RECHTSEXTREME STRUKTUREN IN DORTMUND - Stadt Dortmund
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RECHTSEXTREME STRUKTUREN IN DORTMUND Formationen und neuere Entwicklungen – ein Update 2012 T M U N DER DOR N S P L A N A K T I O RECHTS GEGEN WIR IN DORTMUND für Vielfalt, Toleranz und Demokratie WIR IN DORTMUND für Vielfalt, Toleranz und Demokratie www.vielfalt.dortmund.de
Inhaltsverzeichnis Rechtsextreme Strukturen in Dortmund Formationen und neuere Entwicklung – ein Update 2011 1. Einleitung: Rechtsextremismus in Dortmund 2011 5 2. Begriffe und gesellschaftliche Hintergründe 9 3. Rechtsextreme Strukturen, Bewegungen und Milieus 15 a) Parteiförmiger Rechtsextremismus 16 b) Bewegungsförmiger Rechtsextremismus 19 c) Mischszenen am Beispiel Fußball 35 d) Zwischenbewertung der rechtsextremen Strukturen 43 4. Neue Formen? – Rechtspopulismus 43 5. Raumkampf im Stadtteil Dorstfeld 51 6. Dortmund als Spinne im NRW-Netz 61 7. Was wäre eigentlich, wenn … die Autonomen 68 Nationalisten 2020 den Bürgermeister stellten 8. Zusammenfassung und Ausblick 70 9. Anhang 72 Dortmunder Aktionsplan gegen Rechtsextremismus 3
Olaf Sundermeyer • Claudia Luzar • Dr. Dierk Borstel 1. Einleitung: Rechtsextremismus in Dortmund 2011 Fünf Menschen wurden in Dortmund seit 2000 durch rechtsextreme Gewalttäter getötet. Drei Polizisten wurden von einem Neonazi er- schossen, der sich anschließend selbst richtete. Ein junger Mann, der sich als Punk bekannte, wurde auf einem Bahnsteig erstochen – von dem Mitglied einer Neonazi-Kameradschaft, die bis heute durch ihre extreme Gewaltbereitschaft auffällt. Und ein türkischstämmiger Ki- oskbesitzer wurde erschossen – als Opfer des rechtsterroristischen Rechtsextreme Strukturen in Dortmund Formationen und neuere Entwicklungen ein Update 2011 NSU (Nationalsozialistischer Untergrund), dessen Kontakte bis in die rechtsextreme Szene der Stadt reichten. Migranten, Andersdenkende, Polizisten. Das sind bis heute die ausgemachten Ziele der rechtsextre- Dortmund, Dezember 2011 men Szene in Dortmund, die sich seit einigen Jahren neu formiert und in der Stadt festgesetzt hat. Es geht gegen Fremde, gegen Linke, ge- gen den Staat. Einige Akteure aus der Zivilgesellschaft reagierten auf Eine Studie im Auftrag der Koordinierungsstelle für Vielfalt, die rechtsextreme Szene und protestierten von Anfang an gegen die Toleranz und Demokratie der Stadt Dortmund jährlichen Neonaziaufmärsche in Dortmund. Federführend bei den Protesten war der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus, aber auch das Bündnis Dortmund gegen Rechts. Die Stadt Dortmund selbst und ihre Einrichtungen waren allerdings in den ersten Jahren deutlich zurückhaltender. Bis dahin hatten die Rechtsextremisten Zeit, sich weitgehend unbehelligt auszubreiten, ganze Wohngemeinschaf- ten mit ihren Kameraden zu belegen, vor allem linksalternative Ju- gendliche und Migranten zu malträtieren, einige Straßen und Plätze strategisch zu besetzen und einen der wichtigsten jährlichen Aufmär- sche der rechtsextremen Szene in Europa zu organisieren. Doch die Situation änderte sich mit dem Ratsbeschluss vom Septem- ber 2007, einen Aktionsplan für Vielfalt, Toleranz und Demokratie gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu erarbeiten. Die Stadt setzte einen Sonderbeauftragten nur für die Thematik des Rechtsextremismus ein und stellte 100.000,00 Euro 4 5
für Projektmittel gegen Rechtsextremismus bereit. Seit Anfang 2008 seither sichtlich ab. Anders ist die Lage auf der nicht rechtsextremen wird durch die Koordinierungsstelle eine umfangreiche Arbeit gegen Seite. Über 10.000 Menschen beteiligten sich an Gegenveranstaltun- Rechtsextremismus geleistet, die sich in Öffentlichkeitsarbeit, Bil- gen im ganzen Stadtgebiet. Die demokratische Bürgergesellschaft dungs- und Präventionsangeboten sowie der Organisation und Ver- zeigte deutlich, wer das Sagen in der Stadt hat, gestört nur durch die netzung der Gegenaktivitäten zu den rechtsextremen Demonstrati- gewalttätigen Aktionen einiger Linksradikaler und -autonomer. onen erstreckt. Die Arbeit zeigte Wirkungen, so konnten getreu dem Aber im Alltag zeigen die Dortmunder Rechtsextremisten und auch Motto „Kein Platz – keine Straße – kein Raum für Nazis“ die Akti- Rechtspopulisten noch immer Präsenz. Die rechtsextreme Gewalt onsräume der Rechtsextremen in den letzten Jahren weiter begrenzt trifft immer wieder Menschen, die nicht ins enge Raster rechtsextre- werden. Die 10–15.000 Teilnehmenden an den Gegenveranstaltun- men Denkens passen. Und die Machtkämpfe um die politische Deu- gen zum Naziaufmarsch am von ihnen sogenannten „Nationalen tungshoheit dauern vor allem in den Stadtteilen an. Noch immer gilt Antikriegstag“ (AKT) zeigten weiterhin, dass eine Stadtgesellschaft etwa die Ansage der rechtsextremen Autonomen Nationalisten: Der bereit ist, sich dem Raumkampf zu stellen. Wilhelmplatz ist unser. Sie markieren damit einen zentralen Platz in Dorstfeld für sich, der einst als Begegnungsort einer freien Bürger- So konnte sich die rechtsextreme Szene zuletzt zwar weiter profes- gesellschaft errichtet wurde. Längst hat die demokratische Seite, in sionalisieren, aber im Zuge der Recherchen und Interviews für diese Dorstfeld wie an anderen Orten der Stadt, der Machtkampf ange- Studie war auch festzustellen, dass sie seither, seit 2009, stagniert. Es nommen. Er ist in vollem Gange. scheint, als könne sie mit ihren bisherigen Aktionsformen den brei- ten Widerstand in der Stadt nicht überwinden. Dafür fehlen ihr der Diese Studie will dazu beitragen, diese Auseinandersetzung mit personelle Zulauf und die Mittel. Stattdessen wandelt die Szene, vor dem Rechtsextremismus weiter zu qualifizieren. Die demokratische allem die so genannten Autonomen Nationalisten (AN), ihre Wut in Seite wird ihn nur gewinnen, wenn sie begreift, dass es sich bei der einen dauerhaften Aktionismus. Der folgt einer Agenda, ähnlich ei- rechtsextremen Szene um ein lernendes System handelt. Sie reagiert nem Veranstaltungskalender, die das gesellschaftliche Leben in Dort- auf Widerstände, verändert ihr Aussehen und ihr Handlungsprofil. Es mund dauerhaft stört. Mit legalen öffentlich wirksamen Aktionen lohnt deshalb, sich immer wieder auch von Neuem mit den veränder- einerseits – und verstecktem Straßen- und Psychoterror gegen die ten rechtsextremen Strukturen und Situationen zu beschäftigen. Frü- bewährten Gegner andererseits. Das ist der Zustand, mit dem sich here Studien – z. B. von der Universität Bielefeld, des Arbeitskreises die Stadtgesellschaft auseinandersetzen muss. Immer noch – auch Dortmund gegen Rechtsextremismus und auch der Antifaschistischen seit der Niederlage der Neonazis vom 3. September 2011. Union Dortmund – bieten dafür sehr nützliche Grundlegungen. Sie Sie ging 700 zu 10.000 aus. Die Großdemonstration, der „nationale finden hier eine Aktualisierung. Antikriegstag (AKT)“, der Dortmunder rechtsextremen Szene endete Diese Analyse gibt einen Überblick über die rechtsextremen Struk- für sie in einem deutlichen Rückschlag. Kamen 2008 noch weit über turen in Dortmund für das Jahr 2011. Ihr liegt dabei ein Konzept tausend Rechtsextremisten in Dortmund zusammen, nahm die Zahl des Raumordnungskampfes zu Grunde. Der Rechtsextremismus 6 7
