Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus - April - 11. August 2019

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Flucht in              Die Künstler der Brücke
die Bilder?            im Nationalsozialismus
                       14. April –11. August 2019

   Ausstellungstexte
Flucht in                                            Die Künstler der Brücke
die Bilder?                                          im Nationalsozialismus
                                                     14. April –11. August 2019

Tausende von Kunstwerken wurden 1937         Galerie im Hamburger Bahnhof – Museum         der Berliner Ateliers und erzwungene
von den Nationalsozialisten aus deutschen    für Gegenwart – Berlin gewidmet.              Übersiedlung aufs Land machten die
Museen beschlagnahmt, darunter Schlüs-                                                     künstlerische Arbeit – nicht zuletzt durch
selwerke von Karl Schmidt-Rottluff,          Grundlage für Flucht in die Bilder?           den Materialmangel – so gut wie unmög-
Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Max     sind die Bestände des Brücke-Museums,         lich. Bis zum Sommer 1937 stellten sie
Pechstein und Emil Nolde. In der Propagan-   die durch ausgewählte Leihgaben der           ihre Werke dagegen noch in Galerien und
daausstellung Entartete Kunst wurden         Künstler-Nachlässe und aus Privatbesitz       Kunstvereinen aus, Pechstein sogar
sie öffentlich verhöhnt. Diese aggressiven   ergänzt werden. Mit der Ausstellung öffnet    noch 1939. Ihre individuellen Situationen
Angriffe auf ihre Kunst überblenden          sich das Haus erstmals auch räumlich:         und Haltungen in den Jahren des National-
die Selbstverortungen der Brücke-Maler       Während die Zeit bis 1945 im Brücke-          sozialismus lassen sich folglich nicht
in der NS-Diktatur bis heute. Sie haben      Museum thematisiert wird, beleuchtet der      statisch abbilden, sondern sind als dyna-
dazu geführt, dass die Künstler in erster    zweite Teil im benachbarten Kunsthaus         mischer Prozess zu begreifen.
Linie als Opferder NS-Kunstpolitik wahr-     Dahlem die unmittelbare Nachkriegszeit.
genommen wurden.                             Beide Einrichtungen eint das Interesse        An dieser Stelle soll nicht unerwähnt blei-
                                             an einer Auseinandersetzung mit der           ben, dass es viele Künstler*innen gab,
Die Ausstellung Flucht in die Bilder?        eigenen Orts- und Institutionsgeschichte      die gewaltsam verfolgt wurden: Charlotte
Die Künstler der Brücke im Nationalsozia-    sowie der Anspruch, ihre Rolle als auf-       Salomon, Otto Freundlich, Moissey
lismus widmet sich erstmals dem Werk,        geklärte, transparente und gesellschaftlich   Kogan oder Felix Nussbaum wurden in
den Alltagsrealitäten und den Handlungs-     relevante öffentliche Institutionen zu        Konzentrationslagern ermordet; zahlreiche
spielräumen der Künstler im Nationalsozia-   erfüllen. Die gezeigten Kunstwerke fordern    Sammler*innen und Förderer*innen der
lismus sowie der unmittelbaren Nach-         dementsprechend zu einer kritischen           Brücke wurden ins Exil gezwungen, weil
kriegszeit. Erich Heckel, Max Pechstein      Hinterfragung gängiger Narrative auf, wie     sie aufgrund der Nürnberger Rassengeset-
und Karl Schmidt-Rottluff stehen im          die der „inneren Emigration“ oder der         ze als jüdisch galten. Die Verfemung des
Mittelpunkt der Ausstellung. Emil Nolde      „Stunde Null“.                                Expressionismus und die Lebenssituationen
nimmt als überzeugter National-                                                            der Brücke-Künstler müssen gerade auch
sozialist eine Sonderstellungunter den       Denn alle Künstler waren durchgängig           vor dem Hintergrund dieser rassistisch
Brücke-Künstlern ein. Ihm ist zeitgleich     künstlerisch tätig. Eine Ausnahme bildeten    und politisch motivierten Verfolgungen dif-
eine große Ausstellung in der Neuen          die letzten Kriegsmonate. Die Zerstörung      ferenziert betrachtet werden.

                                                                                                                                    2
Die Brücke als                                 Künste zu übernehmen, kehrte Heckel nie
                                               wieder in die Hauptstadt zurück. Von 1949
                                                                                             schlechter gestellt als beispielsweise Heckel
                                                                                             oder Schmidt-Rottluff. Gleichzeitig trat er
Begründer einer „neuen                         bis 1955 lehrte er an der Hochschule für      als einziger noch im Mai 1939 mit einer Ga-
                                               Bildende Künste in Karlsruhe.                 lerie-Ausstellung öffentlich auf. Nach der
deutschen Kunst“?                                                                            Zerstörung seiner Berliner Wohnung siedel-
                                               Karl Schmidt-Rottluff (1884 – 1976)           te er im Frühjahr 1944 nach Pommern
                                               Die Debatten um Karl Schmidt-Rottluff         um. Im September 1945 kehrte er zurück
Die Künstlergruppe Brücke gründete sich        veranschaulichen die Widersprüche und         nach Berlin. Kurz darauf trat er ein Lehr-
1905 in Dresden und löste sich 1913 in         Ambivalenzen der NS-Kunstpolitik: Seit        amt an der Berliner Hochschule der Künste
Berlin auf. Ihre Gründungsmitglieder wa-       der späten Weimarer Republik waren ins-       an, das ab 1949 in eine Professur umgewan-
ren Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel,       besondere die Porträts von Schmidt-Rott-      delt wurde.
Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl.         luff Zielscheibe reaktionär-völkischer
Während Letzterer bereits 1907 austrat, bil-   Polemiken. Gleichzeitig sahen die na-         Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
deten die anderen drei den konstanten Kern     tional-konservativen Befürworter*innen        verließ Deutschland während des Ersten
der Künstlergruppe und warben Zeit ihres       seiner Kunst in dem Maler aufgrund seiner     Weltkrieges und siedelte sich in der Schweiz
Bestehens immer wieder neue Mitglieder,        Darstellungen des bäuerlichen Lebens und      an. In zahlreichen Briefen nach 1933 klagte
die unterschiedlich lange und unterschied-     seiner Herkunft aus dem ländlichen Raum       er wiederholt über das abgeschiedene Leben
lich eng an die Brücke gebunden blieben.       einen angemessenen Vertreter der NS-Kul-      in den Schweizer Bergen. Die Hoffnungen,
So schlossen sich im Laufe der Zeit unter      turideologie. Aus Schmidt-Rottluffs           die er zunächst noch in die Kunstpolitik des
anderem Emil Nolde und Max Pechstein an.       Korrespondenz wird deutlich, dass er dem      NS-Regimes setzte, gab er bald auf. Kirch-
Das gemeinsame Wirken der Gruppe hatte         nationalsozialistischen Regime in Kunstfra-   ner reagierte empfindlich auf seine ehe-
weitreichende Folgen. Nach 1914 wurde der      gen zunächst verhalten hoffnungsvoll, bald    maligen Brücke-Kollegen, die sich – sei es in
Begriff des Expressionismus zunehmend          jedoch distanziert gegenüberstand. Die fast   ihren Landschaftsbildern oder, schlimmer
als eine Art „deutsches Gegenmodell“ zum       jährlichen Sommeraufenthalte in Pommern       noch, wie Nolde durch seine Autobiogra-
Impressionismus wahrgenommen. Die              boten ihm Gelegenheit, Abstand vom poli-      phie Jahre der Kämpfe – an das NS-Regime
Künstler selbst waren in den 1920er-Jahren     tischen Tagesgeschehen zu gewinnen. Im        anzupassen versuchten. Er selbst äußerte
zu etablierten Protagonisten der zeitge-       April 1941 erhielt er von der Reichskammer    sich anfänglich zwar in Briefen, vor allem
nössischen Kunstszene geworden und ihre        der bildenden Künste ein Berufsverbot.        an seinen Bruder Ulrich, in antisemitischer
Kunstwerke zahlreich in vielen Museums-        Ihm standen daraufhin keine der inzwi-        Weise und zum Teil NS-konform, beob-
sammlungen vertreten.                          schen nur auf Bezugsschein erhältlichen       achtete die Entwicklungen in Deutschland
                                               Malmaterialien mehr zu – mehr denn je war     und insbesondere die Auswirkungen auf
                                               er auf die Unterstützung von Freund*innen     Kunst und Kultur jedoch von Beginn an
Biographien:                                   angewiesen. Nach der Ausbombung ihrer         kritisch. Seine öffentliche Darstellung ver-
                                               Berliner Wohnung zogen Karl und Emy           folgte er stets mit großer Aufmerksamkeit
Erich Heckel (1883 – 1970)                     Schmidt-Rottluff im Sommer 1943 in sein       und war tief gekränkt über die Verfemung
war seit dem Ersten Weltkrieg für seine        Heimathaus im sächsischen Rottluff. Erst      seiner Werke in der Ausstellung Entartete
Rückgriffe auf Motive der deutschen Gotik      im November 1946 kehrten sie nach Berlin      Kunst. In welchem Maße die Diffamierung
und Romantik bekannt. Noch im Juli 1933        zurück, nachdem Schmidt-Rottluff bereits      zu seinem Suizid im Juni 1938 beigetragen
feierten ihn die Befürworter*innen seiner      Ende 1945 ein Lehramt an der Berliner Hoch-   hat, wie von seiner Partnerin Erna Schilling
Kunst als einen „der reinsten Verkünder        schule der Künste angeboten worden war.       angedeutet, bleibt offen.
deutscher Kunstauffassung“ und schlugen
seine Malerei als zeitgemäße Alternative       Max Pechstein (1881–1955)
zum traditionellen akademischen Stil vor.      blieben die national-konservativen Kreise,    Chronologie 1933–1949
Sein Wunsch nach offizieller Anerkennung       die sich für Heckel oder Nolde einsetzten,
erfüllte sich trotz erfolgreicher Einzel-      größtenteils verschlossen. Der in Zwickau     1933
ausstellungen in den Jahren 1934 und 1935      geborene Maler stammte aus einem sozial-
nicht. Im Anschluss an die Beschlagnah-        demokratisch geprägten Umfeld. Während        30. Januar Machtübernahme durch
mung seiner Kunstwerke aus deutschen           der Weimarer Republik hatte er sich für       die Nationalsozialisten, der
Museen und die Diffamierung seiner Arbeit      eher links ausgerichtete Vereinigungen        Reichspräsident Paul von Hinden-
als „entartet“ mied Heckel die Öffentlich-     engagiert, z.B. für die Novembergruppe,       burg ernennt Adolf Hitler zum
keit. Nachdem am 30. Januar 1944 seine         den Arbeitsrat für Kunst oder die Gesell-     Reichskanzler.
Berliner Wohnung ausgebombt wurde,             schaft der Freunde des neuen Russlands.
unterstützte ihn die Berliner Reichskammer     Private Briefe offenbaren seine Ablehnung     22. März In Dachau wird das ers-
der bildenden Künste mit einem Empfeh-         der NS-Rassenideologie. Pechstein wurde       te Konzentrationslager errichtet,
lungsschreiben bei seiner Suche nach einer     unter anderem von Emil Nolde wiederholt       anfangs werden hier hauptsächlich
neuen Unterkunft in Süddeutschland.            als jüdisch bezeichnet – zur damaligen Zeit   politische Gegner des NS-Regimes
Der Künstler siedelte nach Hemmenhofen         eine folgenschwere Behauptung, die ihn        interniert.
am Bodensee um. Obwohl er in der Nach-         dazu nötigte, früher als andere seine „ari-
kriegszeit das Angebot aus Berlin erhielt,     sche Abstammung“ zu beweisen. Pechstein       10. Mai Der Nationalsozialis-
dort ein Lehramt an der Hochschule der         war in den 1930er-Jahren wirtschaftlich       tische Deutsche Studentenbund

