PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen

 
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PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
AUF DEN
 PUNKT.
Das Servicemagazin für unsere Mitglieder Nr. 2 / Mai 2019

                         Das Jahrhundertgesetz
Problemkind Arztbrief:
Haus- und Fachärzte
im Dialog
Seite 46

info.service
Offizielle Bekanntmachungen
Seite 30
PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
INHALT

             STANDPUNKT
             Multi(in)stabile Wahrnehmungsphänomene                                     3

             AKTUELLES
             „Jeder soll Zugang zu ­einer qualitativ hochwertigen V
                                                                  ­ ersorgung haben“    4
             Ausgezeichnet                                                              7
             Die Würfel sind gefallen                                                   8
             Kampagne: KVH macht ÄBD und 116117 bekannt                                11
             E-Akten: Risiken klar benennen und Chancen nutzen                         14
             TITELTHEMA
             Auf Irrwegen zur Staatsmedizin                                            18
             „Handwerklich schlecht, v­ ielleicht sogar böswillig“                     20
             Verordnungsmacht statt Evidenz gefährdet die Qualität der Versorgung      24
             TSVG: Was ändert sich?                                                    26
             TSVG aus hessischer Sicht                                                 34
             „Intention und Änderungen sind nicht konvergent“                          36

             PRAXISTIPPS
             Regresse sind vermeidbar                                                  40
             Honorarkürzungen vermeiden!                                               44
             Wie war das? Fragen aus der Praxis                                        45
             Wir müssen reden                                                          46

             NACHWUCHS
             Mit dem MedMobil in die Landarztpraxis                                    50
             Entspannt dank Kita-Förderung                                             52

             QUALITÄT
             Qualitätszirkel 2.0                                                       53
             Qualitätsmanagement – Ihr Gewinn!?                                        55
             VERANSTALTUNGEN
             Treffpunkt – Fortbildungsveranstaltungen und Termine                      57

             SERVICE
             Ihr Kontakt zu uns/Impressum                                              59

2            AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
STANDPUNKT

 Multi(in)stabile
­Wahrnehmungsphänomene
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

kennen Sie M.C. Escher? Keine Angst, Sie haben sich
nicht in eine Kunstvorlesung verirrt und dies ist auch
nicht das Hessische Ärzteblatt, zu dem der Blick auf
Kultur und Literatur ja gehört. Escher ist ein 1898
geborener holländischer Künstler und Grafiker, des-
sen Werke mittlerweile große Popularität besitzen. In
„seinem“ Wikipedia-Eintrag heißt es: „Seine bekann-
testen Werke, die Escher nahezu den Status eines
Popstars einbrachten, beschäftigen sich mit der Dar-
stellung perspektivischer Unmöglichkeiten, optischer       entgegenfiebert. Und natürlich sind wir als Vertrags-
Täuschungen und multistabiler Wahrnehmungsphä-             ärzte und -psychotherapeuten ebenfalls massiv be-
nomene. Man sieht Objekte oder Gebäude, die auf            troffen, wie wir Ihnen in der Titelstrecke dieses Hef-
den ersten Blick natürlich zu sein scheinen, auf den       tes zeigen müssen.
zweiten aber vollkommen widersprüchlich sind („un-
mögliche Figuren“).“ Wer das liest, wird unweiger-         Jens Spahn ist ein Politiker dieser Zeit. „Postfaktisch“
lich und direkt auf die aktuelle Gesundheitspolitik, ih-   und „populistisch“ sind zwei Attribute, die immer wie-
ren Hauptprotagonisten und sein aktuellstes Gesetz         der bemüht werden, wenn man Politiker dieses neuen
gestoßen. Jens Spahn hat es „geschafft“, innerhalb         Typs beschreiben will. Wahrscheinlich würde er sich
von nur einem Jahr unser Gesundheitswesen an vie-          gegen beide wehren, wenn sie ihm möglicherweise
len Stellen „auf links“ zu drehen und wir halten die-      auch insgeheim schmeicheln mögen. Auf den ersten
se Entwicklung für hochgefährlich. Denn hier geht es       Blick wirkt vieles, was er tut, aktiv, anpackend, am Ge-
nicht um Kunst, sondern um ein existenzielles Feld der     meinwohl orientiert. Schaut man jedoch genauer hin,
Daseinsversorgung: um die Gesundheitsversorgung in         wirken die Spahnschen Gebäude gar nicht mehr so
diesem Land sowie die Rahmenbedingungen, unter             stabil, nein, sogar vollkommen widersprüchlich. Wer
denen wir „Leistungserbringer“ zu arbeiten haben.          mal vergleicht, was vom ursprünglichen Gesetzesent-
                                                           wurf übrig geblieben ist, der kann eigentlich zu kei-
Und schaut man sich Jens Spahns „Wirken“ an, so ist        nem anderen Ergebnis kommen, als dass da jemand
das gar nicht so weit entfernt von dem, wie Escher         arg gerupft wurde. Doch Herrn Spahn ficht das nicht
gearbeitet hat. Zwar arbeitet er nicht mit optischen       an – er macht einfach weiter, als wäre nichts gewe-
Täuschungen, aber wie es geht, die Öffentlichkeit mit      sen. Und das macht ihn so gefährlich. Denn am Ge-
Nebelkerzen vom Eigentlichen abzulenken, versteht          sundheitswesen hat er wahrscheinlich nur wenig In-
er meisterhaft. „Präexpositionsprophylaxe“, „die Hei-      teresse. Im Mittelpunkt steht er – und seine weitere
lung des Krebses“, mit diesen populistischen Projek-       politische Karriere.
ten an der Oberfläche bemäntelt er sein eigentliches
Tun: den kompletten Umbau des deutschen Gesund-            Mit kollegialen Grüßen, Ihre
heitswesens. Obwohl er sich immer wieder als Fan der
„Selbstverwaltung“ bezeichnete, schwingt er die Ab-
rissbirne mittlerweile in beängstigenden Radien. Man
frage nach beim G-BA und Prof. Hecken (vgl. Seiten
24-25), man frage nach in der deutschen Kranken­           Frank Dastych		               Dr. Eckhard Starke
kassenlandschaft, die dem „Faire-Kassenwahl-­Gesetz“       Vorstandsvorsitzender stv. Vorstandsvorsitzender

                                                                                   AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019           3
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AKTUELLES

                  „Jeder soll Zugang zu ­einer
                  qualitativ hochwertigen
                 ­Versorgung haben“
                 Kai Klose ist der neue hessische Minister für Soziales und Integration. Im Inter-
                 view mit Auf den PUNKT. spricht er über die Versorgung im ländlichen Raum, den
                 Haus­ärztemangel und die Notfallversorgung und darüber, welche Schwerpunkte
                 er gesundheitspolitisch setzen möchte.

                 Sie sind seit Januar 2019 neuer Hessischer Mi-         dass wir in diesem Jahr beabsichtigen, als nächsten
                 nister für Soziales und Integration. Welche            Schritt zur Steigerung der Patientensicherheit in den
                 Schwerpunkte werden Sie in der Gesundheits-            hessischen Krankenhäusern unser Konzept des Pati-
                 politik setzen?                                        entensicherheitsbeauftragten vorzustellen.
                 Klose: Für uns ist die Sicherstellung einer flächen-
                 deckenden gesundheitlichen Versorgung als Teil der     In einer alternden Gesellschaft ist außerdem die ge-
                 Daseinsvorsorge besonders wichtig. Jede und je-        sundheitliche und pflegerische Versorgung eines der
                 der in Hessen soll Zugang zu einer qualitativ hoch­    wichtigsten Themen: Wir werden deshalb die Inves-
                 wertigen wohnortnahen medizinischen Versorgung         titionen in Krankenhäuser verstärken und für eine
                 haben. Durch ein ganzes Maßnahmenbündel wer-           gute Erreichbarkeit von Arztpraxen und Kliniken, ge-
                 den wir uns darum kümmern: Dazu gehören bei-           rade auch in den ländlichen Räumen, sorgen. So ste-
                 spielsweise auch die Fachkräftesicherung im ärzt­      hen bereits im Vergleich zum Vorjahr den hessischen
                 lichen und nichtärztlichen Bereich sowie der Einsatz   Krankenhäusern 132 Millionen Euro mehr zur Verfü-
                                           telemedizinischer Anwen-     gung, damit erhöht sich das Gesamtbudget der hes-
    „Für uns ist die Sicherstellung dungen.                             sischen Krankenhäuser auf rund 5,3 Milliarden Euro.
    einer flächendeckenden gesund-
    heitlichen Versorgung als Teil Wichtige Schwerpunkte                Welche Projekte werden Sie im ländlichen
    der Daseinsvorsorge besonders werden im Koalitionsver-              Raum umsetzen, um die gesundheitliche Ver-
    wichtig.“                              trag der Landesregierung     sorgung sicher und zukunftsfest aufzustellen?
                                           genannt, die wir jetzt um-   Klose: Ein besonderer Schwerpunkt ist die wohn-
                 setzen. Zum Beispiel die Fortsetzung des Gesund-       ortnahe Versorgung der Bürgerinnen und Bürger.
                 heitspakts, mit dem wir Projekte fördern, die die      Ergänzend zu den Maßnahmen der Nachwuchs-
                 gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum          kampagne der KV Hessen unterstützt die Landes-
                 durch Vernetzung der Anbieter, durch Digitalisie-      regierung im Rahmen der Offensive „Land hat Zu-
                 rung und neue Ideen zur Arbeitsteilung erhalten        kunft – Heimat Hessen“ kommunale Maßnahmen
                 und stärken. Zudem werden wir für chronische Er-       zur Sicherung der gesundheitlichen Versorgung im
                 krankungen eine Gesamtbehandlungsstrategie erar-       ländlichen Raum. Wir werden weitere regionale Ge-
                 beiten lassen. Wir werden den Weg der Patienten-       sundheitszentren fördern, Gemeinschaftspraxen und
                 orientierung konsequent fortsetzen und vor jeder       Medizinische Versorgungszentren stärken, den Ein-
                 gesundheitspolitischen Entscheidung abwägen, ob        satz von Gemeindeschwestern unterstützen und Sti-
                 und welchen konkreten Nutzen sie für die Patientin-    pendien für Landärztinnen und -ärzte ausloben. So
                 nen und Patienten bringen kann. Dazu gehört auch,      können wir jetzt schon feststellen, dass die Förde-

