Regionalitätsstrategie NRW - Zukunftschancen für Regionalvermarktung, Biodiversität, Landwirtschaft und Lebensmittelhandwerk - Bundesverband der ...
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Regionalitätsstrategie NRW Zukunftschancen für Regionalvermarktung, Biodiversität, Landwirtschaft und Lebensmittelhandwerk
Regionalitätsstrategie NRW Herausgeber: Landesverband Regionalbewegung NRW e.V. Erarbeitung: Landesverband Regionalbewegung NRW e.V. in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW Redaktion: Brigitte Hilcher und Maria Theresia Herbold Layout & Satz: Johanna Leister und Jana Berger Bilder: Bundesverband der Regionalbewegung e.V., Collagen (Jana Berger, Maria Theresia Herbold, Brigitte Hilcher), Ruben Emme, Dominik Grohmann, Maria Theresia Herbold, Brigitte Hilcher, Landesverband der Regionalbewegung e.V., Pixabay März 2022 Gefördert durch die
Vorwort » Die Art und Weise wie wir derzeit vorwiegend wirtschaften und agieren führt zu immer größeren Umwelt- problemen und Biodiversitätsverlusten. » Bäuerlich geprägte landwirtschaftliche Betriebe und das Lebensmittelhandwerk ringen um Zukunfts- perspektiven. » Immer mehr Menschen möchten regional und nachhaltig erzeugte Lebensmittel konsumieren. Wie können wir diese Herausforderungen und zeitnah erste strategische Schritte unternommen Chance zusammenbringen und Lösungswege auf- werden, die in den Handlungsempfehlungen in Ka- zeigen? Diese Fragestellung war die Hauptmoti- pitel III beschrieben sind. Machen wir uns auf, um vation für den von der Regionalbewegung NRW zügig die zahlreichen vorhandenen Best Practices eingeleiteten „Landesdialog Regionalitätsstrategie (siehe S.14) zu vervielfältigen und neue Wege unter NRW“ und die Erarbeitung der vorliegenden Hand- Realbedingungen zu testen. lungsempfehlungen. Die vorliegende Strategie wurde in enger Zusammen- Eine „Transformation unseres Ernährungssystems arbeit mit dem breit aufgestellten Netzwerk Regiona- – respektive der Ernährungswirtschaft – ist aus vie- litässtrategie NRW erstellt und durch die Förderung lerlei Hinsicht dringend nötig“ und „die Zukunft der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW ermög- der Landwirtschaft ist regional“: diese Erkennt- licht. Beiden gilt an dieser Stelle unser herzlicher nisse werden inzwischen von vielen Akteuren aus Dank für die Mitarbeit und das entgegengebrachte der Landwirtschaft, der Ernährungswirtschaft, Po- Vertrauen in den Erfolg des Landesdialogprozesses. litik und der Forschung bestätigt. Allen Beteiligten Weitere Partner traten im Projekt als Kofinanzierer muss dabei klar sein: Diese Veränderung kann nur auf – auch Ihnen möchten wir an dieser Stelle ein gemeinschaftlich gestemmt und im fortwährenden herzliches Dankeschön aussprechen! Dialog gut gemeistert werden. UND es ist damit ein erheblicher, auch finanzieller Aufwand verbun- Die Ergebnisse des Dialogprozesses sollten zügig in den. Das Credo der vergangenen Jahre „Das muss die Umsetzung einer integrierten Agrar-, Umwelt-, Er- allein der Markt regeln“ greift zu kurz. Politische nährungs- und Wirtschaftspolitik in Nordrhein-West- Vorgaben und das Marktgeschehen haben gewisse falen einfließen. Prozesse wie das „Höfesterben“ beschleunigt. Nun müssen entsprechende politische Regelungen und In diesem Sinne wünschen wir viele gute Erkenntnis- finanzielle Unterstützung den Transformationspro- se und Umsetzungsideen. zess einleiten und befördern. Vorstand der Regionalbewegung NRW Wir brauchen einen Plan für eine Regionalisierung unserer Agrar- und Ernährungswirtschaft: eine Le- bensmittelpolitik, die gesunde Ernährung, Bildung, Produktion, Verarbeitung, Transport und Handel Christian Chwallek, Dorle Gothe, mitdenkt. Gleichzeitig müssen wir uns genau an- schauen, warum die von inzwischen so vielen Men- schen gewollte Regionalisierung kein Selbstläufer ist – daher ist die Beschreibung der Ausgangslage Brigitte Hilcher, Dr. Kurt Kreiten ein wichtiger Teil des Planes. Jede Veränderung beginnt mit ersten Schritten. Projektmitarbeiterin Das vorliegende Strategiepapier will ermutigen, den Umbau hin zu einer Regionalisierung unseres Ernährungssystems direkt und mutig anzugehen. Parallel zu umfangreichen langfristigen Transfor- Maria Theresia Herbold mationsprozessen, die kommen müssen, sollten
5 Inhalt Vorwort .......................................................................................................................................................................... 3 I. Eine Regionalitätsstrategie für unsere Ernährungswirtschaft................................................................................ 6 Motivation für den Landesdialog Regionalitätsstrategie NRW.............................................................................. 6 Gute Gründe für Regionalität ................................................................................................................................... 7 Das Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW.............................................................................................................. 8 Was ist eine Region?.................................................................................................................................................. 9 Was bedeutet „Regionalvermarktung“?................................................................................................................... 9 Stand der Regionalvermarktung in NRW................................................................................................................. 9 II. Das „Leitbild Regionalprodukt“ – als Grundlage des Landesdialogprozesses...................................................10 Grundprinzipien eines Regionalproduktes .............................................................................................................10 Entwicklungsziele für eine klima-, umwelt- und ressourcenschonende sowie biodiversitätsfördernde landwirtschaftliche Produktion ................................................................................................................................ 11 Entwicklungsziele für die Tierhaltung ..................................................................................................................... 11 III. Notwendige Handlungsstränge zum Ausbau der regionalen Vermarktung nachhaltig erzeugter Produkte .12 1. Permanente Strukturen zum Aufbau regionaler Vermarktung etablieren.........................................................12 2. Bürokratie abbauen ..............................................................................................................................................19 3. Förderprogramme anpassen, erweitern und in die Fläche bringen................................................................ 23 4. Qualifizierung und Beratung anpassen ............................................................................................................. 31 IV. Zusammenfassung ................................................................................................................................................ 38 V. Ausblick ................................................................................................................................................................... 40 VI. Anhang .................................................................................................................................................................. 42 Quellenverzeichnis....................................................................................................................................................... 48 Zum Weiterlesen.......................................................................................................................................................... 50 Folgende Elemente sind im Handbuch zu finden: Zur Zusammenstellung der vorliegenden Strategie wurden zahlreiche Studien gesichtet. Prägnante Ergebnisse werden jeweils zitiert. Neben den im Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW beteiligten Expert*innen, deren Inputs in den Text zur Strategie eingeflossen sind, werden weitere Expert*innen zitiert, um ergän- zende Informationen zu liefern. Hintergrundinformationen liefern Berichte, die Entwicklungen verdeutlichen. Verweise auf Arbeiten der Regionalbewegung.
