Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus - April - 11. August 2019
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Flucht in Die Künstler der Brücke die Bilder? im Nationalsozialismus 14. April –11. August 2019 Ausstellungstexte
Flucht in Die Künstler der Brücke die Bilder? im Nationalsozialismus 14. April –11. August 2019 Tausende von Kunstwerken wurden 1937 Galerie im Hamburger Bahnhof – Museum der Berliner Ateliers und erzwungene von den Nationalsozialisten aus deutschen für Gegenwart – Berlin gewidmet. Übersiedlung aufs Land machten die Museen beschlagnahmt, darunter Schlüs- künstlerische Arbeit – nicht zuletzt durch selwerke von Karl Schmidt-Rottluff, Grundlage für Flucht in die Bilder? den Materialmangel – so gut wie unmög- Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Max sind die Bestände des Brücke-Museums, lich. Bis zum Sommer 1937 stellten sie Pechstein und Emil Nolde. In der Propagan- die durch ausgewählte Leihgaben der ihre Werke dagegen noch in Galerien und daausstellung Entartete Kunst wurden Künstler-Nachlässe und aus Privatbesitz Kunstvereinen aus, Pechstein sogar sie öffentlich verhöhnt. Diese aggressiven ergänzt werden. Mit der Ausstellung öffnet noch 1939. Ihre individuellen Situationen Angriffe auf ihre Kunst überblenden sich das Haus erstmals auch räumlich: und Haltungen in den Jahren des National- die Selbstverortungen der Brücke-Maler Während die Zeit bis 1945 im Brücke- sozialismus lassen sich folglich nicht in der NS-Diktatur bis heute. Sie haben Museum thematisiert wird, beleuchtet der statisch abbilden, sondern sind als dyna- dazu geführt, dass die Künstler in erster zweite Teil im benachbarten Kunsthaus mischer Prozess zu begreifen. Linie als Opferder NS-Kunstpolitik wahr- Dahlem die unmittelbare Nachkriegszeit. genommen wurden. Beide Einrichtungen eint das Interesse An dieser Stelle soll nicht unerwähnt blei- an einer Auseinandersetzung mit der ben, dass es viele Künstler*innen gab, Die Ausstellung Flucht in die Bilder? eigenen Orts- und Institutionsgeschichte die gewaltsam verfolgt wurden: Charlotte Die Künstler der Brücke im Nationalsozia- sowie der Anspruch, ihre Rolle als auf- Salomon, Otto Freundlich, Moissey lismus widmet sich erstmals dem Werk, geklärte, transparente und gesellschaftlich Kogan oder Felix Nussbaum wurden in den Alltagsrealitäten und den Handlungs- relevante öffentliche Institutionen zu Konzentrationslagern ermordet; zahlreiche spielräumen der Künstler im Nationalsozia- erfüllen. Die gezeigten Kunstwerke fordern Sammler*innen und Förderer*innen der lismus sowie der unmittelbaren Nach- dementsprechend zu einer kritischen Brücke wurden ins Exil gezwungen, weil kriegszeit. Erich Heckel, Max Pechstein Hinterfragung gängiger Narrative auf, wie sie aufgrund der Nürnberger Rassengeset- und Karl Schmidt-Rottluff stehen im die der „inneren Emigration“ oder der ze als jüdisch galten. Die Verfemung des Mittelpunkt der Ausstellung. Emil Nolde „Stunde Null“. Expressionismus und die Lebenssituationen nimmt als überzeugter National- der Brücke-Künstler müssen gerade auch sozialist eine Sonderstellungunter den Denn alle Künstler waren durchgängig vor dem Hintergrund dieser rassistisch Brücke-Künstlern ein. Ihm ist zeitgleich künstlerisch tätig. Eine Ausnahme bildeten und politisch motivierten Verfolgungen dif- eine große Ausstellung in der Neuen die letzten Kriegsmonate. Die Zerstörung ferenziert betrachtet werden. 2
Die Brücke als Künste zu übernehmen, kehrte Heckel nie wieder in die Hauptstadt zurück. Von 1949 schlechter gestellt als beispielsweise Heckel oder Schmidt-Rottluff. Gleichzeitig trat er Begründer einer „neuen bis 1955 lehrte er an der Hochschule für als einziger noch im Mai 1939 mit einer Ga- Bildende Künste in Karlsruhe. lerie-Ausstellung öffentlich auf. Nach der deutschen Kunst“? Zerstörung seiner Berliner Wohnung siedel- Karl Schmidt-Rottluff (1884 – 1976) te er im Frühjahr 1944 nach Pommern Die Debatten um Karl Schmidt-Rottluff um. Im September 1945 kehrte er zurück Die Künstlergruppe Brücke gründete sich veranschaulichen die Widersprüche und nach Berlin. Kurz darauf trat er ein Lehr- 1905 in Dresden und löste sich 1913 in Ambivalenzen der NS-Kunstpolitik: Seit amt an der Berliner Hochschule der Künste Berlin auf. Ihre Gründungsmitglieder wa- der späten Weimarer Republik waren ins- an, das ab 1949 in eine Professur umgewan- ren Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, besondere die Porträts von Schmidt-Rott- delt wurde. Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl. luff Zielscheibe reaktionär-völkischer Während Letzterer bereits 1907 austrat, bil- Polemiken. Gleichzeitig sahen die na- Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) deten die anderen drei den konstanten Kern tional-konservativen Befürworter*innen verließ Deutschland während des Ersten der Künstlergruppe und warben Zeit ihres seiner Kunst in dem Maler aufgrund seiner Weltkrieges und siedelte sich in der Schweiz Bestehens immer wieder neue Mitglieder, Darstellungen des bäuerlichen Lebens und an. In zahlreichen Briefen nach 1933 klagte die unterschiedlich lange und unterschied- seiner Herkunft aus dem ländlichen Raum er wiederholt über das abgeschiedene Leben lich eng an die Brücke gebunden blieben. einen angemessenen Vertreter der NS-Kul- in den Schweizer Bergen. Die Hoffnungen, So schlossen sich im Laufe der Zeit unter turideologie. Aus Schmidt-Rottluffs die er zunächst noch in die Kunstpolitik des anderem Emil Nolde und Max Pechstein an. Korrespondenz wird deutlich, dass er dem NS-Regimes setzte, gab er bald auf. Kirch- Das gemeinsame Wirken der Gruppe hatte nationalsozialistischen Regime in Kunstfra- ner reagierte empfindlich auf seine ehe- weitreichende Folgen. Nach 1914 wurde der gen zunächst verhalten hoffnungsvoll, bald maligen Brücke-Kollegen, die sich – sei es in Begriff des Expressionismus zunehmend jedoch distanziert gegenüberstand. Die fast ihren Landschaftsbildern oder, schlimmer als eine Art „deutsches Gegenmodell“ zum jährlichen Sommeraufenthalte in Pommern noch, wie Nolde durch seine Autobiogra- Impressionismus wahrgenommen. Die boten ihm Gelegenheit, Abstand vom poli- phie Jahre der Kämpfe – an das NS-Regime Künstler selbst waren in den 1920er-Jahren tischen Tagesgeschehen zu gewinnen. Im anzupassen versuchten. Er selbst äußerte zu etablierten Protagonisten der zeitge- April 1941 erhielt er von der Reichskammer sich anfänglich zwar in Briefen, vor allem nössischen Kunstszene geworden und ihre