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AKTUELLES

rung der Famulatur in hessischen Landarztpraxen ein
großer Erfolg ist. Seit ihrem Start 2016 wurden be-
reits über 1.300 Medizinstudierende mit Landesmit-
teln gefördert, die ihre Famulatur in einer hessischen
Landarztpraxis absolvierten. Das zeigt, dass das
Inter­esse an einer hausärztlichen Tätigkeit im länd-
lichen Raum steigt.
                                                                                                                   Hessischer
                                                                                                                   ­Minister für
Aufgrund der sehr positiven Entwicklung haben wir
                                                                                                                    ­Soziales und
mit der KV Hessen vereinbart, die Fördersumme auf        weite Wege zu Facharztzentren entfallen und zudem           ­Integration:
bis zu 420.000 Euro in 2019 zu erhöhen. Neben der        können unnötige Doppeluntersuchungen abgebaut                Kai Klose.
                                                                                                                      Foto: @HMSI
Famulatur-Förderung für Studierende unterstützen         werden. Durch den Einsatz von IVENA im Rettungs-
wir mit Angeboten des „Kompetenzzentrums Wei-            dienst, den Aufbau eines Epilepsie-Netzes an den
terbildung Allgemeinmedizin“ junge Ärztinnen und         Unikliniken Frankfurt und Marburg oder die Verbes-
Ärzte in Weiterbildung bis hin zur Niederlassung         serung der sektorenübergreifenden Notfallversor-
mit verschiedenen Modulen. Zudem wurde durch             gung in den Landkreisen Marburg-Biedenkopf und
das zweijährige Modellprojekt Medibus von der KV         Gießen zeigt Telemedizin bereits jetzt ihren wertvol-
ein flexibles Angebot geschaffen, das die Hausärz-       len Nutzen.
te in ländlichen Regionen Nordhessens unterstützt
und als zusätzliche mobile Praxis für kürzere Wege       Welche Maßnahmen ergreift Hessen, um den
zum Allgemeinmediziner sorgt. Generell benötigen         Hausärztemangel zu stoppen?
wir eine gute Zusammenarbeit mit allen Akteuren          Klose: Uns ist klar, dass wir dafür auch die Studien-
der Gesundheit – den Ärztinnen und Ärzten, Kran-         plätze in Humanmedizin erhöhen müssen. Aus die-
kenhäusern, Krankenkassen etc. Dafür haben wir den       sem Grund haben wir im Koalitionsvertrag verein-
Gesundheits­pakt 3.0 abgeschlossen, durch den wir        bart, dass wir die an der Universität Marburg noch
uns auf ganz konkrete Maßnahmen verständigt ha-          bestehenden Teilzeitstudienplätze der Humanmedi-
ben, zum Beispiel zum Ausbau der E-Health-Nutzung.       zin mit der Hochschule Ful-
                                                         da und dem Klinikum Fulda „Zudem wurde durch das zweijähri-
Welche Rolle spielt Telemedizin bei den Be-              über die bisher vereinbar- ge Modellprojekt Medibus von der
mühungen, die ärztliche Versorgung auf dem               te Pilotphase hinaus kom- KV ein flexibles Angebot geschaf-
Land sicherzustellen?                                    plett in Vollstudienplätze fen, das die Hausärzte in ländlichen
Klose: Telemedizin eröffnet Chancen, da sie sehr         umwandeln. Mit der Einfüh- Regionen Nordhessens unterstützt
schnell medizinische Expertise zu den Menschen           rung einer „Landarztquo- und als zusätzliche mobile Praxis
bringen und Distanzen überbrücken kann. Damit            te“ im Hochschulzugang für für kürzere Wege zum Allgemein-
ist sie ein Schlüssel zu einer weiterhin wohnortna-      das Studium der Humanme- mediziner sorgt.“
hen Versorgung. Sie generiert zudem moderne, at-         dizin werden wir zusätzliche
traktive Arbeitsplätze für junge Fachkräfte der Heil-    Medizinerinnen und Medizi-
und Gesundheitsberufe, gerade im ländlichen Raum.        ner für den ländlichen Raum gewinnen. Diese Plät-
Wir stellen im Rahmen unserer E-Health-Initiative        ze sollen an Studierende vergeben werden, die sich
jährlich sechs Millionen Euro hierfür zur Verfügung.     verpflichten, sich später im ländlichen Raum nie-
Expertenwissen kann auch über telemedizinische           derzulassen. Außerdem werden wir Stipendien für
Facharztnetze in den ländlichen Raum gebracht wer-       Land­ärztinnen und Landärzte ausloben, um Studen-
den. Für Patientinnen und Patienten können dadurch       tinnen und Studenten monatlich zu unterstützen,

                                                                                AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019                       5
PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
AKTUELLES

                       sofern sie sich ebenfalls verpflichten, als Ärztin oder   wollen wir diese Frage beantworten. Hier steht am
                       Arzt im ländlichen Raum tätig zu werden.                  Eingang ein zentraler Tresen, bei dem alle Patientin-
                                                                                 nen und Patienten eine Ersteinschätzung und dann,
                       Wie soll Notfallversorgung geregelt werden?               je nach Notwendigkeit, eine gute Behandlung in ei-
                       Klose: Das Angebot der Notfallaufnahme in den             ner Praxis oder Klinik erhalten. Im Koalitionsvertrag
                       Krankenhäusern wird derzeit sehr stark genutzt,           haben wir vereinbart, dieses Modell bis zum Ende
                       auch von Menschen, die vielleicht bei der „norma-         der Legislaturperiode flächendeckend einzuführen,
                       len“ ärztlichen Bereitschaft besser aufgehoben wä-        denn es ist sehr erfolgreich – und am Ende profitie-
                       ren und dort auch schneller behandelt werden              ren alle davon. Die Patientinnen und Patienten wer-
                       könnten. Die Frage ist hier: Wie können wir die Pati-     den schneller behandelt und das medizinische Per-
                       entinnen und Patienten dabei unterstützen, den rich-      sonal wird entlastet. Wir freuen uns, dass wir hier
                       tigen Ansprechpartner für ihre Situation zu finden?       Vorreiter sind. n
                       Mit dem Modellprojekt zur sektorenübergreifenden                                             Die Fragen stellte
                       Notfallversorgung am Klinikum Frankfurt-Höchst                                                    Karl M. Roth

                               Kai Klose
    Interviewpartner

                       Geburtsdatum und -ort:           23.12.1973 in Usingen/Ts.

