Skriptum - Teil 2 - Kantonsspital St.Gallen

 
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Skriptum - Teil 2 - Kantonsspital St.Gallen
RECHTSMEDIZIN
                     Skriptum - Teil 2
                    13. überarbeitete Version 2010

Prof. Dr. med. Thomas Sigrist
mit Beiträgen von

Dr. med. Ursula Germann
Dr. med. Daniel Eisenhart

                                                    für
                                   Ärztinnen und Ärzte
                                Juristinnen und Juristen
                               Polizistinnen und Polizisten
                                   Download der aktuellen Version unter:
                                         www.irmsg.ch

                                  Institut für Rechtsmedizin
                                   Kantonsspital St.Gallen
Skriptum Rechtsmedizin, Teil 2
Institut für Rechtsmedizin St.Gallen                                                        Th. Sigrist, U. Germann & D. Eisenhart

                                                   Inhaltsübersicht:
3.       Verkehrsunfall
          Fussgänger
          Fahrzeug-Insassen
          Zweiradfahrer
          Suizid im Strassenverkehr
4.       Fahrfähigkeit
          Fahrunfähigkeit wegen Alkoholwirkung (FiaZ)
          Fahrunfähigkeit wegen Drogenwirkung (FuD)
          Fahrunfähigkeit wegen Medikamenten (FuM)
5.        Betäubungsmittel / Drogentod
6.        Identifikation
7.       Schädigung von lebenden Personen
          Misshandlung
          Selbstbeschädigung
8.       Handlungen mit sexuellem Inhalt
          Sexualdelikt
          Autoerotische Handlung mit Todesfolge
9.        DNA-Untersuchung / DNA-Profil

Danksagung:
Wir möchten uns an dieser Stelle bei Frau Esther Hochreutener ganz herzlich bedanken für die
speditiven und sorgfältigen Schreibarbeiten bei der Erstellung dieses Skriptum.

Haftungshinweis
Dieses Skript dient ausschliesslich der allgemeinen Information. Das Kantonsspital St.Gallen übernimmt keine Haftung für Richtig-
keit, Vollständigkeit und Aktualität der Informationen in diesem Skript; diese stellen insbesondere keine rechtsverbindliche Auskunft
des Kantonsspitals St.Gallen dar. Werden aufgrund dieser Informationen dennoch Dispositionen getroffen, erfolgt dies auf eigene
Verantwortung. Das Kantonsspital St.Gallen übernimmt insbesondere keine Haftung für direkte oder indirekte Schäden materieller
oder ideeller Art, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der Informationen bzw. durch die Nutzung fehlerhafter und unvollständi-
ger Informationen in diesem Skript verursacht werden.

Urheberrecht
Für den privaten Gebrauch ist die Weiterverwendung mit vollständiger Quellenangabe erlaubt. Jede andere Verwendung, insbe-
sondere das vollständige oder teilweise Reproduzieren in elektronischer oder gedruckter Form für kommerzielle oder nicht-
kommerzielle Zwecke, ist nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung des Kantonspitals St.Gallen gestattet.

Medizinische und forensische Sachverhalte
Sofern dieses Skript medizinische resp. forensische Sachverhalte enthält, dienen sie ausschliesslich Informationszwecken; sie
ersetzen eine persönliche Beratung, Betreuung oder Behandlung durch Fachpersonen keinesfalls. Wenn Sie an gesundheitlichen
Beschwerden leiden, wenden Sie sich bitte an einen Arzt. Wenn Sie Opfer einer deliktischen Handlung (z.B. Misshandlung, Sexu-
aldelikt usw.) sind, empfehlen wir Ihnen, sich an die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die kantonale Opferhilfestelle oder die Soforthil-
fe am Kantonsspital in St.Gallen zu wenden.

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                                                Inhaltsverzeichnis

3.          "Verkehrsunfall" ..........................................................................................................6
3.1.             Zum Begrifflichen .................................................................................................6
3.2.             Physikalische Aspekte .........................................................................................6
3.3.             Fussgänger ..........................................................................................................7
3.3.1.           Zur Kollisionsdynamik ..........................................................................................7
3.3.2.           Zur Rekonstruktion der Kollisionsdynamik ............................................................8
3.3.3.           Zur Schätzung der Kollisionsgeschwindigkeit .......................................................8
3.3.4.           Überfahren / Überrollen ........................................................................................9
3.4.             Fahrzeug-Insassen ..............................................................................................9
3.4.1.           Zur Kollisionsdynamik ..........................................................................................9
3.4.2.           Passive Sicherheit: Sicherheitsgurt, Airbag ........................................................ 10
3.4.3.           Frage der Sitzposition ........................................................................................ 10
3.4.4.           Fahrfähigkeit ...................................................................................................... 10
3.4.5.           "Heckkollision" und "HWS-Schleudertrauma" ..................................................... 11
3.5.             Zweiradfahrer (Velo, Mofa, Motorrad)................................................................. 11
3.5.1.           Zur Kollisionsdynamik / Kollisionsgeometrie ....................................................... 12
3.5.2.           Besondere Verletzungen .................................................................................... 12
3.5.3.           Nachweis eines getragenen Schutzhelms .......................................................... 12
3.6.             Suizid im Strassenverkehr.................................................................................. 12

4.       "Fahrfähigkeit" / FiaZ / FuD / FuM ............................................................................ 14
4.1.          Allgemeines / Einschränkung ............................................................................. 14
4.1.1.        Gesetzliche Grundlagen (SVG) .......................................................................... 14
4.1.2.        "Leistungsfähigkeit" / "Fahrunfähigkeit" .............................................................. 14
4.2.          Fahrunfähigkeit wegen Alkoholwirkung (FiaZ) .................................................... 15
4.2.1.        Alkoholstoffwechsel............................................................................................ 16
4.2.2.        Berechnung der BAK (WIDMARK-Formel) ......................................................... 16
4.2.3.        Blutalkohol-Kurve ............................................................................................... 16
4.2.4.        Auswirkungen der Alkoholisierung (= akute Wirkungen) ..................................... 17
4.2.5.        Gerichtliche Feststellung der Angetrunkenheit ................................................... 17
4.2.6.        Einige Besonderheiten ....................................................................................... 19
4.2.6.1.      Nachtrunk .......................................................................................................... 19
4.2.6.2.      Blutproben-Verwechslung .................................................................................. 19
4.2.6.3.      Blutentnahme an der Leiche .............................................................................. 19
4.3.          Fahrunfähigkeit wegen Drogenwirkung (FuD) ................................................... 19
4.3.1.        Grundlagen ........................................................................................................ 19
4.3.2.        Aufgaben der Polizei .......................................................................................... 20
4.3.3.        Warum eine Blut- und eine Urinprobe? .............................................................. 20
4.3.4.        Chemische Analyse / Begutachtung der Fahrfähigkeit ....................................... 21
4.4.          Fahrunfähigkeit wegen Medikamenten (FuM) .................................................... 21

5.          Betäubungsmittel / Drogentod ................................................................................. 22
5.1.             Allgemeines ....................................................................................................... 22
5.1.1.           Zum Begrifflichen ............................................................................................... 22
5.1.2.           Bezug zum Recht ............................................................................................... 22
5.1.3.           Zur Systematik ................................................................................................... 23
5.2.             Opiate (Morphin, Heroin) ................................................................................... 23
5.2.1.           Morphin, Heroin ................................................................................................. 23
5.2.2.           Opioide .............................................................................................................. 24
5.3.             Weitere Betäubungsmittel (Schnüffelstoffe)........................................................ 24
5.4.             GHB / GBL / BD ................................................................................................. 24
5.4.1.           KO-Mittel (KO-Tropfen) ..................................................................................... 25
5.5.             Cannabinoide ..................................................................................................... 25

