QUALITÄTSSTANDARDS IN DER ERLEBNISPÄDAGOGIK - Handlungsempfehlungen für die Planung und Durchführung von erlebnispädagogischen Maßnahmen in der ...
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QUALITÄTSSTANDARDS IN DER ERLEBNISPÄDAGOGIK Handlungsempfehlungen für die Planung und Durchführung von erlebnispädagogischen Maßnahmen in der Jugendarbeit nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII Empfehlungen
QUALITÄTSSTANDARDS IN DER ERLEBNISPÄDAGOGIK Handlungsempfehlungen für die Planung und Durchführung von erlebnispädagogischen Maßnahmen in der Jugendarbeit nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII
4 _ Inhalt 1 Vorwort und Zielsetzung _ 7 2 Benutzerhinweise und Zielgruppe _ 8 3 Begriffsbestimmung _ 10 3.1 Was ist Erlebnispädagogik? _ 10 3.2 Die drei Säulen der Erlebnispädagogik: Pädagogik, Sicherheit und Ökologie _ 14 4 Wirksamkeit und Risiken von erlebnispädagogischen Maßnahmen _ 15 4.1 Voraussetzungen für die Wirksamkeit von erlebnispädagogischen Maßnahmen _ 15 4.2 Unwirksamkeit und Risiken bei erlebnispädagogischen Veranstaltungen _ 16 5 Durchführung erlebnispädagogischer Maßnahmen _ 17 5.1 Modell zur Risikoreduktion _ 17 5.2 Allgemeine Leitfragen zur Entscheidungsfindung _ 17 6 Erlebnispädagogische Aktionsfelder und Entscheidungskriterien _ 19 6.1 Handlungsfeld Klettern _ 22 6.2 Handlungsfeld Bergwandern _ 28 6.3 Handlungsfeld Seilaufbauten/Seilgärten _ 30 6.4 Handlungsfeld Erlebnispädagogik im Winter _ 34 6.5 Handlungsfeld Höhle _ 36 6.6 Handlungsfeld Wasser _ 40 6.7 Handlungsfeld Mountainbike _ 45
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 5 7 Verantwortung und Haftung bei der Planung und Durchführung von erlebnispädagogischen Maßnahmen aus rechtlicher Sicht _ 50 7.1 Vorwort _ 50 7.2 Rechtliche Grundlagen _ 50 7.2.1 Allgemeine Regelungen _ 50 7.2.2 Gesetzliche Regelungen BGB und StGB _ 51 7.2.3 Berg- und Skischulverordnung Bayern _ 51 7.3 Anforderungen an die Planung und Durchführung erlebnispädagogischer Angebote _ 52 7.3.1 Auswahl geeigneter Aktivitäten und Ziele _ 52 7.3.2 Auswahl, Schulung und Weiterbildung geeigneter Leiter_innen _ 53 7.3.3 Persönliche Eignung der Betreuungspersonen _ 54 7.3.4 Fachliche Eignung der Betreuungspersonen _ 55 7.3.5 Leitungs-Teilnehmende-Schlüssel _ 56 7.3.6 Informationsverpflichtung und Risikotransparenz in der Ausschreibung _ 57 7.4 Risikomanagement und Aufsichtsführung bei erlebnispädagogischen Aktivitäten _ 58 7.4.1 Verpflichtung zur Einholung von Informationen über Teilnehmende _ 58 7.4.2 Hinweise, Belehrungen und Verbote _ 58 7.4.3 Schaffung eines Notfallmanagements _ 59 7.4.4 Haftungsrisiken _ 59 7.4.5 Haftung gegenüber den Teilnehmenden _ 60 7.4.6 Strafrechtliche Verantwortlichkeit _ 61 7.4.7 Arbeitsrechtliche Verantwortlichkeit _ 61 7.4.8 Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten _ 61 8 Literatur _ 63 8.1 Verwendete Literatur _ 63 8.2 Empfohlene Literatur _ 64 8.3 Weiterführende Informationen _ 67 9 Autor_innen, beratende Experten_innen und Verbände _ 68 9.1 Autor_innen _ 68 9.2 Beratende Expert_innen _ 69 9.3 Beratende Fachsportverbände _ 69
6 _ Vorwort und Zielsetzung Diese Empfehlungen veröffentlicht der Bayerische Jugendring in seiner Funktion als überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe für den Bereich der Jugendarbeit nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII für die Jugendämter in Bayern. Dem Bayerischen Jugendring (BJR) als Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.) sind gemäß § 32 Verord- nung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG) für den Bereich der Jugendarbeit Aufgaben des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 des Achten Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) zur Besorgung im Auftrag des Staats übertragen. Der BJR übernimmt damit die Aufgaben der Beratung, Koordinierung, Planung und Fortbildung für den Bereich der Jugendarbeit. Er unterstützt durch Empfehlungen und Vorschläge die Tätigkeit der Jugendämter. In dieser Eigen- schaft unterliegt der BJR der Rechts- und Fachaufsicht des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales. Der BJR beschreibt und erfüllt seine gesetzlich über- tragenen Aufgaben unter Beachtung und Verwirklichung hoher Qualitätsstandards. Im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgaben ver- öffentlicht der BJR die vorliegenden Empfehlungen nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII. Beschlossen vom Landesvorstand des Bayerischen Jugendrings im Februar 2015.
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 7 1 Vorwort und Zielsetzung Erlebnispädagogik hat sich nach einer Pionierphase in Mit Erscheinen der ersten Auflage haben wir die den achtziger und einem Boom in den neunziger Jahren Fachöffentlichkeit um Kommentare und Ergänzungen ge- zu einer klassischen Methode der Jugend- und Bildungs- beten. Diese wurden nun in die zweite Auflage aufgenom- arbeit im Allgemeinen entwickelt. Die sichere und fach- men, soweit sie uns sinnvoll erschienen. Insbesondere lich fundierte Durchführung von erlebnispädagogischen wurden die Schemata zu den erlebnispädagogischen Maßnahmen erfordert von den Leitenden jedoch beson- Aktionsfeldern und Entscheidungskriterien in Kapitel 6 dere Kenntnisse und Fähigkeiten, die, aufbauend auf pä- überarbeitet und ergänzt. Neu hinzugekommen ist auf dagogischen Berufsabschlüssen, vorwiegend in berufs- Empfehlung von Experten aus der Praxis das Handlungs- begleitenden Zusatzqualifikationen vermittelt werden. In feld Winter. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich den vergangenen Jahren ist die Quantität der ausbilden- bei den vielen Fachleuten aus der Erlebnispädagogik für den Institutionen so angestiegen, dass die qualitative die konstruktiven Rückmeldungen, vor allem aber bei Beurteilung von Abschlüssen für Träger/Veranstalter von dem Team von NaturErlebnisTouren NET e. V. und dem erlebnispädagogischen Maßnahmen immer schwieriger erlebnispädagogischen Zentrum des KJR München-Stadt und unübersichtlicher geworden ist. Aus rechtlicher Sicht Tchaka, die sich intensiv mit allen Aspekten auseinander- sind sie jedoch verpflichtet, die persönliche und fachliche gesetzt und uns viele wertvolle Anregungen für die erleb- Eignung von Leitungspersonen zu prüfen und zu beur- nispädagogische Praxis gegeben haben. teilen.1 Anliegen und Ziel der vorliegenden Empfehlungen Aus diesem Grund wurde der Bayerische Jugendring für die Planung und Durchführung von erlebnispädago- um eine fachliche Stellungnahme zur erlebnispädagogi- gischen Maßnahmen ist es weiterhin, Personen, die in schen Praxis gebeten. In seiner Sitzung vom 24. Februar verantwortlicher Position genehmigen oder befürworten 2015 hat der BJR-Landesvorstand diese Empfehlungen müssen, eine qualifizierte fachliche Einschätzung auf beschlossen. Damit ist er der Bitte aus dem Feld der Ju- dem Gebiet der Erlebnispädagogik zu erleichtern. Sie gendarbeit nachgekommen und