                                                                                                                                        3
organisiert bundesweit Bücherver-   Ausschreibung er aus der Zeit-
                                                                        1936
brennungen, vor allem von Werken    schrift Kunst der Nation erfährt.
oppositioneller und jüdischer
Autor*innen.                        8.–30. April                        29. März–22. April
                                    Pechstein-Ausstellung in der        Pechstein-Ausstellung in der
15. Mai Die Preußische Akademie     Galerie von der Heyde, Berlin.      Galerie von der Heyde, Berlin.
der Künste sendet Austrittsge-
suche an Nolde, Schmidt-Rottluff    22. April–8. Juni Heckel-Aus-       31. Juli Die am 21. Juli er-
und Kirchner. Nolde und Kirchner    stellung in der Galerie Ferdinand   öffnete Ausstellung Malerei und
lehnen ab, Schmidt-Rottluff folgt   Möller, Berlin.                     Plastik in Deutschland 1936 im
der Aufforderung.                                                       Hamburger Kunstverein wird auf
                                    Sommer Pechstein zieht sich zum     Anordnung von Adolf Ziegler,
Juli Der Streit um die Rolle        Arbeiten in ein Fischerdorf am      Vizepräsident der Reichskammer
des Expressionismus im NS-Regime    Koser See in Pommern zurück. Auch   der bildenden Künste, vorzeitig
erreicht einen ersten Höhepunkt.    die Sommer 1937, 1938, sowie 1940   geschlossen. Auch hier sind Werke
Ausgetragen wird er in Tageszei-    bis 1942 verbringt er dort.         der Brücke-Künstler betroffen.
tungen, Vorträgen und in Ausstel-
lungen. Von den Befürworter*innen   18. August Der „Aufruf der          1.–16. August 1936 Olympische
– darunter viele jüngere Natio-     Kulturschaffenden“ wird in der      Sommerspiele, Berlin.
nalsozialisten, u. a. Funktionä-    NSDAP-Tageszeitung Völkischer
re des NSD-Studentenbundes und      Beobachter veröffentlicht. Der      Ende Oktober 1936 Die Abteilung
Mitarbeiter des Propaganda- und     Appell zielt darauf ab, die         moderner Kunst im Berliner Kron-
Kultusministeriums – werden He-     Loyalität gegenüber Adolf Hitler    prinzenpalais wird für die Öf-
ckel, Nolde und Schmidt-Rottluff    auch in der Kulturszene zu          fentlichkeit geschlossen.
als Repräsentanten einer „neuen     festigen. Unter anderem unter-
deutschen Kunst“ angeführt.         zeichnen Heckel und Nolde.
                                    Dass sie darum gebeten wurden       1937
Sommer Arbeitsaufenthalt            lässt die Künstler auf staatliche
Schmidt-Rottluffs bei Leba in       Anerkennung hoffen.                 12–13. Februar Tagung der
Pommern wie fast jedes Jahr bis                                         Landesleiter der Reichskammer
einschließlich 1943. Auch Pech-                                         der bildenden Künste, Schloss
stein und Heckel verbringen die     1935                                Schönhausen, Berlin-Pankow.
Sommer meist außerhalb Berlins.                                         Der seit dem 1. Dezember 1936
Oktober: Pechstein muss sich        15. März–15. Mai Über die Aus-      amtierende Präsident Adolf
gegen Noldes Behauptung, er sei     stellung Berliner Kunst in der      Ziegler kündigt ein stärkeres
jüdisch, öffentlich rechtferti-     Neuen Pinakothek in München kommt   Durchgreifen bei der „planvollen
gen. Die Preußische Akademie der    es am Tag der Eröffnung zum         Kulturpflege“ an.
Künste schaltet sich vermittelnd    Konflikt. 22 Arbeiten werden ab-
ein und bestätigt Pechsteins        gehängt und zur Begutachtung an     16. Februar–10. März
„arische Abstammung“.               Goebbels geschickt. Auch Werke      Schmidt-Rottluff-Ausstellung mit
                                    der Brücke-Künstler sind betrof-    Aquarellen bei Karl Buchholz,
1. November Die erste Ausgabe       fen.                                Berlin.
der Zeitschrift Kunst der Nation
erscheint. Ihr Ziel ist es, die     30. März–27. April Schmidt-         Juni Fabrikausstellung mit rund
Eignung des Expressionismus als     Rottluff-Ausstellung im Ausstel-    20 Arbeiten Pechsteins in der
ursprüngliche „deutsche“ Kunst im   lungsraum Karl Buchholz, Berlin.    Auto Union AG, Chemnitz.
NS-Staat darzulegen.
                                    15. September Hitler erlässt        Juli Erste Beschlagnahmen mo-
15. November Eröffnung der          die sogenannten Nürnberger Geset-   derner Kunst durch eine vom
Reichskulturkammer in Berlin,       ze. Die antisemitische Ideologie    Propagandaministerium damit be-
einige der Brücke-Künstler sind     wird dadurch auf eine rechtliche    auftragte Kommission in rund 30
anwesend.                           Grundlage gestellt und ermöglicht   öffentlichen Sammlungen. Eine
                                    noch systematischer die Diskrimi-   Auswahl wird zur Feme-Ausstel-
                                    nierung und Verfolgung jüdischer    lung Entartete Kunst nach München
1934                                Bürger*innen, die nun gesetzlich    gebracht. Ab August 1938 Zwi-
                                    verordnet wird.                     schenlagerung der vom Propagan-
April Pechstein beteiligt sich                                          daministerium als „international
an einem Wandmalereiwettbewerb      3. Oktober–3. November              verwertbar“ beurteilten und damit
der NS-Freizeitorganisation Kraft   Heckel-Ausstellung in der           verkäuflichen Werke im Schloss
durch Freude, von dessen            Kestner-Gesellschaft, Hannover.     Schönhausen bei Berlin.