versucht, Einflusssphären zu gewinnen und lokale Räume im Alltag 2. Begriffe und gesellschaftliche Hintergründe der Menschen zu besetzen. Dies geschieht in vier aufeinander fol- genden Schritten, die zu Beginn der Analyse beschrieben werden Rechtsextremismus ist ein breit diskutiertes und umfassend erforsch- und die zentrale Kriterien darstellen, um die Wirkungsmacht der tes Thema. Dabei besteht weder in der Wissenschaft noch in der Pra- jeweiligen rechtsextremen Gruppe beschreiben zu können. Diesem xis Einigkeit darüber, was unter Rechtsextremismus eigentlich zu ver- Analyseraster folgen die Beschreibungen der aktiven rechtsextremen stehen ist und wie er sich zu ähnlichen Phänomenen, wie z. B. dem und rechtspopulistischen Gruppen. Die Analyse endet mit einer zu- Rechtspopulismus, verhält. Nun soll diese Studie nicht dazu dienen, sammenfassenden Aussage zur Bedeutung dieser Gruppen und der diese Streitigkeiten zu dokumentieren oder sogar noch zu befruch- Ausführung eines Szenarios. Wie würde Dortmund eigentlich im Jahr ten. Nötig sind jedoch einige kurze Grundlegungen zum Verständnis 2030 aussehen, wenn die Rechtsextremisten ihre Ziele tatsächlich und zur Einordnung der folgenden Analysen. erreichen würden? Rechtsextremismus im Sinne dieser Studie ist vor allem eine Kopf- Die Datenerhebung für diese Studie erfolgte von Mai bis Novem- sache. Sie verbindet Ideologien, die von der Ungleichwertigkeit ber 2011. Die Autoren haben Interviews mit zentralen Akteuren der der Menschen ausgehen, mit der Akzeptanz von Gewalt als Mittel Stadt geführt und eigene Beobachtungen angestellt. Es wurde mit der Politik. Im Mittelpunkt des rechtsextremen Denkens stehen Rechtsextremisten genauso wie mit Vertretern von Zivilgesellschaft, rassistische und nationalistische Ideen. Viele Rechtsextremisten be- Stadtverwaltung, Polizei und Verfassungsschutz gesprochen. Unser ziehen sich auch positiv auf den historischen Nationalsozialismus. Ziel war es, bildreiche Beschreibungen der aktuellen Lage zu liefern Das Menschenbild der Aufklärung wird genauso wie das westliche und darin auch unterschiedliche Wahrnehmungen und Interpreta- Gesellschaftsmodell und die Idee der Demokratie abgelehnt. An die tionen der Beteiligten zu verdeutlichen. Die Studie bemüht sich um Stelle einer pluralistischen und selbstbestimmten Gesellschaft soll eine hohe Allgemeinverständlichkeit und richtet sich ganz bewusst ein autoritärer Staat treten, dessen Bewohner nach Naturkategorien nicht alleine an ein wissenschaftliches Publikum. Denn sie soll eine ausgewählt und dessen innere Organisation nach naturerlesenden möglichst breite Debatte über die Auseinandersetzung mit dem Führerprinzipien gestaltet werden. Rechtsextremismus in der Stadt anreichern. Im Anhang befindet sich Im Gegensatz zum Rechtsextremismus kann sich der Rechtspopulis- dennoch ein weiterführender Literaturapparat. mus auch innerhalb eines demokratischen Rahmens abspielen. Er ist Die Studie wurde finanziert aus den Finanzmitteln zum Lokalen Ak- vor allem eine Kommunikationsstrategie, die wahlweise extrem oder tionsplan für Vielfalt, Toleranz und Demokratie der Stadt Dortmund gemäßigt rechtes oder rechtsextremes Gedankengut transportiert. und aus dem Bundesprogramm „Toleranz Fördern – Kompetenz stär- Rechtspopulisten berufen sich unmittelbar auf das Volk, zu dessen ken“. Vertreter sie sich selbst ernennen und dessen beschworene Interes- sen sie zu vertreten versprechen. Damit grenzen sie sich von ande- ren Politikern ab, die jeden Kontakt zum Volk verloren hätten und versprechen einfache Lösungen für komplexe Problemlagen. Im Ge- 8 9
gensatz zum Rechtsextremismus lehnen Rechtspopulisten die beste- Ein anderer Aspekt ist der Umbruch in vielen Stadtteilen. Die Dort- hende Demokratie nicht per se ab, sondern titulieren sich selbst als munder Arbeiterstadtviertel galten einst als die „Herzkammer der „wahre“ oder „unmittelbare“ Demokraten und fordern zumeist eine SPD“. Diese Stadtviertel haben mit dem ökonomischen Umbruch Ergänzung von direkten Demokratiemodellen wie Volksabstimmun- ihren Charakter völlig verändert. Mit den neuen Bildungs- und gen oder Volksbegehren. Ein weiterer Unterschied ist, dass Rechtspo- Aufstiegschancen ab den 60er Jahren gelang vielen Kindern der Ar- pulisten sich vom historischen Nationalsozialismus und von der beiterfamilien der Aufstieg in neue Gesellschaftsschichten, oftmals heutigen extremen Rechten explizit abgrenzen. Zu den bevorzugten verbunden mit einem Umzug in bessere Wohnungen, in Einfamili- Themen gehören die Kritik am Islam, Konflikte der Einwanderungs- enhäuser oder gleich in sozial besser gestellte Viertel. Grob gesagt gesellschaft sowie Fragen der Kriminalität und soziale Verwerfungen. setzte in Dortmund eine Nord-Süd-Wanderung an. Noch immer ist Ökonomisch setzen die Rechtsextremisten heute zumeist auf sozialis- der nördliche Teil der Stadt, analog zum nördlichen Teil des gesam- tische Modelle, bei den Rechtspopulisten dominieren hingegen eher ten Ruhrgebiets, der sozial schwächere. Die frei werdenden Woh- neoliberale Wirtschaftsvorstellungen. nungen wurden oft von Arbeitsmigranten, etwa aus dem Maghreb, In Dortmund dominierte lange Zeit am rechten Rand der Rechtsex- der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien und Italien bezogen. tremismus. Mittlerweile gibt es eine Zweiteilung aus Rechtspopu- Die Stadtviertel, wie etwa die Nordstadt, veränderten dadurch ih- lismus und Rechtsextremismus, die einige Überschneidungen auf- ren Charakter, sie wurden bunt, blieben aber vor allem den sozial weisen und im Mittelpunkt dieser Publikation stehen sollen. Vorab Schwachen vorbehalten. Die politischen Parteien, besonders die SPD, sollen jedoch noch einige Bemerkungen zu den „Dortmunder Zu- verloren dort gleichzeitig ihre organisatorische Basis, so dass nach ständen“ einen Hintergrund zum Verständnis der Analyse liefern. und nach die Integrationskräfte schwächer wurden und gleichzeitig Dortmund ist eine Stadt im Umbruch. Aus der alten Industriehoch- kulturelle und ökonomische Konflikte zunahmen. Solche Entwick- burg ist inzwischen ein Dienstleistungs- und Technologiestandort ge- lungen sind der Hintergrund, auf dem rechtsextreme Gruppen ihre worden. Solche Umbrüche bleiben nie folgenlos für die Gesellschaft. Horrorszenarien malen: Von einer durch den Zuzug von Migranten Wer sich in Dortmund bewegt, bemerkt schnell eine besondere Kul- auseinanderfallenden Gesellschaft. Sie sehen die wirtschaftliche Exis- tur des Umgangs miteinander. Man ist offen, freundlich, neugierig tenz des deutschen Volkes bedroht. Auch Rechtspopulisten suchen und direkt. All das sind Merkmale, die die rechtsextreme Seite nicht bewusst symbolträchtige Konflikte, um daran ihre Grundsatzkritik zu schätzt. Andockungspunkte finden die extremen Rechten bei den entwickeln. Die richtet sich dabei im Gegensatz zur rechtsextremen Verlierern dieser Umbrüche. Dortmund hat trotz aller Anstrengun- Seite weniger auf ökonomische Fragen, sondern auf kulturelle Kon- gen noch immer eine vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit. Aus der flikte. Ideal bieten sich dazu Streitigkeiten um Moscheebauten oder Forschung ist bekannt, dass oft nicht die unmittelbar Arbeitslosen auch tatsächlich islamistische Gruppen an. zur rechtsextremen Seite tendieren, sondern oft eher die Menschen, Ein weiterer Andockungspunkt für die rechtsextreme Szene ist die die Angst vor sozialen Abstieg haben und sich von der hohen Ar- Ansprache der aktuellen Verlierer und Kritiker der derzeitigen ge- beitslosigkeit bedroht fühlen. sellschaftlichen und politischen Realität. Bekannt sind als Basis vieler 10 11
