Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz

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Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
3. QUARTAL    DAS MAGAZIN DER

2018          KASSENÄRZTLICHEN
              BUNDESVEREINIGUNG

Räderwerk
der Regulierung
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz

   Versichertenbefragung        Interview: KBV-Vorstand      Gesundheit anderswo
Mehrheit der Patienten        zum Terminservicegesetz     Albanien: Warum Gesund-
zufrieden mit Wartezeiten     „Das ist eine mission       heitspersonal von dort
auf Arzttermine               impossible“                 nach Deutschland kommt
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
Editorial

    KBV Klartext
    Das Magazin der Kassenärztlichen
    Bundesvereinigung

    Erscheinungsweise:                                              Liebe Leserin, lieber Leser,
    vierteljährlich

    Herausgeber:                                                     die vermeintlich sehr langen Wartezeiten auf Arzttermine
    Kassenärztliche Bundesvereinigung                                sind in den Medien immer wieder ein beliebtes Thema. Mit
    Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor-
    sitzender der KBV, V.i.S.d.P.)                                   dem „Terminservice- und Versorgungsgesetz“ (TSVG) will das
                                                                     Bundesgesundheitsministerium nun bei diesem objektiv nicht
    Redaktion:
    Alexandra Bodemer (Chefredakteurin),                             vorhandenen Problem (das hat erst jüngst unsere Versicher-
    Meike Ackermann, Sarah Weckerling,
    Tom Funke, Corina Glorius
                                                   tenbefragung wieder einmal gezeigt) Abhilfe schaffen. Mehr Sprechstunden,
                                                   Vermittlung von Terminen über die Servicestellen der Kassenärztlichen Verei-
    Redaktionsbeirat:
    Dr. Roland Stahl
                                                   nigungen lauten Teile der politisch gewollten Ansätze. Ab Seite 4 lesen Sie in
                                                   unserem Titelthema, welche Änderungen das TSVG im Einzelnen vorsieht und
    Redaktionsanschrift:
    Kassenärztliche Bundesvereinigung
                                                   wie die Vertreter der Ärzteverbände Minister Spahns Pläne bewerten.
    Redaktion Klartext
    Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin
    Tel.: 030 4005-2205                            Die Position der KBV zum neuen Gesetz habe ich in diesem Heft gemeinsam mit
    Fax: 030 4005-2290                             meinen Vorstandskollegen Dr. Andreas Gassen und Dr. Stephan Hofmeister in
    E-Mail: redaktion@kbv.de
    www.kbv.de                                     einem ausführlichen Interview dargelegt: Das TSVG ist unserer Ansicht nach in
                                                   vielen Bereichen ein unmöglich scheinendes Unterfangen, modern ausgedrückt
    Gestaltung:
    KloseDetering, Hamburg                         sozusagen eine „mission impossible“ – ganz zu schweigen davon, dass es
                                                   einen maßgeblichen Eingriff in den freien Arztberuf darstellt. Positiv ist, dass
    Druck:
    Druckerei Kohlhammer, Stuttgart                Minister Spahn den Bedarf nach mehr Vergütung anerkennt. Am Thema Honorar
                                                   wird sich zeigen, ob die geplanten Maßnahmen in die Realität der Arztpraxen
    Fotos:
    Titel: © shutterstock/Puszaya/Klose-           übertragbar sind. Mehr dazu lesen Sie ab Seite 8.
    Detering > S. 2: © axentis.de/Lopata > S.
    3: © Meike Ackermann; © shutterstock/
    Visual Generation/KloseDetering; ©             Dafür, dass die Versorgung in Deutschland bereits sehr gut ist und die Patien-
    shutterstock/6kor3dos/KloseDetering >
    S. 4: © shutterstock/Visual Generation/
                                                   ten überwiegend mit ihren Ärzten zufrieden sind, sprechen die Ergebnisse der
    KloseDetering; © shutterstock/6kor3dos/        diesjährigen KBV-Versichertenbefragung. 80 Prozent der Patienten beantworten
    KloseDetering > S. 5: © Andreas Schoelzel >
    S. 6: © axentis.de/GEORG LOPATA; © www.
                                                   sogar die Frage, ob sie in letzter Zeit zu lange auf einen Termin gewartet hätten,
    mark-bollhorst.de > S. 7: © RioPatuca Ima-     mit „nein“. Interessant fand ich auch, dass die meisten Patienten der Digitali-
    ges/Fotolia > S. 8-11: © Alexandra Bodemer
    > S. 12: © sebra/Fotolia > S. 13: © New        sierung im Gesundheitswesen gegenüber aufgeschlossen sind, sofern ihr Arzt
    Africa/Fotolia > S. 14: © Meike Ackermann >    dabei eine zentrale Rolle spielt (mehr ab Seite 14).
    S. 17: © INFINITY/Fotolia; picture alliance/
    dpa-Zentralbild > S. 18: © alfexe/Fotolia
    > S. 19: © marog-pixcells/Fotolia > S. 20:     Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre.
    © picture alliance/Sodapix AG > S. 21: ©
    KloseDetering > S.22: © axentis.de/Lopata;
    picture alliance/Kristin Bethge/dpa > S.23:    Ihr Dr. Thomas Kriedel,
    © fotomek/Fotolia; KBV
                                                   Mitglied des Vorstandes

          www.twitter.com/kbv4u                             KBV Klartext
                                                                                                         Die App KBV2GO!
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          www.kbv.de/praxisnachrichten

2   KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
Inhalt

Titel                                      Themen                                Gesundheit anderswo
                                           12   Verordnungssoftware: Schneller   20   Albanien: Wo Gesundheit eine Frage
4 Räderwerk                                     Wechsel dank Schnittstelle            des Privatvermögens ist

der Regulierung: Das                       14   Versichertenbefragung 2018:
Terminservice- und                              Digitalisierung?
                                                Nicht ohne meinen Arzt!
Versorgungsgesetz                                                                Kurz gefasst
                                           18   Bericht aus Brüssel:
                                                Deutschland im Länderbericht     13   Meldungen aus dem Bund
                                                der EU-Kommission
                                                                                 17   Meldungen aus den Ländern

                                                                                 23   Angeklickt und aufgeblättert

                                           Interview
                                           8    Der KBV-Vorstand im Interview:
                                                „Das TSVG hilft den wirklich
                                                Kranken nicht weiter“

         Präsentation der Ergebnisse der
        KBV-Versichertenbefragung 2018

                                                                                               KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   3
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
TITEL

    Service- oder
    Regulierungsgesetz?
    Es hat einen klangvollen Namen: das Terminservice- und Versorgungsgesetz.*
    Es verspricht schnellere Termine für gesetzlich Versicherte und eine bessere
    flächendeckende Versorgung. Für bestimmte Leistungen sollen Ärzte zusätzliches
    Honorar erhalten. Gleichzeitig gibt es neue und striktere Vorgaben für die ärztliche
    Selbstverwaltung und die Praxen.

    * Dieser Artikel sowie das nachfolgende Interview beziehen sich auf den Referentenentwurf vom 23. Juli 2018.

4   KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
D         er Referentenentwurf aus dem
          Bundesgesundheitsministerium
          (BMG) für das „Gesetz für schnel-
lere Termine und bessere Versorgung“ (Ter-
minservice- und Versorgungsgesetz, kurz
                                              Zusätzliche Vergütung

                                              Neben der erfolgreichen Vereinbarung
                                                                                              DR. DIRK HEINRICH