                                                                                                           4
8. Juli Die Preußische Akademie     zerstört. Etwa 400 Jüdinnen und      und Heckel behalten ihre
der Künste teilt Kirchner, Nolde    Juden werden in der Progromnacht     Mitgliedschaft, Nolde wird im
und Pechstein den Ausschluss mit.   ermordet.                            August 1941 ausgeschlossen.
Nolde weigert sich erfolgreich
und bleibt weiterhin Mitglied.                                           22. Juni Angriff der deutschen
                                    1939                                 Wehrmacht auf die Sowjetunion.
18. Juli Eröffnung des Hauses
der Deutschen Kunst durch Hitler.   20. März Auf dem Hof der Berli-      20. Oktober Im Konzentrations-
Die Große Deutsche Kunstausstel-    ner Hauptfeuerwache wird der vom     und Vernichtungslager in
lung, die in den Hallen von nun     Propagandaministerium als „unver-    Auschwitz-Birkenau setzt die
an jährlich bis 1944 stattfindet,   wertbare Rest“ der als „entartet“    Massentötung in Gaskammern ein.
soll ein Panorama des offiziell     beschlagnahmten Kunstwerke ver-
erwünschten Kunstschaffens im       brannt, vorgesehen dafür waren
neuen Staat zeigen.                 rund 5000 Arbeiten.                  1942
19. Juli Eröffnung der Propagan-    14. Mai–10. Juni                     Die Brücke-Künstler beginnen mit
daausstellung Entartete Kunst       Pechstein-Ausstellung in der         den Auslagerungen ihrer Werke,
in München mit rund 650 Werken      Galerie von der Heyde, Berlin.       meist außerhalb von Berlin.
aus öffentlichen Sammlungen,
darunter zahlreiche Arbeiten der    30. Juni Auktion von 125 Kunst-      September Zweiwöchiger Arbeits-
Brücke-Künstler.                    werken, die 1937 aus öffentlichen    aufenthalt Schmidt-Rottluffs
                                    Sammlungen als „entartet“ ent-       auf Gut Kreisau bei Helmuth
                                    fernt wurden, über die Galerie       James und Freya von Moltke.
1938                                Theodor Fischer im Grand Hotel       Im Anschluss verkauft ihnen
                                    National in Luzern, Schweiz.         der Künstler trotz Berufsverbot
26. Februar Eröffnung der Wan-                                           einige der dort entstandenen
derausstellung Entartete Kunst in   Juli/August Pechstein verbringt      Aquarelle.
Berlin mit nachfolgenden Sta-       erstmals seit knapp 20 Jahren
tionen in weiteren deutschen und    wieder den Sommer in Nidden auf      Winter Vernichtung der 6. Armee
österreichischen Städten.           der Kurischen Nehrung. Möglich       der deutschen Wehrmacht in der
                                    wird die Reise durch die Wieder-     Schlacht um Stalingrad, Wende-
31. Mai Mit dem „Gesetz über        eingliederung des von Litauen        punkt des Zweiten Weltkrieges.
Einziehung von Erzeugnissen ent-    annektierten Gebiets ins Deutsche
arteter Kunst“ schafft sich das     Reich im März 1939.
NS-Regime eine rechtliche Grund-                                         1943
lage, die als „entartet“ be-        August Die Hamburger Kunsthis-
schlagnahmten Werke zu verkaufen.   torikerin. Freundin und Unter-       Sommer Pechstein lagert 3500
                                    stützerin Schmidt-Rottluffs Rosa     künstlerische Arbeiten ins
15. Juni Suizid Kirchners in        Schapire flüchtet nach London.       Schloss Moritzburg bei Dresden
Frauenkirch bei Davos, Schweiz.                                          aus, die seitdem verschollen sind.
                                    1. September Beginn des Zwei-
August–Ende Die Kunsthändler        ten Weltkriegs. Pechstein erlebt     23./24. August Schmidt-Rottluffs
Bernhard A. Böhmer, Karl Buch-      den Kriegsausbruch auf der See-      Wohnung und Atelier in der Bam-
holz, Hildebrand Gurlitt und        rückreise von seinem Urlaubsort      berger Straße 19 in Berlin werden
Ferdinand Möller werden zum Ver-    Nidden nach Stettin.                 bei einem Bombenangriff komplett
kauf der im Rahmen der „Entartete                                        zerstört. Anschließende Umsied-
Kunst“-Kampagne beschlagnahmten                                          lung in sein Elternhaus nach
Arbeiten autorisiert. Ziel ist      1940                                 Rottluff nahe Chemnitz.
der Verkauf ins Ausland und die
Einnahme von Devisen, jedoch be-    Frühjahr Wie auch 1941 hält sich     22./23. November Bei einem be-
halten sie etliche Werke in ihrem   Schmidt-Rottluff bei der Samm-       sonders schweren Bombenangriff
Besitz.                             lerin und Kunsthändlerin Hanna       auf Berlin wird Pechsteins Ate-
                                    Bekker vom Rath im Taunus auf.       lier in der Kurfürstenstraße 126
9./10. November Novemberpogrome                                          stark beschädigt.
im gesamten Land. Dabei handelt
es sich um vom NS-Regime organi-    1941
sierte und gelenkte Gewaltmaßnah-                                        1944
men gegen jüdische Bürger*innen.    3. April Schmidt-Rottluff erhält
Synagogen, jüdische Geschäfte,      von der Reichskammer der bilden-     30. Januar Atelier und Wohnung
Friedhöfe und Wohnungen werden      den Künste Berufsverbot. Pechstein   Heckels in der Emser Straße in