                                 Familienstand:         Verheiratet

                          Seit 18. Januar 2019		Hessischer Minister für Soziales und ­Integration

                          Seit 1. Oktober 2017		Staatssekretär und Bevollmächtigter für Integration und Anti­
                                                  diskriminierung im Hessischen Ministerium für Soziales und
                                                  Integration

                       Seit 18. Dezember 2013           Vorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen

                                 2009–09/2017		         Abgeordneter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag

                                     2006–2009          Kreistag Rheingau-Taunus-Kreis

                                     2005–2011          Politischer Geschäftsführer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen

                                    2004 –2005          Vorstandsreferent BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen

                                            2004        Zweites S
                                                                ­ taatsexamen für die Fächer Deutsch, Politik und Wirtschaft

                                     2002–2004		        Lehrer im Vorbereitungsdienst

                                     2001–2006          Gemeindevorstand Waldems

                                            2001 	Erstes Staatsexamen für das Lehramt an ­Gymnasien
                                                   an der P
                                                          ­ hilipps-Universität Marburg

                                     1993–2001          Gemeindevertretung Waldems

                                            1993        Abitur, Pestalozzigymnasium Idstein

6                      AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
AKTUELLES

Ausgezeichnet
Schöner Erfolg für das Modellprojekt „Medibus“ der Kassenärztlichen Vereinigung
Hessen (KVH): Im Rahmen des Innovationspreises „Ausgezeichnete Gesundheit
2019“ wurde die mobile Arztpraxis in Berlin vom Zentralinstitut für die kassenärzt-
liche Versorgung in Deutschland (Zi) prämiert.

Seit Juli 2018 ist der Medibus in Nordhessen unter-
wegs. Als rollende Arztpraxis hält er regelmäßig in
fünf Gemeinden, um die medizinische Versorgung
der Patienten in der von Versorgungsengpässen be-
troffenen Region zu unterstützen. Das Versorgungs-
angebot wird von der Bevölkerung sehr gut an-
genommen. Mehr als 2.200 Patienten haben sich
bereits untersuchen lassen. Realisiert wurde das Pi-
lotprojekt der KVH gemeinsam mit der DB Regio, die
den zur mobilen Arztpraxis umgebauten Linienbus
bereitstellt.

Im März erhielt der Medibus neben drei weiteren
Modellprojekten den Titel „Ausgezeichnete Gesund-
heit 2019“ in der Kategorie „Versorgung mit Sicher-
heit“. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der
KVH, Dr. Eckhard Starke, nahm den Preis in Berlin                                                               KVH-Vorstand
entgegen: „Es ist uns in Nordhessen mit dem Me-                                                                 Dr. Eckhard Starke
                                                                                                                bei der Preisver-
dibus gelungen, die angespannte medizinische Ver-      Der Preis „Ausgezeichnete Gesundheit“ wurde in die-      leihung in Berlin
sorgungslage in fünf Gemeinden vorerst abzumil-        sem Jahr zum zweiten Mal vom Zi an exzellente Bei-       mit Zi-Vorstands-­
dern. Denn da, wo die Versorgung immer stärker         spiele ambulanter Versorgung vergeben. Bereits im        vorsitzendem
                                                                                                                Dr. Andreas Gassen
ausdünnt, kann eine mobile Einheit wie der Medibus     Vorjahr gewann die KV Hessen den Innovationspreis        (l.) und Zi-Kuratori-
die Lösung sein. Das haben die vergangenen Mona-       in der Kategorie „Versorgung im Notfall“ für das Pro-    umsvorsitzendem
te, in denen die mobile Arztpraxis nun erfolgreich     jekt „Partnerpraxen“. n                                  Dr. Jörg Hermann (r.).

im Einsatz ist, gezeigt. Die Auszeichnung als exzel-                            Marilena Demarez-Bandeh
lentes Beispiel ambulanter Versorgung zeigt uns ein-
mal mehr, dass wir mit unserem Pilotprojekt Medi-
bus ein innovatives Konzept realisieren konnten.
Und es bestätigt uns darin, auch einmal unkonven-         Weitere Informationen unter:
tionelle Wege einzuschlagen und Versorgung neu            www.ausgezeichnete-gesundheit.de
zu denken.“

                                                                              AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019                     7
PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
AKTUELLES

                       Die Würfel sind gefallen
                       Die Vertreterversammlung am 30. März stand ganz im Zeichen der Politik in Berlin
                       und der neuen Regierung in Wiesbaden. Während man beim TSVG nun weiß, wo-
                       hin die Reise gehen soll, ist noch offen, wie sich die zukünftige Zusammenarbeit
                       mit dem Hessischen Sozialministerium gestalten wird.

Geschäftsführer Jörg
 Hoffmann erläutert
  Details zum TSVG.

                       Der Schleier des TSVG ist gelüftet und das, was da auf       User über aktuelle Neuerungen informiert. Erreichbar
                       die Niedergelassenen zurollt, ist für diejenigen, die sich   ist das geschützte Portal unter www.kvhaktuell.de.
                       mit der Materie auskennen, nach wie vor besorgniser-         Eine Registrierung geht ganz einfach unter Angabe
                       regend. Nichtsdestotrotz startete Dr. Klaus-Wolfgang         der LANR und der Postleitzahl.
                       Richter, der Vorsitzende der Vertreterversammlung,
                       seinen Bericht mit positiven Themen. Er informier-           MEHR ÄRZTE, MEHR HONORAR
                       te über den Sachstand des BSG-Verfahrens in Sachen
                       EHV vom 12. Dezember 2018 und brachte die frohe              Auf Initiative von Dr. Burkhardt Voigt stellte Dr. Rich-
                       Kunde, dass der paritätische Defizitausgleich für rech-      ter dann noch eine Resolution zu Veränderungen in
                       tens erachtet wurde. Begeistert sprach er zudem über         der Bedarfsplanung von Kinderärzten vor, die ein-
                       das neue Verordnungsportal der KV Hessen. Es bietet          stimmig angenommen wurde. Zu erwarten ist, dass
                       den Mitgliedern Hilfestellung rund um das komplexe           durch die zum 1. Juli 2019 überarbeitete Bedarfspla-
                       Thema der Verordnungen und enthält alle Beschlüsse           nungsrichtlinie die Niederlassung von zusätzlichen
                       des G-BA. Zudem werden per Newsletter registrierte           Kinderärzten möglich wird. Diesen dringend benö-

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AKTUELLES

                                                                                                                     Impressionen
                                                                                                                     aus der Vertreter-
                                                                                                                     versammlung.
tigten zusätzlichen Arztsitzen müsse aber auch zu-       ten. Zynismus und Sarkasmus prägten seine Beurtei-
sätzliches Honorar folgen, so die Vertreter in der Re-   lungen einzelner Zitate von Karl Lauterbach und Jens
solution. Eine „Einpreisung“ zusätzlicher Arztsitze      Spahn. So sprach er von „Karl ‚der die Menschheit
bei gleichbleibendem Honorar sei keine Option.           von der Zweiklassenmedizin befreit‘ Lauterbach“ und
                                                         „Jens ‚der den Krebs heilt’ Spahn“. Dahinter versteck-
POLITIK AUS DEM „GIFTSCHRANK“                            te sich für alle offensichtlich Dastychs Empörung, dass
                                                         der Bundestag schlussendlich das Terminservice- und
Den politischen Themen aus Bund und Land widme-          Versorgungsgesetz durchgewunken hatte. Seine Kri-
te sich nach dem Vortrag von Dr. Richter dann umfas-     tikpunkte stellte er den Mitgliedern der KV Hessen
send Frank Dastych, der Vorstandsvorsitzende der KV      Punkt für Punkt dezidiert vor. An dieser Stelle sei da-
Hessen. Unter dem Motto „Nach dem TSVG ist vor           her auf die Titelstrecke des Heftes sowie auf die Seiten
dem GKV-FKG“ artikulierte Dastych unmissverständ-        20-23 verwiesen. Ob es im Zuge der politischen Gän-
lich seine Ablehnung des von Bundesminister Spahn        gelung durch die Bundesebene für wachsende Ver-
geplanten „Faire-Kassenwahl-Gesetzes (GKV-FKG)“.         sorgungsaufgaben im ambulanten Sektor in Hessen
Dieses Gesetz beinhaltet zwei große Themenblöcke,        seitens des Hessischen Sozialministeriums Fürsprache
die Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs       und aktive Unterstützung geben wird, ist – so der Vor-
wie auch Eingriffe in das bisherige Organisations-       stand der KV Hessen weiter – eine spannende und
recht der regional tätigen Krankenkassen, die primär     noch offene Frage. Der seit Januar avisierte Antritts-
die AOKen vor große Herausforderungen stellen dürf-      besuch von ­Dastych und Dr. Starke bei Staatsminis-

                                                                                                                           Infobox
    Die Resolution „Mehr Kinderärzte nur bei zusätzlichem Honorar“ im Wortlaut: „Die Bedarfs-
    planung wird zum 1. Juli 2019 die allgemeinpädiatrische Versorgung erweitern, weil sie bei
    steigenden Patientenzahlen die Versorgung unter der jetzigen Bedarfsplanung nicht mehr er-
    füllen kann. An dieser Stelle wirken sich gesellschaftliche Veränderungen, das Entstehen neu-
    er Krankheiten sowie zunehmend verunsicherte Eltern, die Krankheiten nicht mehr richtig
    einschätzen können, besonders aus. Zusätzliche Sitze sind also dringend notwendig, belas-
    ten aber nach der gültigen Honorarsystematik das ohnehin begrenzte Honorarvolumen der
    Fachgruppe. Zusätzliche Sitze müssten somit durch das Honorar aller niedergelassenen Kin-
    der- und Jugendärzte im jeweiligen KV-Bereich finanziert werden. Wir fordern eine adäqua-
    te Anpassung mit einer basiswirksamen Steigerung des Honorarvolumens in der Fachgruppe.
    Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen wird die Forderung nach einer notwendigen Finan-
    zierung zusätzlicher Vertragsarztsitze in den demnächst beginnenden Honorarverhandlun-
    gen stellen.“

                                                                                 AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019                      9
PUNKT - Das Jahrhundertgesetz - KV Hessen
AKTUELLES

    Erst anmelden,
  dann teilnehmen.
Armin Beck schreibt
          sich in die
    ­Teilnehmerliste
         der VV ein.