                                                                                                                   Vorstands-
TSVG), ist 144 Seiten stark. Neben einigen    eines Facharzttermins durch den Hausarzt
                                                                                                                   vorsitzender
leistungsrechtlichen Veränderungen –          sieht das TSVG weitere Änderungen des
                                                                                                                   des Spitzenver-
etwa zur Präexpositionsprophylaxe gegen       Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM)
                                                                                                                   bands Fachärzte
HIV oder zum Krankengeld – behandelt          vor. So sollen medizinisch-technische
                                                                                                                   Deutschlands
es vor allem die Verfügbarkeit ärztlicher     Leistungen zugunsten der sogenann-
                                                                                                                   e. V. (SpiFa)
Leistungen für die breite Bevölkerung.        ten sprechenden Medizin neu bewertet
                                              werden, und zwar bis zum 30. September
                                              2019. Bis zum 31. März ist dem BMG ein
                                                                                             Wir begrüßen das Bekenntnis des
                                              entsprechendes Konzept inklusive Men-
                                                                                             Bundesgesundheitsministeriums
                                              gensteuerung vorzulegen.
Schnellere Termine                            Die Versorgung von Akut- und Notfällen
                                                                                             zum Stellenwert der Fachärzte in der
                                                                                             Grundversorgung der Patienten. Dies
                                              während der Sprechstundenzeiten soll ext-
                                                                                             ist ein erster richtiger Schritt für eine
Die Aufgaben der seit 2016 existieren-        ra vergütet werden. Ab dem 1. April 2019
                                                                                             zukunftsfähige ärztliche Versorgung
den Terminservicestellen (TSS) werden         sollen akute Fälle, die über die TSS in die
                                                                                             in Deutschland. Mit dem Titel des
erweitert. Künftig sollen auch Haus- und      Praxen vermittelt wurden, im Hinblick auf
                                                                                             Gesetzes wird jedoch suggeriert, ein
Kinderärzte durch diese vermittelt werden.    die Vergütung der ambulanten Akutver-
                                                                                             gesetzliches Verordnen von mehr
Auch während der Praxisöffnungszei-           sorgung im Krankenhaus gleichgestellt
                                                                                             Terminen sorge dafür, dass mehr
ten sollen Akutpatienten über die TSS         werden. Die Behandlung neuer Patienten
                                                                                             Termine und eine verbesserte
unmittelbar zu einem niedergelassenen         wird grundsätzlich höher bewertet. Leis-
                                                                                             Versorgung angeboten würden.
Arzt oder bei Bedarf in eine Notfallam-       tungen im Rahmen der offenen Sprech-
bulanz vermittelt werden können. Bei          stunde, die über den Umfang von 20
                                                                                             Eine konsequente Entbudgetierung
lebensbedrohlichen Fällen erfolgt eine        Wochenstunden hinaus angeboten wird,
                                                                                             der vertragsärztlichen Leistungen
Weiterleitung an die Notrufzentrale 112.      werden ebenfalls zusätzlich honoriert. Bei
                                                                                             in der Grundversorgung würde eher
Die Nummer 116117 soll rund um die Uhr        Fachärzten gilt ein Überweisungsvorbe-
                                                                                             zu einer nachhaltigen Verbesserung
erreichbar sein und in das künftige System    halt, außer bei Augen- und Frauenärzten.
                                                                                             der Versorgung sowie des Terminan-
der gemeinsamen Notfallleitstellen integ-
                                                                                             gebots führen. Die Ausweitung der
rierbar sein. Über die TSS sollen Termine
                                                                                             Sprechstunden auf 25 Stunden ist
nicht nur telefonisch, sondern auch online
                                                                                             dabei ein völlig unnötiger Eingriff.
vermittelt werden können. Die KBV soll
Näheres zur einheitlichen Umsetzung           Bedarfsplanung und                             Niedergelassene Ärzte arbeiten
                                                                                             heute rund 53 Stunden pro Woche.
durch die Kassenärtzlichen Vereinigungen      Sicherstellung
(KVen) regeln. Die KVen sollen ihrerseits
                                                                                             Die ersten Maßnahmen zur Etablie-
die Sprechstunden der Vertragsärzte veröf-    Die Länder erhalten mehr Eingriffsmög-
                                                                                             rung einer zusätzlichen und extra-
fentlichen.                                   lichkeiten bei der Bedarfsplanung. So
                                                                                             budgetären Vergütung begrüßen
                                              können sie etwa in eigentlich gesperrten
                                                                                             wir. Gleichzeitig ist die gemeinsame
In der Zulassungsverordnung für               ländlichen Planungsbereichen zusätzliche
                                                                                             Selbstverwaltung gefordert, die
Vertragsärzte sollen statt mindestens         Arztsitze beantragen. Korrespondierend
                                                                                             Regelungen auch so umzusetzen,
20 Stunden Sprechzeit pro Woche 25            dazu erhalten sie ein Mitberatungs- und
                                                                                             dass die Intention des Gesetzes
Stunden festgesetzt werden, Hausbesuche       Antragsrecht in den Zulassungsausschüs-
                                                                                             beim Arzt „ankommt“. Äußerungen
werden dabei angerechnet. Zusätzlich          sen. In Gebieten, in denen Unterversor-
                                                                                             des GKV-Spitzenverbandes machen
wird die „offene Sprechstunde“ etabliert:     gung besteht oder droht, werden regionale
                                                                                             jedoch deutlich, dass ein Partner der
Haus- und Kinderärzte sowie bestimmte         Vergütungszuschläge obligatorisch. Der
                                                                                             gemeinsamen Selbstverwaltung die
Facharztgruppen müssen mindestens             Landesausschuss der Ärzte und Kranken-
                                                                                             Ziele des TSVG eher konterkariert.
fünf Stunden Sprechzeit pro Woche ohne        kassen setzt diese fest, die Finanzierung
vorherige Terminvereinbarung anbieten.        erfolgt wie bisher jeweils zur Hälfte durch
                                                                                             Die Selbstverwaltung und insbeson-
Die Bundesmantelvertragspartner sollen        KV und Krankenkassen. Die bislang
                                                                                             dere der GKV-Spitzenverband wird
zeitnah die Einzelheiten regeln.              freiwillige Einrichtung eines Strukturfonds
                                                                                             sich an den Zielen des TSVG messen
Hausärzte sollen in dringlichen Fällen        wird für die KVen verpflichtend. Die Mittel
                                                                                             lassen müssen. Der Minister hat
direkt einen Termin beim Facharzt ver-        in Höhe von dann bis zu 0,2 Prozent der
                                                                                             bereits mehrmals betont, er sei ein
mitteln. Für eine erfolgreiche Vermittlung    vereinbarten Gesamtvergütung sind auszu-
                                                                                             Fan von einer „funktionierenden“
erhalten sie eine zusätzliche Vergütung.      schöpfen. Beispiele hierfür sind Zuschüsse
                                                                                             Selbstverwaltung. Die Ärzteschaft
Diese soll der Bewertungsausschuss bis        zu Investitionskosten bei Praxisübernah-
                                                                                             ist bereit, ihren Funktionsbeitrag zu
zum 1. April 2019 definieren. Gelingt         men, die Förderung von Eigeneinrichtun-
                                                                                             leisten.
dies nicht, legt der Gesetzgeber hierfür      gen und lokalen Gesundheitszentren sowie
zunächst zwei Euro fest.                      von Sonderbedarfszulassungen.              >

                                                                                                           KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   5
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
TITEL

                                               in unterversorgten Regionen Medizinische
        ULRICH WEIGELDT                        Versorgungszentren (MVZ) zu gründen.            RUDOLF HENKE
                                               Generell soll ein Träger mehrere MVZ
                                               betreiben können. Angestellte Ärzte sollen
                                               nach Rückzug aller ärztlichen Gründer
                             Bundes-           eines MVZs dieses übernehmen können,                               1. Vorsitzender
                             vorsitzender      solange sie weiter in dem MVZ tätig sind.                          des Marburger
                             des Deutschen                                                                        Bundes
                             Hausärztever-
                             bandes