                                                                                                                           Seite 3 von 55
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5.5.1.             Spice .................................................................................................................. 26
5.6.               Halluzinogene .................................................................................................... 26
5.6.1.             LSD (Lysergsäurediethylamid, "Acid") ................................................................ 26
5.6.2.             Mescalin / Psilocybin, Psilocin ............................................................................ 27
5.6.3.             DMT, DET ......................................................................................................... 27
5.6.4.             Tropan-Alkaloide ................................................................................................ 27
5.7.               Kokain ................................................................................................................ 28
5.8.               Amphetamine ..................................................................................................... 29
5.8.1.             Kath (Catha edulis) ............................................................................................ 29
5.9.               Designer-Amphetamine ..................................................................................... 29
5.10.              Synthetische Amphetamine................................................................................ 30
5.11.              Drogenhandel, Bodypacking ............................................................................. 31
5.12.              Drogennachweis ................................................................................................ 31
5.13.              "Drogentod"........................................................................................................ 32

6.         Identifikation .............................................................................................................. 33
6.1.             Möglichkeiten der Identifizierung ........................................................................ 33
6.2.             Allgemeine Hinweise .......................................................................................... 34
6.3.             Identifizierende Hinweise ................................................................................... 34
6.4.             Identifizierende Beweise .................................................................................... 35
6.4.1.           Papillarlinienmuster / Daktyloskopie ................................................................... 35
6.4.2.           Iris-Scanning ...................................................................................................... 35
6.4.3.           Gebiss-Merkmale / Odontologie ......................................................................... 35
6.4.4.           DNA-Erbmerkmale (DNA-Profil) ......................................................................... 35

7.         Schädigung von lebenden Personen ....................................................................... 37
7.1.           Misshandlung ..................................................................................................... 37
7.1.1.         Arten der Misshandlung (körperlich, seelisch, sexuell) ....................................... 37
7.1.2.         Täter / Opfer....................................................................................................... 37
7.1.3.         Untersuchungsziel.............................................................................................. 37
7.1.4.         Massnahmen ..................................................................................................... 38
7.1.5.         Beurteilung / Interpretation ................................................................................. 38
7.2.           Spezialfälle ........................................................................................................ 39
7.2.1.         Misshandlung von Kindern (Jugendlichen) ......................................................... 39
7.2.2.         Misshandlung von Kleinkindern, Säuglingen ...................................................... 39
7.2.3.         Folter.................................................................................................................. 40
7.2.4.         Überlebte Strangulation (Untersuchung) ............................................................ 40
7.3.           Selbstschädigung ............................................................................................... 41
7.3.1.         Ausgangssituation .............................................................................................. 41

8.         Handlungen mit sexuellem Inhalt............................................................................. 44
8.1.           Sexualdelikt........................................................................................................ 44
8.1.1.         Rechtliche Bezüge ( Art. 187ff StGB) .............................................................. 44
8.1.2.         Ziel und Zweck der Untersuchung ...................................................................... 44
8.1.3.         Inhalt der Untersuchung ..................................................................................... 45
8.2.           Autoerotische Handlung mit Todesfolge (= autoerotischer Unfall) ...................... 45

9.         DNA-Untersuchung / DNA-Profil .............................................................................. 47
9.1.           Grundlagen ........................................................................................................ 47
9.2.           Forensische Anwendung des DNA-Profils .......................................................... 47
9.2.1.         Vergleichsmöglichkeiten .................................................................................... 48
9.2.2.         Chancen und Gefahren / Folgerungen ............................................................... 48
9.3.           DNA in der biologischen Spurenkunde ............................................................... 49
9.3.1.         Verschiedene Spurenarten / mögliche Vorkommen............................................ 49
9.3.2.         Zur Asservierung von biologischen Spuren ........................................................ 50
9.3.3.         Schweizerische DNA-Datenbank ....................................................................... 51

                                                                                                                              Seite 4 von 55
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9.4.               Feststellung der biologischen Abstammung (das Paternitäts-Gutachten) ........... 51
9.4.1.             Ausgangssituation .............................................................................................. 51
9.4.2.             Frühere Verfahren der Vaterschaftsfeststellung ................................................. 51
9.4.3.             Der DNA-Test für die Vaterschafts-Feststellung ................................................. 52
9.4.4.             Vorgehen bei der Vaterschaftsabklärung ........................................................... 53
9.4.5.             Ausschluss - Einschluss ..................................................................................... 53
9.5.               Biostatistische Berechnung (Anwendung in Erbbiologie und Spurenkunde) ....... 54

                                                                                                                       Seite 5 von 55
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3.             "Verkehrsunfall"

3.1.           Zum Begrifflichen

Bei einem Schadensereignis auf der Strasse erleiden die Beteiligten -        "Verkehrsunfall" ist
Fussgänger, Fahrzeuginsassen, Zweiradlenker usw. – Verletzungen mit          grundsätzlich ein
                                                                             Schadensereignis auf
den morphologischen Kennzeichen der "stumpfen Gewalt" und weniger            der Strasse. Zunächst
der "scharfen Gewalt" (siehe entsprechende Schadensarten, Teil 1).           noch offen, ob "Unfall"
                                                                             oder "Suizid" oder
Als Ereignisart kommt in erster Linien ein "Unfallgeschehen" in Frage,       "gezielte Tötung" oder
                                                                             "Tod am Steuer" )aus
grundsätzlich aber auch eine "Selbsthandlung" oder ein "Delikt". Daher       natürlicher Ursache)
ist der Begriff "Verkehrsunfall" eigentlich nicht korrekt (aber sehr ge-     vorliegt.
bräuchlich). Bei der Fallbearbeitung daher grundsätzlich nicht nur an
"Unfall" denken, sondern immer auch erwägen, dass Suizid oder gezielte       ( D U S)
Tötung auf der Strasse vorliegen könnte.

3.2.           Physikalische Aspekte

Nicht die Geschwindigkeit als solche schädigt, sondern die Änderung          Entscheidend für
einer Geschwindigkeit in der Zeit - also die Beschleunigung (z.B. Fuss-      Schädigung ist Ände-
                                                                             rung der Geschwindig-
gänger) resp. die Verzögerung (z.B. Fahrzeug-Insassen).                      keit (Beschleunigung /
                                                                             Verzögerung) innerhalb
                                                                             der verfügbaren Stre-
                                                                             cke.

Bei einer Beschleunigung bzw. Verzögerung von ca. 40g (= biologischer
Grenzwert / g = Erdbeschleunigung) ist mit schweren, ev. tödlichen Ver-             MERKE
letzungen zu rechnen.

Die Geschwindigkeitsänderung erfolgt innerhalb einer bestimmten Stre-        Je kürzer Beschleuni-
cke (Beschleunigungsweg / Bremsweg). Daraus folgt:                           gungs- resp. Verzöge-
                                                                             rungsweg, umso grös-
    Je kürzer der Bremsweg ist, um so grösser ist die Verzögerung resp.     ser die Verletzungs-
                                                                             schwere und umge-
     die Verletzungsschwere und umgekehrt (gilt z.B. für Fahrzeuginsas-      kehrt.
     sen).
    Je kürzer der Beschleunigungsweg ist, um so höher ist die Be-
     schleunigung und die dadurch bedingte Verletzungsschwere - und
     umgekehrt (gilt z.B. für Fussgänger).

Einer der wesentlichen Faktoren für die Entstehung (oder Minimierung
bzw. Verhinderung) von Verletzungen ist der im Kollisionsablauf zur Ver-            MERKE
fügung stehende Beschleunigungs- bzw. Verzögerungsweg.