6 Regionalitätsstrategie NRW I. Eine Regionalitätsstrategie für unsere Ernährungswirtschaft Motivation für den Landesdialog Regionalitätsstrategie NRW Die Landwirtschaft und das Lebensmittelhandwerk und die Außer-Haus-Verpflegung (Gastronomie und in NRW haben eine zentrale Bedeutung für Wirt- Gemeinschaftsverpflegung) zählen, ist mit großen schaft, Umwelt und Gesellschaft. Die Globalisierung Herausforderungen verbunden. Immense bürokra- und der steigende wirtschaftliche Druck stellen diese tische Hürden, die für kleine Betriebe kaum zu erfül- Unternehmen zunehmend vor enorme Herausforde- len sind, unübersichtliche Förderstrukturen, fehlende rungen. Zahlreiche Höfe und Betriebe des Lebens- Weiterverarbeitungsstrukturen, fehlende Kenntnisse mittelhandwerks sind in großen Existenznöten oder im Tätigkeitsfeld der Regionalvermarktung, zu wenig haben ihren Betrieb bereits aufgegeben. Basierend Beratungsstrukturen, kein Personal für zeitintensive auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes ergibt Auf- und Vernetzungsarbeiten vor Ort sind nur einige sich für drei ausgewählte Bereiche der Nahversor- Beispiele, die hier zu nennen sind. gung eine alarmierende Realität. Die Anzahl der Bä- ckerhandwerksbetriebe hat sich von 1998 bis 2018 Zum Ausbau von regionaler Vermarktung benötigen deutschlandweit um 49 % drastisch reduziert. Im Flei- Betriebe dringend Unterstützung von der Gesellschaft, scherhandwerk sind im gleichen Zeitraum ebenfalls Verbänden und der Politik. Ohne Veränderungen wird 49 % der Betriebe geschlossen worden. Die Anzahl sich der dramatische Prozess der Betriebsaufgaben von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben (bis 50 ha fortsetzen. Ohne diese Betriebe gibt es keine funkti- Fläche) ist seit Mitte der 1990er Jahre um 48 % zu- onierende Nahversorgung – ohne Nahversorgung rückgegangen. keine intakten Regionen. Intakte Regionen machen unsere Lebensgrundlage aus. Der Handlungsdruck ist Eine Chance stellt die permanent steigende Nachfrage groß. nach regional und nachhaltig produzierten Lebensmit- teln dar. Mit der Rückbesinnung auf eine nachvollzieh- Die Regionalitätsstrategie NRW liefert konkrete Vor- bare Herkunft und besondere Qualität der Lebensmit- schläge, wie das Angebot und die regionale Vermark- tel geht ein Gesellschaftswandel einher, der großes tung nachhaltig erzeugter und handwerklich verarbei- Potential für den Erhalt vielfältiger landwirtschaftlicher teter Produkte deutlich erhöht werden kann. Dadurch und handwerklicher Betriebe sowie für Natur- und wird es für Verbraucher*innen und interessierte Be- Umweltschutz birgt. Der Regionaltrend muss im Sin- treiber*innen von Außer-Haus-Verpflegungseinrich- ne einer glaubwürdigen regionalen Vermarktung für tungen deutlich einfacher, diese unkompliziert zu be- Betriebe nutzbar gemacht werden. ziehen. Perspektivisch sind dann eine lebendige und diverse bäuerliche Landwirtschaft mit regionalen Ver- Der Aufbau einer regionalen Vermarktung, zu der arbeitungs- und Vermarktungsstrukturen sowie ein nicht nur die Direktvermarktung, sondern auch eine vielfältiges Lebensmittelhandwerk ausgeprägt. Vermarktung über den Lebensmitteleinzelhandel
Regionalitätsstrategie NRW 7 Gute Gründe für Regionalität Auf viele drängende Fragen der Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsproblematiken müssen Lösungen ge- funden werden. Dabei spielt unser Ernährungs- und Agrarsystem eine besondere Rolle. Eine zukunftso- rientierte Regionalisierung unserer Ernährungswirt- schaft kann in vielerlei Hinsicht Problemlagen positiv begegnen – entlang aller drei Dimensionen der Nach- haltigkeit. In der folgenden Auflistung bauen viele Aspekte aufeinander auf und können in Synergie ei- nen hohen Mehrwert erzielen. Sozialer Mehrwert » Unterstützung der Selbstbestimmung regionaler Produzent*innen: Unabhängigkeit vom internatio- nalen Markt Ökologischer Mehrwert » Erhaltung und Aufbau von Arbeitsplätzen vor Ort: Stärkere Anreize für Innovationen » Einsparung von Transportwegen: Reduktion gra- vierender Umweltschäden » Mehr Vertrauen, mehr Partizipation: Direkter Aus- tausch zwischen Erzeuger- und Verbraucherschaft » Weniger Lebensmittelverschwendung: Reduktion und Mitgestaltung der Kulturlandschaft durch den anfallender Abfälle entlang der Wertschöpfungs- Kauf regionaler Produkte kette durch kurze Transportwege » Förderung gesunder Ernährung: Verstärkte Ver- » Schutz der Biodiversität: Schaffung von Lebensräu- marktung weniger stark verarbeiteter, regionaler men für viele Tier- und Pflanzenarten in kleinteiliger Lebensmittel Landwirtschaft » Erleben saisonaler und regionaler Produkte: Ge- » Gestaltung einer lebenswerten Region: Pflege der nussreif geerntete Produkte mit reichlich enthalte- Kulturlandschaft durch den Aufbau kleinstruktu- nen Inhaltsstoffen rierter, abwechslungsreicher Landwirtschaft und den Abbau großflächiger Monokulturen » Wertschätzung der Produkte und Wahrnehmung ökologischer Grenzen: Bewussterer Konsum » Höhere Ernährungssicherheit: vor allem in Zeiten, in denen der globale Markt stark schwankt und Lie- ferketten instabil sind Ökonomischer Mehrwert » Geschlossene Nährstoffkreisläufe: Vermeidung von Futterimporten, die in Herkunftsregionen » Widerstandsfähiger Wirtschaftskreislauf: Stabilität Nährstoffmangel verursachen und gleichzeitig das durch vielfältige Wirtschaftszweige Grundwasser vor Ort mit Gülle belasten » Stärkung der regionalen Wirtschaft: Höhere Steu- » Kürzere Feedback Loops: Motivation nachhaltiger ereinnahmen vor Ort für die Region zu handeln durch deutlichere Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in der regionalen Pro- » Resilienz in der Produktion: Abfederung von duktion Ernteausfällen einzelner Kulturen durch größere Vielfalt an Sorten und Produkten » Keine Ausbeutung des globalen Südens: Rück- sichtnahme auf weitere Faktoren, wie Wasserman- gel
