Medien-uMgebungen Auf den Spuren von uwe HASebrink - Hans-Bredow-Institut

 
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Medien-
umgebungen
                    Auf den
                    Spuren von
                    Uwe Hasebrink

 Medienumgebungen          1
Inhalt
05   Editorial
                                                                                                            26   Hans-Ulrich Wagner | Hören im Alltag! Impulse für die Radio- und Audioforschung
06   Otfried Jarren | Forschungsnetzwerker: Paradigmatische Rezeptionsforschung
     als Markenkern                                                                                         28   Joan Kristin Bleicher | Vom Programm zur Nutzung: Medien- und
                                                                                                                 Kommunikationswissenschaft im Dialog
08   Wolfgang Hoffmann-Riem | Klimafolgenabschätzung: Wie ein Institut mit
     Teamfähigkeit über sich hinaus wächst                                                                  30   Roberto Suárez Candel | A Societal Future for Public Service Media. The Questions
                                                                                                                 Posed by Uwe Hasebrink
10   Gerhard Vowe | Blick und Griff: Wie Uwe Hasebrink
     die Kommunikationswissenschaft prägt                                                                   32   Wolfgang Schulz | Von Gremien und Primaten: Wie gelingt
                                                                                                                 Wissenschaftskommunikation?
12   Friedrich Krotz | Die Entstehung einer Teildisziplin Mediennutzungsforschung
     im Rahmen der Kommunikationswissenschaft                                                               34   Carsten Brosda | Nachrichten, News, Nano-Wahrheiten: Über gelingende
                                                                                                                 Kommunikation und was Uwe Hasebrink damit zu tun hat
14   Ralph Weiß | „Ich bin viele Zielgruppen“: Was es braucht, damit eine
     wissenschaftliche Innovation Spuren hinterlässt                                                        36   Eva Holtmannspötter | Fragen und Antworten: Zu den Herausforderungen für
                                                                                                                 den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
16   Kim Christian Schrøder | Beyond News as We Know It: Young People’s
     Cross-Media Information Repertoires                                                                    38   Irene Neverla | Lehrendes Forschen, forschendes Lehren: Über Freude
                                                                                                                 am Erkenntnisgewinn in einer wertschätzenden Gemeinschaft
18   Sascha Hölig | Was die Leute so alles interessiert…: Mediennutzung leicht erklärt
                                                                                                            40   Michel Clement | Interdisziplinär und international! Was wir von Uwe Hasebrink
20   Andreas Hepp | Kommunikative Figurationen als Konzept: Wie man                                              über Nachwuchsförderung lernen können
     Mediennutzungsforschung mit der Analyse gesellschaftlicher Medienwirkungen
     verbindet                                                                                              42   Lisa Merten, Sophie Wagner, Juliane Finger | Die subtile Kunst des letzten
                                                                                                                 Redebeitrags: Aufwachsen in Hasebrinkschen Wissenschaftsumgebungen
22   Claudia Lampert | More Risk, More Responsibility: Herausforderungen des
     Medienwandels für Kinder und Jugendliche                                                               44   Paulina Keller, Lisa Thomae, Mika Parlowsky, Daniel Wehrend | Was macht eine
                                                                                                                 gute Lehre aus? Wieso Uwe Hasebrink eine große Lücke hinterlassen wird
24   Wiebke Loosen | „Wer hat Angst vorm Publikum? Niemand! Und wenn es
     kommt …?“ Wie Journalismus und Journalismusforschung das Publikum                                      46   Erwähnte Literatur
     (wieder-)entdeckten
                                                                                                            47   Impressum

2                                                                                        Medienumgebungen
Editorial
                                    Es gibt Menschen, die schwer zu beschenken sind.
                                    Und es gibt Uwe Hasebrink, bei dem dies fast un-
                                    möglich erscheint. Dennoch war es uns – seinen Kol-        Zukunft? Autor:innen schreiben über Forschungs-
                                    leg:innen am Leibniz-Institut für Medienforschung |        felder, die er geprägt hat, über Perspektiven, die ihm
                                    Hans-Bredow-Institut – ein Anliegen, ihm, ungeach-         wichtig sind, über seine Eigenschaften und Eigenhei-
                                    tet seiner deutlichen Hinweise, dass er weder Fest-        ten. Dies sagt natürlich auch immer etwas über die
                                    schriften noch Veranstaltungen zu seinem Eintritt in       Beziehung der Schreibenden zu Uwe Hasebrink aus
                                    den Ruhestand im Oktober dieses Jahres wünscht,            und das soll es auch. Dass wir den Autor:innen ver-
                                    eine Gabe zu überreichen. Für uns „Bredows“ hat dies       boten haben, Liebeserklärungen zu verfassen, hat
                                    nichts Rituelles, es ist ein Bedürfnis. Wir wollen unse-   die meisten unglücklich gemacht, und der Verzicht
                                    rem großen Dank Ausdruck verleihen, und die freudi-        auf überschwängliche Sympathiebekundungen ist ih-
                                    ge Zusage vieler Autor:innen zeigt: Anderen geht es        nen sehr schwergefallen, das sei verraten. Wir haben
                                    ebenso.                                                    uns davon nicht beirren lassen und sind sehr streng
                                                                                               geblieben, auch weil wir der Ansicht sind, dass unser
                                    Das Konzept der vorliegenden Broschüre soll der Per-       Konzept weitgehend gewährleistet, dass die Texte
                                    son Uwe Hasebrink insoweit gerecht werden, als es          keinen rückblickend-abschließenden Gestus haben.
                                    ihn und sein Schaffen würdigt, indem wir die Felder        Wir hoffen jedenfalls – und dies mit allen Autor:innen
                                    betrachten, in denen er tätig war und ist. Ein solcher     –, dass der Austausch mit ihm keineswegs im Oktober
                                    Text sollte also eine Antwort auf Fragen geben wie:        2021 abrupt endet.
                                    In welchem Bereich, in welchem Themenfeld hat Uwe
                                    Hasebrink besondere Spuren hinterlassen und was            Die Texte spiegeln auch Jahrzehnte Institutsge-
                                    bedeutet das für diesen Bereich heute und in der           schichte. Uwe Hasebrink hat das Institut geprägt –
                                                                                               nach innen und außen: Die wertschätzende Kultur,
                                                                                               die er etabliert hat, ist auch für Außenstehende spür-
                                                                                               bar. Die durchdachten und anschlussfähigen Impulse
Uwe Hasebrink                                                                                  schätzen seine Schüler:innen und Kooperations-
                                                                                               partner:innen in Wissenschaft und Praxis. Wir wer-
                                                                                               den versuchen, das aufrecht zu erhalten, und sagen:
                                                                                               Danke, Uwe!

                                                                                               Wolfgang Schulz und Christiane Matzen
                                                                                               im Namen aller „Bredows“

     4          Medienumgebungen    Medienumgebungen                                                                                          05
Diskussionszusammenhängen prägend war und ist:
                                                                                                                 kommunikationswissenschaftliches Wissen für die
                                                                                                                 Ausgestaltung der Medien- und Kommunikations-
                                                                                                                 gesellschaft. Wie informiert sich die Gesellschaft,

Forschungsnetzwerker
                                                                                                                 wie informieren sich einzelne soziale Gruppen, wel-
                                                                                                                 che Folgen hat das Nutzungsverhalten bezogen auf
                                                                                                                 die Angebote wie Anbieter von Information wie Un-
                                                                                                                 terhaltung? Informationsrepertoires – das ist ein
                                                                                                                 Keyword in der Mediennutzungsforschung und auch
                                                                                                                 Markenkern von Bredow – und zugleich eine medien-
                                                                                                                 und kommunikationsrechtlich relevante Sichtweise

Paradigmatische Rezeptionsforschung                                                                              auf soziales Verhalten, das bei Regulierungsansät-
                                                                                                                 zen mitbedacht sein will.

