Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
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3. QUARTAL DAS MAGAZIN DER 2018 KASSENÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG Räderwerk der Regulierung Das Terminservice- und Versorgungsgesetz Versichertenbefragung Interview: KBV-Vorstand Gesundheit anderswo Mehrheit der Patienten zum Terminservicegesetz Albanien: Warum Gesund- zufrieden mit Wartezeiten „Das ist eine mission heitspersonal von dort auf Arzttermine impossible“ nach Deutschland kommt
Editorial KBV Klartext Das Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Erscheinungsweise: Liebe Leserin, lieber Leser, vierteljährlich Herausgeber: die vermeintlich sehr langen Wartezeiten auf Arzttermine Kassenärztliche Bundesvereinigung sind in den Medien immer wieder ein beliebtes Thema. Mit Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor- sitzender der KBV, V.i.S.d.P.) dem „Terminservice- und Versorgungsgesetz“ (TSVG) will das Bundesgesundheitsministerium nun bei diesem objektiv nicht Redaktion: Alexandra Bodemer (Chefredakteurin), vorhandenen Problem (das hat erst jüngst unsere Versicher- Meike Ackermann, Sarah Weckerling, Tom Funke, Corina Glorius tenbefragung wieder einmal gezeigt) Abhilfe schaffen. Mehr Sprechstunden, Vermittlung von Terminen über die Servicestellen der Kassenärztlichen Verei- Redaktionsbeirat: Dr. Roland Stahl nigungen lauten Teile der politisch gewollten Ansätze. Ab Seite 4 lesen Sie in unserem Titelthema, welche Änderungen das TSVG im Einzelnen vorsieht und Redaktionsanschrift: Kassenärztliche Bundesvereinigung wie die Vertreter der Ärzteverbände Minister Spahns Pläne bewerten. Redaktion Klartext Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin Tel.: 030 4005-2205 Die Position der KBV zum neuen Gesetz habe ich in diesem Heft gemeinsam mit Fax: 030 4005-2290 meinen Vorstandskollegen Dr. Andreas Gassen und Dr. Stephan Hofmeister in E-Mail: redaktion@kbv.de www.kbv.de einem ausführlichen Interview dargelegt: Das TSVG ist unserer Ansicht nach in vielen Bereichen ein unmöglich scheinendes Unterfangen, modern ausgedrückt Gestaltung: KloseDetering, Hamburg sozusagen eine „mission impossible“ – ganz zu schweigen davon, dass es einen maßgeblichen Eingriff in den freien Arztberuf darstellt. Positiv ist, dass Druck: Druckerei Kohlhammer, Stuttgart Minister Spahn den Bedarf nach mehr Vergütung anerkennt. Am Thema Honorar wird sich zeigen, ob die geplanten Maßnahmen in die Realität der Arztpraxen Fotos: Titel: © shutterstock/Puszaya/Klose- übertragbar sind. Mehr dazu lesen Sie ab Seite 8. Detering > S. 2: © axentis.de/Lopata > S. 3: © Meike Ackermann; © shutterstock/ Visual Generation/KloseDetering; © Dafür, dass die Versorgung in Deutschland bereits sehr gut ist und die Patien- shutterstock/6kor3dos/KloseDetering > S. 4: © shutterstock/Visual Generation/ ten überwiegend mit ihren Ärzten zufrieden sind, sprechen die Ergebnisse der KloseDetering; © shutterstock/6kor3dos/ diesjährigen KBV-Versichertenbefragung. 80 Prozent der Patienten beantworten KloseDetering > S. 5: © Andreas Schoelzel > S. 6: © axentis.de/GEORG LOPATA; © www. sogar die Frage, ob sie in letzter Zeit zu lange auf einen Termin gewartet hätten, mark-bollhorst.de > S. 7: © RioPatuca Ima- mit „nein“. Interessant fand ich auch, dass die meisten Patienten der Digitali- ges/Fotolia > S. 8-11: © Alexandra Bodemer > S. 12: © sebra/Fotolia > S. 13: © New sierung im Gesundheitswesen gegenüber aufgeschlossen sind, sofern ihr Arzt Africa/Fotolia > S. 14: © Meike Ackermann > dabei eine zentrale Rolle spielt (mehr ab Seite 14). S. 17: © INFINITY/Fotolia; picture alliance/ dpa-Zentralbild > S. 18: © alfexe/Fotolia > S. 19: © marog-pixcells/Fotolia > S. 20: Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre. © picture alliance/Sodapix AG > S. 21: © KloseDetering > S.22: © axentis.de/Lopata; picture alliance/Kristin Bethge/dpa > S.23: Ihr Dr. Thomas Kriedel, © fotomek/Fotolia; KBV Mitglied des Vorstandes www.twitter.com/kbv4u KBV Klartext Die App KBV2GO! kostenlos abonnieren www.youtube.com/kbv4u kostenlos downloaden: und downloaden: www.kbv.de/klartext www.kbv.de/kbv2go www.kbv.de/praxisnachrichten 2 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
Inhalt Titel Themen Gesundheit anderswo 12 Verordnungssoftware: Schneller 20 Albanien: Wo Gesundheit eine Frage 4 Räderwerk Wechsel dank Schnittstelle des Privatvermögens ist der Regulierung: Das 14 Versichertenbefragung 2018: Terminservice- und Digitalisierung? Nicht ohne meinen Arzt! Versorgungsgesetz Kurz gefasst 18 Bericht aus Brüssel: Deutschland im Länderbericht 13 Meldungen aus dem Bund der EU-Kommission 17 Meldungen aus den Ländern 23 Angeklickt und aufgeblättert Interview 8 Der KBV-Vorstand im Interview: „Das TSVG hilft den wirklich Kranken nicht weiter“ Präsentation der Ergebnisse der KBV-Versichertenbefragung 2018 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 3
TITEL Service- oder Regulierungsgesetz? Es hat einen klangvollen Namen: das Terminservice- und Versorgungsgesetz.* Es verspricht schnellere Termine für gesetzlich Versicherte und eine bessere flächendeckende Versorgung. Für bestimmte Leistungen sollen Ärzte zusätzliches Honorar erhalten. Gleichzeitig gibt es neue und striktere Vorgaben für die ärztliche Selbstverwaltung und die Praxen. * Dieser Artikel sowie das nachfolgende Interview beziehen sich auf den Referentenentwurf vom 23. Juli 2018. 4 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
D er Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) für das „Gesetz für schnel- lere Termine und bessere Versorgung“ (Ter- minservice- und Versorgungsgesetz, kurz Zusätzliche Vergütung Neben der erfolgreichen Vereinbarung DR. DIRK HEINRICH Vorstands- TSVG), ist 144 Seiten stark. Neben einigen eines Facharzttermins durch den Hausarzt vorsitzender leistungsrechtlichen Veränderungen – sieht das TSVG weitere Änderungen des des Spitzenver- etwa zur Präexpositionsprophylaxe gegen Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) bands Fachärzte HIV oder zum Krankengeld – behandelt vor. So sollen medizinisch-technische Deutschlands es vor allem die Verfügbarkeit ärztlicher Leistungen zugunsten der sogenann- e. V. (SpiFa) Leistungen für die breite Bevölkerung. ten sprechenden Medizin neu bewertet werden, und zwar bis zum 30. September 2019. Bis zum 31. März ist dem BMG ein Wir begrüßen das Bekenntnis des entsprechendes Konzept inklusive Men- Bundesgesundheitsministeriums gensteuerung vorzulegen. Schnellere Termine Die Versorgung von Akut- und Notfällen zum Stellenwert der Fachärzte in der Grundversorgung der Patienten. Dies während der Sprechstundenzeiten soll ext- ist ein erster richtiger Schritt für eine Die Aufgaben der seit 2016 existieren- ra vergütet werden. Ab dem 1. April 2019 zukunftsfähige ärztliche Versorgung den