                                               Digitalisierung und
                                               Datennutzung
       Das TSVG verfolgt viele richtige                                                       Wir begrüßen die Bemühungen zur
       Ziele, teilweise jedoch mit den         Die elektronische Patientenakte (ePA)          Verbesserung der ambulanten Ver-
       falschen Mitteln. Besonders kritisch    und das elektronische Patientenfach            sorgung, soweit sie dem Ziel dienen,
       sehen wir die massiven Eingriffe in     werden begrifflich zusammengeführt. Die        dem gesellschaftlichen und demo-
       den freien Arztberuf. Wie beispiels-    Krankenkassen müssen ihren Versicherten        grafischen Wandel möglichst früh-
       weise ein niedergelassener Arzt         spätestens ab 2021 eine ePA anbieten. Die      zeitig Rechnung zu tragen. Dabei ist
       seine Sprechstunden organisiert,        Eiwilligung des Patienten in die Nutzung       es wichtig, insbesondere sektoren-
       ob als Termin- oder freie Sprech-       medizinischer Anwendungen soll verein-         übergreifende sowie kooperative
       stunde, sollte den niedergelassenen     facht werden. Versicherte sollen auch ohne     Ansätze, flankiert von innovativen
       Kolleginnen und Kollegen überlas-       den Einsatz ihrer elektronischen Gesund-       digitalen Anwendungen, weiter zu
       sen werden. Das ist nicht Sache der     heitskarte mobil auf medizinische Daten        festigen und auszubauen. Insoweit
       Berliner Politik! Auch die Erhöhung     der ePA zugreifen können, etwa mittels         ist der Entwurf des Ministeriums
       der Mindestsprechstundenzeit ist        Smartphone oder Tablet.                        eine gute Grundlage für strukturelle
       eher eine Scheinlösung, die von den                                                    Verbesserungen.
       echten Problemen ablenkt statt sie
       anzupacken.                                                                            Die Politik ist jedoch aufgefordert,
                                                                                              eine Balance zwischen gewünschter
       Es ist nachvollziehbar, dass die        Eingriffsmöglichkeiten                         Flexibilisierung und Eindämmung
       Politik das Thema Wartezeiten                                                          des Einflusses rein renditeorientier-
                                               der Aufsicht
       anpacken will. Dass für zusätzliche                                                    ter Investoren zu wahren. Der wach-
       Arbeit auch zusätzliches Geld zur       Das BMG erhält erweiterte Eingriffsrechte      sende Trend zur Industrialisierung
       Verfügung stehen soll ist konse-        in die Selbstverwaltung. So kann es bei-       erschwert nicht nur die selbststän-
       quent. Die Lösung kann aber nicht       spielsweise Wirtschaftsprüfer und Rechts-      dige Niederlassung für den ärztli-
       sein, dass es zukünftig einfach noch    anwälte mit der Prüfung der Geschäfts-,        chen Nachwuchs, sondern macht es
       mehr unkoordinierte Facharztbesu-       Rechnungs- und Betriebsprüfung der Kör-        insbesondere auch für angestellte
       che gibt. Davon hat niemand etwas       perschaften beauftragen und den Körper-        Ärztinnen und Ärzte problematisch,
       – gerade auch die fachärztlichen        schaften hierfür die Kosten auferlegen. Des    bei einem gewünschten Verbleib
       Kollegen nicht! Stattdessen braucht     Weiteren erhält die Rechtsaufsicht zusätz-     in der Region den Arbeitgeber zu
       es endlich eine vernünftige Koor-       liche Eingriffsmöglichkeiten in das Schieds-   wechseln.
       dination der Behandlungsabläufe.        amt, welches bei Nichtzustandekommen
       Darauf sollte in Zukunft der Fokus      eines Vertrags zur vertragsärztlichen Ver-     Auch die vorgesehene telefonische
       liegen!                                 sorgung tätig wird. So kann etwa das BMG       Vermittlung von Akutfällen durch
                                               künftig selbst das Schiedsamt anrufen. Neu     die Terminservicestellen greift zu
                                               eingeführt wird ein sektorenübergreifendes     kurz. Sie muss in ein Gesamtkonzept
    In unterversorgten oder von Unterversor-   Schiedsamt.                                    zur Neustrukturierung der Notfall-
    gung bedrohten Gebieten müssen KVen                                                       versorgung eingebettet sein. Eine
    künftig Eigeneinrichtungen anbieten,       Eine ausführliche inhaltliche Bewertung        Differenzierung der Qualifikation
    gegebenenfalls in Kooperation mit Kom-     des Gesetzes durch den Vorstand der KBV        von Mitarbeitern für die Notfall-
    munen und Krankenhäusern. Alternativ       lesen Sie im großen Klartext-Interview auf     versorgung und für die bloße
    sind auch mobile Angebote (etwa Patien-    den folgenden Seiten.                          Terminservicestelle muss erhalten
    tenbusse) oder digitale Sprechstunden                                                     bleiben.
    möglich. Praxisnetze werden berechtigt,                           Alexandra Bodemer

6   KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
DIPL.-PSYCH. BARBARA LUBISCH
                                                                         Die offizielle Stellungnahme der
                                                                         KBV zum Referentenentwurf des
                                                                         TSVG gibt es hier:
                  Bundesvor-        zur Aufnahme neuer Patienten
                                                                         www.kbv.de/html/36519.php
                  sitzende der      sollten sich bei der Psychothera-
                  Deutschen         pie auf die Anhebung der Bewer-
                  Psycho-           tung der sehr zeitaufwändigen
                  therapeuten-      Erstkontakte beziehen.
                  Vereinigung
                                    Die Erhöhung der Mindestsprech-
                                    stundenzeit wird abgelehnt.
„Wir befürworten die Vorschläge     Knackpunkt für die Verbesserung
zur Stützung der sprechenden        der psychotherapeutischen Ver-
Medizin im Entwurf des TSVG. Al-    sorgung ist die Neuordnung der
lerdings wünschen wir uns einige    Bedarfsplanung. Die Beteiligung
Klarstellungen. Die angemessene     der Länder in der Zulassungssteu-
Vergütung psychotherapeutischer     erung hilft hier nicht weiter. Die
Leistungen sollte durch eine        Bedarfsplanungsrichtlinie muss
präzise Formulierung gesichert      verbindliche Rahmenbedingungen
werden. Außerdem muss Psycho-       schaffen: Neben den ländlichen
therapie dauerhaft extrabudgetär    Räumen braucht auch das Umland
vergütet werden, um Konflikte mit   größerer Städte eine Verbesse-
der fachärztlichen Vergütung zu     rung der Verhältniszahl Psycho-
vermeiden. Die geplanten Anreize    therapeut pro Einwohner.“

                                                                                     KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   7
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
INTERVIEW

    „Das ist eine
    mission impossible“
    „Schneller, höher, weiter“ scheint das Motto des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetzes
    zu sein. Zwar bringe das Gesetz mehr Geld, aber nicht für die Versorgung wirklich kranker
    Menschen, kritisiert der KBV-Vorstand im Klartext-Interview. Stattdessen gehe es um eine
    „Wünsch-dir-was-Versorgung“, durch die neue Probleme entstünden.

    Herr Dr. Gassen, Herr Dr. Hofmeister,         ten. Das löst bei den Kollegen an der Basis    Aussicht. Ein faires Angebot?
    Herr Dr. Kriedel, der Entwurf zum neuen       große Irritation und auch Verärgerung aus.
    Terminservice- und Versorgungsgesetz          Auf der anderen Seite, und das ist das Posi-   Gassen: Es ist zumindest ein Angebot. Aus
    (TSVG) liegt nun vor. Wie ist die Stim-       tive, erkennt Herr Spahn an, dass Mehr-        unserer Sicht wäre die Entdeckelung der
    mung im KV-System?                            leistung vergütet werden muss. Ob diese        Grundleistungen der einfachere und effek-
                                                  Vergütung tatsächlich kommt, das wird          tivere Weg gewesen. Es wäre außerdem ein
    Gassen: Ambivalent, würde ich sagen. Wir      der Lackmustest für das Gesetz werden.         Signal der Wertschätzung gegenüber der
    sehen durchaus die eine oder andere sinn-                                                    Ärzteschaft, ohne dass es teurer geworden
    volle Änderung. Wir sehen aber auch ein       Sie hatten im Vorfeld der Gesetzgebung         wäre. Jetzt wird es viel schwerer – für uns,
    Gesetz, das in die Selbstverwaltung und       die generelle Entbudgetierung ärztlicher       aber auch für die Politik – Überzeugungs-
    sogar in die individuelle Arztpraxis hinein   Grundleistungen gefordert und dies mit         arbeit zu leisten, und es wird für die KVen
    reguliert. Genau das tun die Terminser-       rund einer halbe Milliarde Euro beziffert.     schwerer, das auch umzusetzen. Aber
    vicestellen, die offene Sprechstunde und      Dieselbe Summe stellt Minister Spahn           noch einmal: Wenn die Summe tatsäch-
    die 25-Stunden-Regelung zu den Sprechzei-     jetzt für bestimmte Mehrleistungen in          lich fließt, dann glaube ich, wird man das

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Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
„Die Vergütung ist der
Lackmustest für das Gesetz.“ Gassen