als Markenkern                                                                                                   Paradigmatisch angelegte Forschung setzt for-
                                                                                                                                                                                                         ©Frank Brüderli
                                                                                                                 schungsstarke, aber zugleich auch auf Austausch
                                                                                                                 und Kooperation ausgerichtete Persönlichkeiten
                                                                                                                                                                         Otfried Jarren, em. Professor am Institut
Institutionelle Zusammenarbeit, zumal in der Wis-        geschätzter – Akteur bei Bredows wie darüber hin-       voraus. Der Einbezug weiterer Köpfe, der anhalten-
                                                                                                                                                                         für Kommunikationswissenschaft und
senschaft, ist ein anspruchsvolles Unterfangen.          aus hat er sich an- und ausdauernd institutionell in    de Diskurs innerhalb der eigenen Gruppe wie darü-       Medienforschung der Universität Zürich
Meist fehlt es zur rechten Zeit an gleichgesinnten,      der Forschung engagiert.                                ber hinaus in der Fachcommunity setzt einen weiten      sowie Honorarprofessor am Institut für
kompetenten und motivierten Kolleginnen und Kol-                                                                 Blick auf gesellschaftliche Phänomene ebenso vo-        Publizistik- und Kommunikationswis-
legen für ein neues, zumal ein größeres Vorhaben.        Auf-Dauer-Stellung als Projekt: Neben der eigenen,      raus wie die Bereitschaft zum offenen Austausch.        senschaft der FU Berlin, war auch mal
Hat man – endlich – eine geeignete Form der institu-     individuellen fachlich-methodischen Kompetenz be-       Allein Kooperationswille, zumal in einer taktischen     bei Bredows. Er erinnert sich gerne an
tionellen Kooperation gefunden, so gilt es rasch und     darf es in der modernen sozialwissenschaftlichen        Variante, reicht also hier nicht aus: Intellektuelle    die vielen Tee-Gespräche mit Uwe. Wenn
gemeinsam loszulegen, erfolgreich zu sein und die        Forschungsarbeit des Einbezugs weiterer kompe-          Kompetenzen und soziale Talente sind nötig, wenn        Uwe seine Kanne mitbrachte, ging es
Kooperation zu verstetigen. Dabei kommt es maß-          tenter Akteure in Vorhaben. Und damit diese mit-        eine Auf-Dauer-Stellung exzellenter Forschung ge-       um ein größeres Thema. Zum Glück ging
geblich auf die Akteure an. Vor allem Verstetigung ist   machen, möchten sie schon wissen, wohin die Reise       lingen soll.                                            ihnen nie der Tee aus... .
eine anspruchsvolle Sache, es reden darüber nicht        gehen kann und soll. Wie wird aus dem gemeinsa-
nur andere mit, sondern sie entscheiden auch mit.        men Vorhaben auch eine Erfolgsgeschichte für jede       Uwe Hasebrink hat sich als ein großer Glücksfall
Ein partnerschaftliches Verhältnis muss aufgebaut        einzelne beteiligte Persönlichkeit? Ist das verfolgte   sowohl für das Hans-Bredow-Institut wie für unser
werden, dabei gilt es unterschiedliche Interessen zu     Ziel, ist das Paradigma so stark, dass es sowohl der    Fach erwiesen: Er ist ein Langstreckenläufer mit ei-
achten und wettbewerblich zu bleiben. Wer gar et-        Gemeinschaft wie der Einzelnen und dem Einzelnen        ner klaren, paradigmatischen Zielorientierung. Als
was auf Dauer gestellt wissen will, der muss neben       Erfolge zu bescheren vermag? Es kommt also so-          intellektueller Leistungssportler verfügt er über das
den Peers der eigenen Fachgemeinschaft viele an-         wohl auf ein starkes wissenschaftliches Paradigma       nötige Selbstbewusstsein für seine Forschung, zu-
dere Fachkolleginnen und -kollegen gewinnen – und        an, das man zu verfolgen und durchzusetzen ge-          gleich aber hat er sich stets ein hohes Maß an Lern-
vielfach sogar wissenschaftspolitische Entschei-         denkt, als auch auf die Bündelung von Talenten. Und     bereitschaft bewahrt. Diese Offenheit hat er vor
dungsinstanzen überzeugen können. Die wissen-            dazu bedarf es sowohl einer fachlich-methodisch         allem im Bereich der kommunikationswissenschaft-
schaftlichen Vorhaben müssen also viele überzeu-         kompetenten Forscherpersönlichkeit und als auch         lichen Wissenschaftskommunikation immer wieder
gen, sie müssen tragen. Und Kooperation muss man         eines Menschen mit vielfältigen sozialen Talenten.      – und immer wieder neu – gezeigt, weil er zuhören
wollen und sich dafür wieder und wieder engagieren.                                                              kann und sich in seine jeweiligen Gegenüber hinein-
Innovative Forschungsvorhaben zu entwickeln und          Kompetenz und Talent – darüber verfügt Uwe              zuversetzen vermag. Achtsam und bescheiden tritt
zu initiieren, diese dann hartnäckig zu verfolgen und    Hasebrink, und er vermag beides miteinander             er auf. Achtsam und bescheiden im Auftritt wie im
mit anderen zusammen voranzubringen – das war            gewinnbringend für andere und für sich zu ver-          Dialog, zugleich aber auskunftsfähig und debatten-
und ist Uwe Hasebrink ein Anliegen. Die Vielzahl an      binden. Bredow entwickelte ein spezifisches em-         willig – das zeichnet den wissenschaftlich-metho-
kooperativen Projekten in nationalen wie interna-        pirisches Forschungsprofil von paradigmatischer         disch höchst kompetenten wie vielfältig talentierten
tionalen Arbeitszusammenhängen ist höchst ein-           Qualität, das sowohl im kommunikationswis-              Kommunikator Uwe Hasebrink aus.
drücklich. Als maßgeblicher – und zugleich stets         senschaftlichen Kontext wie in regulatorischen

06                                                                                          Medienumgebungen     Medienumgebungen                                                                                 07
Klima
folgen
                                                                                                                  empathisch. Ich war überzeugt von seinem Potenzial
                                                                                                                  als Wissenschaftler und insbesondere für den Zu-
                                                                                                                  sammenhalt im Institut als sozialem Raum.

                                                                                                                  Bereits zwei Jahre später wurde Uwe Hasebrink zum

ab
                                                                                                                  geschäftsführenden Referenten ernannt. Er war der
                                                                                                                  richtige Mann für hervorragende Wissenschaft und
                                                                                                                  für ein gutes Betriebsklima. Mitte der 90er Jahre
                                                                                                                  schied ich zeitweilig als Direktor aus – für einen kur-
                                                                                                                  zen Ausflug in die Politik. Otfried Jarren trat meine
                                                                                                                  Nachfolge an. Einige Zeit später wurde die Instituts-
                                                                                                                  leitung in ein Direktorium umgewandelt. 1998 wurde

schätzung
                                                                                                                  Uwe Hasebrink Mitglied im Direktorium. Auch dies

 Klimafolgenabschätzung                                                                                           war ein Gewinn für das Institut, wie ich bis zu meinem
                                                                                                                  Ausscheiden im Dezember 1999 beobachten konnte.