Terminservicestellen (TSS) werden sollen akute Fälle, die über die TSS in die in Deutschland. Mit dem Titel des erweitert. Künftig sollen auch Haus- und Praxen vermittelt wurden, im Hinblick auf Gesetzes wird jedoch suggeriert, ein Kinderärzte durch diese vermittelt werden. die Vergütung der ambulanten Akutver- gesetzliches Verordnen von mehr Auch während der Praxisöffnungszei- sorgung im Krankenhaus gleichgestellt Terminen sorge dafür, dass mehr ten sollen Akutpatienten über die TSS werden. Die Behandlung neuer Patienten Termine und eine verbesserte unmittelbar zu einem niedergelassenen wird grundsätzlich höher bewertet. Leis- Versorgung angeboten würden. Arzt oder bei Bedarf in eine Notfallam- tungen im Rahmen der offenen Sprech- bulanz vermittelt werden können. Bei stunde, die über den Umfang von 20 Eine konsequente Entbudgetierung lebensbedrohlichen Fällen erfolgt eine Wochenstunden hinaus angeboten wird, der vertragsärztlichen Leistungen Weiterleitung an die Notrufzentrale 112. werden ebenfalls zusätzlich honoriert. Bei in der Grundversorgung würde eher Die Nummer 116117 soll rund um die Uhr Fachärzten gilt ein Überweisungsvorbe- zu einer nachhaltigen Verbesserung erreichbar sein und in das künftige System halt, außer bei Augen- und Frauenärzten. der Versorgung sowie des Terminan- der gemeinsamen Notfallleitstellen integ- gebots führen. Die Ausweitung der rierbar sein. Über die TSS sollen Termine Sprechstunden auf 25 Stunden ist nicht nur telefonisch, sondern auch online dabei ein völlig unnötiger Eingriff. vermittelt werden können. Die KBV soll Näheres zur einheitlichen Umsetzung Bedarfsplanung und Niedergelassene Ärzte arbeiten heute rund 53 Stunden pro Woche. durch die Kassenärtzlichen Vereinigungen Sicherstellung (KVen) regeln. Die KVen sollen ihrerseits Die ersten Maßnahmen zur Etablie- die Sprechstunden der Vertragsärzte veröf- Die Länder erhalten mehr Eingriffsmög- rung einer zusätzlichen und extra- fentlichen. lichkeiten bei der Bedarfsplanung. So budgetären Vergütung begrüßen können sie etwa in eigentlich gesperrten wir. Gleichzeitig ist die gemeinsame In der Zulassungsverordnung für ländlichen Planungsbereichen zusätzliche Selbstverwaltung gefordert, die Vertragsärzte sollen statt mindestens Arztsitze beantragen. Korrespondierend Regelungen auch so umzusetzen, 20 Stunden Sprechzeit pro Woche 25 dazu erhalten sie ein Mitberatungs- und dass die Intention des Gesetzes Stunden festgesetzt werden, Hausbesuche Antragsrecht in den Zulassungsausschüs- beim Arzt „ankommt“. Äußerungen werden dabei angerechnet. Zusätzlich sen. In Gebieten, in denen Unterversor- des GKV-Spitzenverbandes machen wird die „offene Sprechstunde“ etabliert: gung besteht oder droht, werden regionale jedoch deutlich, dass ein Partner der Haus- und Kinderärzte sowie bestimmte Vergütungszuschläge obligatorisch. Der gemeinsamen Selbstverwaltung die Facharztgruppen müssen mindestens Landesausschuss der Ärzte und Kranken- Ziele des TSVG eher konterkariert. fünf Stunden Sprechzeit pro Woche ohne kassen setzt diese fest, die Finanzierung vorherige Terminvereinbarung anbieten. erfolgt wie bisher jeweils zur Hälfte durch Die Selbstverwaltung und insbeson- Die Bundesmantelvertragspartner sollen KV und Krankenkassen. Die bislang dere der GKV-Spitzenverband wird zeitnah die Einzelheiten regeln. freiwillige Einrichtung eines Strukturfonds sich an den Zielen des TSVG messen Hausärzte sollen in dringlichen Fällen wird für die KVen verpflichtend. Die Mittel lassen müssen. Der Minister hat direkt einen Termin beim Facharzt ver- in Höhe von dann bis zu 0,2 Prozent der bereits mehrmals betont, er sei ein mitteln. Für eine erfolgreiche Vermittlung vereinbarten Gesamtvergütung sind auszu- Fan von einer „funktionierenden“ erhalten sie eine zusätzliche Vergütung. schöpfen. Beispiele hierfür sind Zuschüsse Selbstverwaltung. Die Ärzteschaft Diese soll der Bewertungsausschuss bis zu Investitionskosten bei Praxisübernah- ist bereit, ihren Funktionsbeitrag zu zum 1. April 2019 definieren. Gelingt men, die Förderung von Eigeneinrichtun- leisten. dies nicht, legt der Gesetzgeber hierfür gen und lokalen Gesundheitszentren sowie zunächst zwei Euro fest. von Sonderbedarfszulassungen. > KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 5
TITEL in unterversorgten Regionen Medizinische ULRICH WEIGELDT Versorgungszentren (MVZ) zu gründen. RUDOLF HENKE Generell soll ein Träger mehrere MVZ betreiben können. Angestellte Ärzte sollen nach Rückzug aller ärztlichen Gründer Bundes- eines MVZs dieses übernehmen können, 1. Vorsitzender vorsitzender solange sie weiter in dem MVZ tätig sind. des Marburger des Deutschen Bundes Hausärztever- bandes Digitalisierung und Datennutzung Das TSVG verfolgt viele richtige Wir begrüßen die Bemühungen zur Ziele, teilweise jedoch mit den Die elektronische Patientenakte (ePA) Verbesserung der ambulanten Ver- falschen Mitteln. Besonders kritisch und das elektronische Patientenfach sorgung, soweit sie dem Ziel dienen, sehen wir die massiven Eingriffe in werden begrifflich zusammengeführt. Die dem gesellschaftlichen und demo- den freien Arztberuf. Wie beispiels- Krankenkassen müssen ihren Versicherten grafischen Wandel möglichst früh- weise ein niedergelassener Arzt spätestens ab 2021 eine ePA anbieten. Die zeitig Rechnung zu tragen. Dabei ist seine Sprechstunden organisiert, Eiwilligung des Patienten in die Nutzung es wichtig, insbesondere sektoren- ob als Termin- oder freie Sprech- medizinischer Anwendungen soll verein- übergreifende sowie kooperative stunde, sollte den niedergelassenen facht werden. Versicherte sollen auch ohne Ansätze, flankiert von innovativen Kolleginnen und Kollegen überlas- den Einsatz ihrer elektronischen Gesund- digitalen Anwendungen, weiter zu sen werden. Das ist nicht Sache der heitskarte mobil auf medizinische Daten festigen und auszubauen. Insoweit Berliner Politik! Auch die Erhöhung der ePA zugreifen können, etwa mittels ist der Entwurf des Ministeriums der Mindestsprechstundenzeit ist Smartphone oder Tablet. eine gute Grundlage für strukturelle eher eine Scheinlösung, die von den Verbesserungen. echten Problemen ablenkt statt sie anzupacken. Die Politik ist jedoch aufgefordert, eine Balance zwischen gewünschter Es ist nachvollziehbar, dass die Eingriffsmöglichkeiten Flexibilisierung und Eindämmung Politik das Thema Wartezeiten des Einflusses rein renditeorientier- der Aufsicht anpacken will. Dass für zusätzliche ter Investoren zu wahren. Der wach- Arbeit auch zusätzliches Geld zur Das BMG erhält erweiterte Eingriffsrechte sende Trend zur Industrialisierung Verfügung stehen soll ist konse- in die Selbstverwaltung. So kann es bei- erschwert nicht nur die selbststän- quent. Die Lösung kann aber nicht spielsweise Wirtschaftsprüfer und Rechts- dige Niederlassung für den ärztli- sein, dass es zukünftig einfach noch