KEIN WOHIN OHNE WOHER - SCHWERPUNKT - DAS MAGAZIN DER - Bündnis 90 / Die Grünen
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2 | Jubiläum Editorial | 3 Das Magazin der Bundestagsfraktion 25 JAHRE „Lange ist sie her, die Zeit der profil:GRÜN G E M E I N S A M H A LT U N G Z E I G E N ZUSAMMEN Spontibewegung, der Frauenbuch- 25 Jahre Bündnis 90/Die Grünen – das ist das Thema dieser Aus- läden und lila Latzhosen. Schon gabe. Gefeiert haben wir das Jubiläum bereits im Mai. Wir blicken damals hat die Gründungsbewe- zurück auf den Startpunkt unserer gemeinsamen Geschichte. gung der Grünen den schönen Erstaunlich ist, wie viel wir aus dieser Zeit für die aktuellen Her- Am 14. Mai 1993 wurden wir in Leipzig zu einer Ausdruck vom vernetzten Denken ausforderungen in unserer Gesellschaft lernen können. Partei: das ostdeutsche Bündnis 90 und die geprägt. In Baden-Württemberg hat diese andere Art zu denken zu westdeutschen Grünen. Wir sind miteinander einer Politik des Gehörtwerdens Dass nach der Wende eine west- und eine ostdeutsche Partei gewachsen – und haben gemeinsam vieles geführt, mit der wir die Bürger- erfolgreich fusionierten, ist in der bundesdeutschen Parteienland- schaft einmalig. Die Voraussetzungen waren günstig. Es gab bewegt. Ein Blick zurück und nach vorn. gesellschaft und die Demokratie große inhaltliche Schnittmengen und ähnliche Erfahrungshorizon- stärken wollen. Diese neue Art te – mit der Teilhabe von Bündnis 90 an der friedlichen Revo der Beteiligungskultur, die wir lution und dem Engagement der Grünen in der 68er-Bewegung. vom Rand in die Mitte der Gesell- schaft getragen haben, sehe ich Daran erinnern im großen Zwiegespräch Marianne Birthler als eine der großen gemeinsamen G I S E LA E R L E R und Jürgen Trittin. Ich finde es wichtig, dass wir unsere Wurzeln Errungenschaften an.“ Staatsrätin für Zivil- profil-gruen64x64.indd 1 14.09.2018 10:53:23 kennen und unsere Geschichte erzählen. Das tun wir noch zu C LA U D I A R O T H gesellschaft und selten – mit dem Ergebnis, dass wir in Ostdeutschland häufig noch Vizepräsidentin des Bürgerbeteiligung im als westdeutsche Partei gesehen werden. Dabei sind wir bis heute Deutschen Staatsministerium die einzige Partei, die den Osten gewissermaßen im Namen trägt. Bundestages Baden-Württemberg „Getroffen haben sich westdeutsche Ökologen, Bei uns sind so viele Ostdeutsche in Spitzenfunktionen wie in Menschenrechtler, Frauenbewegte und Bürger- keiner anderen Partei. Die gemeinsame Geschichte zu erzählen, rechtler mit ostdeutschen Bürgerrechtlern, ist eine Aufgabe für die gesamte Partei. Und diese Ausgabe des Umweltschützern, Frauenrechtlern und Menschen- Magazins trägt dazu bei. rechtlern. Eigentlich sollte man denken, sie „Die Hartnäckigkeit der Mitglieder von Bündnis 90 waren füreinander geschaffen. Aber es war wohl Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – zwei Werte, für die wir 1989 hat uns gezwungen zuzuhören und die Gemein- eher eine Liebe auf den zweiten Blick. Ein Jahr im Osten gekämpft haben, werden heute massiv in Frage gestellt. „25 Jahre Bündnis 90 / Die Grünen – das ist samkeiten herauszuarbeiten, die größer waren, als Verhandlungen auf und um Augenhöhe, mit un- Uns alle haben die Bilder der Hetzjagden und des rechten Mobs in weder selbstverständlich noch war die es schien. Für uns war das eine Geduldsprobe. endlich vielen Missverständnissen, Irrtümern Chemnitz erschüttert. Hier wird deutlich, wie wichtig unsere Entstehung ein einfacher Prozess. Wir mögen Die Mitglieder von Bündnis 90 waren sicher über und Machtdemonstrationen. Ich habe von einer Rolle in Ostdeutschland ist. dieselbe Sprache gesprochen haben. Die unsere für sie eher rüden Umgangsformen entsetzt. Mitverhandlerin das Sams kennengelernt oder Bedeutung der Worte aber war gern auch Für mich als organisatorische Bundesgeschäfts- besser meine Kinder – und das Müttermanifest. Ans Herz legen möchte ich euch in diesem Zusammenhang das mal unterschiedlich. Und so mussten wir DR. DOROTHEA führerin ist in diesem Fusionsprozess sehr deutlich Andere haben Leidenschaft für osteuropäische Gespräch mit dem US-Politologen Daniel Ziblatt. Sein Bestseller uns streitbar kennen- und verstehen-, stellen- S TA I G E R geworden, welch hohes Gut die Menschenrechte Caféhauskultur entwickelt und verstanden, dass mit dem beängstigenden Titel „Wie Demokratien sterben“ ist ge- weise auch respektieren lernen in all un Büroleiterin der Senatorin und unsere Demokratie sind. Gerade in der heuti- ein 68er-Aufstand inklusive Wasserwerfern nicht rade auf Deutsch erschienen. Im Interview verrät er, wie wir un serer Vielfalt. Diese Fusion auf Augenhöhe, für Soziales, Jugend, gen Zeit ist es wieder außerordentlich wichtig, die einzige Geschichte dieser Zeit war, sondern sere Demokratie wirkungsvoll schützen können – und warum es dieser politische Neubeginn, hat uns stark Frauen, Integration und dass wir uns dieser Werte bewusst sind, sie leben eben auch die Panzer in Prag. Als Mitglied im gerade jetzt wichtig ist, neue Wege zu gehen. gemacht. Bis heute. Wenn das kein Grund ist, Sport der Freien Hanse- und für ihre Aufrechterhaltung kämpfen.“ Thüringer Landesvorstand von Bündnis 90 war ich gebührend zu feiern!