Leider braucht musst fünf Stunden offene Sprech- man dafür demnächst ein stunde anbieten. Was sag ich denn Visum, um sich davon zu den Kolleginnen und Kollegen, die überzeugen, was es be- mit dieser neuen Systematik jetzt in deutet, zum Beispiel in eine betriebswirtschaftliche Schie- Großbritannien krank zu flage kommen? werden. Die Menschen wissen es doch, die zahllosen Zusatzversicherun- Was hätten Sie getan? Kurzes Gedankenspiel: gen mit Rückflug im Krankheitsfall belegen es doch. Sie wären Bundesgesundheitsminister. Was Der Wähler muss sich fragen lassen, wie lang er sich müsste passieren, um die ambulante Versor- noch Gesundheitspolitiker erlauben will, die vor den gung zu stärken? Ärztinnen und Ärzten, die dieses System tragen, kei- Starke: Ich kann Gesundheitsversorgung nicht or- nerlei Respekt haben. n ganisieren, ohne dass ich die Patienten in die Ver- Die Fragen stellte antwortung nehme. Und das ist genau das, was die Karl M. Roth AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019 23
TITELTHEMA Verordnungsmacht statt Evidenz gefährdet die Qualität der Versorgung Ob eine medizinische oder medizinisch-technische Untersuchungs- und Behand- lungsmethode als GKV-Leistung angeboten werden kann, ist in Deutschland für den ambulanten und stationären Bereich unterschiedlich geregelt. In der vertrags- ärztlichen Versorgung stehen neue Methoden unter einem Erlaubnisvorbehalt, im stationären Sektor unter einem Verbotsvorbehalt. Ein Kommentar von Prof. Josef Hecken Das bedeutet: In der ambulanten Versorgung dür- die Gewähr für einen standardisierten und transpa- fen neue ärztliche Untersuchungs- und Behandlungs- rent dokumentierten Beratungsverlauf. methoden erst dann zulasten der GKV erbracht wer- den, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Ver- deren diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, sorgung von Patienten und Versicherten sind hohe die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlich- und uneingeschränkt zu erhaltende Güter im System keit geprüft und insgesamt positiv bewertet (= er- der gesetzlichen Krankenversicherung. Und aus gutem laubt) hat. Bereits erbrachte Leistungen können aus- Grund müssen Leistungen der Krankenkassen nach geschlossen werden, wenn sie beispielsweise nicht den grundlegenden Anforderungen des SGB V dem mehr dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis- Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen. se in der jeweiligen Therapierichtung entsprechen. Rechtsgrundlage ist § 135 Abs. 1 SGB V. Zudem dür- Dies beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung und fen neue Heilmittel nur dann vertragsärztlich verord- nach allen wissenschaftlichen Kriterien für eine fragliche net werden, wenn der G-BA zuvor ihren therapeuti- Untersuchungs- und Behandlungsmethode einen Wirk- schen Nutzen anerkannt hat. Rechtsgrundlage hier ist samkeitsnachweis, der zumindest ein Nutzen-Scha- § 138 SGB V. den-Verhältnis zugunsten des Nutzens voraussetzt, und zwar zum elementaren Schutz der Patientinnen und Pa- Im Krankenhaus hingegen können Methoden zulas- tienten vor unnützen oder gar schädlichen medizini- ten der GKV erbracht werden, solange sie nicht vom schen Behandlungen. Wenn auf diesen Wirksamkeits- G-BA beispielsweise aufgrund eines fehlenden Nut- nachweis verzichtet würde, käme dies einer direkten zennachweises ausgeschlossen (= verboten) wur- Gefährdung von Patientinnen und Patienten gleich, ins- den. Rechtsgrundlage ist § 137c Abs. 1 SGB V. Die besondere in den Fällen, in denen der G-BA nach einer gesetzlichen Rahmenvorgaben zur Durchführung ei- Bewertung eine Methode wegen eines fehlenden Wirk- nes Bewertungsverfahrens – von Antragstellung über samkeitsnachweises nicht in die Regelversorgung auf- Stellungnahmeverfahren und wissenschaftliche Ent- genommen oder sie sogar ausgeschlossen hat und die- scheidungsgrundlagen bis zur Beschlussfassung – se auf dem Wege einer Ministerverordnung Bestandteil sind in die Verfahrensordnung des G-BA übernom- des Leistungskatalogs würde. men worden und konkretisiert dargelegt (1. und insbesondere 2. Kapitel der Verfahrensordnung (Ver- Ein solches Gefährdungspotenzial zeigt beispielswei- fO) des G-BA). Die Verfahrensordnung bildet damit se der Ausschluss arthroskopischer Verfahren zur Be- 24 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
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