rechtsextremer Gruppen vor allem die Gruppe der Bildungsschwachen, ist aber auch eine oberflächliche Annahme. Tatsächlich sind Rechts- die deutlich stärker zu einem rechtsextremen Denken neigen als die- extremisten und Rechtspopulisten von jeder Machtübernahme auf jenigen, die einen hohen Bildungsabschluss haben. Mit der Bildung Bundesebene weit entfernt. Vor Ort, auch in einzelnen Dortmunder steht und fällt die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg. Den Verlie- Stadtteilen, können sie jedoch sehr geballt auftreten und üben dort rern und Chancenschwachen bietet der Rechtsextremismus Anerken- tatsächlich größeren Einfluss auf. Die ersten, die das merken, sind nung durch die versprochene „Kameradschaft“ und die vermeintlich immer diejenigen, die nicht ins rechtsextreme Gedankengebäude naturgegebene Höherwertigkeit durch die Idee des Rassismus. passen oder sogar zu den Opfergruppen rechtsextremer Gewalt ge- Weniger bekannt ist, dass der Rechtsextremismus auch den Kritikern hören. Tatsächlich lassen sich auf dieser kleineren Ebene vier Stufen der Gesellschaft ein Angebot unterbreitet. Tatsächlich sind viele Pro- rechtsextremer Wirkungsmacht feststellen. bleme auch in Dortmund augenfällig. Fragen sozialer Ungerechtig- keit, ungleicher Chancenverteilungen, aber auch der Entleerung vie- Provokationsgewinne: Die rechtsextremen Gruppen versuchen, sich ler demokratischer Organisationen lassen sich nicht verleugnen und über erste öffentliche Auftritte und das Markieren von Räumen gehören auch dann auf die politische Agenda, wenn sie nicht alleine durch Symbole, Plakate oder Sprühereien als ernst zu nehmende auf städtischer Ebene gelöst werden können. Die rechtsextreme Sei- Gruppe im Sozialraum zu präsentierten. te bietet den Radikalkritikern einen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Gegenentwurf zur bestehenden Ordnung und Räumungsgewinne: Die rechtsextremen Gruppen versuchen, andere findet damit bei einem sehr kleinen, aber nicht unbedeutenden Teil Gruppen an bestimmten Orten zu verdrängen. Es handelt sich um besonders auch jüngerer, dann auch tendenziell bildungsstärkerer einen Raumordnungskampf in begrenzten Räumen zu bestimmten Menschen, Gehör. Besonders im Kapitel zu den „Autonomen Natio- Zeiten. Hier sind besonders Aspekte von Angst „im Spiel“, indem nalisten“ wird diese Gruppe eine wichtige Rolle spielen. etwa in Jugendzentren „eingedrungen“ werden kann. Wie gefährlich sind nun aber der Rechtsextremismus und der Rechtspopulismus für die demokratische Verfasstheit von Staat und Raumgewinne: In dieser Stufe präsentieren rechtsextreme Gruppen Gesellschaft? Beide Phänomene vergiften auf ihre Weise das ge- lokale Wirkungsmacht öffentlich. Ein bestimmter Raum gilt als ihr sellschaftliche Klima. Umstritten ist jedoch, welchen Einfluss sie tat- Terrain. Andere Gruppen meiden diese Orte, potenzielle Opfer be- sächlich haben. Nach dem Weltkrieg war es eine gängige Meinung, greifen die Orte als Angstzonen, die nicht oder nur mit besonderer mit einem gewissen Bodensatz Ewiggestriger leben zu müssen, die Vorsicht zu betreten sind. jedoch nie wieder an die Macht kommen sollten. Diese Gruppe ist heute sehr alt oder inzwischen tot. Die These wurde derweil in den Normalisierungsgewinne: Diese höchste Stufe zeichnet sich durch Sozialwissenschaften von der Annahme gelöst, dass jede moderne neue Selbstverständlichkeiten aus. Der Rechtsextremismus ist etab- Gesellschaft auch einen kleinen Posten von Rechtsextremisten als liert und die Ausgrenzung schwacher Gruppen allgemein akzeptiert. Verlierer und Gegner produziere. Auch das klingt nicht dramatisch, Es findet vor Ort kaum noch eine Problemwahrnehmung statt. Der 12 13
Rechtsextremismus ist ein normaler Bestandteil der örtlichen politi- 3. Rechtsextreme Strukturen, Bewegungen und Milieus schen Kultur und kann kaum noch kritisch thematisiert werden. Der Rechtsextremismus in Dortmund verändert sich beständig, vor al- Bei den verschiedenen Aktivitäten zeigen sich unterschiedliche Be- lem in den vergangenen zehn Jahren hat er eine schnelle Wandlung drohungen. Bei den Räumungsgewinnen stehen Personen und Grup- durchlebt, die noch immer andauert. Davor waren bereits gewalt- pen im „Visier“. Bei Raumgewinnen ist das öffentliche soziale Klima bereite rechtsextremistische Gruppen in der Stadt präsent, die aber in Gefahr und bei Normalisierungsgewinnen die lokale politisch Kul- einen geringen Organisationsgrad hatten. Etwa die Kameradschaft tur. Die folgende Tabelle gibt noch einmal zusätzliche Hinweise zum Dortmund um ihre lokale Ikone, Sigfried Borchardt (SS-Siggi), oder Verständnis der vier Stufen: die seit 1995 verbotene FAP (Freiheitliche Arbeiter Partei), eine au- toritär nationalistische Kleinpartei, die in Dortmund und Umgebung Raumordnungsgewinne Mögliche rechtsextreme Wirkung auf Nicht-Rechtsex- besonders aktiv war, auch weil Borchardt ihr Mitglied gewesen ist, Handlungen treme und Raumordnung sogar zweitweise stellvertretender Bundesvorsitzender. Aus dieser Provokationsgewinne Plakataktionen Erste Wahrnehmungen Sprühereien Erste Begegnungen Zeit entstanden Verbindungen in die Neonaziszene zu den bun- Öffentliche Kurzauftritte Beginnende Sensibilisierung Öffentliche Gründungen desweit führenden Kadern Michael Kühnen, Friedhelm Busse und Verteilungsaktionen Jürgen Rieger, die sich allesamt als Nationalsozialisten verstanden, Räumungsgewinne Gewaltaktionen gegen „Feinde“ Angst und Einschüchterung Raumorientierte Manifestatio- Opfererfahrungen aber inzwischen verstorben sind. Ihr Erbe wird in der freien Kame- nen Unsicherheit im Umgang Verkündung des Raumkampfes Suche nach Hilfe beginnt radschaftsszene fortgesetzt, die auch in Dortmund dominiert – nicht Konzentration auf bestimmte in erster Linie in der rechtsextremen NPD. Borchhardt und andere Orte Raumgewinne Demonstration des Raumge- Vertreibung von Orten Mitglieder dieser bundesweiten nationalsozialistischen Bewegung winns Ausweichen von Orten gelten als Vorbilder für die Epigonen dieser Generation, die sich Weitere Gewalt gegen „Feinde“ (Umgehungsstrategien) Verächtlichmachung der Unter- Kenntnis von AN-Treffpunk- nun seit einigen Jahren in