nimmt seine Aufgabe können jedoch auch Durchführenden von erlebnispäd- im Sinne des § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII wahr. Die erste agogischen Maßnahmen als eine Art Checkliste dienen. Auflage der Handlungsempfehlungen erschien 2015 und entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Jugend- arbeit 2 , den Jugendbildungsstätten Burg Schwaneck 3 , Königsdorf 4 , Bad Hindelang 5 und Babenhausen 6 sowie den entsprechenden Fachsportverbänden 7, die seit 1996 in einem Trägerverbund eine berufsbegleitende Zusatz- qualifikation (ZQ Erlebnispädagogik) durchführen, deren Lehrinhalte vom bayerischen Kultus- und Umweltministe- rium genehmigt und empfohlen sind. 1 Siehe Kapitel 7.3.4: Fachliche Eignung der Betreuungspersonen 2 Institut für Jugendarbeit des BJR: www.institutgauting.de 3 Jugendbildungsstätte Burg Schwaneck des KJR München-Land: www.burgschwaneck.de 4 Jugendsiedlung Hochland – Königsdorf: www.jugendsiedlung-hochland.de 5 Jugendbildungsstätte der JDAV Bad Hindelang: www.jubi-hindelang.de 6 Schwäbische Jugendbildungs- und Begegnungsstätte: www.jubi-babenhausen.de 7 DAV Deutscher Alpenverein e. V.: www.alpenverein.de; BKV Bayerischer Kanu-Verband e. V.: www.kanu-bayern.de; VdHK Verband der deutschen Höhlen und Karstforscher e. V.: www.vdhk.de
8 _ Benutzerhinweise und Z ielgruppe 2 Benutzerhinweise und Zielgruppe Zunächst werden, neben einer Begriffsbestimmung, ein Die tabellarisch gehaltenen Listen der Aktions- mögliches Verständnis und Wirkmechanismen bzw. pä- und Handlungsfelder folgen ansatzweise der Idee der dagogische Potenziale von Erlebnispädagogik beschrie- „Erlebnispädagogische(n) Aktivitäten im Vergleich“ aus ben. Diese theoretische Einführung verschafft ein deutli- dem Grundlagenwerk von B. Heckmair und W. Michl ches Bild der aktuellen Erlebnispädagogik und dient der (1. Auflage 1993). Schärfung der – oftmals unscharf verwendeten – Begriff- Den Abschluss bildet ein Kapitel, das sich ausführlich lichkeiten. und vertiefend mit allen rechtlichen Aspekten befasst. Im zweiten Teil werden in tabellarischer Form für die Sofern erforderlich und passend, wird bereits im Text auf Handlungsfelder Klettern, Bergwandern, Seilaufbauten/ einige rechtliche Aspekte verwiesen, die im letzten Kapi- Seilgärten, Winter, Höhle, Wasser und Mountainbike, die tel dann noch vertieft werden. für eine verantwortungsvolle Leitung notwendigen Kom- Die Empfehlungen betreffen in erster Linie offen aus- petenzen und die aus unserer Sicht empfehlenswerten geschriebene erlebnispädagogische Angebote für Kinder, Qualifizierungen skizziert. Eine Aufzählung und Bewer- Jugendliche und junge Erwachsene mit professioneller tung aller derzeit angebotenen Erlebnispädagogik-Aus- Leitung.8 bildungen kann hier allerdings nicht geleistet werden. Wir Sie gelten inhaltlich auch für erlebnispädagogische gehen generell von einem Bildungsbegriff aus, in dem Maßnahmen im Bereich der ehrenamtlichen Jugendver- sich Ansprüche der Bildung für nachhaltige Entwicklung, bandsarbeit. Da sich die Jugendverbandsarbeit aber in maximale Sicherheit der Teilnehmenden und ambitio- einigen Bedingungen 9 wesentlich von den offenen Ange- nierte Pädagogik wiederfinden. Auf diese Weise sollen boten unterscheidet, kann hier in Bezug auf die formalen entscheidende Parameter benannt werden, ohne dass Qualifikationen von Leitungspersonen öfter mit entspre- dadurch eigenverantwortliche Entscheidungen und eine chenden Begründungen abgewichen werden.10 Dies ist fundierte pädagogische/fachsportliche Ausbildung der insbesondere dann der Fall, wenn der Träger/Veranstal- Leiter_innen ersetzt werden können. ter in dem durchgeführten Handlungsfeld Fachverband 11 ist und daher die persönliche und fachliche Eignung der Leitungspersonen so gut beurteilen kann, dass er von einer sicheren und verantwortungsvollen Durchführung 8 Hauptamtlich bzw. freiberuflich gegen Honorar 9 Besondere Bedingungen ehrenamtlicher Jugendverbandsarbeit: • Jugendgruppen in einem Jugendverband bestehen über einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten, oft sogar Jahren hinweg. Dies hat zur Folge, dass sich, im Unterschied zu ausgeschriebenen kurzzeitpädagogischen Maßnahmen, Teilnehmende und Leitung sehr gut kennen. Dies ermöglicht es der Leitung, die Gruppenmitglieder in Bezug auf ihr Können oder ihre Persönlichkeitsmerkmale (Zuverlässigkeit, Verant- wortungsbewusstsein, Risikobereitschaft etc.) viel besser einzuschätzen zu können, als dies bei offenen Angeboten der Fall sein kann. • Verbandliche Jugendgruppenarbeit findet im Rahmen der jeweiligen Vereinsstruktur statt. Hierdurch kann gewährleistet werden, dass geplante Unternehmungen mit den Verantwort- lichen des jeweiligen Vereins abgestimmt und somit noch einmal einer Kontrolle unterworfen sind. • Verbandsspezifische Ausbildungen sind i.d.R. verpflichtend für Jugendleiter_innen vorgeschrieben. Diese beinhalten bei den Jugendverbänden mit natursportlicher Ausrichtung i.d.R. auch erlebnispädagogische Inhalte mit sportfachlichen Qualifikationen, beispielsweise bei der Jugend des Deutschen Alpenvereins oder bei der Naturfreundejugend. 10 Siehe hierzu auch im Kapitel Recht 7.3.3: Persönliche Eignung der Betreuungspersonen 11 Z. B. DAV, BKV, VdHK, NaturFreunde etc.
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 9 der Maßnahme ausgehen kann. Sofern offene Angebote Zusätzlich verändert sich auch die sicherheitstech- der Jugendarbeit in Kooperation mit Fachsportverbänden nische Umsetzung in den jeweiligen Handlungsfeldern sattfinden und die Auswahl der Leitungspersonen an die- laufend. Entsprechend zeigt dieser Leitfaden zwar einen se übertragen wird, gilt dies analog. Angeraten ist aber umfassenden, aber keinen abschließenden Ausschnitt auch hier die Beachtung der aufgeführten inhaltlichen erlebnispädagogischer Möglichkeiten und beschreibt Kriterien zur verantwortungsvollen Durchführung von den derzeitigen Status quo. erlebnispädagogischen Maßnahmen. Um aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse in Die Erlebnispädagogik ist ein dynamisches Hand- der Erlebnispädagogik aufgreifen zu können, sollen die lungsfeld. Als pädagogische Methode ist sie darauf aus- Empfehlungen auch künftig regelmäßig überarbeitet, gerichtet, Veränderungen zu bewirken und Neues entste- erweitert und aktualisiert werden. Auf diese Weise wird hen zu lassen. Dies drückt sich auch in einer Vielzahl von der ständigen Weiterentwicklung der Erlebnispädagogik möglichen Aktionsfeldern und Zugängen/Umsetzungen Rechnung getragen. Die jeweils aktualisierte Fassung aus, wobei in dieser Handreichung derzeit Aktionsfelder wird veröffentlicht unter → www.bjr.de und www.zq-ep.de ausgeklammert sind, die in der erlebnispädagogischen Praxis von untergeordneter Bedeutung sind und/oder bei denen das Risikomanagement erheblich komplexer und damit schlechter beschreibbar ist (Skitouren im winterli- chen Hochgebirge, Gletschertouren, Tauchsport etc.).