anwälte mit der Prüfung der Geschäfts-, chen Nachwuchs, sondern macht es mehr unkoordinierte Facharztbesu- Rechnungs- und Betriebsprüfung der Kör- insbesondere auch für angestellte che gibt. Davon hat niemand etwas perschaften beauftragen und den Körper- Ärztinnen und Ärzte problematisch, – gerade auch die fachärztlichen schaften hierfür die Kosten auferlegen. Des bei einem gewünschten Verbleib Kollegen nicht! Stattdessen braucht Weiteren erhält die Rechtsaufsicht zusätz- in der Region den Arbeitgeber zu es endlich eine vernünftige Koor- liche Eingriffsmöglichkeiten in das Schieds- wechseln. dination der Behandlungsabläufe. amt, welches bei Nichtzustandekommen Darauf sollte in Zukunft der Fokus eines Vertrags zur vertragsärztlichen Ver- Auch die vorgesehene telefonische liegen! sorgung tätig wird. So kann etwa das BMG Vermittlung von Akutfällen durch künftig selbst das Schiedsamt anrufen. Neu die Terminservicestellen greift zu eingeführt wird ein sektorenübergreifendes kurz. Sie muss in ein Gesamtkonzept In unterversorgten oder von Unterversor- Schiedsamt. zur Neustrukturierung der Notfall- gung bedrohten Gebieten müssen KVen versorgung eingebettet sein. Eine künftig Eigeneinrichtungen anbieten, Eine ausführliche inhaltliche Bewertung Differenzierung der Qualifikation gegebenenfalls in Kooperation mit Kom- des Gesetzes durch den Vorstand der KBV von Mitarbeitern für die Notfall- munen und Krankenhäusern. Alternativ lesen Sie im großen Klartext-Interview auf versorgung und für die bloße sind auch mobile Angebote (etwa Patien- den folgenden Seiten. Terminservicestelle muss erhalten tenbusse) oder digitale Sprechstunden bleiben. möglich. Praxisnetze werden berechtigt, Alexandra Bodemer 6 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
DIPL.-PSYCH. BARBARA LUBISCH Die offizielle Stellungnahme der KBV zum Referentenentwurf des TSVG gibt es hier: Bundesvor- zur Aufnahme neuer Patienten www.kbv.de/html/36519.php sitzende der sollten sich bei der Psychothera- Deutschen pie auf die Anhebung der Bewer- Psycho- tung der sehr zeitaufwändigen therapeuten- Erstkontakte beziehen. Vereinigung Die Erhöhung der Mindestsprech- stundenzeit wird abgelehnt. „Wir befürworten die Vorschläge Knackpunkt für die Verbesserung zur Stützung der sprechenden der psychotherapeutischen Ver- Medizin im Entwurf des TSVG. Al- sorgung ist die Neuordnung der lerdings wünschen wir uns einige Bedarfsplanung. Die Beteiligung Klarstellungen. Die angemessene der Länder in der Zulassungssteu- Vergütung psychotherapeutischer erung hilft hier nicht weiter. Die Leistungen sollte durch eine Bedarfsplanungsrichtlinie muss präzise Formulierung gesichert verbindliche Rahmenbedingungen werden. Außerdem muss Psycho- schaffen: Neben den ländlichen therapie dauerhaft extrabudgetär Räumen braucht auch das Umland vergütet werden, um Konflikte mit größerer Städte eine Verbesse- der fachärztlichen Vergütung zu rung der Verhältniszahl Psycho- vermeiden. Die geplanten Anreize therapeut pro Einwohner.“ KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 7
INTERVIEW „Das ist eine mission impossible“ „Schneller, höher, weiter“ scheint das Motto des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetzes zu sein. Zwar bringe das Gesetz mehr Geld, aber nicht für die Versorgung wirklich kranker Menschen, kritisiert der KBV-Vorstand im Klartext-Interview. Stattdessen gehe es um eine „Wünsch-dir-was-Versorgung“, durch die neue Probleme entstünden. Herr Dr. Gassen, Herr Dr. Hofmeister, ten. Das löst bei den Kollegen an der Basis Aussicht. Ein faires Angebot? Herr Dr. Kriedel, der Entwurf zum neuen große Irritation und auch Verärgerung aus. Terminservice- und Versorgungsgesetz Auf der anderen Seite, und das ist das Posi- Gassen: Es ist zumindest ein Angebot. Aus (TSVG) liegt nun vor. Wie ist die Stim- tive, erkennt Herr Spahn an, dass Mehr- unserer Sicht wäre die Entdeckelung der mung im KV-System? leistung vergütet werden muss. Ob diese Grundleistungen der einfachere und effek- Vergütung tatsächlich kommt, das wird tivere Weg gewesen. Es wäre außerdem ein Gassen: Ambivalent, würde ich sagen. Wir der Lackmustest für das Gesetz werden. Signal der Wertschätzung gegenüber der sehen durchaus die eine oder andere sinn- Ärzteschaft, ohne dass es teurer geworden volle Änderung. Wir sehen aber auch ein Sie hatten im Vorfeld der Gesetzgebung wäre. Jetzt wird es viel schwerer – für uns, Gesetz, das in die Selbstverwaltung und die generelle Entbudgetierung ärztlicher aber auch für die Politik – Überzeugungs- sogar in die individuelle Arztpraxis hinein Grundleistungen gefordert und dies mit arbeit zu leisten, und es wird für die KVen reguliert. Genau das tun die Terminser- rund einer halbe Milliarde Euro beziffert. schwerer, das auch umzusetzen. Aber vicestellen, die offene Sprechstunde und Dieselbe Summe stellt Minister Spahn noch einmal: Wenn die Summe tatsäch- die 25-Stunden-Regelung zu den Sprechzei- jetzt für bestimmte Mehrleistungen in lich fließt, dann glaube ich, wird man das 8 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
„Die Vergütung ist der Lackmustest für das Gesetz.“ Gassen eine oder andere regeln können. Wenn das Gassen: Die TSS waren bislang ein „durch- Er sagt, neu ist der Patient, der noch nie nicht passiert, wird es eine Katastrophe. schlagender“ Erfolg mit 190.000 vermit- mit dieser konkreten Erkrankung in dem telten Terminen im Jahr 2017 von über 560 Jahr bei diesem Arzt war. Wir müssen aber Hofmeister: Das Problem bei diesem Millionen Behandlungsfällen. Das Gesetz auch darauf achten, dass der „alte“, im Gesetz ist, dass die wirklich Kranken erweitert aber jetzt die Aufgabe erheblich. Sinne von schon bekannte, oder chronisch „hinten runterfallen“. Deren Finanzierung Die ärztliche Dringlichkeit spielt eine kranke Patient nicht vergessen wird. Die bleibt gedeckelt und budgetiert. Wenn kleinere Rolle. Es wird der subjektiven Schwächsten dürfen nicht benachteiligt das Gesetz umgesetzt wird, dann bringt Dringlichkeit mehr Raum gegeben. Das ist werden. es vielleicht das Geld, aber es schafft bei einer endlichen Ressource Arzt nicht absehbar ein neues Versorgungsproblem. ohne Risiko. Sinnvoller fänden wir es, die Das TSVG schreibt vor, dass bis Okto- Und schlimmstenfalls bringt es das Geld ärztliche Interaktion, bei der Haus- und ber kommenden Jahres die technischen auch nicht, weil die Ärzte gar nicht so viel Facharzt sich über einen Patienten abstim- Leistungen im EBM bereinigt werden, um mehr leisten können und/oder weil die men, besser zu vergüten. die „sprechende Medizin“ zu fördern. Bis Summe durch Bereinigung und andere April soll die Vermittlung eines Facharzt- Mechanismen am Ende unterlaufen wird. Die Behandlung von Patienten, die über die termins durch einen Hausarzt ein Preis- Hinzu kommt ein riesiger bürokratischer TSS einen Termin erhalten, soll