Dortmund festgesetzt hat. Diese neue legenen ten Integrierende Aktionen für AN- Angst und Einschüchterung Generation junger Rechtsextremisten, die Autonomen Nationalisten, Mitglieder (z. B. Feste) Diskurs hält Dortmund als ihre landesweite Hochburg, die sie zu Beginn im Normalisierungsge- Öffentliches Auftreten Akzeptanz oder Abfindung winne Rückgang von Gewalt Kein Diskurs mehr (Schwei- Schutz und unter der Aufsicht der Älteren errichten konnte. Inzwi- gen) Rückzug zivilgesellschaftl. schen ist der Generationswechsel vollzogen. Akteure Damit ging auch der Bedeutungsverlust der rechtsextremen Par- teien einher: Sie sind in ^ auch nur annähernd starken Wahl- Anhand dieser vier Stufen soll in dieser Analyse die tatsächliche Stär- ergebnis einer Partei aus diesem Spektrum. Die REP selbst sind in ke der vorgestellten rechtsextremen und rechtspopulistischen Grup- Dortmund ohne Bedeutung. Öffentlich präsent sind dagegen die pen und Personen geprüft werden. jungen Autonomen Nationalisten. Sie setzen auf Gewalt und propa- gieren den Raumkampf. Ihrem Handeln gilt derzeit die besondere 14 15
Aufmerksamkeit der Stadtgesellschaft. Daneben existieren noch die NRW-Landesvorsitzende Max Branghofer, stand dann 2010 im Focus Skinhead Front Dorstfeld (SFD) sowie die Kameradschaft Dortmund eines Streits innerhalb der Bundespartei, deren stärksten Landesver- um Siegfried Borchardt, die vor allem noch in der Tradition weiter- band er anführte: Der frühere DVU-Bundesvorsitzende Matthias Faust lebt. Dortmund hat also eine Gewichtsverschiebung erfahren – von plädierte für die Fusion mit der NPD. Branghofer war dagegen und den parteiförmigen zu den bewegungsförmigen Rechtsextremisten. wurde zwischenzeitlich mit einem Parteiausschluss belegt, gegen den Bewegungsförmig nennt man dabei Gruppen, die sich nicht mehr am er Wiederspruch einlegte. Der juristische Ausgang dieser Verfahren ist politischen System, etwa durch die Teilnahme an Wahlen, beteiligen in Teilen noch offen. Politisch bedeutend ist er nicht mehr. Branghofer wollen, sondern sich bewusst jenseits von Parteien organisieren und ist inzwischen Kreisvorsitzender von Pro-NRW in Dortmund. Die DVU auf einen „Kampf um die Köpfe und Räume“ konzentrieren. hat ihr Engagement in Dortmund eingestellt. Sie verfügt über keine Jenseits dieser Entwicklungen – und in früheren Studien noch unbe- Internetpräsenz mehr und tritt öffentlich nicht mehr in Erscheinung. lichtet – gilt es auch, neue rechtspopulistische Ansätze schon frühzei- tig in den Blick zu nehmen. Ausgehend von Köln bilden sich in vielen NPD Teilen von Nordrhein-Westfalen Gruppen der PRO-NRW-Bewegung. Die NPD hatte sich von der geplanten Fusion mit der DVU einen or- Dortmund gehört bisher nicht zu ihren Schwerpunkten; gerät aber ganisatorischen und politischen Aufwind erhofft. In Dortmund ist zunehmend in ihren Blick und verdient somit eine Beobachtung auch dieser ausgeblieben. Ein Grund dafür dürften Unverträglichkeiten in dieser Studie. der führenden politischen Köpfe vor Ort gewesen seien. Der letz- te NPD-Vertreter im Dortmunder Rat, der 61-jährige Axel Thieme, a) Parteiförmiger Rechtsextremismus gehörte früher der DVU an und verließ diese mit dem Argument, Parteien spielen im Dortmunder Rechtsextremismus nur eine unter- die DVU unterhielte Kontakte zu gewaltbereiten, rechtsextremen geordnete Rolle, ihre Bedeutung nimmt seit einigen Jahren konse- Gruppen in Dortmund. Thieme und Branghofer gelten seitdem als quent ab. Nach der Fusion von rechtsextremer DVU und NPD, die bis politisch und persönlich verfeindet. Im Jahr 2009 wurde Thieme dann dahin beide im Rat der Stadt Dortmund mit je einem Sitz vertreten selbst wegen Körperverletzung zu einer Strafe von 1.200,00 Euro waren, konnte die überlebende NPD nicht von der Auflösung der rechtskräftig verurteilt. Er hatte im Dortmunder Hauptbahnhof mit DVU profitieren. einem Kopfstoß einen Studenten tätlich angegriffen. Im Dortmunder Rat spielt die NPD keine Rolle. Zwar stellt sie regel- mäßig Anfragen, findet dafür jedoch kein öffentliches Gehör. Thema- DVU tisch konzentriert sich Thieme auf Integrationsfragen und versucht, Die DVU hat sich in Dortmund weitgehend aufgelöst und spielt poli- vor allem die sozialen Konflikte um die Nordstadt ideologisch aufzu- tisch in Dortmund keine Rolle mehr. Bei der letzten Kommunalwahl laden. In seinen Reden geißelt er regelmäßig die „volksfeindlichen erreichte sie zwar noch mit 3.076 Stimmen und einem Wahlergebnis Systemparteien“ und versteht darunter alle anderen Parteivertreter. von 1,5 Prozent einen Sitz im Dortmunder Rat. Dessen Inhaber, der Dieses Verhalten ist zwar laut und zum Teil auch provokant, verdeckt 16 17
jedoch nicht die eigene inhaltliche Leere. Ein spezifisches Dortmunder los unterlegen und deutlich unattraktiver und unmoderner als etwa Programm findet man bei der NPD nicht. Auch gibt es keine Lösungs- die Autonomen Nationalisten. Deren Beziehung zu den Parteien der angebote für die ökonomischen und sozialen Probleme der Stadt extremen Rechten machte der Anführer der Dortmunder Gruppe, jenseits der allgegenwärtigen Forderung nach einer „Ausländerrück- Dennis Giemsch, im Gespräch mit den Autoren wie folgt klar: „Ich führung“, die ebenfalls nicht inhaltlich präzisiert wird. wünsche der NPD viel Glück auf ihrem Weg, aber wir glauben nicht Über die organisatorische Stärke der NPD gibt es keine gesicherten an die Demokratie.“ Über die rechtspopulistische Wählerinitiative Auskünfte. Ein Indiz für einen schwachen Zustand ist die Ausrufung äußerte er sich noch distanzierter, gleichzeitig machte der führende der selbsternannten „nationalen Ruhrachse“, bestehend aus den Dortmunder Neonazi Giemsch deutlich, was hinter dem pseudobür- Kreisverbänden von Dortmund, Essen und Bochum. Die Partei spricht gerlichen Auftreten dieser Parteien steckt: „Weltanschaulich können bei einigen Veranstaltungen wie z. B. einer parteiinternen histori- wir mit PRO NRW überhaupt nichts anfangen. Auch wenn die sich schen Rundreise von etwa 50 Teilnehmern, bei einem Sommerfest so- natürlich nach außen ganz anders geben, als sie tatsächlich denken. gar von 100 Teilnehmern. Diese Größenordnungen sind in der Regel Aber das machen ja sämtliche Parteien in dem Spektrum. Das ist na- aufgerundet. Der aktive Kern der Partei dürfte deutlich kleiner sein. türlich heuchlerisch.“ Seine außerparlamentarische Botschaft lautet Zuletzt konzentrierten sich die Aktivitäten der „Ruhrachse“ immer dagegen: „Unser Kreuz braucht keinen Stimmzettel.