One Stop Europe Open Government - Ralf Armbruster, Alberto Barzanò, Wolfgang Both, Ralf Daum, Zwetelina Gankova-Ivanova, Jörn von Lucke, Robert ...

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One Stop Europe
         Open Government
   Ralf Armbruster, Alberto Barzanò, Wolfgang Both,
Ralf Daum, Zwetelina Gankova-Ivanova, Jörn von Lucke,
   Robert Müller-Török, Ortwin Renn, Georg Schäfer,
            Erich Zielinski, Herbert O. Zinell

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Open Government
                                           Dokumentation der Internationalen Hochschulkonferenz
                                               „One Stop Europe 2012 – Open Government“
                                                       19. und 20. April 2012, Stuttgart

                                  Inhalt

                                  Herbert O. Zinell
                                  Grußworte                                                         3
Impressum                         Erich Zielinski
Stiftungsreihe 102                Grußworte                                                         5
Redaktion
Dr. Erich Zielinski
                                  Ortwin Renn
Petra Bonnet M.A.                 Partizipation bei öffentliche Planungen – Wege zur Beteiligung   7
                                  Jörn von Lucke
Druck der Broschüre
DCC Kästl GmbH & Co. KG           Skizzen eines Memorandums zur Öffnung von Staat und
Alle Rechte vorbehalten           Verwaltung (Open Government)                                     13
© 2013
                                  Georg Schäfer
Die Alcatel-Lucent Stiftung für
Kommunikationsforschung ist
                                  Open Government in Baden-Württemberg                             15
eine nichtrechtsfähige Stiftung
in der treuhänderischen Ver-      Wolfgang Both
waltung des Stifterverbandes
für die Deutsche Wissenschaft.    Berlin – Open Data                                               20
                                  Ralf Armbruster
Angaben nach § 5 TMD/
§ 55 RfStv                        Open Government Stuttgart – ein kritische Anmerkung              233
                                  Robert Müller-Török
Stifterverband für die Deutsche
Wissenschaft e.V.                 Offenheit und Transparenz im Verwaltungsverfahren –
Barkhovenallee 1
45239 Essen                       E-Partizipation                                                  277
Telefon: (02 01) 8401-0
Telefax: (02 01) 8401-301
E-Mail: mail@stifterverband.de
                                  Ralf Daum
                                  Open Government – Anforderungen an Forschung und Lehre           29
Geschäftsführer:
Prof. Dr. Andreas Schlüter
                                  Zwetelina Gankova-Ivanova
(Generalsekretär)                 Partnerschaft für Open Government                                388
                                  Alberto Barzanò
                                  Open Government in Italien – einige erste Schritte               511

       ISSN 0932-156x

                                                                                                        1
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Grußworte
Herbert O. Zinell

Ich freue mich, dass sich ein sehr sachkundi-       normen“ genannten Regelungen sollen noch
ger Kreis von Experten hier im Innenministe-        mehr Verwaltungsdienstleistungen ins Netz
rium Baden-Württemberg versammelt hat,              bringen. Das ist keine einfache Aufgabe, weil
um im Rahmen der One Stop Europe Konfe-             auch heute noch lange nicht alle Kolleginnen
renz die aktuellen Themen des Open Go-              und Kollegen das Ziel einer elektronischen
vernment und E-Government zu diskutieren.           „One Stop“ Verwaltung unterstützen.
Ursprünglich wurde die Vorstellung der IT-          Zum sechsten Mal treffen Sie sich in Baden-
Spezialisten, alles in der virtuellen Welt sei im   Württemberg, das erste Mal im Innenministe-
Internet nur „einen Klick weit“ entfernt, belä-     rium. Gerne hätte ich Ihnen für diese Veran-
chelt. „Knopfdruckmentalität“ wurde diese           staltung unseren neuen, schöneren Veran-
Vorstellung abschätzig genannt. Es war des-         staltungsraum im Neubau des Innenministe-
halb durchaus mutig, dass die Alcatel Lucent        riums überlassen. Eine Verzögerung beim
Stiftung eine ihrer wichtigsten jährlichen Ver-     Bau hat uns jetzt nochmals in diesen Räum-
anstaltungen „One Stop Europe“ genannt hat.         lichkeiten zusammengeführt.
In aller Bescheidenheit darf ich anmerken,          Thema der diesjährigen internationalen Kon-
dass auch das Innenministerium dazu beige-          ferenz „One Stop Europe“ ist das Thema
tragen, diese Vision eines einfachen, bürger-       Open Government. Sie haben sich bereits
freundlichen Zugangs zu Verwaltungsdiens-           heute Vormittag mit einer Reihe sehr weitrei-
ten, Realität werden zu lassen. Der persönli-       chender Vorträge das Thema erschlossen.
che Dokumentensafe im Verwaltungsdienste-           Gerne hätte ich Ihnen Gesellschaft geleistet,
portal des Landes Baden-Württemberg ist             denn auch mich fasziniert diese Welt und die
genau die Umsetzung dieser Vision. Alle             Möglichkeiten, die sich hier auftun.
Bürgerinnen und Bürger können dort einen
                                                    Als wir dieses Jahr am 8. März auf der CeBIT
persönlichen, geschützten Daten- und Do-
                                                    den Prototyp unseres Open Data Portals vor-
kumentenbereich anlegen. Dort können sie
                                                    stellten, konnten wir einen ersten und auch
von überall auf der Welt, wo es Internet gibt,
                                                    da nur unvollständigen Einblick in die Welt
ihre Verwaltungsdienste vorbereiten und – in
                                                    des Open Government geben. Mit Open Data
besonderen Fällen – auch letztlich mit einem
                                                    fängt das Open Government an: Der infor-
Klick starten. Grundlage ist die elektronische
                                                    mierte Bürger kann sich politisch in seiner
Vorgangsbearbeitung, die wir datenschutz-
                                                    Heimatgemeinde, in seinem Land und in
konform mit differenzierten Prozess- und
                                                    Deutschland und Europa wirkungsvoll enga-
Zugriffsrechten an den Dokumentensafe an-
                                                    gieren. Unser Prototyp geht zum Teil über
gebunden haben. Der Anwendungsschwer-
                                                    das hinaus, was üblicherweise an Werkzeu-
punkt für „One Stop“ liegt noch bei Genehmi-
                                                    gen dem engagierten Bürger zur Vernetzung
gungen und Anzeigen, die im Zusammen-
                                                    von Dateninhalten bereit gestellt wird. In den
hang mit der EU Dienstleistungsrichtlinie
                                                    Videosequenzen, die aus dem Open Data
stehen. Ich sage „noch“, weil ich hoffe, dass
                                                    Portal abrufbar sind, zeigen wir jedem, was
das in Arbeit befindliche E-Government Ge-
                                                    möglich ist und wie offene Daten vernetzt
setz uns hier weiter bringen wird. Die „Motor-

                                                                                                3
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Herbert O. Zinell                                                                        SR 102