extrabud- schild bekommen. Gelingt dies nicht, gibt Aufwand, um das Ganze zu überwachen getär vergütet werden. Ergibt das Sinn? der Gesetzgeber hierfür zwei Euro vor. und zu kontrollieren. Wie bewerten Sie diese Vorgaben? Hofmeister: Das ist die Grundvorausset- Wenn das Gesetz, wie Sie sagen, nicht zung. Wenn dieser Mehrbedarf aus dem Gassen: Ich finde es eine Missachtung den Kranken zugute kommt, ist es dann System herausgehoben werden soll, dann hausärztlicher Tätigkeit, eine vom Gesetz- mehr ein PR-Coup des Ministers als ein kann das nicht im Rahmen der Budge- geber gewollte besondere Leistung für den echtes Versorgungsgesetz? tierung geschehen. Ich kann ja nicht Patienten mit nur zwei Euro zu vergüten. jemandem, der jetzt schon nur 85 Prozent Hinzu kommt: Der Hausarzt soll dem > Hofmeister: Möglicherweise. Es ist ein vergütet bekommt, sagen, mach noch politisches Problem des „schneller, höher, 100 Patienten mehr, dann kriegst du noch weiter“, das hier bedient werden soll. 70 Prozent Honorar. Das leuchtet sogar der Wir reden hier in Deutschland in keiner Politik ein. Weise von einem Versorgungsproblem ernsthafter Art. Wir haben von allem viel. Ist das nicht ein Zwei-Klassen-System, Gemessen an anderen Systemen vielleicht wenn Patienten, die über die TSS kom- zu viel, das wäre zu diskutieren. Und jetzt men, anders vergütet werden als solche, soll es noch mehr werden, und zwar un- die sich direkt an die Praxis wenden? gesteuert. Dort, wo zu wenige Ärzte sind, ändert sich dadurch gar nichts. Und wo zu Gassen: Ich habe schon den flapsigen wenige Patienten sind, ändert sich auch Spruch gehört „Es gab zwar nie eine Zwei- nichts. Das ist das Problem. Klassen-Medizin, aber demnächst gibt es eine Drei-Klassen-Medizin: privat, gesetz- Kriedel: Ich bin enttäuscht von dem, was lich, Terminservicestelle“. in dem Gesetzentwurf steht, verglichen mit den Ankündigungen. Ich hätte mir Hofmeister: Deswegen haben wir gefor- deutlicher den Einstieg in den Ausstieg dert, die Grundpauschalen extrabudgetär Dr. Andreas Gassen (Jahrgang 1962) aus der Budgetierung gewünscht. Das für alle zu vergüten. Einmal als Signal an ist seit März 2014 Vorsitzender des wäre ein Zeichen für die Zukunft gewe- die Ärzte, zum zweiten, um eine Strati- Vorstands der KBV. Zuvor war er un- sen. Wir wissen, dass wir in den nächsten fizierung zu vermeiden: Jeder Patient ist ter anderem Mitglied der Vertreter- Jahren Probleme haben werden, Ärzte zu gleich viel wert und wird gleich bezahlt. versammlung der Kassenärztlichen finden, die sich niederlassen wollen. Man Das wäre eine völlig andere Botschaft als Vereinigung Nordrhein und zweiter hätte mit dem Geld mehr erreichen kön- das, was Sie gerade skizziert haben. stellvertretender Vorsitzender der nen, auch in der Wirkung auf die nachfol- Vertreterversammlung der KBV. Seit gende Ärztegeneration. Da ist eine Chance Auch für neue Patienten soll es zusätzli- 1996 ist der Facharzt für Orthopä- verschenkt worden. ches Honorar geben. Was heißt „neu“? die, Unfallchirurgie und Rheumato- logie in einer Gemeinschaftspraxis Die Terminservicestellen (TSS) sollen Gassen: Das weiß keiner so genau. Der in Düsseldorf niedergelassen. künftig eine zentrale Rolle bei der Ver- Gesetzgeber hat eine Definition anklingen mittlung spielen. Was halten Sie davon? lassen, mit der könnte man sogar leben. KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 9
INTERVIEW „Die wirklich Kranken sind diejenigen, die hinten runterfallen.“ Hofmeister Patienten „erfolgreich“ einen Termin Hofmeister: Wenn man das ernst nimmt, tung anstoßen kann. Wenn also jemand bei einem weiterbehandelnden Facharzt müsste man es überprüfbar machen. die 116117 anruft und erkennbar ein Notfall vermitteln. Er kann sich also ans Telefon Dann müsste ich irgendein technisches ist, dann wird man dort nicht sagen, einen hängen und versuchen, einen Patienten Tool haben, um beim Hausarzt prüfen Moment, wir verbinden Sie, sondern direkt in der budgetierten Gesamtvergütung bei zu können, ob Patient X von Hausarzt A den Krankenwagen losschicken. Das ist, einem Facharzt unterzubringen, der schon korrekt zu Facharzt B überwiesen wurde, glaube ich, eine gute Regelung. völlig ausgelastet ist. Das ist eine „mission dort auch gewesen und am besten noch impossible“, wenn nicht beide dafür mehr einen Befragungsbogen zur Zufriedenheit Hofmeister: Die Triagierung funktioniert bei Honorar bekommen. Die Abstimmung zwi- ausgefüllt hat. Dafür gibt es bisher nicht uns im ambulanten Bereich ja etwas anders schen Haus- und Facharzt ist an sich sinn- mal ansatzweise Mechanismen. Ich habe als in der Notfallversorgung. Vielleicht voll. Man muss sie aber anders bewerten. keine Fantasie mir vorzustellen, wie das könnte unser System über diesen Weg sogar Da hilft es auch nicht, dass die zwei Euro geregelt werden könnte. bei der 112 etabliert werden. Die großen extrabudgetär sind. Denn die sind für den Leitstellen der Feuerwehr haben durchaus Hausarzt im Zweifelsfall sauer verdient. Gassen: Das Problem wird noch größer. ein Interesse daran, weil sie sagen „Über Die TSS soll ja nicht nur künftig auch die Hälfte unserer Anrufer sind bereits nach Hofmeister: Hinzu kommt, dass die Fach- Haus- und Kinderarzttermine vermitteln, wenigen Sekunden als Nichtnotfall identi- ärzte in dem Modell keinen Anreiz haben, sondern sie soll die dauerhafte Behand- fiziert. Dafür haben wir gar kein Konzept.“ einen Termin anzubieten, sondern nur lung sicherstellen. Das ist dann auch mit Wenn diese Leitstellen unsere Abfragealgo- über die TSS oder die offene Sprechstunde. einer besonderen Vergütung versehen. rithmen übernehmen könnten – und das im Davon hat der Hausarzt aber nicht mal die Jetzt nehmen wir mal an, die TSS vermit- Sinne einer Vereinheitlichung gemeint ist –, zwei Euro. Wie man’s dreht und wendet, es telt das Kind mit Röteln erfolgreich an dann sind wir dafür. ist unsinnig. einen Kinderarzt. Der sagt dann zu den El- tern, „Sie können auch in Zukunft mit dem Kriedel: Eine echte Zusammenlegung Es ist ja auch gar nicht klar, was „erfolg- Kind zu mir kommen“. Diese Zusage ist ja würde wahrscheinlich ein paar juristische reiche“ Vermittlung bedeutet … aber noch keine dauerhafte Versorgung. Probleme mit sich bringen. Sinnvoller ist Gibt’s dann kein Geld dafür? Oder erst es, die beiden Systeme zu koordinieren. wenn das Kind nachweislich die nächsten Wenn jemand bei der 112 anruft und dort zwei Jahre auch zu diesem Arzt gegangen Daten aufgenommen werden, und sich ist? Was ist, wenn die Eltern den nicht gut dann rausstellt, das ist kein Fall für die finden oder zu weit weg wohnen? Das sind 112, dann müssen die erhobenen Daten Regelungen, die fast schon naiv anmuten. auch weitergegeben werden dürfen an die Deshalb noch mal: Das, was wir gemacht 116117 und umgekehrt. hätten, wäre viel simpler gewesen und hätte auch nicht mehr Geld gekostet. Und Bei der Bedarfsplanung sollen die Länder es hätte sogar noch den Charme für die Po- stärkere Mitwirkungsrechte erhalten, litik gehabt sagen zu können: Wir haben etwa bei der Schaffung zusätzlicher euch jetzt die Grundpauschalen für Haus- Arztsitze … und Fachärzte extrabudgetär gestellt, jetzt wollen wir Leistung sehen, kümmert euch Gassen: Mit Bedarfsplanung und Betei- und erstattet in zwei Jahren Bericht. Das ligung der Länder ist das Problem des hätte ich als Gesetzgeber gemacht. Ärztmangels nicht gelöst. Dadurch gibt es keinen Arzt mehr. Die Länder sprechen im- Die Rufnummer des ärztlichen Bereit- mer gerne überall mit, sind aber weniger schaftsdienstes, 116117, soll in das motiviert, wenn es darum geht, Taten und Dr. Stephan Hofmeister (Jahrgang künftige System gemeinsamer Notfall- Geld folgen zu lassen. 