“ wieder auf Essen. Thieme selbst sucht inzwischen die Nähe zu den AN. b) Bewegungsförmiger Rechtsextremismus Einordnung der rechtsextremen Parteien Der bewegungsförmige Rechtsextremismus setzt sich aus verschie- denen Milieus, Strukturen und Strömungen zusammen. Sie eint eine Bei den rechtsextremen Parteien in Dortmund handelt es sich um gemeinsame ideologische Grundlage und umfasst sowohl soziale als politisch unbedeutende und gesellschaftlich weitgehend isolierte auch politische und ökonomische Facetten. In Dortmund dominieren Sekten, die vor allem mit sich selbst beschäftigt sind. Sie sind weder die sogenannten „Autonomen Nationalisten“. Es existieren jedoch analytisch in der Lage, spezifische Dortmunder Probleme zu erfassen, auch noch Reste von Kameradschaften, die vor allem durch ihre Ge- noch leisten sie – jenseits ihres ausgeprägten Rassismus in der Idee waltbereitschaft in der Stadt auffallen. der „Ausländerrückführung“ – irgendeinen Vorschlag zur sozialen oder politischen Gestaltung der Stadt. Interessant ist das Alter der Beteiligten. Die Parteien sind noch eine Hinterlassenschaft des alten, westdeutschen Rechtsextremismus, der Was sind „Autonome Nationalisten“? sich in Parteien und anderen festen Organisationen versammelte und darüber versuchte, politischen Einfluss zu gewinnen. Das Ansin- Seit den frühen 00er Jahren entwickelten sich in Berlin und Dort- nen blieb jedoch weitgehend erfolglos. Heute sind die Parteien den mund neue rechtsextreme Gruppierungen: die selbsternannten „Au- bewegungsförmigen Strömungen des Rechtsextremismus hoffnungs- tonomen Nationalisten“ (AN). Die Mitglieder der AN sind zumeist 18 19
jung oder sogar jugendlich. Ihr ästhetischer Habitus orientiert sich nis. Sie verstehen sich als Widerstandsbewegung gegen das demo- an der extrem linken Bewegung der Autonomen, von der sie auch in kratische System und den Kapitalismus sowie als junge Avantgarde Hinsicht des Auftretens, nicht nur, aber besonders bei Demonstratio- einer nationalsozialistischen revolutionären Bewegung. Sie themati- nen, ihrer Rekrutierungsstrategien und ihrer Vernetzungsformen ge- sieren dazu vor allem die soziale Frage, aber auch Aspekte wie Krieg lernt haben sollen. Vor allem aber scheint den AN ein Brückenschlag und die Globalisierung. Ihren Kampf wollen die Gruppen vor allem zu gelingen: Ohne sich offen vom historischen Nationalsozialismus auf der Straße führen. Sie sehen sich dort als eine neue Form einer zu distanzieren, sind die AN Kinder der Moderne. Besonders das In- „Raumordnungsbewegung“ (Bernd Wagner), die sich einerseits Frei- ternet spielt für ihre europaweite Ausweitung eine große Rolle. Ihre räume für ihr Revolutionsideal schaffen wollen und andererseits im Homepages, Blogs und Chats entsprechen dem neuesten Stand der Hier und Heute mit der Bekämpfung ihrer „Feinde“ beginnen. Technik. Sie nutzen die sozialen Communities zur Rekrutierung und In der Forschung zu den AN dominieren derzeit noch die offenen stellen ihre Propagandavideos bei „Youtube“ ein. Sie sind in diesem Fragen: Unklar ist besonders das Zusammenwirken des Arsenals Bereich vielen staatstragenden und zivilgesellschaftlichen Organisa- von Mitteln, das sich zusammensetzt aus Formen der aufsuchenden tionen deutlich überlegen. Vor allem aber sind sie damit anschlussfä- „niedrigschwelligen“ Jugendarbeit, der Rekrutierung im Internet, der hig für die übliche Jugendkultur. professionellen Propaganda im Netz und der Markierung von „Re- Das moderne Auftreten der AN ist dabei nur ein Problem von meh- vieren“ durch das Verteilen von Aufklebern oder dem Sprühen von reren; denn die AN sind auch extrem gewaltbereit. Im Gegensatz Graffitis, durch Demonstrationen und jugendlichen Erlebnisangebo- zu früheren Formen rechtsextremer Gewalt scheint ihnen auch eine ten, Schulungen sowie dem Einsatz von Gewalt als Mittel der Politik. Steuerung und Planung politisch motivierter Gewalt zu gelingen. So Zu klären ist ferner, wie Aktion und der Aktionismus als ein Binde- etwa bei dem erwähnten Überfall auf die Maikundgebung des DGB. glied zu Jugendlichen fungieren kann, die sich von anderen rechtsex- Auf Demonstrationen beobachten Sicherheitskräfte zunehmend ein tremen Strukturen nicht angesprochen fühlen. unaufgeschlüsseltes, internes Zeichenarsenal, nach dem Führungs- personen der AN das Signal zur Gewalt gegen Polizisten oder soge- Autonome Nationalisten in Dortmund nannte „Feinde“ geben. Hinzu kommt auch eine allgemeine Ästhe- tisierung der Gewalt an sich, die sich u.a. im „schwarzen Block“, in Die Autonomen Nationalisten (AN) haben nach 2006 in Dortmund der Kleidung sowie im Verhalten der Mitglieder widerspiegelt. Neu endgültig die Position eingenommen, die einstmals die 1984 gegrün- scheint auch, dass nicht mehr nur Minderheiten oder vermeintliche dete Kameradschaft Dortmund um den Neonazi Siegfried Borchardt „Feinde“ wie z. B. Vertreter linker Gruppen angegriffen werden, son- innehatte. Sie sehen sich als dessen zeitgemäße Nachfolger, ihre dern dass auch explizit staatliche Stellen, besonders die Polizei und Aktionsformen passen in die heutige Zeit. Das Phänomen der AN ist Justiz, im Focus der Gewalt stehen. Dazu gibt es aber noch keine spe- seit den gewalttätigen Ausschreitungen in Hamburg am 1. Mai 2008 zifischen Auswertungen. einer großen Öffentlichkeit bekannt, in deren Zuge bundesweit über Die Auswahl ihrer Feinde entspricht ihrem politischen Selbstverständ- diese neue Erscheinungsform von Neonazis berichtet wurde. Es wa- 20 21
ren junge Neonazis in Berlin, die sich im Jahr 2000 nicht nur öffent- Thüringen, in dem zu dieser Zeit die gewaltbereiten Neonazis um den lich als AN bezeichneten, sondern auch Ästhetik und Symbolik der Jenaer NPD-Kreisvorsitzenden Ralf Wohlleben und andere ehemalige autonomen Linken adaptierten, sowie sich mit der Forderung nach Mitgliedern der „Kameradschaft Jena“ und des „Thüringer Heimat- einem ‚schwarzen Block‘ auch an deren Aktionsformen orientierten schutzes“ tonangebend waren, aus der die so genannte Zwickauer (Ulrich Peters). Einige Wochen nach Hamburg machte der damalige Terrorzelle hervorgegangen ist. Wohlleben war Anmelder des jährlich Vorsitzende der rechtsextremen NPD, Udo Voigt, auf dem Bundespar- statt findenden nationalen Thüringentags, an dessen Rahmenpro- teitag seiner Partei in Bamberg deutlich, dass er diese anonymisierte gramm 2009 in Arnstadt auch AN aus Dortmund aktiv teilnahmen, Erscheinungsform „mit der geballten Kommunistenfaust“ nicht to- um dort für ihren Nationalen AKT zu mobilisieren. Überhaupt unter- leriere1. Auch in NRW hat sich der NPD-Landesvorsitzende im selben halten die lokalen AN gute Beziehungen zu gewaltbereiten Thüringer Jahr von den AN distanziert: „Die nennen sich ja autonom, weil sie Neonazis, die jedes Jahr mit einer großen Gruppe auf dem Nationalen unabhängig bleiben wollen“, stellte Claus Cremer im Gespräch mit AKT in Dortmund vertreten sind. den Autoren dieser Studie resigniert fest. Während sich die NPD als Dies ist das politische Milieu, dem sich die Autonomen Nationalisten parlamentarischer Arm der rechtsextremen Bewegung sieht, fühlen aus Dortmund zugehörig fühlen. Zusätzlich existiert dauerhaft die sich die AN von ihr nicht vertreten. Sie führen ihren ideologischen als freie Kameradschaft organisierte „Skinhead Front Dorstfeld“, von Kampf auf der Straße. deren Mitgliedern einige auch in rechtsextremen Parteien organisiert Im Dortmund hatten sie bereits 2008 die rechtsextremen Parteien waren, in NPD und DVU. Eine Zeit lang gab es parallel noch die „Nati- NPD und DVU