                                                                                                            5
Berlin brennen aus, zahlreiche        3. Juli Der Kulturbund zur demo-       (UNO) wird in London eröffnet.
Werke werden vernichtet.              kratischen Erneuerung Deutsch-         Februar–April: Pechstein-Ausstel-
                                      lands wird als zonenübergreifende      lung in Berlin; erste Station im
Februar Bombenschäden nun auch        Organisation in Berlin gegründet.      Admiralspalast in der Friedrich-
in Pechsteins Wohnung. Im März        Pechstein wird Mitglied im zent-       straße, zweite Station im Be-
folgt seine Übersiedlung nach         ralen Arbeitsausschuss in Berlin,      zirksamt Wedding.
Pommern.                              Schmidt-Rottluff übernimmt den
                                      Vorsitz der Chemnitzer Ortsgruppe.     3.–17. August Der Galerist Fer-
Mai Heckel übersiedelt an den                                                dinand Möller zeigt gemeinsam mit
Bodensee. Die Reichskammer der        11. Juli Der Alliierte Kontroll-       dem Volksbildungsamt Neuruppin
bildenden Künste unterstützt den      rat zur Regelung des öffentlichen      die Ausstellung Freie Deutsche
Künstler durch eine Bescheinigung     Lebens in der Vier-Sektoren-Stadt      Kunst in Fortführung seiner bis-
bei der Wohnungssuche.                Berlin wird eingesetzt.                herigen Förderung der nationalen
                                                                             Stilentwicklung.
6. Juni D-Day, Landung der            21. Juli–August 1. Ausstellung
alliierten Truppen in der Normandie   der Kammer der Kunstschaffenden.       25. August–31. Oktober Allge-
in Frankreich.                        Werke der Brücke-Künstler werden       meine Deutsche Kunstausstellung,
                                      in einem Raum als zusammengehörig      Stadthalle Nordplatz, Dresden,
August Das Ehepaar Pechstein          präsentiert.                           mit einem zonenübergreifen-
wird zum Arbeitseinsatz am Pom-                                              den Überblick über das aktuelle
mernwall, durch den das Vorrücken     Anfang August Die Alliierten           künstlerische Schaffen.
der Roten Armee aufgehalten           rufen in Nürnberg einen Inter-
werden soll, zwangsverpflichtet.      nationalen Militärgerichtshof          6. September–13. Oktober Aus-
                                      für die Verurteilung von Kriegs-       stellung Karl Schmidt-Rottluff.
                                      verbrechen, Verbrechen gegen           50 Aquarelle aus den Jahren 1943–
1945                                  die Menschlichkeit und gegen den       1946, Städtische Kunstsammlung zu
                                      Frieden ins Leben.                     Chemnitz, Schlossberg-Museum.
8./9. Mai Kapitulation der Wehr-
macht, Ende des Zweiten Weltkrie-     2. August–9. September Ausstel-        Herbst Beginn der Fragebogen-
ges. Schmidt-Rottluff kann aus        lung junger Kunst, Galerie Gerd        aktion zum Werden und Wirken der
einem benachbarten Keller in          Rosen, Berlin. Die Brücke-Künstler     Künstlergruppe Brücke von 1905
sein Elternhaus zurückkehren.         werden gemeinsam mit anderen Ex-       bis 1913 von den Kunsthistorikern
Er berichtet von Plünderungen.        pressionisten undifferenziert als      Christian Töwe und Hans Wentzel.
                                      Opfer der NS-Regierung stilisiert.
15. Mai Erste Ausgabe der                                                    8. Oktober Ermächtigung der So-
Täglichen Rundschau, der ersten       1. Oktober Karl Hofer,                 wjetischen Militäradministration
deutschsprachigen Zeitung nach        neuer Direktor der Hochschule für      in Deutschland (SMAD) zur Ermitt-
Kriegsende.                           bildende Künste in Berlin, bietet      lung und Rückgabe von Werken aus
                                      Pechstein eine Lehrtätigkeit an.       der NS-Kampagne „Entartete Kunst“
5. Juni Mit der Berliner                                                     auf dem Gebiet der Sowjetischen
Erklärung „in Anbetracht der          November Ernennung Schmidt-            Besatzungszone (SBZ).
Niederlage“ übernehmen die            Rottluffs zum Ehrenbürger von
vier Siegermächte die obers-          Chemnitz sowie Wiederaufnahme als      20. November Schmidt-Rottluff
te Regierungsgewalt. Sie teilen       Mitglied in die Akademie der Künste.   kehrt nach Berlin zurück.
Deutschland in vier Besatzungszo-
nen, Berlin in vier Sektoren.         20. November Beginn der ersten         21. Dezember–Januar
                                      Nürnberger Prozesse am Interna-        Ausstellung Wiedersehen mit
Sommer Ein intensiver schriftli-      tionalen Militärgerichtshof.           Museumsgut, Schlossmuseum
cher Austausch der Brücke-Künst-                                             Berlin. Werke der zuvor verfemten
ler mit Sammler*innen und Kol-        Dezember Zusage Schmidt-               Brücke-Künstler werden mit
leg*innen über das Schicksal          Rottluffs an Hofer bezüglich der       dem Ziel ihrer Rehabilitierung
gemeinsamer Freund*innen und den      Übernahme eines Lehramtes an           gezeigt.
Verbleib von Werken beginnt.          der Hochschule für bildende Künste
                                      in Berlin.
6. Juni–November Die von der                                                 1947
sowjetischen Stadtkommandantur
in Berlin eingerichtete Kammer        1946                                   10. Februar Unterzeichnung der
der Kunstschaffenden steuert und                                             Friedensverträge zwischen den
kontrolliert den Wiederaufbau der     10. Januar Die erste Vollver-          Siegermächten und Deutschlands
Kunst- und Kulturszene.               sammlung der Vereinten Nationen        europäischen Kriegsverbündeten

                                                                                                                6
Bulgarien, Finnland, Italien,
Rumänien und Ungarn in Paris.        Der Expressionis-                              den Expressionismus als deutsche
                                                                                    Bewegung von anderen europäischen

1947 Beginn der Erwerbungen für      musstreit                                      Kunsttendenzen abzugrenzen. Nach
                                                                                    1933 setzte sich Fechter enga-
eine Galerie des 20. Jahrhunderts                                                   giert für den Expressionismus
in Berlin durch Ludwig Justi und                                                    als offizielle Kunstform im Staat
Adolf Jannasch.                      Der Expressionismus eignete sich aus na-       ein. Er führte als Beispiel das
                                     tional-konservativer Sicht als Gegenmodell     faschistische Italien an, in dem
März Kurt Reutti vom Berliner        zum französisch inspirierten Impressionis-     die Futuristen offizielle Anerken-
Magistrat stellt in den folgen-      mus: Seine Befürworter*innen betonten          nung genossen.
den Monaten circa 1.300 Werke der    die Verbindungen zur Kunst der deutschen
„Entarteten Kunst“-Kampagne aus      Gotik und Romantik. Deshalb hofften            2  Ludwig Thormaehlen, Bildnis Erich
dem Nachlass Bernhard A. Böhmers     die Brücke-Mitglieder zunächst, ihre Werke     Heckel, 1924, Bronze, Brücke-Museum,
in Güstrow und bei Ferdinand Möl-    würden im NS-Regime auf Zustimmung             1966 Schenkung von Erich Heckel
ler in Zermützel sicher.             treffen. Auch durch ihre Mitgliedschaft in     Der Nationalgalerie-Kustos Ludwig
                                     der im Herbst 1933 vom Propagandaminis-        Thormaehlen, selbst als Bild-
5. Juni Der US-amerikanische         terium der NSDAP (Nationalsozialistische       hauer tätig und seit Jahrzehn-
Außenminister George C. Marshall     Deutsche Arbeiter Partei) neu gegründe-        ten ein guter Bekannter Heckels,
präsentiert das European Recove-     ten Reichskammer der bildenden Künste          organisierte 1932 die große
ry Program. Der sogenannte Mar-      sahen sich Heckel, Nolde, Pechstein            Auslandsausstellung Neuere Deut-
shall-Plan soll die Verbreitung      und Schmidt-Rottluff als Künstler zunächst     sche Kunst. Diese stellte unter
des Kommunismus verhindern und       noch akzeptiert.                               anderem in Oslo, Kopenhagen und
Europa einer einheitlichen Wirt-                                                    Bergen die deutsche Gegenwarts-
schaftsordnung zuführen. Unter       Bereits im Sommer 1933 war in der Kunst-       kunst vor und sorgte in Berlin
Druck der UdSSR nehmen die ost-      öffentlichkeit eine erhitzte Debatte           für heftige Debatten. Mit der
europäischen Länder nicht teil.      über die Rolle des Expressionismus aus-        Schau wollte er einen repräsen-
                                     getragen worden, die den Richtungs-            tativen Einblick in die aktuelle
                                     streit innerhalb der NSDAP widerspiegelt:      Kunst Deutschlands geben, zeigte
1948                                 Dabei ging es auch um die Position             aber letztlich eine Auswahl, die
                                     von Brücke-Künstlern wie Nolde, Heckel         beispielsweise absichtlich auf
21. Juni Die D-Mark wird in          oder Schmidt-Rottluff im neuen Staat.          Werke des deutschen Impressio-
West-Deutschland eingeführt.         Der Richtungsstreit drehte sich um die         nisten Max Liebermann verzichte-
Herbst: Schmidt-Rottluff besucht     Frage, ob ein „nordischer“ Expressionis-       te. Für den national-konservativ
seine Schülerin Erika Bausch         mus die nationalsozialistische Ideologie       eingestellten Thormaehlen war
von Hornstein in Neu Kaliß, wo       besser repräsentieren könne als das            Liebermann Teil einer einfluss-
60 seiner Aquarelle ausgelagert      reaktionär-völkische Kunstideal, das aka-      reichen Kunstszene, die er als
waren. Er malt vor Ort zahlreiche    demisch-naturalistisch geprägt war. In         „jüdisch dominiert“ wahrnahm und
neue Aquarelle mit Motiven der       Reaktion auf nationalsozialistische Unter-     die nicht mit seiner Vorstellung
demontierten Fabrik und Umgebung.    stützer*innen der gemäßigten Moderne           einer nationalen Gegenwartskunst
                                     positionierten sich die Gegner*innen oft       zu vereinbaren war. Protestreak-
                                     besonders lautstark. Insbesondere Alfred       tionen zahlreicher Künstler*innen
1949                                 Rosenberg, Gründer des Kampfbundes             folgten prompt, auch die liberale
                                     für deutsche Kultur und Chefideologe der       Presse empörte sich über die Wan-
24. Juni 1948–12. Mai 1949           NSDAP, wetterte gegen jene in den eige-        derausstellung. Die Schau bildete
Berlin Blockade: Wenige Tage         nen Reihen, die die Moderne unterstützen.      den Auftakt für den Richtungs-
nach der Währungsreform in der                                                      streit um die deutsche Kunst, der
westlichen Besatzungszone sperren    1933 war der Ausgang dieses „Expressio-        im Sommer 1933 fortgesetzt wurde.
sowjetische Truppen alle Zufahrts-   nismusstreits“, der bis ins Jahr 1937
wege nach West-Berlin ab, die        ausgefochten wurde, noch unklar. Selbst        3  Otto Andreas Schreiber, „Vorwort“, in:
Gas- und Stromversorgung wird von    während der Laufzeit der Ausstellung           30 Deutsche Künstler, Ausst.-Kat.,
ihnen ebenfalls eingeschränkt.       Entartete Kunst hatte er noch nicht zu einer   Galerie Ferdinand Möller, Berlin, Juli 1933,
                                     klaren offiziellen Haltung gegenüber ein-      bpk / Zentralarchiv, SMB
8. Mai Gründung der Bundesrepu-      zelnen Künstler*innen und Werken geführt.      Die Ausstellung 30 Deutsche
blik Deutschland und Annahme des                                                    Künstler wurde im Juli 1933 vom
Grundgesetztes.                                                                     Nationalsozialistischen Deutschen
                                     1  Paul Fechter, Der Expressionismus,          Studentenbund in der Galerie
7. Oktober Gründung der              München 1914, Umschlag                         Ferdinand Möller in Berlin veran-
Deutschen Demokratischen Republik    Das Buch Der Expressionismus                   staltet. Werke der Brücke-Künst-
auf dem Gebiet der Sowjetischen      des Kunstschriftstellers Paul                  ler wurden Werke junger unbekann-
Besatzungszone.                      Fechter von 1914 trug dazu bei,                terer Künstler gegenübergestellt,