eine oder andere regeln können. Wenn das       Gassen: Die TSS waren bislang ein „durch-     Er sagt, neu ist der Patient, der noch nie
nicht passiert, wird es eine Katastrophe.      schlagender“ Erfolg mit 190.000 vermit-       mit dieser konkreten Erkrankung in dem
                                               telten Terminen im Jahr 2017 von über 560     Jahr bei diesem Arzt war. Wir müssen aber
Hofmeister: Das Problem bei diesem             Millionen Behandlungsfällen. Das Gesetz       auch darauf achten, dass der „alte“, im
Gesetz ist, dass die wirklich Kranken          erweitert aber jetzt die Aufgabe erheblich.   Sinne von schon bekannte, oder chronisch
„hinten runterfallen“. Deren Finanzierung      Die ärztliche Dringlichkeit spielt eine       kranke Patient nicht vergessen wird. Die
bleibt gedeckelt und budgetiert. Wenn          kleinere Rolle. Es wird der subjektiven       Schwächsten dürfen nicht benachteiligt
das Gesetz umgesetzt wird, dann bringt         Dringlichkeit mehr Raum gegeben. Das ist      werden.
es vielleicht das Geld, aber es schafft        bei einer endlichen Ressource Arzt nicht
absehbar ein neues Versorgungsproblem.         ohne Risiko. Sinnvoller fänden wir es, die    Das TSVG schreibt vor, dass bis Okto-
Und schlimmstenfalls bringt es das Geld        ärztliche Interaktion, bei der Haus- und      ber kommenden Jahres die technischen
auch nicht, weil die Ärzte gar nicht so viel   Facharzt sich über einen Patienten abstim-    Leistungen im EBM bereinigt werden, um
mehr leisten können und/oder weil die          men, besser zu vergüten.                      die „sprechende Medizin“ zu fördern. Bis
Summe durch Bereinigung und andere                                                           April soll die Vermittlung eines Facharzt-
Mechanismen am Ende unterlaufen wird.          Die Behandlung von Patienten, die über die    termins durch einen Hausarzt ein Preis-
Hinzu kommt ein riesiger bürokratischer        TSS einen Termin erhalten, soll extrabud-     schild bekommen. Gelingt dies nicht, gibt
Aufwand, um das Ganze zu überwachen            getär vergütet werden. Ergibt das Sinn?       der Gesetzgeber hierfür zwei Euro vor.
und zu kontrollieren.                                                                        Wie bewerten Sie diese Vorgaben?
                                               Hofmeister: Das ist die Grundvorausset-
Wenn das Gesetz, wie Sie sagen, nicht          zung. Wenn dieser Mehrbedarf aus dem          Gassen: Ich finde es eine Missachtung
den Kranken zugute kommt, ist es dann          System herausgehoben werden soll, dann        hausärztlicher Tätigkeit, eine vom Gesetz-
mehr ein PR-Coup des Ministers als ein         kann das nicht im Rahmen der Budge-           geber gewollte besondere Leistung für den
echtes Versorgungsgesetz?                      tierung geschehen. Ich kann ja nicht          Patienten mit nur zwei Euro zu vergüten.
                                               jemandem, der jetzt schon nur 85 Prozent      Hinzu kommt: Der Hausarzt soll dem       >
Hofmeister: Möglicherweise. Es ist ein         vergütet bekommt, sagen, mach noch
politisches Problem des „schneller, höher,     100 Patienten mehr, dann kriegst du noch
weiter“, das hier bedient werden soll.         70 Prozent Honorar. Das leuchtet sogar der
Wir reden hier in Deutschland in keiner        Politik ein.
Weise von einem Versorgungsproblem
ernsthafter Art. Wir haben von allem viel.     Ist das nicht ein Zwei-Klassen-System,
Gemessen an anderen Systemen vielleicht        wenn Patienten, die über die TSS kom-
zu viel, das wäre zu diskutieren. Und jetzt    men, anders vergütet werden als solche,
soll es noch mehr werden, und zwar un-         die sich direkt an die Praxis wenden?
gesteuert. Dort, wo zu wenige Ärzte sind,
ändert sich dadurch gar nichts. Und wo zu      Gassen: Ich habe schon den flapsigen
wenige Patienten sind, ändert sich auch        Spruch gehört „Es gab zwar nie eine Zwei-
nichts. Das ist das Problem.                   Klassen-Medizin, aber demnächst gibt es
                                               eine Drei-Klassen-Medizin: privat, gesetz-
Kriedel: Ich bin enttäuscht von dem, was       lich, Terminservicestelle“.
in dem Gesetzentwurf steht, verglichen
mit den Ankündigungen. Ich hätte mir           Hofmeister: Deswegen haben wir gefor-
deutlicher den Einstieg in den Ausstieg        dert, die Grundpauschalen extrabudgetär
                                                                                                  Dr. Andreas Gassen (Jahrgang 1962)
aus der Budgetierung gewünscht. Das            für alle zu vergüten. Einmal als Signal an
                                                                                                  ist seit März 2014 Vorsitzender des
wäre ein Zeichen für die Zukunft gewe-         die Ärzte, zum zweiten, um eine Strati-
                                                                                                  Vorstands der KBV. Zuvor war er un-
sen. Wir wissen, dass wir in den nächsten      fizierung zu vermeiden: Jeder Patient ist
                                                                                                  ter anderem Mitglied der Vertreter-
Jahren Probleme haben werden, Ärzte zu         gleich viel wert und wird gleich bezahlt.
                                                                                                  versammlung der Kassenärztlichen
finden, die sich niederlassen wollen. Man      Das wäre eine völlig andere Botschaft als
                                                                                                  Vereinigung Nordrhein und zweiter
hätte mit dem Geld mehr erreichen kön-         das, was Sie gerade skizziert haben.
                                                                                                  stellvertretender Vorsitzender der
nen, auch in der Wirkung auf die nachfol-
                                                                                                  Vertreterversammlung der KBV. Seit
gende Ärztegeneration. Da ist eine Chance      Auch für neue Patienten soll es zusätzli-
                                                                                                  1996 ist der Facharzt für Orthopä-
verschenkt worden.                             ches Honorar geben. Was heißt „neu“?
                                                                                                  die, Unfallchirurgie und Rheumato-
                                                                                                  logie in einer Gemeinschaftspraxis
Die Terminservicestellen (TSS) sollen          Gassen: Das weiß keiner so genau. Der
                                                                                                  in Düsseldorf niedergelassen.
künftig eine zentrale Rolle bei der Ver-       Gesetzgeber hat eine Definition anklingen
mittlung spielen. Was halten Sie davon?        lassen, mit der könnte man sogar leben.

                                                                                                            KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   9
Räderwerk der Regulierung - Das Terminservice- und Versorgungsgesetz
INTERVIEW
                                                     „Die wirklich Kranken sind diejenigen,
                                                     die hinten runterfallen.“ Hofmeister
     Patienten „erfolgreich“ einen Termin            Hofmeister: Wenn man das ernst nimmt,         tung anstoßen kann. Wenn also jemand
     bei einem weiterbehandelnden Facharzt           müsste man es überprüfbar machen.             die 116117 anruft und erkennbar ein Notfall
     vermitteln. Er kann sich also ans Telefon       Dann müsste ich irgendein technisches         ist, dann wird man dort nicht sagen, einen
     hängen und versuchen, einen Patienten           Tool haben, um beim Hausarzt prüfen           Moment, wir verbinden Sie, sondern direkt
     in der budgetierten Gesamtvergütung bei         zu können, ob Patient X von Hausarzt A        den Krankenwagen losschicken. Das ist,
     einem Facharzt unterzubringen, der schon        korrekt zu Facharzt B überwiesen wurde,       glaube ich, eine gute Regelung.
     völlig ausgelastet ist. Das ist eine „mission   dort auch gewesen und am besten noch
     impossible“, wenn nicht beide dafür mehr        einen Befragungsbogen zur Zufriedenheit       Hofmeister: Die Triagierung funktioniert bei
     Honorar bekommen. Die Abstimmung zwi-           ausgefüllt hat. Dafür gibt es bisher nicht    uns im ambulanten Bereich ja etwas anders
     schen Haus- und Facharzt ist an sich sinn-      mal ansatzweise Mechanismen. Ich habe         als in der Notfallversorgung. Vielleicht
     voll. Man muss sie aber anders bewerten.        keine Fantasie mir vorzustellen, wie das      könnte unser System über diesen Weg sogar
     Da hilft es auch nicht, dass die zwei Euro      geregelt werden könnte.                       bei der 112 etabliert werden. Die großen
     extrabudgetär sind. Denn die sind für den                                                     Leitstellen der Feuerwehr haben durchaus
     Hausarzt im Zweifelsfall sauer verdient.        Gassen: Das Problem wird noch größer.         ein Interesse daran, weil sie sagen „Über
                                                     Die TSS soll ja nicht nur künftig auch        die Hälfte unserer Anrufer sind bereits nach
     Hofmeister: Hinzu kommt, dass die Fach-         Haus- und Kinderarzttermine vermitteln,       wenigen Sekunden als Nichtnotfall identi-
     ärzte in dem Modell keinen Anreiz haben,        sondern sie soll die dauerhafte Behand-       fiziert. Dafür haben wir gar kein Konzept.“
     einen Termin anzubieten, sondern nur            lung sicherstellen. Das ist dann auch mit     Wenn diese Leitstellen unsere Abfragealgo-
     über die TSS oder die offene Sprechstunde.      einer besonderen Vergütung versehen.          rithmen übernehmen könnten – und das im
     Davon hat der Hausarzt aber nicht mal die       Jetzt nehmen wir mal an, die TSS vermit-      Sinne einer Vereinheitlichung gemeint ist –,
     zwei Euro. Wie man’s dreht und wendet, es       telt das Kind mit Röteln erfolgreich an       dann sind wir dafür.
     ist unsinnig.                                   einen Kinderarzt. Der sagt dann zu den El-
                                                     tern, „Sie können auch in Zukunft mit dem     Kriedel: Eine echte Zusammenlegung
     Es ist ja auch gar nicht klar, was „erfolg-     Kind zu mir kommen“. Diese Zusage ist ja      würde wahrscheinlich ein paar juristische
     reiche“ Vermittlung bedeutet …                  aber noch keine dauerhafte Versorgung.        Probleme mit sich bringen. Sinnvoller ist
                                                     Gibt’s dann kein Geld dafür? Oder erst        es, die beiden Systeme zu koordinieren.
                                                     wenn das Kind nachweislich die nächsten       Wenn jemand bei der 112 anruft und dort
                                                     zwei Jahre auch zu diesem Arzt gegangen       Daten aufgenommen werden, und sich
                                                     ist? Was ist, wenn die Eltern den nicht gut   dann rausstellt, das ist kein Fall für die
                                                     finden oder zu weit weg wohnen? Das sind      112, dann müssen die erhobenen Daten
                                                     Regelungen, die fast schon naiv anmuten.      auch weitergegeben werden dürfen an die
                                                     Deshalb noch mal: Das, was wir gemacht        116117 und umgekehrt.
                                                     hätten, wäre viel simpler gewesen und
                                                     hätte auch nicht mehr Geld gekostet. Und      Bei der Bedarfsplanung sollen die Länder
                                                     es hätte sogar noch den Charme für die Po-    stärkere Mitwirkungsrechte erhalten,
                                                     litik gehabt sagen zu können: Wir haben       etwa bei der Schaffung zusätzlicher
                                                     euch jetzt die Grundpauschalen für Haus-      Arztsitze …
                                                     und Fachärzte extrabudgetär gestellt, jetzt
                                                     wollen wir Leistung sehen, kümmert euch       Gassen: Mit Bedarfsplanung und Betei-
                                                     und erstattet in zwei Jahren Bericht. Das     ligung der Länder ist das Problem des
                                                     hätte ich als Gesetzgeber gemacht.            Ärztmangels nicht gelöst. Dadurch gibt es
                                                                                                   keinen Arzt mehr. Die Länder sprechen im-
                                                     Die Rufnummer des ärztlichen Bereit-          mer gerne überall mit, sind aber weniger
                                                     schaftsdienstes, 116117, soll in das          motiviert, wenn es darum geht, Taten und
     Dr. Stephan Hofmeister (Jahrgang
                                                     künftige System gemeinsamer Notfall-          Geld folgen zu lassen.
     1965) ist seit März 2017 stellvertre-
                                                     leitstellen „integrierbar“ sein, heißt es
     tender Vorstandsvorsitzender der
                                                     im Gesetzentwurf. Von einer Zusammen-         Hofmeister: Diese Politisierung ist brand-
     KBV. Zuvor war er unter anderem
                                                     legung mit der 112 ist die Rede. Wie ist      gefährlich. Jeder Landrat wird mit mehr
     Abgeordneter der Delegierten-
                                                     das zu verstehen?                             oder weniger Druck dafür sorgen, dass in
     versammlung der Ärztekammer
                                                                                                   seinem Kreis ein Arzt sitzt. Und da wir nicht
     Hamburg sowie stellvertretender
                                                     Gassen: Die Idee, die dahinter steht, ist     endlos Ärzte haben, muss der möglicher-
     Vorsitzender des Vorstands der
                                                     nachvollziehbar: Je weniger Nummern sich      weise woanders herkommen, wo die Lage
     Kassenärztlichen Vereinigung
                                                     die Leute merken müssen, desto besser.        noch schlechter ist. Das ist absurd. In dem
     Hamburg. Von 1999 bis 2013 war der
                                                     Aber die 112 ist sehr komplex organisiert.    Gesetzentwurf steht außerdem nicht ein
     Facharzt für Innere und Allgemein-
                                                     Die Zusammenlegung wird sich wohl völlig      Satz dazu, wie das finanziert werden soll.
     medizin als Hausarzt in der Hanse-
                                                     zurecht darauf beschränken, dass es wech-     Da wird stillschweigend davon ausgegan-
     stadt niedergelassen.
                                                     selseitige Standleitungen gibt, wo man den    gen, dass das im Rahmen der morbiditäts-
                                                     Prozess in die eine oder die andere Rich-     bedingten Gesamtvergütung passiert. Also