in ihrer Bedeutung abgelöst. Dennoch unterhält man onale Front Eving“ (NFE), eine Gruppe junger Neonazis aus dem Dort- bis heute Kontakte zu einzelnen NPD-Funktionären und Landesver- munder Nordosten, die sich vor zwei Jahren aufgelöst hat. Zu ihrer bänden der Partei, die sich selbst deren radikalem Flügel zurechnen. aktiven Zeit versammelte sich die NFE auch als Gruppe im Stadion von Etwa zum Kreisverband Hamm/Unna, mit dem es einen regen Aus- Borussia Dortmund. Einige der ehemaligen 20 Mitglieder, Schüler, Be- tausch gibt, oder zu dem langjährigen NPD-Funktionär Thomas Wulff rufsschüler und Azubis der Jahrgänge 1989 bis 19912, haben sich den aus Hamburg, der 2008 beim AKT in Dortmund mit marschierte Dortmunder AN angeschlossen, die 2009 zugleich ihren Höhepunkt und im erweiterten Bundesvorstand der Partei die radikalen freien an Zulauf hatten. Seither stagniert die Gruppe zahlenmäßig. Einige Kräfte vertritt. Wulff war ein Weggefährte der Nationalsozialisten Szeneausstiege wurden durch Zuzüge ausgeglichen. Es gibt eine Friedhelm Busse und Jürgen Rieger, auch zu Siegfried Borchhardt langsame Fluktuation. Anführer der streng hierarchisch organisierten hat er schon lange Kontakt. „Wer einen aufsteigenden Trend der Gruppe sind fortdauernd die drei Aktivisten Dennis Giemsch, Dietrich extremen Rechten miterleben will, muss hier dabei sein“, sagte Wulff Suhrmann und Alexander Deptolla, wobei Giemsch von Anfang an auf Nachfrage in Dortmund. In den Jahren 2008/2009 hatten die ihr unumstrittener Kopf ist. Seit 2010 übernimmt eine zweite jüngere Dortmunder AN auch intensiven Kontakt zum NPD-Landesverband Generation um Michael Brück, einen aus dem Bergischen Land zuge- 1 6. Juni 2008, Bamberg, eigene Aufzeichnungen 2 http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/neue-nazis-sehr-jung-und-gewalttaetug-id1373218.html 22 23
zogenen Neonazi, immer mehr Verantwortung für einzelne Aktionen, nugtuung bei öffentlichen Veranstaltungen demokratischer Parteien Infostände und kleinere Aufmärsche. Zeitgleich ziehen sich die drei und zivilgesellschaftlicher Einrichtungen anwenden. Die Demonstra- Anführer immer mehr zurück, häufig ist nur einer von ihnen bei ein- tionen zu ihrem „Nationalen Antikriegstag“ mit den dazugehörigen zelnen Aktionen dabei. Verantwortung und Führung wird auf meh- Aktionswochen bilden nicht nur den jährlichen organisatorischen rere Köpfe verteilt. Das korrespondiert mit einer Professionalisierung Höhepunkt der AN, sondern an den Flugblättern sind auch die ak- und Ausweitung der Internetaktivitäten der Gruppe in den vergange- tuellen rechtsextremen ideologischen Versatzstücke erkenntlich. nen zwei Jahren. Die AN arbeiten arbeitsteilig. Symptomatisch ist für die Ideologie der AN, dass sie sich auf zentrale Gedenk- oder Aktionstage der Friedensbewegung (3. September) Insgesamt sind es rund sechzig Personen, die seit einigen Jahren sowie der Arbeiterbewegung (1. Mai) beziehen und versuchen, frie- im Raum Dortmund wirken. Diese Gruppe lässt sich anhand eines dens- oder sozialpolitische Fragestellungen zu nationalisieren. Wäh- Kreismodells beschreiben, mit einem politischen Kern aus etwa 15 rend der Aufruf der AN zum „nationalen Antikriegstag” zunächst Personen, der sich neben der Planung und Durchführung öffentlicher mit dem Titel „Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggres- Kampagnen und Aktivitäten dem sozialen Zusammenhalt der Grup- sionskriege“ nicht sofort als rechtsextrem zu erkennen ist, besteht pe widmet. Ein nächster Ring um den Kern ist verantwortlich für die schon ab dem zweiten Satz kein Zweifel an der ideologischen Heimat sogenannte „Antifa-Antifa“-Arbeit und für militante Aktionen. Ein der Autoren. So wenden sich die AN anfangs gegen Bundeswehrein- dritter Ring schließlich rekrutiert sich aus einer größeren Gruppe von sätze im Ausland, in der Begründung wird jedoch deutlich, dass sie Personen, die auf Ab- und Anruf an Aktivitäten teilnehmen, jedoch dies weder aus einer humanistischen, noch aus einem pazifistischen nur sporadisch Kontakte zu den ersten beiden Ringen unterhalten. Argumentation heraus tun. Die deutsche Bundesregierung sowie die Dass Dortmund zu dieser Hochburg der AN werden konnte, hat auch Bundeswehr werden als „treue Vasallen der angloamerikanischen damit zu tun, dass 15 junge Menschen in drei politisierten Wohnge- Aggressoren“ (Aufruf zum 7. Nationalen Antikriegstag) bezeichnet. meinschaften leben und es geschafft haben, soziale Problemlagen Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan wird von den Rechtsextremis- der Stadt aufzugreifen und ein attraktives, aktionistisch orientiertes ten verurteilt und in Zusammenhang mit den „unmittelbar nach den Angebot für eine Gruppe junger Erwachsener zu schaffen. Mit der vorgetäuschten Anschlägen auf das WTC im September 2001 durch direkten Aufforderung „Beweg was in der Stadt“ gehen die Autono- den damaligen US-Präsidenten George W. Bush” (Aufruf zum 7. Nati- men Nationalisten auf Jugendliche aus verschiedenen Subkulturen onalen Antikriegstag) gebracht. Von wem die Anschläge vorgetäuscht zu und versuchen, diese in ihrer Unzufriedenheit abzuholen. worden sein sollen, bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Inspi- Ideologie der AN riert werden die Dortmunder AN bei derartigen Theorien unter an- Welcher Jugendliche hat nicht etwas gegen Krieg, Kapitalismus und derem von dem in Kassel lebenden Ideologen und Kleinverleger, dem Kürzungen im Jugendetat der Stadt? Diese Themen greifen die AN Franzosen Pierre Krebs, der entsprechende Vorträge im so genannten in den Texten ihrer Flugblätter auf, im Internet und in Redebeiträgen „Nationalen Zentrum“ der Autonomen Nationalisten in der Innenstadt- ihrer Wortergreifungsstrategie, die sie häufig und mit sichtlicher Ge- West hält. Der radikale Neonazi Krebs hat nach dem 11. September 24 25
mehrere antiamerikanische Bücher verlegt, in denen die Terroranschlä- tungen zu stören – die Teilnehmer allein durch ihre Anwesenheit zu ge von New York und Washington als Taten des US-amerikanischen verunsichern. Geheimdienstes CIA dargestellt werden. Die Verschwörungstheorien, Sie positionieren sich hier klar als „städtische” Akteure, die Einfluss die Krebs unter Rechtsextremisten in ganz Deutschland vorträgt, ver- nicht nur auf den Straßen und Plätzen in Dortmund haben wollen, fangen auch auf der politisch linken Seite. sondern auch in der Dortmunder Lokalpolitik. Sie stellen sich im In- Während noch im Jahr 2009/2010 im Live-Chat Fragen zum Sozial- ternet und auf ihren Flugblättern als ehrenamtliche Akteure dar, die abbau, der nächsten Kundgebung oder – ganz banal – zur neuesten im Gegensatz zu den städtischen Angestellten für ihre Arbeit nicht Demonstrationskluft diskutiert wurden, versuchen die AN mittlerweile bezahlt werden. Sie rufen zu Spenden auf und gerieren sich als eine wieder, offensiv rassistische und völkische Botschaften zu propagieren. rechtsextreme Nichtregierungsorganisation, die an Info-Tischen um Mit dem Titel „Asylanten kosten den