10 _ Begriffsbestimmung 3 Begriffsbestimmung 3.1 Was ist Erlebnispädagogik? Herausforderungen; Floßbau und Flussbefahrung als Gruppenaufgabe für Auszubildende; Höhlenbefahrung Der Begriff „Erlebnispädagogik“ ist weit verbreitet. Er zur Thematisierung von Ängsten; mehrtägige Bergwan- bezeichnet handlungs- und erlebnisorientierte Maßnah- derungen mit Biwakieren zu bestimmten pädagogischen men mit pädagogischer Zielsetzung in unterschiedlichen Themen wie Kooperation, Zeit, Geschlechteridentität; Natur- und Lebensräumen und fokussiert als Zielgruppe Mountainbiketouren zur Klärung von Entscheidungen in junge Menschen. Dabei wird häufig auf natursportliche Gruppen und vieles mehr. Tätigkeiten zurückgegriffen. Diese werden modifiziert, Im angelsächsischen Raum sind solche erlebnispä- um sie an pädagogische Zielsetzungen anzupassen. Ei- dagogischen Maßnahmen sehr weit verbreitet und oft ne zentrale Idee der Erlebnispädagogik ist, durch reale, fester Bestandteil von Schul- und Universitätscurricula. vielschichtige Herausforderungen unmittelbare Situati- Entsprechend findet sich im englischen Sprachgebrauch onen und Erlebnisse zu schaffen, die ein unterstützen- eine größere Bandbreite an Bezeichnungen, die stärker des Lernumfeld für das Wachstum von persönlichen nach Zielgruppen (z. B. Schulklassen vs. Zufallsgruppen) Kompetenzen erzeugen (vgl. Sibthorp & Morgan, 2011). oder Zielsetzung (z. B. Wissensvermittlung vs. Therapie) Die Dauer der Maßnahmen reicht von kurzen Sequenzen differenzieren: adventure education, adventure program- über Tagesaktionen, mehrtägigen/mehrwöchigen Ver- ming, adventure therapy, challenge education, expediti- anstaltungen bis hin zu Projekten, die sich über mehrere onary learning, experiential education, environmental Monate erstrecken. Erlebnispädagogische Zielsetzun- education, outdoor school, outdoor learning, outdoor gen umfassen eine Bandbreite von Möglichkeiten des adventure development. gegenseitigen Kennenlernens und der Gruppenfindung, Die Vielzahl an möglichen Bezeichnungen macht über intensivere Formen der Auseinandersetzung mit deutlich, dass Erlebnispädagogik lediglich ein Oberbe- Gruppenthemen und Persönlichkeitsentwicklung bis hin griff sein kann und sich nicht immer trennscharf von an- zu therapeutischen oder an Lehrplänen ausgerichteten deren pädagogischen Ansätzen wie der Freizeit-, Natur-, Angeboten. Dabei kann die Intensität der Auseinander- Wildnis- oder Abenteuerpädagogik abgrenzen lässt. Im setzung je nach Auftrag und Zieldefinition sehr unter- Folgenden wird Erlebnispädagogik, wie sie im Kontext schiedlich gestaltet werden. Die Befahrung einer Höhle der Jugend- und Bildungsarbeit verstanden werden kann, kann sowohl als spannende Aktion zum gegenseitigen anhand zentraler Begriffe näher definiert. Diese Defini- Kennenlernen durchgeführt werden wie auch als komple- tion basiert wesentlich auf dem erlebnispädagogischen xe Problemlöseaufgabe zur Gruppenentwicklung oder zur Selbstverständnis des Trägerverbundes der Zusatzquali- intensiven Beschäftigung mit sehr persönlichen Ängsten fikation (ZQ) Erlebnispädagogik.12 und unbekannten Situationen. Die Begriffe „Erlebnispäd- Ziel erlebnispädagogischer Arbeit ist die Bildung der agogik“ und „Erlebnispädagoge/-pädagogin“ sind weder Person durch zielgerichtetes ganzheitliches und erlebnis- rechtlich geschützt noch erfordert die Verwendung oder und handlungsorientiertes Lernen in Gruppen, natürli- Bezeichnung eine bestimmte Berufsausbildung. cher Umgebung und meist durch natursportliche Tätig- Beispiele für typische erlebnispädagogische Maß- keiten. Erlebnispädagogik beinhaltet für das Individuum nahmen in der Jugend- und Bildungsarbeit: Koopera- herausfordernde Elemente und ist entwicklungs- bzw. tionsübungen für Schulklassen zur Verbesserung des wachstumsorientiert. Entsprechend gehen Erlebnispä- Kommunikations- und Kooperationsverhaltens; Klettern dagogen beziehungsorientiert, pädagogisch reflektiert, in der Jugendarbeit als Metapher für den Umgang mit fachsportlich kompetent und mit der Perspektive der Umweltbildung vor. 12 Bedacht, Andreas, Birzele, Josef et al., Mai 2008 www.zq-ep.de/downloads/ (zuletzt abgerufen am 18. 11. 2018)
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 11 Fokus der Arbeit ist es, Lern-, Entwicklungs- und Bil- Das Maß der Herausforderung ist partizipativ ge- dungsgelegenheiten für das Individuum zu bieten, auch wählt, die Teilnahme prinzipiell freiwillig. Entscheidender wenn erlebnispädagogische Arbeit zu einem guten Teil in als die Bewältigung einer Herausforderung ist die Ausei- Gruppen stattfindet. nandersetzung mit der Herausforderung. Mutproben und Eine förderliche Gruppendynamik gewährleistet indi- Härterituale sind verzichtbar, Humor nicht. Begegnungen viduelles Lernen auch in Bezug auf die Ausbildung von und sanfte Methoden erzeugen meist nachhaltigere Er- Sozialkompetenzen in Gruppen. Erlebnispädagogik för- lebnisse als sogenannte harte, stark aktions- oder her- dert vielfältige Bildung: Neben dem Erlernen einzelner ausforderungsbezogene Aktionen. Kompetenzen ermöglicht die Handlungsorientierung, Erlebnispädagogische Methoden ermöglichen ganz- Wissen über die Prozesse, Hintergründe und Zusammen- heitliches Lernen. Sie beinhalten körperliche, emotio- hänge komplexer Umwelten zu vermitteln. Der erlebnis- nale, kognitive und soziale Aspekte. Eigenes Tun birgt die pädagogische Bildungsanspruch basiert auf Werten und Chance der größten Verarbeitungstiefe. Durch eigenes ethischem Handeln und betont daher sowohl die indivi- Tun zu Ergebnissen zu gelangen, ist eine Grundvoraus- duelle Verantwortung als auch die Verschränkung von setzung, um Selbstwirksamkeit zu erlangen. Sich selbst Individuum und Gesellschaft. wirksam zu fühlen, ist eine Basis für Selbstvertrauen und Erlebnispädagogisches Handeln ist zielgerichtet. Identität. Die Erfahrung von Erlebnissen, die einen Unter- Inhalte, Themen und Ziele werden mit Beteiligten und schied zum Alltag darstellen, kann Lernprozesse emotio- Auftraggebern im Sinne einer Auftragsklärung ausgehan- nal vertiefen und kognitiv verankern (handlungsorien- delt. Im Vordergrund stehen die Lernchancen und Erfolge tiertes Lernen). der Teilnehmenden. Um auf Prozesse und Veränderungen Durch die Reflexion des Erlebten und den Transfer reagieren zu können, muss die Leitung gleichsam gut pla- der Erfahrungen in zukünftiges Handeln werden Verhal- nen und improvisieren können. Gerade unerwartete Situ- tensoptionen und Entwicklungspotentiale gesichert. Die ationen beinhalten oft die Chance, bestehende Muster zu Frage des Transfers fließt als eine grundlegende Pers- unterbrechen und Neues zu lernen. Diese Lernchancen pektive bei der Zielbestimmung, der Methodenauswahl, können nur genutzt werden, wenn nicht starr an geplan- der Durchführung und der Reflexion ein. Transfer wird ten Abläufen festgehalten wird. Insofern ist erlebnispä- behindert, wenn Ziele nicht eindeutig sind, wenn zu vie- dagogisches Handeln immer auch prozessorientiert. le Aktionen keine Zeit mehr lassen und die Teilnehmen- Ferner ist, wie in anderen pädagogischen Handlungs- den von der Abfolge der Tätigkeiten überflutet werden. feldern auch, in der Erlebnispädagogik nicht allein die Transfereinheiten sollten nicht nur am Ende der Aktion verwendete Methode ausschlaggebend, sondern die stehen, sondern auch regelmäßig in den Ablauf einge- Fähigkeit der Leitung, angemessen, wertschätzend und plant werden. Gleichwohl kann gemeinsames Handeln in bedürfnisorientiert auf die Teilnehmenden eingehen zu natürlicher Umgebung auch dann pädagogisch wertvoll können. Gerade in Situationen, die für die Teilnehmenden sein, wenn es nicht erlebnispädagogisch intendiert ist, Unsicherheiten und Risiken beinhalten, wird die Qualität sondern um seiner selbst willen geschieht. der Beziehung zwischen Leitung und Teilnehmenden besonders wichtig. Insofern ist erlebnispädagogisches Handeln immer auch beziehungsorientiert.