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sollten tatsächlich an einer Stelle mehr        Mehr Termine, kürzere Wartezeiten, mehr
Ärzte vorhanden sein nach dieser Lösung,        Personal, schnellere Digitalisierung – all
müssen die anderen Ärzte das bezahlen.          das verspricht der Minister den Wählern
                                                in kurzer Zeit. Alles hehre Ziele, aber
Gassen: Hinzu kommt: Die Politik fördert        stimmen auch die Voraussetzungen?
Strukturen, die eine Konzentration von
Arztstellen bewirken, etwa im MVZ,              Gassen: Die Wunschliste ist schon sehr
das vorwiegend mit angestellten Ärzten          lang. Ohne entsprechendes Honorar wird
arbeitet. Dabei ist völlig klar, dass ich mit   gar nichts davon erfüllt werden können.
zehn angestellten Ärzten im MVZ weniger         Die Forderung in der Größenordnung von
Versorgung auf die Straße bringe, als mit       500 bis 600 Millionen Euro steht im Raum.
zehn Einzelpraxen in der Fläche. An der         Selbst mit diesen Mitteln wird es nicht
Stelle fällt die innere Logik des Gesetzes      einfach, die Dinge umzusetzen. Ohne diese
auseinander. Ich weiß auf der einen Seite:      Mittel wird es unmöglich.
Leisten können es nur die Vertragsärzte.
Die versuche ich eher zu zwingen „mit           Hofmeister: Wenn wir davon ausgehen,
Zuckerbrot und Peitsche“. Auf der anderen       dass wir eigentlich dazu da sind, die wirk-
                                                                                                    Dr. Thomas Kriedel (Jahrgang
Seite sagt man: Die Lösung unserer Prob-        lich Kranken und Leidtragenden zu behan-
                                                                                                    1949) ist seit März 2017 Mitglied
leme sind die MVZs. Dieselben Politiker,        deln, dann bräuchte es andere Maßnah-
                                                                                                    des Vorstands der KBV. Seit den
die meinen, es gebe keinen Ärztemangel,         men. Zum Beispiel eine Möglichkeit der
                                                                                                    Achtzigerjahren bekleidete der
proklamieren gleichzeitig die Vereinbar-        Steuerung der Inanspruchnahme, bei der
                                                                                                    Diplom-Volkswirt unter anderem
keit von Familie und Beruf, Angestellten-       der Patient mit Verantwortung übernimmt,
                                                                                                    verschiedene Führungspositionen
beschäftigung etc. So produziere ich den        indem er sich etwa für einen bestimmten
                                                                                                    in der Kassenärztlichen Vereinigung
Arztmangel doch erst!                           Versicherungstarif entscheidet. Das wäre
                                                                                                    Westfalen-Lippe, von 2005 bis 2017
                                                der einzige Weg, um mit den knapper
                                                                                                    war er dort Mitglied des Vorstands.
Hofmeister: Selbstständige Ärzte arbeiten       werdenden Ressourcen eine weiterhin
52 Stunden, angestellte 38,5. Da fällt ein      hohe Versorgungsstruktur für Kranke zu
Drittel Produktivität weg. Hinzu kommt,         erhalten. Mit dem Gesetz machen wir eine
dass viele nur Teilzeit arbeiten wollen. Pa-    Wünsch-dir-was-Versorgung für alle. Die
rallel wird die Bevölkerung älter und der       wird an ein Ende kommen. Sowohl was die
Leistungsanspruch – politisch angescho-         menschlichen Kapazitäten angeht als auch       „Man hätte mit dem
ben – steigt auch noch. Wir kriegen die         was das Geld betrifft.
Leistungsmenge mit der Zahl der Köpfe                                                          Geld mehr erreichen
schlicht nicht bewältigt. Die Politik treibt    Kriedel: Noch ein Punkt: Viele der Rege-
sich selbst in eine Falle. Wenn sie uns         lungen sollen zum 1. April nächsten Jahres     können. Da ist eine
abwickelt und die Praxen kaputt macht,          umgesetzt werden. Das wird technisch
die Strukturen zerschlägt und Ärzte in die      nicht möglich sein, weil zum Beispiel die      Chance verschenkt
Anstellung schiebt, dann wird sie die Pro-      Praxisverwaltungssysteme geändert wer-
duktivität peu à peu verkleinern und auch       den müssen. Und, so paradox es klingt: Je      worden.“ Kriedel
noch zentralisieren, gleichzeitig will man      mehr Details Sie vorgeben, desto mehr Fra-
die Ärzte dezentral ins Land verteilen. Das     gen werfen Sie auf. Deshalb der dringende
sind Widersprüche, die in diesem Gesetz         Wunsch an den Gesetzgeber, die Detailtiefe     tung sei, wenn sie denn funktioniere.
weiter verschärft werden.                       zu reduzieren, oder, wenn er das nicht will,   Was fordern Sie von der Politik, damit die
                                                zumindest uns die Möglichkeit zu geben im      Selbstverwaltung funktionieren kann?
Das TSVG sieht Vereinfachungen bei der          Rahmen der Selbstverwaltung, die nötigen
elektronischen Patientenakte (ePA) vor,         nachfolgenden Regelungen zu schaffen.          Hofmeister: Freiheit. Wenn man mich an
etwa hinsichtlich der Zugriffsmöglich-                                                         Händen und Füßen bindet, ins Wasser
keiten. Bislang zielen alle Regelungen          Der Gesetzgeber setzt ja nicht nur enge        wirft und dann fröhlich ruft: Und jetzt
ausschließlich auf den Versicherten als         Fristen, sondern droht parallel mit Er-        schwimmen – dann ist das genau das, was
Nutzer. Übersieht der Gesetzgeber die           satzvornahmen und Sanktionen …                 zurzeit mit der Selbstverwaltung passiert.
Rolle des Arztes hierbei?                                                                      Das geht nicht.
                                                Hofmeister: Da kann man nur sagen:
Kriedel: Bei diesem Thema sehe ich auch         viel Spaß. Langsam wird es Zeit, daran         Gassen: Man darf nicht vergessen: Wir
positive Aspekte. Bislang stehen im Ge-         zu erinnern, dass Ärzte die Menschen           haben eine Zufriedenheitsquote der Versi-
setz ja noch unterschiedliche Begriffe wie      versorgen und nicht Politiker. Das muss        cherten mit der ambulanten Versorgung
ePA, elektronisches Patientenfach und           man mal einflechten, weil uns die Jugend       von deutlich über 90 Prozent. Wenn wir
teilweise auch Fallakte. Es ist sinnvoll,       wegläuft. Die Studenten, mit denen wir auf     20 Prozent Zustimmungsrate hätten, so
dies zusammenzufassen. Für den Arzt ist         dem Ärztetag gesprochen haben, haben           wie manch ranghoher Politiker bei den
es wichtig, dass die Bedingungen, unter         uns freundlich ins Gesicht gelacht beim        Wählern, dann würde ich auch sagen, da
denen er die Daten liefern muss, festgelegt     Thema Landarztquote. Das verkennt die          muss man mal ran. Aber so?
werden, und zwar eindeutig und inter-           Politik dramatisch.
operabel. Wir fordern vom Gesetzgeber                                                              Die Fragen stellte Alexandra Bodemer.
eine klare Regelung, dass die KBV hier die      Es gibt den berühmten Satz von Jens
Standards festlegen kann.                       Spahn, dass er ein Fan der Selbstverwal-