Steuerzahler wieder viele Millio- Unterstützung wirbt. Aber dies ist nur das öffentliche Gesicht der AN. nen“ oder „Drogenhandel fest in der Hand der Fremdvölker“, die sie Innerhalb der Szene ist diese Strategie umstritten. In Dortmund und in im Dortmunder Infoportal veröffentlichen, werden wieder verstärkt Hamm wird sie mitgetragen, wo der Dortmunder Einfluss besonders rassistische Stereotypen gegen Flüchtlinge und Asylsuchende sowie stark ist. Interne Konflikte über die Strategie des Widerstandes zeigen Sinti und Roma verwendet. In der politischen Praxis der AN übersetzen momentan auch die inhaltlichen Schwächen der Autonomen Nationa- sich die Artikel in eine Demonstration gegen ein Asylbewerberheim in listen auf. In einem Gespräch sagt ein Vertreter der Antifa dazu: „Ich Lütgendortmund. Auch werden, unterstützt von den Dortmunder AN, glaube auch, die sind auch in so einer kleinen Identitätskrise und zum verstärkt Demonstrationen mit explizit rassistischen Losungen orga- anderen differenziert sich die Naziszene auch in dieser relativ neuen nisiert. So fand im Oktober 2011 eine Demonstration in Hamm unter Bewegung mehr aus. Das gibt es, das ist vielleicht auch ein Grund dem Slogan „Den deutschen Volkstod stoppen! – Wir lassen uns nicht für die nicht so hohe Teilnehmerzahl. Es gibt Leute, die sagen, diese BRDigen!“ statt. Der Schwerpunkt in den Redebeiträgen von Rechts- Demos bringen uns nichts mehr. Die machen lieber kleine spontane extremisten aus ganz NRW, Berlin und Hamburg war die vermeintliche Aktionen. Spontan demonstrieren, ohne anmelden. Mit Fackeln und Überfremdung Deutschlands durch Migranten sowie das Versagen Masken und so.“3 der staatlichen Institutionen. So bleibt bei den AN der Ausgangspunkt ihrer Ideologie und Praxis der Widerstand gegen das System, die Op- position gegen die parlamentarische Demokratie. Die selbsternannten Aktivitäten der AN nationalen Revolutionäre verstehen sich dabei als eine Art APO (Au- Die AN überziehen die Stadt mit einem agitatorischen Aktionismus, ßerparlamentarische Opposition) von rechts. Zu den Themenfeldern der in Dortmund bislang einzigartig ist. Mit ständigen kleinen Na- der AN gehört auch die starke Berufung auf den Nationalsozialismus delstichen, Flugblattverteilaktionen, mit Flashmobs, Sprühereien, mit und den Antisemitismus. Neben Vorträgen im so genannten „Natio- ihrer Wortergreifungsstrategie und der fortwährenden Behelligung nalen Zentrum“ über Kriegsverbrecher der SA und SS versuchen die Rechtsextremisten auch in diesem Feld, bürgerliche Gedenkveranstal- 3 Interview 11:9 26 27
von politischen Gegnern, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Jour- chronik“ auflisten, die sie führen wie eine Art Tätigkeitsnachweis. Da nalisten, die über Rechtsextremismus berichten, versuchen diese heißt es etwa unter dem 13. November 2011: „Eine Anordnung na- erlebnisorientierten Neonazis die Stadtgesellschaft zu zermürben. tionaler Aktivisten schloss sich der offiziellen Kranzniederlegung der Sie jagen linksalternative Jugendliche. Sind auf Schulhöfen präsent. Stadt Dortmund auf dem Hauptfriedhof an.“ Tatsächlich waren Den- Entsprechende Hinweise sind von Schülern und Lehrern vor allem aus nis Giemsch, Alexander Deptolla und einige andere Aktivisten dort den westlichen Stadtteilen (Lütgendortmund, Mengede, Dorstfeld) am Volkstrauertag mit je einer weißen Rosen in der Hand erschienen, zu hören, aber auch aus dem Dortmunder Süden (Aplerbeck, Wel- um Bürgermeisterin Birgit Jörder und eine formelle Trauerdelegation linghofen, Hombruch). zu provozieren. Immer wieder sind es die Gedenktage für das belas- Nicht immer fallen sie den Lehrern gleich auf, weil ihre Kleidung tete historische deutsche Weltkriegserbe und den Holocaust, die sie dem allgemeinen Zeitgeist entspricht. Wenn überhaupt, dann über nutzen, um Geschichte umdeuten zu wollen. Damit folgen sie einer staatsfeindliche oder revisionistische Äußerungen im Politik- oder bundesweiten Neonazi-Strategie, die sie in Dortmund wiederum auf Geschichtsunterricht. In ihren Wohngemeinschaften bieten sie Aus- eine perfide kreative Art umsetzen. reißern ein Zuhause. Nach eigenen Aussagen sprechen sie jugend- Journalisten, Kameraleute und andere Beobachter werden stets liche Problemfälle an, die in der Familie und in der Schule nicht offensiv von Mitgliedern der Gruppe angesprochen, es gibt ein of- zurechtkommen, sich ausgegrenzt fühlen. Die Gruppe gilt als Fami- fensichtliches Behelligungskonzept, das sie vor allem rund um den lienersatz, in der Politisches und Privates vermengt wird. Es fällt auf, Dorstfelder Wilhelmplatz verfolgen, wo sie das Geschehen aus einer dass die meisten AN, mit denen wir sprachen – egal ob aktiv oder obergeschossigen Wohngemeinschaft günstig im Blick haben. Fern- ausgestiegen – aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen. Es sehteams werden auf diesem Platz gar nach einer Drehgenehmigung ist das größte übereinstimmende Merkmal, außer „männlich“ und gefragt. Die Behelligung wird fotografiert, dokumentiert und auf „jung“. Ihr Bildungshintergrund dagegen ist unterschiedlich, ebenso dem eigenen Internetportal kommentiert.4 Während es einige Fern- ihre sozioökonomische Herkunft. sehredaktionen auf diese Behelligungen anlegen, um sie in ihren Ständig sind sie präsent, bei Stadtfesten, an Verkaufssamstagen in Sendungen abzubilden, senden die Rechtsextremisten wiederum das der Fußgängerzone, auf dem Weihnachtsmarkt, dem neben den entsprechende Spiegelbild über elektronische Kanäle an die eigenen Heimspielen des BVB publikumswirksamsten Ereignis in Dortmund. Adressanten, zusätzlich verlinken sie die im Internet frei zugängli- Ihre Aktionen filmen sie selbst und veröffentlichen sie im Internet. chen Fernsehbeiträge auf ihrer Seite. So kommt es zur Vervielfälti- Die Selbstreferenz ist ein zentrales Motiv für die meisten Mitglie- gung einer inszenierten Wirklichkeit, die AN auf ihre Weise deuten der der Gruppe. Es geht darum, sich in der Bewegung einen Namen – als Hetze gegen die – wie sie sagen – „Systempresse“. Die Dortmun- zu machen. Nach dieser penetranten Methode störten sie 2009 die der AN haben längst gelernt, die in der Berichterstattung über die offizielle Gedenkfeier zur Reichspogromnacht mit Parolen und Tril- rechtsextreme Szene üblichen Sensationsreflexe zu ihren Gunsten zu lerpfeifen. Immer wieder besetzen sie offizielle Gedenkanlässe in 4 http://infoportal-dortmund.net, 22.November 2011, „WDR in Dorstfeld mittlerweile ein der Stadt mit eigenen Aktionen, die sie in einer jährlichen „Aktions- Dauergast“ 28 29