8 Regionalitätsstrategie NRW Das Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW Der erste Schritt im Dialogprozess war die Gründung des „Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW“. Hier haben sich Verbände, Institutionen, Initiativen und Unternehmen zusammengeschlossen, um gemeinsam Ideen zu entwi- ckeln und zu diskutieren. Im Dialogprozess wurde die vorliegende Strategie erstellt und abgestimmt. Ernährungsrat Bielefeld
Regionalitätsstrategie NRW 9 Was ist eine Region? Es gibt keine einheitliche Definition für „Region“ – klein genug sein, um den Verbraucher*innen ein Ge- auch nicht von Seiten der Regionalbewegung. Es gibt fühl von Zugehörigkeit (regionale Identität) vermit- mehrere Möglichkeiten für Regionalvermarktungsin- teln zu können und dennoch groß genug, um eine itiativen, die im Sinne „aus der Region für die Regi- ausreichende Menge an Produkten zur Vermarktung on“ wirtschaften, ihre Regionen zu definieren und so- bereitstellen zu können. Weiterhin ist zu bedenken, mit eine Regionalmarke mit klar umrissenen Grenzen dass in der Region ausreichend Kaufkraft vorhanden aufzubauen: Administrative Grenzen, geographische sein muss, um eine kritische Masse für den Absatz oder auch historische. „Die Auswahl von Regions- erreichen zu können“. (Bundesverband der Regional- grenzen verlangt Fingerspitzengefühl, denn sie muss bewegung (BRB) e.V., 2017, S. 16) Was bedeutet Regionalvermarktung? Regionalvermarktung ist mehr als die Direktver- ristische Einrichtungen an Besucher*innen-Hotspots. marktung landwirtschaftlicher Produkte. Während In der Regel verbleibt so mehr Wertschöpfung in der in der Direktvermarktung vom landwirtschaftlichen Region, da nicht nur der einzelne Betrieb profitiert, Betrieb an die Endverbraucher*innen oft hauptsäch- sondern das ganze Netz. Synergieeffekte können da- lich der eigene Betrieb und die dortigen primären durch besser genutzt, Transportwege sehr kurz gehal- (Rohstoff-)Erzeugnisse im Vordergrund stehen, setzt ten, Transparenz geschaffen und Vertrauen nicht nur die Regionalvermarktung den Fokus auf ein Netz an zwischen Kund*innen und Produzent*innen sondern Betrieben und weitet dies auf optionale Weiterverar- auch zwischen den einzelnen Produktionsstufen ge- beitungsschritte auf den nachgelagerten Bereich aus. stärkt werden. Dies alles schafft einen Mehrwert für Regionale Vermarktung orientiert sich entlang von die Region, der um ein Vielfaches höher ist als der Wertschöpfungsketten und sorgt so auch für weiter- reine Verkauf primärer Agrarerzeugnisse. verarbeitende Betriebe für Vorteile. Laut Herrn Prof. Ulf Hahne von der Universität Erscheinungsformen sind zwar identisch bzw. ähn- Kassel kann die regionale Wertschöpfung durch lich: Hofladen, Bauern-/Wochenmärkte, Abo-Kisten Regionalvermarktung sehr begünstigt werden: oder solidarische Landwirtschaften, der Versandhan- „Werden Rohstoffe in der eigenen Region weiter- del oder Verkaufsautomaten – doch das Angebot ist verarbeitet, so kann die regionale Wertschöpfung bei der Regionalvermarktung ungleich vielfältiger. gegenüber der beim bloßen Rohstoffverkauf um Zudem bringt die Regionalvermarktung regionale ein Vielfaches erhöht werden: Sie steigt bis zum Produkte in die Außer-Haus-Verpflegung (wie z.B. 7-fachen bei der Weiterverarbeitung von Agrar- Gastronomie, Schul- oder Krankenhauskantine), in erzeugnissen, bei der Holzverarbeitung etwa im den Lebensmitteleinzelhandel oder auch über tou- Holzmöbelbau sogar bis zum 16-fachen.“ (Hahne, 2021, S. 13) Stand der Regionalvermarktung in NRW Die große Mehrheit der landwirtschaftlichen Betriebe Doch für regionale Vermarktung werden vielfältige in NRW wie auch in allen anderen Bundesländern ver- Produktpaletten benötigt. Dies ist inzwischen in ei- marktet nicht regional. Bei einer Erhebung der Land- nigen Regionen NRW schon sehr problematisch, da wirtschaftskammer NRW aus dem Jahr 2017 standen eine Zunahme von Maisanbau oder Winterweizen den 33.688 landwirtschaftlichen Betrieben in NRW andere Kulturen verdrängt und dort erst wieder eine ca. 9.500 landwirtschaftliche Betriebe mit Einkom- Diversifizierung der Produktion erfolgen müsste. Ne- menskombinationen, die einen direkten Kontakt mit ben vielfältigen landwirtschaftlichen Betrieben sind dem Endkunden zur Folge haben, gegenüber (Land- auch regionale Verarbeitungsstrukturen wichtig, um wirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, 2017). Das z.B. aus regionalem Getreide ein regionales Brot ba- bedeutet die weitaus meisten Betriebe partizipieren cken zu können. Bäckereien, Metzgereien, Mühlen, nicht an der weiteren Wertschöpfung ihrer Produkte. Molkereien oder Schlachthäuser müssten in der Flä- Die weit höhere Wertschöpfung liegt bei Agrarhan- che erhalten bleiben. Stattdessen findet hier aber – delsbetrieben, der Verarbeitungsindustrie sowie dem wie auch in der Landwirtschaft – ein umfangreicher Lebensmitteleinzelhandel. Von jedem Euro, der an Strukturwandel statt, der vielerorts zu Betriebsaufga- der Ladentheke ausgegeben wird, kommen nur rund ben führt. Grund zur Hoffnung bietet allerdings der 20 Cent bei Bauern und Bäuerinnen an (Zinke, 2020). vielversprechende Absatzmarkt und die steigende Durch den Ausbau der Regionalvermarktung kann Nachfrage nach regionalen Produkten. dieses Ungleichgewicht verändert werden.