der bildenden Künste ein Berufsverbot. an seinen Bruder Ulrich, in antisemitischer Kunstwerke zahlreich in vielen Museums- Ihm standen daraufhin keine der inzwi- Weise und zum Teil NS-konform, beob- sammlungen vertreten. schen nur auf Bezugsschein erhältlichen achtete die Entwicklungen in Deutschland Malmaterialien mehr zu – mehr denn je war und insbesondere die Auswirkungen auf er auf die Unterstützung von Freund*innen Kunst und Kultur jedoch von Beginn an Biographien: angewiesen. Nach der Ausbombung ihrer kritisch. Seine öffentliche Darstellung ver- Berliner Wohnung zogen Karl und Emy folgte er stets mit großer Aufmerksamkeit Erich Heckel (1883 – 1970) Schmidt-Rottluff im Sommer 1943 in sein und war tief gekränkt über die Verfemung war seit dem Ersten Weltkrieg für seine Heimathaus im sächsischen Rottluff. Erst seiner Werke in der Ausstellung Entartete Rückgriffe auf Motive der deutschen Gotik im November 1946 kehrten sie nach Berlin Kunst. In welchem Maße die Diffamierung und Romantik bekannt. Noch im Juli 1933 zurück, nachdem Schmidt-Rottluff bereits zu seinem Suizid im Juni 1938 beigetragen feierten ihn die Befürworter*innen seiner Ende 1945 ein Lehramt an der Berliner Hoch- hat, wie von seiner Partnerin Erna Schilling Kunst als einen „der reinsten Verkünder schule der Künste angeboten worden war. angedeutet, bleibt offen. deutscher Kunstauffassung“ und schlugen seine Malerei als zeitgemäße Alternative Max Pechstein (1881–1955) zum traditionellen akademischen Stil vor. blieben die national-konservativen Kreise, Chronologie 1933–1949 Sein Wunsch nach offizieller Anerkennung die sich für Heckel oder Nolde einsetzten, erfüllte sich trotz erfolgreicher Einzel- größtenteils verschlossen. Der in Zwickau 1933 ausstellungen in den Jahren 1934 und 1935 geborene Maler stammte aus einem sozial- nicht. Im Anschluss an die Beschlagnah- demokratisch geprägten Umfeld. Während 30. Januar Machtübernahme durch mung seiner Kunstwerke aus deutschen der Weimarer Republik hatte er sich für die Nationalsozialisten, der Museen und die Diffamierung seiner Arbeit eher links ausgerichtete Vereinigungen Reichspräsident Paul von Hinden- als „entartet“ mied Heckel die Öffentlich- engagiert, z.B. für die Novembergruppe, burg ernennt Adolf Hitler zum keit. Nachdem am 30. Januar 1944 seine den Arbeitsrat für Kunst oder die Gesell- Reichskanzler. Berliner Wohnung ausgebombt wurde, schaft der Freunde des neuen Russlands. unterstützte ihn die Berliner Reichskammer Private Briefe offenbaren seine Ablehnung 22. März In Dachau wird das ers- der bildenden Künste mit einem Empfeh- der NS-Rassenideologie. Pechstein wurde te Konzentrationslager errichtet, lungsschreiben bei seiner Suche nach einer unter anderem von Emil Nolde wiederholt anfangs werden hier hauptsächlich neuen Unterkunft in Süddeutschland. als jüdisch bezeichnet – zur damaligen Zeit politische Gegner des NS-Regimes Der Künstler siedelte nach Hemmenhofen eine folgenschwere Behauptung, die ihn interniert. am Bodensee um. Obwohl er in der Nach- dazu nötigte, früher als andere seine „ari- kriegszeit das Angebot aus Berlin erhielt, sche Abstammung“ zu beweisen. Pechstein 10. Mai Der Nationalsozialis- dort ein Lehramt an der Hochschule der war in den 1930er-Jahren wirtschaftlich tische Deutsche Studentenbund 3
organisiert bundesweit Bücherver- Ausschreibung er aus der Zeit- 1936 brennungen, vor allem von Werken schrift Kunst der Nation erfährt. oppositioneller und jüdischer Autor*innen. 8.–30. April 29. März–22. April Pechstein-Ausstellung in der Pechstein-Ausstellung in der 15. Mai Die Preußische Akademie Galerie von der Heyde, Berlin. Galerie von der Heyde, Berlin. der Künste sendet Austrittsge- suche an Nolde, Schmidt-Rottluff 22. April–8. Juni Heckel-Aus- 31. Juli Die am 21. Juli er- und Kirchner. Nolde und Kirchner stellung in der Galerie Ferdinand öffnete Ausstellung Malerei und lehnen ab, Schmidt-Rottluff folgt Möller, Berlin. Plastik in Deutschland 1936 im der Aufforderung. Hamburger Kunstverein wird auf Sommer Pechstein zieht sich zum Anordnung von Adolf Ziegler, Juli Der Streit um die Rolle Arbeiten in ein Fischerdorf am Vizepräsident der Reichskammer des Expressionismus im NS-Regime Koser See in Pommern zurück. Auch der bildenden Künste, vorzeitig erreicht einen ersten Höhepunkt. die Sommer 1937, 1938, sowie 1940 geschlossen. Auch hier sind Werke Ausgetragen wird er in Tageszei- bis 1942 verbringt er dort. der Brücke-Künstler betroffen. tungen, Vorträgen und in Ausstel- lungen. Von den Befürworter*innen 18. August Der „Aufruf der 1.–16. August 1936 Olympische – darunter viele jüngere Natio- Kulturschaffenden“ wird in der Sommerspiele, Berlin. nalsozialisten, u. a. Funktionä- NSDAP-Tageszeitung Völkischer re des NSD-Studentenbundes und Beobachter veröffentlicht. Der Ende Oktober 1936 Die Abteilung Mitarbeiter des Propaganda- und Appell zielt darauf ab, die moderner Kunst im Berliner Kron- Kultusministeriums – werden He- Loyalität gegenüber Adolf Hitler prinzenpalais wird für die Öf- ckel, Nolde und Schmidt-Rottluff auch in der Kulturszene zu fentlichkeit geschlossen. als Repräsentanten einer „neuen festigen. Unter anderem unter- deutschen Kunst“ angeführt. zeichnen Heckel und Nolde. Dass sie darum gebeten wurden 1937 Sommer Arbeitsaufenthalt lässt die Künstler auf staatliche Schmidt-Rottluffs bei Leba in Anerkennung hoffen. 12–13. Februar Tagung der Pommern wie fast jedes Jahr bis Landesleiter der Reichskammer einschließlich 1943. Auch Pech- der bildenden Künste, Schloss stein und Heckel verbringen die 1935 Schönhausen, Berlin-Pankow. Sommer meist außerhalb Berlins. Der seit dem 1. Dezember 1936 Oktober: Pechstein muss sich 15. März–15. Mai Über die Aus- amtierende Präsident Adolf gegen Noldes Behauptung, er sei stellung Berliner Kunst in der Ziegler kündigt ein stärkeres jüdisch, öffentlich rechtferti- Neuen Pinakothek in München kommt Durchgreifen bei der „planvollen gen. Die Preußische Akademie der es am Tag der Eröffnung zum Kulturpflege“ an. Künste schaltet sich vermittelnd Konflikt. 22 Arbeiten werden ab- ein und bestätigt Pechsteins gehängt und zur Begutachtung an 16. Februar–10. März „arische Abstammung“. Goebbels geschickt. Auch Werke Schmidt-Rottluff-Ausstellung mit der Brücke-Künstler sind betrof- Aquarellen bei Karl Buchholz, 1. November Die erste Ausgabe fen. Berlin. der Zeitschrift Kunst der Nation erscheint. Ihr Ziel ist es, die 30. März–27. April Schmidt- Juni Fabrikausstellung mit rund Eignung des Expressionismus als Rottluff-Ausstellung im Ausstel- 20 Arbeiten Pechsteins in der ursprüngliche „deutsche“ Kunst im lungsraum Karl Buchholz, Berlin. Auto Union AG, Chemnitz. NS-Staat darzulegen. 