“ stadt Bremen Teil der Verhandlungsgruppe. Und ich werde Lasst uns unsere Demokratie unnachgiebig verteidigen, Haltung nicht vergessen, wie ein Treffen bei mir zu Hause zeigen, die Rechten klar in ihre Schranken verweisen. Denn darin im Pfarrhaus in Ingersleben damit begann, dass sind wir Bündnisgrünen besonders gut. Fotos: Volker Schrank, J. Konrad Schmidt, Hermann Verbeek, Dominik Butzmann sich alle ihre Lebensgeschichten erzählten und in der Kirche endeten – es war ja ein Ort der Re Apropos neue Wege. In Bayern und Hessen stehen im Oktober „Das Zusammengehen von Grünen und Bündnis 90 wurde in volution, von Ermächtigung einer Minderheit und Wahlen an. Ich freue mich auf einen gut gelaunten, kantigen Hannover vorbereitet. Wir waren in der Niedersachsenhalle 2 und vor allem von Freiheit. Zwischendurch wurde Wahlkampf. Und ich bin mir sicher: Für uns wird das ein toller die Ostfraktion in der Glashalle – zwei parallel stattfindende gestritten über den Grundkonsens. Wir, die Ost- Herbst! Parteitage, zwei Welten. Die Idee der Bündnisleute war, nachdem deutschen friedlichen Revolutionäre wollten sie den Beschluss zum Zusammengehen gefasst hatten, mit ih- unbedingt, dass dort verankert wird: das Ende der Euer Michael rem Banner feierlich in die Niedersachsenhalle einzuziehen. Nur bewusst missverstehenden Unterstellung als sah ihr Banner noch eine andere Reihenfolge der Namen vor: Teil von Politik. Und wir haben gestritten über die Die Grünen / Bündnis 90 stand darauf – es konnte so nicht präsen- Frauenquote. Sie kam ins gemeinsame Programm tiert werden. Also habe ich es mit einem von ihnen mit auf die und es hat ein paar Wochen, bei hartnäckigen Bühne genommen und so gefaltet, dass nur Bündnis 90 übrigblieb. Fällen höchstens ein Jahr gedauert, bis klar war: R I C H A R D H E RT E N Mit Nadeln pinnten wir es an unser Bühnenbild – genau ober- Das war kein Kompromiss, das ist zentral für Inhaber von halb des Grünen-Schriftzuges. Damit war erstmals der heute noch K AT R I N gleichberechtigte Politik. Es sind Freundschaften Büro Grün Bühnentechnik, gültige Name zu lesen. Und das war schließlich das Foto, das GÖRING-ECKARDT entstanden aus Streitigkeiten, es ist Argwohn Zechow. Kümmert sich durch die Medien ging: das Zueinanderheften von zwei Namen, Vorsitzende der entstanden aus gemeinsamen Interessen, beides seit 1986 um die technische die Geburt einer neuen Partei.“ Bundestagsfraktion hat oft lange, manches bis heute gehalten.“ MICHAEL KELLNER Durchführung der BDK. Bündnis 90 / Die Grünen Politischer Geschäftsführer
„DAS MUSSTE ERSTMAL KRISELN“ ULRICH KHUON „Das Theater ist ein radikal sozialer Ort, schon was die Arbeitsweise angeht: Wir sind 300 Menschen, die gemeinsam an Theaterinszenie Wie wird aus zwei unterschiedlichen Bewegungen eine rungen arbeiten. Lebenserfahrungen zu ignorieren, ist das Falscheste, Partei? Marianne Birthler und Jürgen Trittin über kulturelle was man machen kann. Theater ver- Unterschiede, die Kraft von Bündnissen – und warum sucht immer, aus der Vergangenheit die gemeinsamen Werte heute wichtiger sind denn je. eine Haltung für die Gegenwart zu generieren. Wir versuchen, die Unter- schiedlichkeit der Gesellschafts IN T E R V IE W: CA R OL IN PIR ICH systeme, aber auch der Lebenserfah- rung wachzuhalten und eben nicht einen Stempel draufzusetzen und ab- zuhaken. Unsere Arbeit zielt in einer 9 Uhr, Berlin Mitte. Marianne Birthler und Trittin: Das war besonders tragisch, weil spielerischen und sinnlichen Weise Jürgen Trittin haben einander eine Weile nicht es Christian selbst war, der eine Klage über darauf ab, dass die Gesellschaft nicht das Interesse an sich selbst ver- gesehen. Im gläsernen Foyer der Böll-Stiftung getrennte Auszählungen in Ost und West liert. Einheit zu stiften, ist dabei gar begrüßen sie sich kurz und beginnen direkt ein angestrengt hatte, und zwar aus der Haltung nicht so vordergründig. Sondern Gespräch darüber, wie sich der Tonfall im heraus, wir wollen die Bündnisleute nicht eher der Versuch, Andersartigkeit und Bundestag geändert hat, seitdem die AfD dort unterbuttern, sondern schützen. Er hat die Fremdheit als reizvoll zu vermitteln. vertreten ist. Aber wir wollen über den Ur- Klage gegen alle Prognosen gewonnen – sprung von Bündnis 90 / Die Grünen sprechen. und wurde dann mit den Westgrünen abge- Meine Lebenserfahrung ist, dass Über die Zeit, in der sich die Partei – im Gegen wählt. Fremdheit ein Gewinn ist, auch satz zu anderen Parteien im wiedervereinigten Birthler: Ich war am Wahlabend das aller- wenn es anstrengend ist. Und so Deutschland – nicht durch einen bloßen An- erste Mal auf einer solchen Bühne. Das funktioniert auch Theater: Man ent- schluss der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung war aufregend genug. Aber ich musste auch deckt dort immer Eigenes und wird gleichzeitig mit fremden Erfah- gründete, sondern durch einen intensiven den Part von Ströbele übernehmen. Sollte rungen konfrontiert. Momentan Vereinigungsprozess. ich mich freuen, weil Bündnis 90 drinnen ist, spürt jeder die Zerrissenheit unserer oder sollte ich trauern, weil die Grünen Gesellschaft. Und die erfordert draußen sind? Das war ein Balanceakt. von den Künsten in stärkerer Weise, Frau Birthler, Herr Trittin, können Sie sich sich mit dieser Zerrissenheit aus an Ihre erste Begegnung erinnern? Die Listenverbindung mit den Bürgerbewe- einanderzusetzen. Es geht nicht dar- Trittin: Ich weiß nicht, ob Marianne sich an gungen von Bündnis 90 sicherte den Grünen um zu sagen: Hier geht’s lang. Aber mich erinnern kann. Ich war anfangs ja ab 1990 die Präsenz im Parlament. War es ist dringlich zu sagen, was gar nicht fern von dieser Bundespolitik, die wir in den genau dieser Wahlausgang ein guter Auf- geht, nämlich eine bestimmte Art Ländern schrecklich fanden. takt, um sich gleichberechtigt begegnen von Nationalismus.“ Birthler: Ich war Anfang der 90er-Jahre auch zu können? Landespolitikerin und wir waren noch keine Birthler: Es trug bestimmt dazu bei, dass Ulrich Khuon ist Intendant am gemeinsame Partei. Ich erinnere mich aller- die später entstehende gesamte Partei Deutschen Theater Berlin und dings sehr genau an diese Elefantenrunde eine sehr viel realistischere Politik gemacht seit 2017 Präsident des Deutschen Bühnenvereins. nach der ersten gesamtdeutschen Wahl. Ich hat. Meiner Ansicht nach hat diese Nieder kam für Bündnis 90 als Sprecherin und lage einen Reformprozess eingeleitet. Sie ging mit Christian Ströbele, Sprecher für die war aber für die Ost-Abgeordneten im Grünen damals, und Vertreter*innen der Bundestag auch die Chance, ein eigenes anderen Parteien nach der Maske zusammen Profil zu entwickeln. zum Studio. An der Tür zum Studio hielt ein Mitarbeiter des Senders Christian am Ärmel Sie, Herr Trittin, haben Frau Birthler im Fern- zurück und sagte, ja, sorry Herr Ströbele, sehen gesehen. Was war Ihr Eindruck? nach den letzten Umfragen sind sie nicht Trittin: Ich dachte, das sind also diejenigen, drin. Sie müssen draußen bleiben. mit denen wir zusammengehen wollen.