10 Regionalitätsstrategie NRW II. Das "Leitbild Regionalprodukt" als Grundlage des Landesdialogprozesses Die Erwartungen von Verbraucher*innen an regionale den Dialogprozess zur Erstellung einer Regionalitäts- Produkte gehen häufig über den Anspruch „Aus der strategie NRW mit der Formulierung eines „Leitbil- Region für die Region“ hinaus: Befragungen zeigen, des Regionalprodukt“ zu starten. Das gemeinsam dass regionale Produkte unter anderem mit Gentech- erarbeitete „Leitbild Regionalprodukt“ orientiert sich nikfreiheit, nachhaltiger Produktion und artgerechter an der von der Regionalbewegung NRW gestalteten Tierhaltung in Verbindung gebracht werden. Hohe Auszeichnung für Regionalvermarktungsinitiativen Erwartungen also an die regionalen Erzeuger*innen NRW „Regional Plus – fair für Mensch und Natur“1 und Vermarkter*innen – aber auch große Chancen (Landesverband Regionalbewegung NRW e.V., 2017) ökologische Nachhaltigkeitskriterien als Elemente und bildet die Grundlage für den Diskursprozess. Es von Produktions- und Vermarktungskonzepten wirt- zeigt auf, in welche Richtung sich Anbau und Ver- schaftlich tragfähig zu etablieren und in die Regionen marktung regionaler Produkte entwickeln müssen. zu bringen. In der Verbindung von Natur-, Umwelt-, Die formulierten Grundprinzipien sind als Grundvo- Tier- und Klimaschutz sowie Regionalvermarktung raussetzung für die Bezeichnung eines Regionalpro- steckt großes Potenzial (siehe S.10): duktes zu verstehen. Die Entwicklungsziele stellen das Potential dar und machen deutlich, dass bei der » für eine nachhaltige Entwicklung von Regionen Entwicklung von Regionalvermarktungsinitiativen » für eine naturverträgliche Landnutzung nicht nur der regionale Bezug, sondern auch die Art und Weise der Produktion entscheidend sind. » für eine Überwindung von Biodiversitätsverlusten durch landwirtschaftliche Nutzung Das „Leitbild Regionalprodukt“ hat eine nachhal- » für Erhalt und Förderung neuer vielseitiger Land- tige, handwerkliche und regionale Erzeugung und wirtschaftsbetriebe Verarbeitung von Regionalprodukten als zentrales Ziel. Das heißt, die über die gesetzlichen Vorgaben » für Umweltbildungsarbeit hinausgehenden Leistungen und Qualitäten werden » für die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe durch anerkannte Zertifizierungssysteme nachgewie- » für gesunde Produktvielfalt und hohe Produkt- sen und zusätzlich positiv zur Vermarktung als Regio- qualität nalprodukt genutzt. Neben den aufgestellten Grund- prinzipien zeigen die erarbeiteten Entwicklungsziele Die Regionalbewegung NRW setzt sich in ihrer Arbeit für eine klima-, umwelt- und ressourcenschonende explizit dafür ein, dass bei der Entwicklung von Re- sowie biodiversitätsfördernde landwirtschaftliche gionalvermarktungsprojekten immer auch ein Fokus Produktion und für eine artgerechte Tierhaltung klare auf die Förderung nachhaltiger Produktionsweisen Richtungen für die Landwirtschaft in NRW auf. gelegt wird. Daher war es ein wesentliches Anliegen, Grundprinzipien eines Regionalproduktes Herkunftsprinzipien » Schlüssige Definition der Region für Produktion, Verarbeitung und Vermarktung des Produktes: › Verarbeitungs- oder Handelsstrukturen › Administrative oder politische Grenzen z.B. Einzugsgebiet einer Käserei z.B. Landkreise, Landkreis-Kooperationen, » Nicht zusammengesetzte Produkte (Monopro- auch grenzüberschreitend dukte) stammen zu 100% (das gilt möglichst › Historische, kulturelle, geografische Grenzen auch für die Vorprodukte) aus der definierten z.B. Rhein-Main-Gebiet oder Eifel Region. › Zweckgebundener Zusammenschluss (räum- » Zusammengesetzte Produkte: Hier stammen lich) wertgebende Bestandteile aus der definierten z.B. Naturparke, Nationalparke Region. 1 Betriebe, die in Regionalvermarktungsinitiativen zusammengeschlossen sind, arbeiten häufig nach in der Initiative ausgehandelten Kriterien, die über den gesetzlichen Standards liegen und Umwelt- sowie Naturschutz bewirken. Die Regionalbewegung NRW hat diese vorbildlichen Ini- tiativen in NRW mit der Auszeichnung „Regional Plus – fair für Mensch und Natur“ gewürdigt. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit machen die Initiativen diese Zusammenhänge sichtbar. (Landesverband Regionalbewegung NRW e.V., 2017)
Regionalitätsstrategie NRW 11 » Die Produkte werden in der Region hergestellt Produkte auf jeder Wertschöpfungsstufe. und verarbeitet. Sofern eine Verarbeitung in der Das heißt: Es werden mindestens Tarifgehälter ge- Region nicht möglich ist, wird dies aufgezeigt zahlt oder ordnungsgemäße Minijobverträge bzw. und die nächstmögliche Verarbeitungsstätte ge- kurzfristige Beschäftigungsverträge abgeschlos- nutzt. sen. Vermarktungsprinzip Produktionsprinzipien » Aus der Region – für die Region – Die Vermark- tung des Produktes findet überwiegend in der » Die landwirtschaftliche Produktion orientiert definierten Region statt und ggf. in benachbar- sich an den im Rahmen des Leitbildes formu- ten Gemeinden/Städten. lierten Entwicklungszielen. » Die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus- Soziales Prinzip gehenden Leistungen und Qualitäten werden durch anerkannte Systeme zertifiziert. » Faire Bezahlung von Mitarbeiter*innen und für Entwicklungsziele für eine klima-, umwelt- und ressourcenschonende sowie biodiversitätsfördernde landwirtschaftliche Produktion » Die landwirtschaftlichen Betriebe bei der Um- Stickstoff und Phosphor auf den landwirtschaft- stellung auf „Ohne Gentechnik“ (Verzicht auf lichen Betrieben entwickeln. gentechnisch verändertes Saatgut, Pflanzgut » Die Umsetzung biodiversitätsfördernder1 Maß- und Futtermittel) unterstützen. nahmen auf den landwirtschaftlichen Betrieben » Den integrierten Pflanzschutz als Standard si- etablieren. Biodiversitätsfördernde Leistungen chern und weiterentwickeln. der landwirtschaftlichen Betriebe glaubwürdig darstellen. » Die landwirtschaftlichen Betriebe bei der Re- duktion bis hin zum kompletten Verzicht von » Die Umsetzung ressourcenschonender2 Maß- chemisch/synthetischen Pflanzenschutz- und nahmen auf den landwirtschaftlichen Betrieben Düngemitteln und der Entwicklung alternativer etablieren. Die ressourcenschonenden Leistun- Verfahren unterstützen. gen der landwirtschaftlichen Betriebe glaub- würdig darstellen. » Die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft auf den landwirtschaftlichen Betrieben fördern. » Die Umstellung auf ökologischen Landbau nach den Kriterien der Bioanbauverbände fördern » Eine ausgeglichene Hoftor-Bilanz für jeweils und begleiten. Entwicklungsziele für die Tierhaltung » Den Einsatz vorwiegend regionaler Futtermittel » Bestandsgrößen angelehnt an das Bundes-Im- forcieren.3 missionsschutzgesetz4 als Obergrenzen etablie- ren. » Den Anbau von Leguminosen (Eiweißfuttermit- tel) in der Region fördern. » Weidehaltung bei Rindern und Milchkühen so- wie Freiland- und Biohaltungen bei Hennen und » Die landwirtschaftlichen Betriebe bei der Einhal- Außenklimakontakt bei Schweinen erhalten tung einer Flächenbindung von 2 GVE pro Hek- und etablieren. tar unterstützen. 1 Biodiversitätsfördernd können z.B.Agrarumweltmaßnahmen wie vielfältige/weite Fruchtfolgen,Anbau von Leguminosen oder Leguminosen- gemenge,Anbau widerstandsfähiger Getreidesorten, Klee-Gras-Untersaat im Getreide,Anbau alter regionaltypischer Sorten, Anlage und Pflege von Hecken/Feldrainen/Gebüschen, Einrichtung von Kleinflächen in Ackerflächen (z.B. Lerchenfenster), Pflege von Streuobst-/ Magerwiesen sein. 2 Ressourcenschonend können z.B. Agrarumweltmaßnahmen wie Schutz des Bodens vor Erosion und des Wassers vor Nährstoffeintrag – z.B. durch Zwischenfruchtanbau oder Gewässerrandstreifen, Einsatz von biologisch abbaubaren Mulchmaterialien zur Verbesserung des Boden- lebens sein. 3 Regionales Grundfutter und perspektivisch auch Kraftfutter. 4 1.500 Mastschweineplätze, 560 Sauenplätze, 4.500 Ferkelaufzucht/Ferkelplätze, 15.000 Hennenplätze, 15.000 Putenplätze, 30.000 Mastgeflügel- plätze, 200 Rinder, 150 Milchkühe
12 Permanente Strukturen zum Aufbau regionaler Vermarktung etablieren III. Notwendige Handlungsstränge zum Ausbau der regionalen Vermarktung nachhaltig erzeugter Produkte Das zentrale Ergebnis der Beratungen im Rahmen in den Fokus gerückt und bearbeitet werden. des Landesdialogs Regionalitätsstrategie NRW ist: es fehlen in den Regionen permanente Strukturen Das Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW hat sich im zur Unterstützung des Aufbaus regionaler Vermark- Dialogprozess daher auf diese vier Arbeitsfelder ver- tung. Es fehlen Anlaufstellen, die Landwirt*innen ständigt, die für einen Ausbau regionaler Vermark- mit Handwerksbetrieben und engagierten Verbrau- tung wesentlich sind: cher*innen vernetzen, daraus entstandene Projek- tideen begleiten, betreuen und bei der Beantragung 1. Permanente Strukturen zum Aufbau regionaler von Fördermitteln umfänglich unterstützen. Es fehlen Vermarktung etablieren Orte als Treffpunkte für Begegnung und Aktionen zum 2. Bürokratie abbauen Thema nachhaltige Ernährung und vor allem Orte an denen Bündelung, (Vor)-Verarbeitung und Verteilung 3. Förderprogramme anpassen, erweitern und in von regionalen Lebensmitteln stattfinden. die Fläche bringen 4. Qualifizierung und Beratung anpassen Aus dieser Diskussion heraus entstand die Idee der Regionalen Wertschöpfungszentren (RegioWez: sie- Dem Netzwerk ist bewusst, dass darüber hinaus noch he S. 16-18). Parallel zur Einrichtung von RegioWez weitere Prozesse in Gang gesetzt werden müssen, hat in möglichst vielen Regionen in NRW müssen aber sich aber in dem vorliegenden Papier auf die Konkre- auch die immensen bürokratischen Hürden, die un- tisierung dieser vier Handlungsstränge verständigt. übersichtlichen Förderstrukturen bzw. fehlenden In Netzwerktreffen, Onlineforen und intensiven Bera- Förderprogramme für v.a. den Ausbau von Weiter- tungsgesprächen mit einzelnen Netzwerkpartner*in- verarbeitungsstätten sowie die großen Lücken in der nen wurden zu den vier Arbeitsfeldern Handlungs- Qualifizierung für das Thema Regionalvermarktung empfehlungen erarbeitet, diskutiert und festgelegt. 1. Permanente Strukturen zum Aufbau regionaler Vermarktung etablieren AUSGANGSLAGE In Nordrhein-Westfalen gibt es verschiedene Modelle zur Vermarktung regionaler Produkte, unter anderem: » Regionalvermarktungsinitiativen, wie z.B. bergisch pur, die Regionalmarke EIFEL oder Lippe Qualität » Marktschwärmereien, Wochenmärkte » Hofläden, Abokisten-Modelle, Online-Vermark- tungsplattformen » Solidarische Landwirtschaften, Erzeuger-Verbrau- cher-Gemeinschaften » Regionalwert AGs » Erzeugerzusammenschlüsse Diese bieten nicht nur für Kleinst-, Klein- und mit- telständische Betriebe zukunftsfähige Einkommens- möglichkeiten, sondern auch vertrauenswürdige Angebote für die Verbraucher*innen sowie Teilhabe- möglichkeiten am Ernährungssystem inklusive der so notwendigen Erzeuger-Verbraucher-Kommunika- tion.