werden können. Ich bin überzeugt, dass die-     herausragenden Barrierefreiheit. Hier wollen
se „Linked Data“ die Zukunft der Open Data      und werden wir uns engagiert einbringen und
Portale darstellen. Wir wissen, dass heute      durch unsere Pilotprojekte mit Zeichen set-
schon Programme möglich sind, die dem           zen.
Bürger beim Surfen in Open Data Daten-
                                                Wir müssen hier einen Weg gemeinsam mit
sammlungen bereits einige der auf der Hand
                                                Bürgerinnen und Bürgern gehen. Und wenn
liegenden Verlinkungen automatisch anbieten
                                                ich von Bürgerinnen und Bürgern rede, meine
können. So ist bei entsprechend geschickter
                                                ich auch Selbständige, Unternehmen, Wis-
Gestaltung der Datenbestände eine geoda-
                                                senschaftler und Behörden. Denke ich bloß
tenbasierte Abbildung auf die Kartografie des
                                                an die lange Liste innovativer Techniken, die
Landes mit seinen Verwaltungs- und Ge-
                                                uns Herr Professor von Lucke schon mehr-
meindegrenzen kein wirkliches IT-Problem
                                                fach präsentiert hat, dann wird klar, dass wir
mehr. Vielen Bürgerinnen und Bürgern macht
                                                viel erklären und erläutern müssen. Bei unse-
aber so eine IT-technisch einfache Darstel-
                                                rem Open Data Portal bitten wir um Bewer-
lung bereits wesentliche Sachverhalte besser
                                                tungen und Beiträge. Nur so können wir nach
verständlich als bloße Zahlenkolonnen. Oft-
                                                und nach einerseits die Einfachheit der Be-
mals können auch Bevölkerungs- und Sach-
                                                dienung und andererseits die Mächtigkeit der
daten automatisch verlinkt und kartografisch
                                                Software erhalten, die eine Politik des Ge-
wirkungsvoll präsentiert werden.
                                                hört-Werdens und der Bürgerbeteiligung aller
Ich freue mich, dass wir an diesen Themen       mit Hilfe des Internets ermöglicht.
mit Unterstützung unserer Landesbehörden
                                                Keine Frage, diese Techniken machen per-
und Kommunen engagiert weiter arbeiten
                                                sönliche Begegnungen nicht überflüssig. Die-
können, um die dann folgende nächste Stufe,
                                                se Konferenz ist ein Beweis, dessen es ei-
das Open Government, nach und nach zu
                                                gentlich gar nicht bedarf, denn Sie alle wis-
entwickeln. Sie haben heute bereits Vorträge
                                                sen dies. Ich freue mich jetzt auf weitere
dazu gehört und können sicher anhand von
                                                Beiträge der Referenten und auf einige Stun-
mehr Details als ich die ersten Pfade aufzei-
                                                den in Ihrem Kreis. Gespannt bin ich bei-
gen, die uns diese Thematik nach und nach
                                                spielsweise auf das, was Prof. Veit zu Cloud
erschließen.
                                                Computing vorträgt und welche Lösungen er
Das Innenministerium beteiligt sich an den      vorschlägt.
Bund-Länder-Arbeiten im Rahmen seiner Ko-
                                                Ich bedanke mich bei der Alcatel-Lucent Stif-
Federführung mit dem BMI in der AG Open
                                                tung, dass Sie die Veranstaltung in Baden-
Government an einer Vereinheitlichung und
                                                Württemberg und auch in unserem Haus
Standardisierung. Der Bürger kann sich nicht
                                                stattfinden lässt. Gerne biete ich Ihnen unser
effizient bei politischen Prozessen informie-
                                                Haus auch für das nächste Jahr an. Ich wün-
ren und beteiligen, wenn in jeder Gemeinde,
                                                sche der Konferenz viele gute Gespräche
jedem Land und jedem Mitgliedstaat der EU
                                                und freue mich, mich daran beteiligen zu
diese Beteiligungstechniken immer anders
                                                können.
aussehen. Vereinheitlichung ist hier keine
Einschränkung, sondern eine Verstärkung
der Einflussmöglichkeiten von Bürgerinnen       Dr. Herbert O. Zinell ist Ministerialdirektor im
und Bürgern. Sie muss einher gehen mit ei-      Innenministerium Baden-Württemberg.
nem beispielhaften Datenschutz und einer

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Grußworte
Erich Zielinski

Bereits zum sechsten Mal lädt die Alcatel-     Technik hilft, neuartige Informationsangebote
Lucent Stiftung in Kooperation mit der Hoch-   einer bürgernahen Verwaltung zu realisieren.
schule für öffentliche Verwaltung und Finan-   Aber auf dieser Grundlage können auch
zen Ludwigsburg und in diesem Jahr mit der     neuartige Instrumente für eine demokratische
Zeppelin-Universität Friedrichshafen und       Bürgerdiskussion entwickelt werden. U.a.
dem Innenministerium Baden-Württemberg         das „2.0-Anhängsel“ an die Termini Partizipa-
zur internationalen Hochschulkonferenz One     tion und Transparenz dürfte in Zukunft beim
Stop Europe.                                   E-Government und als ein Gestaltungs-
                                               merkmal des Open Government ebenfalls ei-
Die Konferenzreihe One Stop Europe wurde
                                               ne Rolle spielen. Denn die Bürgerinnen und
als Forum für den Wissenstransfer zwischen
                                               Bürger rufen nach veränderten Rollen im
Wissenschaft und Praxis über die Entwick-
                                               Dreieck mit der Politik und der Verwaltung.
lung des Electronic Government in Europa
und besonders für den wissenschaftlichen In-   Noch ist natürlich nicht alles optimiert, es gibt
formationsaustausch der Partnerhochschulen     noch genug zu tun. Die heutigen und zukünf-
der Hochschule für öffentliche Verwaltung      tigen Anstrengungen adressieren Produktivi-
und Finanzen Ludwigsburg eingerichtet.         tät, stetig zu verbessernde Serviceorientie-
                                               rung und Kommunikationsqualität.
Den Anfang nahm die Reihe im Jahr 2007
mit dem übergeordneten Thema „Mittel- und      Und zu einer höheren Qualität gehören nicht
Osteuropa im E-Government“. Im Vorder-         nur die Netz-Infrastrukturen, die E-Govern-
grund standen noch sehr stark die Umset-       ment in der Tat erst möglich machen, son-
zung kommunaler E-Government-Anwendun-         dern auch die Aspekte der Nutzbarkeit, also
gen und das generelle Angebot von Online-      die Nützlichkeit von Internet-Angeboten so-
Verfahren.                                     wie deren Benutzerfreundlichkeit und Barrie-
                                               refreiheit, Effizienz, Transparenz der Organi-
Bereits ein Jahr später wurde die erste the-
                                               sation, Partizipationsangebote sowie – ganz
matische Spezifizierung vorgenommen – die
                                               wichtig – Datenschutz und Datensicherheit.
Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in
Europa gab den inhaltlichen Rahmen für die     E-Government ist das Produkt einer seit
zwei Tage intensiven Austauschs. Es folgten    mehreren Jahrzehnten voranschreitenden In-
in den weiteren Jahren die Themen              formatisierung der Verwaltung, ein wesentli-
                                               cher Baustein der Informationsgesellschaft
-   Electronic Public Management,
                                               und muss als solcher umfassend gestaltet
-   Qualitätsmanagement im E-Government,       und weiter ausgebaut werden.
-   Bürgerservices und                         Das Oberthema Electronic Government ist in
-   in diesem Jahr das Open Government.        den Aktionslinien der Stiftung ausdrücklich
                                               verankert. Im Jahr 2002 wurde das Hoch-
                                               schulkolleg E-Government gegründet. Es
                                               wurde als neutrale und transdisziplinäre

                                                                                               5
One Stop Europe Open Government - Ralf Armbruster, Alberto Barzanò, Wolfgang Both, Ralf Daum, Zwetelina Gankova-Ivanova, Jörn von Lucke, Robert ...
Erich Zielinski                                                                         SR 102

Plattform und mit dem Ziel eingerichtet, Bei-    schon immer ein Anliegen – von Anfang an
träge für die Modernisierung der Verwaltung      stand der internationale Austausch auf der
zu leisten und Impulse für den Wissenstrans-     Tagesordnung des Hochschulkollegs.
fer zwischen Wissenschaft und Praxis auf
                                                 Und auch dafür engagieren wir uns nicht al-
dem Gebiet des E-Government zu geben.
                                                 leine. Nur in Kooperationen sind solche gro-
Hinsichtlich seiner Bedeutung für zukunftsge-
                                                 ßen Vorhaben zu stemmen. Zumal ein One
richtete Diskussionen und Konkretisierungen
                                                 Stop Europe in der Praxis gewiss nicht nur
einzelner Detailbereiche ist das Kolleg in den
                                                 eines Promotors bedarf. Gefordert sind hier
vergangenen Jahren kontinuierlich gewach-
                                                 der Bund, die Länder und die Kommunen
sen.
                                                 ebenso wie Organisationen der Wirtschaft
Renommierte Expertinnen und Experten ga-         und der Gesellschaft.
ben und geben wirkungsvolle Impulse zur
                                                 Zwei themenreiche Tage liegen vor uns.
laufenden, vor allem aber auch zur zukünfti-
                                                 Lassen Sie uns die Informierung durch die
gen Diskussion einzelner Aspekte dieses
                                                 Beiträge der Expertinnen und Experten er-
umfassenden Feldes. Die Stiftung behandelt
                                                 gänzen durch viel Austausch. In den Diskus-
hier unterschiedliche Themen an unter-
                                                 sionen, in den Pausen und heute Abend in
schiedlichen Schnittstellen – zur Politik, zur
                                                 den Räumen und auf Einladung der Würt-
Wirtschaft, zu den Bürgerinnen und Bürgern.
                                                 tembergischen Gemeindeversicherung.
Datenschutz und Datensicherheit rücken da-
her ebenso in den Fokus der Diskussion wie       Danke für Ihre Aufmerksamkeit und ich wün-
z.B. auch die Sicherheitskommunikation, zu       sche uns allen intensive Anregungen und in-
welcher im Juni wiederum unsere in Fach-         tensive Gespräche!
kreisen fest vorgesehene Jahrestagung ge-
meinsam mit dem Deutschen Städte- und
                                                 Dr. Erich Zielinski ist Direktor der Alcatel-
Gemeindebund stattfindet.
                                                 Lucent Stiftung.
Über den eigenen nationalen E-Government-
Rand hinauszublicken, war der Stiftung