6 | Gespräch Gespräch | 7 Beide Parteien waren aus Bürgerbewegun- Frauen zu Familienthemen erfahren. Es ging gen, aus der Gesellschaft heraus, entstanden. um Kitaplätze. Für mich gehörte das zum Wie hat man sich angenähert? frauenpolitischen Teil, weil das Thema vor Trittin: Im Jahr 1992, vor dem Gründungs- allem Frauen tangiert. Dafür wurde ich hef- parteitag, war ich Bundesratsminister von tig kritisiert, weil Kinder auch Männersache Niedersachsen, und meine einzigen Ansprech- sind, also zur Familienpolitik gehören. Ich partner im Bundestag waren die Abgeord verstehe das ja eigentlich, aber die Atmosphä- neten von Bündnis 90, Kolleg*innen von re war damals hoch ideologisiert. Marianne. Für mich war das spannend, weil Trittin: Es trafen unterschiedliche Erfah- sie ein anderes Herangehen an Politik hatten rungswerte aufeinander. Die Westfrauen als ich. Wir hatten ja manches aus unserer haben Kämpfe geführt gegen die Einverdie- schlimmsten chaotischen Anfangszeit hinter ner-Ehe. Das war die Regel in der BRD, aber JÜRGEN TRITTIN uns gelassen, während die Kolleg*innen von die Ausnahme in der DDR. Die Frauen in der Bündnis 90 noch sehr stark durch die runden ist seit 1980 Grünen-Mitglied. 1998 wurde er Bundes DDR haben erfahren, dass trotz Berufstätig- Tische geprägt waren. Ich war kurzfristig tagsabgeordneter und Umweltminister der rot-grünen keit die Sache an ihnen hängen blieb. Das der einzige Westgrüne, der im Deutschen Bun- Bundesregierung. Er war Spitzenkandidat seiner knallte aufeinander. Insofern war das auch Partei in den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013 und destag saß, aber als Bundesratsmitglied ein produktiver Prozess für beide Seiten. führte die Fraktion von 2009 bis 2013. Seit 2005 konzen hatte ich selbst keine Redezeit. Manchmal Birthler: Ja, wir konnten viel lernen von den triert er sich als Bundestagsabgeordneter auf Interna traten sie mir ein paar Minuten ab. tionales und Außenpolitik. Trittin ist in Bremen geboren, Westfrauen, weil in der DDR Gleichberech Birthler: Das freut mich ja zu hören, dass du hat in Göttingen studiert und lebt in Berlin. tigung bedeutete, so zu leben wie Männer mit der Bundestagsgruppe im Gespräch warst. und nicht die Geschlechterrollen an sich zu Ansonsten gab es zwischen der Bundestags- überdenken. Zunächst stand man sich noch gruppe und der Partei „Die Grünen“ nur dürf- fremd gegenüber. Die im Westen hatten zwei tige Kontakte. Kinder im Schulalter und arbeiteten nicht – Trittin: Ihr habt jemanden von der anderen unbegreiflich für mich. Und die im Westen Seite gesucht. Ich hatte ein gewisses Know zuckten zusammen, wenn eine sagte, ich how und einen Apparat anzubieten. Wir habe drei Kinder und bin Ingenieur. haben damals über den Schengen-Vertrag abgestimmt. Es gab eine Riesendebatte um Lag die Herausforderung auch darin, dass die Flüchtlinge, Hoyerswerda, Solingen, den sich viele aus dem Osten das System Brandanschlag, und dann die, wie wir es ge- wünschten, das im Westen viele überwinden nannt haben, Abschaffung des Grundrechts wollten? auf Asyl – das war es ja de facto –, das wir Birthler: Es gab bei den westdeutschen verhindern wollten. Damit man überhaupt ein Linken nicht wenige, die beim Zusammen- Forum hatte, mussten wir uns ja einigen. bruch des Staatssozialismus eher Trauer empfanden. Aber schließlich häuteten sich MARIANNE BIRTHLER Wie einfach fiel die Einigung? Kamen da die Grünen nochmal, radikale Protagonisten zwei zusammen, die von Anfang an zusam- verließen die Partei. Damit waren die Weichen hat die jüngere deutsche Geschichte maßgeblich geprägt: mengehörten? auf Teilhabe an der Verantwortung gestellt. Als Bürgerrechtlerin in der DDR, Abgeordnete, Birthler: Naja, der Wille war da, sich auf Werner Schulz hat das mal auf den Punkt Ministerin, Sprecherin von Bündnis 90 / Die Grünen und als unbequeme Wächterin über die Stasi-Akten. Augenhöhe zu begegnen. Aber wir waren gebracht, diesen Vergleich zwischen 89ern Heute engagiert sie sich in der Grünen Akademie der eben auch Teil des deutsch-deutschen und 68ern. Er sagte, die einen wollten eine Heinrich-Böll-Stiftung, im Beirat der Gedenkstätte Vereinigungsprozesses, das heißt, es gab Revolution und erreichten schließlich Refor- Berliner Mauer und im Kuratorium der Aktion Courage. immer auch ein West-Ost-Gefälle, schon men. Wir in der DDR kämpften für Refor- Sie ist in Berlin-Friedrichshain geboren. mal bezüglich der Größenordnung. Die West- men – und das mündete in eine Revolution. grünen zählten mehr als das zehnfache Trittin: Die Grünen waren seit ihrer Grün- an Mitgliedern. Außerdem unterschied sich dung eine eher reformerische Partei. Es war unsere politische Kultur. Bei uns von Bünd- eine historische Leistung, eine bestimmte nis 90 gab es eher eine zu große Zurückhal- Generation in das politische System der Bun- tung in den Diskussionen, muss ich rückbli- desrepublik zu integrieren. Diejenigen, die ckend kritisch sagen. Wir hatten in der DDR außerhalb gestanden waren, wollten jetzt einen so starken gemeinsamen Gegner eine Regierungsbeteiligung hinbekommen. gehabt und es gelernt, zwischen den Zeilen Es galt nicht mehr, das System zu überwin- zu lesen. Dagegen waren die Grünen für den, sondern es zu verändern. mein Gefühl sehr laut, sehr konfrontativ. Birthler: Wir von Bündnis 90 und die Leute Das musste erstmal kriseln. aus der Bundestagsgruppe waren keine Vertreter*innen radikaler Basisdemokratie, Wie haben Sie das persönlich erlebt? wir wollten auch kein anderes politisches Birthler: Den ersten Clash der Kulturen System. Wir hatten ja für parlamentarische habe ich in einer Arbeitsgruppe von Grünen Demokratie, für freie Wahlen, für die nor