Regionalitätsstrategie NRW 13 Einen Überblick zur aktuellen Verbreitung der regi- onalen Vermarktungsmodelle in NRW geben die im Anhang beigefügten Karten. Einen Überblick über die bundesweite Initiativenlandschaft liefert der Bundes- verband der Regionalbewegung in seinem „Regio- Portal – die Online-Plattform für Regionalinitiativen in Deutschland“. Träger dieser Initiativen bzw. Marktmodelle sind un- ter anderem: » Regionalvermarktungs- bzw. Streuobstinitiativen als Verein oder z.B. als GmbH oder GbR » Erzeugerorganisationen/Erzeugergemeinschaften » Erzeuger-Verbraucher-Kooperativen » Ernährungsräte » Regionalwert AGs » Naturschutzvereine, z.B. NABU » Naturparke » Kirchenkreise » Wirtschaftsförderungen » LEADER geförderte Akteure oder LEADER-Aktions- gruppen selbst » Landwirtschaftskammern/Bauernverbände » Biologische Stationen Auch für einzelne Direktvermarktende kann sich die Zusammenarbeit mit Anderen positiv auf deren Um- » Start-ups satz z.B. in den eigenen Hofläden auswirken. Der Austausch von Produkten, abgestimmte Lieferwege, ein gemeinsames Marketing sowie Öffentlichkeitsar- Es gibt also bereits viele gute Ansätze zur Regiona- beit können vor allem in Regionen außerhalb der Bal- lisierung in der Ernährungswirtschaft, die gleichzei- lungsräume die Angebote sichtbarer und vielfältiger tig auch eine zukunftsfähige, nachhaltige Landbe- machen. wirtschaftung fokussieren: Diese in den Regionen zu unterstützen, zu professionalisieren, zu verviel- Die oben genannten Initiativen sind in NRW und fältigen und zu vernetzen muss Ziel einer Nachhal- auch bundesweit nur punktuell vorhanden. Einige tigkeitspolitik in NRW sein. Nur dadurch kann der von ihnen haben sich bereits gut am Markt etabliert. Anteil regional vermarkteter Produkte, der derzeit Festzustellen ist jedoch, dass sie häufig unabhängig marginal ist, deutlich erhöht werden. Dabei sollte der voneinander arbeiten und teilweise nichts voneinan- Fokus auf der Förderung von Wertschöpfungsnetz- der wissen. Sie entstehen oft zufällig, dort wo Men- werken liegen, denn die Zusammenarbeit mehrerer schen sich – nicht selten im Ehrenamt, neben ihrem Betriebe aus Landwirtschaft und Verarbeitung kann Produzent*innendasein oder als gesellschaftlicher in einem gemeinsamen Organisationsrahmen dem Akteur – dem Thema annehmen. Personal in komple- einzelnen Betrieb viele Vorteile bieten. So ist z.B. die xen Vermarktungsprojekten arbeitet in der Regel in Verhandlungsposition gegenüber dem Lebensmit- befristeten Projektstellen für den Aufbau regionaler teleinzelhandel verbessert, die Werbung wie auch Vermarktung, was langfristige Planungen und Pro- die Verbraucher*innenkommunikation auf mehreren fessionalisierung häufig behindert. Schultern verteilt.
14 Permanente Strukturen zum Aufbau regionaler Vermarktung etablieren HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 1. Regionale Wertschöpfungszentren (Re- Solidarischen Landwirtschaften und sonstigen Regio- gioWez) etablieren nalen Initiativen in den Regionen bündeln, vernetzen und qualifizieren. Es wird dringend ein gesellschaftlicher und politi- scher Konsens für die Schaffung von permanenten, 3. Weitere strukturelle Unterstützung zum projektförderungsunabhängigen Unterstützungs- flächendeckenden Ausbau regionaler Ver- strukturen benötigt: Der Landwirt, die Bäckerin, der marktung Fleischer, die Regionalhändlerin – sie allein können den aufwendigen Vernetzungsprozess entlang von Die Regionalen Wertschöpfungszentren sind ein Bau- Wertschöpfungsketten oder gar den Wiederaufbau stein auf dem Weg zu einer Regionalisierung unse- von Verarbeitungsstrukturen in der Regel nicht leis- res Ernährungssystems. Sie können die Prozesse, ten. Hierfür braucht es Fachpersonal, welches in lan- die bereits in NRW aktiviert sind, positiv unterstüt- desweit zu etablierenden sogenannten „Regionalen zen und voranbringen. In Zusammenarbeit mit den Wertschöpfungszentren“ (RegioWez) die so wichtige bestehenden und den in Gründung befindlichen Re- Unterstützungs-, Vernetzungs- und Aufbauarbeit leis- gionalwert AGs sowie den Ernährungsräten in NRW tet, um systematisch regionale Wirtschaftskreisläufe und den Öko-Modellregionen würden sie die struktu- voranzubringen. Die Regionalbewegung mit ihrem relle Unterstützung für regionale Wirtschaftskreisläu- Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW sieht im Auf- fe und den Aufbau von Wertschöpfungsnetzwerken bau solcher Zentren ein großes Potential für eine maßgeblich voranbringen. Darüber hinaus muss vor zukunftsfähige Ernährung und Lebensmittelpolitik in dem Hintergrund einer hohen Priorität von Regiona- NRW. Diese zu etablierenden Zentren sind mit den lisierungsprozessen für unsere Ernährung weitere neu entstehenden Öko-Modellregionen in NRW2 zu permanente strukturelle Unterstützung mit Hilfe von vernetzen, um Synergieeffekte zu nutzen. Politik und Verbänden etabliert werden. Eine ausführliche Beschreibung der RegioWez findet Dies kann folgendermaßen umgesetzt werden: sich auf Seite 16-18. » Kommunen unterstützen Ernährungsräte und stel- 2. Die Regionalbewegung NRW mit dem len Regional-/Ernährungsmanager*innen ein, die Netzwerk Regionalitätsstrategie als über- wiederum Projekte in die Regionen holen und Ini- geordnete Serviceleister der RegioWez tiativen starten können. » LEADER-Managements sind zum Thema Regional- Die Regionalbewegung NRW mit dem Netzwerk Re- vermarktung gebrieft und regen verstärkt Projekte gionalitätsstrategie bietet sich als überregionaler in diesem Kontext an (vergl. Seite 28-29). Serviceleister für Vernetzung und Fortbildung der