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One Stop Europe Open Government - Ralf Armbruster, Alberto Barzanò, Wolfgang Both, Ralf Daum, Zwetelina Gankova-Ivanova, Jörn von Lucke, Robert ...
Partizipation bei öffentliche Planungen – Wege zur Beteiligung
Ortwin Renn

1 Ausgangslage                                                des Fairness-Prinzips. Warum soll ein Teil
                                                              der Bürgerschaft Nachteile in Kauf neh-
Politikverdrossenheit,   St.-Florians-Prinzip,
                                                              men, wenn überwiegend andere von dem
Wutbürger, Protestkultur, Besitzstandswah-
                                                              Nutzen profitieren?
rung, Anspruchsmentalität – diese Schlag-
worte kennzeichnen die aktuelle Debatte um                  − Die Notwendigkeit der jeweiligen Pla-
die Rolle der Bürgerin und des Bürgers in                     nungsziele und -inhalte ist häufig auch un-
unserer heutigen Gesellschaft. Allein die Tat-                ter Fachleuten umstritten (zumindest in
sache, dass ein Beschluss demokratisch zu-                    dem Ausmaß, wie es viele Antragsteller
stande gekommen ist, reicht oft nicht mehr                    wünschen). In der öffentlichen Auseinan-
aus, um Akzeptanz bei den Betroffenen zu                      dersetzung um das Für und Wider be-
                                                              stimmter Planungsinhalte lässt sich daher
erreichen. Dies hat sich besonders deutlich
                                                              jede mögliche Haltung durch Rückgriff auf
bei den Auseinandersetzungen um „Stuttgart
                                                              irgendeinen Experten begründen. Das Ex-
21“ gezeigt.
                                                              pertendilemma führt dazu, dass Sachwis-
Warum ist es zu dieser Legitimationskrise                     sen als potentiell integrative Kraft für den
gekommen? Ohne diese Frage erschöpfend                        Ausschluss von Behauptungen nicht mehr
beantworten zu wollen, erscheinen folgende                    oder nur in geringem Maß zur Verfügung
Faktoren von besonderer Bedeutung zu                          steht.
sein1:
                                                            − Es klafft häufig eine Kluft zwischen den von
− In einer zunehmend dichteren Besiedlung                     den Fachleuten berechneten Konsequen-
  und Vernetzung sind Risiken und Nutzen                      zen und Risiken der jeweiligen Vorhaben
  von Planungsvorhaben nicht gleich verteilt.                 und den von der Bevölkerung wahrge-
  In der Regel fällt der Nutzen bei einer                     nommenen Folgeproblemen. Wie psycho-
  Menge meist anonymer Konsumenten oder                       logische Untersuchungen nachweisen,
  Produzenten an, während überwiegend die                     spielt bei der Beurteilung von Risiken ne-
  Standortbevölkerung das Risiko trägt. Dies                  ben der Wahrscheinlichkeit und des Aus-
  führt zu wahrgenommenen Verletzungen                        maßes des Risikos auch sogenannte quali-
                                                              tative Risikomerkmale eine wichtige Rolle.
1
    Gabriel, O./ Völkl, K. 2004: Politische und soziale       So macht es einen wichtigen Unterschied,
    Partizipation. In: O. Gabriel/E. Holtmann (Hrsg.):        ob Risiken beispielsweise freiwillig auf sich
    Handbuch Politisches System der Bundesrepublik
    Deutschland. Oldenbourg: München und Wien, S.             genommen oder von dem Risikoträger ak-
    523-573; Kuklinski, O./ Oppermann, B. 2010: Partizi-      tiv kontrolliert werden können.
    pation und räumliche Planung, In: D. Scholich/ P.
    Müller (Hrsg.): Planungen für den Raum zwischen         − Der Protest gegen zentrale politische Pla-
    Integration und Fragmentierung. Internationaler Ver-
    lag der Wissenschaften: Frankfurt am Main, S. 165-        nung nährt sich auch aus der Erfahrung
    171; Renn, O. 2004: The Challenge of Integrating          der Bedrohung der eigenen Lebenswelt.
    Deliberation and Expertise: Participation and Dis-        Immer mehr Bürger sehen sich in ihrem
    course in Risk Management. In: T. McDaniels/M. J.
    Small (Hrsg.): Risk Analysis and Society: An Inter-       Alltagshandeln durch professionelle Exper-
    disciplinary Characterization of the Field. Cambridge     tenurteile und institutionelle Eingriffe ein-
    University Press: Cambridge, S. 289-366.
                                                              geengt. Was sich in ihrer Gemeinde ab-

                                                                                                         7
Ortwin Renn                                                                                                      SR 102

    spielt, entzieht sich mehr und mehr ihrer               oder indirekt von den Konsequenzen dieser
    Kontrolle und ihrer Einflussnahme. Als Ge-              Entscheidung betroffen sind.
    genreaktion versuchen sie, alles, was Ih-
    nen von außen aufgezwungen erscheint,
    abzuwehren und ihre eigene kollektive                   2 Was kann Bürgerbeteiligung leisten?
    Identität zu wahren.                                    Bürgerbeteiligungsverfahren bieten vor die-
− Schließlich ist der Protest gegen Risikoan-               sem Hintergrund einen möglichen Lösungs-
  lagen häufig auch ein Protest gegen die                   weg an. Als Bürgerbeteiligungsverfahren sind
  Art, wie Beschlüsse in der politischen Are-               hier kommunikative Prozesse gemeint, in
  na zustande kommen. Der Prozess der                       denen Personen, die qua Amt oder Mandat
  Entscheidungsfindung       ist  mindestens                keinen Anspruch auf Mitwirkung an kollekti-
  ebenso bedeutend wie die Entscheidung                     ven Entscheidungen haben, die Möglichkeit
  selbst. Mit zunehmenden Bildungsstand                     erhalten, durch die Eingabe von Wissen, Prä-
  und ökonomischen Wohlstand wächst der                     ferenzen, Bewertungen und Empfehlungen
  Wunsch nach Teilhabe an der Entschei-                     auf die kollektiv wirksame Entscheidungsfin-
  dungsfindung, vor allem dann, wenn die                    dung direkten oder indirekten Einfluss zu
  persönliche Lebenswelt betroffen ist.                     nehmen. Dabei wird der Fokus weg von der
                                                            eigentlichen Entscheidung und hin zu dem
Misstrauen gegenüber öffentlicher Planung                   Weg, auf dem die Entscheidung getroffen
ist durch viele Faktoren begründet und von                  wird, verlagert. Es gibt fünf Gründe, die bei
daher auch nicht als ein vorübergehendes                    komplexen Planungsentscheidungen für eine
Phänomen zu sehen. Vertrauensverluste las-                  stärkere Einbindung der Bürgerinnen und
sen sich nicht durch Information ausgleichen.               Bürger in die Entscheidungsfindung spre-
Dementsprechend laufen auch alle Vorschlä-                  chen3:
ge, die auftretenden Konflikte durch bessere
                                                            − Durch Einbezug von örtlich betroffenen
Erziehung, Aufklärung oder Informations-
                                                              Bevölkerungsteilen kann zum ersten die
kampagnen zu bewältigen, ins Leere. Aktive
                                                              Wissensbasis erweitert werden. Neben
Beteiligung der Bürger an öffentlichen Pla-
                                                              dem systematischen Wissen der Experten
nungen setzt zweierlei voraus: eine Legitima-
                                                              und dem Prozesswissen der Entschei-
tion durch Verfahren und eine offene Ausei-
                                                              dungsträger kann für viele Entscheidungs-
nandersetzung mit den betroffenen Bevölke-
                                                              probleme auch das Erfahrungswissen der
rungsgruppen2. Im ersten Fall geht es um
einen transparenten und nachvollziehbaren
Prozess der Entscheidungsfindung, in dem                    3
                                                                Gabriel, O./Brettschneider, F.1998: Politische Parti-
alle Interessen und Werte berücksichtigt                        zipation. In: O. Jarren, U. Sarcinelli /U. Saxer (Hrsg.):
                                                                Politische Kommunikation in der demokratischen
werden; im zweiten Fall um eine angemes-                        Gesellschaft. Westdeutscher Verlag: Opladen, S.
sene Beteiligung der Menschen, die direkt                       285-291; Newig, J. 2007: Does Public Participation
                                                                in Environmental Decisions Lead to Improved Envi-
                                                                ronmental Quality? Towards an Analytical Frame-
                                                                work. International Journal of Sustainability Commu-
2
    Webler, Th./Tuler, S. 2008: Organizing a Deliberative       nication, Special Volume on Communication, Coop-
    Participatory Process: What Does the Science Say?           eration, Participation, Heft 1, Nr. 1, S. 51-71; Stirling,
    In: S. Odugbemi/Th. Jacobsen (Hrsg.): Governance            A. 2008: “Opening Up” and “Closing Down”: Power,
    Reform Under Real-World Conditions. Citizens,               Participation, and Pluralism in the Social Appraisal of
    Stakeholders and Voice. The World Bank: Washing-            Technology. Science, Technology and Human Val-
    ton, D.C., S. 125-160.                                      ues, Heft 33, Nr. 2, S. 262-294.