                                                                                                                               7
um Entwicklungslinien hin zu                  Der Präsident der Preußischen Akademie      als Vorbild für aufstrebende
einer nationalsozialistischen                 der Künste, Max von Schillings, an          nationalsozialistische Künst-
Moderne aufzuzeigen. Die Ausstel-             Karl Schmidt-Rottluff, 15.5.1933; Karl      ler*innen eignete. Zum Kreis der
lung wurde zunächst auf Befehl                Schmidt-Rottluff an dens., 18.5.1933,       Beitragenden gehörte auch der
von Innenminister Wilhelm Frick               Abschriften, Akademie der Künste, Berlin,   Kunsthistoriker Werner Haftmann,
verboten. Rund zwei Wochen später             Historisches Archiv, PrAdK, I/284, Bl. 86   der nach dem Zweiten Weltkrieg,
konnte sie mithilfe des Künstlers                                                         unter anderem als erster Direktor
und Mitarbeiters des Propagan-                Im Mai 1933 legte die Akade-                der Neuen Nationalgalerie, die
daministeriums, Hans Weidemann,               mie den zwei Jahre zuvor auf-               Kanonisierung der Brücke-Kunst
wiedereröffnen, allerdings unter              genommenen Künstlern Kirchner,              maßgeblich vorantrieb. Die Zeit-
der Bedingung, dass der NSD-Stu-              Schmidt-Rottluff und Nolde den              schrift wurde im Februar 1935 auf
dentenbund nicht mehr als offizi-             Austritt nahe. Schmidt-Rottluff             politischen Druck Rosenbergs hin
eller Veranstalter genannt wurde.             folgte der Aufforderung, Nolde und          eingestellt.
                                              Kirchner weigerten sich erfolg-
4  Ludwig Hohlwein, Der Deutsche Stu-         reich. Kirchner erklärte in einem           9 „Aufruf der Kulturschaffenden“, in: Völki-
dent kämpft für Führer und Volk, Plakat, um   ausführlichen Antwortschreiben              scher Beobachter (Berliner Ausgabe), Nr.
1933, bpk / Kunstbibliothek, SMB              seine eigene Pionierstellung                230, 18.8.1934, S. 10, bpk / Staatsbibliothek
Der Nationalsozialistische Stu-               „für eine neue starke und echte             zu Berlin – SPK, Zeitungsabteilung
dentenbund war eine Unterorgani-              deutsche Kunst“. Er wurde erst              Heckel und Nolde erklärten sich
sation der NSDAP. Sie wurde                   im Sommer 1937 ausgeschlossen,              Mitte August bereit, den von
1926 gegründet und sollte die                 wie auch Pechstein. Nolde konnte            einem Mitarbeiter von Goebbels
nationalsozialistische Ideologie              seinen Ausschluss durch eine                formulierten „Aufruf der Kultur-
innerhalb der Studentenschaft                 überzeugende Stellungnahme, in              schaffenden“ zur Bestätigung
verbreiten.                                   der er unter anderem auf seine              Hitlers als Staatsoberhaupt zu
                                              Parteimitgliedschaft verwies,               unterzeichnen. Diese Loyalitäts-
5    Alfred Rosenberg, „Revolution in der     verhindern.                                 bekundung wurde unter anderem am
bildenden Kunst“, in: Völkischer Beob-                                                    18. August 1934 im Völkischen
achter (Norddeutsche Ausgabe), Nr. 188,       7  Organigramme der Reichskulturkam-        Beobachter abgedruckt.
7.7.1933, S. 7, bpk / Staatsbibliothek zu     mer und der Reichskunstkammer, aus:
Berlin – SPK, Zeitungsabteilung               Handbuch der Reichskulturkammer, hg.        10 Max Pechstein, Das Symbol der Arbeit
Bereits 1928 gründete Alfred Ro-              von Hans Hinkel, Berlin 1937.               (Kraft durch Freude), Wettbewerbsentwurf
senberg als einer der führenden               Die Zentralverwaltung der Reichs-           für das Propagandaministerium, 1934,
Ideologen der NSDAP den antise-               kulturkammer befand sich in                 Verbleib unbekannt, bpk / Kunstbibliothek,
mitisch ausgerichteten Kampfbund              Berlin und war über sieben Ein-             SMB
für deutsche Kultur, der sich die             zelkammern sowie deren jeweilige            Pechstein beteiligte sich mit
Prägung des deutschen Kulturle-               Referate organisiert. Ab Septem-            diesem Wandmalereientwurf an
bens nach völkischen Vorstellun-              ber 1933 war die Mitgliedschaft             einem Wettbewerb, der von der
gen – gerade auch innerhalb der               in der Reichskammer der Bildenden           NS-Organisation Kraft durch
NSDAP – zum Ziel gesetzt hatte.               Künste Voraussetzung, um öffent-            Freude ausgerufen worden war.
Als erklärter Feind der Moderne               lich ausstellen zu können. Eine             Die Realisierung hätte lebensgroße
beschrieb Rosenberg im Juli 1933              verweigerte Aufnahme oder der               Figuren vorgesehen, die origi-
die Kontroverse um den Expres-                Ausschluss kam einem Berufsver-             nalen Maßangaben für das Wand-
sionismus als „temperamentvolle               bot gleich. Die Reichskammer der            bild lauteten 2,50 × 2,00 Meter.
Auseinandersetzung“ innerhalb                 bildenden Künste wurde zunächst             Auch das Motto Kraft durch Freude
der eigenen Reihen. Rosenberg war             von dem Architekten Eugen Hönig             – mit dem darunter prangenden Ha-
während des Zweiten Weltkrieges               geleitet, ab Ende 1936 stand ihr            kenkreuz – und der Untertitel des
als Reichsleiter einer der zent-              der Maler Adolf Ziegler bis Jah-            Entwurfs Das Symbol der Arbeit
ralen Raubkunstorganisationen in              resende 1943 vor.                           sind mit dem Auftrag zu erklären.
den besetzten Gebieten im Westen                                                          Das Bild scheint konform mit dem
und Osten eingesetzt. Er ließ                 8   Kunst der Nation, 1. November 1933,     Kunstideal des Nationalsozialismus;
dort Kulturgüter, insbesondere                Titelblatt                                  gleichzeitig erinnert die
von jüdischen Besitzer*innen be-              Die Gründung der pro-modernen               Darstellung der Figuren stark
schlagnahmen und zum Nutzen des               Zeitschrift Kunst der Nation                an Pechsteins Glasfensterent-
Reiches weiter „verwerten“.                   im November 1933 versuchte, den             würfe der späten 1920er-Jahre.
                                              „nordischen“ Expressionismus                Nach Veröffentlichung der Sie-
6  Ernst Ludwig Kirchner an den Präsi-        ideologisch und historisch im               gerentwürfe in Kunst der Nation
denten der Preußischen Akademie der           neuen Staat zu verankern.                   war Pechstein enttäuscht, dass er
Künste, Max von Schillings, 17.5.1933,        In zahlreichen Artikeln legten              nicht unter den Preisträgern war.
Akademie der Künste, Berlin, Historisches     die meist jungen Autoren dar,
Archiv, PrAdK, Nr. 1102, Bl. 66–67            warum der Expressionismus sich

                                                                                                                                     8
Die Kunst-                                       und viele Anrufe zeigen eine erfreuliche
                                                 Zustimmung.“ Auch die Presse äußerte sich
                                                                                               dinand Möller im April 1934 als
                                                                                               Heide am Watt.