Gespräch | 9 malen bürgerlichen Freiheiten gekämpft. Damals veränderte sich die Gesellschaft: heit der Bevölkerung zu legitimieren und dass darüber mehr berichtet wird. Wie stark sind Ostdeutsche an entscheiden- Fotos: Wolfang Stahr; Illustration: Joe Pictos und Bintang Anandhiya von the Noun Project Hinsichtlich unserer politischen Themen Konzepte wie Gleichberechtigung, Solidari- deswegen alles tun zu können. Das ist genau Birthler: Die größere demokratische Gefahr den Positionen vertreten? waren wir aber nicht weit auseinander. Die tät, Demokratie wurden neu ausdiskutiert. das falsche Verständnis, gegen das sich heute liegt darin, dass am politischen Dis- Trittin: Wir haben versucht, das vorzuleben. Opposition der DDR ist durch den Einsatz Vielen machte der Wandel nach der Wieder- Bündnis 90 und die Grünen immer gewehrt put immer weniger Menschen teilhaben. Sie Derzeit haben wir eine so breite Repräsen für Demokratie, Minderheitenschutz, Ökolo- vereinigung Angst. Wie sind Sie dem damals haben. bleiben in ihren Kommunikationsblasen, in tanz Ostdeutscher in Führungsebenen wie gie, Menschenrechte entstanden. Und das begegnet? Birthler: Im besten Sinne sind wir Konserva- denen sie ihr eigenes Universum haben und keine andere Partei. sind ebenso grüne Themen. Trittin: Die Angst war mit Händen zu grei- tive. Ökologische Themen sind Bewahrungs- von unseren Debatten, von den Erfahrungs- Birthler: Aber wir müssen noch mehr tun: fen. Ich habe in meiner Zeit an der Partei- themen. Wenn Wandel heißt, demokratische und Denkwelten anderer Menschen wenig Schauen Sie die überregionalen Medien an, Welche Reizthemen gab es? spitze, von ’94 bis ’98, viele Menschen auch Institutionen zu entmachten, bin ich ent- mitbekommen. die Verbände, die Kirchen, die Gewerkschaf- Birthler: Eine traumatische Erfahrung war im Westen getroffen, die nicht gesagt ha- schieden dagegen. Wenn Wandel heißt, die Trittin: Wir wollen eine Gesellschaft, zu der ten. Überall können Sie Leute aus dem Osten für mich der Krieg in Ex-Jugoslawien. Auf ben, das ist ja alles toll, wie das jetzt läuft. Wirtschaft zukunftsfähig zu machen, bin alle beitragen und an der alle teilhaben. mit der Lupe suchen. Nur 1,7 Prozent aller einem Sonderparteitag im Herbst des Jahres Es gab auch das Gefühl der existenziellen ich dafür. Wandel an sich ist keine Tugend. Daher unterliegt die Basisdemokratie aktuell Spitzenpositionen sind von Ostdeutschen be- JANA HENSEL 1994 hat sich die Partei fast zerlegt. Es ging Verunsicherung, des Verlustes von Lebens- wieder einer Debatte. Wie sollen wir mit setzt. Die Wirkung dieser Tatsache für das um die Frage, ob man Menschenrechte auch biografien. Durch die neuen Bundesländer Hat man sich damals mehr als heute getraut, Volksentscheiden umgehen? Derzeit lernen deutsch-deutsche-Binnenverhältnis wird bis „Ich bin in Leipzig aufgewachsen, mit Waffengewalt verteidigen darf. Nur ist nach der Wiedervereinigung ein gewaltiger unterschiedliche Meinungen auszudisku viele die repräsentative Demokratie wieder heute unterschätzt. habe dort mit meiner Mutter eine kleine Handvoll von Leuten stimmte zu. disruptiver Prozess gegangen: Lebensbio tieren und auszuhalten, aber dann wieder auf- zu schätzen. Aber im Begriff Basisdemokratie Trittin: Ich habe noch etwas ganz Entschei- als 13-Jährige auch an den Montags Daniel Cohn-Bendit rief: „Liebe Leute, ich grafien wurden massiv abqualifiziert, es gab einander zuzugehen? steckt ja auch, wie Joachim Gauck es gesagt dendes gelernt. Es hört sich banal an, aber er- demonstrationen im Herbst 1989 bin Jude, ohne die Alliierten gäbe es mich eine Politik der De-Industrialisierung, den Trittin: Ich würde eher sagen, es gibt be- hat, die Ermächtigung des Menschen zur Teil- möglicht in meinen Augen erst die eigene teilgenommen. Was heute oft ver- nicht.“ Wie er war ich der Meinung, dass Men- Aufbau verlängerter Werkbänke des Westens. stimmte Dispute und Themen, die in dieser habe an der Gesellschaft. Das ist eine Tra Weiterentwicklung: Es ist gut, sich auf andere gessen wird: Gerade die Umwelt schenrechte, dass das nackte Leben manch- Wir hatten sehr viel neu zu verarbeiten. Gesellschaft nicht diskutiert werden oder dition der Grünen, die eine neue Aktualität Erfahrungen und auf andere Hintergründe bedingungen rund um den Chemie standort Leipzig und der damit ein- mal auch mit Gewalt verteidigt werden muss. Birthler: Die Probleme des Wandels waren die in der Wahrnehmung nach hinten rücken. bekommen hat. einzulassen. Zuzuhören. hergehende Zerfall der Stadt selbst Das war auch für mich ein schmerzhafter aber erstmal nicht Thema von Bündnis 90 / Zum Beispiel die Frage, was die massive Birthler: Ja, das unterschreibe ich. | waren ein wichtiger Grund, warum Lernprozess, bis ich das sagen konnte. Da Die Grünen. Es gab vielmehr das Gefühl: Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen Gibt es etwas, das Sie aus dem Prozess von die Menschen ausgerechnet dort ging, stellvertretend für die Gesellschaft, „Jetzt haben wir eine demokratische Revo- mittelfristig mit unserer Gesellschaften damals für heute gelernt haben? Dass Ihnen gegen ihr Land, die DDR, auf die Stra- ein Riss durch die Partei. lution, jetzt geht es nur noch vorwärts. macht. Wachsende Ungleichheit und die Kli- besonders wichtig ist? ße zu gehen begannen und für Ver- Trittin: Aber die Auseinandersetzungen Demokratie, Freiheit auf der ganzen Welt!“ makrise sind die großen globalen Heraus Birthler: Es gibt eine Sache, die wir nach wie änderungen demonstrierten. Wenn liefen nicht mehr entlang von Ost und West, Insofern konnte man unbefangen über forderungen. Da würde ich mir wünschen, vor nicht aus dem Blick verlieren sollten: man so will, Umwelt- und Klima- das ging mitten durch. Das war der erste Veränderung sprechen. schutz sind ebenfalls ein wichtiges gemeinsame Lernprozess, den wir nach der Erbe jener friedlichen Revolution. Wiedervereinigung durchgemacht haben. Ist das heute anders? ANZEIGE Beziehen sich die Grünen heute noch auf dieses Erbe? Sagen wir es so: Wir haben einen ersten Konsens gefunden, Birthler: Heute sind liberale Demokratien Ich freue mich immer, wenn ich den eine Beteiligung an Kriegen nicht mehr weltweit in die Defensive geraten, auch hier- Namen Bündnis 90 / Die Grünen grundsätzlich auszuschließen und uns an zulande. Das hat dazu geführt, dass der lese. Keine andere Partei trägt den UN-Einsätzen zu beteiligen. Wunsch, demokratische Strukturen, Institu- Umstand, dass Ost und West in tionen und Verfahren zu bewahren, ein ihr vereint sind, ja noch heute sicht- Das klingt, als habe es Kraft gekostet, Diffe- starkes und wichtiges Thema in Politik und bar in ihrem Namen! Das ist renzen zu überwinden. Auch Mut? Gesellschaft ist. ein Vorteil. Also, wenn ich mir Trittin: Aus meiner Westsicht war es nicht Trittin: Damals hatten wir einen parteiüber- etwas wünschen darf: Nutzt Mut. Hätten wir eine Fusion mit dem Bündnis greifenden Konsens: Marktwirtschaft und ihn noch mehr!