8
SR102                                                                  Partizipation bei öffentlichen Planungen

    betroffenen Bevölkerung von besonderer                  Auffassung, dass diejenigen, die in Konkur-
    Bedeutung sein. Dieses Erfahrungswissen                 renz mit anderen Anspruch auf eine Res-
    kann je nach Problemtyp eine wichtige Be-               source erheben, am besten in einem „fai-
    reicherung und gelegentlich auch eine Kor-              ren“ Verfahren (procedural equity) eine ei-
    rektur des Expertenwissens darstellen, vor              gene Lösung für eine faire Verteilung
    allem dann, wenn die Ursache-Wirkungs-                  finden sollen. Traditionelle Tarifrunden zwi-
    zusammenhänge in der Realität stark                     schen Arbeitgebern und Arbeitnehmerver-
    streuen oder die Wirkungen von den Ent-                 treter sind ebenso Beispiele für diese
    scheidungen der betroffenen Bevölkerung                 Funktion wie Aushandlungsprozesse über
    mit abhängen4.                                          Emissionszertifikate oder Kompensations-
                                                            verhandlungen für erlittene Umweltbelas-
− Zum zweiten kann Bürgerbeteiligung den
                                                            tungen.
  jeweiligen Entscheidungsträgern wichtige
  Informationen über die Verteilung der Prä-              − Zum vierten kann Bürgerbeteiligung als ein
  ferenzen und Werte der betroffenen Bevöl-                 Wettstreit der Argumente angesehen wer-
  kerungsteile vermitteln. Da Entscheidun-                  den, mit dem Ziel, auf der Basis von Be-
  gen auf Folgewissen und Urteile über die                  gründungen kollektive Entscheidungen auf
  Wünschbarkeit der zu erwartenden Folgen                   eine normativ abgesicherte Grundlage zu
  beruhen, ist es für Entscheidungsträger                   stellen. Ziel eines solchen Beteiligungsver-
  häufig unverzichtbar, die Wahrnehmung                     fahrens ist die diskursive Austragung von
  der Wünschbarkeit der Folgen explizit zu                  begründeten Standpunkten unter den Rah-
  erheben und (mit) als Grundlage für die ei-               menbedingungen einer strikt auf Logik und
  gene Entscheidung aufgreifen. Es gibt viele               konsistenter Ableitung (Geltungsanspruch
  Formen, Präferenzen zu erkunden und in                    und Geltungsnachweis) beruhenden Prü-
  die Entscheidungsfindung einzubinden.                     fung der jeweils vorgebrachten Argumente.
  Das reicht von den eher passiven Instru-                  Dabei geht es vor allem um die Frage der
  menten der Befragung und der Fokusgrup-                   Zumutbarkeit von normativen Setzungen
  pen bis zu den eher gestaltenden Formen                   für alle Betroffenen (über den Kreis derer
  von Konsensuskonferenzen, Bürgerforen,                    hinaus, die an dem Diskurs teilnehmen).
  Planungszellen u.a.m.
                                                          − Zum fünften kann Bürgerbeteiligung als ein
− Zum dritten kann Beteiligung als Instru-                  Element der Gestaltung der eigenen Le-
  ment zu einem fairen Aushandeln von                       benswelt angesehen werden. In dieser
  Ressourcen dienen. Die Literatur zu Spiel-                Funktion wird den betroffenen Menschen
  theorie, Mediation, Schlichtung und Aus-                  die Möglichkeit gegeben, in Form von
  handlungsprozessen ist ein beredtes Zeug-                 Selbstverpflichtungen oder von Verantwor-
  nis für diese konfliktvermittelnde Funktion               tungszuschreibungen Veränderungen in ih-
  von Bürgerbeteiligung. Dahinter steht die                 rer eigenen Lebenswelt herbeizuführen.

4
    Renn, O. 2010: The Contribution of Different Types
    of Knowledge Towards Understanding, Sharing and
    Communicating Risk Concepts. Catalan Journal of
    Communication & Cultural Studies, Vol. 2. No. 2, S.
    177-195.

                                                                                                             9
Ortwin Renn                                                                                         SR 102

3 Reformbedarf                                                  auch eine frühzeitige Beteiligung, etwa bei
                                                                der Bedarfsplanung, zur Alibiveranstal-
Über die Defizite der deutschen Planungs-
                                                                tung und es droht ein Vertrauensverlust.
praxis ist viel diskutiert worden5. An dieser
Stelle sollen nur einige wenige zentrale Punk-               − Einbezug der Interessengruppen und der
te benannt werden, bei denen eine Reform                       Öffentlichkeit durch ein strukturiertes Ver-
der geltenden Planungspraxis sinnvoll und                      fahren von aufeinander abgestimmte Ver-
erfolgversprechend erscheint:                                  fahrensschritte: Aufgrund der Pluralität
                                                               der Gesellschaft und ihrer funktionalen
− Einbezug der Interessengruppen und der                       Ausdifferenzierung ist es wenig erfolgver-
  Öffentlichkeit bereits in der Zielfindungs-                  sprechend, mit einem Beteiligungsverfah-
  phase: Je komplexer und unsicherer sich                      ren alles „erschlagen“ zu wollen.. Auch
  die Ausgangssituation darstellt, umso                        der oft geforderte Volksentscheid ist kein
  wichtiger ist es, einen Konsens bei der                      Allheilmittel der Partizipation. Es kann un-
  Frage, was man erreichen will und wozu                       ter bestimmten Umständen (etwa bei
  dies dienen soll, herzustellen. Es kann                      gleich gut begründbaren Alternativen) am
  nicht darum gehen, dass man die Bürge-                       Ende einer Kette von vorgelagerten Betei-
  rinnen und Bürger lediglich entscheiden                      ligungsverfahren stehen. Zentral ist, dass
  lässt, ob man das Atomkraftwerk mit Efeu                     bei politisch weitreichenden Entscheidun-
  oder wildem Wein bewachsen lässt, son-                       gen das beste Sachwissen, gerechte und
  dern es geht darum, wie die Gesellschaft                     faire Vorschläge zur Behandlung konfli-
  im Zielkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit,                 gierenden Interessen, eine den Grund-
  Umweltverträglichkeit, Klimaschutz und                       werten angemessene Abwägung der Vor-
  Sozialverträglichkeit einen ethisch akzep-                   und Nachteile und mehrere, den betroffe-
  tablen und sozial akzeptierten Weg finden                    nen Bürgerinnen und Bürgern zumutbare
  kann, um kollektiv Ziele umzusetzen. Die                     und akzeptable Lösungsvorschläge ein-
  frühzeitige Einbindung ist essentiell für                    bezogen werden.
  das Gelingen von Beteiligung, wobei die
  bestehende Rechtslage wesentlich mehr                      − Vorrang der Transparenz vor Vertraulich-
  frühzeitige Beteiligung erlaubt, als derzeit                 keit und Abgeschlossenheit: Je komplexer
  praktiziert wird.                                            die Beteiligungsstruktur desto verwirren-
                                                               der ist der Entscheidungsprozess für die-
− Weiter Spielraum für die Beteiligung: Die                    jenigen, die nicht direkt an dem Verfahren
  Festlegung, wie groß der Spielraum für                       beteiligt sind. Ein Höchstmaß an Transpa-
  die Beteiligung der Bürger an der Ent-                       renz wäre erreicht, wenn die Bevölkerung
  scheidung ist, bestimmt weitgehend das                       die Kanzlerin in einem TV-Container Tag
  Gelingen      von   Beteiligungsverfahren.                   und Nacht beim Regieren beobachten
  Wenn nicht von Anfang an klar kommuni-                       könnte. Das bedeutet: Je mehr Formen
  ziert wird, an welchen Entscheidungen die                    der Beteiligung in den Prozess der Ent-
  Bürger unmittelbar beteiligt sind, gerät                     scheidungsfindung einbezogen werden,
                                                               desto größer ist die Gefahr der Intranspa-
5
     Papadopoulos Y./ Warin P. 2007: Are Innovative,           renz. Umso wichtiger ist es deshalb, die
     Participatory and Deliberative Procedures in Policy
                                                               verschiedenen Formate der Beteiligung
     Making Democratic and Effective? European Journal
     of Political Research, Heft 46, Nr. 4, 445-472; Renn,     so weit wie möglich öffentlich zu machen.
     O. 2008; a.a.O., S. 320ff.                                Gerade aus dem angelsächsischen Raum