öffentlichkeit                                   positiv. In einer Rezension hieß es lobend:
                                                 „Heckel hat sich allmählich immer weiter      7  Erich Heckel, Brücke in Limburg, 1933,

bis 1937                                         von der mehr oder weniger revolutionären
                                                 jugendlichen ‚Brücke‘ entfernt und ist dem
                                                                                               Aquarell über Bleistift, Brücke-Museum,
                                                                                               1970 Schenkung vom Künstler
                                                 rechten Flügel, wo die Akademiker sitzen,     Eventuell ausgestellt bei Fer-
                                                 näher gekommen.“ Der Präsentation folgten     dinand Möller im April 1934 als
Auch nach 1933 fanden noch Ausstellun-           1935 weitere Einzelausstellungen in Krefeld   Limburg a. d. Lahn.
gen moderner Kunst statt, ihre Anzahl war        und Hannover, die Heckel als „Maler deut-
mit dem regen zeitgenössischen Kunstle-          scher Landschaften“ vorstellten.              8  Karl Schmidt-Rottluff, Angler auf
ben in der Weimarer Republik jedoch kaum                                                       der Brücke, 1934, Aquarell und Tusche,
noch zu vergleichen. Von besonderer                                                            Brücke-Museum, 1975 Schenkung vom
Bedeutung für die ehemaligen Brücke-Maler                                                      Künstler
waren die Berliner Galerien von Ferdi-           1  Max Pechstein, Kutter zur Reparatur,       Ausgestellt im Frühling 1935 im
nand Möller, Karl Buchholz, Karl und Josef       1933, Öl auf Leinwand, Privatbesitz           Ausstellungsraum Karl Buchholz
Nierendorf sowie Otto von der Heyde.             Das Gemälde war im April 1934 im
Viele andere Kunsthändler*innen, die             Rahmen einer Präsentation von 41              9  Karl Schmidt-Rottluff, Seerosen II, 1934,
sich vor 1933 für die Moderne eingesetzt         Werken Pechsteins in der Berli-               Aquarell und Tusche, Brücke-Museum,
hatten, waren dagegen zum Rückzug aus            ner Galerie von der Heyde aus-                1973 Schenkung vom Künstler
der Öffentlichkeit gezwungen – zahlreiche        gestellt. Im April 1936 folgte                Ausgestellt im Frühling 1935 im
emigrierten ins Ausland.                         bei von der Heyde eine weitere                Ausstellungsraum Karl Buchholz
                                                 Einzelschau des Künstlers mit 40
In Galerien und Kunstvereinen wurden             Aquarellen sowie mehreren Zeich-
nach 1933 in erster Linie Landschaften und       nungen.
Stillleben der Brücke-Maler gezeigt.                                                           Karl Schmidt-Rottluff bei
Diese meist aktuelleren Werke, die sich eng      2  Erich Heckel, Schneeschmelze
 an der Natur orientierten, waren kaum           im Erzgebirge, 1931, Öl auf Leinwand,
                                                                                               Karl Buchholz, Berlin,
noch mit dem Begriff des Expressionismus         Brücke-Museum, 1966 Schenkung vom             1935
zu beschreiben. Kirchner kommentierte            Künstler
im Sommer 1933: „Drüben werden jetzt             Ausgestellt sowohl bei Ferdinand
häufig Ausstellungen moderner Malerei ge-        Möller im Frühjahr 1934 als auch              Im März und April 1935 fand im Aus-
macht, um die Hitlerianer dazu zu bekeh-         in der Schau Das Bild der Land-               stellungsraum Karl Buchholz eine Aqua-
ren, mit negativem Erfolg, trotzdem man          schaft in der Hamburger Kunsthal-             rell-Ausstellung von Schmidt-Rottluff mit
das zahmste aussucht, nur kleine Gelegen-        le im Herbst 1934.                            35 Blättern statt. Es erschienen mehrere
heitslandschaften z. B. von mir. Ach                                                           positive Rezensionen, so lobte das Berliner
es ist ein Jammer“. Zwar erhielten viele der     3   Erich Heckel, Annweiler, 1933, Tempe-     Tageblatt die Ausstellung als „Erfrischung“
Präsentationen positive Besprechungen            ra auf Leinwand, Brücke-Museum, 1966          und verwies auf frühere Kritiken zur
in der Presse, zeitgleich polemisierten          Schenkung von Karl Schmidt-Rottluff           Wanderausstellung Neuere Deutsche Kunst
NS-Zeitschriften wie das Schwarze Korps          Ausgestellt bei Ferdinand Möller              von 1932. Schon damals seien „die starke
oder der Völkische Beobachter jedoch             im April 1934                                 Persönlichkeit, die felsharte Form, die aus-
weiterhin gegen die moderne Kunst und                                                          drucksstarke Farbe“ positiv hervorgehoben
ihr Netzwerk.                                    4  Erich Heckel, Pfalz-Landschaft, 1933,      worden – Zuschreibungen, die nach 1933 die
                                                 Aquarell, Brücke-Museum, 1970 Schen-          Eignung seiner Kunst für die nationalsozia-
                                                 kung von Siddi Heckel                         listische Bewegung bezeugen sollten.
                                                 Eventuell ausgestellt bei Fer-
Erich Heckel in der Ga-                          dinand Möller im April 1934 als
                                                 Pfälzer Landschaft.
lerie Ferdinand Möller,
Berlin, 1934                                     5  Erich Heckel, Frauen am Wasser, 1933,
                                                 Aquarell und Deckfarben, Brücke-Museum,
                                                 1966 Schenkung vom Künstler
Zwischen dem 28. April und dem 8. Juni           Eventuell ausgestellt bei Fer-
1934 fand in der Berliner Galerie Ferdinand      dinand Möller im April 1934 als
Möller eine Heckel-Ausstellung mit               Badende.
Werken der letzten drei Jahre statt, insgesamt
 wurden 21 Gemälde, 23 Aquarelle und             6  Erich Heckel, Dünen am Watt, 1933,
acht Druckgrafiken gezeigt. Der Künstler         Aquarell, Brücke-Museum, 1966 Schen-
bemerkte zufrieden: „Die Ausstellung bei         kung vom Künstler
Möller wurde am Sonnabend eröffnet,              Eventuell ausgestellt bei Fer-

                                                                                                                                          9
Figurendar-                                   Frühzeit gelöst hatte, wirft
                                              das dreiteilige Werk genau diese       Deutschlandbilder
stellungen der                                Frage auf.