Beispiele:
    Ein Fussgänger wird durch Anfahren eines PWs mit einer harten
     hochgezogenen Front schwerer verletzt, als durch einen PW mit ei-
     ner weichen, niedrigen Front und langer, eindrückbarer Motorhaube.

                                                                                       Seite 6 von 55
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    Ein angegurteter PW-Insasse wird geringer verletzt, weil er den ge-
     samten Verzögerungsweg des kollidierenden Autos mitmacht als ein
     nicht angegurteter Insasse, der auf das Lenkrad des schon abge-
     bremsten Fahrzeugs prallt.

Aufgrund der vergleichbaren Fragestellungen bei den, am schädigenden              Je nach Ereignis-
Ereignis beteiligten Personen unterschiedet man zweckmässigerweise                Beteiligten wird unter-
                                                                                  schieden:
folgende 3 Gruppen:                                                               - Fussgänger
                                                                                  - Fahrzeuginsassen
 Fussgänger                     ( Kap. 3.3.)                                    - Zweiradfahrer
 Fahrzeuginsassen               ( Kap. 3.4.)
 Zweiradfahrer                  ( Kap. 3.5.)

3.3.           Fussgänger

Für die straf-, zivil- und evtl. administratrivrechtliche Beurteilung des Fal-    Im Rahmen der rechtli-
les stellen sich i.d.R. folgende Fragen:                                          chen Fallbearbeitung
                                                                                  stellen sich Fragen:
1.    Art und Schwere der Verletzungen                                               Verletzungsart und
2.    Todesursache                                                                    -schwere?
3.    Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Verletzungen bzw.                     Todesursache?
      Todeseintritt
                                                                                     Kausalität?
4.    Angefahren: Ja/Nein / gehend oder stehend / von welcher Seite
5.    Überfahren: Ja/Nein / lebend oder bereits tot                                  Ereignisrekonstruk-
6.    Anprallgeschwindigkeit                                                          tion?
7.    Ein oder mehrere Fahrzeuge beteiligt                                           FiaZ, FuD ( Kapi-
8.    Fahrzeugart (bei Fahrerflucht)                                                  tel 4)
9.    Einwirkung von Alkohol, Drogen, Medikamenten (FiaZ / FuD) → Ka-
      pitel 4

Die Fragen 1-3 lassen sich anhand der exakten äusseren Inspektion und             Umfassende und exak-
mit Röntgenbildern (bei Lebenden) bzw. der Autopsie der Leiche (wie sie           te Befunderhebung
                                                                                  am Opfer (lebend od.
auch der Pathologe durchführt) klären, d.h. namentlich die Eröffnung und          verstorben) sowie am
systematische Inspektion der Kopf- Brust- und Bauchhöhle (sog. 3-                 Fahrzeug ist unerläss-
Höhlen-Autopsie)                                                                  lich für Beantwortung
                                                                                  der Fragen.
Für ereignis-rekonstruktive Fragen sind zusätzlich eine Rücken- und Ext-
remitätensektion sowie die Berücksichtigung des Schadenbildes am Un-
fallfahrzeug unerlässlich (typisch für rechtsmedizinische Arbeitsweise, im
Gegensatz zur Arbeitsweise des Pathologen, der sich in aller Regel auf
die 3-Höhlen-Autopsie beschränkt).

3.3.1.         Zur Kollisionsdynamik

Der Kollisionsablauf lässt sich in 3 Phasen aufteilen, wobei jeweils kenn-        3 Phasen des Kolli-
zeichnende Verletzungen entstehen:                                                sionsgeschehens

Anfahrphase (Anstossphase = Primärkontakt):                                       Anfahren:
                                                                                  - Stosstange
 Anprall der Stossstange am Unterschenkel  Hautmarke, Weichteil-
                                                                                  - Frontstrukturen
   quetschung, Keilbruch als Hinweis auf Anstossrichtung; typischer               - Motorhaube
   Bodenabstand.
 Anprall weiterer Frontstrukturen (Scheinwerfer, Kühlergrill, Motor-              Unterschenkelverlet-
   haubenkante) am Oberschenkel, Hüfte  Weichteilquetschungen in                 zungen
   typischen Bodenabständen.

                                                                                            Seite 7 von 55
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Aufladephase:                                                                           Aufladen:
                                                                                        - Motorhaube
 Rumpf und Kopf prallen auf Motorhaube, ev. Frontscheibe, seltener-
                                                                                        - Frontscheibe
    weise auf Dach  Weichteilkontusionen, Knochenbrüche, Organver-                     - Dachkante
    letzungen.
                                                                                         Rumpf, Kopfverlet-
                                                                                        zungen

Abwurfphase:                                                                            Abwurf:
                                                                                        - Sekundäraufprall
 Aufschlagen am Boden  Verletzungen an Kopf, Rumpf u/o Beinen,
   sehr variabel in Art und Schwere                                                      verschiedene Kör-
 Rutschen auf Boden ev. sekundäres Anstossen  unterschiedliche                        perstellen
   Verletzungen.

3.3.2.         Zur Rekonstruktion der Kollisionsdynamik

Für die Unfallrekonstruktion - namentlich die Angabe der räumlichen                     Veränderungen infolge
Verhältnisse zwischen Fussgänger und Fahrzeug im Kollisionsmoment -                     Primärkontakt sind
                                                                                        grundlegend für Re-
sind in erster Linie die Verletzungsbefunde infolge des Primärkontakts                  konstruktion der Kol-
aufschlussreich.                                                                        lisionsgeometrie.

Daher ist besonderes Augenmerk auf folgendes zur richten:                               Rekonstruktion der
                                                                                        Kollisionsgeometrie
    Bekleidung (= "äusserste Haut"): Beschmutzungen, Beschädigun-                      anhand von:
     gen Übertragung von Gummi, Lacksplitter usw.                                       - Bekleidung
                                                                                        - Beinverletzungen
    Schuhe (frische Sohlenabriebe).  Sicherstellen der im Unfallzeit-                 - Rumpf-, Kopfverlet-
     punkt getragenen Bekleidung durch die Polizei (sofort im Spital nach-                 zungen
     fragen)                                                                            - Schadenbild am
    exakte Inspektion der Beine (inkl. Röntgenbild) bei Lebenden bzw.                     Fahrzeug
     autoptische Präparation v.a. der Beine und des Rückens der Leiche
    Inspektion der übrigen Körperpartien, besonders des Kopfs (Auf-
     prall auf Motorhaube, Scheibenwischer, Frontscheibe, Fensterrah-
     men); 3-Höhlen-Sektion der Leiche
    Schadenbild an unfallbeteiligtem Fahrzeug.