15. September Hitler erlässt Juli Erste Beschlagnahmen mo- 15. November Eröffnung der die sogenannten Nürnberger Geset- derner Kunst durch eine vom Reichskulturkammer in Berlin, ze. Die antisemitische Ideologie Propagandaministerium damit be- einige der Brücke-Künstler sind wird dadurch auf eine rechtliche auftragte Kommission in rund 30 anwesend. Grundlage gestellt und ermöglicht öffentlichen Sammlungen. Eine noch systematischer die Diskrimi- Auswahl wird zur Feme-Ausstel- nierung und Verfolgung jüdischer lung Entartete Kunst nach München 1934 Bürger*innen, die nun gesetzlich gebracht. Ab August 1938 Zwi- verordnet wird. schenlagerung der vom Propagan- April Pechstein beteiligt sich daministerium als „international an einem Wandmalereiwettbewerb 3. Oktober–3. November verwertbar“ beurteilten und damit der NS-Freizeitorganisation Kraft Heckel-Ausstellung in der verkäuflichen Werke im Schloss durch Freude, von dessen Kestner-Gesellschaft, Hannover. Schönhausen bei Berlin. 4
8. Juli Die Preußische Akademie zerstört. Etwa 400 Jüdinnen und und Heckel behalten ihre der Künste teilt Kirchner, Nolde Juden werden in der Progromnacht Mitgliedschaft, Nolde wird im und Pechstein den Ausschluss mit. ermordet. August 1941 ausgeschlossen. Nolde weigert sich erfolgreich und bleibt weiterhin Mitglied. 22. Juni Angriff der deutschen 1939 Wehrmacht auf die Sowjetunion. 18. Juli Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst durch Hitler. 20. März Auf dem Hof der Berli- 20. Oktober Im Konzentrations- Die Große Deutsche Kunstausstel- ner Hauptfeuerwache wird der vom und Vernichtungslager in lung, die in den Hallen von nun Propagandaministerium als „unver- Auschwitz-Birkenau setzt die an jährlich bis 1944 stattfindet, wertbare Rest“ der als „entartet“ Massentötung in Gaskammern ein. soll ein Panorama des offiziell beschlagnahmten Kunstwerke ver- erwünschten Kunstschaffens im brannt, vorgesehen dafür waren neuen Staat zeigen. rund 5000 Arbeiten. 1942 19. Juli Eröffnung der Propagan- 14. Mai–10. Juni Die Brücke-Künstler beginnen mit daausstellung Entartete Kunst Pechstein-Ausstellung in der den Auslagerungen ihrer Werke, in München mit rund 650 Werken Galerie von der Heyde, Berlin. meist außerhalb von Berlin. aus öffentlichen Sammlungen, darunter zahlreiche Arbeiten der 30. Juni Auktion von 125 Kunst- September Zweiwöchiger Arbeits- Brücke-Künstler. werken, die 1937 aus öffentlichen aufenthalt Schmidt-Rottluffs Sammlungen als „entartet“ ent- auf Gut Kreisau bei Helmuth fernt wurden, über die Galerie James und Freya von Moltke. 1938 Theodor Fischer im Grand Hotel Im Anschluss verkauft ihnen National in Luzern, Schweiz. der Künstler trotz Berufsverbot 26. Februar Eröffnung der Wan- einige der dort entstandenen derausstellung Entartete Kunst in Juli/August Pechstein verbringt Aquarelle. Berlin mit nachfolgenden Sta- erstmals seit knapp 20 Jahren tionen in weiteren deutschen und wieder den Sommer in Nidden auf Winter Vernichtung der 6. Armee österreichischen Städten. der Kurischen Nehrung. Möglich der deutschen Wehrmacht in der wird die Reise durch die Wieder- Schlacht um Stalingrad, Wende- 31. Mai Mit dem „Gesetz über eingliederung des von Litauen punkt des Zweiten Weltkrieges. Einziehung von Erzeugnissen ent- annektierten Gebiets ins Deutsche arteter Kunst“ schafft sich das Reich im März 1939. NS-Regime eine rechtliche Grund- 1943 lage, die als „entartet“ be- August Die Hamburger Kunsthis- schlagnahmten Werke zu verkaufen. torikerin. Freundin und Unter- Sommer Pechstein lagert 3500 stützerin Schmidt-Rottluffs Rosa künstlerische Arbeiten ins 15. Juni Suizid Kirchners in Schapire flüchtet nach London. Schloss Moritzburg bei Dresden Frauenkirch bei Davos, Schweiz. aus, die seitdem verschollen sind. 1. September Beginn des Zwei- August–Ende Die Kunsthändler ten Weltkriegs. Pechstein erlebt 23./24. August Schmidt-Rottluffs Bernhard A. Böhmer, Karl Buch- den Kriegsausbruch auf der See- Wohnung und Atelier in der Bam- holz, Hildebrand Gurlitt und rückreise von seinem Urlaubsort berger Straße 19 in Berlin werden Ferdinand Möller werden zum Ver- Nidden nach Stettin. bei einem Bombenangriff komplett kauf der im Rahmen der „Entartete zerstört. Anschließende Umsied- Kunst“-Kampagne beschlagnahmten lung in sein Elternhaus nach Arbeiten autorisiert. Ziel ist 1940 Rottluff nahe Chemnitz. der Verkauf ins Ausland und die Einnahme von Devisen, jedoch be- Frühjahr Wie auch 1941 hält sich 22./23. November Bei einem be- halten sie etliche Werke in ihrem Schmidt-Rottluff bei der Samm- sonders schweren Bombenangriff Besitz. lerin und Kunsthändlerin Hanna auf Berlin wird Pechsteins Ate- Bekker vom Rath im Taunus auf. lier in der Kurfürstenstraße 126 9./10. November Novemberpogrome stark beschädigt. im gesamten Land. Dabei handelt es sich um vom NS-Regime organi- 1941 sierte und gelenkte Gewaltmaßnah- 1944 men gegen jüdische Bürger*innen. 3. April Schmidt-Rottluff erhält Synagogen, jüdische Geschäfte, von der Reichskammer der bilden- 30. Januar Atelier und Wohnung Friedhöfe und Wohnungen werden den Künste Berufsverbot. Pechstein Heckels in der Emser Straße in 5
Berlin brennen aus, zahlreiche 3. Juli Der Kulturbund zur demo- (UNO) wird in London eröffnet. Werke werden vernichtet. kratischen Erneuerung Deutsch- Februar–April: Pechstein-Ausstel- lands wird als zonenübergreifende lung in Berlin; erste Station im Februar Bombenschäden nun auch Organisation in Berlin gegründet. Admiralspalast in der Friedrich- in Pechsteins Wohnung. Im März Pechstein wird Mitglied im zent- straße, zweite Station im Be- folgt seine Übersiedlung nach ralen Arbeitsausschuss in Berlin, zirksamt Wedding. Pommern. Schmidt-Rottluff übernimmt den Vorsitz der Chemnitzer Ortsgruppe. 3.–17. August Der Galerist Fer- Mai Heckel übersiedelt an den dinand Möller zeigt gemeinsam mit Bodensee. Die Reichskammer der 11. Juli Der Alliierte Kontroll- dem Volksbildungsamt Neuruppin bildenden Künste unterstützt den rat zur Regelung des öffentlichen die Ausstellung Freie Deutsche Künstler durch eine Bescheinigung Lebens in der Vier-Sektoren-Stadt Kunst in Fortführung seiner bis- bei der Wohnungssuche. Berlin wird eingesetzt. herigen Förderung der nationalen Stilentwicklung. 6. Juni D-Day, Landung der 21. Juli–August 1. Ausstellung alliierten Truppen in der Normandie der Kammer der Kunstschaffenden. 