                        ter Kai Klose fand erst am 2. Mai 2019 statt. Zudem
                        informierte Dastych, dass der Vorstand der KV Hes-
                        sen nach wie vor an regelmäßigen Gesprächen mit
                        dem Gesundheitspolitischen Personal des Sozial- und
                        Integrationspolitischen Ausschusses (SIA) interessiert
                        ist, sobald sich die neuen SIA-Mitglieder in ihre neuen
                        Aufgaben eingefunden haben. Darüber hinaus stellte
                        Dastych noch die Erweiterungen der SiRiLi-Maßnah-
                        men vor (siehe www.kvhessen.de/sirili) und warb
                        begeistert für die KV Hessen-Kampagne zur 116117,
                        die am 30. April startete (siehe Seite 11).

                        Abschließend informierte Dr. Starke, der stellvertre-
                        tende Vorstandsvorsitzende, die anwesenden Mit-
                        glieder der Vertreterversammlung über die anste-
                        hende neu zu entwickelnde Prüfvereinbarung. Einige
                        Verhandlungspositionen, wie die Anerkennung von
                        Praxisbesonderheiten, sind bereits im TSVG veran-
                        kert, andere müssen nun neu bewertet werden. Die
                        entsprechenden Verhandlungen mit den Krankenkas-
                        sen wurden zwischenzeitlich wieder aufgenommen,
                        Informationen dazu folgen zu gegebener Zeit. n
                                                            Petra Bendrich
                                                                                  Angenommen: die Resolution der Kinder-
                                                                                                       und Jugendärzte.

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AKTUELLES

Kampagne: KVH macht
ÄBD und 116117 bekannt
Wie bekannt sind der Ärztliche Bereitschaftsdienst Hessen (ÄBD) und die Rufnum-
mer 116117? Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) machte dazu eine
Forsa-Umfrage und erhielt deutliche Ergebnisse. Eine neue Kampagne soll jetzt die
Bekanntheit steigern.

Husten, Schnupfen, Übelkeit, Kopfschmerzen oder          kennen jedoch nur 13 Prozent der hessischen Bevöl-
Fieber – wer außerhalb der Praxisöffnungszeiten ei-      kerung. Bekannt sind der Bereitschaftsdienst und die
nen Arzt benötigt, ist beim ÄBD richtig. Das Prob-       Rufnummer – wenn überhaupt – bei älteren Men-
lem: Viele hessische Patienten kennen weder den Be-      schen in ländlichen Regionen. Jüngeren Hessen,
reitschaftsdienst noch die Rufnummer 116117. Das         die in Frankfurt, Offenbach, Darmstadt, Kassel oder
ergab eine von der KVH in Auftrag gegebene re-           Wiesbaden wohnen, sind der ÄBD und vor allem die
präsentative Umfrage des Markt- und Meinungsfor-         116117 dagegen überwiegend fremd. Das soll sich
schungsinstituts Forsa unter mehr als 2.000 Hessen.      möglichst schnell ändern.

116117 IN STÄDTEN WEITGEHEND UNBE-                       „Mit der Situation können wir nicht zufrieden sein.
KANNT                                                    Damit die Patienten den Ärztlichen Bereitschaftsdienst
                                                         nutzen, anstatt in überfüllte Notaufnahmen zu ge-
In Zahlen bedeutet das: 72 Prozent aller Befragten ha-   hen, müssen sie den ÄBD und die 116117 natürlich
ben zwar vom ÄBD gehört oder gelesen. Die 116117         zunächst einmal kennen. Daran müssen wir arbeiten“,

                                                                                AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019           11
AKTUELLES

             so die Vorstandsvorsitzen-                                                        CROSSMEDIALE
             den der KVH, Frank Dastych                                                        ­KOMMUNIKATION IM
             und Dr. Eckhard Starke.                                                            ­COMICDESIGN

             JUNGE URBANE ZIEL-                                                                 Mit der neuen Kampagne
             GRUPPE IM FOKUS                                                                    bewirbt die KVH den Be-
                                                                                                reitschaftsdienst  erstmals
             Für mehr Bekanntheit soll                                                          in großem Umfang und
             eine hessenweite Kommu-                                                            über mehrere Kommuni-
             nikations- und Werbekam-                                                           kationskanäle hinweg. So
             pagne sorgen, insbesondere                                                         gibt es neben einem reich-
             ausgerichtet auf die jun-                                                          weitenstarken Hörfunk-Spot
             ge urbane Bevölkerung. Los                                                         auf hr3 und YOU FM auch
             ging es bereits Ende ­April.                                                       großflächige Plakate in elf
             Im Mittelpunkt der Kam­                                                            hessischen Ballungsräumen,
             pagne steht die 116117                                                             Werbung auf Bussen, On-
             (gesprochen elf sechs elf sie-                                                     line-Werbung sowie Post-
             ben), ihr zur Seite stellt die                                                     karten zum Mitnehmen in
             KVH die Botschaft: „Bei Anruf Arzt. Rund um die Uhr.“    der Gastronomie. Optisch setzt die KVH auf ein knal-
             Bisher hatte der Claim „Die Nummer, die hilft.“ den      liges Comicdesign, das mit Motiven wie „Autsch“,
             Bereitschaftsdienst begleitet. Diesen gibt die KVH ab    „Stöhn“ oder „Schnief“ mit dem Kranksein spielt und
             sofort auf.                                              starke Aufmerksamkeit erzeugt. Damit sich die Kam-
                                                                      pagneninhalte möglichst auch über die Medien ver-
             „Der neue Claim bringt auf den Punkt, worum es           breiten, präsentierte die KVH die neuen Werbeaktivi-
             geht. Er ist prägnant und zugleich informativ. Darüber   täten zudem im Rahmen eines PR-Termins in Frankfurt
             hinaus berücksichtigt er bereits den im Terminservice-   geladenen Medienvertretern.
             und Versorgungsgesetz (TSVG) vorgesehenen Ausbau
             der Terminservicestellen. Diese sollen ab Januar 2020    „Wir sind überzeugt, dass die Kampagne den Nerv
             24 Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche eben-       der Menschen trifft und wir die Bekanntheit des ÄBD
             falls unter der bundesweit einheitlichen 116117 für      und der 116117 bei Jung – und bei Alt – deutlich er-
             die Vermittlung von Terminen erreichbar sein“, erläu-    höhen können“, so das Vorstandsduo der KVH. n
             tern Dastych und Starke.                                                                 Alexander Kowalski

12           AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
s P ro j e k t
    M o b i l e               i b u s
                                                                                                                  RUBRIK

                      Med
        Sie möchten an einem innovativen und zukunftsweisenden Projekt zur mobilen hausärztlichen Versorgung auf dem
        Land mitarbeiten? Sie haben Freude am Kontakt, an der Behandlung und Begleitung von Menschen und schätzen
        den Austausch mit Ihren hausärztlichen Kollegen? Dann haben wir genau das Richtige für Sie!