3.3.3.         Zur Schätzung der Kollisionsgeschwindigkeit

Einige Besonderheiten liefern Hinweise auf die Kollisionsgeschwindigkeit                Gewisse Hinweise auf
                                                                                        die Kollisionsge-
                                                                                        schwindigkeit erge-
1. Kopfaufschlagstelle (Grobschätzung der Kollisionsgeschwindigkeit)                    ben sich aus:
    Motorhaube                       < 50km/h                                         -   Stelle des Kopfauf-
    auf Frontscheibe                 ca. 60km/h                                           pralls auf Motor-
                                                                                            haube, Frontschei-
    Oberkante Dach                   > 70km/h                                             be, Dach
                                                                                        -   Wurfweite
2. Wurfweite (sehr grobe Schätzung)                                                     -   Verletzungsschwere
    5-20m                            Wurfdistanz30-50km/h
    bis 50m                          Wurfdistanz bis 80km/h

3. Verletzungsschwere
    wenige (3%) tödliche Verletzungen                    < 25km/h
    30% tödliche Verletzungen                            25 - 50km/h
    über 90% tödliche Verletzungen                       > 50km/h
    Zerreissungen (Rumpf, Extremitäten)                  > 80-100km/h

                                                                                                  Seite 8 von 55
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3.3.4.         Überfahren / Überrollen

Begrifflich ist zu unterscheiden zwischen:                                     Bestimmte Befunde
                                                                               (Reifenprofilabdrücke,
 Überfahren: Körper zwischen Fahrbahn und Unterboden                          andere Spuren) bele-
 Überrollen: Körper durch eines oder mehrere Räder direkt überrollt           gen ein Überfahren
                                                                               bzw. ein Überrollen
                                                                               (durch eines oder meh-
Unterscheide weiterhin zwischen:
                                                                               rere Räder).
 primär: wenn Person bereits auf dem Boden liegt (lebend oder tot)
 sekundär: nach vorgängiger Kollision mit Fahrzeug

Unterscheidung an der Leiche möglich anhand der "vitalen Zeichen",             Die Gesamtheit der
sodass auch folgende Fragen geklärt werden können:                             Befunde lässt rekon-
                                                                               struieren:
 Welches Ereignis hat die tödlichen Verletzungen erzeugt (Anfahren            - primäres oder
   oder Überfahren)?                                                              sekundäres Über-
 War Person (bei anschliessendem Überfahren) noch lebend oder                    fahren(-rollen)
                                                                               - Anfahren oder
   schon tot?
                                                                                  Überfahren als Ur-
                                                                                  sache für Todes-
                                                                                  eintritt

Typische Befunde sind Abdruckspuren von Reifenprofil und/oder Unter-           Typische Befunde:
bodenstrukturen. Achte auch auf Spuren (z.B. Staub, Öl, Schutzfarbe von        - Reifenprofilabdrü-
                                                                                  cke
Unterboden) an Bekleidung bzw. Schlag-Wisch-Spuren an Fahrzeug-                - Spuren an Beklei-
Unterboden.                                                                       dung
                                                                               - Spuren an Fahr-
                                                                                  zeug-Unterboden

3.4.           Fahrzeug-Insassen

Häufige Fragen im Zusammenhang mit der rechtlichen Fallbearbeitung:            Fragen im Rahmen der
                                                                               rechtlichen Fallbearbei-
1.    Art und Schwere der Verletzungen                                         tung:
2.    Todesursache                                                             -   Verletzungsart und
3.    Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Verletzungen resp.                  -schwere?
      Todeseintritt                                                            -   Todesursache bzw.
4.    Sitzposition / Wer war Lenker                                                Kausalität?
                                                                               -   Lenker (Sitzpositi-
5.    Sicherheitsgurt getragen; Wirksamkeit / Airbag                               on)?
6.    Einwirkung von Alkohol, Drogen, Medikamenten                             -   passive Sicherheit?
      (FiaZ/FuD  Kapitel 4)                                                   -   FiaZ, FuD ( Kapi-
                                                                                   tel 4)?

3.4.1.         Zur Kollisionsdynamik

Prinzip: Alle Insassen bewegen sich in Richtung auf den Kollisionspunkt        Durch Kollisionsverzö-
zu und prallen auf davor befindliche Strukturen. Für Frontpassagiere (v.a.     gerung bewegen sich
                                                                               Insassen gegen Kolli-
Lenker) gilt bei Frontalkollision (ohne Sicherheitsgurt):                      sionspunkt. Dadurch
                                                                               entstehen Verletzun-
    Füsse, Unterschenkel in Fussaussparung  Gelenksverstauchung              gen an:
    Knie an Armaturenbrett  Knieverletzung, Hüftluxation                      Füssen
                                                                                Unterschenkeln
    Rumpf auf Lenkrad  Brustkorbbrüche / Verletzungen von Herz,               Hüfte
     Lungen, Aorta, Leber usw.                                                  Rumpf (Organe)
    Kopf in Frontscheibe  Schnittverletzungen, Schädel-Hirn-Läsionen          Kopf

                                                                                         Seite 9 von 55
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3.4.2.         Passive Sicherheit: Sicherheitsgurt, Airbag

Wirkung, Nutzen:                                                              Die wesentlichen Wir-
                                                                              kungen des Sicher-
    Rückhaltewirkung auf Sitz / Insasse kann ganzen Verzögerungsweg          heitsgurts sind:
     mitmachen  langer Verzögerungsweg  geringere Verzögerungs-             -   Rückhaltung auf
     belastung  Reduktion der Verletzungsschwere                               Sitz  reduziert
                                                                                  Verletzungsschwe-
    Insassen bleiben auf Sitzen bei Fahrzeugüberschlag  werden nicht            re
     umhergeworfen bzw. durch Türe/Fenster hinausgeschleudert (dies           -   Insassen bleiben
     wirkt meist tödlich)                                                         auf Sitzen bzw. im
    Sicherheitsgurten für Heckpassagiere: Eigener Schutz und Schutz              Innern des schüt-
                                                                                  zenden Fahrgast-
     für Frontinsassen.
                                                                                  raums (bei Über-
                                                                                  schlag)
                                                                              -   Schutz der Mitin-
                                                                                  sassen

Nachweis des getragenen Gurts:                                                Nachweis des getrage-
                                                                              nen Gurts:
    "Gurtmarke" = bandförmige Hautblutungen an Brust und Unterbauch          - Gurtmarke
     als Hinweis auf getragenen Gurt und zugleich auf Sitzposition            - Belastungsspuren
                                                                                 an Gurtsystem
    Belastungsspuren am Gurtsystem: Hitzeeffekte an Band und
     Schlossteil als Zeichen des getragenen Gurts.

Zum Nutzen eines Airbags:                                                     Airbag ergänzt die
                                                                              Wirkung des Sicher-
                                                                              heitsgurts durch Ab-
Ein Airbag dient der Verbesserung der passiven Sicherheit, ersetzt aber       fangen der vorschnel-
den Sicherheitsgurt nicht, sondern ergänzt seine Wirkung - insbesonde-        lenden Kopfbewegung
re durch Auffangen der Kopfbewegung nach vorn (Schutz von Gesicht,
Gehirn, Halswirbelsäule).

3.4.3.         Frage der Sitzposition

Die Beantwortung der Frage "Wer war der Lenker?" ist wichtig für straf-       Bestimmung der Sitz-
und zivilrechtliche Regelung der Verantwortung.                               position (v.a. des
                                                                              Lenkers) hat rechtliche
                                                                              Bedeutung.
Hinweise auf die Sitzposition ergeben sich aus:
 Verletzungen durch Kontakt mit bestimmten, dabei beschädigten               Hinweise auf Sitzpo-
   Fahrzeugstrukturen (Lenkrad, Handschuhfach, Handhalter an Dach),           sition ergeben sich
                                                                              aus Verletzungen bzw.
   Aufprallstellen von Brust auf Lenkrad, Armaturenbrett bzw. von Kopf        anderen Spuren durch
   auf Lenkrad oder in Frontscheibe                                           Kontakt des Körpers
 Abdruck von Pedalen u/o Fussmatte auf Schuhsohlen.                          mit bestimmten Fahr-
 Verlauf von Gurtmarken.                                                     zeugstrukturen
 Nachweis von Spurenübertragungen: Hautpartikel, Textilfasern, an-
   dere technische Spuren von Insassen auf Fahrzeugstrukturen und
   umgekehrt.