                                                                                                              KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   11
THEMA

     Praxissoftware wird
     leichter übertragbar
     Die KBV hat die erste Wechselschnittstelle zur Herstellung von Interoperabilität definiert
     und in das entsprechende Verzeichnis der gematik eingetragen. Softwarehersteller haben
     nun zwei Jahre Zeit für die Umsetzung und Zertifizierung.

     P        raxisverwaltungssysteme (PVS)
              sind in der Regel untereinander
              nicht kompatibel. Der Wechsel
     von einem zum anderen Programm ist
     mit äußerst großem Aufwand verbunden,
                                                      das Interoperabilitätsverzeichnis der ge-
                                                      matik eingetragen. Die Softwarehersteller
                                                      haben jetzt zwei Jahre Zeit, die definierten
                                                      Anforderungen umzusetzen, ein entspre-
                                                      chendes Zertifikat der KBV zu erhalten
                                                                                                     und-Wechsel-Schnittstelle fest. Mit dieser
                                                                                                     soll es Arztpraxen ermöglicht werden, ihr
                                                                                                     komplettes PVS einfach und ohne Daten-
                                                                                                     verlust zu wechseln. Zuletzt soll noch ein
                                                                                                     Standard für den Wechsel von Infektions-
     weshalb viele Ärzte vor diesem Schritt zu-       und die Schnittstelle den Arztpraxen zur       schutzmeldungsprogrammen definiert
     rückschrecken. Das wird sich demnächst           Verfügung zu stellen.                          werden.
     ändern. Bereits im vergangenen Sommer
     hat der Gesetzgeber der KBV die Möglich-         Für die Praxen bedeutet das konkret, dass      Die durch die Wechsel-Schnittstellen
     keit gegeben, insgesamt drei sogenannte          sie künftig frei wählen können, welche         verbesserte Interoperabilität führt zu mehr
     Wechselschnittstellen zur Herstellung            Verordnungssoftware sie in ihrem PVS           Wettbewerb unter den Softwarehäusern.
     von Interoperabilität zu definieren und          nutzen. Die Verodnungssoftware-Wechsel-        Dadurch erhofft sich die KBV positive
     die Softwarehersteller dazu verpflichtet,        Schnittstelle ermöglicht die verlustfreie      Einflüsse auf die Preispolitik der Unter-
     diese auch umzusetzen. Im Frühjahr 2018          Übertragung der für die Arzneimittelver-       nehmen.
     hat die Vertreterversammlung der KBV,            ordnung relevanten patientenbezogenen                                     Meike Ackermann
     nach Rücksprache mit den Industriever-           Daten. Konkret sind dies Patientenstamm-
     bänden, die erste dieser Schnittstellen,         daten, Betriebsstätten- und Arztstammda-
     die Verodnungssoftware-Wechsel-Schnitt-          ten, Verordnungsdaten sowie der bundes-
     stelle, beschlossen. Die KBV hat hierbei         einheitliche Medikationsplan.
     bewusst auf den Internationalen Standard
     FHIR von HL7 als Basis für die Schnittstel-      In einem nächsten Schritt legt die KBV ei-
     le gesetzt. Seit dem 29. Juni ist diese nun in   nen Standard für eine PVS-Archivierungs-

12   KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
MELDUNGEN AUS DEM BUND

 Honorar 2019:
 620 Millionen Euro mehr
 Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der
 Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung
 (GKV) haben sich Ende August auf einen Anstieg der
 Honorare für niedergelassene Ärzte geeinigt. Demnach
 soll der Orientierungswert um rund 1,58 Prozent steigen,   Check-up 35 angepasst
 was für die Versorgung im kommenden Jahr 550 Millio-
 nen Euro mehr bedeutet. Auch soll die Morbiditätsrate      Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat Änderun-
 angepasst werden, was noch einmal 70 Millionen Euro        gen an der Gesundheitsuntersuchung für Erwachsene,
 mehr entspräche, sodass 2019 voraussichtlich insge-        dem sogenannten Check-up 35, beschlossen. Gesetzlich
 samt zusätzliche 620 Millionen Euro in die Versorgung      Versicherte ab 35 Jahren haben demnach künftig nur
 fließen. Die Forderung der KBV, das Honorar für Haus-      noch alle drei und nicht mehr alle zwei Jahre Anspruch
 besuche zu erhöhen, soll im September noch einmal in       auf die Untersuchung. Dabei werden noch stärker als
 gesonderten Gesprächen über die finanzielle Anpassung      bisher gesundheitliche Risiken und Belastungen erfasst
 ärztlicher Leistungen thematisiert werden. Den Bedarf      und bewertet, um Erkrankungen rechtzeitig vorbeugen zu
 an einer höheren Vergütung hat der GKV-Spitzenverband      können. Die Beratung erhält insgesamt mehr Gewicht. So
 in zwei Bereichen anerkannt: Bei Mehrleistungen für die    sollen Patienten motiviert werden, mehr für ihre Gesund-
 Praxishygiene und bei Mehrleistungen für die Datensi-      heit zu tun. Zum Check-up gehören weiterhin neben der
 cherheit der Arztpraxen im Rahmen der EU-Datenschutz-      Anamnese eine körperliche Untersuchung, das Messen
 grundverordnung (DSGVO). Für beide Bereiche wird das       des Blutdrucks, eine Untersuchung des Urins sowie
 Institut des Bewertungsauschusses nach einem Prüfan-       die Bestimmung der Blutzucker- und Cholesterinwerte.
 trag die zusätzlichen Kosten berechnen. Ferner steht die   Dabei wird künftig ein vollständiges Lipidprofil erstellt.
 Überarbeitung der Chronikerpauschalen bereits für den      Neu ist, dass auch jüngere Versicherte zwischen dem
 18. September auf der Tagesordnung des Bewertungs-         18. und 35. Lebensjahr einmalig den Check-up erhalten
 ausschusses. (Stand 07.09.2018) (saw)                      können. Das Bundesgesundheitsministerium prüft den
                                                            G-BA-Beschluss. Dann hat der Bewertungsausschuss
                                                            sechs Monate Zeit, um die Vergütung festzulegen. Erst
                                                            danach haben Versicherte Anspruch auf die überarbeitete
                                                            Gesundheitsuntersuchung. (jup)