1930er-Jahre                                  Wie Pechsteins Entwurf für das
                                              Wandgemälde Das Symbol der
                                                                                     Ab 1937 schufen Heckel und Schmidt-Rott-
                                                                                     luff Landschafts-und Ortsdarstellungen,
                                              Arbeit wies auch Heckels Trip-         die durchaus dem im Nationalsozialismus
                                              tychon motivische und stilisti-        propagierten romantisierenden Deutsch-
Besonders die Figurenbilder und Porträts      sche Verbindungen zu Arbeiten der      landbild entsprachen. Menschenleer sind
der Expressionisten wurden von National-      Weimarer Zeit auf. Beispielsweise      bei Schmidt-Rottluff die Stadtansichten,
sozialisten stark angefeindet. Die formal     schuf Heckel 1928 einen Wand-          in ihrem Zentrum stehen romanische oder
reduzierte, teilweise von Objekten aus        bild-Entwurf für den Brunnenraum       gotische Bauten – wie der Limburger Dom
ethnologischen Museen inspirierte Kunst       des Museum Folkwang in Essen.          oder eine Kapelle im mittelalterlichen
der Brücke war nicht an einer naturalisti-    Das Thema hierfür – „Die jung-         Dinkelsbühl. Thematisch hätten diese An-
schen Abbildung oder Idealisierung            männliche Bewegung (Spiel und          knüpfungspunkte zu offiziell verbreiteten
interessiert. Um der Kritik eine möglichst    Sport)“ – hatte der damalige           Landschaftsidealen ermöglicht, doch hatte
geringe Angriffsfläche zu bieten, ersetzten   Direktor Ernst Gosebruch gelie-        Schmidt-Rottluff nach dem Sommer 1937
Museumsleiter ab 1933 etliche Figuren-        fert. Heckel griff das Thema im        nicht mehr die Möglichkeit, seine Werke
bilder aus ihren Sammlungspräsentationen      Jahr 1934 erneut auf. Durch Sujet      öffentlich zu präsentieren.
durch Landschaftsmalereien und Stillle-       und Art der Darstellung ergaben
ben derselben Künstler. Ein ‚gemäßigter‘      sich zahlreiche Schnittmengen,         Eher ungewöhnlich ist die Darstellung
Expressionismus, so die Hoffnung,             die ein solches Werk als zeitge-       einer Autobahnbrücke, die eine zeitge-
sollte die öffentliche Akzeptanz erhöhen.     mäße „deutsche“ Kunst im NS-Staat      nössische Errungenschaft zeigt. In seinen
Auch die Brücke-Künstler selbst reagie-       geeignet erschienen ließen. Im         Briefen erwähnt Schmidt-Rottluff begeis-
rten offenbar auf die veränderten Erwar-      Gegensatz zu Pechstein vermied         tert seine Autoreisen durch Deutschland.
tungshaltungen: Die Figurenbilder             Heckel aber eine explizite Visua-      Ihn inspirierten also nicht nur die histori-
der 1930er-Jahre erscheinen zunehmend         lisierung nationalsozialistischer      schen Bauwerke. Geplant worden waren
naturalistisch und zeigen eine Fortent-       Symbolik. Der Essener Industriel-      die neuen Autobahnen bereits vor 1933,
wicklung weg vom radikal vereinfachten        le und Kunstsammler Ernst Henke        wurden nun aber in der Propaganda als Er-
Stil der Brücke-Zeit, die bereits in den      hängte 1936 das Triptychon – zu-       rungenschaft des nationalsozialistischen
frühen Jahren der Weimarer Republik           sammen mit zahlreichen Gemälden        Regimes gefeiert.
eingesetzt hatte und nach 1933 vermutlich     Noldes und anderer Vertreter des
gerade auch durch die Expressionis-           Expressionismus – in seine Villa.
mus-Kontroverse verstärkt wurde. Nicht        Da er laut Ernst Gosebruch großes
zuletzt waren die Künstler darauf angewie-    Ansehen „bei der Partei“ genoss,
sen, ihre Werke öffentlich auszustellen und   gaben einige Künstler, wie Nolde,
Käufer*innen zu finden.                       gerne Leihgaben in seine Obhut,
                                              um sie so vor möglichen Beschlag-
                                              nahmungen zu schützen.
1   Max Pechstein, Junge mit Schneebällen
und drei Nelken, 1937 Öl auf Leinwand,        3   Erich Heckel, Zwei Brüder, 1937,
Privatbesitz                                  Tempera auf Leinwand, Nachlass
Pechsteins großes Hochformat                  Erich Heckel, Hemmenhofen
zeigt den elfjährigen Sohn des                Heckels Selbstporträt Zwei
Künstlers, mit kurzen Hosen und               Brüder thematisiert neben seinem
einem der Mode entsprechenden                 Künstlertum auch seine familiäre
Kurzhaarschnitt. Das Porträt                  Situation: Das Werk zeigt den
wirkt im Vergleich zu seinen frü-             Maler mit einer früheren Arbeit
heren Bildnissen sehr naturalis-              zur linken und dem Bruder
tisch – es erinnert an den Stil               Manfred, der   im November starb,
der Neuen Sachlichkeit.                       auf dem Totenbett zur rechten.
                                              Im Anschluss schuf der Maler
2   Erich Heckel, Jungen am Strand, 1934,     einige Arbeiten in dessen Gedenken.
Triptychon, Tempera auf Leinwand,
Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen
Wie vereinbar war die Moderne mit
den Kunstvorstellungen der Na-
tionalsozialisten? Obgleich sich
Heckel bereits seit Langem von
seinem Stil der expressionistischen

                                                                                                                              10
Frühe Verfemung                                 Holzskulpturen. Figürliche, von
                                                außereuropäischen Objekten in
                                                                                               Emy Schmidt-Rottluff, der Frau
                                                                                               des Malers.
                                                ethnologischen Museen inspirier-
                                                te Darstellungen, wie Badende                  6   Paul Schultze-Naumburg, Kampf um
Schon in den späten Jahren der Weimarer         mit Tuch, wurden sowohl aufgrund               die Kunst (Nationalsozialistische Biblio-
Republik kritisierten völkisch-reaktionäre      ihrer nicht-naturalistischen                   thek, H. 36), München 1932, S. 10.
Aktivisten die Kunst der Brücke, insbeson-      Form als auch wegen der vermeint-              Kampf um die Kunst war Titel
dere ihre Menschendarstellungen.                lich unsittlichen Darstellung zur              einer Vorlesung, mit der Paul
Einer von ihnen war der Architekt, Kultur-      Zielscheibe der gegen die Moderne              Schultze-Naumburg im Auftrag des
reformer und Rassenideologe Paul                gerichteten Argumentationen aus                Kampfbundes für deutsche Kul-
Schultze-Naumburg, der den Expressio-           dem reaktionär-völkischen Lager.               tur im Jahr 1931 in verschiede-
nismus mit Begriffen der „Artfremdheit“         Aus heutiger Sicht muten die auf               nen deutschen Städten gastierte.
und „Entartung“ abwertete. Bereits 1928         der Rassenideologie basierenden                Seine Ausführungen zielten dar-
stellte er in seinem Buch Kunst und Rasse       kunsttheoretischen Interpretatio-              auf ab, die moderne Kunst durch
den Porträts Schmidt-Rottluffs Fotos von        nen absurd an, damals wurden sie               Gegenüberstellungen kanonischer
Menschen mit Behinderung gegenüber.             in hoher Auflage verbreitet.                   Kunstwerke der späten Gotik oder
                                                                                               der deutschen Renaissance zu
Die Angriffe aus dem reaktionären Lager         3  Karl Schmidt-Rottluff, Grünroter Kopf,      diffamieren. Als Bildbeispiele
galten auch der Ankaufspolitik der Kunst-       1917, Erlenholz, rot und grün getönt,          dienten ihm auch hier – wie zuvor
museen. Es wurden damals so bezeich-            Brücke-Museum, 1971 Schenkung vom              schon in Kunst und Rasse – die
nete „Säuberungen“ der Sammlungen               Künstler                                       Porträts von Schmidt-Rottluff.
gefordert, mit denen die Aussortierung          Während seiner Stationierung in                Abgebildet ist auf dieser Seite
und Zensur moderner Kunstwerke aus den          Litauen schuf Schmidt-Rottluff                 das Gemälde Emy, ein Bildnis der
Museen gemeint war. Die Organisation            eine große Anzahl von Skulptu-                 Ehefrau des Künstlers.
regionaler, sogenannter „Schandausstellun-      ren, wie beispielsweise Grünro-
gen“ verlieh dieser Forderung Nachdruck.        ter Kopf. Das Holz dafür sammelte              7  Wolfgang Willrich, “Beispiele von drei
In ihnen sollten geringgeschätzte Werke         er vor Ort. Solche und ähnliche                Entarteten: Heckel / Schmidt-Rottluff /
moderner Kunst als Beispiele des „kulturellen   Holzplastiken wurden vom reaktio-              Nolde”, 1933, bpk / Zentralarchiv, SMB
Verfalls“ vorgeführt werden. Durch sie          när-völkischen Lager als „neg-                 Der Maler und reaktionär gesinn-
verschärfte sich auch der Ton in der öffent-    roid“ verhöhnt; auch, weil die                 te Kunstaktivist Wolfgang Will-
lichen Kunstdebatte. Die Diffamierungen         Aneignung der als fremd wahr-                  rich prangerte auf diesem Blatt
in den frühen Jahren der NS-Zeit bereiteten     genommenen Formensprache nicht                 von 1933 die teils noch unter dem
den Boden für die Durchführung der              ihrem Selbstverständnis einer ge-              NS-Regime erfolgte Anerkennung
Ausstellung Entartete Kunst von 1937.           nuin „deutschen“ Kunst entsprach.              der drei Maler Heckel, Nolde und
                                                                                               Schmidt-Rottluff an. Die Zu-
                                                4   Paul Schultze-Naumburg, Kunst und          sammenstellung trug bereits die
1   Paul Schultze-Naumburg, Kampf um            Rasse, Berlin 1935 (1. Aufl. 1928),            Grundzüge der Collagen, die er
die Kunst (Nationalsozialistische Biblio-       S. 106–107.                                    Anfang des Jahres 1937 in seinem
thek, H. 36), München 1932, S. 40–41.           Auch auf dieser Seite wird die                 Buch Säuberung des Kunsttempels
Kampf um die Kunst erschien 1931                Verknüpfung von Kunst- und Ras-                veröffentlichte.
als 36. Heft in der Reihe Natio-                senideologie deutlich: Porträts
nalsozialistische Bibliothek im                 von Schmidt-Rottluff und Modi-
Münchner NSDAP-Verlag und war mit               gliani stellt Schultze-Naumburg
einem Preis von einer Mark güns-                Fotos von Menschen mit körper-
tig erhältlich. Der Vorwurf der                 lichen Fehlbildungen gegenüber.
Nachahmung mischt sich hier mit                 Oben links ist der Holzschnitt
der rassenideologisch begründeten               Selbstbildnis aus dem Jahr 1919
Ablehnung gegenüber Objekten                    abgebildet
außereuropäischer Kulturen, die
als nicht gleichwertig verun-                   5  Karl Schmidt-Rottluff, Bildnis Emy, 1919,
glimpft wurden.                                 Holzschnitt, Brücke-Museum, Vermächtnis
                                                von Rosa Schapire an die Galerie des 20.
2  Erich Heckel, Badende mit Tuch, 1913,        Jahrhunderts, 1967 an das Brücke-Museum
Ahorn, Brücke-Museum, 1986 erworben             überwiesen
von Charlotte Specht, geb. Sauerlandt aus       Schultze-Naumburg suchte in sei-
Mitteln des Nachlasses Martha Lemke             nem Pamphlet Kampf um die Kunst
Schultze-Naumburg instru-                       unter anderem das Gemälde Emy
mentalisierte neben Werken                      zu diskreditieren. Der Holz-
von Schmidt-Rottluff wiederholt                 schnitt Bildnis Emy von 1919
Abbildungen von Heckels                         zeigt eine ähnliche Ansicht von