25. August–31. Oktober Allge- in Frankreich. Werke der Brücke-Künstler werden meine Deutsche Kunstausstellung, in einem Raum als zusammengehörig Stadthalle Nordplatz, Dresden, August Das Ehepaar Pechstein präsentiert. mit einem zonenübergreifen- wird zum Arbeitseinsatz am Pom- den Überblick über das aktuelle mernwall, durch den das Vorrücken Anfang August Die Alliierten künstlerische Schaffen. der Roten Armee aufgehalten rufen in Nürnberg einen Inter- werden soll, zwangsverpflichtet. nationalen Militärgerichtshof 6. September–13. Oktober Aus- für die Verurteilung von Kriegs- stellung Karl Schmidt-Rottluff. verbrechen, Verbrechen gegen 50 Aquarelle aus den Jahren 1943– 1945 die Menschlichkeit und gegen den 1946, Städtische Kunstsammlung zu Frieden ins Leben. Chemnitz, Schlossberg-Museum. 8./9. Mai Kapitulation der Wehr- macht, Ende des Zweiten Weltkrie- 2. August–9. September Ausstel- Herbst Beginn der Fragebogen- ges. Schmidt-Rottluff kann aus lung junger Kunst, Galerie Gerd aktion zum Werden und Wirken der einem benachbarten Keller in Rosen, Berlin. Die Brücke-Künstler Künstlergruppe Brücke von 1905 sein Elternhaus zurückkehren. werden gemeinsam mit anderen Ex- bis 1913 von den Kunsthistorikern Er berichtet von Plünderungen. pressionisten undifferenziert als Christian Töwe und Hans Wentzel. Opfer der NS-Regierung stilisiert. 15. Mai Erste Ausgabe der 8. Oktober Ermächtigung der So- Täglichen Rundschau, der ersten 1. Oktober Karl Hofer, wjetischen Militäradministration deutschsprachigen Zeitung nach neuer Direktor der Hochschule für in Deutschland (SMAD) zur Ermitt- Kriegsende. bildende Künste in Berlin, bietet lung und Rückgabe von Werken aus Pechstein eine Lehrtätigkeit an. der NS-Kampagne „Entartete Kunst“ 5. Juni Mit der Berliner auf dem Gebiet der Sowjetischen Erklärung „in Anbetracht der November Ernennung Schmidt- Besatzungszone (SBZ). Niederlage“ übernehmen die Rottluffs zum Ehrenbürger von vier Siegermächte die obers- Chemnitz sowie Wiederaufnahme als 20. November Schmidt-Rottluff te Regierungsgewalt. Sie teilen Mitglied in die Akademie der Künste. kehrt nach Berlin zurück. Deutschland in vier Besatzungszo- nen, Berlin in vier Sektoren. 20. November Beginn der ersten 21. Dezember–Januar Nürnberger Prozesse am Interna- Ausstellung Wiedersehen mit Sommer Ein intensiver schriftli- tionalen Militärgerichtshof. Museumsgut, Schlossmuseum cher Austausch der Brücke-Künst- Berlin. Werke der zuvor verfemten ler mit Sammler*innen und Kol- Dezember Zusage Schmidt- Brücke-Künstler werden mit leg*innen über das Schicksal Rottluffs an Hofer bezüglich der dem Ziel ihrer Rehabilitierung gemeinsamer Freund*innen und den Übernahme eines Lehramtes an gezeigt. Verbleib von Werken beginnt. der Hochschule für bildende Künste in Berlin. 6. Juni–November Die von der 1947 sowjetischen Stadtkommandantur in Berlin eingerichtete Kammer 1946 10. Februar Unterzeichnung der der Kunstschaffenden steuert und Friedensverträge zwischen den kontrolliert den Wiederaufbau der 10. Januar Die erste Vollver- Siegermächten und Deutschlands Kunst- und Kulturszene. sammlung der Vereinten Nationen europäischen Kriegsverbündeten 6
Bulgarien, Finnland, Italien, Rumänien und Ungarn in Paris. Der Expressionis- den Expressionismus als deutsche Bewegung von anderen europäischen 1947 Beginn der Erwerbungen für musstreit Kunsttendenzen abzugrenzen. Nach 1933 setzte sich Fechter enga- eine Galerie des 20. Jahrhunderts giert für den Expressionismus in Berlin durch Ludwig Justi und als offizielle Kunstform im Staat Adolf Jannasch. Der Expressionismus eignete sich aus na- ein. Er führte als Beispiel das tional-konservativer Sicht als Gegenmodell faschistische Italien an, in dem März Kurt Reutti vom Berliner zum französisch inspirierten Impressionis- die Futuristen offizielle Anerken- Magistrat stellt in den folgen- mus: Seine Befürworter*innen betonten nung genossen. den Monaten circa 1.300 Werke der die Verbindungen zur Kunst der deutschen „Entarteten Kunst“-Kampagne aus Gotik und Romantik. Deshalb hofften 2 Ludwig Thormaehlen, Bildnis Erich dem Nachlass Bernhard A. Böhmers die Brücke-Mitglieder zunächst, ihre Werke Heckel, 1924, Bronze, Brücke-Museum, in Güstrow und bei Ferdinand Möl- würden im NS-Regime auf Zustimmung 1966 Schenkung von Erich Heckel ler in Zermützel sicher. treffen. Auch durch ihre Mitgliedschaft in Der Nationalgalerie-Kustos Ludwig der im Herbst 1933 vom Propagandaminis- Thormaehlen, selbst als Bild- 5. Juni Der US-amerikanische terium der NSDAP (Nationalsozialistische hauer tätig und seit Jahrzehn- Außenminister George C. Marshall Deutsche Arbeiter Partei) neu gegründe- ten ein guter Bekannter Heckels, präsentiert das European Recove- ten Reichskammer der bildenden Künste organisierte 1932 die große ry Program. Der sogenannte Mar- sahen sich Heckel, Nolde, Pechstein Auslandsausstellung Neuere Deut- shall-Plan soll die Verbreitung und Schmidt-Rottluff als Künstler zunächst sche Kunst. Diese stellte unter des Kommunismus verhindern und noch akzeptiert. anderem in Oslo, Kopenhagen und Europa einer einheitlichen Wirt- Bergen die deutsche Gegenwarts- schaftsordnung zuführen. Unter Bereits im Sommer 1933 war in der Kunst- kunst vor und sorgte in Berlin Druck der UdSSR nehmen die ost- öffentlichkeit eine erhitzte Debatte für heftige Debatten. Mit der europäischen Länder nicht teil. über die Rolle des Expressionismus aus- Schau wollte er einen repräsen- getragen worden, die den Richtungs- tativen Einblick in die aktuelle streit innerhalb der NSDAP widerspiegelt: Kunst Deutschlands geben, zeigte 1948 Dabei ging es auch um die Position aber letztlich eine Auswahl, die von Brücke-Künstlern wie Nolde, Heckel beispielsweise absichtlich auf 21. Juni Die D-Mark wird in oder Schmidt-Rottluff im neuen Staat. Werke des deutschen Impressio- West-Deutschland eingeführt. Der Richtungsstreit drehte sich um die nisten Max Liebermann verzichte- Herbst: Schmidt-Rottluff besucht Frage, ob ein „nordischer“ Expressionis- te. Für den national-konservativ seine Schülerin Erika Bausch mus die nationalsozialistische Ideologie eingestellten Thormaehlen war von Hornstein in Neu Kaliß, wo besser repräsentieren könne als das Liebermann Teil einer einfluss- 60 seiner Aquarelle ausgelagert reaktionär-völkische Kunstideal, das aka- reichen Kunstszene, die er als waren. Er malt vor Ort zahlreiche demisch-naturalistisch geprägt war. In „jüdisch dominiert“ wahrnahm und neue Aquarelle mit Motiven der Reaktion auf nationalsozialistische Unter- die nicht