                                                                                                                  Ab Ende des vorigen Jahrhunderts interessierte
                                                                                                                                                                            Wolfgang Hoffmann-Riem, em. Prof. der
                                                                                                                  sich der Wissenschaftsrat für das HBI und stattete
                                                                                                                                                                            Universität Hamburg, ehem. Justizsenator
                                                                                                                  ihm schon bald einen ersten Besuch ab. Ein solcher        der Stadt Hamburg und Richter des Bun-
                                                                                                                  Besuch war angesichts des kleinen Etats des Insti-
 Wie ein Institut mit Teamfähigkeit                                                                               tuts und dadurch der Begrenzungen von Aktivitäten
                                                                                                                  ungewöhnlich. Seine Mitglieder waren aber von der
                                                                                                                                                                            desverfassungsgerichts und jetzt – weil
                                                                                                                                                                            er es offenbar nicht lassen kann – Affiliate
                                                                                                                                                                            „Professor für Recht und Innovation“ an der
 über sich hinaus wächst                                                                                          Forschungsleistung des Instituts beeindruckt und
                                                                                                                  insbesondere von der interdisziplinären Zusammen-
                                                                                                                                                                            Bucerius Law School, prägt und begleitet
                                                                                                                                                                            die Geschichte des HBI als langjähriger
                                                                                                                  arbeit und der darauf gegründeten Produktivität. Ei-      Direktor und Ehrenmitglied im Direktorium
 Erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit ist von mehr       Also wurde ich neuer Direktor des HBI. Ich merkte       nige Zeit später (2019) kam es zur „Beförderung“ des      seit über 40 Jahren. Er freut sich nach wie
 als der Intellektualität und Belesenheit der beteilig-   bald: Mein Vorgänger hatte mit seiner Kritik wohl sa-   Instituts in die Champions League wissenschaftlicher      vor über gemeinsame Projekte mit den
                                                          gen wollen: „Das Klima im Institut stimmt nicht. Ich    Institute: seine Aufnahme als Leibniz-Institut – dies
                                                                                                                                                                            Bredows, so wie diese umgekehrt erst
 ten Personen abhängig: von der Umgebung für wis-
                                                                                                                                                                            recht.
 senschaftliches Arbeiten, vor allem dem Teamgeist        komme damit nicht klar“.                                als einziges kommunikationswissenschaftliches Ins-
 aller Beteiligten. Dazu beizutragen, ist ein unschätz-                                                           titut Deutschlands. Ich bin überzeugt, der Teamgeist
 barer Beitrag zum Fortschritt der Wissenschaft.          Die Leistungsfähigkeit und Kreativität eines wissen-    hat einen erheblichen Anteil an diesem Erfolg – nicht
                                                          schaftlichen Instituts hängen in der Tat nicht allein   zuletzt dank Uwe Hasebrinks.
 Irgendwann 1979 erhielt ich einen Anruf des damali-      an der Intelligenz und dem Fleiß der einzelnen Mit-
 gen Direktors des Hans-Bredow-Instituts, des Sozio-      arbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein solches Institut     Meine Anwesenheit im HBI konzentriert sich heu-
 logen Jan Peter Kob. Er habe dem Universitätspräsi-      braucht auch Teamfähigkeit und Teamgeist. Hapert        te weitgehend auf die Teilnahme an der jährlichen
 denten gerade seinen Rücktritt als Direktor erklärt.     es damit, gibt die Neubesetzung von Stellen zumin-      Weihnachtsfeier. Hier spüre ich ein gutes Miteinan-
 Auf dessen Frage hin habe er mich als Nachfolger         dest eine Chance für Veränderungen. So 1986, als ein    der der Beteiligten als Ausdruck eines gelungenen
 vorgeschlagen. Er wolle mir aber trotzdem einen gu-      neuer wissenschaftlicher Referent gesucht wurde.        Betriebsklimas. Höhepunkt dieses Festes ist regel-
 ten Rat geben: „Tun Sie das eher nicht. Schauen Sie                                                              mäßig ein Dialog zwischen den beiden Direktoren
 genau hin! Das Institut ist in schlechter Verfassung.“   Es bewarb sich unter anderen Uwe Hasebrink, aus-        Wolfgang Schulz und Uwe Hasebrink: ein humoris-
 Ich war seinerzeit Professor für öffentliches Recht      gebildet in Psychologie und Sozialpsychologie, nicht    tischer, kluger und mit treffenden Beobachtungen
 der Universität Hamburg. Zu meinen Interessen ge-        speziell in Medienwissenschaft. Das konnte ein          ausgestatteter Blick auf das Institut und auf die eine
 hörten auch das Medienrecht und die Medienpolitik.       K.O.-Kriterium sein. Für mich war Uwe Hasebrink         oder andere Skurrilität seiner Direktoren.
 Als Student hatte ich bei Gerhard Maletzke im HBI        jedoch schnell Favorit: Seine Formulierungsstärke,
 an einem Seminar über Medienkritik teilgenommen.         seine Kreativität, seine Bereitschaft, sich auf Neu-    Gelebte Kommunikation! Für Wissenschaft ebenso
 Das war alles. Reichte das, um das Institut neu auf-     es einzulassen. Klar in der Sache und – für mich von    wichtig wie fachliche Qualifikation.
 zustellen? Warum nicht versuchen?                        besonderer Bedeutung – persönlich gewinnend und

 08                                                                                          Medienumgebungen     Medienumgebungen                                                                                   09
man sich weder im Kaninchenbau des Einzelfalls           Aber in einer anderen Hinsicht hat Uwe Hasebrink
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Blick und Griff
                                                                                                                                                                          vielleicht diejenigen prägen können, die mit ihm pu-
                                                                                                                 geben, aus der man nur noch Kontinente sieht. Erst       bliziert und die bei ihm promoviert haben, aber nicht
                                                                                                                 die Kombinationen aus schwach und stark standar-         das Fach insgesamt. Zur Kommunikationswissen-
                                                                                                                 disierten Methoden ermöglichen es, das jeweilige         schaft gehört auch die Kommunikation der Kom-
                                                                                                                 Feld tief auszuleuchten, wie die Kommunikation von       munikationswissenschaftler:innen untereinander.