12 _ Begriffsbestimmung Erlebnispädagogische Maßnahmen finden meist in Kinder und Jugendliche sind mit einer komplexen der Natur statt. Dabei kommt dem Aufenthalt in der Na- Welt konfrontiert, in der Wirkungszusammenhänge oft tur eine weitaus größere Bedeutung zu, als nur ein Mittel nicht unmittelbar zu verstehen sind. Täglich müssen zum Zweck für natursportliche Aktivitäten zu sein. Auf- sie aber risikobehaftete Entscheidungen treffen, deren enthalte in natürlicher Umgebung bilden den Rahmen für Auswirkungen sie schwer einschätzen können. Trotz zu- ein ganzheitliches erlebnisorientiertes Lernen, weil sie nehmender Komplexität unserer Umwelt und täglicher zentrale Aspekte menschlicher Existenz und menschli- Konfrontation mit Risiko und Unsicherheit werden Kinder chen Miteinanders vermitteln können. Die Bedeutung und Jugendliche nicht systematisch in Risikokompetenz der Auseinandersetzung mit Schutz, Nahrung, Heraus- ausgebildet. Die Einschätzung von Gefahren und Gefähr- forderung, Unmittelbarkeit, Bedrohung, Hindernissen, dungen ist aber ein wesentliches Moment selbst- und Unerwartetem, Dynamik, Innehalten, Zeitabläufen (natür- gesellschaftsverantwortlicher Lebensgestaltung. Die Er- lichen und menschlich gestalteten), Geologie, Geografie lebnispädagogik bietet dafür ein vorbildliches Lernfeld, und Geschichte kann nicht durch Unterricht in geschlos- da trotz Minimierung der objektiven Risiken die Span- senen Räumen ersetzt werden. nung von den Teilnehmenden subjektiv deutlich spürbar Erlebnispädagogische Veranstaltungen können so- erlebt wird. Es geht also darum, erlebnispädagogische wohl dazu beitragen, ein emotional positiv besetztes Ver- Maßnahmen so durchzuführen, dass sie einerseits si- hältnis zur Natur zu entwickeln, als auch das Wissen um cher sind, andererseits aber die Möglichkeit beinhalten, natürliche Lebensräume und unsere lebensnotwendigen Unsicherheit zu erleben und somit im eigenen Bewerten Ressourcen weiterzugeben. und Entscheiden Risikokompetenz zu erlernen. Die Teil- Der freie Zugang zur Natur und eigene Erfahrungen nehmenden nehmen Unsicherheiten und Risiken wahr, durch das freie Sich-Bewegen in der Natur sind dabei lernen diese in kompetenter Begleitung einzuschätzen, notwendige Voraussetzungen zur Sensibilisierung für Handlungsoptionen zu entwickeln und sich in risikobe- Lebensräume von Tieren und Pflanzen und das Erlernen hafteten Situationen angemessen zu verhalten. Aufgabe ökologischer Verantwortlichkeit. der Leitung ist es, ein förderliches Maß von subjektiv er- Zusätzlich setzen Aktivitäten in der Natur einen Kon- lebter Spannung, Unsicherheit und Risiko auf der einen trast zur alltäglichen Erfahrung in urbaner Umgebung. Seite und Entspannung, Eigeninitiative und Kontempla- In diesem Kontrast besteht eine Grundlage zur persön- tion auf der anderen Seite für jede_n Teilnehmer_in zu lichen Weiterentwicklung. Teilnehmende erleben und finden. Zur Leitung erlebnispädagogischer Maßnahmen erfahren im alltagsfernen Raum eine unmittelbare kör- in den hier beschriebenen Handlungsfeldern bedarf es perliche, sensomotorische und soziale Herausforderung. sowohl pädagogischer als auch fachsportlicher und Sie erlangen Handlungskompetenz zu bislang außerhalb umweltpädagogischer Kompetenzen. Die Basis für des eigenen Horizonts liegenden Zielen, erfahren das erfolgreiches erlebnispädagogisches Arbeiten bildet eine Angewiesensein auf die Gruppe und die Notwendigkeit, Sensibilität für die Handlungen und Wirkungen von Per- Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. sonen, für Gruppenphänomene bzw. -dynamiken und die
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 13 umgebende Natur. Pädagogische Erfahrung ist nötig, um diese Sensibilität in zielgerichtetes, prozess- und bezie- hungsorientiertes pädagogisches Handeln übertragen zu können. Zusätzlich zeichnen sich Erlebnispädagoginnen und -pädagogen durch ein ausgeprägtes Bewusstsein für die psychische und physische Sicherheit der Teil- nehmenden aus. Dieses Bewusstsein erfordert eigene natursportliche Erfahrung und grundlegende fachsport- liche Kenntnisse. Zusätzlich bedarf es entsprechender ökologischer Kenntnisse, um sensible Lebensräume zu schützen, Wissen über die Natur weiterzugeben und die Teilnehmenden für Naturräume begeistern zu können. Gerade die Verbindung handlungsorientierter Methoden mit umweltpädagogischen Inhalten eröffnet im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung beachtliche Lern- potenziale, die es ermöglichen, sowohl das Wissen um Zusammenhänge in der Ökologie zu erweitern, als auch entsprechende Werte und Einstellungen zum achtsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu fördern. Das Leitungs- und Führungsverhalten ist davon geprägt, die Partizipation von Teilnehmenden zu för- dern und ihnen eigene Erfahrungen zu ermöglichen. Die strikte Leitung muss sich auf sicherheitsrelevante Aspek- te beschränken. Erlebnispädagoginnen und-pädagogen sollten kontinuierlich über ihre Wirkung als Leitung, die verwendeten Sicherheitsstandards und die ökologische Angemessenheit ihrer Maßnahmen reflektieren. Da die Erlebnispädagogik einem ständigen Wandel unterliegt, müssen sich Erlebnispädagoginnen und-pädagogen re- gelmäßig über aktuelle pädagogische Themen und Frage- stellungen, fachsportliche und sicherheitstechnische Ent- wicklungen und ökologische Erfordernisse informieren.