3.4.4.         Fahrfähigkeit

Die Beurteilung einer allfälligen Störung der Fahrfähigkeit durch Übermü-     Beurteilung der Fahr-
dung, Einwirkung von Alkohol, Drogen oder Medikamenten oder aus an-           fähigkeit mittels
                                                                               Beobachtungen
derem Grund (z.B. wegen Krankheit) ist eine polizeiliche und ärztliche         Blut- und Urinprobe
Aufgabe (siehe Kapitel 4: "FiaZ / FuD"). Mittel dazu sind:

                                                                                       Seite 10 von 55
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    Beobachtung des Verhaltens des Lenkers                                    FiaZ / FuD (Kap. 4)
    Asservierung einer Blut- und Urinprobe (für chemische Analysen)

3.4.5.         "Heckkollision" und "HWS-Schleudertrauma"

Auffahren eines Fahrzeugs auf das Heck eines andern Fahrzeugs (meist          Beim Aufprall eines
PW) mit Schädigung seiner Insassen.                                           Fahrzeugs auf ein
                                                                              anderes Fahrzeug (=
                                                                              Heckkollision) erlei-
Typische schädigende Dynamik ist die Scherbelastung (Translation) des         den Insassen mitunter
Halses (= HWS)  HWS-Verletzung. Diese wird oft auch als "HWS-                Verletzungen der
Schleudertrauma" oder als "Peitschenhiebverletzung" (= whiplash-injury)       Halswirbelsäule
                                                                              (= HWS-Verletzung)
bezeichnet), was aber biomechanisch nicht korrekt ist. Effektiv erfolgt       mit oft grossen Nach-
zuerst die Horizontalverschiebung (= Translation) und erst dann die Kopf-     folgekosten.
Drehung (um die Querachse) von vorne-unten (= Rotation).

Selbst wenn äusserlich (fast) keine Beschädigungen am Fahrzeug sicht-         Echtes HWS-Trauma
bar sind, darf nicht von einem "Bagatell-Unfall" gesprochen werden; den       nach Heckkollision
                                                                              zieht regelmässig ext-
Fall immer ernst nehmen – v.a. wenn Insassen Halsbeschwerden und              rem hohe Kosten für
andere Symptome (Schwindel, Kopfweh, Übelkeit) angeben. In Einzelfäl-         Versicherungen nach
len treten sehr langwierige Beschwerden mit z.T. extrem hohen Folge-          sich.
kosten für die Versicherungsgesellschaft auf (1/4 bis 1 Mio. Fr. !). Aus
                                                                              Daher exakte Befun-
diesen Gründen:                                                               derhebung:

Forderungen an Polizei:                                                       Aufgaben der Polizei:
                                                                              Umfassende Tatbe-
    Genaue und umfassende Tatbestandsaufnahme                                standsaufnahme mit
    Exakte Dokumentation der Unfallsituation (gesamtes Spurenbild)           exakter Fotodokumen-
                                                                              tation beider Fahrzeu-
    Fotos von beiden Fahrzeugen, von vorne bzw. hinten und zudem von         ge aus verschiedenen
     der Seite und (wünschbar) auch von oben; Position der Sitze (Lehne       Richtungen (wünschbar
     / Kopfstütze) durch offene Türe fotografieren.                           auch von oben) und
                                                                              Innenaufnahmen.

Forderungen an Ärzteschaft:                                                   Aufgaben der Ärzte:
                                                                              Gute Befunddokumen-
    rasche, korrekte Befunderhebung (Neurologie / CT, MRI)                   tation der HWS:
    keine voreilige Diagnose "HWS-Schleudertrauma" / nur Beschwer-           den Begriff "HWS-
                                                                              Schleudertrauma" nicht
     debild erfragen und in Krankenunterlagen festhalten                      verwenden !!
    kein Halskragen

3.5.           Zweiradfahrer (Velo, Mofa, Motorrad)

Häufige Fragen im Zusammenhang mit der rechtlichen Fallbearbeitung:           Im Rahmen der rechtli-
                                                                              chen Fallbearbeitung
    Art und Schwere der Verletzungen                                         stellen sich Fragen:
    Todesursache / Kausalität Ereignis-Verletzungen(-Todeseintritt)          -   Verletzungsart und
    Sturz von 2-Rad mit oder ohne vorgängige Kollision mit einem ande-           -schwere
     ren Fahrzeug (PW, LW) oder mit einem Fussgänger                          -   Todesursache bzw.
                                                                                  Kausalität
    Falls angefahren: auf 2-Rad fahrend oder neben 2-Rad gehend oder         -   Lenker (Sitzpositi-
     stehend.                                                                     on)
    Von welcher Seite angefahren                                             -   passive Sicherheit
                                                                                  (Schutzhelm, ande-
    Primär oder sekundär überfahren (lebend oder schon tot)                      re Schutzmittel)
    Weitere Fragen wie beim Fussgänger (Fahrzeugart / FiaZ, FuD)             -   FiaZ, FuD  Kapi-
    Wurden ein Schutzhelm u/o andere Schutzmittel getragen.                      tel 4

                                                                                       Seite 11 von 55
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3.5.1.         Zur Kollisionsdynamik / Kollisionsgeometrie

Ähnlich wie bei Fussgänger, nur dass Person(en) sich erhöht auf Zweirad         Primärkontakt zwi-
befinden. Möglichkeiten des Fahrzeugaufpralls (Primärkontakt):                  schen Fahrzeug (z.B.
                                                                                PW od. LW) und:
    ausschliesslich auf 2-Rad  indirekte Krafteinwirkung auf Zweirad-          2-Rad
     fahrer (z.B. über Sattel, Lenkstange, Rahmen, Benzintank)                   2-Rad-Fahrer u/o
                                                                                   Beifahrer
    direkt auf Zweiradfahrer  Verletzungen ähnlich wie bei Fussgänger,         Mischform (häufig)
     jedoch häufig in anderer Höhe (Fersen-Boden-Abstand)                        Fahrzeugteil prallt
    Mischform: Fahrzeug-Anstoss gegen 2-Rad und Lenker (Mitfahrer)                auf 2-Rad-Lenker

3.5.2.         Besondere Verletzungen

    Kontakt-Verletzungen durch aufprallendes Fahrzeug                          Spezielle Verletzun-
                                                                                gen bei 2-Rad-Fahrern
    Verletzungen durch Kontakt mit Lenkstange, Benzintank (insbeson-           durch:
     dere bei Frontalkollision)                                                  Primär-Kontakt
    Sattelverletzung (v.a. bei Heck- und/oder Seitenkollision)                  Sattel
    Verletzung durch andere Fahrzeugteile: z.B. Seitenspiegel oder LW-          Lenkstange
     Brücke von rückwärts gegen Schulter des 2-Rad-Fahrers  dadurch             Rahmen
                                                                                 besondere Unfall-
     Sturz von 2-Rad ausgelöst                                                     Fahrzeug-Teile

3.5.3.         Nachweis eines getragenen Schutzhelms

Problem stellt sich, wenn Helm nicht (mehr) auf dem Kopf (wichtig für die       Nachweis getragener
Unfallversicherung; ev. Kürzung der Leistungen). Solchenfalls exakte            Schutzhelm
                                                                                 Wichtige Versiche-
Endlage des Helms sowie Kinnband mit Verschlussstück dokumentieren                 rungsfrage
(am besten fotografieren). Helm sicherstellen und lange aufbewahren              Dokumentation von
(nicht an Angehörige herausgeben)                                                 Endlage des Helms,
                                                                                   von Kinnband resp.
                                                                                   Verschlussstück;
                                                                                 Helm sicherstellen