        Zur Unterstützung der hausärztlichen Versorgung für unser mobiles Projekt Medibus im
        Landkreis Hersfeld-Rotenburg und im Werra-Meißner-Kreis sind Sie

    GESUCHT:
    Fachärztin/Facharzt für Allgemeinmedizin/
    Innere Medizin
         Das sind Ihre Aufgaben:
         • allgemeinmedizinische Untersuchung, Diagnostik, Behandlung und Begleitung
           von Menschen im ländlichen Raum
         • Unterstützung der hausärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen im
           Rahmen einer mobilen Arztpraxis

         Das bringen Sie mit:
         • abgeschlossene Facharztweiterbildung im Fachgebiet Allgemeinmedizin
           oder Innere Medizin
         • mehrjährige Berufserfahrung mit persönlichem Patientenkontakt

         Das bieten wir Ihnen:
                                                                                                        Gerne informiere ich
         • die Möglichkeit, an einem innovativen mobilen hausärztlichen
                                                                                                        Sie persönlich!
           Versorgungsprojekt mitzuarbeiten, das es in dieser Form noch nie gab                         Ich freue mich auf Ihren Anruf
         • einen umgebauten Linienbus als Arbeitsplatz, ausgestattet mit moderner                       unter 069 24741-6967
           medizinischer Ausrüstung                                                     Jennifer Reus

llende Arztpraxis                                                                       Personalrecruiting
                                                                                        Kassenärztliche Vereinigung Hessen
                                                                                        Europa-Allee 90

orgabe - 4. KVH-Entwurf
         Klingt das interessant? Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung!
                                                                                        60486 Frankfurt am Main
         Bewerben Sie sich bequem online über unsere Jobbörse unter
         www.kvhessen.de/karriere

         Bei entsprechender Eignung werden schwerbehinderte Menschen
         bevorzugt berücksichtigt.

r                                                                  WIR SORGEN FÜR GESUNDHEIT

r                                                                             AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019                 13
AKTUELLES

                      E-Akten: Risiken klar benennen
                      und Chancen nutzen
                      Auf der Skala der schützenswerten Daten stehen sie ganz oben: Gesundheits­
                      daten. Gerade deshalb werden elektronische Patienten- (ePA) und Gesundheits-
                      akten (eGA) kontrovers diskutiert. Sicher ist: Die ePA wird laut Terminservice- und
                      Versorgungsgesetz (TSVG) ab 2021 verpflichtend eingeführt. Aber: Absolute Da-
                      tensicherheit gibt es dabei nicht. Wie passt das zusammen? Welche Zugeständ-
                      nisse müssen wir machen? Und sollten Ärzte da mitziehen? Diese Fragen haben
                      Ärztevertreter, Krankenkassen und IT-Experten beim Workshop „Elektronische Ge-
                      sundheitsakte: Datenparadies oder Datenleck?“ diskutiert.

   KVH-Vorstands-
 vorsitzender Frank
 Dastych begrüßte
     die Gäste und
  führte als Mode-
   rator durch den
         Workshop.

                      Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) hat           vorsitzender. „Wenn wir sie nicht mitgestalten, wird
                      ihren Mitgliedern mit dem Workshop Ende März in            es jemand anderes tun.“
                      Frankfurt die Chance gegeben, sich über ePa- und
                      eGA-Apps der Kassen zu informieren und sich eine           Andere Länder sind an dieser Stelle deutlich weiter
                      Meinung darüber zu bilden, ob sie die Digitalisierung      als Deutschland, allerdings werfen immer neue Da-
                      im Gesundheitswesen mitgestalten wollen oder               tenlecks die Fragen auf, welche Risiken den Nutzen
                      nicht. „Denn eins ist klar: Die Digitalisierung ist eine   gegenüberstehen, ob und wie sie minimiert werden
                      riesige Chance für unsere Gesellschaft und jede ein-       können und vor allem, wer sie am Ende trägt. Ärzte?
                      zelne Praxis“, sagte Frank Dastych, KVH-Vorstands-         Patienten? Anbieter?

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AKTUELLES

               Norbert Sudhoff, BARMER Hessen
               gab sich desillusioniert: Über die Digita-
               lisierung im Gesundheitswesen habe er
               schon 2001 referiert, passiert sei in der
               Zwischenzeit zu wenig. „Wir haben das
               TSVG abgewartet, bevor wir eine App
               entwickeln. Jetzt, da wir mit der Ver-
               abschiedung des Gesetzes einen klaren
               Auftrag haben, machen wir uns an die
               konkrete Entwicklung und werden am
               1. Januar 2021 fristgerecht eine ePA zur Verfügung stellen“, sagte er. Die bisherigen
               BARMER-Apps könnten gegebenenfalls in eine elektronische Akte eingebaut werden.

Anja Nöske und Volker Wagner, AOK Hessen
setzen auf Regionalität und stellten die Gesundheitsakte des Digitalen Gesundheitsnetzwerks
(DiGeN) vor. Pilotprojekte dazu sind bereits 2016 in einzelnen Regionen gestartet, im Februar
2020 soll die DiGeN bundesweit mit ersten Funktionalitäten live gehen. Im Fokus stehe die Ver-
netzung, der 360-Grad-Blick auf den Patienten. Die Vision der Akte sei, alle Akteure durch ein
komplexes Rollen- und Rechtekonzept zu vernetzen, also neben Patienten, Ärzten und Kran-
kenhäusern auch Reha, Pflege, Heil- und Hilfsmittel­erbringer einzubeziehen.

                                                                          AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019          15
AKTUELLES

                                                          Michael Martinet, DAK
                                                          sieht Defizite bei der Gesundheitskompetenz der Deut-
                                                          schen und stellte die eGA Vivy vor, die diese stärken soll.
                                                          Vivy ist aus einem Konsortium mehrerer Kassen entstanden
                                                          und seit 2018 auf dem Markt, also im AppStore erhältlich.
                                                          Sie assistiert Patienten durch Terminerinnerungen und Arzt-
                                                          suche, bietet eine Gesundheitsakte mit Notfalldaten und
                                                          medizinischen Dokumenten. Zusätzlich können Patienten
                                                          Lifestyle-Infos eintragen und Dienste ihrer jeweiligen Ver-
                                                          sicherung verwalten. Im zweiten Quartal 2019 soll Vivy an
                                                          KV-Connect angebunden werden.

      Dr. Susanne Ozegowski,
      Techniker Krankenkasse (TK)
      ist überzeugt von dieser Investition in die Zukunft und
      stellte den TK-Safe nicht nur vor, sondern warb um die
      aktive Teilnahme der Ärzte als „first mover“. Die eGA
      TK Safe ist Teil der TK-App, hat aktuell 125.000 Nutzer
      und soll später in die verpflichtende ePA überführt wer-
      den. Dazu soll sie 2019 als Pilot in Hessen und Berlin an
      ­KV-Connect angeschlossen werden. Laut ­Ozegowski
       muss die Reise nach der Datenspeicherung und Vernet-
       zung weitergehen: hin zu smarten Services und einer
       digitalen Versorgungsplattform.

                                                     Martin Tschirsich, IT Security Analyst
                                                     ist Mitglied des Chaos Computer Clubs Darmstadt und Ex-
                                                     perte für Datensicherheit. 2018 hat er im Rahmen einer Si-
                                                     cherheitsanalyse elektronischer Gesundheitsdaten auch die
                                                     eGA Vivy geprüft – und Sicherheitsmängel festgestellt. Trotz
                                                     aller Kritik hat er anerkannt: „Die Anbieter haben die App
                                                     professionell überprüfen lassen und sich um einschlägi-
                                                     ge Siegel bemüht.“ Allerdings suggerierten die Siegel eine
                                                     Sicherheit, die sie eigentlich nicht geben, und neuen Si-
                                                     cherheitsmaßnahmen stünden auch immer neue Angriffs-
                                                     möglichkeiten gegenüber: „Hundertprozentige Sicherheit
                                                     können sie nicht versprechen.“