14 _ Begriffsbestimmung 3.2 Die drei Säulen der Erlebnis pädagogik: Pädagogik, Sicherheit und Ökologie Das Drei-Säulen-Modell erweist sich sowohl in der Ge- oft zusätzliches Wissen und zusätzliche Kompetenzen staltung und Bewertung erlebnispädagogischer Maßnah- erworben werden müssen, um in hoher Qualität erleb- men als auch in der Erstellung eines Anforderungsprofi- nispädagogisch arbeiten zu können. Dabei steht nichts les an Veranstalter und Leiter_innen als hilfreich. Neben Geringeres auf dem Prüfstand als die mit der Tätigkeit der durch entsprechende Fachkräfte und das Knowhow angenommene Verantwortung den Teilnehmenden und der Einrichtungen für gewöhnlich sehr stabilen Säule „Pä- der Natur gegenüber.13 dagogik“ gilt unser Augenmerk insbesondere den beiden anderen Säulen „Sicherheit und Ökologie“, da gerade hier Abb. 1 _ DIE DREI SÄULEN DER ERLEBNISPÄDAGOGIK 13 ERLEBNIS- PÄDAGOGISCHE MA SSNAHME ziel-, prozess- und Auftragsklärung beziehungs- Reflexion Transfer orientierte Durchführung ←→ ←→ PÄDAGOGIK SICHERHEIT ÖKOLOGIE 13 Modell ZQ Erlebnispädagogik, erweitert durch Bernhard Streicher
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 15 4 Wirksamkeit und Risiken von erlebnispädagogischen Maßnahmen 4.1 Voraussetzungen für Auswahl des Handlungsfeldes 15 Für die jeweilige Zielgruppe und die jeweiligen pädagogi- die Wirksamkeit von erlebnis schen Zielsetzungen gilt es, eine geeignete Wahl zu tref- pädagogischen Maßnahmen fen. Je nach pädagogischer Zielsetzung und Bestands- aufnahme fällt die Entscheidung für ein spezifisches Um die Wirksamkeit und Qualität erlebnispädagogischer Handlungsfeld. Innerhalb dieses Handlungsfeldes wiede- Maßnahmen zu sichern, müssen folgende Aspekte be- rum ist der angemessene Schwierigkeitsgrad zu wählen. achtet werden: In der Abwägung der möglichen Örtlichkeiten müssen ne- ben dem Lernpotenzial auch ökologische Überlegungen Auftragsklärung zum jeweiligen Lernraum berücksichtigt werden. Der kulturelle Hintergrund, der aktuelle Kontext und die Bedürfnisse und Themen aller Beteiligten (z. B. Veran- Wirksame Durchführung stalter, beteiligte Institutionen, Leitung, Teilnehmende) Die Vorbereitung erlebnispädagogischer Veranstaltun- müssen im Vorfeld detailliert abgefragt werden. Die Be- gen sollte der auf Seiten der Teilnehmenden angespann- standsaufnahme von Fähigkeiten, Vorkenntnissen und ten Erwartungshaltung gerecht werden. Ein Maximum Interessen der Teilnehmenden ermöglicht es dann, auf- an Information ist hilfreich, um Vorstellungen und rea- grund der konkreten Gegebenheiten angemessene, rea- listische Bilder der Veranstaltung zu ermöglichen und listische und transparente Ziele zu formulieren. die Motivation zu stärken. Befürchtungen, Ängste und negative Besetzungen müssen ernst genommen werden. Auswahl einer geeigneten Leitung 14 Der Abbau von Ängsten gelingt insbesondere durch die Die Leitung einer erlebnispädagogischen Maßnahme er- Ermächtigung der Teilnehmenden, das Maß der Heraus- fordert sowohl eine fachsportlich wie auch erlebnispäd- forderung selbst bestimmen zu können. In der Durchfüh- agogisch qualifizierte Person. Persönliche Einstellungen rung ist ein vertrauensvolles Gruppenklima anzustreben. der Leitungsperson hinsichtlich Lernen und Verände- Klare Kommunikationsregeln, faire Moderation, passen- rungsprozessen, ein Bewusstsein bezüglich der eigenen de Anleitung und spielerische Einbettungen erleichtern pädagogischen Wirkung sowie Erfahrung in der Arbeit den Umgang mit herausfordernden Situationen. Interven- mit den entsprechenden Zielgruppen sind weitere ele- tionen der Leitung müssen transparent rückbegründet mentare Kriterien bei der Auswahl. Darüber hinaus soll- werden. Mittels angemessener Reflexionen erhalten die ten Leiter_innen in der Lage sein, eine wertschätzende Leitung und die Gruppe ein aussagekräftiges Bild über und vertrauensvolle Beziehung zu den Teilnehmenden die Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit der Gruppen- zu gestalten, Bedürfnisse wahrnehmen und in pädago- mitglieder. Ein teilnehmerorientierter Transfer in Durch- gisches Handeln umsetzen können. Da in der Erlebnis- führung und Nachbereitung ist nötig, um die Wirksamkeit pädagogik wie bei allen sportlichen Betätigungen die der Maßnahme zu gewährleisten und die gewonnenen eigene Körperlichkeit eine Rolle spielt, kommt dem As- Erkenntnisse zu sichern. Zeitfenster und Orte für Reflexi- pekt, gendersensibel zu handeln, eine ganz besondere onsrunden und Gespräche in der Gruppe sollten bereits Bedeutung zu. im vorbereitenden Seminardesign berücksichtigt sein. 14 Rechtliche Bewertung unter 7.3.4 15 Rechtliche Aspekte siehe dazu Kapitel 7.3.1
16 _ Wirksamkeit und Risiken Studien zur Wirksamkeit von erlebnis Insgesamt zeigen die bislang vorliegenden Studien, pädagogischen Maßnahmen dass sich durch erlebnispädagogische Maßnahmen eine Zusammenfassende Studien vor allem aus dem angel- Vielzahl von Lernchancen für Kinder und Jugendliche er- sächsischen Raum zur Wirksamkeit erlebnispädagogi- geben. Diese Chancen zielen insbesondere auf die Stär- scher Maßnahmen zeigten bei den Teilnehmenden eine kung der Persönlichkeit und des Selbstwertes, auf das reduzierte Aggression, größere emotionale Stabilität, ge- Vertrauen in die eigenen sozialen Kompetenzen und die steigerte persönliche Motivation, größere Reife, bessere Vermittlung spezifischer Fähigkeiten, wie dem Umgang soziale Fertigkeiten und eine erhöhte Selbstwirksamkeit mit (Lebens-)Risiken ab. durch eine Verschiebung von externalen hin zu internalen Kontrollüberzeugungen (Hattie, Marsh, Neill & Richards, 1997). Zu ähnlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Zunah- me internaler Kontrollüberzeugungen, verringerte Depres- 4.2 Unwirksamkeit und Risiken sivität und Ängstlichkeit, verbessertes Selbstwertgefühl bei erlebnispädagogischen und mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten kamen die Studien von Cason & Gillis, 1994, Neill & Richards, 1998, Veranstaltungen Beightol, Jevertson und Carter, Gray & Gass, 2012. Auch im direkten Vergleich mit anderen Aktivitäten, Erlebnispädagogische Aktionen verlieren an Potenzial die im Freien (physische Komponente) beziehungsweise