Wie Uwe Hasebrink die Kommunikationswissenschaft                                                                 Kindern oder die Wahl von Informationsangeboten.         Uwe Hasebrink ist in seinem Kommunikationsstil
prägt                                                                                                            Dann erst treten die Zusammenhänge hervor zwi-
                                                                                                                 schen sozio-demografischen Faktoren, Motiven,
                                                                                                                                                                          das genaue Gegenteil eines Niederrheiners, wie ihn
                                                                                                                                                                          Hanns Dieter Hüsch charakterisiert hat. Denn Uwe
Uwe Hasebrink ist diplomierter und provomierter        zu Presse- oder Fernsehangeboten, es geht um die          Persönlichkeitsmerkmalen, kommunikativen Prakti-         Hasebrink überlegt nicht schon beim Zuhören, was
Psychologe. Das prägt den Blick und den Griff, also    Welt dahinter, darum, was Menschen motiviert, sich        ken und Mediennutzungsmustern. Wichtig und mög-          er gleich sagen kann, sondern er lauscht dem Ge-
wie er die Welt sieht und wie er sie erfasst.          Medienangeboten in unterschiedlicher Intensität           lich ist dabei ein weiter Horizont – durch Zeitreihen,   genüber und gibt ihm oder ihr immer das Gefühl, ge-
                                                       und Kombination zuzuwenden, und wie sie Medien-           Langzeitstudien und durch internationale Verglei-        rade einen nobelpreiswürdigen Gedanken zu äußern.
Wie sieht man die Welt, wenn man seinem Blick          angebote rezipieren. Das Paradigma der Rezeption          che, etwa der Nachrichtennutzung. Auch das hat die       Durch Zuhören und Bestärken werden die Gedanken
folgt? Massenmedien und Massenkommunikation,           erlaubt einen eigenen Begriff der Medienwirkungen.        Internationalisierung der deutschen Kommunikati-         dann tatsächlich auch etwas besser, vielleicht noch
diese Konzepte, die während der 30er Jahre in den      Die ergeben sich aus der wechselseitigen Beeinflus-       onswissenschaft vorangetrieben. Und auch durch           nicht gut, aber immerhin. Mit seinem responsiven
USA entstanden und dann in den 60er Jahren nach        sung von Menschen und Medien. Diese Fokussierung          die von Uwe Hasebrink maßgeblich verantwortete           Kommunikationsstil steht er ziemlich alleine im
Deutschland einwanderten, sind keine sonderlich        hat früh den Blick im Fach dafür geschärft, welche        Gründung der European Communication Research             Fach – und vor allem das werden wir vermissen, aber
hilfreichen Kategorien. Das sind nicht die Blickwin-   Umwälzungen sich durch die sozialen Netzmedien            and Education Association (ECREA) blieb der Schritt      wenig dafür tun, seinen Spuren in dieser Richtung zu
kel, aus denen man scharf sieht, was sich wie und      und vor allem durch deren enorm gesteigerte Mög-          über die kulturellen Grenzen hinweg nicht nur be-        folgen.
warum in der öffentlichen Kommunikation verändert.     lichkeiten der Rückkopplung ergeben. Die Klickrate        schränkt auf eine Orientierung an der US-amerika-
Wenn man seinem Blick folgt, sieht man öffentliche     beeinflusst in Sekunden den Artikel – und umge-           nisch geprägten International Communication Asso-
Kommunikation konsequent aus der Perspektive           kehrt. Und so hieß die von Uwe Hasebrink vor nun          ciation.
eines heterogenen Publikums. Man sieht Individu-       schon 30 Jahren mitgegründete Fachgruppe der
en, die mit anderen Individuen interagieren und die    Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kom-          Der analytische Blick auf individuelles mediales Ver-
einzeln oder gemeinsam Medienangebote nutzen.          munikationswissenschaft (DGPuK) zunächst „Medi-           halten als dem Kern öffentlicher Kommunikation – das
Die klassische Unterscheidung von Individualkom-       enpsychologie“, dann „Rezeptionsforschung“, dann          ist Uwe Hasebrinks Markenzeichen. Damit hat er sich
munikation und Massenkommunikation bringt wenig        „Rezeptions- und Wirkungsforschung“.                      aus seiner akademischen Sozialisation gelöst und
Licht ins Dunkel, und dies immer weniger, je mehr                                                                zugleich das Fach kognitiv geprägt. Aber er hat das
soziale Netzmedien die Kommunikation prägen. Das       Und wie erfasst man die Welt, wenn man Uwe                Fach auch organisational geprägt, und zwar als Kom-
bedeutet nicht, Individuen als Monaden zu sehen,       Hasebrink folgt? Sein Zugriff ist nicht präskriptiv.      munikationswissenschaftsmanager – eine Berufsbe-
die sich isoliert informieren und amüsieren, sondern   Man fragt nicht, wie die Individuen kommunizieren         zeichnung, die er sicherlich nicht selbst gebrauchen
man sieht, wie sie in soziale Netze eingebunden sind   sollen. Vielmehr ist die Leitfrage, wie sie tatsächlich   würde. Er hat – auch hier nicht allein, und genau das
– von der Dyade bis zur globalen Gemeinschaft der      und nachweislich kommunizieren. Dann wird erst            ist die Kunst – ein traditionsreiches kommunikations-
Impfskeptiker. Diese Netze sind medial geprägt, sie    sichtbar, was Rezipient:innen unterscheidet und was       wissenschaftliches Forschungsinstitut durch die Zeit
sind durchzogen von vermittelter Kommunikation.        sie verbindet. Diese Spannung von Individualität und      und in eine dauerhafte Zukunft als Leibniz-Institut
Dabei bleibt der Blick nicht verengt auf die publi-    Sozialität steht hinter der viel zitierten Formel: „Ich   transformiert – mit einem ansehnlichen Drittmittelin-
zistisch besonders relevanten Angebote. Vielmehr       bin viele Zielgruppen“ (1997). Aus der Generalisierung    put und einem beeindruckenden Dreiklang aus Out-
folgt der Blick den schaltenden und waltenden Re-      von Unterschieden und Gemeinsamkeiten sind Kate-          put, Outcome und Impact. Den Impact hat er immer
zipient:innen, und in deren medialem Sample sind       gorien entstanden, die Denken und Forschen geprägt        selbst mitgestaltet durch die Vermittlung von Wis-
                                                                                                                                                                             Gerhard Vowe, Seniorprofessor für Kom-
beispielsweise auch Computerspiele ein selbstver-      haben. Beispiele sind „Kommunikationsmodi“ (2004),        sen an mediale Führungskräfte. Dahinter stand die
                                                                                                                                                                             munikationswissenschaft an der Hein-
ständlicher Bestandteil. Auch diese Medien beka-       „Medienrepertoires“ (2006) oder genauer „Informati-       Botschaft: Es gibt nichts Praktischeres als eine gute
                                                                                                                                                                             rich-Heine-Universität Düsseldorf und
men so einen – wenn auch lange peripheren – Platz      onsrepertoires“ (2013) und schließlich „Kommunika-        Theorie. Durch evidenzbasiertes kommunikations-             am Center for Advanced Internet Studies
am Tisch der „Publizistikwissenschaft“. Anderer-       tive Figurationen“ (2014). Um den Spannungsbogen          wissenschaftliches Wissen kann man Medienangebot            (CAIS), der einen guten Kopf kürzer ist
seits hält man mit Uwe Hasebrink immer auch Dis-       zwischen Ich und Wir zu erfassen, steht auch durch        und Mediennachfrage besser verknüpfen und deren             als Uwe Hasebrink, aber immer auf Au-
tanz zur anwenderorientierten Nutzungsforschung.       sein Forschen ein Instrumentarium komplementärer          Regulierung präziser und vernünftiger machen. Auch          genhöhe mit ihm.
Denn es geht um mehr als die Zählung von Kontakten     empirischer Methoden zur Verfügung. Dabei darf            das ist im Fach angekommen.