mit seiner Vorstellung demontierten Fabrik und Umgebung. stützer*innen der gemäßigten Moderne einer nationalen Gegenwartskunst positionierten sich die Gegner*innen oft zu vereinbaren war. Protestreak- besonders lautstark. Insbesondere Alfred tionen zahlreicher Künstler*innen 1949 Rosenberg, Gründer des Kampfbundes folgten prompt, auch die liberale für deutsche Kultur und Chefideologe der Presse empörte sich über die Wan- 24. Juni 1948–12. Mai 1949 NSDAP, wetterte gegen jene in den eige- derausstellung. Die Schau bildete Berlin Blockade: Wenige Tage nen Reihen, die die Moderne unterstützen. den Auftakt für den Richtungs- nach der Währungsreform in der streit um die deutsche Kunst, der westlichen Besatzungszone sperren 1933 war der Ausgang dieses „Expressio- im Sommer 1933 fortgesetzt wurde. sowjetische Truppen alle Zufahrts- nismusstreits“, der bis ins Jahr 1937 wege nach West-Berlin ab, die ausgefochten wurde, noch unklar. Selbst 3 Otto Andreas Schreiber, „Vorwort“, in: Gas- und Stromversorgung wird von während der Laufzeit der Ausstellung 30 Deutsche Künstler, Ausst.-Kat., ihnen ebenfalls eingeschränkt. Entartete Kunst hatte er noch nicht zu einer Galerie Ferdinand Möller, Berlin, Juli 1933, klaren offiziellen Haltung gegenüber ein- bpk / Zentralarchiv, SMB 8. Mai Gründung der Bundesrepu- zelnen Künstler*innen und Werken geführt. Die Ausstellung 30 Deutsche blik Deutschland und Annahme des Künstler wurde im Juli 1933 vom Grundgesetztes. Nationalsozialistischen Deutschen 1 Paul Fechter, Der Expressionismus, Studentenbund in der Galerie 7. Oktober Gründung der München 1914, Umschlag Ferdinand Möller in Berlin veran- Deutschen Demokratischen Republik Das Buch Der Expressionismus staltet. Werke der Brücke-Künst- auf dem Gebiet der Sowjetischen des Kunstschriftstellers Paul ler wurden Werke junger unbekann- Besatzungszone. Fechter von 1914 trug dazu bei, terer Künstler gegenübergestellt, 7
um Entwicklungslinien hin zu Der Präsident der Preußischen Akademie als Vorbild für aufstrebende einer nationalsozialistischen der Künste, Max von Schillings, an nationalsozialistische Künst- Moderne aufzuzeigen. Die Ausstel- Karl Schmidt-Rottluff, 15.5.1933; Karl ler*innen eignete. Zum Kreis der lung wurde zunächst auf Befehl Schmidt-Rottluff an dens., 18.5.1933, Beitragenden gehörte auch der von Innenminister Wilhelm Frick Abschriften, Akademie der Künste, Berlin, Kunsthistoriker Werner Haftmann, verboten. Rund zwei Wochen später Historisches Archiv, PrAdK, I/284, Bl. 86 der nach dem Zweiten Weltkrieg, konnte sie mithilfe des Künstlers unter anderem als erster Direktor und Mitarbeiters des Propagan- Im Mai 1933 legte die Akade- der Neuen Nationalgalerie, die daministeriums, Hans Weidemann, mie den zwei Jahre zuvor auf- Kanonisierung der Brücke-Kunst wiedereröffnen, allerdings unter genommenen Künstlern Kirchner, maßgeblich vorantrieb. Die Zeit- der Bedingung, dass der NSD-Stu- Schmidt-Rottluff und Nolde den schrift wurde im Februar 1935 auf dentenbund nicht mehr als offizi- Austritt nahe. Schmidt-Rottluff politischen Druck Rosenbergs hin eller Veranstalter genannt wurde. folgte der Aufforderung, Nolde und eingestellt. Kirchner weigerten sich erfolg- 4 Ludwig Hohlwein, Der Deutsche Stu- reich. Kirchner erklärte in einem 9 „Aufruf der Kulturschaffenden“, in: Völki- dent kämpft für Führer und Volk, Plakat, um ausführlichen Antwortschreiben scher Beobachter (Berliner Ausgabe), Nr. 1933, bpk / Kunstbibliothek, SMB seine eigene Pionierstellung 230, 18.8.1934, S. 10, bpk / Staatsbibliothek Der Nationalsozialistische Stu- „für eine neue starke und echte zu Berlin – SPK, Zeitungsabteilung dentenbund war eine Unterorgani- deutsche Kunst“. Er wurde erst Heckel und Nolde erklärten sich sation der NSDAP. Sie wurde im Sommer 1937 ausgeschlossen, Mitte August bereit, den von 1926 gegründet und sollte die wie auch Pechstein. Nolde konnte einem Mitarbeiter von Goebbels nationalsozialistische Ideologie seinen Ausschluss durch eine formulierten „Aufruf der Kultur- innerhalb der Studentenschaft überzeugende Stellungnahme, in schaffenden“ zur Bestätigung verbreiten. der er unter anderem auf seine Hitlers als Staatsoberhaupt zu Parteimitgliedschaft verwies, unterzeichnen. Diese Loyalitäts- 5 Alfred Rosenberg, „Revolution in der verhindern. bekundung wurde unter anderem am bildenden Kunst“, in: Völkischer Beob- 18. August 1934 im Völkischen achter (Norddeutsche Ausgabe), Nr. 188, 7 Organigramme der Reichskulturkam- Beobachter abgedruckt. 7.7.1933, S. 7, bpk / Staatsbibliothek zu mer und der Reichskunstkammer, aus: Berlin – SPK, Zeitungsabteilung Handbuch der Reichskulturkammer, hg. 10 Max Pechstein, Das Symbol der Arbeit Bereits 1928 gründete Alfred Ro- von Hans Hinkel, Berlin 1937. (Kraft durch Freude), Wettbewerbsentwurf senberg als einer der führenden Die Zentralverwaltung der Reichs- für das Propagandaministerium, 1934, Ideologen der NSDAP den antise- kulturkammer befand sich in Verbleib unbekannt, bpk / Kunstbibliothek, mitisch ausgerichteten Kampfbund Berlin und war über sieben Ein- SMB für deutsche Kultur, der sich die zelkammern sowie deren jeweilige Pechstein beteiligte sich mit Prägung des deutschen Kulturle- Referate organisiert. Ab Septem- diesem Wandmalereientwurf an bens nach völkischen Vorstellun- ber 1933 war die Mitgliedschaft einem Wettbewerb, der von der gen – gerade auch innerhalb der in der Reichskammer der Bildenden NS-Organisation Kraft durch NSDAP – zum Ziel gesetzt hatte. Künste Voraussetzung, um öffent- Freude ausgerufen worden war. Als erklärter Feind der Moderne lich ausstellen zu können. Eine Die Realisierung hätte lebensgroße beschrieb Rosenberg im Juli 1933 verweigerte Aufnahme oder der Figuren vorgesehen, die origi- die Kontroverse um den Expres- Ausschluss kam einem Berufsver- nalen Maßangaben für das Wand- sionismus als „temperamentvolle bot gleich. Die Reichskammer der bild lauteten 2,50 × 2,00 Meter. Auseinandersetzung“ innerhalb bildenden Künste wurde zunächst Auch das Motto Kraft durch Freude der eigenen Reihen. Rosenberg war von dem Architekten Eugen Hönig – mit dem darunter prangenden Ha- während des Zweiten Weltkrieges geleitet, ab Ende 1936 stand ihr kenkreuz – und der Untertitel des als Reichsleiter einer der zent- der Maler Adolf Ziegler bis Jah- Entwurfs Das Symbol der Arbeit ralen Raubkunstorganisationen in resende 1943 vor. sind mit dem Auftrag zu erklären. den besetzten Gebieten im Westen Das Bild scheint konform mit dem und Osten eingesetzt. Er ließ 8 Kunst der Nation, 1. November 1933, Kunstideal des Nationalsozialismus; dort Kulturgüter, insbesondere Titelblatt gleichzeitig erinnert die von jüdischen Besitzer*innen be- Die Gründung der pro-modernen Darstellung der Figuren stark schlagnahmen und zum Nutzen des Zeitschrift Kunst der Nation an Pechsteins Glasfensterent- Reiches weiter „verwerten“. im November 1933 versuchte, den würfe der späten 1920er-Jahre. „nordischen“ Expressionismus Nach Veröffentlichung der Sie- 6 Ernst Ludwig Kirchner an den Präsi- ideologisch und historisch im gerentwürfe in Kunst der Nation denten der Preußischen Akademie der neuen Staat zu verankern. war Pechstein enttäuscht, dass er Künste, Max von Schillings, 17.5.1933, In zahlreichen Artikeln legten nicht unter den Preisträgern war. Akademie der Künste, Berlin, Historisches die meist jungen Autoren dar, Archiv, PrAdK, Nr. 1102, Bl. 66–67 warum der Expressionismus sich 8