und Wirksamkeit, wenn der Fokus ihrer Durchführung außerhalb des gewohnten sozialen Umfeldes stattfanden lediglich aus einer Aneinanderreihung von Aktionen (soziale Komponente), konnte eine zusätzliche positive ohne konkrete Zielsetzung oder pädagogisches Kon- Wirkung von erlebnispädagogischen Maßnahmen gezeigt zept besteht. Gleiches gilt bei einer Überbetonung von werden. So verbesserte sich in einer Längsschnittstudie Abenteuer und Nervenkitzel. Dabei besteht die Gefahr, nach einer erlebnispädagogischen Trainingsmaßnahme dass heldenhafte Attribute wie Stärke oder Durchhalten im Vergleich zu ungefähr gleich langen Aktivitäten durch unangemessen aufgewertet werden. Die Lebensrealität Reisen oder Fußballspielen der allgemeine Selbstwert von Teilnehmenden und die Lösung von Problemen sind und das Zutrauen in körperliche Fähigkeiten (Paquette, multikausal und vielschichtig. Um als Maßnahme wirk- Brassard, Guérin, Fortin-Chevalier & Tanguay-Beaudoin, sam zu sein, muss Erlebnispädagogik diese Vielfältigkeit 2013). abbilden. Lernchancen können durch Überstrukturierung Auf Ebene der Leitungs-Teilnehmenden-Beziehung von Maßnahmen und ein unflexibles Festhalten an mi- wurde das Vertrauen der Teilnehmenden in die Leitungs- nutiös geplanten Abläufen verringert werden. Dadurch personen positiv beeinflusst von der wahrgenommenen nimmt sich die Leitung die Möglichkeit, prozessorientiert sicherheitstechnischen Kompetenz und einer wertschät- arbeiten zu können. zenden und respektvollen Kommunikation (Shooter, Ferner müssen sich Veranstalter, Leitung und Teil- Paisley & Sibthorp, 2012). Dies erscheint deswegen eine nehmende darüber bewusst sein, dass alle sportlichen zentrale Komponente für die Wirksamkeit erlebnispäd- Aktivitäten immer das Risiko von Verletzungen beinhal- agogischer Maßnahmen zu sein, weil von den Teilneh- ten. Ziel muss sein, durch sorgfältige Planung und Durch- menden häufig erwartet wird, dass sie sich mit unsiche- führung unter Beachtung aller sicherheitstechnischer ren Situationen auseinandersetzen beziehungsweise ein Standards dieses Risiko auf ein Minimum zu reduzieren. subjektiv wahrgenommenes Risiko eingehen. Menschen Gänzlich ausschließen lassen sich kritische Ereignisse, sind aber nur dann bereit, soziale oder subjektive Risiken Risiken und Gefährdungen bei erlebnispädagogischen einzugehen, wenn sie ihrem_ihrer Interaktionspartner_in Maßnahmen aber nicht (vgl. Dewald, Kraus & Schwiersch, vertrauen. Vertrauen in die Leitung dürfte daher eine zen- 2003). Dem gegenüber steht jedoch die Chance, grundle- trale Voraussetzung für die Wirksamkeit von Erlebnispä- gende Risikokompetenzen zu erwerben. dagogik sein.
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 17 5 Durchführung erlebnis pädagogischer Maßnahmen 5.2 Allgemeine Leitfragen zur Entscheidungsfindung Besonderes Augenmerk muss bei natursportlichen Ak- Da sich die spezifischen Kompetenzen je nach Maßnahme tivitäten auf eine sichere und ökologisch verantwor- und Handlungsfeld stark unterscheiden können, werden im tungsvolle Durchführung gelegt werden. Diese Aspekte Folgenden einige allgemein formulierte Fragen aufgeführt. verlangen sowohl vom Veranstalter als auch der Leitung Diese Fragen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit vielschichtige Kompetenzen. Im Folgenden wird zunächst und erfordern nicht bei jeder Maßnahme eine vollständige ein allgemeines Modell zur Risikobetrachtung und -reduk- Beantwortung. Je kürzer und einfacher die Maßnahme, je tion vorgestellt. Im Anschluss daran sind Schlüsselfragen unproblematischer die Zielgruppe, desto weniger ausführ- zu sicherheitsrelevanten Faktoren und Themen benannt, lich wird man die einzelnen Fragen beantworten. Je länger, deren Beantwortung Veranstaltern wichtige Hinweise zu aufwendiger, komplizierter die Maßnahme, je höher das möglichen Risikopotenzialen geben können. potenzielle Risiko der geplanten Aktivitäten und je prob- lematischer die Zielgruppe, desto intensiver wird man sich mit den Fragen auseinandersetzen. Die Fragen können für mindestens fünf unterschied 5.1 Modell zur Risikoreduktion liche Entscheidungsebenen eingesetzt werden: 1. Für Veranstalter zur Erstellung von Durch- In der Antizipation möglicher Gefahrensituationen liegt führungsrichtlinien und insbesondere zur ein Erfolgsrezept für umsichtige und sichere Planung. Abklärung der Voraussetzungen, unter denen Drei Betrachtungsfilter wurden hier gewählt, um auch erlebnispädagogische Maßnahmen genehmigt komplexen und unvorhersehbaren Bedingungen und und verantwortet werden. Ereignissen gerecht zu werden: personale Faktoren, Rah- 2. Für Veranstalter zur groben Planung von erleb- menbedingungen/Kontext, situative Faktoren: Wer ver- nispädagogischen Maßnahmen; insbesondere sucht in welchem Kontext welche Situation zu meistern bei der Frage, ob sich eine Maßnahme für eine (vgl. Abb. 2) (Streicher, 2014). Die Fragen können sowohl bestimmte Zielgruppe oder Zielerreichung als Orientierung bei der Entwicklung von Qualitätsstan- eignet. dards oder Sicherheitsmanualen hilfreich sein als auch 3. Für Veranstalter zur Bestimmung der notwen- zur Entdeckung risikobehafteter „blinder Flecken“ bei der digen fachsportlichen Qualifikation der Leitung Durchführung konkreter Maßnahmen. einer Maßnahme. Abb. 2 _ LEITFR AGEN ZUR RISIKOREDUK TION UND A UFDECKUNG „BLINDER FLECKEN“ (Streicher, 2014) WER KONTEXT SITUATION • Erfahrung • Gruppe • Unsicherheit • Kompetenz • Verhältnisse • Komplexität • Stimmung • Stimmung • Sicherheitstechnik • Ressourcen • Auftrag • Konsequenzen • Fallen • pädagogische Methode • Optionen