“ nicht hinbekommen, wären wir doch bei Demokratie. Viele glaubten, mit dem Kapi- 80 Millionen Einwohner*innen kaum über die talismus kommt die Demokratie automa- Jana Hensel, deutsche Schriftstellerin Fünfprozenthürde gekommen. Aber es gab tisch. Das hat sich als fragwürdig und falsch ( *1976 in Leipzig) und Autorin des Spiegel- auch Leute wie Helmut Lippelt, die sich in herausgestellt, schauen Sie nach Ungarn. Bestsellers „Zonenkinder“ (2002), den Prozess richtig reinknieten. Mich hat Nicht nur in Systemen, die von Autokratie veröffentlicht im Herbst gemeinsam mit dem Soziologen Wolfgang Engler berührt, mit welcher Inbrunst er das Projekt oder Totalitarismus geprägt sind, wie Russ- den Gesprächsband: „Wer wir sind. Über Zusammenschluss betrieben hat. land oder China. Wir erleben ein Wiederauf- die Erfahrung, ostdeutsch zu sein“. Birthler: Helmut Lippelt war ein ganzes leben eines gefährlichen Nationalismus. Stück älter als die meisten von uns. Aus sei- Jetzt sind plötzlich die alten Werte des Bünd- ner Generation gab es bei uns nicht viele, nisses und der Westgrünen gefragt. weder bei den Grünen noch bei Bündnis 90. Das hatte Folgen. Die Grünen im Westen Inwiefern? sind mehr als andere Parteien eine Genera- Trittin: Wir haben das Recht des Individu- tionenpartei und damit west-europäisch ums, damit das Recht von Minderheiten und sozialisiert. Wer von ihnen hatte noch etwas die Menschenrechte immer verteidigt und Gesamtdeutsches im Blick? gesagt, die stünden auch nicht zur Dispositi- Trittin: Ich ja auch nicht. Ich radelte von on von Mehrheitsentscheidungen. Damit Göttingen aus manchmal an der Zonengrenze bilden wir das Gegengewicht zu ganz gegen- herum, war in Italien, überall, aber kaum in sätzlichen Tendenzen in Europa. Der Begriff der DDR. der illiberalen Demokratie, wie das Orban genannt hat, besagt ja, sich durch die Mehr- Gemeinsam machen wir das deutsche Gesundheitssystem zu einem der besten der Welt. Erfahren Sie mehr unter www.pkv.de/linda
10 | Erinnerung Erinnerung | 11 „DIE GRÜNEN SOLLTEN UNS Der 9. November 1989 war ein Tag, der in die GRÜNE HALTUNG deutsche Geschichte einging. Ohne den Mut vieler Bürgerrechts-, Umwelt- und Friedensak- SICHTBAR MACHEN“ tivist*innen wäre die friedliche Revolution nicht denkbar gewesen. Reinhard Weißhuhn MUT HABEN war damals eine der prägenden Personen der DDR-Opposition. Oktober 1983: Erich Honecker lädt grüne Politiker*innen zum Gespräch in die DDR ein. Herr Weißhuhn, können Sie sich an Ihre Die friedliche Revolution 1989 hat gezeigt: Selbst politische Ver- Die Gruppe um Petra Kelly sagt zu – unter der Bedingung, Kontakt zur Opposition erste Begegnung mit westdeutschen Grünen- hältnisse, die in Stein gemeißelt wirken, können sich über Nacht Politiker*innen erinnern? ändern – ein Staat löst sich auf und mit ihm Autoritäten, Macht- aufnehmen zu dürfen. Reinhard Weißhuhn, Gründungsmitglied der „Initiative Frieden Das muss 1984 gewesen sein, ein geheimes und Menschenrechte“, über den Beginn einer Freundschaft. verhältnisse und Strukturen. Ereignisse, die den Auftakt für unse- Treffen mit Petra Kelly und Gert Bastian, die ren Zusammenschluss markieren, eine gute Nachricht, die wir damals für die Grünen im Bundestag saßen. Von unserer Seite waren etwa zehn Leute nicht oft genug erzählen können: Wir dürfen an die Machbarkeit da. Die Stimmung war freundschaftlich, wir des Unmöglichen glauben und brauchen scheinbar übermäch tranken Bier, duzten uns natürlich, einige tige Gegner nicht zu scheuen. Es ist zugleich eine Mahnung: Nichts kannten Kelly und Bastian bereits. Die Grünen ist selbstverständlich. Unsere Demokratie und das heutige erzählten, was bei ihnen in der Partei los Europa sind als Friedensprojekte entstanden. Aber gerade ziehen ist, mit wem sie sich streiten. Und wir erzähl- Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit neue Mauern hoch – ten, mit wem wir uns streiten. Das Treffen in Köpfen und zwischen Staaten, gefühlt und real. Jetzt gilt es, Hal- muss in der Wohnung von Gerd Poppe oder tung zu zeigen. Mit unserer gemeinsamen Geschichte im in der von Martin Böttger in der Nähe Rücken und unserer Grunderfahrung, auf massive Veränderungen, des Bahnhofs Friedrichstraße stattgefunden haben. Es war natürlich kein offizieller Ter- damals wie heute, klug, beharrlich, besonnen zu reagieren. min, sondern eine quasi illegale Begegnung. Ich formuliere das so, weil die Staatssicher- heit selbstverständlich davon wusste. Wie begann der Kontakt zwischen Ihrer Hat Ihre Gruppe damals Aktionen wie jene Warum schritt die Stasi nicht ein? Oppositionsgruppe und den Grünen? auf dem Alexanderplatz begrüßt? Weil die DDR die Grünen brauchte, denn die Den ersten Schritt mussten natürlich die Ja, wir hatten sie mit den Grünen sogar ab- Partei gehörte ja mehr oder weniger direkt Grünen machen, weil das von unserer Seite gesprochen. In unserer Szene war das Ganze zur Friedensbewegung, die gegen den Nato- aus ja nicht möglich war. Das lief über Tele- aber nicht unumstritten, denn „demonstra Doppelbeschluss, also die atomare Aufrüs- fongespräche. Die erste Reise von Petra Kelly tive Akte“ erzeugten oft Gegenreaktionen. tung des Westens, kämpfte. Und so lange es und anderen in die DDR war dann im Mai Wir fanden auch richtig, dass die Grünen- Aussicht zu geben schien, dass diese Aufrüs- 1983. Abgeordneten um Kelly und Bastian im Okto- tung verhindert werden könnte, wurden die ber 1983 einer offiziellen Einladung von Grünen von der DDR-Regierung mehr als Am 12. Mai 1983 demonstrierte eine kleine Erich Honecker zu einem Gespräch folgten. nur geduldet. Gruppe grüner Politiker*innen, darunter vier Denn die Grünen hatten es unter anderem Bundestagsabgeordnete, auf dem Alexander- zur Bedingung gemacht, bei diesem Besuch Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS ) platz in Ostberlin. Einige Tage zuvor hatte auch Oppositionsgruppen offiziell treffen bewertete die Aktivitäten der Grünen damals Petra Kelly im Bundestag erklärt: „Wir stehen zu dürfen. Unsere zum Beispiel. Es ging dar- als ein „Doppelspiel“, mit dem offensichtlich nicht allein, sondern zusammen mit unseren um, uns sichtbar zu machen. negative politische Wirkungen für die DDR aus- Freunden in der DDR.“ Die Grünen entrollten gelöst werden sollten: „Förderung und Unter- Transparente mit Aufschriften wie „Schwerter Die Grünen-Delegation forderte von Honecker stützung feindlich-negativer Kräfte; Ermunte- zu Pflugscharen“, dem in der DDR verbotenen zudem das Ende der Unterdrückung der Frie- rung derartiger Kräfte zu weiteren Aktivitäten Symbol der Friedensbewegung. Nach wenigen densbewegung, einseitige Abrüstungsschritte, im Sinne einer inneren politischen Opposition Minuten wurden sie verhaftet, aber schnell wie- Besuchsmöglichkeiten bei politisch Inhaftier- und politischer Untergrundtätigkeit“. der freigelassen. ten und deren Freilassung. Noch am gleichen Abend traf sich die Gruppe mit Angehörigen der DDR-Opposition und berichtete von Hone- ckers Zusage, die Bürgerrechtsaktivistin Katrin Eigenfeld aus der Haft zu entlassen. Sie kam „Bundestagsabgeordnete wurden an der Grenze am nächsten Tag frei. nicht kontrolliert und konnten Koffer voll Bücher und Zeitschriften mitbringen, das war der Stasi Bei dem Treffen legten die Grünen Honecker auch einen deutsch-deutschen „Friedens- egal. Weniger egal – aber wertvoller für uns – war vertrag“ vor, den sie spontan auf einem Stück der Schmuggel von Druck- und Kopiergeräten.“ Pappe aufgesetzt hatten. Bis auf einen Reinhard Weißhuhn Punkt – den Einsatz für einseitige Abrüstung –