1965) ist seit März 2017 stellvertre- leitstellen „integrierbar“ sein, heißt es tender Vorstandsvorsitzender der im Gesetzentwurf. Von einer Zusammen- Hofmeister: Diese Politisierung ist brand- KBV. Zuvor war er unter anderem legung mit der 112 ist die Rede. Wie ist gefährlich. Jeder Landrat wird mit mehr Abgeordneter der Delegierten- das zu verstehen? oder weniger Druck dafür sorgen, dass in versammlung der Ärztekammer seinem Kreis ein Arzt sitzt. Und da wir nicht Hamburg sowie stellvertretender Gassen: Die Idee, die dahinter steht, ist endlos Ärzte haben, muss der möglicher- Vorsitzender des Vorstands der nachvollziehbar: Je weniger Nummern sich weise woanders herkommen, wo die Lage Kassenärztlichen Vereinigung die Leute merken müssen, desto besser. noch schlechter ist. Das ist absurd. In dem Hamburg. Von 1999 bis 2013 war der Aber die 112 ist sehr komplex organisiert. Gesetzentwurf steht außerdem nicht ein Facharzt für Innere und Allgemein- Die Zusammenlegung wird sich wohl völlig Satz dazu, wie das finanziert werden soll. medizin als Hausarzt in der Hanse- zurecht darauf beschränken, dass es wech- Da wird stillschweigend davon ausgegan- stadt niedergelassen. selseitige Standleitungen gibt, wo man den gen, dass das im Rahmen der morbiditäts- Prozess in die eine oder die andere Rich- bedingten Gesamtvergütung passiert. Also 10 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
sollten tatsächlich an einer Stelle mehr Mehr Termine, kürzere Wartezeiten, mehr Ärzte vorhanden sein nach dieser Lösung, Personal, schnellere Digitalisierung – all müssen die anderen Ärzte das bezahlen. das verspricht der Minister den Wählern in kurzer Zeit. Alles hehre Ziele, aber Gassen: Hinzu kommt: Die Politik fördert stimmen auch die Voraussetzungen? Strukturen, die eine Konzentration von Arztstellen bewirken, etwa im MVZ, Gassen: Die Wunschliste ist schon sehr das vorwiegend mit angestellten Ärzten lang. Ohne entsprechendes Honorar wird arbeitet. Dabei ist völlig klar, dass ich mit gar nichts davon erfüllt werden können. zehn angestellten Ärzten im MVZ weniger Die Forderung in der Größenordnung von Versorgung auf die Straße bringe, als mit 500 bis 600 Millionen Euro steht im Raum. zehn Einzelpraxen in der Fläche. An der Selbst mit diesen Mitteln wird es nicht Stelle fällt die innere Logik des Gesetzes einfach, die Dinge umzusetzen. Ohne diese auseinander. Ich weiß auf der einen Seite: Mittel wird es unmöglich. Leisten können es nur die Vertragsärzte. Die versuche ich eher zu zwingen „mit Hofmeister: Wenn wir davon ausgehen, Zuckerbrot und Peitsche“. Auf der anderen dass wir eigentlich dazu da sind, die wirk- Dr. Thomas Kriedel (Jahrgang Seite sagt man: Die Lösung unserer Prob- lich Kranken und Leidtragenden zu behan- 1949) ist seit März 2017 Mitglied leme sind die MVZs. Dieselben Politiker, deln, dann bräuchte es andere Maßnah- des Vorstands der KBV. Seit den die meinen, es gebe keinen Ärztemangel, men. Zum Beispiel eine Möglichkeit der Achtzigerjahren bekleidete der proklamieren gleichzeitig die Vereinbar- Steuerung der Inanspruchnahme, bei der Diplom-Volkswirt unter anderem keit von Familie und Beruf, Angestellten- der Patient mit Verantwortung übernimmt, verschiedene Führungspositionen beschäftigung etc. So produziere ich den indem er sich etwa für einen bestimmten in der Kassenärztlichen Vereinigung Arztmangel doch erst! Versicherungstarif entscheidet. Das wäre Westfalen-Lippe, von 2005 bis 2017 der einzige Weg, um mit den knapper war er dort Mitglied des Vorstands. Hofmeister: Selbstständige Ärzte arbeiten werdenden Ressourcen eine weiterhin 52 Stunden, angestellte 38,5. Da fällt ein hohe Versorgungsstruktur für Kranke zu Drittel Produktivität weg. Hinzu kommt, erhalten. Mit dem Gesetz machen wir eine dass viele nur Teilzeit arbeiten wollen. Pa- Wünsch-dir-was-Versorgung für alle. Die rallel wird die Bevölkerung älter und der wird an ein Ende kommen. Sowohl was die Leistungsanspruch – politisch angescho- menschlichen Kapazitäten angeht als auch „Man hätte mit dem ben – steigt auch noch. Wir kriegen die was das Geld betrifft. Leistungsmenge mit der Zahl der Köpfe Geld mehr erreichen schlicht nicht bewältigt. Die Politik treibt Kriedel: Noch ein Punkt: Viele der Rege- sich selbst in eine Falle. Wenn sie uns lungen sollen zum 1. April nächsten Jahres können. Da ist eine abwickelt und die Praxen kaputt macht, umgesetzt werden. Das wird technisch die Strukturen zerschlägt und Ärzte in die nicht möglich sein, weil zum Beispiel die Chance verschenkt Anstellung schiebt, dann wird sie die Pro- Praxisverwaltungssysteme geändert wer- duktivität peu à peu verkleinern und auch den müssen. Und, so paradox es klingt: Je worden.“ Kriedel noch zentralisieren, gleichzeitig will man mehr Details Sie vorgeben, desto mehr Fra- die Ärzte dezentral ins Land verteilen. Das gen werfen Sie auf. Deshalb der dringende sind Widersprüche, die in diesem Gesetz Wunsch an den Gesetzgeber, die Detailtiefe tung sei, wenn sie denn funktioniere. weiter verschärft werden. zu reduzieren, oder, wenn er das nicht will, Was fordern Sie von der Politik, damit die zumindest uns die Möglichkeit zu geben im Selbstverwaltung funktionieren kann? Das TSVG sieht Vereinfachungen bei der Rahmen der Selbstverwaltung, die nötigen elektronischen Patientenakte (ePA) vor, nachfolgenden Regelungen zu schaffen. Hofmeister: Freiheit. Wenn man mich an etwa hinsichtlich der Zugriffsmöglich- Händen und Füßen bindet, ins Wasser keiten. Bislang zielen alle Regelungen Der Gesetzgeber setzt ja nicht nur enge wirft und dann fröhlich ruft: Und jetzt ausschließlich auf den Versicherten als Fristen, sondern droht parallel mit Er- schwimmen – dann ist das genau das, was Nutzer. Übersieht der Gesetzgeber die satzvornahmen und Sanktionen … zurzeit mit der Selbstverwaltung passiert. Rolle des Arztes hierbei? Das geht nicht. Hofmeister: Da kann man nur sagen: Kriedel: Bei diesem Thema sehe ich auch viel Spaß. Langsam wird es Zeit, daran Gassen: Man darf nicht