10
SR102                                                               Partizipation bei öffentlichen Planungen

   ist gut dokumentiert, dass prinzipiell offe-         zu strukturieren und zu kombinieren sind,
   ne Verhandlungen die Wahrscheinlichkeit              wie man diese am besten anleitet, steuert
   von „Fenster- oder Balkonreden“ nicht er-            und moderiert und wie man mit auftreten-
   höhen und die Ernsthaftigkeit von Ver-               den Konflikten am besten umgehen kann.
   handlungen nicht infrage stellen.                    In den USA ist es üblich, dass ein Prozent
                                                        des Gesamtwertes einer Maßnahme für
− Notwendigkeit der begleitenden Kommu-
                                                        Prozesssteuerung ausgegeben wird.
  nikation: Die schon zum Stereotyp ge-
  wandelte Formel „es handele sich nicht          − Notwendigkeit einer praxisorientierten
  um Politik-, sondern um Kommunikations-           Partizipationsforschung: Trotz des zwei-
  versagen“ greift zu kurz. Keine noch so           felsohne fundierten Wissensstandes über
  gute Verpackung kann ein schlechtes Po-           Partizipationsverfahren und ihrer Wirkun-
  litikprodukt im besseren Licht erscheinen         gen ist vor allem die praktische Umset-
  lassen. Im Gegenteil: ein schlechtes Pro-         zung von Verfahrenskombinationen ein
  dukt in einer tollen Verpackung verärgert         weitgehend unerforschtes Gebiet.
  noch mehr, als wenn man ehrlich zugibt:
                                                  Die entscheidende Voraussetzung für den Er-
  Besser geht es halt nicht. Die offene De-
                                                  folg von Bürgerbeteiligung ist aber die Bereit-
  batte über Zielkonflikte, negative Auswir-
                                                  schaft der Politiker und der Verwaltungsfach-
  kungen oder verbleibenden Unsicherhei-
  ten ist zwar anfangs unangenehmer für           leute, die Formen der Beteiligung nicht als
  die Politik, aber schafft auf Dauer Glaub-      lästige Pflichtübung sondern als Hilfsstellung
  würdigkeit und Verlässlichkeit. Dies gilt       ihrer Arbeit und als Bereicherung der reprä-
  auch für Beteiligung: Kommunikation ist         sentativen Demokratie anzusehen. In einem
  kein Ersatz für Beteiligung, sondern eine       2008 herausgegebenen Gutachten der US-
  notwendige und zielführende Begleitung.         amerikanischen Akademie der Wissenschaf-
                                                  ten zu Beteiligungsverfahren in Umwelt- und
− Professionalisierung der Prozesssteue-
                                                  Gesundheitsfragen wurde auf der Basis von
  rung und -begleitung: Es ist selbstver-
                                                  Metaanalysen der vorliegenden Evaluationen
  ständlich, dass niemand einem Amateur
                                                  die zentrale Erkenntnis gewonnen, dass der
  zutrauen würde, die Statik einer Brücke
                                                  Erfolg von Beteiligung am stärksten davon
  zu beurteilen oder die Erfolgsaussichten
                                                  abhängt, welche Erwartungen die Initiatoren
  einer Operation abzuschätzen. Bei Betei-
                                                  damit verbinden6. Waren diese positiv und
  ligungsverfahren ist das offenbar anders:
                                                  ergebnisoffen, kam es meist zu einem erfolg-
  Es gibt immer Experten, die es besser
                                                  reichen Abschluss der Beteiligungsmaßnah-
  wissen: Eine Gruppe moderieren kann ja
  wohl jeder oder jede. Sieht man sich ein-       men. Waren die Initiatoren jedoch skeptisch
  mal im Ausland um, dann fällt auf, dass         oder sogar negativ eingestellt, wirkte sich
  etwa in den USA hochspezialisierte              dies direkt auf die Motivation und Kompro-
  Dienstleister entstanden sind, die unter        missbereitschaft der mitwirkenden Personen
  dem Thema „Alternative Dispute Resolu-
  tion“ oder dem Begriff „Facilitation“ pro-      6
                                                      US-National Research Council of the National Aca-
  fessionelle Begleitung und Steuerung par-            demies 2008: Public Participation in Environmental
  tizipativer Prozesse anbieten. Inzwischen            Assessment and Decision Making. Washington,
                                                       D.C.: The National Academies Press.
  gibt es einen umfangreichen Wissens-
  stand darüber, wie Beteiligungsverfahren

                                                                                                         11
Ortwin Renn                                                                              SR 102

auf. In zwei Drittel der untersuchten Fälle       Prof. Dr. Ortwin Renn ist Lehrstuhlinhaber
führte dies zu Abbruch oder einem wenig zu-       für Technik- und Umweltsoziologie an der
friedenstellenden Ergebnis. Es ist also nicht     Universität Stuttgart, Direktor des gemeinnüt-
sinnvoll, Beteiligung zu verordnen, sondern       zigen Forschungsinstituts Dialogik und Vor-
es gilt vielmehr alle Beteiligte davon zu über-   sitzender des Nachhaltigkeitsbeirats von Ba-
zeugen, dass in einer komplexen und plura-        den-Württemberg (NBBW).
len Welt diese Form der Entscheidungshilfe
die politisch verfasste Ordnung und Kultur
beleben und bereichern kann.

12
Skizzen eines Memorandums zur Öffnung von Staat und Verwaltung
(Open Government)
Jörn von Lucke

Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der           sonderen Wert zulegen ist. Mit Offenheit wird
Gesellschaft für Informatik hat sich über die      die ständige Bereitschaft von Staat und Ver-
vergangenen Monate hinweg Gedanken zu              waltung umschrieben, sich Anderen gegen-
einem Memorandum zur Öffnung von Staat             über zu öffnen, über bewährte Verfahren auf
und Verwaltung gemacht. Ausgehend von ei-          Neues einzulassen und Impulse von außen
nem Workshop zu Open Government in Ber-            aufzunehmen. Moderne Informations- und
lin im Oktober 2011 im Rahmen der INFOR-           Kommunikationstechnologien können Trans-
MATIK 2011 haben die Mitglieder des Lei-           parenz sicherstellen, indem durch sie Vor-
tungsgremiums unter Koordination von Prof.         gänge, Argumente, Entscheidungen und de-
von Lucke gemeinsam ein Positionspapier            ren Konsequenzen von außen nachvollzieh-
erarbeitet, dass im Sommer 2012 von dem            bar werden. Die Öffentlichkeit wird so in die
Präsidium der Gesellschaft für Informatik be-      Lage versetzt, zu jeder Zeit von überall her
schlossen werden soll.                             Zugang zu den relevanten Informationen von
                                                   Regierung und Verwaltung zu erhalten und
Die Vorstellung des Entwurfs und die an-
                                                   sie zu verstehen. Verantwortungsbewusst-
schließende Diskussion im Rahmen der One
                                                   sein in offenen Strukturen bedeutet, dass von
Stop Europe 2012 sollten dazu dienen, Ideen
                                                   Regierung und Verwaltung ein vertrauensvol-
und Impulse aus dem Kreise der Teilnehmer
                                                   les und verantwortungsbewusstes Handeln
und Experten zu gewinnen. Ohne die Inhalte
                                                   erwartet wird. Web 2.0-Technologien eröff-
des Memorandums vorwegnehmen zu wollen
                                                   nen zudem vollkommen neue Formen der
und damit dem Präsidium der Gesellschaft
                                                   Beteiligung der Bürger an Meinungsbildung
für Informatik vorzugreifen, werden in diesem
                                                   und Entscheidungsfindung. Mit der Bereit-
Beitrag lediglich die groben Linien dargestellt,
                                                   stellung von kollaborativen Werkzeugen wer-
die so auch in Stuttgart angesprochen und
                                                   den verteilte Gruppen in die Lage versetzt,
sich aus Sicht der Mitwirkenden in der Veröf-
                                                   gemeinsam ergebnisoffen Texte und Doku-
fentlichung wiederfinden sollten.
                                                   mente zu erstellen, Software zu programmie-
Die zunehmende Öffnung von Staat und Ver-          ren, zielorientiert zu handeln, konstruktiv zu
waltung (Open Government) über Transpa-            kommentieren und Ergebnisse zu bewerten.
renz, Bürgerbeteiligung, Zusammenarbeit            Mit Kohärenz wird im Rahmen der Öffnung
und Innovation wird vor allem durch die Ver-       ein stimmiges nachhaltiges Handeln unter
wendung sozialer Medien und Web 2.0-Tech-          Berücksichtigung verschiedener Zielvorstel-
nologien geprägt. Aus Sicht der Autoren be-        lungen beschrieben. Mit der Öffnung von
sitzt diese Öffnung sieben unterschiedliche        Staat und Verwaltung ist mittelfristig ein wirt-
Facetten: Offenheit, Transparenz, Verantwor-       schaftlicher Nutzen verbunden: Open Innova-
tungsbewusstsein, Beteiligung, Zusammen-           tion generiert Innovationsimpulse von außen
arbeit, Kohärenz und wirtschaftlicher Nutzen       und wird zum Treiber für Innovationen und
sind jene sieben Schwerpunkte, auf die be-         Kreativität. Offene Prozess- und Wertschöp-