18 _ Durchführung erlebnispädagogischer Maßnahmen 4. Für Veranstalter zur Abklärung der spezifischen →→ Wie ist die Stimmung bei den Teilnehmenden? Wie erlebnispädagogischen Kompetenz von Lei- wirkt sich diese auf das Verhalten der Teilnehmen- tungspersonen. den und auf die Leitung aus? 5. Für Leitungspersonen zur Planung und Durchfüh- →→ Wie sind die Verhältnisse vor Ort und welche Aus- rung von erlebnispädagogischen Maßnahmen. wirkungen haben diese auf die Durchführung der Maßnahme (z. B. Wetter)? Sie sind außerdem hilfreich für die Information und Auf- →→ Was ist der Auftrag? Ist dieser allen Beteiligten klärung der Teilnehmenden bzw. der Erziehungsberech- bewusst? Welche unausgesprochenen Aufträge gibt tigten über mögliche Risiken bzw. geplante Aktivitäten. es? Wie wirken sich diese aus? →→ Wurde eine Auftragsklärung mit realistischer Zielver- Wer einbarung mit allen Beteiligten durchgeführt? →→ Über wie viel Erfahrung verfügt die Leitungsperson →→ Welche pädagogischen Vorstellungen gibt es? Wie im konkreten Bereich (z. B. Anzahl durchgeführter wirken sich diese auf das Verhalten der Leitung aus? vergleichbarer Maßnahmen)? →→ Welche Ziele können in dem jeweiligen Handlungs- →→ Wie viel Kompetenz besitzt die Leitungsperson zur feld erreicht werden und welche nicht? Durchführung der Maßnahme (z. B. durch Ausbil- →→ Ist die geplante Maßnahme angemessen bezüglich dung oder Erfahrung)? der Zielerreichung beziehungsweise der Zielgruppe? →→ Wie ist die aktuelle Motivation und die Einsatzfä- →→ Werden ökologische Belange ausreichend berück- higkeit der Leitungsperson? Welche Auswirkung hat sichtigt? dies auf ihr Verhalten bzw. ihre (Risiko-)Einschät- zungen? Situation →→ Über welche Ressourcen (z. B. physische, psychi- →→ Welche Risiken können nicht eingeschätzt werden? sche, sicherheitstechnisches Wissen usw.) verfügt In welchen Bereichen besteht Unsicherheit, was die Leitung aktuell? Sind diese ausreichend? passieren könnte? Ist diese Unsicherheit unproble- →→ Was sind die persönlichen „Fallen“, also Situationen, matisch oder wie kann sie reduziert werden? in denen die Leitung nicht mehr in der Lage ist, gute →→ Wie komplex ist die Situation? Sind Wirkungszu- Entscheidungen treffen zu können? Wie machen sich sammenhänge noch nachvollziehbar? Kann noch solche Situationen bemerkbar? Welche Gegenstra- wirkungsvoll interveniert werden? tegien gibt es? →→ Werden alle Sicherheitsstandards eingehalten? →→ Können durch die Leitung mögliche kritische/sicher- →→ Welche Konsequenzen haben Bereiche, die unsicher heitsproblematische Situationen benannt werden sind bzw. deren Auswirkungen nicht eingeschätzt und gibt es für diese Präventions- bzw. Interventi- werden können? onsstrategien? →→ Welche weiteren Handlungsoptionen sind vorhan- →→ Besteht seitens des Veranstalters und der Leitung den? Existieren Ausstiegs- oder Abbruchmöglichkei- ein Notfallmanagement und ist dieses wechselseitig ten? Gibt es bessere Alternativen? bekannt und abgeklärt? →→ Welche fachsportlichen Qualitätsstandards müssen eingehalten werden? Kontext →→ Welche Sorgfaltspflichtmaßnahmen müssen von →→ Welchen Hintergrund, welche Fähigkeiten, Vorer- Seiten der Veranstalter und Leiter_innen gewähr- fahrungen und aktuellen Bedürfnisse haben die leistet sein? Teilnehmenden? Wie vertraut sind sie mit ähnlichen →→ Welche Krisenszenarien sind denkbar und müssen Situationen? Wie könnten sie reagieren? Wie ist die vorbereitet sein? gesundheitliche Situation aller Teilnehmenden? 16 →→ Sind versicherungstechnische und Haftungsfragen im Vorfeld abgeklärt und nachweisbar? 16 Sofern nicht bekannt, sollten gesundheitliche Risiken vorab durch einen medizinischen Auskunftsbogen abgefragt werden. Diese Informationen sind natürlich vertraulich zu behandeln. Beispiel für einen medizinischen Auskunftsbogen unter www.zq-ep.de/downloads/
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 19 6 Erlebnispädagogische Aktionsfelder und Entscheidungskriterien In den folgenden Tabellen sind Aktivitäten und grund- Die schematisch aufgeführten Auflistungen können legende Kriterien aufgelistet, die eine pädagogisch als erste oder als schnelle Entscheidungshilfe für einzel- wertvolle, ökologisch vertretbare und vor allem sichere ne Aktionen verwendet werden. Sie ersetzen weder die Durchführung von erlebnispädagogischen Maßnahmen nachhaltige Auseinandersetzung mit der pädagogischen gewährleisten können. Die Ausführungen können keinen Sinnhaftigkeit erlebnispädagogischer Maßnahmen für Anspruch auf Vollständigkeit oder Ausschließlichkeit eine spezifische Zielgruppe noch die Formulierung von erheben, sondern dienen der Orientierung, was übli- konkreten pädagogischen Zielen oder die Entwicklung cherweise bei diesen Maßnahmen zu berücksichtigen eines stimmigen pädagogischen Konzeptes. ist. Bei der Beschreibung wird von durchschnittlichen und motorisch, sozial oder kognitiv nicht wesentlich ein- geschränkten Teilnehmenden in der Durchführung von Einzelmaßnahmen wie Tages- oder Mehrtagesaktionen ausgegangen. Bei Defiziten oder besonderen Kompeten- zen der Teilnehmenden in einem der genannten Bereiche kann sich das Spektrum möglicher Maßnahmen bzw. not- wendiger Sorgfaltsmaßnahmen wiederum entsprechend nach unten oder oben verschieben. Gerade im Rahmen von längerfristigen Projekten oder wiederholten Aktionen über mehrere Monate können auch Aktivitäten wie das Klettern im Vorstieg, das über eine einfache erlebnispä- dagogische Einzelmaßnahme hinausgeht, sinnvoll sein. Diese Anwendungsbeispiele zu berücksichtigen, würde in dieser Handlungsempfehlung den Rahmen sprengen. Wir beschreiben im Folgenden die „klassischen“ natursport- lichen Handlungsfelder Bergwandern, Klettern, Höhlen- begehungen, Gewässerbefahrungen und Mountainbiken. Neu hinzugekommen ist auf Anregung aus der erlebnis- pädagogischen Praxis das Handlungsfeld Winter. Wir be- schreiben dieses Handlungsfeld allerdings nur in den Di- mensionen, die in der Praxis am häufigsten vorkommen: Spiele und Übernachtungen im Schnee, sowie Schnee- schuhtouren. Alle anderen Aktivitäten wie Skibergsteigen oder winterliches Klettern haben wir ausgeklammert. Damit beschränken wir uns aus Gründen der Über- sicht auf den Kernbereich erlebnispädagogischen Han- delns, ohne damit andere Aktionsformen auszuschließen zu wollen.17 17 Nicht enthalten ist auch das Handlungsfeld Kooperations- übungen, obwohl es dort immer wieder zu Gefährdungen und Verletzungen kommt. Diese bleiben aber meistens ohne schwer- wiegende Folgen und bewegen sich somit in einem Bereich päd- agogischen Handelns, wie er in Schule und Jugendarbeit üblich ist. Niedrige Seilaufbauten, die Bestandteil von Kooperations- übungen sein können, finden sich hier unter dem Handlungsfeld Seilaufbauten/Seilgärten.