Die Kunst- und viele Anrufe zeigen eine erfreuliche Zustimmung.“ Auch die Presse äußerte sich dinand Möller im April 1934 als Heide am Watt. öffentlichkeit positiv. In einer Rezension hieß es lobend: „Heckel hat sich allmählich immer weiter 7 Erich Heckel, Brücke in Limburg, 1933, bis 1937 von der mehr oder weniger revolutionären jugendlichen ‚Brücke‘ entfernt und ist dem Aquarell über Bleistift, Brücke-Museum, 1970 Schenkung vom Künstler rechten Flügel, wo die Akademiker sitzen, Eventuell ausgestellt bei Fer- näher gekommen.“ Der Präsentation folgten dinand Möller im April 1934 als Auch nach 1933 fanden noch Ausstellun- 1935 weitere Einzelausstellungen in Krefeld Limburg a. d. Lahn. gen moderner Kunst statt, ihre Anzahl war und Hannover, die Heckel als „Maler deut- mit dem regen zeitgenössischen Kunstle- scher Landschaften“ vorstellten. 8 Karl Schmidt-Rottluff, Angler auf ben in der Weimarer Republik jedoch kaum der Brücke, 1934, Aquarell und Tusche, noch zu vergleichen. Von besonderer Brücke-Museum, 1975 Schenkung vom Bedeutung für die ehemaligen Brücke-Maler Künstler waren die Berliner Galerien von Ferdi- 1 Max Pechstein, Kutter zur Reparatur, Ausgestellt im Frühling 1935 im nand Möller, Karl Buchholz, Karl und Josef 1933, Öl auf Leinwand, Privatbesitz Ausstellungsraum Karl Buchholz Nierendorf sowie Otto von der Heyde. Das Gemälde war im April 1934 im Viele andere Kunsthändler*innen, die Rahmen einer Präsentation von 41 9 Karl Schmidt-Rottluff, Seerosen II, 1934, sich vor 1933 für die Moderne eingesetzt Werken Pechsteins in der Berli- Aquarell und Tusche, Brücke-Museum, hatten, waren dagegen zum Rückzug aus ner Galerie von der Heyde aus- 1973 Schenkung vom Künstler der Öffentlichkeit gezwungen – zahlreiche gestellt. Im April 1936 folgte Ausgestellt im Frühling 1935 im emigrierten ins Ausland. bei von der Heyde eine weitere Ausstellungsraum Karl Buchholz Einzelschau des Künstlers mit 40 In Galerien und Kunstvereinen wurden Aquarellen sowie mehreren Zeich- nach 1933 in erster Linie Landschaften und nungen. Stillleben der Brücke-Maler gezeigt. Karl Schmidt-Rottluff bei Diese meist aktuelleren Werke, die sich eng 2 Erich Heckel, Schneeschmelze an der Natur orientierten, waren kaum im Erzgebirge, 1931, Öl auf Leinwand, Karl Buchholz, Berlin, noch mit dem Begriff des Expressionismus Brücke-Museum, 1966 Schenkung vom 1935 zu beschreiben. Kirchner kommentierte Künstler im Sommer 1933: „Drüben werden jetzt Ausgestellt sowohl bei Ferdinand häufig Ausstellungen moderner Malerei ge- Möller im Frühjahr 1934 als auch Im März und April 1935 fand im Aus- macht, um die Hitlerianer dazu zu bekeh- in der Schau Das Bild der Land- stellungsraum Karl Buchholz eine Aqua- ren, mit negativem Erfolg, trotzdem man schaft in der Hamburger Kunsthal- rell-Ausstellung von Schmidt-Rottluff mit das zahmste aussucht, nur kleine Gelegen- le im Herbst 1934. 35 Blättern statt. Es erschienen mehrere heitslandschaften z. B. von mir. Ach positive Rezensionen, so lobte das Berliner es ist ein Jammer“. Zwar erhielten viele der 3 Erich Heckel, Annweiler, 1933, Tempe- Tageblatt die Ausstellung als „Erfrischung“ Präsentationen positive Besprechungen ra auf Leinwand, Brücke-Museum, 1966 und verwies auf frühere Kritiken zur in der Presse, zeitgleich polemisierten Schenkung von Karl Schmidt-Rottluff Wanderausstellung Neuere Deutsche Kunst NS-Zeitschriften wie das Schwarze Korps Ausgestellt bei Ferdinand Möller von 1932. Schon damals seien „die starke oder der Völkische Beobachter jedoch im April 1934 Persönlichkeit, die felsharte Form, die aus- weiterhin gegen die moderne Kunst und drucksstarke Farbe“ positiv hervorgehoben ihr Netzwerk. 4 Erich Heckel, Pfalz-Landschaft, 1933, worden – Zuschreibungen, die nach 1933 die Aquarell, Brücke-Museum, 1970 Schen- Eignung seiner Kunst für die nationalsozia- kung von Siddi Heckel listische Bewegung bezeugen sollten. Eventuell ausgestellt bei Fer- Erich Heckel in der Ga- dinand Möller im April 1934 als Pfälzer Landschaft. lerie Ferdinand Möller, Berlin, 1934 5 Erich Heckel, Frauen am Wasser, 1933, Aquarell und Deckfarben, Brücke-Museum, 1966 Schenkung vom Künstler Zwischen dem 28. April und dem 8. Juni Eventuell ausgestellt bei Fer- 1934 fand in der Berliner Galerie Ferdinand dinand Möller im April 1934 als Möller eine Heckel-Ausstellung mit Badende. Werken der letzten drei Jahre statt, insgesamt wurden 21 Gemälde, 23 Aquarelle und 6 Erich Heckel, Dünen am Watt, 1933, acht Druckgrafiken gezeigt. Der Künstler Aquarell, Brücke-Museum, 1966 Schen- bemerkte zufrieden: „Die Ausstellung bei kung vom Künstler Möller wurde am Sonnabend eröffnet, Eventuell ausgestellt bei Fer- 9