 Honorarkommission im
 BMG konstituiert
 Die Wissenschaftliche Kommission für ein modernes          Arzneimittelausgaben gestiegen
 Vergütungssystem (KOMV) ist Ende August im Bun-
 desgesundheitsministerium zu ihrer konstituierenden        Die Ausgaben für Arzneimittel im Rahmen der gesetzli-
 Sitzung zusammen gekommen. „Sowohl die ambulante           chen Krankenversicherung (GKV) sind im ersten Halbjahr
 Honorarordnung in der gesetzlichen Krankenversi-           2018 um 788 Millionen Euro auf nun insgesamt 19,7 Mil-
 cherung als auch die Gebührenordnung der Privaten          liarden Euro angestiegen. Das entspricht einem Plus von
 Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden“,       4,2 Prozent, wie der Statistikdienstleister IQVIA ermittelt
 betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).        hat. In den Zahlen sind Einsparungen aus Rabattverträ-
 Die Vergütung ärztlicher Leistungen in der ambulanten      gen nicht berücksichtigt. Der Grund für den Ausgaben-
 Versorgung müsse sich am Stand des medizinischen           zuwachs liegt den Statistikern zufolge bei innovativen
 Fortschritts und am Versorgungsbedarf der Bevölkerung      Krebstherapien, spezifischen Antirheumatika sowie
 orientieren. Die Zusammensetzung der Kommission aus        Therapien zur Schlaganfallprophylaxe. Demnach lag das
 13 unabhängigen Wissenschaftlern hatte das Bun-            Ausgabenplus bei patentgestützten Präparaten bei 10,6
 deskabinett im Juni beschlossen. Die Wissenschaftler       Prozent, das von Generika bei 3,8 Prozent. Die GKV spar-
 verfügen über medizinische, gesundheitsökonomische,        te durch Herstellerzwangsabschläge in der ersten Hälfte
 sozial- oder verfassungsrechtliche Expertise und werden    dieses Jahres 2,1 Milliarden Euro. Zusätzlich erzielten
 bis Ende des kommenden Jahres einen Bericht zum            die Krankenkassen durch den Apothekenabschlag von
 Vergütungssystem vorlegen. Der Einsatz einer Honorar-      1,77 Euro auf jede für GKV-Versicherte abgegebene re-
 kommission ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD      zeptpflichtige Packung in den ersten sechs Monaten ein
 festgehalten. (mei)                                        Einsparvolumen von mehr als 571 Millionen Euro. (fun)

                                                                                               KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   13
THEMA

     Digitalisierung?
     Nicht ohne meinen Arzt!
     Seit mittlerweile zwölf Jahren bestätigen die Ergebnisse der Versichertenbefragung der KBV
     und die Studie „Patientenperspektiven“ den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten
     das große Vertrauen der Patienten. Diese wünschen sich eine ärztlich begleitete Digitalisierung
     und nutzen die Notaufnahmen der Krankenhäuser nicht mehr so häufig wie in den Vorjahren.

     D       em Großteil der Patienten ist be-
             wusst, dass die Notaufnahmen der
             Krankenhäuser häufig (35 Prozent)
     oder sehr häufig (51 Prozent) unnötig in
     Anspruch genommen werden. Das geht
                                                  Institut für Medizinische Soziologie und
                                                  Rehabilitationswissenschaften der Charité
                                                  Berlin. Ein Drittel der Teilnehmer gab an,
                                                  bei Beschwerden nachts oder am Wochen-
                                                  ende direkt ins Krankenhaus zu gehen.
                                                                                               bundesweite Rufnummer 116117 nehmen
                                                                                               offensichtlich zu. Doch auf diesem Erfolg
                                                                                               werden wir uns nicht ausruhen. Ein Drit-
                                                                                               tel sind immer noch zu viele Patienten,
                                                                                               die direkt ins Krankenhaus gehen. Daher
     aus der diesjährigen Versichertenbefra-      Das ist zwar nach wie vor eine hohe Zahl,    werden wir die 116117 auch weiterhin
     gung der KBV hervor. Die Forschungs-         doch ist sie im Vergleich zum Vorjahr um     massiv bewerben. Im kommenden Jahr
     gruppe Wahlen hat vom 9. April bis zum       14 Prozentpunkte gesunken – erstmals         starten wir dazu eine große bundesweite
     4. Juni telefonisch wieder über 6.000        nach dem stetigen Aufwärtstrend der ver-     Kamapgne“, betonte der Vorstandsvorsit-
     Versicherte zu ihrer Einschätzung der Ver-   gangenen Jahre. „Langsam tragen unsere       zende der KBV, Dr. Andreas Gassen, auf
     sorgungssituation in Deutschland befragt     Anstrengungen Früchte: Das Wissen um         der Pressekonferenz zur Präsentation der
     – im Auftrag der KBV und begleitet vom       den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die   Umfrageergebnisse.

14   KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018
Die Präferenz einiger Patienten, mit ihren      min bekommen, 14 Prozent konnten ohne            sogar ein Gestz dafür machen, sich lieber
Leiden eher ins Krankenhaus zu gehen,           Termin direkt in die Praxis gehen und bei        mal unsere Umfrageergebnisse anschau-
rührt zumindest nicht daher, dass sie der       einem Prozent vergab die betreffende Pra-        en und nicht nur auf subjektiv gefühlte
Fachkompetenz der niedergelassenen Ärzte        xis keine Termine. Weitere 15 Prozent der        Stimmungen reagieren. Dann könnten sie
misstrauen: 43 Prozent der Befragten berur-     Befragten warteten bis maximal drei Tage         sich auch mehr darauf konzentrieren, die
teilen diese mit gut und 49 Prozent mit sehr    auf einen Termin, 39 Prozent aller Patienten     echten Herausforderungen in der Versor-
gut. Diese Werte sind seit der ersten KBV-      mussten sich länger als drei Tage gedulden.      gung kranker Menschen anzupacken, statt
Versichertenbefragung aus dem Jahr 2006                                                          aus unserem System ein Wunschkonzert
stabil. Ebenso wie das Vertrauensverhältnis                                                      für alles und jeden zu machen“, forderte
der Patienten zu ihren niedergelassenen                                                          Gassen.
Ärzten: 91 Prozent gaben an, ein gutes
(39 Prozent) oder sehr gutes (52 Prozent)       Wartezeit hält sich in Grenzen                   Eine solche Herausforderung liegt beispiels-
Vertrauensverhältnis zu ihrem Arzt zu                                                            weise in der Versorgung und Unterstützung
haben. „Diese positive Feststellung ist kein    Langfristig betrachtet haben die Wartezei-       von Menschen, die einen Familienangehöri-
Trend, sondern eine solide und feststehen-      ten für Facharzttermine leicht zugenom-          gen oder eine nahestehende Person pflegen.
de Realität seit Beginn der Befragungen vor     men. Im Jahr 2008 warteten 54 Prozent der        In den vergangenen drei Jahren haben das
zwölf Jahren. Das sollten sich insbesondere     Befragten über drei Tage auf einen Termin,       18 Prozent aller 18- bis 79-jährigen Befrag-
diejenigen Vertreter aus der Politik vor Au-    dieses Jahr waren es 63 Prozent. Gestört hat     ten gemacht. 57 Prozent von ihnen gaben
gen halten, die dem Freiberufler Arzt mit ei-   die Steigerung die Patienten aber offensicht-    an, dass sie die Pflege körperlich stark oder
nem Wust an Kontrollen und dirigistischen       lich nicht. Denn auf die Frage „Hat es Ihnen     sehr stark belastet, im Jahr 2014 waren das
Eingriffen begegnen. Denn sie selbst sehen      zu lange gedauert, bis Sie einen Termin          noch 49 Prozent. 78 Prozent berichten von
sich häufig mit niedrigen eigenen Vertrau-      bekommen haben?“ antworteten in diesem           einer starken oder sehr starken gefühlsmä-
enswerten der Bevölkerung konfrontiert,         Jahr, wie auch schon zehn Jahre zuvor, 80        ßigen Belastung. Ein wichtiger Ansprech-
die meilenweit von den Werten für die Ärzte     Prozent aller Befragten, die eine Wartezeit      partner vor allem für die älteren pflegenden
entfernt sind“, konstatierte Gassen.            von mindestens einem Tag hatten, mit             Angehörigen ist der Hausarzt. 59 Prozent
                                                „nein“. Auch in der Praxis hielt sich die        redeten mit ihm über ihre Tätigkeit und
Die Wartezeiten – öffentlich häufig ein dra-    Wartezeit in Grenzen: Fast drei Viertel aller    erhielten größtenteils unterstützende Hin-
matisiertes Thema – sind objektiv betrach-      Befragten gaben an, dass sie in spätenstens      weise und präventive Hilfen. Der Hausarzt
tet kein Problem, wie die Auswertung zeigt.     einer halben Stunde an der Reihe waren.          tritt hier also quasi – zusätlich zu seinem
45 Prozent der Befragten gaben an, dass sie     „Ich würde mir wünschen, dass sich die Po-       eigentlichen Tätigkeitsfeld – als Schnittstel-
überhaupt keine Wartezeit auf Arzttermine       litiker, die die Wartezeiten als derart drän-    le zu Service-Angeboten für Pflegende in
hatten. 30 Prozent haben sofort einen Ter-      gendes Problem ansehen, dass sie aktuell         Aktion.                                      >

   WOHIN WENDEN SIE SICH, WENN SIE NACHTS ODER AM WOCHENENDE ÄRZTLICHE HILFE BENÖTIGEN?