16           AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
AKTUELLES

2018 war mindestens jeder zweite Norwe-                  sen. Auch muss klar sein, wer diese Entschädigun-
ger von Datenklau betroffen, als eine Gesund-            gen zu tragen hat, wer also haftbar gemacht wird.“
heitsbehörde gehackt wurde. Im Januar 2019               Nur so könnten alle Beteiligten ihren Beitrag zu er-
wurde bekannt, dass in Singapur Namen und                folgreichen E-Akten leisten: Die App-Anbieter, weil
persönliche Angaben von fast 15.000 HIV-Pati-            es auch monetär in ihrem Interesse liege, ihre An-
enten geleakt wurden. Und in Schweden lagen              wendungen so sicher und authentisch wie mög-
mehr als zweieinhalb Millionen Patientenanru-            lich zu gestalten. Die Patienten, weil sie ihre Daten
fe ungeschützt im Netz.                                  in guten Händen wissen – oder zumindest entschä-
                                                         digt werden, wenn sie es nicht waren. Und die Leis-
Mit diesem kurzen Status quo in puncto Sicherheit        tungserbringer wie Ärzte, indem sie auf authenti-
elektronischer Gesundheitsdaten packte IT Secu-          sche (beispielsweise signierte) Daten zurückgreifen
rity Analyst Martin Tschirsich nicht nur das Publi-      können und nicht für Sicherheitslücken haften, die
kum, sondern auch seine Vorredner, die Vertreter         außerhalb ihres Einflussbereichs liegen.
der Kassen. Er war ihnen bereits bekannt: 2018 ge-
lang es ihm, die Gesundheitsapp Vivy zu hacken.          Anregungen, an denen Kassen, die Player im Ge-
Und das, nachdem sie – im ehrenwerten Auftrag ih-        sundheitswesen und die IT-Branche gemeinsam ar-
rer Entwickler – von Profi-Hackern und namhaften         beiten müssen. „Ich werde sie definitiv mit nach Ber-
Siegeln (beispielsweise TÜV und Fraunhofer-Institut      lin nehmen, damit sie eine Chance haben, in die ePA
für Angewandte und Integrierte Sicherheit, AISEC)        2.0 einzufließen“, versprach Dastych. „Denn was wir
vermeintlich für sicher erklärt wurde. Kein Wunder       heute vorgestellt haben, ist zunächst freiwillig. Ärz-
also Tschirsichs These: „Absolute Datensicherheit        te müssen selbst bewerten, ob sie ihre Patienten bei
gibt es nicht.“                                          der eGA unterstützen möchten. 2021 wird ihre Mit-
                                                         wirkung durch die Einführung der ePA allerdings ver-
Rät er Kassen, Leistungserbringern und Patienten         pflichtend – und bis dahin brauchen wir mehr Si-
also von der Digitalisierung ab? Nein. „Ich beleuch-     cherheit.“
te die Risiken und bin überzeugt, dass wir diese kal-
kulieren, klar benennen, transparent kommunizie-         ONLINE WEITERLESEN
ren und gemeinsam minimieren müssen. Nur so
kann es gelingen, das Vertrauen von Patienten und        Das war nicht genug? Lesen Sie online weiter, was
Leistungserbringern zu gewinnen und zu erhalten“,        die Ärzte im Publikum umgetrieben hat: Wie kommt
meint Tschirsich. Ohne dieses Vertrauen werden Ärz-      der Datensatz vom Patienten in die Praxisverwal-
te, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Patien-       tungssoftware (PVS)? Welche Sicherheit muss ich als
ten die digitalen Akten wohl kaum nutzen, was sie        Arzt geben? Kann ich belangt werden, wenn ich die
nutzlos macht. Denn, da waren sich zumindest Ärz-        elektronischen Akten nutze? Was ist mit gesperrten
te- und die meisten Kassenvertreter einig: Nur au-       Daten wie psychiatrischen Befunden oder mit Fehl-
thentische, möglichst vollständige Daten sind ver-       diagnosen? Wie werden die Daten geschützt, wenn
wertbare Daten.                                          das Smartphone verloren geht? Und können Patien-
                                                         ten ihre ePa einfach wieder löschen?
RISIKEN KALKULIEREN, MINIMIEREN, KOM-                    www.kvhessen.de/eakte
MUNIZIEREN

Tschirsich plädiert deshalb für Entschädigungsrege-
lungen und für die Zusammenarbeit der App-Anbie-
ter im Sinne der Sicherheit: „Es ist wichtig, dass wir
uns bewusst sind und allen Beteiligten bewusst ma-
chen, dass jedes System kompromittierbar ist. Und
dass Datenlecks Entschädigungen in einer bestimm-                                                          n
ten Höhe für die Betroffenen nach sich ziehen müs-                                                Sabine Voß

                                                                                AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019           17
TITELTHEMA

18        AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
TITELTHEMA

Auf Irrwegen zur Staatsmedizin
Es hat über ein Jahr gedauert, bis Bundesgesund-      gender ist indes die übergeordnete Frage, in wel-
heitsminister Jens Spahn das Kernstück seiner ge-     che Richtung dieser hochaktive Gesundheitsminis-
sundheitspolitischen Agenda für die laufende          ter unser Gesundheitswesen in den nächsten zwei
Legislatur durchbringen konnte: das Terminser-        Jahren noch verändern wird. Der nächste Genie-
vice- und Versorgungsgesetz, mit dem der Minister     streich, das Gesetz zur Neuordnung von RSA und
vorgibt, zahlreiche drängende Probleme im deut-       Kassenlandschaft, lugt bereits um die Ecke. Und
schen Gesundheitswesen zu lösen. Um was geht          Spahn, der auf der Tonspur keine Gelegenheit aus-
es in diesem Gesetz eigentlich genau und was be-      lässt, sich als Fan der Selbstverwaltung zu bezeich-
deutet es für Ihre Praxis? Und mit welchem Typus      nen, muss sich an seinen Taten und Gesetzen mes-
Politiker haben wir es bei Jens Spahn eigentlich zu   sen lassen. Und hier ist der Kurs eindeutig: Es geht
tun? Unsere Titelstrecke wird hoffentlich einige      in die Staatsmedizin. n
Antworten darauf geben. Offen, aber umso drän-                                              Karl M. Roth

                                                                            AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019       19
TITELTHEMA

          „Handwerklich schlecht,
          ­vielleicht sogar böswillig“
          Die hessischen KV-Vorstände bilanzieren das TSVG. Unter dem Strich bleiben: Popu-
          listen, Patienten ohne Verantwortung und ein Gesundheitswesen in ernster Gefahr.

                                                                    tenspeicherung von patientenbezogenen Daten in
                                                                    der TSS und in den Dispositionszentralen erforder-
                                                                    lich macht, sondern das Ganze muss ja auch noch
                                                                    nicht nur an die Praxen, sondern auch an die jewei-
                                                                    ligen Abrechnungsabteilungen der KVen weiterge-
                                                                    geben werden. Das wird einen Riesenaufwand. Und
                                                                    wenn man sich anschaut, und das ist ein Thema für
                                                                    sich, was in den TSS außerhalb der Psychotherapie
                                                                    passiert, muss man einfach mal wirklich nachfragen:
                                                                    Was soll das? Für wen wird das gemacht? Und dass
                                                                    dieses Gesetz eigentlich nichts anderes ist als Popu-
                                                                    lismus. Das fängt ja schon damit an, dass das Gesetz
                                                                    um diese Erhöhung der Mindestsprechstundenzei-
                                                                    ten auf 25 Stunden gebaut ist und das ganze Gesetz
                                                                    atmet diesen Geist „Faule Ärzte sind an allen Ver-
          Gibt es irgendetwas Positives, das Sie dem                sorgungsproblemen schuld“ und er, Jens Spahn, löst
          TSVG abgewinnen können?                                   jetzt alle Probleme dieser Welt, auch die in 25 Jah-
          Dastych: (zögert lange) Marginale Verbesserun-            ren, von denen wir heute noch gar nichts wissen.
          gen bei den Prüfverfahren; dahingehend, dass bei          Weil ein Bundesminister, der den Krebs heilt, löst
          den Zufallsprüfungen jetzt eine ablösende Rege-           auch sonst alle Probleme im deutschen Gesundheits-
          lung kommt. Zukünftig müssen die Kassen, wenn             wesen, rein mit Gesetzgebungsverfahren. Er braucht
          sie Wirtschaftlichkeitsprüfungen in einer Praxis wol-     dafür keine Ärzte, er braucht dafür kein Pflegeperso-
          len, einen qualifizierten Antrag stellen. Das, was vor-   nal, er braucht dafür niemanden, weil er schafft das
          her Gang und Gäbe war, dass eine rein statistische        alles alleine.
          Auffälligkeit die Praxis in eine Beweislastumkehr ge-
          bracht hat – die Praxis musste dann beweisen, dass        Starke: Kritisch sehe ich bei der ganzen Geschichte,
          sie wirtschaftlich ist –, das hat endlich ein Ende.       dass die Position des Patienten völlig unberücksich-
                                                                    tigt bleibt. Dass wir in dieser Situation den Patienten
          Sonst noch irgendetwas, das Ihnen einfällt?               nun auch noch anbieten, Termine über sieben Tage
          Dastych: Also die Idee, eine Rufnummer für je-            24 Stunden die Woche vereinbaren zu können. Dass
          den Service, ist sicher nicht schlecht. Was aber Herr     wir damit natürlich auch eine Art Selbstverständlich-
          Spahn sich offensichtlich nicht überlegt hat: Wel-        keit schaffen für die Patienten, die schon jetzt als
          ches technische und bürokratische Monster er da           Folge eine zunehmende Aggression nach sich zieht,
          geschaffen hat. Was nicht nur die weitreichende Da-       wenn es mal nicht so klappt, wie sie wollen.

20        AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
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Dastych: Auf gut Deutsch: Hier wird die Vollkas-        sagt Herr Spahn nicht, aber es sind die freiberuflich
ko-Mentalität des deutschen Patienten nach Strich       Selbstständigen. Allen anderen ist nämlich das, was
und Faden bedient. Offensichtlich sind Umfrage-         Herr Spahn in dieses Gesetz reingeschrieben hat,
werte für CDU/CSU und SPD wichtiger als eine struk-     ziemlich egal, insbesondere den angestellten Ärztin-
turierte Gesundheitsversorgung.                         nen und Ärzten in MVZs.