3.6.           Suizid im Strassenverkehr

Nicht jeder "Verkehrsunfall" ist auch ein "Unfall" im Sinne der Ereignisar-     Bei jedem scheinbaren
ten (DUS). Grundsätzlich kommt auch ein Delikt in Frage (z.B. Schuss            "Verkehrsunfall" auch
                                                                                an die Möglichkeit
auf Fahrzeuglenker) oder ein Suizid.                                            eines Suizides den-
                                                                                ken.
Typische Hinweise auf einen Suizid sind:
 Person allein im Fahrzeug                                                     Besonders typisch sind
                                                                                die Gesamtumstände:
 Oft (leicht) alkoholisiert
                                                                                Ein eher junger Mann
 Oft kein Sicherheitsgurt getragen oder kurz zuvor gelöst                      mit Problemen lenkt in
 Keine Brems-, Ausweich- oder Schleuderspuren                                  leicht alkoholisiertem
                                                                                Zustand nach kurzer
 "Kollisionspartner" ist oft schweres Fahrzeug (Lastwagen, Bauma-              Entscheidung sein
   schine am Strassenrand) oder Betonpfeiler, Brücke usw.                       Fahrzeug mit hoher
 Gerade Strecke, leichte Kurve, übersichtliche Verhältnisse; daher ...         Geschwindigkeit und
                                                                                ohne zu bremsen auf
 Möglichkeit, mit hoher Geschwindigkeit zu fahren                              "Erfolg versprechen-
 Probleme: privat, sozial, gesundheitlich, finanziell, beruflich, schu-        den" Gegenstand.

   lisch, vor Prüfung, Verlust der Arbeitsstelle, Wohnungswechsel usw.          Das Mosaik mehrerer
 Vor allem Männer / eher junge Leute                                           Elemente ermöglicht
                                                                                eine zuverlässige Di-

                                                                                         Seite 12 von 55
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    Oft keine längere Vorbereitung und Absicht (kein Abschiedbrief),      agnose
     sondern kurzfristige Entscheidung

                                                                                    Seite 13 von 55
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4.             "Fahrfähigkeit" / FiaZ / FuD / FuM

4.1.           Allgemeines / Einschränkung

Die aktive Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr erfordert von             An Fahrzeuglenker
allen Beteiligten ein hohes Mass an Leistungsvermögen. Die wichtigsten          werden verschiedene
                                                                                Anforderungen gestellt,
Voraussetzungen sind:                                                           namentlich
 intakte Fahreignung:           Grundlegende, langzeitig vorhandene,           - Fahreignung
                                 v.a. medizinische und psychologische           - Fahrfähigkeit
                                 Voraussetzungen      und    technische         - Verkehrszuverläs-
                                                                                   sigkeit
                                 Kenntnisse zum korrekten Führen eines
                                 Fahrzeugs;
 erhaltene Fahrfähigkeit:       zeitlich begrenzte Anforderung, die nö-
                                 tigen Leistungen im Verkehr auch effek-        Nachfolgend wird nur
                                                                                das Thema Fahrfähig-
                                 tiv zu erbringen;                              keit behandelt.
 Verkehrszuverlässigkeit: Erfordernis, dass Lenker die Fahrleis-
                                 tungen in jeder Situation auch zuver-
                                 lässig erbringt
                                 (ein Negativbeispiel sind "Raser"; sie
                                 sind grundsätzlich fahrgeeignet und
                                 fahrfähig, durchbrechen aber aus cha-
                                 rakterlichen Gründen plötzlich Ver-
                                 kehrsregeln)

Im Folgenden wird nur das Thema der "Fahrfähigkeit" behandelt; die
anderen beiden Aspekte gehören in den Tätigkeitsbereich der forensi-
schen Verkehrsmedizin.

4.1.1.         Gesetzliche Grundlagen (SVG)

Im Strassenverkehrsgesetz (SVG, Art. 31 Abs. 2) heisst es:                      Gesetzliche Grundlage:
Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder            Strassenverkehrsge-
                                                                                setz (SVG, Art. 31
aus anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geisti-        Abs. 2 )
ge Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und
darf kein Fahrzeug führen.                                                      Nicht erlaubt und daher
                                                                                sanktioniert ist Fahren
                                                                                trotz Fahrunfähigkeit
Verboten sind somit nicht das Fahren in angetrunkenem Zustand (FiaZ),           wegen
das Fahren unter Drogeneinfluss (FuD) resp. unter Medikamenteneinwir-            Alkohol
kung (FuM), sondern die dadurch bedingte Fahrleistungsstörung und die            Drogen
damit verbundene Fremdgefährdung. Der gesetzliche Begriff dafür lautet           Medikamenten
"Fahrunfähigkeit". Hierbei handelt es sich um einen Tatbestand und
nicht um einen medizinischen Begriff (im Sinne des Wortes).

4.1.2.         "Leistungsfähigkeit" / "Fahrunfähigkeit"

Beim Lenken eines Motorfahrzeugs in alltäglicher, gewohnter Verkehrssi-         Je nach situativen
tuation funktionieren die steuernden Abläufe weitgehend "automati-              Anforderungen an die
                                                                                Fahrleistungen im
siert". Das Gehirn steuert die Fahrleistungen aus tiefer liegenden Area-        Strassenverkehr wer-
len heraus, d.h. es funktioniert auf dem Niveau der sog. "Grundleis-            den verschiedene
tung". Diese Leistungserbringung läuft unterbewusst, ist eingespielt,           Funktionen aus unter-
rasch, zielsicher. und deshalb ökonomisch, aber wenig flexibel. Sie ist         schiedlichen Hirnberei-
                                                                                chen erbracht:

                                                                                         Seite 14 von 55
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recht resistent gegenüber äusseren u/o inneren Störeinflüssen.
                                                                                  Grundleistung  auto-
In einer schwierigen, unbekannten, noch nie oder nur selten erlebten,             matisierte Funktionen
d.h. nicht trainierten Verkehrslage muss das Gehirn auf übergeordnete
                                                                                  Hirnleistungs-Reserve
Areale wechseln, um diese Situation zu meistern; es schaltet die "Hirn-
                                                                                   kontrollierende
leistungs-Reserve" ein. Diese Abläufe funktionieren "kontrollierend"              Funktionen
entsprechend einem raschen Wechsel von Kontrollieren und Korrigieren.
Das Gehirn ist nun zu sehr komplexen, ev. erstmalig erbrachten Leistun-
gen fähig; es kann sich überraschend auftretenden kritischen Verhältnis-
sen sofort anpassen und darauf mit zweckmässigen Handlungen reagie-
ren. Diese übergeordneten Funktionen sind - im Vergleich mit den "au-
tomatisierten" Funktionen - recht empfindlich gegenüber Störungen ir-
gendwelcher Art - beispielsweise Übermüdung, Krankheit, aber auch
toxischen Einflüssen (Alkohol, Drogen, Medikamente usw.).

"Automatisierte" Funktionen sind relativ alkoholresistent, d.h. sie sind          Automatisierte Hirn-
auch im niederen und mittleren Alkoholisierungsbereich (z.B. bis 0,8              funktionen sind wenig
                                                                                  störanfällig, d.h. ziem-
Promille) weitgehend erhalten.                                                    lich alkoholresistent.