20 _ Erlebnispädagogische Aktionsfelder Folgendes Schema liegt den Aufzählungen zu Grunde: Aktivitäten 18 Leitungs-Teilnehmende-Schlüssel 19 →→ Exemplarische Aktivitäten, die typischerweise in →→ Anzahl Teilnehmende pro kompetenter Leitungs- diesem Handlungsfeld durchgeführt werden person. Das Verhältnis gibt einen Richtwert wieder und kann nach unten oder oben variieren. Fakto- Abgrenzung ren, die eine Anpassung möglich oder erforderlich →→ Aktivitäten, die in diesem Handlungsfeld als machen, könnten sein: Geländewahl (Klettern in der Einzelmaßnahme üblicherweise nicht durchge- Halle vs. draußen), Vorerfahrung bzw. Können und führt werden, da sie pädagogisch und/oder sicher- Wissen von Teilnehmenden und/oder Leiter_innen, heitstechnisch weder sinnvoll noch zielführend oder objektive Bedingungen (z. B. Wetter), pädagogische verantwortbar durchführbar sind Zielsetzung, zusätzliches pädagogisches Begleit- →→ Aktivitäten, die einem anderen Handlungsfeld personal etc. zugeordnet sind Sorgfaltspflichten Pädagogisches Potenzial →→ Skizzierung der Sorgfaltspflichten der Leitung bzw. →→ Skizzierung möglicher pädagogischer Zielsetzungen des Veranstalters und Themen. Die konkrete pädagogische Arbeit kann nach Zielgruppe, Kontext und Kompetenz der Mögliche kritische Ereignisse Leitung stark variieren. →→Skizzierung von möglichen kritischen Ereignissen, die typischerweise mit den Maßnahmen einher- Erlebnispädagogisches Wissen und Können gehen. Die Leitung muss sich der Möglichkeit des →→ Skizzierung notwendiger Basiskompetenzen zur Eintretens dieser Ereignisse bewusst sein und Durchführung der Maßnahme sowohl entsprechende Maßnahmen treffen, um die Eintrittswahrscheinlichkeit zu minimieren, als auch über die Kompetenz verfügen, rechtzeitig und angemessen intervenieren zu können. Fachsportverbände →→ Auflistung von Verbänden bzw. Vereinen und deren Einrichtungen mit fachsportlicher Kompetenz, die ihrerseits Ausbildungen im Aktionsfeld durchführen 19 Die hier aufgeführten Zahlen basieren auf der Abstimmung mit den Fachsportverbänden, den Erfahrungen der Autor_innen und beratenden Expert_innen aus der Praxis sowie auf Untersuchun- gen über Unfälle und Beinahe-Unfälle (Sicherheitsforschung 18 Siehe hierzu im Kapitel 7.3.1: Auswahl geeigneter Aktivitäten des DAV). Siehe hierzu im Kapitel 7.3.5: Leiter-Teilnehmende- und Ziele Schlüssel
BJR _ Qualitätsstandards in der Erlebnispädagogik 21 Fachsportliche Qualifizierung 20 →→ Mögliche Zertifikate bzw. Kompetenzen, die für eine sicherheitstechnisch und fachsportlich kompeten- te Durchführung qualifizieren. Dabei erfüllt jede der hier explizit genannten Qualifizierungen die Mindestanforderungen 21 , manche (z. B. Berufs- ausbildungen wie staatl. geprüfter Berg- und Skiführer) auch weit mehr als diese. Bei erlebnis- pädagogischen Zertifikaten ist generell zu prüfen, ob sie fachsportliche Ausbildungen und Prüfungen beinhalten und nicht lediglich auf die Ausbildung von pädagogischen Leitungskompetenzen be- schrankt sind. Dies geht aus den Beschreibungen in den Zertifikaten über Umfang, Ausbildungsinhalte und Prüfungen hervor („diploma supplements“). Gleiches gilt für die fachsportlichen und erlebnis- pädagogischen Qualifikationen im außerdeutschen EU-Raum. →→ Viele auch und gerade von Hochschulen angebo- tenen Erlebnispädagogikausbildungen beinhalten keine sportfachlichen Qualifizierungen. Auch das vom Bundesverband Erlebnispädagogik zertifizierte Siegel „beQ“ 22 für erlebnispädagogische Ausbil- dungen garantiert in der derzeitigen Form keine sportfachliche Qualifizierung. Literatur/Quellen →→ Beispielhafte Literaturangaben und andere Informa- tionsquellen 20 Siehe hierzu im Kapitel 7.3.2: Auswahl, Schulung und Weiterbil- dung geeigneter Leiter_innen 21 Hier sind auch Ausbildungen aufgeführt, die von den Fachsport- verbänden angeboten werden und für die ehrenamtliche Leitung von Angeboten für Vereinsmitglieder qualifizieren (z. B. Ausbildung für Fachübungsleiter_innen, Trainer_innen oder Jugendleiter_innen mit fachsportlicher Qualifikation), soweit sie die hier formulierten Anforderungen erfüllen. 22 Vom Bundesverband Erlebnispädagogik zertifiziertes Gütesiegel für Anbieter von Aus- und Weiterbildungen in der Erlebnispäda- gogik: www.bundesverband-erlebnispaedagogik.de/be/media/ extras/download/14-07_beQ-Flyer_final.pdf (zuletzt abgerufen am 29.10 2018)
22 _ Erlebnispädagogische Aktionsfelder 6.1 Handlungsfeld Klettern Indoor-Klettern/Klettern an Leitungs-Teilnehmende-Schlüssel künstlichen Kletteranlagen →→ bis 1:6 je nach Zielgruppe →→ Gut begründet und mit weiteren Sicherheitsmaß- Aktivitäten nahmen hinterlegt, kann die Zahl der Teilnehmen- →→ Top-Rope-Begehung von Kletterrouten den auch erhöht werden 23 (d.h. mit Seilsicherung von oben) →→ Ablassen Sorgfaltspflichten →→ Information und Aufklärung der Teilnehmenden bzw. Abgrenzung Erziehungsberechtigten über mögliche Risiken bzw. →→ Klettern im Vorstieg (ist kein klassisches Medium geplante Aktivitäten der Erlebnispädagogik) →→ Überprüfung vorhandener Ausrüstung →→ Klettern in Absprunghöhe (z. B. Bouldern oder sons- →→ Verwendung normierter Ausrüstung tige Kletterspiele) →→ Berücksichtigung aller relevanten Inhalte der „Aktion sicher klettern“ des DAV. Besonders hin- Pädagogisches Potenzial gewiesen wird auf die Empfehlungen zum Thema →→ Absprachen treffen Sicherungskompetenz von Kindern. →→ Vertrauen schaffen →→ Passung von Schwierigkeit der Touren, des Siche- →→ Erleben von persönlicher Kompetenz, Selbstwert, rungsaufbaus und -ablaufs zu den Fähigkeiten und Selbstwirksamkeit Kompetenzen der Teilnehmenden →→ Körperlichkeit erfahren →→ Krisenszenario/Ablauf im Notfall →→ Umgang mit unbekannten Situationen und Ängsten →→ Mitnahme Mobiltelefon und Erste-Hilfe-Ausrüstung →→ Überwinden von Schwierigkeiten/ Herausforderungen Mögliche kritische Ereignisse →→ Setzen und Erreichen von Zielen →→ Mangelhafter Aufbau des Top-Ropes (z. B. keine →→ Unterstützung durch andere (Hilfe holen/Hilfe Redundanz an der Umlenkung, Seilende nicht erhalten) gesichert) →→ Kein Partner_in-Check mit Redundanz durch den/ Erlebnispädagogisches Wissen und Können die Betreuer_in (z. B. Kontrolle des Anseilknotens →→ Materialwissen und -kunde bzw. der Verbindung von Seil und Gurt; korrekter →→ Sicherungswissen und -kunde Verschluss des Gurtes, korrekter Verschluss und →→ Kenntnis und Prävention von Gefahren korrekte Seilführung im Sicherungsgerät) →→ Organisation und Instruktion von →→ Sicherungsfehler (z. B. zu viel Schlappseil, zu großer Gruppen/Personen Abstand zur Wand, keine Bremshand am Seil, allge- →→ Planung, Moderation, Einleitung, Intervention und mein falsche Bedienung des Sicherungsgerätes) Auswertung gesetzter pädagogischer Ziele →→ Nachlassende Konzentration bei Teilnehmenden →→ Intervention bei physischer und/oder psychischer und Betreuer_innen Überforderung 23 Das entscheidende Kriterium ist die permanent zu gewährleis- tende Übersicht der Fachbetreuung und die Interventionsfähig- keit. Mehr als drei Seilschaften/Sicherungsteams, die bereits selbstständig sichern können, sind vor diesem Hintergrund schwer vorstellbar. Durch geschickte Aufgabenverteilung können jedoch pro Seilschaft bis zu fünf Teilnehmer_innen beschäftigt werden. Eine Einschätzung zur Gruppengröße hängt maßgeblich von der Sicherungskompetenz der Teilnehmenden ab. Siehe auch Empfehlungen und Publikationen des DAV zum Thema „Sicher klettern“ sowie zur Aufsichtspflicht und Siche- rungskompetenz von Kindern: www.alpenverein.de/Bergsport/ Sicherheit/Aktion-sicher-klettern/ (zuletzt aufgerufen am 29.10.2018)
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