                                                                                                                                     11
Max Pechstein bei Die Ausstellung                                                                1   Wolfgang Willrich, Säuberung
                                                                                                 des Kunsttempels. Eine kulturpolitische

der Auto Union    Entartete Kunst,                                                               Kampfschrift zur Gesundung deutscher
                                                                                                 Kunst im Geiste nordischer Art,

AG, Chemnitz,     1937                                                                           München/Berlin 1937, S. 22, Collage
                                                                                                 mit Werken verschiedener Künstler, u. a.

Juni 1937                                                                                        von den ehemaligen Brücke Malern
                                                                                                 Max Pechstein, Emil Nolde, Ernst Ludwig
                                               Am 19. Juli 1937 eröffnete in München die         Kirchner und Otto Mueller
                                               Ausstellung Entartete Kunst. Ausgewählte          Die zu Beginn des Jahres 1937 er-
Angesichts der ungeklärten offiziellen         Gemälde und Skulpturen der Moderne                schienene Publikation Säuberung
Haltung gegenüber der modernen                 wurden hier chaotisch inszeniert und po-          des Kunsttempels von Wolfgang
Kunst ist es bemerkenswert, dass sowohl        lemisch kommentiert – Strategien, die             Willrich bildete eine der pseudo-
Schmidt-Rottluff als auch Pechstein in         darauf ausgelegt waren, Besucher*innen            wissenschaftlichen Grundlagen für
der ersten Jahreshälfte 1937 die Möglich-      zu manipulieren – denn für viele war es           die Kampagne „Entartete Kunst“.
keit zu Einzelausstellungen erhielten:         die erste Begegnung mit moderner Kunst            In seiner Eine kunstpolitische
Schmidt-Rottluff stellte Anfang des Jahres     überhaupt. Am Tag davor hatte Hitler              Kampfschrift zur Gesundung deut-
in der Galerie Karl Buchholz in Berlin aus;    das unter seiner Ägide neu erbaute Haus           scher Kunst im Geiste nordischer
Pechstein zeigte noch im Juni 1937 –           der Deutschen Kunst in München mit                Art, weitet Willrich den seit den
kurz vor Eröffnung der Ausstellung Entartete   der Großen Deutschen Kunstausstellung             1920er Jahren geführten Kampf
Kunst – in einer der sogenannten Fabrik-       eröffnet, in der ausschließlich Werke             gegen die „neue deutsche Kunst“
ausstellungen in der Chemnitzer Auto           nach seinem Geschmack zu sehen waren.             aus: Auf mehreren Collagen bildet
Union AG zwei Gemälde und 17 Aquarelle.        Das Nebeneinander beider Ausstellungen            er von ihm als „entartet“ be-
Fabrikausstellungen wurden in großer           schrieb das einfache Muster von „art-             zeichnete Werke ab und prangert
Anzahl seit 1934 durch die NS-Freizeit-        eigener“ und „entarteter“ Kunst fest. Hitler      in diesem Zusammenhang auch
organisation Kraft durch Freude realisiert.    konnte sich einer breiten Zustimmung              die Ankaufspolitik deutscher
Ihr Ausstellungsprogramm, in das auch          sicher sein; seit der Machtübernahme hatten       Museen an.
Werke der Brücke-Künstler mit einbezogen       sich Lokalpolitiker und Museumsleiter
wurden, zeugte vom Versuch, den Ge-            in verschiedenen Orten ereifert, mit der          2  Julien Bryan, Gang durch die
danken der „Erneuerungsbewegung“ des           Organisation sogenannter „Schreckens-             Ausstellung Entartete Kunst in München,
Nationalsozialismus durch eine gemäßigte       kammern“ in ihren Museen moderne Werke            1937 Film, s/w, ohne Ton, 2:26 Minuten
Moderne zu präsentieren.                        an den Pranger zu stellen. Die Ablehnung         © Framepool RS GmbH
                                               des Expressionismus begann jedoch                 Im Sommer 1937 reiste der US-
                                               nicht erst im Januar 1933, sondern beglei-        amerikanische Dokumentarfilmer
                                               tete diesen seit seiner Entstehung.               Julien Bryan sieben Wochen durch
                                                                                                 Deutschland, um im Auftrag von
                                               Auch das Schlagwort der „Entartung“               der US-Wochenschau March of Time
                                               hatte eine längere Vorgeschichte. Bereits         Aufnahmen von der Situation
                                               Ende des 19. Jahrhunderts verwendete              vor Ort zu machen. Obwohl das
                                               der Mitbegründer der Zionistischen                Propagandaministerium ihm stren-
                                               Weltorganisation, Max Nordau, in seiner           ge Auflagen gemacht hatte,
                                               Publikation Entartung den aus der Bio-            gelang ihm ein vielschichtiges
                                               logie stammenden Begriff, um die damals           Porträt des nationalsozialisti-
                                               moderne Kunst des Fin de Siècle herabzu-          schen Staates. Er filmte sowohl
                                               würdigen. In der Zeit der Weimarer Repu-          das Alltagsleben als auch Propa-
                                               blik – als vor allem die expressionistischen      gandaveranstaltungen wie
                                               Künstler*innen von Regierungsseite                den Nürnberger Reichsparteitag,
                                               unterstützt und Sammlungen moderner               machte aber auch auf den
                                               Kunst in vielen öffentlichen Institutionen auf-   Antisemitismus in Deutschland
                                               gebaut wurden  – verschärften sich die            aufmerksam. Von ihm stammen
                                               Angriffe aus reaktionären Kreisen, wie dem        die einzigen Filmaufnahmen aus
                                               Kampfbund für deutsche Kultur. Dessen             der Propagandaausstellung
                                               Gründer Alfred Rosenberg war schon früh           Entartete Kunst in München.
                                               führender Vertreter und Verbreiter der na-        Der Film zeigt einen längeren,
                                               tionalsozialistischen Gesinnung und wurde         unveröffentlichten Ausschnitt
                                               später als „Chefideologe“ Hitlers bekannt.        aus dem Rohmaterial Bryans.

                                                                                                                                       12
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