Ausblick | 13 unterschrieb Honecker den Vertrag sogar. Dalai Lama dann tatsächlich nach Ost- „WIR MÜSSEN WIEDER DEN Meine Herkunft macht mich für manche Interview: Christoph Cadenbach; Foto: Wolfang Stahr; Illustrationen Grüne Haltung: Maxim Basinski und Becris von the Noun Project Was hatte die DDR-Friedensbewegung von Berlin und traf einige aus unserer Gruppe. Dinge empfindlich. Mich stört es zum Bei- MUND AUFMACHEN“ solchen Aktionen? spiel, wenn über deutsche Geschichte Diese „persönlichen Friedensverträge“ hat- Haben Sie 1987 gefeiert, als die Grünen gesprochen und gesagt wird „Adenauer, der ten eine Bedeutung für unser Selbstver- bei den Wahlen in Westdeutschland wieder frühere deutsche Kanzler“. Ich sage dann: JEANETTE HOFMANN ständnis und unsere Selbstbehauptung, die in den Bundestag einzogen? „Halt Moment, das war der Kanzler der Bun- nicht unterschätzt werden sollte. Sie zeig- Gefeiert ist stark übertrieben. Wir haben mit Der Fall der Mauer hat gezeigt: Alles ist möglich, desrepublik.“ Das irritiert Westdeutsche „Gesellschaftlicher Wandel findet ten, dass zwar die beiden deutschen Regie- ihnen sympathisiert, das schon, aber die nichts so stabil wie es scheint. Das gilt noch heute. oft. Ich möchte nicht wie eine Besserwisserin immer statt; was man sich wechsel- rungen, nicht aber die Völker verfeindet Grünen waren ja eine durchaus heterogene klingen, aber ich finde es wichtig, die Ge- seitig zumutet, ändert sich fort waren, und dass Probleme zwischen den Partei. Mit den Fundis hatten wir ein eher Ska Keller und ihr Appell: Kämpft für Europa! sellschaft zu sensibilisieren – ostdeutsche während. Bei der Fusion von Bünd- Blöcken nur miteinander gelöst werden kühles Verhältnis, mit den Realos auch. Nur Geschichte ist nicht nur ein Anhängsel. nis 90 und den Grünen hat man konnten. Weil auch Honecker einen solchen mit der kleinen, aber prominenten Gruppe Außerdem bedeutet mir individuelle Frei- sich viel Zeit für den Prozess der An- Vertrag unterschrieben hatte, konnte die um Kelly waren wir ernsthaft befreundet. Sie heit sehr viel. Bei den Grünen reden wir näherung gelassen, obwohl der DDR obendrein nicht mehr so willkürlich mussten sich gegen Widerstände innerhalb gerne über das Gemeinwohl und die Verant- Handlungsdruck in Zeiten der Wie- dervereinigung so groß erschien. mit uns umspringen, wie sie wollte. ihrer eigenen Partei durchsetzen, denn nicht wortung für die Gemeinschaft. Das unter- Auch heute spüren wir einen großen alle Grünen hielten einen Konfrontations- stütze ich – aber wir müssen den Menschen Bewältigungsbedarf, weil der di In den folgenden Jahren verfestigte sich der kurs gegen die DDR-Regierung für sinnvoll. als Individuum sehen und nicht nur als Teil gitale Wandel so schnell vonstatten Kontakt zwischen den Grünen und Ihrer eines Kollektivs. geht, wir die Folgen unserer Ent- Gruppe dann. In einem Stasi-Bericht von 1986 Werner Schulz, der bekannte DDR-Bürger- scheidungen aber schlecht einschät- heißt es: Die Grünen „reisten öfter nur zu rechtler und spätere Grüne, hat in einem Die aktuelle Lage macht mir Sorgen, was die zen können. Man könnte von damals dem Zwecke ein, um sich mit Vertretern des Interview über die damalige Zeit gesagt: Zukunft der Demokratie betrifft: Wird es lernen, die Gegenwart als experi- harten Kerns des politischen Untergrunds „Wir“, damit meinte er die DDR-Opposition, genug Leute geben, die sich engagieren, die mentelle Phase wahrzunehmen, in zu treffen. Dabei schleusten sie größere Men- „hatten plötzlich, allein auf totalitärer Flur, gegen den Verfall der Demokratie aufste- der es sinnvoller ist, Regelungs gen Agitationsmaterial ein.“ aktive Verbündete. Das ist unheimlich wich- hen? Oder läuft es auf einen Autoritarismus prozesse zu definieren anstatt starrer Regeln, die auf unerwartete Folgen Bundestagsabgeordnete wurden an der Grenze tig gewesen. Das vergisst man im ganzen hinaus? Es ist erstaunlich: Die Mehrheit nicht immer angemessen reagieren nicht kontrolliert und konnten Koffer voll Leben nicht.“ Was haben – andersherum ge- der Europäer*innen findet die Demokratie können. Welche Prinzipien und Bücher und Zeitschriften mitbringen und ille- fragt – die Grünen der Opposition in der gut und wichtig. Aber die wenigsten ma- Werte sollen den Digitalisierungs- gale Zeitschriften aus dem Osten in den DDR zu verdanken? chen den Mund auf. Es gibt eine Minderheit, prozess prägen? Wie einigen wir Westen bringen, das war der Stasi egal. Weni- Wir haben dem späteren gesamtdeutschen die sich gegen Demokratie, gegen Freiheit uns als Gesellschaft darauf, wie wir ger egal – aber wertvoller für uns – war Bündnis ein Profil verpasst, das bis heute und gegen Europa wendet. Und das artikulie- das Internet nutzen wollen? der Schmuggel von Druck- und Kopiergeräten. hält. Während die westdeutschen Grünen ren diese Wenigen sehr laut und deutlich Die waren so sperrig, dass sie in Autos ver- bei der Bundestagswahl 1990 an der Fünf- und ganz klar. Dem müssen wir unbedingt Sinnvoll wäre es, Normen zu for- steckt werden mussten. Wir benutzten zum prozenthürde scheiterten, schafften wir es etwas entgegensetzen, sonst wendet sich mulieren und diese immer wieder Beispiel Wachsmatrizen, die mit Drucker- damals ins Parlament mit unserem gerade der Diskurs in eine gefährliche Richtung! daraufhin zu überprüfen, ob sie ihre Ziele erreichen oder uner- schwärze eingefärbt wurden, ein damals schon neu gegründeten Bündnis 90/Grüne – Bürger wünschte Nebeneffekte erzeugen. uraltes Verfahren. Ohne diese praktische Innenbewegung (ein Zusammenschluss aus Genau das können wir momentan in Deutsch- Hilfe wäre vieles nicht bekannt geworden, verschiedenen DDR-Oppositionsgruppen und land beobachten: Die Debatte verschiebt Protokoll: Julia Decker; Foto: European Union, 2018 Wir haben zum Beispiel alle unter- schätzt, wie sehr der Umstand, weder im Westen noch erst recht im Osten. der Grünen Partei in der DDR, Anm. d. Red.). sich nach rechts. Die CSU und Teile der CDU dass man im Netz sein Gegenüber Wir haben dann die Menschenrechts- und denken, dass sie Stimmen gewinnen, wenn nicht sieht, zu einer Entzivilisierung In der Folge reagierte die DDR auf die aus ihrer Wertepolitik ins Zentrum unseres Handelns sie die Rechtsnationalen kopieren. Das ist ein der Umgangsformen führt. Hier Sicht subversiven grünen Kontakte zur Oppo gestellt. Und diesem Profil sind die Grünen großes Problem, denn in der Folge werden können und sollen