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Zusammenfassend lässt sich so von der Entste-
                                                                                                                 hung einer eigenen Teildisziplin „Mediennutzungs-
                                                                                                                 forschung“ in der Kommunikationswissenschaft

Die Entstehung einer Teildisziplin
                                                                                                                 sprechen, die von vertiefenden Medienrezeptions-
                                                                                                                 studien begleitet wurde. Diese Teildisziplin nimmt
                                                                                                                 heute neben der immer noch nach Kausalitäten
Mediennutzungsforschung im Rahmen                                                                                suchenden Medienwirkungsforschung einen ei-
                                                                                                                 genen Platz im akademischen Europa ein, wie es

der Kommunikationswissenschaft                                                                                   die „Audience and Reception Studies“-Sektion der
                                                                                                                 europäischen kommunikationswissenschaftlichen
                                                                                                                 Vereinigung ECREA zeigt.

                                                                                                                 Mit der Digitalisierung als heute vorherrschender
In den letzten 50 Jahren hat sich eine eigenständige    entwickelt, so von Will Teichert auf Grundlage des       Form von Mediatisierungsprozessen hat sich die-
Mediennutzungsforschung entwickelt, die hier ex-        Symbolischen Interaktionismus und von Karsten            se Teildisziplin bewährt und weiterentwickelt. Man
emplarisch anhand der Arbeiten von Uwe Hasebrink        Renckstorff der Nutzenansatz. In der Folge waren         kann sagen, dass die prädigitale Mediennutzungs-
umrissen wird. Seine Arbeit hat diese Entwicklung       es dann vor allem die Arbeiten Uwe Hasebrinks, die       forschung sich u. a. mit dem von Uwe Hasebrink als
                                                                                                                                                                             Als Friedrich Krotz 1989 als Diplom-Mathe-
in Deutschland und dann auch in Europa wesentlich       die bis dahin meist retrospektiv und standardisiert      Leitautor verfassten und im Vistas-Verlag 2001 er-
                                                                                                                                                                             matiker und promovierter Soziologe beim
mitgeprägt.                                             angelegten Untersuchungen der Fernsehnutzung             schienenen Bericht „Fernsehen in neuen Medienum-            Hans-Bredow-Institut anfing, sich mit
                                                        weiterentwickelten. Dies gilt sowohl für die Theorie,    gebungen“ auf diese neuen Herausforderungen hin             Kommunikation und Medien zu beschäf-
In einer historischen Perspektive kann man sagen,       wie etwa die Auseinandersetzung mit dem Konzept          orientierte. Dort wird zwar beispielsweise im Glossar       tigen, war Uwe Hasebrink bereits ge-
dass die Medien im 20. Jahrhundert überwiegend          der Selektivität deutlich macht, als auch für die Em-    noch der Begriff des „Fernsehmenüs“ verwendet; es           schäftsführender Referent des Instituts.
unter dem Aspekt ihrer Wirkung untersucht und           pirie, die breiter und kreativer angelegt war, wie der   ist aber auch schon übergreifend allgemeiner von            Als Ersterer 2001 nach seiner Habilitation
diskutiert wurden – es ging um die Frage, was die       Einbezug qualitativer Erhebungen oder die Analyse        „Repertoirebildung und Kanalheimaten“ die Rede.             eine Professur in Münster übernahm und
Medien mit den Menschen machen. Ein Aufsatz von         telemetrischer Daten zeigen, die das apparatebezo-       Daraus entwickelte Uwe Hasebrink das medienüber-            das Institut verließ, war Uwe Direktor und
Adorno, dessen Kritik an Radio und Fernsehen ja         gene kommunikative Handeln der Menschen sekun-           greifende Konzept des Medienrepertoires, das pa-            arbeitete an der weiteren Entwicklung
dafür steht, wurde denn auch in der 1953 erschiene-     dengenau beschrieben.                                    radigmatisch für die Öffnung der Mediennutzungs-            des Bredow-Instituts. Es war eine span-
                                                                                                                 formen ins Digitale hinein steht. Auf der Grundlage
                                                                                                                                                                             nende Zeit mit viel Freiheit und weiter-
nen ersten Ausgabe von „Rundfunk und Fernsehen“
                                                                                                                                                                             führender Forschung. Danke dafür. Wir
als erster Aufsatz abgedruckt. Erst in den 1960er       Auf der Basis derartiger Studien entstanden dann         einer Publikation mit Jutta Popp 2006 in Communi-
                                                                                                                                                                             bleiben auch weiter in Kontakt!
Jahren wurde das „widerspenstige Publikum“ ent-         auch Analysen des Fernsehnutzungsverhaltens im           cations fand es auch zahlreiche europäische Lese-
deckt und genauer der Frage nachgegangen, was           Hinblick auf spezifische Genres sowie der Nutzungs-      rinnen und Leser und entsprechende Verbreitung.
denn die Menschen mit den Medien machen (wei-           formen gesellschaftlicher Teilgruppen. Im Zusam-
tere Literaturangaben zur Vorgeschichte vgl. Krotz      menhang mit einer ganzen Reihe von europaweit            Es charakterisiert ja die Reifung einer Teildisziplin ei-
1996).                                                  angelegten Kinder- und Jugendmedienstudien, an           ner Wissenschaft, wenn es gelingt, zentrale Begriffe
                                                        der das Hans-Bredow-Institut wesentlich beteiligt        bezogen auf den Wandel ihres Gegenstandsbereichs
In der Folge entstand der Uses-and-Gratifica-           war, entwickelte sich zudem eine breitere europäi-       angemessen weiterzuentwickeln, und wenn die-
tions-Ansatz, der funktionale Beziehungen zwischen      sche Nutzungsforschung. In einer ersten, von Sonja       se Teildisziplin auch für die anderen Teildisziplinen
Mensch und Medium in den Blick nahm und situative       Livingstone initiierten Version setzen diese Studien     wichtige Zuarbeit leistet. Letzteres belegen etwa
Nutzungsformen mit menschlichen Bedürfnissen            kulturvergleichend an den Arbeiten der aus Nazi-         die Publikationsverzeichnisse aus dem Bereich der
erklären wollte. Auch die Medienveranstalter be-        deutschland nach UK emigrierten Professorin Hilde        Mediennutzungsforschung auf den Websites des
gannen sich – nicht zuletzt wegen der zunehmenden       Himmelweit an, die als eine der ersten derartige so-     Hans-Bredow-Instituts, die auf die Bedeutung von
Bedeutung der Werbung – für Publikumsforschung          zialisationsbezogene Untersuchungen durchgeführt         Medien in Alltag, Kultur, Öffentlichkeit und Gesell-
zu interessieren, wie etwa die erste, 1964 publizier-   hatte. Damit konnten dann auch auf der Basis von         schaft hin angelegt sind. In diesem Sinne sollten
te Massenkommunikationsstudie von ARD und ZDF           Mediennutzungsstudien theoretisch und empirisch          wohl auch die bisher völlig unzureichenden Wikipe-
zeigt. In der akademischen Forschung wurden zu-         begründete Antworten auf Fragen nach der Bedeu-          dia-Texte zu „Mediennutzung“ und „Mediennutzungs-
nächst vor allem am Hans-Bredow-Institut theoreti-      tung der Medien für Demokratie und das Zusammen-         forschung“ überarbeitet werden.
sche Rahmenkonzepte für eine Nutzungsforschung          leben der Menschen gegeben werden.

12                                                                                          Medienumgebungen     Medienumgebungen                                                                                    13
„Ich
 bin
                                                                                                                  Akteursbeziehungen abgestimmt sind (Hepp & Ha-         – Hilfreich sind herausragende Methodenkenntnis-
                                                                                                                  sebrink 2014). Das „handlungsleitende Thema“ bzw.      se, welche auch die Mitglieder der Scientific Com-

 „Ich bin viele Zielgruppen“                                                                                      die „thematische Rahmung“ dienen als Fixpunkt,
                                                                                                                  auf den hin kommunikative Praktiken medienüber-
                                                                                                                  greifend daraufhin betrachtet werden, welchen
                                                                                                                                                                         munity beeindrucken, die ihre Wissenschaft eher an
                                                                                                                                                                         der methodischen Raffinesse im Umgang mit den
                                                                                                                                                                         Mitteln des Erkennens als am Urteil erkennen.

viele
                                                                                                                  Sinn sie in mehrfach gestuften sozialstrukturell
                                                                                                                  und institutionell geprägten Kontexten haben. Das      – Schließlich braucht es die Überzeugungskraft, die
                                                                                                                  konturiert eine Heuristik, die – ähnlich dem Sozi-     aus Klarheit und Stringenz in der Darstellung der

 Was es braucht, damit eine                                                                                       alkonstruktivismus – mediatisiertes Handeln als
                                                                                                                  Konstituens sozialer Beziehungen von der Familie
                                                                                                                                                                         eigenen Arbeiten erwächst, in Verbindung mit dem
                                                                                                                                                                         nimmermüden Engagement, sie in Text und freier

 wissenschaftliche Innovation Spuren
                                                                                                                  bis hin zur Teilhabe am politischen Gemeinwesen        Rede vorzustellen, um Skepsis zu überwinden und
                                                                                                                  entziffern will.                                       für das Mitdenken und -forschen zu begeistern.

 hinterlässt                                                                                                      Uwe Hasebrink begnügt sich nicht damit, eine Be-
                                                                                                                  trachtungsweise theoretisch zu entfalten. In einem
                                                                                                                                                                         Die Verbindung dieser Vorzüge ist außergewöhnlich.
                                                                                                                                                                         Daher macht auch für den Fortschritt der Wissen-
                                                                                                                  reichen Opus empirischer Arbeiten macht er vor,        schaft die Besonderheit der Person einen bedeuten-
 Sie können es nicht lassen. Die Nachfrager nach der      ter:innen oder Mitglieder von Berufungskommissi-        welche Einsichten sich damit gewinnen lassen. Her-     den Unterschied.
 Erforschung der Mediennutzung und ihre akademi-          onen keineswegs stets die Innovation, sondern viel      vorheben will ich den Beitrag zu dem gewaltigen
 schen Sachwalter konstruieren sich aus dem Ge-           häufiger die – meist methodische – Variation gut        Unternehmen, Grundlagen, Formen und Bedingun-
 brauch, den Menschen von Medien machen, Publika,         abgehangener „Ansätze“, damit der Ton, den sie in       gen gesellschaftlichen Zusammenhalts zu untersu-
 so als seien diejenigen, die ihr Angebot nutzen, ihnen   ihren eigenen Arbeiten vorgeben, der immer gleiche      chen. Dazu gehört es zu klären, welche Rolle Kom-
 als Besitzstand fest zugeordnet, den sie für sich ver-   bleibt (siehe z. B. Lang (2013) sowie Perloff (2013),   munikationspraktiken für die „public connection“,
 werten können, indem sie ihr Publikum als „Zielgrup-     dessen Gegenrede zur eher unfreiwilligen Bestäti-       also die Teilhabe am Prozess der gesellschaftlichen
 pe“ den an werblichen oder politischen Botschaften       gung von Langs Diagnose gerät). Es sind daher be-       Verhandlung über Angelegenheiten von allgemei-
 Interessierten andienen. Uwe Hasebrink hat immer         sondere Leistungen nötig, damit eine neue, bessere      nem Belang, haben. Das von Hasebrink entwickelte
 wieder darauf aufmerksam gemacht, dass diese             Betrachtungsweise wahrgenommen und aufgegrif-           theoretische Rüstzeug erlaubt es, die Nutzungsfor-
 Verwandlung eines institutionell verfestigten Inter-     fen wird.                                               schung für die Öffentlichkeitstheorie fruchtbar zu
 esses in eine Betrachtungsweise ihren Gegenstand                                                                 machen. So erschließt beispielsweise seine Unter-
 nicht angemessen in den Blick bekommt (z. B. Ha-         Zunächst und in der Hauptsache braucht es die           suchung der Leistung von Informationsmedien aus
 sebrink 2008). „Ich bin viele Zielgruppen“ (Hasebrink    theoretische Entfaltung des Konzepts einer indi-        Nutzersicht, in der die Nutzung einzelner Medien-
 1997) – die gewitzte Variation eines Slogans, der        viduenzentrierten Nutzungsforschung. Uwe Hase-          angebote in ihrem Zusammenhang mit subjektiven
 mit feiner Ironie der Branche entlehnt ist, die nach     brink plädiert für die Betrachtung von Medien- und      Relevanz- und Funktionszuschreibungen betrachtet
 zielgruppenadäquaten Publika forschen lässt, lenkt       Informationsrepertoires, weil dadurch erst – im         wird (Hasebrink & Hölig 2020), Einsichten in den je
 das Augenmerk auf den Eigensinn der Nutzer:innen.        Unterschied zu einer publikumszentrierten Pers-         spezifischen Beitrag unterschiedlicher Medientypen
 Uwe Hasebrink ist mit seinem wissenschaftlichen          pektive – die Breite der Kontakte von Individuen zu     zur öffentlichen Kommunikation.
 Werk ein herausragender Protagonist des Perspek-         Kommunikaten in den Blick kommt. Die zusätzliche