vergessen: Wir positive Aspekte. Bislang stehen im Ge- zu erinnern, dass Ärzte die Menschen haben eine Zufriedenheitsquote der Versi- setz ja noch unterschiedliche Begriffe wie versorgen und nicht Politiker. Das muss cherten mit der ambulanten Versorgung ePA, elektronisches Patientenfach und man mal einflechten, weil uns die Jugend von deutlich über 90 Prozent. Wenn wir teilweise auch Fallakte. Es ist sinnvoll, wegläuft. Die Studenten, mit denen wir auf 20 Prozent Zustimmungsrate hätten, so dies zusammenzufassen. Für den Arzt ist dem Ärztetag gesprochen haben, haben wie manch ranghoher Politiker bei den es wichtig, dass die Bedingungen, unter uns freundlich ins Gesicht gelacht beim Wählern, dann würde ich auch sagen, da denen er die Daten liefern muss, festgelegt Thema Landarztquote. Das verkennt die muss man mal ran. Aber so? werden, und zwar eindeutig und inter- Politik dramatisch. operabel. Wir fordern vom Gesetzgeber Die Fragen stellte Alexandra Bodemer. eine klare Regelung, dass die KBV hier die Es gibt den berühmten Satz von Jens Standards festlegen kann. Spahn, dass er ein Fan der Selbstverwal- KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 11
THEMA Praxissoftware wird leichter übertragbar Die KBV hat die erste Wechselschnittstelle zur Herstellung von Interoperabilität definiert und in das entsprechende Verzeichnis der gematik eingetragen. Softwarehersteller haben nun zwei Jahre Zeit für die Umsetzung und Zertifizierung. P raxisverwaltungssysteme (PVS) sind in der Regel untereinander nicht kompatibel. Der Wechsel von einem zum anderen Programm ist mit äußerst großem Aufwand verbunden, das Interoperabilitätsverzeichnis der ge- matik eingetragen. Die Softwarehersteller haben jetzt zwei Jahre Zeit, die definierten Anforderungen umzusetzen, ein entspre- chendes Zertifikat der KBV zu erhalten und-Wechsel-Schnittstelle fest. Mit dieser soll es Arztpraxen ermöglicht werden, ihr komplettes PVS einfach und ohne Daten- verlust zu wechseln. Zuletzt soll noch ein Standard für den Wechsel von Infektions- weshalb viele Ärzte vor diesem Schritt zu- und die Schnittstelle den Arztpraxen zur schutzmeldungsprogrammen definiert rückschrecken. Das wird sich demnächst Verfügung zu stellen. werden. ändern. Bereits im vergangenen Sommer hat der Gesetzgeber der KBV die Möglich- Für die Praxen bedeutet das konkret, dass Die durch die Wechsel-Schnittstellen keit gegeben, insgesamt drei sogenannte sie künftig frei wählen können, welche verbesserte Interoperabilität führt zu mehr Wechselschnittstellen zur Herstellung Verordnungssoftware sie in ihrem PVS Wettbewerb unter den Softwarehäusern. von Interoperabilität zu definieren und nutzen. Die Verodnungssoftware-Wechsel- Dadurch erhofft sich die KBV positive die Softwarehersteller dazu verpflichtet, Schnittstelle ermöglicht die verlustfreie Einflüsse auf die Preispolitik der Unter- diese auch umzusetzen. Im Frühjahr 2018 Übertragung der für die Arzneimittelver- nehmen. hat die Vertreterversammlung der KBV, ordnung relevanten patientenbezogenen Meike Ackermann nach Rücksprache mit den Industriever- Daten. Konkret sind dies Patientenstamm- bänden, die erste dieser Schnittstellen, daten, Betriebsstätten- und Arztstammda- die Verodnungssoftware-Wechsel-Schnitt- ten, Verordnungsdaten sowie der bundes- stelle, beschlossen. Die KBV hat hierbei einheitliche Medikationsplan. bewusst auf den Internationalen Standard FHIR von HL7 als Basis für die Schnittstel- In einem nächsten Schritt legt die KBV ei- le gesetzt. Seit dem 29. Juni ist diese nun in nen Standard für eine PVS-Archivierungs- 12 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
MELDUNGEN AUS DEM BUND Honorar 2019: 620 Millionen Euro mehr Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben sich Ende August auf einen Anstieg der Honorare für niedergelassene Ärzte geeinigt. Demnach soll der Orientierungswert um rund 1,58 Prozent steigen, Check-up 35 angepasst was für die Versorgung im kommenden Jahr 550 Millio- nen Euro mehr bedeutet. Auch soll die Morbiditätsrate Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat Änderun- angepasst werden, was noch einmal 70 Millionen Euro gen an der Gesundheitsuntersuchung für Erwachsene, mehr entspräche, sodass 2019 voraussichtlich insge- dem sogenannten Check-up 35, beschlossen. Gesetzlich samt zusätzliche 620 Millionen Euro in die Versorgung Versicherte ab 35 Jahren haben demnach künftig nur fließen. Die Forderung der KBV, das Honorar für Haus- noch alle drei und nicht mehr alle zwei Jahre Anspruch besuche zu erhöhen, soll im September noch einmal in auf die Untersuchung. Dabei werden noch stärker als gesonderten Gesprächen über die finanzielle Anpassung bisher gesundheitliche Risiken und Belastungen erfasst ärztlicher Leistungen thematisiert werden. Den Bedarf und bewertet, um Erkrankungen rechtzeitig vorbeugen zu an einer höheren Vergütung hat der GKV-Spitzenverband können. Die Beratung erhält insgesamt mehr Gewicht. So in zwei Bereichen anerkannt: Bei Mehrleistungen für die sollen Patienten motiviert werden, mehr für ihre Gesund- Praxishygiene und bei Mehrleistungen für die Datensi- heit zu tun. Zum Check-up gehören weiterhin neben der cherheit der Arztpraxen im Rahmen der EU-Datenschutz- Anamnese eine körperliche Untersuchung, das Messen grundverordnung (DSGVO). Für beide Bereiche wird das des Blutdrucks, eine Untersuchung des Urins sowie Institut des Bewertungsauschusses nach einem Prüfan- die Bestimmung der Blutzucker- und Cholesterinwerte. trag die zusätzlichen Kosten berechnen. Ferner steht die Dabei wird künftig ein vollständiges Lipidprofil erstellt. Überarbeitung der Chronikerpauschalen bereits für den Neu ist, dass auch jüngere Versicherte zwischen dem 18. September auf der Tagesordnung des Bewertungs- 18. und 35. Lebensjahr einmalig den Check-up erhalten ausschusses. (Stand 07.09.2018) (saw) können. Das Bundesgesundheitsministerium prüft den G-BA-Beschluss. Dann hat der Bewertungsausschuss sechs Monate Zeit, um die Vergütung festzulegen. Erst danach haben Versicherte Anspruch auf die überarbeitete Gesundheitsuntersuchung. (jup) Honorarkommission im BMG konstituiert Die Wissenschaftliche Kommission für ein modernes Arzneimittelausgaben gestiegen Vergütungssystem (KOMV) ist Ende August im Bun- desgesundheitsministerium zu ihrer konstituierenden Die Ausgaben für Arzneimittel im Rahmen der gesetzli- Sitzung zusammen gekommen. „Sowohl die ambulante chen Krankenversicherung (GKV) sind im ersten Halbjahr Honorarordnung in der gesetzlichen Krankenversi- 2018 um 788 Millionen Euro auf nun insgesamt 19,7 Mil- cherung als auch die Gebührenordnung der Privaten liarden Euro angestiegen. Das entspricht einem Plus von Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden“, 4,2 Prozent, wie der Statistikdienstleister IQVIA ermittelt betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). hat. In