wir Regeln auf- sition: Zwischenzeitlich waren die Grünen die dann nach der Fusion 1993 und dem Wieder- die Menschenrechte ausgehöhlt. Gefahr droht stellen, wobei ich glaube, dass einzige im Bundestag vertretene Partei, die einzug in den Bundestag 1994 gefolgt. Wir aber nicht nur den Rechtspopulisten, die ein ziviler Ton nicht allein gesetzlich mit einem Einreiseverbot für alle ihre Mitglie- waren wie der Zucker im Tee, so ähnlich hat sich ganz offensichtlich gegen Demokratie von oben nach unten verordnet werden kann. Genauso wichtig sind der belegt wurde. das Werner Schulz einmal formuliert. | wenden. Wenn die Konservativen nach gesellschaftliche Normen, die rechtsaußen driften und auch die Sozialde- sich ausprägen und auch die digitale An welches Treffen mit den Grünen erinnern mokraten ihre Ausrichtung anpassen, wer- Kommunikation erobern. Dieser Sie sich besonders gern? REINHARD WEISSHUHN den dieser Rechtaußendiskurs und das anti- Prozess fordert uns alle – Gesell- Im November 1989, kurz nach dem Fall der ist 1951 in Dresden geboren. Er liberale Denken immer normaler. Das ist schaft, Wirtschaft, Politik.“ Mauer, saßen wir bei Ulrike und Gerd Poppe, gehörte in Ostberlin zum kleinen die eigentliche Bedrohung für Europa! Diese Gründungsmitglieder der „Initiative Friede Kreis der unabhängig von der Die Wende habe ich als Kind erlebt – wirklich in meinem Leben habe ich eine Wahl ver- Verharmlosung des Rechtsdiskurses – die und Menschenrechte“, in der Wohnung. Ich Kirche agierenden Opposition. Er verstehen, was politisch und gesellschaft- passt, egal ob für das Europaparlament oder Gefahr kommt nicht von Putin oder Trump, Die Politikwissenschaftlerin Jeanette an der Schreibmaschine, Kelly neben mir; war Teil der „Initiative Frieden und lich passierte, konnte ich damals nicht. Aber den Stadtrat. Ich bin in Guben in der Nähe sie kommt aus dem Innern Europas. Hofmann, Professorin für Internetpolitik an Menschenrechte“, die sich nach der Freien Universität Berlin, forscht zu wir überlegten, wie wir eine Einladung an den ich erinnere mich an einen Moment, der der polnischen Grenze aufgewachsen. Dort den Themen Global Governance, Regulierung dem Mauerfall mit anderen Gruppen Dalai Lama formulieren könnten. Kelly hatte mich stark geprägt hat: Wie meine Familie habe ich erfahren, was es heißt, wenn eine Wir dürfen uns an den Rechtsruck des Diskur- des Internets und digitaler Wandel. zum Bündnis 90 zusammen- ja engen Kontakt zu ihm und wir wollten ihn schloss. Zudem war er Mitautor des begeistert die ersten freien Wahlen im Jahr Grenze plötzlich durchlässig wird. Zwischen ses nicht gewöhnen. Wir müssen immer in die DDR einladen. Nur wie spricht man Grundkonsenses von Bündnis 90/ 1990 verfolgt und gefeiert hat. Wir saßen Gubin und Guben muss heute niemand mehr wieder sagen: „Nein, es ist nicht in Ordnung, ihn an? Eure Seligkeit? Eure Heiligkeit? Wir Die Grünen. Später arbeitete er im alle zusammen gebannt vor dem Fernse- einen Ausweis zeigen. Das hat die Städte so zu sprechen! Nein, diese Ansichten zu hatten keine Ahnung. Kelly half uns. Ein Bundestag für Gerd Poppe und her – es war ein großes Fest. Deshalb sind zusammenwachsen lassen. Das ist für mich Flüchtlingen sind für uns nicht normal. Und paar Tage später, am 6. Dezember, kam der Joschka Fischer. Wahlen für mich enorm wichtig. Noch nie Europa: das Überwinden von alten Grenzen. nein, wir gewöhnen uns nicht an euren
ANZEIGE PUBLIKATIONEN „RICHTIGE IDEEN Ton.“ Das ist manchmal anstrengend, aber SKA KELLER es ist auch sehr wichtig. Denn wenn die ist Abgeordnete im Europäischen Böll.Thema – Das Magazin der Heinrich- Böll-Stiftung, Ausgabe 2/2018 Demokratie kontinuierlich schlechtgeredet Parlament und Ko-Vorsitzende Demokratie braucht wird, dann bleibt das hängen! Und es hat Folgen: Über die Vorteile der Demokratie der grünen Fraktion. Sie war Mitglied des Bundesvorstands der Grünen SETZEN SICH DURCH“ Feminismus wird nicht mehr gesprochen – sie werden Jugend und Landesvorsitzende von kaum noch wahrgenommen. Deswegen wol- Bündnis 90/Die Grünen in Branden- Juni 2018, 40 Seiten len wir eine Alternative anbieten. Mein Vor- burg, außerdem war sie Vorsitzende Helmut Müller-Enbergs war Anfang der 1990er-Jahre INGO SCHULZE der Europäischen Grünen Jugend. schlag: mehr Demokratie! Die Europäer*innen Mitglied im Landesvorstand von „Bündnis 90“ und Zur Europawahl 2014 war Keller Spit- mehr mitentscheiden zu lassen. Nicht nur „Im Herbst 1989 war eine Woche die Demokratie ist ein „Patient“, auch Euro- zenkandidatin der Europäischen Pressesprecher der Fraktion „Bündnis 90“ im Landtag eine Ewigkeit. Jeden Tag, beinahe Grünen Partei. Sie ist in Guben gebo- pa ist in keiner guten Verfassung. Man könn- ren und lebt in Brüssel und Berlin. Brandenburg. Ein Rückblick auf turbulente jede Stunde geschah etwas, das ich kurz vorher kaum für möglich ge- te sagen, das liege an der AfD. Aber das ist demokratische Aufbaujahre. halten hatte. Ich bin froh, bisher zu- zu kurz gegriffen. Auch an der Stimmungs- mindest ein Mal erlebt zu haben, mache der CSU, die nach rechts hinterher- dass sich tatsächlich in kürzester Zeit geht, trägt dazu bei – besonders beim Um- Populismus. Wir erleben gerade, wie in Unübersichtlich – mit diesem Wort lässt Ein wichtiger Akteur in der damaligen Um- Protokoll: Philipp Hauner; Foto: Wolfang Stahr alles ändern kann – und zugleich gang mit Geflüchteten. Europa wieder rechtsnationale Politik ge- sich die politische Situation im Land Bran- bruchszeit war „Demokratie Jetzt“, dem ich die Erfahrung gemacht zu haben, macht wird! denburg nach der Herbstrevolution 1989 mich im Januar 1990 anschloss. Diese ost- dass manches über Nacht Erreichte Den tatsächlichen Einfluss von Aussagen der wohl am ehesten beschreiben. Das war na- deutsche Bürgerbewegung machte sich für auch in kürzester Zeit wieder verlo- Spitzenpolitiker*innen auf die Bevölkerung Dennoch bin ich überzeugt: Wir können türlich eine extrem spannende Zeit, für eine soziale und ökologische Ausrichtung ren gehen kann. Unsere Auffassung dürfen wir nicht unterschätzen. Wenn sie be- diese Entwicklung aufhalten! Wir können mich als Politologen und politisch engagier- der Marktwirtschaft stark. Alles natürlich vor von Freiheit bezog die Ökonomie haupten, Flüchtlinge müsse man nicht mehr genügend Europäer*innen in Bewegung ten Menschen besonders. Aber der Reihe dem Hintergrund des großen Ziels einer selbstverständlich mit ein. Die ent- scheidende Frage war: Wie gehen retten, dann ist das eine neue Ansage. Wenn setzen. Wir müssen noch mehr davon über- nach: Als Student an der Freien Universität in solidarischen Gesellschaft. Auch die Auffas- wir nach