                                                                             Ziel
 tivwechsels hin zu einer individuenzentrierten Nut-      Unterscheidung von Kommunikationsmodi quali-            Die Bekanntschaft mit den Arbeiten von Uwe Ha-
 zungsforschung, die den Mediengebrauch auf den           fiziert den Kontakt, indem der subjektive Sinn des      sebrink gibt über den Erkenntnisgewinn, den sie
 Sinn zurückführt, den er als Bestandteil sozialer        Mediengebrauchs im Kontext der Lebensführung            eintragen, hinaus auch einen Eindruck davon, was
                                                                                                                                                                            Ralph Weiß war von 2003 bis 2020 Profes-
 Praktiken hat.                                           näher bestimmt wird (Hasebrink & Hölig 2017). Die       nötig ist, damit wissenschaftliche Innovationen
                                                                                                                                                                            sor für Kommunikations- und Medien-
                                                          von Elias inspirierte Kategorie der kommunikativen      wirkmächtig werden:
                                                                                                                                                                            wissenschaft an der Heinrich-Heine-
 Für eine wissenschaftliche Innovation einzustehen,       Figurationen radikalisiert die individuenzentrier-
                                                                                                                                                                            Universität in Düsseldorf. Zuvor hat er von
 weil man dafür gute Gründe anzuführen weiß, ist          te Perspektive der Nutzungsforschung. Denn sie          – Es braucht eine besonders umfassende Kenntnis           1983 bis 2003 als wissenschaftlicher Refe-
 keine komfortable Position. Denn anders als es die       stellt der Analyse die Aufgabe, den Gebrauch von        und den souveränen Umgang mit den Arbeiten zu             rent am Hans-Bredow-Institut gearbeitet
 Selbstbeschreibung der Wissenschaft behauptet,           Medien als integralen und formierenden Bestand-         etablierten „Ansätzen“, die den Respekt für die wis-      – gemeinsam neben und vertrauensvoll mit
 prämieren Mitglieder der Scientific Community in         teil sozialer Praktiken zu verstehen, die auf das je-   senschaftliche Neuerung begründen.                        Uwe Hasebrink.
 ihren verschiedenen Rollen als Reviewer, Gutach-         weils aktualisierte Handlungsfeld mitsamt seinen

 14                                                                                          Medienumgebungen     Medienumgebungen                                                                                     15
be acknowledged to be Uwe Hasebrink and Jutta             of factor analysis that enables researchers to find        News media as we know them do not hold great ap-

   Beyond News as                                        Popp’s 2006 Communications article “Media Reper-
                                                         toires as a Result of Selective Media Use”. Although
                                                                                                                   patterns in qualitative data.                              peal for these youngsters despite the efforts exer-
                                                                                                                                                                              cised by both public service providers and private

   We Know It                                            the concept had been scantily used since the 1990s,
                                                         Hasebrink & Popp were the first to provide it with a
                                                                                                                   We found that young Danes’ preferred information
                                                                                                                   sources across media types that can be mapped as
                                                                                                                                                                              news media to engage them. They tell us that they
                                                                                                                                                                              would like the news media to become more enter-
                                                         solid theoretical foundation and a systematic meth-       five information media repertoires. Across reper-          taining and more relevant to the concerns of their
                                                         odological operationalization. They urged audience        toires, Facebook can be seen as an information hub,        lifeworld. At the same time, they do not want the

   Young People’s                                        researchers to study the ways in which “media users
                                                         combine different media contacts into a compre-
                                                                                                                   and is thus not distinctive for any repertoire.            news media to abandon that which gives them au-
                                                                                                                                                                              thority and credibility.
   Cross-Media                                           hensive pattern of exposure”, and to focus on the         (1) Online traditionalists: Besides Facebook these
                                                         ways in which “people combine contacts with differ-       young people mainly use traditional news media such        It won’t be an easy task for news organizations to
   Information                                           ent media and different kinds of content”.                as newspapers, broadcasters’ online news, and local        solve this paradox, while remaining crucial vehicles

   Repertoires                                           By insisting that the media people use should not
                                                                                                                   TV news. They do not seek depth or background, but
                                                                                                                   prefer short-form media like tabloids, Facebook and
                                                                                                                                                                              of democratic participation.

                                                         just be seen as pearls on a string, but as a patterned    Instagram.
                                                         relational complex that jointly serves their individual
                                                         and sociocultural needs, the repertoire perspective       (2) Depth-seeking audiophiles: What really stands
These days, any published work on news audienc-          advanced our understanding of people’s navigational       out with this group of young people is information
es’ experiences in particular and media audience         and sense-making practices in an increasingly me-         sources such as podcasts, radio news and radio cur-
sense-making in general is likely to pay tribute to or   dia-saturated world. It thus provided a new platform      rent affairs, mixing short and more serious formats,
even to frame its area of study by reference to the      for evaluating the democratic implications of peo-        supplemented by national television news.
concepts of “cross-media” and “repertoire”. These        ple’s individual appropriation of the entire media en-
concepts originated in the increasing acknowledge-       semble, rather than just their engagement with print      (3) Digital news-seekers: The key information sourc-
ment over the last 10-15 years—based on a non-media      or audiovisual journalism.                                es for this group are four types of algorithmic media
centric, life-world premise, heightened by processes                                                               (YouTube, search engines, memes, Facebook). Na-
of digitalization and convergence—that crossmedi-        Against this background, Hasebrink & Hepp’s 2017          tional television news is used to keep up with main-
ality is a necessary lens for understanding media us-    article can be seen as a theoretical elaboration,         stream current affairs.
ers’ navigation in the everyday media universe they      which provided a more solid sociological anchorage
inhabit, with respect to media technologies, media       for repertoires by embedding them heuristically into      (4) Interpersonal networkers: Both strong interper-
types, and media content. One scholar claimed that       the concept of “communicative figurations”, as a          sonal ties (family, friends) and the weaker ties of col-
media audiences are and always have been inherent-       theoretical and methodological recipe for exploring       leagues and acquaintances are important sources
ly cross-media.                                          transforming communications in times of deep medi-        for information on what’s going on in society. These
                                                         atization (Hepp et al. 2018). For many, the repertoire    young people’s connection to mainstream agendas is
Before the concept of repertoire became common           concept has, therefore, become an indispensible           incidental and fragile. They also engage with socio-          Kim Schrøder is professor of Communi-
currency for audience researchers, analyses of au-       conceptual tool.                                          cultural matters through television series.                   cation, Roskilde University, Denmark. His
dience practices would rely on a range of related                                                                                                                                scholarly friendship with Uwe Hasebrink
metaphorical concepts, talking for instance about        One case in point is the recent qualitative study of      (5) Non-news information seekers: This group seeks            was particularly intense during their
people’s changeable, crossmedia “portfolios”, or         young people’s cross-media information repertoires        socioculturally relevant information indirectly,              participation in the COST network “Trans-
“constellations”, or “diets”, of (news) media that ha-   which I carried out with three colleagues (Peters et      through written fiction, satire, memes, social media          forming Audiences – Transforming So-
                                                                                                                                                                                 cieties” 2010 – 2014 and he will remember
bitually or erratically serve their information needs    al. 2021). In this study we presented 24 young peo-       and local/regional television news.
                                                                                                                                                                                 fondly how as co-editors of a chapter for
in everyday life.                                        ple aged 18-24 with 36 different “information media”
                                                                                                                                                                                 a COST Action anthology they struggled to
                                                         types, which (based on a pilot study) included a va-      Across the five types, social media are central to
                                                                                                                                                                                 make the contributions of multiple coau-
At the time of writing, the standard scholarly ref-      riety of information sources: 1) traditional print and    these young people’s connection to society’s infor-           thors publishable as one coherent piece.
erence to the centrality of the repertoire concept       broadcast news media; 2) social media; 3) interper-       mation universe, as a result of the seamless inter-
has become Hasebrink & Hepp’s 2017 Convergence           sonal information sources (family, colleagues); 4)        relation in their newsfeeds between close, interper-
article. However, the seminal publication that           non-news media (satire, television series, influenc-      sonal news, and public, socially relevant news, which
sowed the seeds of the repertoire plant should           ers, etc.). The analysis used Q-methodology—a form        appear as a colorful and chaotic mixture.