Figurendar- Frühzeit gelöst hatte, wirft das dreiteilige Werk genau diese Deutschlandbilder stellungen der Frage auf. 1930er-Jahre Wie Pechsteins Entwurf für das Wandgemälde Das Symbol der Ab 1937 schufen Heckel und Schmidt-Rott- luff Landschafts-und Ortsdarstellungen, Arbeit wies auch Heckels Trip- die durchaus dem im Nationalsozialismus tychon motivische und stilisti- propagierten romantisierenden Deutsch- Besonders die Figurenbilder und Porträts sche Verbindungen zu Arbeiten der landbild entsprachen. Menschenleer sind der Expressionisten wurden von National- Weimarer Zeit auf. Beispielsweise bei Schmidt-Rottluff die Stadtansichten, sozialisten stark angefeindet. Die formal schuf Heckel 1928 einen Wand- in ihrem Zentrum stehen romanische oder reduzierte, teilweise von Objekten aus bild-Entwurf für den Brunnenraum gotische Bauten – wie der Limburger Dom ethnologischen Museen inspirierte Kunst des Museum Folkwang in Essen. oder eine Kapelle im mittelalterlichen der Brücke war nicht an einer naturalisti- Das Thema hierfür – „Die jung- Dinkelsbühl. Thematisch hätten diese An- schen Abbildung oder Idealisierung männliche Bewegung (Spiel und knüpfungspunkte zu offiziell verbreiteten interessiert. Um der Kritik eine möglichst Sport)“ – hatte der damalige Landschaftsidealen ermöglicht, doch hatte geringe Angriffsfläche zu bieten, ersetzten Direktor Ernst Gosebruch gelie- Schmidt-Rottluff nach dem Sommer 1937 Museumsleiter ab 1933 etliche Figuren- fert. Heckel griff das Thema im nicht mehr die Möglichkeit, seine Werke bilder aus ihren Sammlungspräsentationen Jahr 1934 erneut auf. Durch Sujet öffentlich zu präsentieren. durch Landschaftsmalereien und Stillle- und Art der Darstellung ergaben ben derselben Künstler. Ein ‚gemäßigter‘ sich zahlreiche Schnittmengen, Eher ungewöhnlich ist die Darstellung Expressionismus, so die Hoffnung, die ein solches Werk als zeitge- einer Autobahnbrücke, die eine zeitge- sollte die öffentliche Akzeptanz erhöhen. mäße „deutsche“ Kunst im NS-Staat nössische Errungenschaft zeigt. In seinen Auch die Brücke-Künstler selbst reagie- geeignet erschienen ließen. Im Briefen erwähnt Schmidt-Rottluff begeis- rten offenbar auf die veränderten Erwar- Gegensatz zu Pechstein vermied tert seine Autoreisen durch Deutschland. tungshaltungen: Die Figurenbilder Heckel aber eine explizite Visua- Ihn inspirierten also nicht nur die histori- der 1930er-Jahre erscheinen zunehmend lisierung nationalsozialistischer schen Bauwerke. Geplant worden waren naturalistisch und zeigen eine Fortent- Symbolik. Der Essener Industriel- die neuen Autobahnen bereits vor 1933, wicklung weg vom radikal vereinfachten le und Kunstsammler Ernst Henke wurden nun aber in der Propaganda als Er- Stil der Brücke-Zeit, die bereits in den hängte 1936 das Triptychon – zu- rungenschaft des nationalsozialistischen frühen Jahren der Weimarer Republik sammen mit zahlreichen Gemälden Regimes gefeiert. eingesetzt hatte und nach 1933 vermutlich Noldes und anderer Vertreter des gerade auch durch die Expressionis- Expressionismus – in seine Villa. mus-Kontroverse verstärkt wurde. Nicht Da er laut Ernst Gosebruch großes zuletzt waren die Künstler darauf angewie- Ansehen „bei der Partei“ genoss, sen, ihre Werke öffentlich auszustellen und gaben einige Künstler, wie Nolde, Käufer*innen zu finden. gerne Leihgaben in seine Obhut, um sie so vor möglichen Beschlag- nahmungen zu schützen. 1 Max Pechstein, Junge mit Schneebällen und drei Nelken, 1937 Öl auf Leinwand, 3 Erich Heckel, Zwei Brüder, 1937, Privatbesitz Tempera auf Leinwand, Nachlass Pechsteins großes Hochformat Erich Heckel, Hemmenhofen zeigt den elfjährigen Sohn des Heckels Selbstporträt Zwei Künstlers, mit kurzen Hosen und Brüder thematisiert neben seinem einem der Mode entsprechenden Künstlertum auch seine familiäre Kurzhaarschnitt. Das Porträt Situation: Das Werk zeigt den wirkt im Vergleich zu seinen frü- Maler mit einer früheren Arbeit heren Bildnissen sehr naturalis- zur linken und dem Bruder tisch – es erinnert an den Stil Manfred, der im November starb, der Neuen Sachlichkeit. auf dem Totenbett zur rechten. Im Anschluss schuf der Maler 2 Erich Heckel, Jungen am Strand, 1934, einige Arbeiten in dessen Gedenken. Triptychon, Tempera auf Leinwand, Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen Wie vereinbar war die Moderne mit den Kunstvorstellungen der Na- tionalsozialisten? Obgleich sich Heckel bereits seit Langem von seinem Stil der expressionistischen 10
Frühe Verfemung Holzskulpturen. Figürliche, von außereuropäischen Objekten in Emy Schmidt-Rottluff, der Frau des Malers. ethnologischen Museen inspirier- te Darstellungen, wie Badende 6 Paul Schultze-Naumburg, Kampf um Schon in den späten Jahren der Weimarer mit Tuch, wurden sowohl aufgrund die Kunst (Nationalsozialistische Biblio- Republik kritisierten völkisch-reaktionäre ihrer nicht-naturalistischen thek, H. 36), München 1932, S. 10. Aktivisten die Kunst der Brücke, insbeson- Form als auch wegen der vermeint- Kampf um die Kunst war Titel dere ihre Menschendarstellungen. lich unsittlichen Darstellung zur einer Vorlesung, mit der Paul Einer von ihnen war der Architekt, Kultur- Zielscheibe der gegen die Moderne Schultze-Naumburg im Auftrag des reformer und Rassenideologe Paul gerichteten Argumentationen aus Kampfbundes für deutsche Kul- Schultze-Naumburg, der den Expressio- dem reaktionär-völkischen Lager. tur im Jahr 1931 in verschiede- nismus mit Begriffen der „Artfremdheit“ Aus heutiger Sicht muten die auf nen deutschen Städten gastierte. und „Entartung“ abwertete. Bereits 1928 der Rassenideologie basierenden Seine Ausführungen zielten dar- stellte er in seinem Buch Kunst und Rasse kunsttheoretischen Interpretatio- auf ab, die moderne Kunst durch den Porträts Schmidt-Rottluffs Fotos von nen absurd an, damals wurden sie Gegenüberstellungen kanonischer Menschen mit Behinderung gegenüber. in hoher Auflage verbreitet. Kunstwerke der späten Gotik oder der deutschen Renaissance zu Die Angriffe aus dem reaktionären Lager 3 Karl Schmidt-Rottluff, Grünroter Kopf, diffamieren. Als Bildbeispiele galten auch der Ankaufspolitik der Kunst- 1917, Erlenholz, rot und grün getönt, dienten ihm auch hier – wie zuvor museen. Es wurden damals so bezeich- Brücke-Museum, 1971 Schenkung vom schon in Kunst und Rasse – die nete „Säuberungen“ der Sammlungen Künstler Porträts von Schmidt-Rottluff. gefordert, mit denen die Aussortierung Während seiner Stationierung in Abgebildet ist auf dieser Seite und Zensur moderner Kunstwerke aus den Litauen schuf Schmidt-Rottluff das Gemälde Emy, ein Bildnis der Museen gemeint war. Die Organisation eine große Anzahl von Skulptu- Ehefrau des Künstlers. regionaler, sogenannter „Schandausstellun- ren, wie beispielsweise Grünro- gen“ verlieh dieser Forderung Nachdruck. ter Kopf. Das Holz dafür sammelte 7 Wolfgang Willrich, “Beispiele von drei In ihnen sollten geringgeschätzte Werke er vor Ort. Solche und ähnliche Entarteten: Heckel / Schmidt-Rottluff / moderner Kunst als Beispiele des „kulturellen Holzplastiken wurden vom reaktio- Nolde”, 1933, bpk / Zentralarchiv, SMB Verfalls“ vorgeführt werden. Durch sie när-völkischen Lager als „neg- Der Maler und reaktionär gesinn- verschärfte sich auch der Ton in der öffent- roid“ verhöhnt; auch, weil die te Kunstaktivist Wolfgang Will- lichen Kunstdebatte. Die Diffamierungen Aneignung der als fremd wahr- rich prangerte auf diesem Blatt in den frühen Jahren der NS-Zeit bereiteten