                                                                                                13
Jörn von Lucke                                                                          SR 102

fungsketten erlauben die Einbindung Dritter      ein gemeinsames Verständnis der Öffnung
in bestehende Verfahren und Abläufe. Im          von Staat und Verwaltung zu finden, aus dem
Sinne einer Wirtschaftsförderung können of-      sich Leitbilder, ambitionierte Ziele und Stra-
fene Daten und Informationen der Verwaltung      tegien zur Erreichung dieser Vorgaben ablei-
zum Fundament neuer Geschäftsmodelle der         ten lassen. Hierzu empfiehlt sich ein offener
Wirtschaft werden.                               Erkenntnisprozess, wie er etwa derzeit von
                                                 der internationalen Open Government Part-
Aus Sicht der mitwirkenden Mitglieder der
                                                 nership (http://www.opengovpartnership.org)
Fachgruppe Verwaltungsinformatik muss
                                                 vorgeschlagen wird. Wertvolle Impulse kom-
zugleich festgestellt werden, dass es derzeit
                                                 men dann nicht mehr nur aus der Verwal-
rund um diese Öffnung noch einen ganz aku-
                                                 tung, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft
ten Forschungsbedarf gibt. Neben grundle-
                                                 und der Netzgemeinde, sondern auch aus
genden Fragestellungen zum Verständnis,
                                                 dem ständigen Austausch mit anderen Akteu-
deren theoretischer Fundierung und deren
                                                 ren weltweit, die vor Ort vor denselben Her-
Trends geht es um Handlungsempfehlungen:
                                                 ausforderungen stehen und diese zeitnah lö-
Wie kann das skizzierte Potential möglichst
                                                 sen müssen. Von einer Einbettung in einen
gut erschlossen werden? Welche Aktivitäten
                                                 solchen offenen und kontinuierlich konstruktiv
werden erwartet? Wie sollten die Akteure im
                                                 angelegten Verbesserungsprozess und damit
föderalen Mehrebenensystem zusammenwir-
                                                 eine pragmatische internationale Zusam-
ken, ohne dass das Rad mehrfach neu er-
                                                 menarbeit könnten Verwaltung, Bürger und
funden werden muss? Wo liegen attraktive
                                                 Wirtschaft gleichermaßen profitieren.
Geschäftsmodelle? Diese und viele weitere
Fragen sollten nicht nur monodisziplinär be-
antwortet werden. Ganz im Sinne der Verwal-
                                                 Prof. Dr. Jörn von Lucke ist Lehrstuhlinha-
tungsinformatik und dem Verständnis der
                                                 ber an der Zeppelin-University Friedrichsha-
Fachgruppe sollten sie gemeinsam interdis-
                                                 fen und leitet dort das Deutsche Telekom In-
ziplinär und mit Hilfe kollaborativer Werkzeu-
                                                 stitute for Connected Cities (TICC).
ge offen bewältigt werden.
Hieraus lassen sich unterschiedliche Hand-
lungsempfehlungen ableiten, etwa um rasch

14
Open Government in Baden-Württemberg
Georg Schäfer

Die 2011 gewählte grün-rote Landesregie-                Beispiele aus Baden-Württemberg
rung von Baden-Württemberg hat die Politik
                                                        Kein Wunder, dass bei dieser positiven Ein-
des Gehörtwerdens, der Bürgerbeteiligung
                                                        stellung zu Open Government auch bereits
und des Open Government als einen
                                                        viele herausragende Beispiele in Baden-
Schwerpunkt ihrer Regierungstätigkeit in den
                                                        Württemberg existieren. Ein Seminarprojekt
Koalitionsvertrag „Der Wechsel beginnt“ auf-
                                                        am geographischen Institut der Universität
genommen. Dies traf auf eine bereits vor-
                                                        Heidelberg hat einen Internet-Auftritt reali-
handene positive Haltung von Bürgerinnen
                                                        siert, der eine Bürgerbeteiligung beim Projekt
und Bürgern zu diesem Thema. Unterneh-
                                                        Konversionsflächen (d.h. bislang militärisch
men, Behörden und Wissenschaft unterstüt-
                                                        genutzte Fläche) für mehrere Gemeinden
zen dies tatkräftig.
                                                        (etwa Heidelberg und Mannheim) erlaubt.
                                                        (vgl.     http://www.konversion-gestalten.de/).
                                                        Ein anderes herausragendes Beispiel ist der
                                                        Citybahnhof in Ulm. Als Hilfe für eine kom-

 Abb. 1: Eröffnungsbildschirm für die Bürgerbeteiligung zum Citybahnhof (http://www.citybahnhof.ulm.de)

                                                                                                          15
Georg Schäfer                                                                                        SR 102

plexe Baumaßnahme, bei der ein mit gestal-               Datenschutz und Open Government: ano-
tender Bürger abstrakte Baupläne lesen und               nyme und repräsentative Beteiligung
vergleichen können muss, wurde in Ulm ein
                                                         Die Datenschutzgrundsätze der Datenspar-
sehr ehrgeiziges Projekt umgesetzt. In Ulm
                                                         samkeit und der Zweckbindung müssen in
ist es gelungen, die Thematik übersichtlich zu
                                                         den Vordergrund gestellt werden, will man
präsentieren (vgl. Abb. 1).
                                                         die Bevölkerung für eine breite Teilnahme am
Der Bürger kann sich bei dieser Darstellung              Open Government gewinnen. Hier ist noch
sofort ein Bild davon machen, was er mit-                einiges zu tun. Heute verlangen elektroni-
bestimmen kann. Er weiß genau, worum es                  schen Beteiligungsplattformen persönliche
geht, und das in der Stadt bekannte Logo ist             Registrierungen, meist über eine E-Mail-
unmissverständlich zu erkennen. Weitere                  Adresse. Die Hoffnung ist, auf diese Weise
Beispiele sind etwa die Beteiligung der Stu-             eine gewisse repräsentative Beteiligung zu
denten beim Aufbau einer verfassten Studen-              erhalten. Wie wir alle wissen, gelingt dies
tenschaft und die Beteiligung der Bürgerin-              nicht, weil ein Nutzer mit mehreren E-Mail-
nen und Bürger an der Gesamtkonzeption                   Adressen und verschiedenen Altersangaben
zum Waldnaturschutz.                                     angemeldet werden kann. Alle anderen An-
                                                         gaben zum Nutzer können ebenfalls beliebig
Kommunalplanung und -entwicklung sind
                                                         sein. Da die personenbezogene Datenspei-
eindeutig die Themen, die den Bürger be-
                                                         cherung somit ihren Zweck nicht erfüllt, kann
sonders interessieren.1 Die verantwortlichen
                                                         man selbst bei freiwilliger Registrierung keine
Behörden müssen die Ergebnisse der elekt-
                                                         Rechtsgrundlage für eine Speicherung fin-
ronischen Beteiligung bewerten: Sind es
                                                         den. Abgesehen davon findet man bei prak-
überwiegend Senioren, die sich beteiligen?
                                                         tisch keiner Registrierung von heutigen Open
Haben einseitig orientierte oder extreme
                                                         Government Lösungen eine ausreichende
Gruppen versucht, die Beteiligung zu beein-
                                                         Datenschutzerklärung.2
flussen?
                                                         Beispiele von Beteiligungen über Open Go-
Wichtig ist zu erkennen, dass personalisierte
                                                         vernment lassen – vom Ergebnis her ge-
Beiträge und komplexe Sachverhaltsdarstel-
                                                         schlossen – vermuten, dass nur bestimmte
lungen zusammen mit vielfältigen persönli-
                                                         Bevölkerungsgruppen, etwa Senioren oder
chen Diskussionsbeiträgen verwaltet werden
                                                         Studenten, beteiligt waren und dadurch das
müssen. Die Zuständigen wollen eine mög-
                                                         Gesamtergebnis einseitig wurde. Dann liefert
lichst repräsentative Beteiligung erreichen
                                                         das Open Government aber keine verlässli-
und dafür auch Anhaltspunkte finden können.
                                                         che Grundlage für politische Entscheidungen
                                                         und ist wertlos. Notwendig ist folglich eine
                                                         anonymisierte und dennoch repräsentative
                                                         Open Government Lösung. Dies gelingt etwa
                                                         durch eine Anonymisierungsfunktion bei ei-
                                                         nem eID-Server. Der im Vortrag erläuterte
1
     Empirische Studie MATERNA und Hochschule Harz
     (FH), MATERNA GmbH Information & Communicati-
                                                         2
     ons, Hochschule Harz (FH) v. 8. November 2011, E-       Diese Aussagen waren wie die angegebenen Inter-
     Partizipation in der öffentlichen Verwaltung            net-Adressen zum Stand 27. April 2012 richtig