bedienen. Aber nicht nur jeder, der sich hier mit Ihnen auseinander- Schwelle statt. Sie sind subtil oder schlicht nicht verboten. Aber immer setzt, sie beobachtet, wird angesprochen. Auch Menschen, die den wieder kommt es zu anonymen Schikanen, zu Buttersäureanschlägen, Platz mit eigenen Aktivitäten besetzen wollen. Sachbeschädigungen, zu Psycho- und Telefonterror – oder es werden Der Neonazi-Kader Michael Brück, ein schmächtiger junger Mann mit einfach Scheiben eingeschlagen, Hakenkreuze auf Haustüren unlieb- dem Auftreten eines Schülers und einem jugendlichen Gesicht, das er samer Menschen gesprüht. Politische Gegner werden gestalkt, ver- meist unter einer schwarzen Schirmmütze verbirgt, hatte an einem folgt und bis aufs Ärgste genervt. milden Samstagvormittag5 im November diesen Jahres gemeinsam mit elf weiteren rechtsextremen Aktivisten einen zuvor angemelde- Immer wieder berichten Zeugen von der derlei Gewalt. Besonders ten Infostand am Wilhelmplatz/Ecke Wittener Straße errichtet. Von linksalternative Jugendliche geraten schnell ins Visier der gewaltbe- dort aus verteilten sie schwarz-weiß-rote Papierfähnchen an Kinder. reiten Rechtsextremisten. Einige entsprechende Aussagen liegen den Beäugt von den Besatzungen aus einem halben Dutzend Transpor- Autoren vor. Sie werden hier nicht veröffentlicht, um diese Personen, tern der Bereitschaftspolizei. Einige Passanten kamen mit den jungen offensichtlich Opfer rechter Gewalt, nicht identifizierbar zu machen, Aktivisten ins Gespräch, andere winkten ab – und ärgerten sich über sie zu schützen. Immer wieder passieren Übergriffe auch auf einzel- die Neonazis, die in Dorstfeld seit einigen Jahren zum Stadtbild gehö- ne Migranten, vor allem aber auf Einrichtungen, deren Betreiber sich ren. „So ein Theater um so ein paar Männekes, die Zeitung schreibt offen gegen Rechtsextremismus bekennen. Ein Buchladen, Parteibü- ja nichts anderes mehr, und dann die ganze Polizei. Das wollen die ros, eine Kneipe. doch nur. So viel Aufmerksamkeit! Was das kostet! Denen sollte man Michael Brück, der sich hier freundlich gibt, droht anderen Orts aus lieber den Arsch versohlen und sie ab nach Hause zu ihren Müttern der anonymen Masse von Neonazi-Demonstrationen offen mit Ge- schicken, als hier so einen Aufwand zu betreiben“ (Äußerung eines walt.6 Hier verteilt er nun milde lächelnd Handzettel „Wer wir sind Passanten, der neben dem Infostand auf seine Straßenbahn wartet). und was wir wollen!“, auf denen fremdenfeindliche Botschaften wie Rund um den Wilhelmplatz hatten die Autonomen Nationalisten ana- „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ geschickt um Zustimmung hei- log zu den Zielen ihres Raumkampfes ihr Revier markiert. Da gibt es schen: „Der Import von Fachkräften aus dem Ausland ist abzulehnen zahlreiche Aufkleber „Dortmund ist unsere Stadt“, Schablonengraffiti und sollte durch Aus- und Weiterbildung von Deutschen ersetzt wer- als Mobilisierungsbotschaft für den AKT 2009, auch eindeutig natio- den.“ Ebenso die völkische Forderung „Deutschland soll das Land der nalsozialistische Symbolik wie Hakenkreuze (S-Bahn-Station Dorstfeld) Deutschen bleiben und nicht zu einem multikulturellen Völkerbrei oder der Schriftzug „Horst Wessel“ (Stromkasten) kommen vor. Trotz verkommen. Beispiele vom Niedergang unseres Volkes sind heute wiederholter Putzaktionen antifaschistisch orientierter Initiativen schon in zahlreichen Stadtteilen sichtbar.“ erscheinen immer wieder neue Symbole. Die meisten öffentlichen Ak- Die meisten Passanten werfen die Flugblätter in den Papierkorb der tivitäten der AN finden aber unterhalb der strafrechtlich relevanten nahen Straßenbahnhaltestelle, einige stecken sie betont beiläufig 5 5.11.2011, Dortmund, eigene Beobachtung 6 16.Oktober 2011, Leipzig, eigene Beobachtung 30 31
ein, manche lesen langsam den Text. Die AN wissen, dass ihre Thesen tigste Ereignis der AN bundesweit, also nicht nur der Dortmunder bei Teilen der Bevölkerung anschlussfähig sind. Eine Sozialraum- Gruppe, ist der jährliche Neonazi-Aufmarsch, den sie selbst den „Na- analyse des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und tionalen Antikriegstag“ (AKT) nennen. Rund um diesen Aufmarsch Gewaltforschung für die Stadt Dortmund kam 2009 zu dem Schluss, organisiert die Gruppe zahlreiche kleinere Mobilisierungsaktionen, dass die Agitation der Neonazis erleichtert wird, weil hier fremden- auch außerhalb Dortmunds. Schon zu Jahresbeginn verteilen die Ak- feindliche Einstellungen stark verbreitet sind, hohe Arbeitslosigkeit tivisten Flyer und Aufkleber bei rechtsextremen Aufmärschen in ganz herrscht und man sich allgemein von der Politik allein gelassen fühlt. Deutschland, um für ihre Veranstaltung im September zu werben. Das Interesse daran hat zuletzt stark nachgelassen. In Eving, einem einstigen Bergarbeiterstadtteil, der NRW-weit be- kannt wurde, als dort vor zwei Jahren ein 24 Meter hohes Minarett In diesem Jahr trafen sich etwa 700 rechtsextreme Aktivisten in Dort- fertiggestellt wurde, äußerten fast 40 Prozent der Befragten frem- mund, davon kamen die meisten aus NRW. Ausländische Besucher, denfeindliche Einstellungen. die in den Vorjahren etwa aus der Tschechischen Republik anreisten, blieben dem AKT 2011 fern. Auch aus Ostdeutschland kamen deut- Während sich die Gruppe mit ihrer fortwährenden Existenz weiter lich weniger als gewöhnlich. Der AKT hat deutlich an Attraktivität in- professionalisiert und neu organisiert, stagniert ihr Zulauf. Dieser nerhalb der Szene eingebüßt. Das nachlässige persönliche Auftreten Schluss ergibt sich aus einer dreijährigen Beobachtung der Gruppe, und die niveaulosen Privatgespräche einiger Demonstrationsteilneh- ihren Aktivitäten und personellen Mobilisierungsmöglichkeiten. Es mer hinterließen ferner den Eindruck, dass die inhaltliche und poli- entspricht auch den Erkenntnissen, die dem Dortmunder Staatschutz tische Qualität der AKT-Teilnehmer im Vergleich zu den Vorjahren vorliegen, dem Verfassungsschutz NRW, der lokalen antifaschisti- abgenommen hat. Der Ärger über diese Demonstrationsteilnehmer schen Bewegung, der städtischen Koordinierungsstelle für Vielfalt, war sogar den Veranstaltern selbst anzumerken, die stets Wert auf Toleranz und Demokratie und einigen interessierten Beobachtern, eine zur Schau gestellte Disziplin legen. Zumal die Veranstaltung in wie diesem Kommunalpolitiker, der seit Jahren ihre Aktivitäten ver- diesem Jahr nicht von hochrangigen auswärtigen Kadern aufgewer- folgt: „Ich habe schon das Gefühl, dass es in den vergangenen Jahren tet wurde. Wegen dieser Entwicklung und der andauernden Blocka- stagniert. Wobei jetzt natürlich um den 3. September wieder super destrategie einiger Gegendemonstranten, die wiederum vor allem viel war. Aber da weiß man auch halt nicht, da sind ja dann auch die von außerhalb angereisten Rechtsextremisten zermürben, gilt die ein, zwei Wochen vorher schon, da erleben wir ja die ganzen Chao- Zukunft des AKT in der Szene als ungewiss. ten, die nehmen ihren Jahresurlaub und dann kommen sie mal nach Dortmund und kommen hier irgendwo bei welchen (lokalen Neona- Skinhead Front Dorstfeld – eine klassische Kameradschaft zis, d Verf.) unter. Dann ist natürlich immer total viel los“7 Das wich- Die Skinhead Front Dorstfeld (SFD) wurde im Jahr 2004 in dem gleich- 7 Interview 8:2, Dortmunder Kommunalpolitiker). namige Stadtteil gegründet und umfasst einen festen Kern von 15 32 33
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