den Zahlen sind Einsparungen aus Rabattverträ- Die Vergütung ärztlicher Leistungen in der ambulanten gen nicht berücksichtigt. Der Grund für den Ausgaben- Versorgung müsse sich am Stand des medizinischen zuwachs liegt den Statistikern zufolge bei innovativen Fortschritts und am Versorgungsbedarf der Bevölkerung Krebstherapien, spezifischen Antirheumatika sowie orientieren. Die Zusammensetzung der Kommission aus Therapien zur Schlaganfallprophylaxe. Demnach lag das 13 unabhängigen Wissenschaftlern hatte das Bun- Ausgabenplus bei patentgestützten Präparaten bei 10,6 deskabinett im Juni beschlossen. Die Wissenschaftler Prozent, das von Generika bei 3,8 Prozent. Die GKV spar- verfügen über medizinische, gesundheitsökonomische, te durch Herstellerzwangsabschläge in der ersten Hälfte sozial- oder verfassungsrechtliche Expertise und werden dieses Jahres 2,1 Milliarden Euro. Zusätzlich erzielten bis Ende des kommenden Jahres einen Bericht zum die Krankenkassen durch den Apothekenabschlag von Vergütungssystem vorlegen. Der Einsatz einer Honorar- 1,77 Euro auf jede für GKV-Versicherte abgegebene re- kommission ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD zeptpflichtige Packung in den ersten sechs Monaten ein festgehalten. (mei) Einsparvolumen von mehr als 571 Millionen Euro. (fun) KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 13
THEMA Digitalisierung? Nicht ohne meinen Arzt! Seit mittlerweile zwölf Jahren bestätigen die Ergebnisse der Versichertenbefragung der KBV und die Studie „Patientenperspektiven“ den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten das große Vertrauen der Patienten. Diese wünschen sich eine ärztlich begleitete Digitalisierung und nutzen die Notaufnahmen der Krankenhäuser nicht mehr so häufig wie in den Vorjahren. D em Großteil der Patienten ist be- wusst, dass die Notaufnahmen der Krankenhäuser häufig (35 Prozent) oder sehr häufig (51 Prozent) unnötig in Anspruch genommen werden. Das geht Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaften der Charité Berlin. Ein Drittel der Teilnehmer gab an, bei Beschwerden nachts oder am Wochen- ende direkt ins Krankenhaus zu gehen. bundesweite Rufnummer 116117 nehmen offensichtlich zu. Doch auf diesem Erfolg werden wir uns nicht ausruhen. Ein Drit- tel sind immer noch zu viele Patienten, die direkt ins Krankenhaus gehen. Daher aus der diesjährigen Versichertenbefra- Das ist zwar nach wie vor eine hohe Zahl, werden wir die 116117 auch weiterhin gung der KBV hervor. Die Forschungs- doch ist sie im Vergleich zum Vorjahr um massiv bewerben. Im kommenden Jahr gruppe Wahlen hat vom 9. April bis zum 14 Prozentpunkte gesunken – erstmals starten wir dazu eine große bundesweite 4. Juni telefonisch wieder über 6.000 nach dem stetigen Aufwärtstrend der ver- Kamapgne“, betonte der Vorstandsvorsit- Versicherte zu ihrer Einschätzung der Ver- gangenen Jahre. „Langsam tragen unsere zende der KBV, Dr. Andreas Gassen, auf sorgungssituation in Deutschland befragt Anstrengungen Früchte: Das Wissen um der Pressekonferenz zur Präsentation der – im Auftrag der KBV und begleitet vom den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Umfrageergebnisse. 14 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
Die Präferenz einiger Patienten, mit ihren min bekommen, 14 Prozent konnten ohne sogar ein Gestz dafür machen, sich lieber Leiden eher ins Krankenhaus zu gehen, Termin direkt in die Praxis gehen und bei mal unsere Umfrageergebnisse anschau- rührt zumindest nicht daher, dass sie der einem Prozent vergab die betreffende Pra- en und nicht nur auf subjektiv gefühlte Fachkompetenz der niedergelassenen Ärzte xis keine Termine. Weitere 15 Prozent der Stimmungen reagieren. Dann könnten sie misstrauen: 43 Prozent der Befragten berur- Befragten warteten bis maximal drei Tage sich auch mehr darauf konzentrieren, die teilen diese mit gut und 49 Prozent mit sehr auf einen Termin, 39 Prozent aller Patienten echten Herausforderungen in der Versor- gut. Diese Werte sind seit der ersten KBV- mussten sich länger als drei Tage gedulden. gung kranker Menschen anzupacken, statt Versichertenbefragung aus dem Jahr 2006 aus unserem System ein Wunschkonzert stabil. Ebenso wie das Vertrauensverhältnis für alles und jeden zu machen“, forderte der Patienten zu ihren niedergelassenen Gassen. Ärzten: 91 Prozent gaben an, ein gutes (39 Prozent) oder sehr gutes (52 Prozent) Wartezeit hält sich in Grenzen Eine solche Herausforderung liegt beispiels- Vertrauensverhältnis zu ihrem Arzt zu weise in der Versorgung und Unterstützung haben. „Diese positive Feststellung ist kein Langfristig betrachtet haben die Wartezei- von Menschen, die einen Familienangehöri- Trend, sondern eine solide und feststehen- ten für Facharzttermine leicht zugenom- gen oder eine nahestehende Person pflegen. de Realität seit Beginn der Befragungen vor men. Im Jahr 2008 warteten 54 Prozent der In den vergangenen drei Jahren haben das zwölf Jahren. Das sollten sich insbesondere Befragten über drei Tage auf einen Termin, 18 Prozent aller 18- bis 79-jährigen Befrag- diejenigen Vertreter aus der Politik vor Au- dieses Jahr waren es 63 Prozent. Gestört hat ten gemacht. 57 Prozent von ihnen gaben gen halten, die dem Freiberufler Arzt mit ei- die Steigerung die Patienten aber offensicht- an, dass sie die Pflege körperlich stark oder nem Wust an Kontrollen und dirigistischen lich nicht. Denn auf die Frage „Hat es Ihnen sehr stark belastet, im Jahr 2014 waren das Eingriffen begegnen. Denn sie selbst sehen zu lange gedauert, bis Sie einen Termin noch 49 Prozent. 78 Prozent berichten von sich häufig mit niedrigen eigenen Vertrau- bekommen haben?“ antworteten in diesem einer starken oder sehr starken gefühlsmä- enswerten der Bevölkerung konfrontiert, Jahr, wie auch schon zehn Jahre zuvor, 80 ßigen Belastung. Ein wichtiger Ansprech- die meilenweit von den Werten für die Ärzte Prozent aller Befragten, die eine Wartezeit partner vor allem für die älteren pflegenden entfernt sind“, konstatierte Gassen. von mindestens einem Tag hatten, mit Angehörigen ist der Hausarzt. 59 Prozent „nein“. Auch in der Praxis hielt sich die redeten mit ihm über ihre Tätigkeit und Die Wartezeiten – öffentlich häufig ein dra- Wartezeit in Grenzen: Fast drei Viertel aller erhielten größtenteils unterstützende Hin- matisiertes Thema – sind objektiv betrach- Befragten gaben an, dass sie in spätenstens weise und präventive Hilfen. Der Hausarzt tet kein Problem, wie die Auswertung zeigt. einer halben Stunde an der Reihe waren. tritt hier also quasi – zusätlich zu seinem 45 Prozent der Befragten gaben an, dass sie „Ich würde mir wünschen, dass sich die Po- eigentlichen Tätigkeitsfeld – als Schnittstel- überhaupt keine Wartezeit auf Arzttermine litiker, die die Wartezeiten als derart drän- le zu Service-Angeboten für Pflegende in hatten. 30 Prozent haben sofort einen Ter- gendes Problem ansehen, dass sie aktuell Aktion. > WOHIN WENDEN SIE SICH, WENN SIE NACHTS ODER AM WOCHENENDE ÄRZTLICHE HILFE BENÖTIGEN? Krankenhaus Notarzt/Rettungsdienst Hausarzt sonst./k.A. KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 15