              Krankenhaus          Notarzt/Rettungsdienst                                       Hausarzt         sonst./k.A.

                                                                                                                  KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   15
THEMA

     „Die Rolle des Arztes und der sprechenden
     Medizin wird in Zukunft eher zu- als ab-        WARTEZEITEN FÜR TERMINE
     nehmen. Das zeigt nicht nur die Funktion
     des Arztes für pflegende Angehörige,
                                                          (Auswahl: „Ja“, war im letzten Jahr beim Arzt; letzter Praxisbesuch)
     sondern auch das Ergebnis der Patienten-
     diskussionen zum Thema Digitalisierung“,
                                                                      bei Hausarzt      bei Facharzt
     erklärte Gassen. Parallel zur Versicherten-
     befragung hat die Patientenprojekte GmbH
                                                    keine Wartezeit
     eine qualitative Studie zur Digitalisierung
     im Gesundheitswesen aus Sicht der Pati-
                                                            ein Tag
     enten durchgeführt. In diesem Rahmen
     diskutierten Fokusgruppen in Hamburg,
     Münster, Stuttgart und Leipzig zu entspre-
     chenden Fragestellungen miteinander.
                                                    bis eine Woche

     Zustimmung für die
     elektronische Patientenakte
                                                      ohne Termin/
                                                    Termin unnötig
     Grundsätzlich standen die Teilnehmer der
     Digitalisierung aufgeschlossen gegenüber.        Praxis macht
                                                     keine Termine
     Sie wünschten sich Gesundheits-Apps auf
     Rezept, konnten sich die Nutzung von
     Videosprechstunden vorstellen und for-
     derten offensiv die Einführung einer elek-
     tronischen Patientenakte (ePA). Die ePA
     hatte auch schon in der Versichertenbe-
     fragung eine hohe Zustimmung erhalten.
                                                     WARTEZEITEN: HAT ES IHNEN ZU LANGE GEDAUERT,
     64 Prozent aller gesetzlich versicherten
                                                     BIS SIE EINEN TERMIN BEKOMMEN HABEN?
     Befragten befürworten eine solche Akte
     als Erweiterung zur aktuellen Versicher-
     tenkarte. 29 Prozent lehnen die ePA ab.        (Auswahl: „Ja“, war beim Arzt; letzter Besuch; Wartezeit mind. einen Tag)
     Dies geschieht zu 81 Prozent aus Sorge vor
                                                                 ja              nein
     unzureichendem Datenschutz. 20 Prozent
     sind der Meinung, dass ihre Daten in der
     Praxis besser aufgehoben sind. 6 Prozent
     befürchten eine Beeinflussung der ärzt-
     lichen Diagnose und 9 Prozent äußerten
     andere Gründe für ihre Ablehnung.

     Auch in den Fokusgruppen führte die
     Sorge um die Sicherheit und den Schutz der
     persönlichen Daten zu intensiven Diskussio-
     nen. Ebenso wie die Sorge, digitale Techno-
     logien könnten den Zugang zu menschlicher
     Zuwendung erschweren und den Menschen
     langfristig verdrängen. So kamen die
     Teilnehmer zu dem Ergebnis, dass Video-
     sprechstunde und Co. den Arzt immer nur
     ergänzen, nie jedoch ersetzen könnten.

     „Vereinfacht könnte man sagen: Digitali-
     sierung ja, aber nicht ohne meine Arzt! Die
                                                            Ergebnisangaben in Prozent; rundungsbedingte Summenabweichungen möglich
     Patienten wünschen sich einfach jemanden,
     der in der schönen, digitalen Gesundheits-
     welt die Spreu vom Weizen trennt. Und
     das ist gut so. Schließlich musste selbst im
     Raumschiff Enterprise machmal der Arzt
     draufschauen“, so Gassen.
                                 Meike Ackermann

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MELDUNGEN AUS DEN LÄNDERN

 KVEN SACHSEN UND THÜRINGEN

 ARMIN:
 Positive Zwischenbilanz
 Sachsen/Thüringen: Nacht gut vier Jahren Arzneimitteliniti-
 ative Sachsen-Thüringen (ARMIN) ziehen die Projektpartner
 eine positive Zwischenbilanz. Durch ARMIN habe sich das
 Vertrauen der Patienten in die Arzneimitteltherapie erhöht      KV WESTFALEN-LIPPE
 und deren Therapietreue verbessert. Falsche Medikamen-
 teneinnahmen – vorrangig bei älteren Patienten – würden         Gemeinsame
 ausgeschlossen. Damit das Projekt am Ende der Laufzeit in
 die Regelversorgung überführt werden könne, müssten noch
                                                                 Leitstelle gestartet
 technischen Hürden genommen und gesetzliche Regelun-
 gen getroffen werden. So müssten unter anderem pharma-          Dortmund: Anfang Juli startete in Lemgo die integrierte
 zeutische Dienstleistungen in der Regelversorgung möglich       Leitstelle der Rufnummern 112 des Rettungsdienstes und
 sein und für den bundeseinheitlichen Medikationsplan tech-      der 116117 des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes.
 nisch und organisatorisch einheitliche Rahmenbedingungen        Anrufer in den Landkreisen Lippe, Paderborn und Höxter
 erarbeitet werden. Die Arzneimittelinitiative ARMIN ist ein     erreichen nun speziell geschulte Disponenten, die sie an
 gemeinsames Projekt der Ärzte und Apotheker Sachsens            die richtige Versorgungsstufe weiterleiten. In der Modell-
 und Thüringens sowie der AOK Plus, bei dem Ärzte nach           region leben 800.000 Menschen. Die Kassenärztliche
 Möglichkeit nur noch Wirkstoffe verordnen und die Apothe-       Vereinigung (KV) Westfalen Lippe finanziert den Modell-
 ker die entsprechenden Medikamente ausgeben. (mei)              versuch mit insgesamt 900.000 Euro. „Die ersten Erfah-
                                                                 rungen mit unserer neuen integrierten Leitstelle stimmen
                                                                 uns optimistisch“, sagte der Vorstandsvorsitzende der KV,
                                                                 Dr. Gerhard Nordmann. So gebe es jede Woche 600 bis
                                                                 700 Einsätze für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Circa
                                                                 30 dieser Einsätze würden über die Notfallnummer 112
                                                                 vermittelt, was nach Auffassung Nordmanns für die ange-
                                                                 strebte Entlastung des Rettungsdienstes spreche. (fun)

                                                                 KV THÜRINGEN

                                                                 Eine Nummer für alle
                                                                 Bereitschaftsdienste
 KV SCHLESWIG-HOLSTEIN                                           Erfurt/Weimar: Thüringen ist das erste Bundesland, in
                                                                 dem Patienten seit dem 2. Juli sämtliche medizinische
 Weiterbildungs-                                                 Bereitschaftsdienste unter der bundesweiten kostenlosen
                                                                 Rufnummer 116117 erreichen können. Nach der Landesapo-
 förderung erweitert                                             thekerkammer Thüringen, die sich der 116117 bereits im Juli
                                                                 vergangenen Jahres angeschlossen hatte, hat nun auch die
 Bad Segeberg: Die Kassenärztliche Vereinigung (KV)              Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) einen Vertrag mit
 Schleswig-Holstein erweitert im zweiten Halbjahr 2018 ihre      der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Thüringen abge-
 Weiterbildungsförderung für Praxen: Gemeinsam mit den           schlossen. Unter der Rufnummer 116117 erhalten Patienten
 Krankenkassen finanziert sie die Förderung junger Ärzte,        nun Auskunft zu den Sprechstundenzeiten der ärztlichen
 die zum Facharzt für Allgemeinmedizin ausgebildet werden,       und zahnärztlichen Bereitschaftsdienstpraxen, zu örtlichen
 für die Restlaufzeit des Jahres nun auch in kreisfreien Städ-   Bereitschaftsdiensten von Augenärzten, Kinderärzten und
 ten. Auf 4.800 Euro beläuft sich der monatliche Zuschuss.       HNO-Ärzten. Außerdem werden über diese Nummer drin-
 Damit wird der Förderbetrag auf die im Krankenhaus übliche      gende Hausbesuche vermittelt. Die Anrufer erfahren auch,
 Bezahlung angehoben. Neben den Allgemeinmedizinern              welche Apotheke in ihrer Region Bereitschaft hat. (mei)
 werden unter anderem diejenigen Arztgruppen besonders
 gefördert, die zurzeit den höchsten Anteil an Ärzten im Alter
 von über 60 Jahren aufweisen. Dazu zählen beispielsweise
 Neurologie, Chirurgie und Gynäkologie. (saw)

                                                                                                    KBV KLARTEXT > 3. QUARTAL 2018   17
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