genommenen Formensprache nicht von 1933 die teils noch unter dem den Boden für die Durchführung der ihrem Selbstverständnis einer ge- NS-Regime erfolgte Anerkennung Ausstellung Entartete Kunst von 1937. nuin „deutschen“ Kunst entsprach. der drei Maler Heckel, Nolde und Schmidt-Rottluff an. Die Zu- 4 Paul Schultze-Naumburg, Kunst und sammenstellung trug bereits die 1 Paul Schultze-Naumburg, Kampf um Rasse, Berlin 1935 (1. Aufl. 1928), Grundzüge der Collagen, die er die Kunst (Nationalsozialistische Biblio- S. 106–107. Anfang des Jahres 1937 in seinem thek, H. 36), München 1932, S. 40–41. Auch auf dieser Seite wird die Buch Säuberung des Kunsttempels Kampf um die Kunst erschien 1931 Verknüpfung von Kunst- und Ras- veröffentlichte. als 36. Heft in der Reihe Natio- senideologie deutlich: Porträts nalsozialistische Bibliothek im von Schmidt-Rottluff und Modi- Münchner NSDAP-Verlag und war mit gliani stellt Schultze-Naumburg einem Preis von einer Mark güns- Fotos von Menschen mit körper- tig erhältlich. Der Vorwurf der lichen Fehlbildungen gegenüber. Nachahmung mischt sich hier mit Oben links ist der Holzschnitt der rassenideologisch begründeten Selbstbildnis aus dem Jahr 1919 Ablehnung gegenüber Objekten abgebildet außereuropäischer Kulturen, die als nicht gleichwertig verun- 5 Karl Schmidt-Rottluff, Bildnis Emy, 1919, glimpft wurden. Holzschnitt, Brücke-Museum, Vermächtnis von Rosa Schapire an die Galerie des 20. 2 Erich Heckel, Badende mit Tuch, 1913, Jahrhunderts, 1967 an das Brücke-Museum Ahorn, Brücke-Museum, 1986 erworben überwiesen von Charlotte Specht, geb. Sauerlandt aus Schultze-Naumburg suchte in sei- Mitteln des Nachlasses Martha Lemke nem Pamphlet Kampf um die Kunst Schultze-Naumburg instru- unter anderem das Gemälde Emy mentalisierte neben Werken zu diskreditieren. Der Holz- von Schmidt-Rottluff wiederholt schnitt Bildnis Emy von 1919 Abbildungen von Heckels zeigt eine ähnliche Ansicht von 11
Max Pechstein bei Die Ausstellung 1 Wolfgang Willrich, Säuberung des Kunsttempels. Eine kulturpolitische der Auto Union Entartete Kunst, Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art, AG, Chemnitz, 1937 München/Berlin 1937, S. 22, Collage mit Werken verschiedener Künstler, u. a. Juni 1937 von den ehemaligen Brücke Malern Max Pechstein, Emil Nolde, Ernst Ludwig Am 19. Juli 1937 eröffnete in München die Kirchner und Otto Mueller Ausstellung Entartete Kunst. Ausgewählte Die zu Beginn des Jahres 1937 er- Angesichts der ungeklärten offiziellen Gemälde und Skulpturen der Moderne schienene Publikation Säuberung Haltung gegenüber der modernen wurden hier chaotisch inszeniert und po- des Kunsttempels von Wolfgang Kunst ist es bemerkenswert, dass sowohl lemisch kommentiert – Strategien, die Willrich bildete eine der pseudo- Schmidt-Rottluff als auch Pechstein in darauf ausgelegt waren, Besucher*innen wissenschaftlichen Grundlagen für der ersten Jahreshälfte 1937 die Möglich- zu manipulieren – denn für viele war es die Kampagne „Entartete Kunst“. keit zu Einzelausstellungen erhielten: die erste Begegnung mit moderner Kunst In seiner Eine kunstpolitische Schmidt-Rottluff stellte Anfang des Jahres überhaupt. Am Tag davor hatte Hitler Kampfschrift zur Gesundung deut- in der Galerie Karl Buchholz in Berlin aus; das unter seiner Ägide neu erbaute Haus scher Kunst im Geiste nordischer Pechstein zeigte noch im Juni 1937 – der Deutschen Kunst in München mit Art, weitet Willrich den seit den kurz vor Eröffnung der Ausstellung Entartete der Großen Deutschen Kunstausstellung 1920er Jahren geführten Kampf Kunst – in einer der sogenannten Fabrik- eröffnet, in der ausschließlich Werke gegen die „neue deutsche Kunst“ ausstellungen in der Chemnitzer Auto nach seinem Geschmack zu sehen waren. aus: Auf mehreren Collagen bildet Union AG zwei Gemälde und 17 Aquarelle. Das Nebeneinander beider Ausstellungen er von ihm als „entartet“ be- Fabrikausstellungen wurden in großer schrieb das einfache Muster von „art- zeichnete Werke ab und prangert Anzahl seit 1934 durch die NS-Freizeit- eigener“ und „entarteter“ Kunst fest. Hitler in diesem Zusammenhang auch organisation Kraft durch Freude realisiert. konnte sich einer breiten Zustimmung die Ankaufspolitik deutscher Ihr Ausstellungsprogramm, in das auch sicher sein; seit der Machtübernahme hatten Museen an. Werke der Brücke-Künstler mit einbezogen sich Lokalpolitiker und Museumsleiter wurden, zeugte vom Versuch, den Ge- in verschiedenen Orten ereifert, mit der 2 Julien Bryan, Gang durch die danken der „Erneuerungsbewegung“ des Organisation sogenannter „Schreckens- Ausstellung Entartete Kunst in München, Nationalsozialismus durch eine gemäßigte kammern“ in ihren Museen moderne Werke 1937 Film, s/w, ohne Ton, 2:26 Minuten Moderne zu präsentieren. an den Pranger zu stellen. Die Ablehnung © Framepool RS GmbH des Expressionismus begann jedoch Im Sommer 1937 reiste der US- nicht erst im Januar 1933, sondern beglei- amerikanische Dokumentarfilmer tete diesen seit seiner Entstehung. Julien Bryan sieben Wochen durch Deutschland, um im Auftrag von Auch das Schlagwort der „Entartung“ der US-Wochenschau March of Time hatte eine längere Vorgeschichte. Bereits Aufnahmen von der Situation Ende des 19. Jahrhunderts verwendete vor Ort zu machen. Obwohl das der Mitbegründer der Zionistischen Propagandaministerium ihm stren- Weltorganisation, Max Nordau, in seiner ge Auflagen gemacht hatte, Publikation Entartung den aus der Bio- gelang ihm ein vielschichtiges logie stammenden Begriff, um die damals Porträt des nationalsozialisti- moderne Kunst des Fin de Siècle herabzu- schen Staates. Er filmte sowohl würdigen. In der Zeit der Weimarer Repu- das Alltagsleben als auch Propa- blik – als vor allem die expressionistischen gandaveranstaltungen wie Künstler*innen von Regierungsseite den Nürnberger Reichsparteitag, unterstützt und Sammlungen moderner machte aber auch auf den Kunst in vielen öffentlichen Institutionen auf- Antisemitismus in Deutschland gebaut wurden – verschärften sich die aufmerksam. Von ihm stammen Angriffe aus reaktionären Kreisen, wie dem die einzigen Filmaufnahmen aus Kampfbund für deutsche Kultur. Dessen der Propagandaausstellung Gründer Alfred Rosenberg war schon früh Entartete Kunst in München. führender Vertreter und Verbreiter der na- Der Film zeigt einen längeren, tionalsozialistischen Gesinnung und wurde unveröffentlichten Ausschnitt später als „Chefideologe“ Hitlers bekannt. aus dem Rohmaterial Bryans. 12
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