16                                                                                           Medienumgebungen      Medienumgebungen                                                                                          17
verschiedenen Lebensphasen die Relevanz bestimm-         wenn sich herausstellt, dass sie entsprechend ihrer

   Was die Leute                                        „thematische Interessen“ und „gruppenbezogene
                                                        Bedürfnisse“ bis zu „individuellen Problemlösungsbe-
                                                                                                                  ter Bedürfnisse relational verschiebt, was sich wie-
                                                                                                                  derrum in unterschiedlichen Mediennutzungsmus-
                                                                                                                                                                           Namensgeber eine ähnliche Standfestigkeit aufwei-
                                                                                                                                                                           sen und „alle Zeiten“ überstehen. Das Potenzial haben

   so alles                                             dürfnissen“ nach oben hin zuspitzt. Die Informations-
                                                        bedürfnisse lassen sich jeweils idealtypisch mit einem
                                                                                                                  tern äußert. Während in der Jugend aufgrund von
                                                                                                                  Herausforderungen der Identitätsbildung gruppen-
                                                                                                                                                                           sie.

   interessiert...:                                     Publikumskonzept – vom dispersen Massenpublikum
                                                        bis zu adressierbaren Einzelpersonen – und primären
                                                                                                                  bezogene Bedürfnisse im Vordergrund stehen, über-
                                                                                                                  nehmen im anschließenden Stadium der Ausbildung
                                                        Medientypen – von Massenmedien bis zu individuali-        bestimmte Themeninteressen die Vorrangstellung.
                                                        sierten Kommunikationsdiensten – verbinden.               In der fortgeschrittenen Phase von Beruf und Familie

   Mediennutzung leicht                                 Soweit so gut; der eigentliche Clou wird jedoch in der
                                                                                                                  stellt sich hingegen ein gewisser „Settle-Down-Ef-
                                                                                                                  fekt“ ein, der sich wiederum in einer Zunahme unge-
   erklärt                                              sich entfaltenden Überzeugungskraft deutlich, wenn        richteter Informationsbedürfnisse zu Zwecken des
                                                        die Systematik auf gesellschaftliche und individuelle     allgemeinen Mitredenkönnens niederschlägt. Mit die-
                                                        Entwicklungen im Zeitverlauf angewandt wird. Wäh-         sem Narrativ wird plausibel, dass soziale Medien mit
                                                        rend bis in die 80er Jahre ungerichtete Informati-        ihrer Ausrichtung auf gruppenspezifische Interes-
                                                        onsbedürfnisse und Massenmedien die Gesellschaft          sen insbesondere in der Jugend eine große Relevanz
                                                        prägten, zeigte sich in den 90er Jahren mit der Ent-      besitzen, während klassische nachrichtliche Infor-
Die Medienpraxis hat durchaus ein Interesse an          wicklung von spezifischer ausgerichteten Spartenan-       mationsangebote eher von Älteren genutzt werden.
dem, was die Kommunikationswissenschaft stetig          geboten in Rundfunk und Presse eine verstärkte Aus-       Selbstredend schließt sich beides nicht wechselsei-
an Erkenntnissen gewinnt. Im Gegensatz zum wis-         richtung an themenspezifischen Interessen. Damit          tig aus, aber die Gewichtung der entsprechenden Be-
senschaftlichen Zugang zu neuem Wissen ist die          sind Medienangebote und gesellschaftliche Interes-        dürfnisebenen ist in verschiedenen Lebensphasen in
Außenwelt jedoch meist auf der Suche nach kurzen        sen nicht mehr nur auf ein allgemeines Publikum aus-      der Tendenz eben unterschiedlich. Momentan sind es
Antworten und einfachen Erklärungen. Nun gestaltet      gelegt, sondern themenspezifische Interessen und          soziale Medien, die die Funktion der Erfüllung grup-
                                                                                                                                                                              Sascha Hölig ist Senior Researcher im
sich die Mediennutzungsrealität in der Regel nicht      Angebote bekommen im Verhältnis ein größeres Ge-          penbezogener Informationsbedürfnisse – auch, ohne           Bereich Mediennutzung am HBI und gibt
nur nicht ganz so einfach – dass zum Beispiel älte-     wicht als bisher. Aktuell verschiebt sich der Dreiklang   den Inhalten notwendigerweise blind zu vertrauen,           sein Bestes, um Uwe Hasebrinks Erbe zu
re Menschen sich nur mittels Fernsehen, Radio und       aus Bedürfnis, Publikum und Medienangebot nicht           – am besten realisieren und daher insbesondere bei          vermehren.
Zeitungen informieren, während jüngere ausschließ-      mehr nur von ungerichteten Informationsbedürfnis-         jungen Menschen hoch im Kurs stehen. Und es ist
lich in sozialen Medien unterwegs sind –, sondern sie   sen in Richtung thematischer Interessen, sondern          nun auch kein neues Phänomen, dass sich die Ju-
kann mitunter sogar recht widersprüchlich sein. Man     mit Zunahme gruppenbezogener Bedürfnisse und              gend in der Regel nicht übermäßig für das allgemeine
denke zum Beispiel an die enorme Verbreitung eben       individueller Problemlösungen weiter gen Dreiecks-        Nachrichtengeschehen interessiert. Doch auch die
dieser sozialen Medien bei gleichzeitig geringem Ver-   spitze. Diese Gewichtsverschiebung ist auf Ebene          relative Relevanz der Informationsbedürfnisebenen
trauen, welches ihnen entgegengebracht wird.            der Gesamtgesellschaft intuitiv nachvollziehbar und       heutiger Jugendlicher wird sich im Zuge individueller
                                                        lässt sich mit der steigenden Relevanz sozialer Medi-     Lebensphasen verschieben und damit auch die zu-
An solchen Stellen wäre es hilfreich, über eine Heu-    en und individueller Abrufdienste bei gleichzeitigem      sammengestellten Medienrepertoires.
ristik zu verfügen, die in der Lage ist, empirische     Rückgang der Nutzung traditioneller Massenmedien
Erkenntnisse in ihrer Komplexität zu reduzieren und     in Einklang bringen. Wie gesagt: Wir reden von einer      Bisher wurden die Verschiebungen der Bedürfnise-
dabei auch noch intuitiv nachvollziehbar einzuord-      Gewichtsverschiebung der Bedürfnis- und Angebots-         benen und ihre Folgen für die Mediennutzung noch
nen. Wie es der glückliche Umstand wollte, legte Uwe    ebenen innerhalb der Repertoires, nicht von einem         nicht für die aufregende Zeit nach der aktiven Berufs-
Hasebrink Anfang der 2010er Jahre mit seinen „In-       Verschwinden.                                             ausübung skizziert. Wir dürfen gespannt sein, wie die
formationsdreiecken“ genau solch ein Schema vor.                                                                  bereits entwickelten Lebensphasen-Dreiecke durch
Ausgehend von zwei zentralen Ansätzen der Kom-          Doch nicht nur in gesamtgesellschaftlich historischer     weitere ergänzt werden…
munikationswissenschaft – dem Information Seeking       Perspektive kann diese Sortierung auch Fachfremde
und dem Uses & Gratification Approach – entwickelt er   für sich gewinnen. Sie überzeugt v. a. mit Blick auf      Übrigens hießen die Bedürfnisdreiecke anfänglich
eine stufenweise Klassifikation von personenbezoge-     eine der zentralen Variablen der Mediennutzungs-          „Bedürfnispyramiden“. Aufgrund der fehlenden drit-
nen Informationsbedürfnissen, die auf der Basisstufe    forschung: das Alter bzw. hierdurch repräsentierte        ten graphischen Dimension sind aus den Pyramiden
mit „ungerichteten Informationsbedürfnissen“ zur all-   Lebensabschnitte. So kann mit einer beeindrucken-         später Dreiecke geworden. Wer weiß, vielleicht wer-
gemeinen Umweltbeobachtung beginnt und sich über        den Plausibilität verdeutlicht werden, dass sich mit      den aus den Dreiecken ja doch wieder Pyramiden,