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SR102                                                        Open Government in Baden-Württemberg

Vorschlag ist in Abb. 2 skizziert: Bürgerinnen    zu bieten wäre es sinnvoll, eine derartige
und Bürger melden sich bei einem eID-             Anonymisierungs-Infrastruktur in einem Open
Server an. Ebenso melden sich alle Open           Government Gesetz (oder Informationsfrei-
Government Anwendungen an diesem Ser-             heitsgesetz) zu regeln. Die Regelung sollte
ver an. Der eID-Server vergibt jedem ange-        so erfolgen, dass auch zu diesem Vorschlag
meldeten und somit auch identifizierten Nut-      vergleichbare     technisch-organisatorische
zer ein eindeutiges Ticket für jede Open Go-      Modelle zugelassen sind.
vernment Anwendung. Die beim eID-Server
                                                  Auswirkungen von Open Government auf
angemeldeten Bürgerinnen und Bürger sind
                                                  E-Government
frei, ihr Ticket zu nutzen oder verfallen zu
lassen. Bei einer mehrfachen Nutzung eines        Mit der politischen Diskussion zur Bürgerbe-
Tickets kann man entweder nur die letzte          teiligung geht eine erfreuliche Bereitschaft
„Stimmabgabe“ registrieren, oder auch den         von Politik und Verwaltung einher, ihre bishe-
Meinungswandel im Laufe der Zeit. Sofern          rige Vorgehensweise hinterfragen zu lassen
keine Re-Identifizierung zu befürchten ist        und sich neuen Überlegungen aus der Bevöl-
(oder die Bürgerinnen und Bürger zuge-            kerung zu öffnen. Stellt man bei den heutigen
stimmt haben), kann das Ticket auch grobe         E-Government-Lösungen die Einfachheit und
Altersklassen, Einkommensklassen usw. an          Bürgerorientierung in den Vordergrund, kön-
die jeweilige Open Government Anwendung           nen andere Lösungen entstehen, als sie bis-
weitergeben. Um optimale Rechtssicherheit         her im Rahmen der strikten Umsetzung der

Abb. 2: Anonymisierungsfunktion des eID-Servers

                                                                                              17
Georg Schäfer                                                                                        SR 102

Abb. 3: Vorschlag für die Verwendung von Begriffen des Open Government

jeweils aktuellen Rechtsvorschriften entstan-                 im jeweiligen Fachrecht – auch einfache Ge-
den sind. Hierbei sind die grundlegenden Ar-                  nehmigungen und Anzeigen so gestaltet
beiten von Birgit Schenk und Gerhard                          werden, etwa
Schwabe zu elektronischen Bürgerdiensten
                                                              • die Beschäftigung einer Haushaltshilfe:
heranzuziehen. Diese beiden Wissenschaft-
                                                                Wer eine Haushaltshilfe beschäftigt kauft
ler haben festgestellt, dass elektronische
                                                                einen Gutschein für ein bestimmtes Ar-
Bürgerdienste entweder sehr einfach oder bei
                                                                beitszeit-Kontingent. Die Haushaltshilfe
entsprechender Komplexität sehr komfortabel
                                                                kann den Gutschein einlösen und erhält
sein müssen.3 Keine Frage, dass die Behör-
                                                                dadurch eine Gutschrift für spätere Renten-
den dann darauf abzielen sollten, die Zahl
                                                                leistungen usw. Derartige Verfahren waren
der einfachen Bürgerdienste zu erhöhen und
                                                                in Deutschland schon üblich.
die unvermeidlich komplexen Bürgerdienste
zeitgemäß durch Internet-Dienste zu gestal-                   • die Anforderung einer Steuernummer,
ten. Einfache Bürgerdienste sind heute etwa                   • die Bestätigung einer einfachen Steuerer-
die Bestellung einer Mülltonne oder von                         klärung: Wenn die Meldesysteme etwa der
Briefwahlunterlagen. Es könnten – nach eini-                    Krankenversicherungen, der Banken usw.
gen Rechtsänderungen und Vereinfachungen                        erweitert und die steuerlichen Pauschal-
                                                                sätze vereinfacht würden, könnte man wie
3
     Birgit Schenk, Gerhard Schwabe, Von Bürgern und            in anderen Ländern auch eine einfache
     Bürgerberatern, Alcatel-Lucent Stiftung, Stiftungsrei-     Steuererklärung realisieren. Die Steuer-
     he 96, 2012
                                                                verwaltung sendet nach Eingang aller Mel-

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SR102                                                         Open Government in Baden-Württemberg

  dungen eine Mail oder SMS mit einem             eine Bürgerbeteiligung. Das haben die ba-
  Entwurf der Steuererklärung des jeweiligen      den-württembergischen Überlegungen ge-
  Kalenderjahres an den Steuerpflichtigen,        zeigt, denn selbst wenn Zwischenergebnisse
  die dieser dann nur noch bestätigt, falls er    in einem personalisierten Dokumentensafe
  keine Änderungen beantragen will. Die Ra-       hinterlegt würden, wären Komplexität und
  tionalisierungsüberlegungen in Deutsch-         Zeitaufwand für eine Beteiligung zu hoch.
  land gehen in keine grundlegend andere          Notwendig ist deshalb, die heutigen informa-
  Richtung.                                       tionstechnischen Möglichkeiten voll auszu-
                                                  nutzen. Bürgerinnen und Bürger werden
Komplexe online Dienste sind etwa die ener-
                                                  dann entweder gezielt auf verständlich, fach-
getische Sanierung eines Gebäudes, die Un-
                                                  lich betreute Informationsdienste der zustän-
ternehmensgründung und die Arbeitslosig-
                                                  digen Behörden geleitet. Oder sie können
keit. Bei diesen Themen mag es irgendwann
                                                  durch sich selbst verbindende Open Data
Vereinfachungsvorschläge geben, derzeit lie-
                                                  Sammlungen surfen. In dem Fall profitieren
gen sie nicht vor. Eine intensive Beratung
                                                  sie von Linked Data, die etwa Bevölkerungs-,
(auch durch Open Data Angebote) und lö-
                                                  Einkommens- und Ausbildungsdaten automa-
sungsorientierte effiziente Bürgerdienste sind
                                                  tisch auf Geodaten abbilden und ggf. auch
deshalb bei komplexen Verwaltungsprozes-
                                                  mit Behördendaten (etwa Ausgaben für Stra-
sen notwendig.
                                                  ßeninfrastruktur) vernetzen. Auf einen Blick
Die in Abb. 3 beschriebene Begrifflichkeit        können dann etwa Bürgerinnen und Bürger
würde deutlich machen, dass Open Govern-          erkennen, ob in ihrem Heimatort mehr oder
ment mit seinen verwaltungsreformerischen         weniger in die Infrastruktur investiert wird als
Ansprüchen im Vordergrund steht. E-               woanders.
Government stellt die Umsetzung nach der
Diskussion der Optimierung der Verwaltung
dar. Dies entspräche auch den heute gängi-        LMR Georg Schäfer leitet die IT-Koordi-
gen Definitionen im EU E-Government Akti-         nation im Innenministerium Baden-Württem-
onsplan, im Entwurf des E-Government Ge-          berg.
setzes des Bundes und in der Digitalen
Agenda der EU.