"Kontrollierende" Funktionen indessen sind alkoholsensibel; sie wer-              Kontrollierende Funkti-
den messbar ab einer BAK von 0,3-0,4 Promille gestört.                            onen sind alkoholsen-
                                                                                  sibel (ab 0,4 Promille)
Fahrfähigkeit im Sinne des Gesetzes bedeutet, dass "die erforderliche             Der Rechtsbegriff der
körperliche und geistige Leistungsfähigkeit" vorhanden sein muss (siehe           "Fahrunfähigkeit" um-
                                                                                  fasst nicht nur auffällige
oben). Sie umfasst somit nicht nur eine intakte Grundleistung, sondern            Fahrleistungsstörungen
auch eine genügend vorhandene Leistungs-Reserve.                                  durch (Beeinträchti-
                                                                                  gung der Grundleis-
In diesem Sinne erfüllt eine Person den Tatbestand der "Fahrunfähig-              tung), sondern auch
                                                                                  eine Einschränkung der
keit" nicht nur dann, wenn sie in ihrer Grundleistung beeinträchtigt ist -        Reserve der Hirnleis-
entsprechend einer augenfälligen Störung der Wahrnehmung, der Reak-               tungen, welche in einer
tion und der Umsetzung in motorische Leistungen - sondern sie ist auch            unvorhersehbar
schon dann "fahrunfähig", wenn sie ein Fahrzeug lenkt, obwohl die Re-             schwierigen Verkehrs-
serve ihrer Hirnleistungskapazität vermindert ist. Sie kann in einer über-        lage benötigt würden.
raschend auftretenden schwierigen Verkehrssituation nicht mehr adäquat
reagieren, sondern zeigt Fahrleistungsdefizite.

4.2.           Fahrunfähigkeit wegen Alkoholwirkung (FiaZ)

Eine Blutalkoholkonzentration (BAK) entsteht durch den Konsum von                 Eine BAK entsteht
Trinkalkohol (chemisch: Ethanol, ist immer flüssig, nie fest). Er ist enthal-     durch Konsum von
                                                                                  - Genuss-Alkoholika
ten in:                                                                              (Bier, Wein, Spiritu-
                                                                                     osen usw.)
    Genuss-Alkoholika:            (durchschnittlicher Alkoholgehalt)             - Volksheilmittel
       Bier (5 Vol%):                4 Gramm pro Deziliter (g/dl)
       Wein (12 Vol%):               10 g/dl
       Spirituosen (40 Vol.%):       32 g/dl
       Aperitife:                    10-20 g/dl
                                                                                  Ein Standardgetränk
       Liköre:                       wechselhaft                                 (kleinste Ausschank-
    Volksheilmittel: z.B. Klosterfrau Melissengeist (70%), Zellers Nerven-       menge), d.h.
     tropfen (40%) usw.                                                           -   3 dl Bier
    Brennsprit (vergällt): 70 Vol.% = 56 g/dl                                    -   1 dl Wein
                                                                                  -   25 ml Schnaps
Angabe "Vol%" bedeutet x Milliliter (ml) Ethanol pro 100 ml Getränk.
Durch Multiplikation mit 0,8 (0 spezifisches Gewicht) erhält man den Ge-          enthält ca. 10 g reinen
                                                                                  Trinkalkohol ( = Etha-
wichtsanteil von Ethanol (in GrammP pro 100 ml Getränk.                           nol).

                                                                                           Seite 15 von 55
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Durch den Konsum einer kleinsten Ausschankmenge - d.h. eines sog.
Standardgetränks (3dl Bier / 1dl Wein / 25ml Schnaps) - erhält der Kör-
per im Mittel ca. 10g Ethanol.

4.2.1.         Alkoholstoffwechsel

     Aufnahme: Praktisch ausschliesslich durch Trinken. Einatmen oder             Alkoholstoffwechsel
      Einreiben oder andere Applikationen führen nicht zu relevanter BAK.           Aufnahme
     Resorption: Magen ist praktisch nur Reservoir. Aufnahme (Resorp-              Resorption
      tion) von Alkohol erfolgt im wesentlichen im Dünndarm. Resorption
                                                                                    Verteilung
      wird verzögert durch starke Magenfüllung resp. beginnt sehr rasch
      bei leerem Magen.                                                             Elimination
     Verteilung: Trinkalkohol wird auf das gesamte Körperwasser (ca. ¾
      des Körpergewichtes) verteilt und nicht nur auf das Blut.
     Elimination: Abbau durch Verstoffwechselung (Metabolismus) in der
      Leber und Ausscheidung (5-10%) über Schweiss, Urin, Atmung.

4.2.2.         Berechnung der BAK (WIDMARK-Formel)

BAK (im Ereigniszeitpunkt) = Ausgangs-BAK minus Eliminationsbetrag                 BAK-Berechnung mit
                                                                                   WIDMARK-Formel
                                        A
                                                                                   BAK = Menge an rei-
                              BAK =             - 60 x t                          nem Alkohol verteilt auf
                                       KG x r                                      reduziertes Körperge-
                                                                                   wicht abzüglich BAK-
                                                                                   Abbau in der Zeit zwi-
A          = konsumierte Menge an reinem Alkohol (s. oben) in Gramm                schen Trinkbeginn und
KG         = Körpergewicht (in kg)                                                 Ereignis
r          = Reduktionsfaktor (im Mittel 0.75 / min. 0.5 / max. 1.0)
60        = stündliche Eliminationsrate
t          = Zeit zwischen Trinkbeginn und Ereignis (in Stunden)
BAK        Angabe in Form von "g/kg" resp. "Gew. o" resp. "Promille"

In diesem Zusammenhang sei auf den "Promillerechner" auf der                       Der "Promillerechner"
Homepage des IRM verwiesen (http://www.irmsg.ch/); er vermittelt einen             auf der IRM-Homepage
                                                                                   (www.irmsg.ch) ist
ersten Eindruck vom Verhalten der BAK bei Veränderung der diversen                 didaktisch interessant,
Parameter (Körpergewicht / Trinkmengen / Trinkzeiten usw.). Er ersetzt             ersetzt aber die foren-
nicht die korrekte forensische BAK-Berechnung, welche die biologische              sisch korrekte BAK-
Streuung berücksichtigt.                                                           Berechnung nicht.

4.2.3.         Blutalkohol-Kurve

Sie ist die graphische Darstellung des Verlaufs der BAK über die Zeit. In          Blutalkoholkurve
Wirklichkeit bestehen recht grosse Streuungen bei verschiedenen Perso-
                                                                                   Magenfüllungszustand
nen aber auch bei der gleichen Person bzw. im kurzzeitlichen Verlauf.              beeinflusst Höhe und
                                                                                   Zeitpunkt des Spitzen-
Höhe und Zeitpunkt des Spitzenwertes werden wesentlich durch die Ma-               wertes der BAK-Kurve,
genfüllung beeinflusst; der Verlauf der BAK in späteren Zeitabschnitten            nicht jedoch die Abfall-
                                                                                   geschwindigkeit der
(nach Resorptionsende) wird dadurch aber nicht verändert.                          BAK

     Konsum auf leeren Magen            → BAK-Spitze ist früh und hoch
     Konsum bei gefülltem Magen         → BAK-Spitze ist später und tiefer

                                                                                            Seite 16 von 55
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4.2.4.         Auswirkungen der Alkoholisierung (= akute Wirkungen)

     Motorik: gestörte Geschicklichkeit und Koordination, Sprachstörung       Alkohol hat recht kom-
                                                                               plexe, teils hemmende
     Reaktion: verzögert                                                      teil enthemmende
     Sehen: erweiterte Pupillen  Blendung / eingeschränktes äusseres         Wirkungen auf Hirn-
      Gesichtsfeld (peripherer Visus) / gestörte räumliche und dynamische      funktionen mit Störun-
      Tiefenschärfe  gestörte Distanz- und Geschwindigkeitsschätzung          gen der:
      (z.B. bezüglich eines entgegenkommenden Fahrzeugs)                          Motorik
     Ohr: angehobene Hörschwelle  Geräusche schlechter wahrge-                  Reaktion
      nommen                                                                      Sehen
                                                                                  Hören
    Gesamtpersönlichkeit / Psyche: Enthemmung, Aggressivität, ver-               Psyche, Gesamt-
     änderte Auffassung, gestörte Umsicht und (Selbst-)Kritik, erhöhte Ri-          persönlichkeit
     sikobereitschaft ("primitive" Verhaltensmuster); subjektives Leis-
     tungsgefühl nicht deckungsgleich mit objektiver Leistungsfähigkeit.