Jetzt hat ja Herr Spahn immer wieder im Ver-            Glauben Sie, dass da strategische Überlegun-
laufe der Diskussion um das Gesetz und die              gen dahinterstecken? Eine Umorganisation des
verschiedenen Entwürfe gesagt, er löse nun              Gesundheitswesens zum Beispiel?
endlich ein Problem, das die Selbstverwaltung           Dastych: Ich glaube, dass jeder halbwegs informier-
jahrelang nicht gelöst habe. Wie stehen Sie zu          te Gesundheitspolitiker mittlerweile weiß, dass es
dieser These?                                           so nicht mehr weitergeht. Keiner will es dem Wäh-
Dastych: Welches Problem?                               ler eingestehen. Und man versucht das System jetzt
                                                        noch bis zum Letzten auszuquetschen und auszu-
Vermutlich das Problem rund um Termine und              pressen. Und bitte noch eine Bundestagswahl ge-
Wartezeiten ...                                         winnen, insbesondere denkt man wahrscheinlich in
Dastych: Ja, dann soll Herr Spahn mal dafür sorgen,     einer Partei, die bei 15 oder 16 Prozent in den Umfra-
dass Patienten nicht bei vier fachgleichen Fachärzten   gen liegt, so. Und ansonsten: Nach uns die Sintflut!
parallel Termine buchen dürfen, von denen dann der      Und das ist eine fürchterliche Denke, weil es kurz-
wahrgenommen wird, der einem am besten passt.
Die anderen drei werden nicht wahrgenommen, da
erscheinen die Patienten gar nicht. Da soll er sich
doch mal mit dem Missbrauch, der Fehlinanspruch-
nahme im deutschen Gesundheitswesen so intensiv
beschäftigen wie mit dem Ärztemobbing, insbeson-
dere der Fehlinanspruchnahme in den Notaufnah-
men der Krankenhäuser, aber auch in unserem Ärzt-
lichen Bereitschaftsdienst.

Starke: Die Frage, ob es das richtige Zeichen ist
in einer Zeit, wo wir schon heute wissen, dass die
ärztliche Versorgung durch Weggang von älteren
Kollegen, durch eine ganz andere Auffassung von
Lebensführung und Freizeitdenken der jüngeren Ge-
neration, ob es da richtig ist, von den Ärzten im-      fristig ist und sich nur von Wahltermin zu Wahlter-
mer mehr zu verlangen. Ihnen den Beruf sozusagen        min bewegt. Aber eben nicht nachhaltig und nicht
immer unattraktiver zu machen, ob das der richtige      zukunftsträchtig. So hat Deutschland die Digitalisie-
Weg ist, die zukünftige ärztliche Versorgung in den     rung verschlafen, so verschläft Deutschland gerade
Griff zu kriegen. Das wage ich zu bezweifeln.           die Mobilitätswende, so fahren wir in der Gesund-
                                                        heitsversorgung gegen die Wand. Das ist schlimm,
Dastych: Und das Gesetz ist doch eine einzige Gift-     was wir gerade erleben. Und dieses Gesetz wird die
liste für einen immer kleiner werdenden Teil der nie-   Erosion im deutschen Gesundheitswesen noch be-
dergelassenen Ärztinnen und Ärzte, nämlich die frei-    schleunigen. Das macht niemand mit, insbesonde-
beruflich Selbständigen. Den Angestellten ist das       re wenn er beginnt, dieses Gesetz zu verstehen. Ge-
ziemlich egal, ob die jetzt gerade mal offene Sprech-   rade die freiberuflich Selbstständigen werden hier
stunde haben oder nicht, ob die Neu-Patienten se-       quasi in ihren Praxen, was die Praxisorganisation an-
hen oder nicht. Die arbeiten ihre Stunden ab und        geht, enteignet. Sie müssen freie Termine melden,
gehen abends pünktlich nach Hause und freitags          sie müssen offene Sprechstunden anbieten, sie müs-
um 15 Uhr fällt der Hammer fürs Wochenende. Wer         sen jetzt 25 Stunden Sprechzeit anbieten, wobei das
hier die zusätzlichen Lasten, die dieses Gesetz den     absolut im Bereich des Populismus angesiedelt ist.
Ärztinnen und Ärzten auferlegt, stemmen soll, das       Denn natürlich arbeiten die allermeisten freiberuflich

                                                                               AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019       21
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          Selbstständigen weit über 40 Stunden, zum Teil über     stunden, dass dies de facto ein Minusgeschäft ist
          50 Stunden in der Woche. Die angestellten Ärzte ar-     und zulasten des Praxiserlöses geht, da war er schon
          beiten exakt so lange, wie es ihr Arbeitsvertrag vor-   ziemlich hilflos. Jetzt kommt er mit ganz anderen
          sieht. Man muss schon extrem indolent sein, wenn        Lösungen um die Ecke, indem er all das, was er bis-
          man sich unter den Bedingungen des TSVGs noch als       her extrabudgetär verspricht bis hin zu Neupatien-
          freiberuflich Selbständiger niederlässt.                ten, bereinigen lassen will. Jetzt stellen wir uns das
                                                                  mal vor: Es übernimmt eine junge Ärztin eine beste-
          Herr Spahn reißt also in seiner Hyperaktivität          hende Einzelpraxis: Was passiert? Diese Praxis erhält
          ein funktionierendes System ein?                        im ersten Quartal 800, vielleicht auch 1.200 Fälle,
          Dastych: Das System funktioniert im Moment de-          das sind alles Neupatienten. Die werden bereinigt,
          finitiv. Das System hat seine Schwachstellen, aber      auch wenn die Bereinigung erst einmal auf ein Jahr
          Herr Spahn geht diese Schwachstellen nicht an. Ins-     angelegt ist. Wir wissen ja nicht, was dem Gesetzge-
          besondere da, wo durch Fehlinanspruchnahme des          ber alles so in den Sinn kommt. Und das heißt, die-
          Systems enorme Ressourcen gebunden werden,              se Patienten werden dadurch finanziert, dass man
          aber auch finanzielle Ressourcen verbrannt wer-         das Geld aus der Gesamtvergütung heraus­nimmt,
          den. Da geht er nicht dran. Stattdessen konstruiert     den Krankenkassen zurückgibt und dann bezah-
          er Pseudoprobleme, die er mit zum Teil fatalen Lö-      len die den Fall quasi extrabudgetär. Es kommt als
          sungen zu heilen gedenkt. Und es ist tatsächlich so,    mehr Geld im ersten Jahr lediglich der kleine Gap
          dass die geschilderte Übergriffigkeit ganz klar Rich-   zwischen der Budgetquote und der Euro-Gebühren-
          tung Staatsmedizin geht, was auch in den dem-           ordnung an. Klein ist immer relativ, das kann im Ein-
          nächst anstehenden Gesetzen noch deutlicher wer-        zelfall schon einmal zehn bis 15 Prozent bedeuten.
          den wird.                                               Jetzt gucken wir aber mal in das zweite Jahr. Da ist
                                                                  der Neupatient gar kein Neupatient mehr, muss aber
          Starke: Was völlig fehlt, ist auch die Beschäftigung    im Budget bezahlt werden. Es gibt also keine erneu-
          damit, dass sich immer mehr Investorgruppen in die      te extrabudgetäre Vergütung. Das heißt: Die Kran-
          ambulante Versorgung einklinken, sie bestimmen          kenkasse ist fein raus! Im ersten Jahr bekommt sie
                                                                  das Geld zurück, das in der MGV drin ist, muss den
                                                                  kleinen Gap zur 1:1-Vergütung drauflegen und im
                                                                  zweiten Jahr lacht sich die Kasse einen ab nach dem
                                                                  Motto: Jetzt nix mehr extrabudgetär. Es wird aber
                                                                  auch nicht wieder rückbereinigt und dann haben wir
                                                                  hier das Ergebnis, dass die Ärzte für die ehemali-
                                                                  gen Neupatienten, für die sie vielleicht zehn oder
                                                                  20 Prozent mehr bekommen haben, bei einer gu-
                                                                  ten Vergütungsquote nun nur noch einen margina-
                                                                  len Honorarzuwachs haben. Im zweiten Jahr legen
                                                                  sie also gegebenenfalls drauf. Hier haben wir einen
                                                                  Minister, der glaubt, wir Ärzte wären dumm und wir
                                                                  könnten nicht rechnen. Insofern bin ich schwer ent-
                                                                  täuscht, weil sein Angebot, hier über dieses Prob-
          und sich die Rosinen herauspicken und die Basisver-     lem, das er offensichtlich bis dahin nicht verstanden
          sorgung vernachlässigen.                                hatte, zu reden, sogar noch zu einer Verschlimm-
                                                                  besserung führt. Und so kann man mit einem Teil
          Im Zusammenhang mit dem TSVG war immer                  der Leistungsträger im deutschen Gesundheitswe-
          wieder vom Einstieg in das Ende der Budgetie-           sen nicht umgehen.
          rung zu hören. Stimmt das?
          Dastych: Ich bin extrem enttäuscht von Herrn            Das ist ein ziemlich vernichtendes Urteil ...
          Spahn, weil er die Unwahrheit sagt. Als ich ihm im      Dastych: Die Frage ist, wofür das ein vernichten-
          Januar in Berlin mit meinem Abrechnungsbeispiel         des Urteil ist? Für das Gesetz, dass es handwerklich
          zur größten Innovation seit der Erfindung des Rads      schlampig oder boshaft ist? Oder für die Kompetenz
          angesprochen habe, nämlich den offenen Sprech-          dieses Gesundheitsministers?