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In seiner eigenen Forschung sind es dabei insbe-        stimmen und zu analysieren, inwieweit sich Muster
                                                                                                                sondere zwei kommunikative Figurationen, die ihn        ihrer Transformation abzeichnen – und welche Rolle
                                                                                                                besonders beschäftigen: die der Familie und die der     dabei das sich verändernde Medienensemble von
                                                                                                                Öffentlichkeit. Fasst man als Familie die in einem      Öffentlichkeiten insgesamt spielt. Einmal mehr wird
                                                                                                                Haushalt lebenden Menschen, so zeigt sich, dass         an dieser Stelle also die Verbindung von Nutzungs-
                                                                                                                sich mit der Individualisierung deren Akteurskon-       forschung und Forschung zu gesellschaftlicher Me-
                                                                                                                stellation in den letzten Jahren auch unabhängig        dienwirkung deutlich: Es geht nicht einfach darum,
                                                                                                                von Medien deutlich verändert hat: Was als Familie      individuelle Nutzungsmuster zu rekonstruieren,
                                                                                                                gelebt wird, ist sehr vielfältig geworden. Insgesamt    sondern deren Bestimmung als Teil der Forschung
                                                                                                                wird dabei Familie kommunikativ hergestellt (Hase-      zur Transformation von öffentlicher Kommunikation
Kommunikative Figurationen als Konzept                                                                          brink 2014), nicht nur durch Vergemeinschaftung,        insgesamt zu begreifen. Auch hier zählt also einmal
                                                                                                                beispielsweise in der gemeinsamen Mediennutzung,        mehr ein empirisch informierter Blick auf Relationa-
                                                                                                                sondern auch durch Kommunikation zu Familien-           lität und Prozesse der Transformation.
                                                                                                                organisation, Terminen und Planung. Deutlich wird
Wie man Mediennutzungsforschung mit der Analyse                                                                 daneben, wie sich das Medienensemble der Familie
                                                                                                                verändert hat, indem nicht nur Eltern, sondern auch
gesellschaftlicher Medienwirkungen verbindet                                                                    Kinder zunehmend früh über Computer, Smartpho-
                                                                                                                ne, Spielkonsole und andere digitale Medien ver-
In einem einführenden Kapitel in die Thematik hat       so man verschiedene soziale Domänen vergleichend        fügen. Viele heutige Familien sind „always on“, und
Uwe Hasebrink die Forschung zu Mediennutzung und        erforschen und dies auch in eine Beschreibung der       es lässt sich zeigen, wie sich damit die Herstellung
Medienwirkung wie folgt in einen Zusammenhang           Veränderung von Gesellschaft mit dem Medien- und        von Bindung in Familien verändert, wie das Aushan-

                                                                                                                                                                                                                         © Beate C. Koehler
gestellt: „Medien wirken, wenn unter Wirkung die        Kommunikationswandel einordnen möchte. Genau            deln von Regeln in Familien zunehmend ebenfalls
gegenseitige Beziehung zwischen Medienangebo-           dies bietet das begriffliche Werkzeug der kommu-        ein Aushandeln von medienbezogenen Regeln ist,
ten und Rezipienten im Sinne einer wechselseitigen      nikativen Figurationen, dessen Entwicklung Uwe          sich Machtverhältnisse in Familien verschieben,
Beeinflussung verstanden wird, im Zuge derer sich       Hasebrink sich in den letzten Jahren zusammen mit       wenn kommunikative Vernetzung und der Zugang
alle Beteiligten selbst verändern“ (Hasebrink 2002b:    anderen gewidmet hat. Eine kommunikative Figu-          zu bestimmten Informationen nicht mehr so einfach
374). Uwe Hasebrink formuliert damit Grundge-           ration – bspw. Familie, Gruppe, Organisation oder       durch die Eltern reglementiert werden können – Ver-
danken eines relationalen und prozessorientierten       Öffentlichkeit – zeichnet sich dadurch aus, dass die    änderungen, die für „den größten Teil der Eltern […]
Vorgehens: Sieht man Medienwirkung in einem ge-         Akteur:innen in dieser Figuration einen bestimmten      ambivalent“ (Hasebrink 2014: 237) sind.
sellschaftstheoretischen Rahmen, so geht es nicht       Relevanzrahmen teilen, der ihr Handeln orientiert,
um einen einseitigen kausalen Wirkzusammenhang,         dass diese Figuration eine charakteristische Akteurs-   Eine zweite kommunikative Figuration, mit der sich
sondern um sich verändernde Wechselverhältnis-          konstellation hat, und die Praktiken, über die sich     Uwe Hasebrink intensiv – momentan auch in einem            Andreas Hepp, Professor für Kommunika-
se, in denen den Nutzer:innen eine aktive Rolle zu-     diese Figuration konstituiert, eng mit einem Medien-    DFG-Projekt – auseinandersetzt, ist die der Öffent-        tions- und Medienwissenschaft am ZeMKI,
kommt und sich auch das, was wir Medien nennen,         ensemble verwoben sind. Figurationen und deren          lichkeit, oder konkreter: der Einbindung von Men-          Universität Bremen, forscht seit 2011
selbst verändert. Und wir können dieses Wechsel-        Veränderung mit dem Medienwandel zu erforschen,         schen durch ihre Mediennutzung in verschiedene Öf-         zunehmend eng mit Uwe Hasebrink zusam-
verhältnis nur dann angemessen fassen, wenn wir es      setzt genau bei dem von Uwe Hasebrink geforderten       fentlichkeiten. Entscheidend für die Einbindung von        men. Er schätzt an ihm besonders, dass
in seiner Prozessualität sehen.                         Zugang an: Es gestattet, Wechselverhältnisse zwi-       Menschen in Öffentlichkeiten sind aus individueller        er am Ende einer Diskussion eine Matrix,
                                                        schen Menschen zu erforschen, deren Veränderung         Sicht „öffentlichkeitsbezogene Kommunikations-             ein Schaubild oder eine Visualisierung aus
Diese Betonung von Relationalität und Prozesshaf-       mit dem Medienhandeln im Zeitverlauf zu beschrei-       repertoires“ (Hasebrink 2015: 43): die Repertoires         der Tasche ziehen kann, die nicht nur alle
                                                                                                                                                                           Ideen systematisiert, sondern sie auch den
tigkeit sind für sich genommen schon eine wichtige      ben und dabei verschiedene soziale Domänen in ih-       von Medien und auch der direkten Kommunikation
                                                                                                                                                                           entscheidenden Schritt weiterbringt.
Erweiterung der Forschung von Mediennutzung und         rer Transformation über eine Gesellschaft hinweg zu     mit Anderen, über die Menschen ihre Vorstellungen
Medienwirkung. Geht man diesen Schritt, steht man       vergleichen. Insofern verbindet es die Anliegen einer   der eigenen Mitgliedschaft in dispersen Publika aktu-
aber zusätzlich vor der großen Herausforderung,         medienübergreifenden Nutzungsforschung, wie sie         alisieren, sie sich gemeinsam bestimmten medien-
dafür eine geeignete konzeptionelle Basis zu entwi-     Uwe Hasebrink mit seinen Konzepten des Medien-          vermittelten Angeboten und öffentlich behandelten
ckeln, die sowohl anschlussfähig ist für die Operati-   repertoires und Medienensembles immer betreibt,         Themen zuwenden. Aus Sicht der empirischen Me-
onalisierung in der empirischen Forschung als auch      mit denen der gesellschaftlichen Medienwirkung,         diennutzungsforschung geht es nun darum, solche
Rückbezüge zur Gesellschaftsanalyse ermöglicht,         die sein zweites großes Interesse ist.                  verschiedenen Kommunikationsrepertoires zu be-

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