THEMA „Die Rolle des Arztes und der sprechenden Medizin wird in Zukunft eher zu- als ab- WARTEZEITEN FÜR TERMINE nehmen. Das zeigt nicht nur die Funktion des Arztes für pflegende Angehörige, (Auswahl: „Ja“, war im letzten Jahr beim Arzt; letzter Praxisbesuch) sondern auch das Ergebnis der Patienten- diskussionen zum Thema Digitalisierung“, bei Hausarzt bei Facharzt erklärte Gassen. Parallel zur Versicherten- befragung hat die Patientenprojekte GmbH keine Wartezeit eine qualitative Studie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen aus Sicht der Pati- ein Tag enten durchgeführt. In diesem Rahmen diskutierten Fokusgruppen in Hamburg, Münster, Stuttgart und Leipzig zu entspre- chenden Fragestellungen miteinander. bis eine Woche Zustimmung für die elektronische Patientenakte ohne Termin/ Termin unnötig Grundsätzlich standen die Teilnehmer der Digitalisierung aufgeschlossen gegenüber. Praxis macht keine Termine Sie wünschten sich Gesundheits-Apps auf Rezept, konnten sich die Nutzung von Videosprechstunden vorstellen und for- derten offensiv die Einführung einer elek- tronischen Patientenakte (ePA). Die ePA hatte auch schon in der Versichertenbe- fragung eine hohe Zustimmung erhalten. WARTEZEITEN: HAT ES IHNEN ZU LANGE GEDAUERT, 64 Prozent aller gesetzlich versicherten BIS SIE EINEN TERMIN BEKOMMEN HABEN? Befragten befürworten eine solche Akte als Erweiterung zur aktuellen Versicher- tenkarte. 29 Prozent lehnen die ePA ab. (Auswahl: „Ja“, war beim Arzt; letzter Besuch; Wartezeit mind. einen Tag) Dies geschieht zu 81 Prozent aus Sorge vor ja nein unzureichendem Datenschutz. 20 Prozent sind der Meinung, dass ihre Daten in der Praxis besser aufgehoben sind. 6 Prozent befürchten eine Beeinflussung der ärzt- lichen Diagnose und 9 Prozent äußerten andere Gründe für ihre Ablehnung. Auch in den Fokusgruppen führte die Sorge um die Sicherheit und den Schutz der persönlichen Daten zu intensiven Diskussio- nen. Ebenso wie die Sorge, digitale Techno- logien könnten den Zugang zu menschlicher Zuwendung erschweren und den Menschen langfristig verdrängen. So kamen die Teilnehmer zu dem Ergebnis, dass Video- sprechstunde und Co. den Arzt immer nur ergänzen, nie jedoch ersetzen könnten. „Vereinfacht könnte man sagen: Digitali- sierung ja, aber nicht ohne meine Arzt! Die Ergebnisangaben in Prozent; rundungsbedingte Summenabweichungen möglich Patienten wünschen sich einfach jemanden, der in der schönen, digitalen Gesundheits- welt die Spreu vom Weizen trennt. Und das ist gut so. Schließlich musste selbst im Raumschiff Enterprise machmal der Arzt draufschauen“, so Gassen. Meike Ackermann 16 KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
MELDUNGEN AUS DEN LÄNDERN KVEN SACHSEN UND THÜRINGEN ARMIN: Positive Zwischenbilanz Sachsen/Thüringen: Nacht gut vier Jahren Arzneimitteliniti- ative Sachsen-Thüringen (ARMIN) ziehen die Projektpartner eine positive Zwischenbilanz. Durch ARMIN habe sich das Vertrauen der Patienten in die Arzneimitteltherapie erhöht KV WESTFALEN-LIPPE und deren Therapietreue verbessert. Falsche Medikamen- teneinnahmen – vorrangig bei älteren Patienten – würden Gemeinsame ausgeschlossen. Damit das Projekt am Ende der Laufzeit in die Regelversorgung überführt werden könne, müssten noch Leitstelle gestartet technischen Hürden genommen und gesetzliche Regelun- gen getroffen werden. So müssten unter anderem pharma- Dortmund: Anfang Juli startete in Lemgo die integrierte zeutische Dienstleistungen in der Regelversorgung möglich Leitstelle der Rufnummern 112 des Rettungsdienstes und sein und für den bundeseinheitlichen Medikationsplan tech- der 116117 des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes. nisch und organisatorisch einheitliche Rahmenbedingungen Anrufer in den Landkreisen Lippe, Paderborn und Höxter erarbeitet werden. Die Arzneimittelinitiative ARMIN ist ein erreichen nun speziell geschulte Disponenten, die sie an gemeinsames Projekt der Ärzte und Apotheker Sachsens die richtige Versorgungsstufe weiterleiten. In der Modell- und Thüringens sowie der AOK Plus, bei dem Ärzte nach region leben 800.000 Menschen. Die Kassenärztliche Möglichkeit nur noch Wirkstoffe verordnen und die Apothe- Vereinigung (KV) Westfalen Lippe finanziert den Modell- ker die entsprechenden Medikamente ausgeben. (mei) versuch mit insgesamt 900.000 Euro. „Die ersten Erfah- rungen mit unserer neuen integrierten Leitstelle stimmen uns optimistisch“, sagte der Vorstandsvorsitzende der KV, Dr. Gerhard Nordmann. So gebe es jede Woche 600 bis 700 Einsätze für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Circa 30 dieser Einsätze würden über die Notfallnummer 112 vermittelt, was nach Auffassung Nordmanns für die ange- strebte Entlastung des Rettungsdienstes spreche. (fun) KV THÜRINGEN Eine Nummer für alle Bereitschaftsdienste KV SCHLESWIG-HOLSTEIN Erfurt/Weimar: Thüringen ist das erste Bundesland, in dem Patienten seit dem 2. Juli sämtliche medizinische Weiterbildungs- Bereitschaftsdienste unter der bundesweiten kostenlosen Rufnummer 116117 erreichen können. Nach der Landesapo- förderung erweitert thekerkammer Thüringen, die sich der 116117 bereits im Juli vergangenen Jahres angeschlossen hatte, hat nun auch die Bad Segeberg: Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) einen Vertrag mit Schleswig-Holstein erweitert im zweiten Halbjahr 2018 ihre der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Thüringen abge- Weiterbildungsförderung für Praxen: Gemeinsam mit den schlossen. Unter der Rufnummer 116117 erhalten Patienten Krankenkassen finanziert sie die Förderung junger Ärzte, nun Auskunft zu den Sprechstundenzeiten der ärztlichen die zum Facharzt für Allgemeinmedizin ausgebildet werden, und zahnärztlichen Bereitschaftsdienstpraxen, zu örtlichen für die Restlaufzeit des Jahres nun auch in kreisfreien Städ- Bereitschaftsdiensten von Augenärzten, Kinderärzten und ten. Auf 4.800 Euro beläuft sich der monatliche Zuschuss. HNO-Ärzten. Außerdem werden über diese Nummer drin- Damit wird der Förderbetrag auf die im Krankenhaus übliche gende Hausbesuche vermittelt. Die Anrufer erfahren auch, Bezahlung angehoben. Neben den Allgemeinmedizinern welche Apotheke in ihrer Region Bereitschaft hat. (mei) werden unter anderem diejenigen Arztgruppen besonders gefördert, die zurzeit den höchsten Anteil an Ärzten im Alter von über 60 Jahren aufweisen. Dazu zählen beispielsweise Neurologie, Chirurgie und Gynäkologie. (saw) KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018 17
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