22        AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019
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                                       Auf KBV-Ebe-         Politik seit Jahren versäumt. Sie verspricht den Pati-
                                       ne     versucht      enten Dinge, die kaum haltbar sind und wiederholt
                                       man ­positive        dies Jahr für Jahr. Die Schraube wird immer enger
                                       Aspekte        zu    gedreht, ohne dass man die Patienten endlich auch
                                       finden, vor al-      miteinbezieht.
                                       lem beim The-
                                       ma Patienten-        Dastych: Wenn wir allein die No-shows und Mehr-
                                       steuerung ...        fachinanspruchnahme von Haus- und Fachärz-
                                       Starke: Wir ha-      ten und von Kinderärzten wirksam in den Griff be-
                                       ben ja anfäng-       kommen, bekämen wir genügend Termine frei, um
                                       lich     erwähnt,    schon einmal einen Teil des vermeintlichen Mehrbe-
                                       dass die 116117      darfs abdecken zu können.
                                       als einheitliche
Nummer für das KV-System tatsächlich partiell zu ei-        Können die Mitglieder, kann die KV irgendet-
nem Vorteil werden kann. Man kann insofern die KBV          was dagegen unternehmen?
verstehen, dass sie dies als Positives darstellt, auf der   Dastych: Solange Herr Spahn parlamentarische
anderen Seite aber ausblendet, dass wir den Patien-         Mehrheiten hat, von der seine Gesetze in der Form
ten damit noch nicht in der richtigen Ebene haben.          durchgewinkt werden, sehe ich keine Chance auf
                                                            Änderung.
Wie werden Ihre Kolleginnen und Kollegen in
den Praxen nun mit diesen Zumutungen um-                    Starke: Die Patienten, die Wähler allgemein, müs-
gehen?                                                      sen sich in Zukunft noch genauer anschauen, wel-
Dastych: Die Ärztinnen und Ärzte werden das als             che Veränderungen ihre Vertreter in Berlin in unse-
sukzessive Enteignung ihrer Praxen empfinden, zu-           rem Gesundheitssystem beschließen. Noch sind die
mal hier ein jahrzehntealter, unge-                                                  Ärzte, noch ist die indivi-
schriebener, aber doch immer gül-                                                    duelle medizinische Ver-
tiger Kompromiss von Herrn Spahn                                                     sorgung, die wir mit letz-
aufgekündigt wurde. Der Zulas-                                                       ter Kraft bieten, bei den
sungsausschuss gibt dir eine Zulas-                                                  Patienten sehr beliebt.
sung, du übernimmst einen Teil des                                                   Wenn sie stattdessen aber
Versorgungsauftrags in deiner eige-                                                  lieber eine Staatsmedizin
nen Praxis hast aber auch das Recht,                                                 wollen, die der Gesetzge-
in deiner eigenen Praxis, Betriebs-                                                  ber wohl plant, werden sie
wirtschaftlichkeit herzustellen. Jetzt                                               sich wahrscheinlich in eini-
kommt Herr Spahn und sagt: Du                                                        gen Jahren wundern.
musst Termine für, für, für, für an
die Terminservicestelle liefern. Du                                                  Dastych: Leider braucht
musst fünf Stunden offene Sprech-                                                    man dafür demnächst ein
stunde anbieten. Was sag ich denn                                                    Visum, um sich davon zu
den Kolleginnen und Kollegen, die                                                    überzeugen, was es be-
mit dieser neuen Systematik jetzt in                                                 deutet, zum Beispiel in
eine betriebswirtschaftliche Schie-                                                  Großbritannien krank zu
flage kommen?                                                                        werden. Die Menschen
                                                            wissen es doch, die zahllosen Zusatzversicherun-
Was hätten Sie getan? Kurzes Gedankenspiel:                 gen mit Rückflug im Krankheitsfall belegen es doch.
Sie wären Bundesgesundheitsminister. Was                    Der Wähler muss sich fragen lassen, wie lang er sich
müsste passieren, um die ambulante Versor-                  noch Gesundheitspolitiker erlauben will, die vor den
gung zu stärken?                                            Ärztinnen und Ärzten, die dieses System tragen, kei-
Starke: Ich kann Gesundheitsversorgung nicht or-            nerlei Respekt haben. n
ganisieren, ohne dass ich die Patienten in die Ver-                                           Die Fragen stellte
antwortung nehme. Und das ist genau das, was die                                                   Karl M. Roth

                                                                                   AUF DEN PUNKT NR. 2 / MAI 2019       23
TITELTHEMA

          Verordnungsmacht statt
          ­Evidenz gefährdet die Qualität
           der Versorgung
          Ob eine medizinische oder medizinisch-technische Untersuchungs- und Behand-
          lungsmethode als GKV-Leistung angeboten werden kann, ist in Deutschland für
          den ambulanten und stationären Bereich unterschiedlich geregelt. In der vertrags-
          ärztlichen Versorgung stehen neue Methoden unter einem Erlaubnisvorbehalt, im
          stationären Sektor unter einem Verbotsvorbehalt.
          Ein Kommentar von Prof. Josef Hecken

          Das bedeutet: In der ambulanten Versorgung dür-         die Gewähr für einen standardisierten und transpa-
          fen neue ärztliche Untersuchungs- und Behandlungs-      rent dokumentierten Beratungsverlauf.
          methoden erst dann zulasten der GKV erbracht wer-
          den, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)         Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Ver-
          deren diagnostischen oder therapeutischen Nutzen,       sorgung von Patienten und Versicherten sind hohe
          die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlich-      und uneingeschränkt zu erhaltende Güter im System
          keit geprüft und insgesamt positiv bewertet (= er-      der gesetzlichen Krankenversicherung. Und aus gutem
          laubt) hat. Bereits erbrachte Leistungen können aus-    Grund müssen Leistungen der Krankenkassen nach
          geschlossen werden, wenn sie beispielsweise nicht       den grundlegenden Anforderungen des SGB V dem
          mehr dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis-       Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen.
          se in der jeweiligen Therapierichtung entsprechen.
          Rechtsgrundlage ist § 135 Abs. 1 SGB V. Zudem dür-      Dies beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung und
          fen neue Heilmittel nur dann vertragsärztlich verord-   nach allen wissenschaftlichen Kriterien für eine fragliche
          net werden, wenn der G-BA zuvor ihren therapeuti-       Untersuchungs- und Behandlungsmethode einen Wirk-
          schen Nutzen anerkannt hat. Rechtsgrundlage hier ist    samkeitsnachweis, der zumindest ein Nutzen-Scha-
          § 138 SGB V.                                            den-Verhältnis zugunsten des Nutzens voraussetzt, und
                                                                  zwar zum elementaren Schutz der Patientinnen und Pa-
          Im Krankenhaus hingegen können Methoden zulas-          tienten vor unnützen oder gar schädlichen medizini-
          ten der GKV erbracht werden, solange sie nicht vom      schen Behandlungen. Wenn auf diesen Wirksamkeits-
          G-BA beispielsweise aufgrund eines fehlenden Nut-       nachweis verzichtet würde, käme dies einer direkten
          zennachweises ausgeschlossen (= verboten) wur-          Gefährdung von Patientinnen und Patienten gleich, ins-
          den. Rechtsgrundlage ist § 137c Abs. 1 SGB V. Die       besondere in den Fällen, in denen der G-BA nach einer
          gesetzlichen Rahmenvorgaben zur Durchführung ei-        Bewertung eine Methode wegen eines fehlenden Wirk-
          nes Bewertungsverfahrens – von Antragstellung über      samkeitsnachweises nicht in die Regelversorgung auf-
          Stellungnahmeverfahren und wissenschaftliche Ent-       genommen oder sie sogar ausgeschlossen hat und die-
          scheidungsgrundlagen bis zur Beschlussfassung –         se auf dem Wege einer Ministerverordnung Bestandteil
          sind in die Verfahrensordnung des G-BA übernom-         des Leistungskatalogs würde.
          men worden und konkretisiert dargelegt (1. und
          insbesondere 2. Kapitel der Verfahrensordnung (Ver-     Ein solches Gefährdungspotenzial zeigt beispielswei-
          fO) des G-BA). Die Verfahrensordnung bildet damit       se der Ausschluss arthroskopischer Verfahren zur Be-

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