Wertschöpfungszentren an. Sie kann die Schulungs- » Die Wirtschaftsförderungen der Landkreise neh- angebote anderer Organisationen und Verbände men die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläu- koordinieren bzw. selbst Schulungen für die Mitar- fe mit auf in ihr Portfolio und beraten zu Förder- beiter*innen der Zentren durchführen (vergl. „Quali- möglichkeiten für Betriebe zum Aufbau regionaler fizierungsoffensive Regionalvermarktung NRW“ Sei- Wertschöpfungsnetzwerke. te 34-35), den Wissenstransfer und die Vernetzung der » Landwirtschafts- und Handwerkskammern sowie RegioWez leiten sowie Best-Practice-Beispiele kom- Innungen bzw. Landwirtschafts- und Naturschutz- munizieren. Die Regionalbewegung NRW kann in Ab- verbände entwickeln entsprechende Beratungsan- stimmung mit dem Netzwerk Regionalitätsstrategie gebote und gewichten das Thema. NRW und weiteren erfahrenen Akteuren Vorschläge für das Arbeitsprofil der RegioWez (in Anlehnung an Darüber hinaus muss auch auf Landesebene das The- das im Netzwerkprozess abgestimmte „Leitbild Regi- ma strukturell unterstützt werden: onalprodukt “) entwickeln und durch entsprechende Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit in Politik und » Regio.Diskurs.NRW fortführen: Dauerhafte Eta- Gesellschaft die Etablierung sowie den Erfolg der blierung des Netzwerkes Regionalitätsstrategie Zentren unterstützen. NRW zur Politikberatung » Einrichtung eines Referats Regionale Wertschöp- Insgesamt kann die Regionalbewegung NRW lan- fung im Landwirtschafts- sowie auch im Wirt- desweit die Aktivitäten von Regionalvermarktungsi- schaftsministerium nitiativen, Regionalwert AGs, Marktschwärmereien, 2 Die Förderung von Öko-Modellregionen in NRW startete im Jahr 2021. Ziel der Förderung von Öko-Modellregionen ist unter anderem die Erwei- terung und stärkere Vernetzung von Verarbeitungs- und Vermarktungsmöglichkeiten, etwa im Lebensmittelhandwerk, im Handel, in der Gast- ronomie oder in öffentlichen Kantinen. Durch eine bessere Erschließung regionaler Absatzpotentiale soll das Interesse an einer Umstellung und damit langfristig der Anteil an ökologisch bewirtschafteter Fläche in Nordrhein-Westfalen steigen.
Regionalitätsstrategie NRW 15 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN ZUM THEMA „PERMANENTENTE STRUKTUREN ZUM AUFBAU REGIONALER VERMARKTUNG ETABLIEREN“ IM ÜBERBLICK Akteur: Land NRW » Regionale Wertschöpfungszentren (RegioWez) etablieren » Regionalbewegung NRW mit dem Netzwerk Regionalitästsstrategie als überregionale Serviceleister der RegioWez und der regionalen Initiativenlandschaft in NRW institutionalisieren » LEADERmanagements zum Thema Regionalvermarktung briefen » Regio.Diskurs.NRW fortführen: Dauerhafte Etablierung des Netzwerkes Regionalitätsstrategie NRW zur Politikberatung » Referat Regionale Wertschöpfung im Landwirtschafts- sowie auch im Wirtschaftsministerium einrichten Akteur: Landkreise/Kommunen » Entwicklung Kommunaler Regionalitätsstrategien unterstützen » Ernährungsräte unterstützen und Regional-/Ernährungsmanager*innen einstellen » Klassische Wirtschaftsförderungen um das Thema Aufbau regionaler Wertschöpfungsnetzwerke erwei- tern Akteur: Verbände/Kammern und Innungen » entsprechende Beratungsangebote entwickeln und Thema gewichten (Landwirtschafts- und Handwerks- kammern sowie Innungen bzw. Landwirtschafts- und Naturschutzverbände)
16 Permanente Strukturen zum Aufbau regionaler Vermarktung etablieren Exkurs: Was versteht das Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW unter einem Regionalen R e g io We z Wertschöpfungszentrum? RegioWez sind Einrichtungen in den Regionen, in Die Aufgaben der Wertschöpfungsmanager*innen denen Vernetzung, Koordination, Beratung, Un- terstützung, Begleitung, Schulung, Begegnung Regionale Wertschöpfungszentren sollen in der und ggf. auch – in unternehmerischer Eigenver- Region die Rahmenbedingungen für eine nach- antwortung – Weiterverarbeitung, Bündelung und haltige regionale Vermarktung von Lebensmitteln Logistikorganisation stattfinden. Dadurch werden schaffen und Serviceleistungen für Landwirtschaft, die regionale Vermarktung von Lebensmitteln in Verarbeitung, Handwerk, Gastronomie/Kantinen, der Region vorangebracht, erfolgreiche Regional- Verbraucherschaft und Kommunen anbieten. versorgungsmodelle vervielfältigt sowie neue Ge- Durch Beratung, Unterstützung und Vernetzung schäftsmodelle entwickelt. bestehender bzw. gründungswilliger Betriebe können Wertschöpfungsnetzwerke neu aufgebaut In den Räumlichkeiten des Zentrums sind und Verarbeitungsstrukturen wie Schlachthöfe, Mühlen, Brauereien oder Gemüseverarbeitung A. die Büros der Wertschöpfungsmanager*innen verdichtet werden. Eine überregionale Vernetzung angesiedelt (jeweils mindestens drei Personen von Wertschöpfungszentren ermöglicht zudem mit unterschiedlichen Aufgaben). eine größere Handlungsbreite. Je nach den gegebenen Möglichkeiten und Aus- Als erstes sollen in den Regionen kommunale Re- gangsbedingungen dienen die Zentren außerdem gionalitätsstrategien entwickelt werden, die den noch als Istzustand der Regionalvermarktung darstellen, ein politisches und gesellschaftliches Agreement B. physische Zentren, für Aktionen, Austausch und für eine zukunftsfähige nachhaltige Landwirtschaft Beratung, mit regionaler Vermarktung formulieren und erste Handlungsansätze aufzeigen. In einigen Regionen C. gewerbliche Zentren, wo z.B. Aggregation, La- gibt es bereits – angeregt von den Ernährungs- gerung, Verarbeitung, Verteilung und/oder Ver- räten – kommunale Ernährungsstrategien, die marktung von regional produzierten