der Eroberung der politi- sie die Grenzen schließen, dann hat das Fol- zeugen, dass sie sich äußern müssen, dass Westberlin bin ich im Mai des Jahres 1987 sung, dass nur ein gemeinsames Deutsch- schen Freiheiten mit der Wirtschaft gen für den Charakter Europas. So wird das sie selbst aktiv werden müssen. Für ihre ei- der „Alternativen Liste“ beigetreten. Die Liste land eine Perspektive haben würde, wurde um, wie eignen wir uns unser ,Volks- Frauen haben sich in den vergangenen fatale Signal ausgesendet: Europa hilft genen Rechte als Bürger*innen – und für war ein Wahlbündnis, das sich für Basis von nahezu allen Mitgliedern geteilt. Neben- eigentum‘ nun tatsächlich an? Selbst- Jahrhunderten viele Rechte erkämpft. Doch Menschen in Not nicht mehr. Wenn Rettungs- die von anderen. Für die Demokratie und für demokratie und Umweltschutz einsetzte – bei erwähnt: Dass das „Lindenhotel“ inzwi- verständlich sah ich die Zukunft in die Emanzipation von der patriarchalen boote davon abgehalten werden zu retten Europa können wir alle etwas tun. Auch im und wurde in Kreuzberg gegründet. Gewisser- schen die Zentrale für Bürgerbewegungen in einem demokratischen Sozialismus. Geschlechterordnung ist noch lange nicht geschafft. Die gute Nachricht: Feminismen und so selbst Menschenleben in Frage gestellt Privaten: Zum Beispiel auf der Familienfeier maßen war sie das Westberliner Vorläufer Brandenburg geworden war, feierten wir sind auf dem Vormarsch. Frauen* erkämp- werden, macht das deutlich, das sich nicht widersprechen, wenn jemand sagt, was alles modell der Grünen. alle als einen Riesentriumph. Auch wenn die Auswirkungen von nur der Diskurs nach rechts verschoben hat. schlecht sei in Europa und mit der Demo ’89 einschneidender waren als jene fen sich immer neue Räume, um ihre Anlie- Noch vor einigen Jahren waren Forderungen, kratie! Für mich gilt der alte Spruch: Demo- Natürlich machten wir uns innerhalb der Die alte DDR könne es alleine nicht schaf- der Revolte von ’68, so sind beide gen weltweit öffentlich zu machen: Sie Aufbrüche in ihren Absichten gar wollen für gleiche Arbeit genauso viel wie Rettungsboote abzuweisen, zum Glück nicht kratie muss man jeden Tag neu erkämpfen. Partei auch Gedanken, wie wir demokratische fen. Und: Wozu auch zwei demokratische nicht so unähnlich. Es ging um ihre Kollegen verdienen, sie pochen auf ihre möglich. Es geht also um viel mehr als nur um Lasst es uns gemeinsam anpacken! | Gruppen in der DDR, wie zum Beispiel das Deutschlands? Mit diesem Standpunkt mehr Freiheit, es ging um eine Demo- sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. „Neue Forum“, unterstützen konnten. Unser waren wir damals eher in der Minderheit. kratisierung der Gesellschaft und Ansinnen entpuppte sich aber rasch als Längst nicht alle Spitzen der demokrati- um soziale Gerechtigkeit. Das Prob- Das neue Heft informiert über die GRÜNE HALTUNG schwieriges Unterfangen. Denn im „Neuen schen Bürgerbewegung, die ja aus mehreren lem ist, dass sowohl ’68 wie ’89 heute Strömungen des Feminismus und greift Forum“ gab es Befürchtungen, dass die Einzelgruppen bestand, wollten anfangs musealisiert werden. In der Öffentlich- aktuelle Debatten und Entwicklungen auf. Parteioberen der SED die sogenannte ‚west- ein geeintes Deutschland. Bis weit ins Früh- keit werden die Forderungen von Jetzt auch als Webmagazin liche Einflussnahme‘ nicht gutheißen wür- jahr 1990 hinein war dieser Ausblick kein damals als etwas angesehen, das sich Im Netz lesen, downloaden oder bestellen: erledigt hat, bestenfalls sind es schö- boell.de/thema MITMACHEN den. Doch immerhin: Lose Kontakte waren Konsens – vielerorts sprach man hingegen ne Schmetterlinge unter Glas. Dabei geknüpft. Parallel dazu bestand bei mir von einem „anderen Deutschland“, wenn sind die Konflikte von damals heute eine andere, stärkere Verbindung zu den Men- man die Zukunft der DDR meinte. nicht veraltet, nur vergrößert durch schen in der DDR. Zusammen mit meiner Podcastreihe den technologischen Fortschritt Unsere Mitglieder bestimmten in den Jahren 2013 und 2017 in Frau habe ich regelmäßig Angehörige von Doch der 3. Oktober 1990 besiegelte mit samt Digitalisierung.“ Our Voices, our Choices Urwahlen ihre Spitzenkandidat*innen für die Bundestagswahlen. Gef angenen im „Lindenhotel“ besucht, dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Immer wieder Pionier politischer Beteiligungsformen zu sein, einer Untersuchungshaftanstalt der Staats- absehbar alle Visionen einer eigenständigen sicherheit in Potsdam. Verfassung. Bereits zuvor entstand ein Ingo Schulze, deutscher Schriftsteller gehört seit Anbeginn zu unserem bündnisgrünen Selbstverständ- © Arinda Craciun ( *1962 in Dresden), wurde für neues Problem in der DDR: Überall tauchten nis. Offline genauso wie online. Mit unserem digitalen Mitmach- seinen aktuellen Roman „Peter Holtz – Die Herbstrevolution kam für uns alle über- „Besser-Wessis“ auf, die meinten, die rich sein glückliches Leben erzählt Instrument „Beteiligungsgrün“ geben wir unseren Mitgliedern, raschend. Kaum hatte ich im August 1989 tigen Lösungsansätze gepachtet zu haben. von ihm selbst“ 2017 mit dem Rheingau ganz egal wo sie sind, die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen. meine Diplomarbeit über das „Mandat des Ich konnte damit nichts anfangen – ich Literatur Preis ausgezeichnet. Hier werden Geschichten über Frauen- und LGBTI-Rechte erzählt: von Menschen, Die Resonanz? Unsere Mitgliederzahl ist so hoch wie nie, das Durch- Intellektuellen in der DDR“ an der Freien verstand mich eher als teilnehmenden Beob- deren Stimme nicht oft gehört wird, und schnittsalter unserer Mitglieder das niedrigste aller Parteien. Universität in Westberlin fertig geschrieben, achter. Aber auch die neue Parteienland- deren Rechte eingeschränkt werden. Und keine andere Partei in Deutschland hat mehr Frauen in ihren rumorte es ‚drüben‘. Verschiedene Gruppen schaft war mit CDU, SPD und FDP stark von boell.de/podcasts Reihen. Mitmachen, mitbestimmen und mitgestalten. Weil die der Bürgerbewegung traten plötzlich laut- den „Besser-Wessis“ geprägt. Das „Wahl- unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen unseren Bündnis- stark ans Tageslicht. In Westberlin haben Bündnis 90“ blieb hingegen weitgehend eigen- www.boell.de gedanken lebendig machen. wir aufmerksam reflektiert, was da in der ständig. Es hatte sich gerade als Zusam- Heinrich-Böll-Stiftung Schumannstr. 8, 10117 Berlin DDR los war. Wir waren trotzdem über- menschluss von Teilen des „Neuen Forums“, rascht, als alles dann doch so schnell ging. der „Initiative Frieden und Menschen
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