Open Data und Linked Data
Wer bei Open Government davon ausgehen
will, dass auch die Leistungsträger der Ge-
sellschaft, nämlich Berufstätige in der Alters-
klasse von 25 bis 65 Jahren mit Kindern und
Enkeln, eine effiziente Beteiligung erhalten,
muss die Informationsbasis erheblich verein-
fachen. Open Data im Sinne von „selbst pro-
grammieren“, „experimentieren“, „Daten zu-
sammensuchen“ ist dann keine Grundlage für

                                                                                               19
Berlin – Open Data
39 Handlungsempfehlungen für die stufenweise Öffnung der Datenbestände
Wolfgang Both

Die Projektgruppe des ServiceStadt Berlin-       nes Projekt entwickelt. Das Vorhaben glieder-
Vorhabens „Von der öffentlichen zur offenen      te sich in sechs Themenblöcke:
Verwaltung“ hat zum Ende des Jahres 2011
                                                 -   Bedarfs- und Potenzialanalyse
planmäßig ihren Abschlussbericht vorgelegt.
Durch den Wirtschaftsstaatssekretär Nicolas      -   Organisationsanalyse
Zimmer wurde der Bericht gemeinsam mit           -   rechtliche Rahmenbedingungen
dem Fraunhofer-Institut für offene Kommuni-
                                                 -   Geschäftsmodelle
kationssysteme (FOKUS) am 16. Februar
2012 in einer gut besuchten Pressekonferenz      -   Plattformkonzept, Technik und Standards
der Öffentlichkeit vorgestellt.
                                                 -   Handlungsempfehlungen, Leitfaden
Der Staatssekretärsausschuss für die Ver-
                                                 In der Projektphase I wurden die Analysear-
waltungsmodernisierung hatte das Projekt im
                                                 beit sowie die Ausformung des Plattformkon-
Februar 2011 in Auftrag gegeben, um Ge-
                                                 zepts in Angriff genommen. Neben dem Auf-
genstand und Potenziale rund um das neue
                                                 tragnehmer bestand die Projektgruppe unter
Schlagwort „Open Data“ erkunden zu lassen.
                                                 Federführung der Wirtschaftsverwaltung aus
Berlin hat sich frühzeitig diesen Herausforde-   Mitarbeitern der Innenbehörde, des Amtes für
rungen gestellt und mit dem Projekt Vorarbeit    Statistik und der Senatskanzlei.
für notwendige Entscheidungen geleistet. Im
                                                 Der erste Berlin Open Data Day (BODDy) im
Koalitionsvertrag von 2011 heißt es entspre-
                                                 Mai 2011 zeigte mit mehr als 130 Besuchern
chend: „Das Open Government wird zur För-
                                                 das große Interesse sowohl in der Verwal-
derung von Transparenz, Partizipation und
                                                 tung als auch in der Öffentlichkeit an diesem
Zusammenarbeit ausgebaut. … Die Koalition
                                                 Thema. Die Veranstaltung wurde gemeinsam
wird die Open-Data-Initiative des Landes
                                                 vom Aktionsbündnis „Open Data Berlin“, ei-
fortsetzen und ausbauen. Dazu setzt sie sich
                                                 nem informellen Zusammenschluss von
für eine Prüfung der weitergehenden Offen-
                                                 Netzaktivisten, Vertretern aus der Verwal-
legung von öffentlichen Daten (z.B. Geoin-
                                                 tung, Forschern sowie Mitarbeitern von Fir-
formationsdaten) unter Wahrung des persön-
                                                 men vorbereitet und gestaltet. Die Projekt-
lichen Datenschutzes ein.“
                                                 gruppe konnte hier bereits erste Ergebnisse
                                                 vorstellen.
Das Projekt                                      Eine weitere Erkenntnis aus der Veranstal-
                                                 tung war, dass die technische Entwicklung
Berlin betrat mit diesem Vorhaben Neuland.
                                                 zur Sammlung und Bereitstellung von Daten
Keine andere deutsche Stadt hatte bisher ein
                                                 durch Vorarbeiten des ITDZ Berlin sowie der
Konzept zu Open Government oder Open
                                                 BerlinOnline Stadtportal GmbH weiter voran-
Data vorgelegt. Daher wurde 2011 ein eige-
                                                 geschritten war, als bisher angenommen.
                                                 Daher wurde mit dem Projektantrag für die

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SR102                                                                         Berlin – Open Data

Phase II ein Ausbau über das eigentlich vor-    Erste Erfahrungen aus dem Portalbetrieb
gesehene Plattformkonzept hinaus in die pi-     sind in den Abschlussbericht eingeflossen. Er
lothafte Realisierung eines Datenportals ein-   liefert auf 180 Seiten detaillierte Betrachtun-
gereicht.                                       gen zu den o.g. Themenblöcken und schließt
                                                mit einem Stufenplan und 39 Handlungsemp-
Mit neuen Partnern und politischem Rücken-
                                                fehlungen zum Umsetzung des Open Data-
wind ging es über den Sommer an die Ges-
                                                Konzepts in Berlin ab.
taltung des ersten Datenportals in Deutsch-
land.                                           So wurde festgestellt, dass das rechtliche
                                                Umfeld durch viele Fachgesetze recht un-
                                                übersichtlich und nicht harmonisch gestaltet
Datenportal                                     ist.
Das Schaufenster nach außen ist das Daten-      Einer weiteren Klärung bedürfen die Lizenz-
portal (http://daten.berlin.de). Die Datenbe-   und Nutzungsbedingungen. Wir haben uns
stände sind vorwiegend maschinenlesbar          erst einmal an der Creative Commons Licen-
gestaltet. Um die Suche zu vereinfachen, ist    ce, die auch in Wikipedia für dort eingestellte
als ein weiteres Merkmal in den Metadaten       Inhalte angewendet wird, orientiert. Diese Li-
eine Datenkategorie vorgegeben und hilft        zenzform ist im Internet weitgehend bekannt
dem menschlichen Besucher der Seite bei         und akzeptiert, andererseits nicht speziell für
der Navigation durch das Angebot.               Daten ausgelegt.
Registrierte Datenbearbeiter können selbst-     Alle Handlungsempfehlungen in der Studie
ständig neue Datensätze einstellen bzw. be-     sind nach einem kurz-, mittel- und langfristi-
stehende aktualisieren.                         gen Zeithorizont gegliedert. Des Weiteren
Mit diesem Konzept ist es gelungen, bereits     sind die Bereiche Politik, Verwaltung, Recht
am 14. September 2011 das erste Datenpor-       und Technik angesprochen.
tal einer deutschen Stadt freizuschalten.       Kurzfristig sind einige Punkte auf der politi-
Ummittelbar nach der Berlin-Wahl standen        schen Ebene zu klären: Wie sollen – gemäß
bereits die Wahlergebnisse maschinenlesbar      der zitierten Erklärung aus der Koalitionsver-
als neuer Datensatz im Portal, bereitgestellt   einbarung – Fortsetzung und Ausbau der
vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg.       Open-Data-Initiative konkret erfolgen? Wird
Nur eine Woche später stand die „Wahl-App“      es einen Open-Data-Beauftragten geben?
bereit, die Wahlergebnisse und Bevölke-         Wie kann der Übergang vom Labor- und den
rungsdaten miteinander verknüpfte.              Regelbetrieb gestaltet werden? Wo wird er
                                                angesiedelt? Mittelfristige Themenstellungen
                                                sind u.a. technischer Art: Auf welche Daten-
Ergebnisse und Umsetzung
                                                formate verständigt man sich? Sind diese aus
In der Zwischenzeit sind weitere Anwendun-      den vorhandenen Datenbeständen ableitbar?
gen, aufbauend auf Berliner Datensätzen,        Sind Konverter zu entwickeln? Welche Wei-
entstanden und auch über das Datenportal        terbildungsmaßnahmen müssen gestaltet
verfügbar. Der Datenbestand ist kontinuier-     und angeboten werden. Die Klärung offener
lich gewachsen, aus Landes- und Bezirks-        Rechtsfragen hat sicher Langfristcharakter.
verwaltungen kommen stetig neue Beiträge.

                                                                                             21
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