Daraus resultieren diverse Auswirkungen im Strassenverkehr                     Einige typische Aus-
                                                                               wirkungen einer Trun-
    Kollisionen im optischen Randbereich wegen reduziertem periphe-           kenheitsfahrt im Stras-
     rem Visus  typischerweise vorne rechts: Fussgänger, Zweirad              senverkehr:
                                                                               - Kollisionen im opti-
    Kurven schneiden, Kurven überfahren (da Reaktion verlangsamt)                 schen Randbereich
    überholen mit Kreuzungskollision, Abbiege-Kollision                       - Kollision bei Abbie-
    Angabe: "Ich bin geblendet worden" (wegen weiten Pupillen)                    gen, Kreuzung, in
                                                                                   Kurven
    zu schnelles fahren (da Hörschwelle herabgesetzt)                         - zu hohe Geschwin-
    Schlangenlinienfahrt (wegen Störung von Motorik u. Gleichgewicht)             digkeit
    unkritische, risikobereite, aggressive oder stark verlangsamte Fahrt      - aggressives oder
                                                                                   langsames und un-
 erhöhtes Gefährdungspotential abhängig von Höhe der BAK                          sicheres Fahren

4.2.5.         Gerichtliche Feststellung der Angetrunkenheit

A.       Atemtest:                                                             A. Atemtest

                                                                               Gut als Vorprobe; hat
Nachweisprinzip: Ethanol diffundiert in geringer Menge aus Lungenge-           nicht den vergleichbar
fässen in Lufträume und erscheint deshalb n der Ausatmungsluft.                hohen Beweiswert wie
                                                                               Blutprobe und ermög-
Das Relativverhältnis zwischen Atemalkoholkonzentration (AAK) und              licht keine späteren
                                                                               ergänzenden, verifizie-
BAK beträgt im Mittel 1:2100 (biologische Streuung: 1:1700 bis 1:2500).        renden u/o identifizie-
                                                                               renden Untersuchun-
Nachteile:                                                                     gen.
 recht grosse biologisch bedingte Schwankungsbreite zwischen AAK
                                                                               Dennoch ist ein Atem-
   und BAK                                                                     prüf-Ergebnis von 0,50
 keine gleich bleibende Relativbeziehung zwischen AAK und BAK                 - 0.79 Promille ge-
   über die Zeit (Resorption resp. Elimination)                                richtsverwertbar, seit-
 ungenügende Spezifität (nicht nur Ethanol, sondern auch struktur-            dem das revidierte
                                                                               SVG in Kraft steht (ab
   ähnliche Stoffe)                                                            01.01.2005)
 keine spätere Wiederholung der Messung möglich
 keine spätere Identifikation möglich (z.B. durch vergleichende DNA-
   Analyse wie bei Blutprobe)
 keine (späteren) Zusatzanalysen möglich (Medikamente, Drogen)

Fazit: Atemalkoholtest grundsätzlich als Vorprobe gut geeignet. Trotz der
"Mängel" regelt das SVG (seit 01.01.2005), dass ein Atemalkoholtest-
Ergebnis zwischen 0.50 und 0.79 Gew.‰ allein den Tatbestand der
Fahrunfähigkeit erfüllen kann, falls Proband dies akzeptiert.

                                                                                        Seite 17 von 55
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B.       Blutprobe:                                                             B. Blutprobe
                                                                                i.d.R. 10 ml Venenblut.
Entnahme durch Arzt oder Hilfsperson. 10ml Venenblut. Keine Desinfek-           Exakte Beschriftung
tion mit trinkalkoholhaltigem (ethanolischem) Desinfektionsmittel. Exakte       des Probenröhrchens
Beschriftung des Probenröhrchens.

                                                                                C. Ärztliche Untersu-
C.       Ärztliche Untersuchung                                                 chung

                                                                                Der beauftragte Arzt
auf medizinische Anzeichen einer Hirnleistungsstörung resp. einer "die          muss Probanden ...
Fahrfähigkeit vermindernden Störung der körperlichen und geistigen
                                                                                -   auf Anzeichen einer
Leistungsfähigkeit" (gemäss SVG).                                                   Hirnleistungsstö-
                                                                                    rung
Untersuch nach SVG i.d.R. erforderlich. Falls nur Alkohol im Spiel steht,       -   umfassend und
kann Auftraggeber (Untersuchungsrichter, Polizei) darauf verzichten.                objektiv
                                                                                -   ohne Begünstigung
Untersuch und Befundprotokollierung müssen korrekt und umfassend                ... untersuchen.
erfolgen, d.h. objektiv und nicht "zu Gunsten des Patienten", da ein ge-
                                                                                Ablehnung des Unter-
richtlicher Auftrag zu erfüllen ist, und kein Arzt-Patienten-Verhältnis be-     suchungsauftrags nur
steht ! (siehe auch nachfolgend unter "Formular").                              unter besonderen Um-
                                                                                ständen möglich.
Arzt in freier Praxis kann den Auftrag grundsätzlich ablehnen. Für Ärzte
im Spital besteht Erfüllungspflicht aus dem Anstellungsverhältnis; Ableh-
nung nur im Falle der Befangenheit (z.B. Proband ist ein Verwandter).

                                                                                D. Formular
D.       Formular:                                                              = gerichts-verwertbares
                                                                                Zeugnis ! Deshalb
Entspricht einem "ärztlichen Zeugnis" für ein gerichtliches Verfahren;          vollständig und korrekt
deshalb exakt und wahrheitsgetreu ausfüllen ( Skriptum "Arzt-                  (objektiv) ausfüllen.
Patienten-Recht").                                                              Wichtige Zeitangaben:
                                                                                 Trinkende
Für die spätere Rückrechnung der tatzeit-relevanten BAK sind insbeson-           Ereigniszeitpunkt
dere folgende Zeitangaben wichtig und unerlässlich:                              Blutentnahme
 Trinkende
 Ereigniszeitpunkt                                                             Bei Nachtrunk:
 Blutentnahme                                                                  - Zeitpunkt
                                                                                - Art und Menge
Für den Fall eines angegebenen Nachtrunks (→ 4.2.6.1.) zusätzlich:              - Körpergewicht

 Zeitpunkt des Nachtrunks
 Art und Menge des Nachtrunks
 Körpergewicht

                                                                                E. BAK-Analytik
E.       BAK-Bestimmung (Analytik):                                             Angabe eines Vertrau-
                                                                                ensbereichs (+5%) und
Die BAK-Bestimmung kann nur in einem akkreditierten Labor durchge-              nicht eines Einzelwerts
führt werden.

Prozedere: 4 unabhängige gaschromatographische Einzelbestimmungen
 arithmetischer Mittelwert der 4 Einzelanalysen  Berechnung eines ±
5 %-igen Vertrauensbereichs = Grundlage für die Rückrechnung

                                                                                F. Rückrechnung der
F.       Rückrechnung:                                                             Tatzeit-BAK
                                                                                Erfolgt mit minimalem

                                                                                         Seite 18 von 55
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