Lebensmit- um die Aspekte einer gezielten Regionalisierung teln in unternehmerischer Eigenverantwortung ergänzt werden müssen. Außerdem soll in den lokalisiert sind. Regionalitätsstrategien die kommunale Entwick- lungsplanung für die Landwirtschaft und ein Ge- Beispiele für kommunale Spielräume zur Stär- samtkonzept für das Ernährungshandwerk Berück- kung von Regionalisierungsprozessen: sichtigung finden. Im Rahmen der kommunalen Entwicklungspla- Weitere Aufgabenbereiche der Wertschöpfungs- nung für die Landwirtschaft kann z.B. ein land- manager*innen wirtschaftliches Übergangskonzept für viehstar- ke Regionen erarbeitet werden. Darüber hinaus Einige der in der vorliegenden Regionalitätsstrate- können der Erwerb von landwirtschaftlichen Flä- gie aufgeführten Forderungen können durch eine chen und Anteilen an Landwirtschaftsbetrieben entsprechend gut ausgestaltete Personaldecke in durch außerlandwirtschaftliche Investor*innen den RegioWez abgedeckt werden. Zur Erfüllung erschwert und in Pachtverträgen städtischer der Aufgaben müssen mindestens jeweils drei Flächen bestimmte Praktiken festgeschrieben Personalstellen in den RegioWez geschaffen wer- werden. Die Kommune hat die Möglichkeit fest- den. zulegen, dass sie Wochenmärkte mit regionalen Anbieter*innen vorrangig unterstützen will und » Ansiedlung von Bürokratielotsen Regionalver- die Standgebühren entsprechend gestalten. Sie marktung in den RegioWez: Handlungsmög- kann Vorgaben zur Gemeinschaftsverpflegung lichkeiten zur Entbürokratisierung aufzeigen und zur öffentlichen Beschaffung machen, regio- und begleiten (siehe S. 21) nale Produkte auf eigenen Veranstaltungen oder » Ansiedlung von RegioFörderlotsen in den Re- in Betriebskantinen einsetzen, geschultes Perso- gioWez: Vermittlung von vorhandenen Förder-/ nal für das wichtige Thema Ernährung bereitstel- Unterstützungsangeboten und Begleitung von len und Regionalvermarktungsinitiativen und Er- der Förderantragstellung bis zur Umsetzung nährungsräte unterstützen. (siehe S. 28) » Umsetzung einzelner Maßnahmen aus der
Regionalitätsstrategie NRW 17 Qualifizierungsoffensive Regionalvermarktung dingungen für eine Platzierung nachhaltig und R e g io We z NRW (siehe S. 34-35) regional erzeugter Produkte bei öffentlichen Beschaffungen Darüber hinaus sollte das Personal der RegioWez folgende Prozesse anleiten und begleiten: » Unterstützung des Aufbaus von Absatzmöglich- keiten über Gastronomie, LEH, Online-Plattfor- » Coaching, Moderation und Mediation von Ent- men wicklungsprozessen und des Stadt-Land-Dia- » Unterstützung des Aufbaus von Veredlungszen- logs tren und regionale Verteiler- bzw. Logistikzent- » Vernetzung und Koordination von Unterneh- ren men der Erzeugung, Verarbeitung und des Han- » In enger Zusammenarbeit mit der Landwirt- dels für den Auf- bzw. Ausbau regionaler Wirt- schaftskammer Begleitung interessierter Land- schaftskreisläufe wirt*innen beim Ausstieg aus der Tiermast und » Unterstützung des Aufbaus von Regionalver- dem Einstieg in den Gemüseanbau mit entspre- marktungsinitiativen sowie des Aufbaus partizi- chenden regionalen Vermarkungskonzepten pativer Organisationsformen » Öffentlichkeitsarbeit, Dialog-Veranstaltungen » Unterstützung Regionaler Start-Ups in den Be- für höhere Wertschätzung der Landwirtschaft reichen Lebensmittelverarbeitung, -vermark- in der Region (Begegnung und Austausch zum tung, -logistik Thema ermöglichen) » Einführung von Marketinginstrumenten zur Ver- » Verbraucher*innenbefragungen und Marktana- breitung und Bewerbung regionaler Produkte lysen inklusive B2B (Business-to-Business)-Marketing Um die Aufgabenbereiche der Wertschöpfungsma- » Unterstützung des Aufbaus von Absatzmöglich- nager*innen in den RegioWez umfänglich in einem keiten über Gemeinschaftsverpflegung inklusi- Aufgabenkatalog klar zu definieren, ist es wesent- ve der Beratung zu den rechtlichen Rahmenbe- lich, die Zuständigkeiten der relevanten Player auf Bioanbauverbände en nn r*i tne S ta d Par t Land Vermarktung Verbraucher*innen Bio-Regio-Hofladen en nn Verar i r* ge eu beit Erz er* inn en Bilder: „Freepik.com“ Diese Darstellung wurde mit Ressourcen von Freepik erstellt. Copyright © Regionalbewegung NRW
18 Permanente Strukturen zum Aufbau regionaler Vermarktung etablieren Landesebene (z.B. LANUV, ZELE, Landwirtschafts- Stationen1 in NRW dar. Die Förderrichtlinien Bio- R e g io We z kammern, Biologische Stationen) und in der jewei- logische Stationen NRW (FöBS) ist hierfür die ligen Region zu erfassen und daraus ableitend die Grundlage. fehlenden Bedarfe zu benennen. Dieses Vorgehen sichert das Ziel der RegioWez, vorhandene Ange- Nach Möglichkeit sollen die RegioWez an Beste- bote zu vernetzen und entsprechend zu ergänzen. hendes anknüpfen, um Strukturen, die bereits im Kontext der Regionalvermarktung aktiv sind, Finanzierung, Verortung und Verankerung der Re- als Grundlage zu nutzen und zu optimieren. Das gioWez – Verknüpfung mit bereits Bestehendem heißt, es müssen nicht zwingend in jeder Region komplett neue Strukturen aufgebaut werden. Die Das Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW emp- RegioWez können bei bereits im Kontext Regional- fiehlt, dass in einem dynamischen Prozess in versorgung aktiven Initiativen/Einrichtungen – wie den nächsten Jahren mehrere RegioWez in NRW z.B. Regionalvermarktungsinitiativen, Ernährungs- entstehen sollten. Eine gestaffelte Einführung er- räten, Naturparken, Regionalwert AGs, Bauernver- möglicht einen effektiven Lernprozess, der Orga- bände etc. – angesiedelt werden. Darüber hinaus nisation und Arbeitsweise sukzessive optimiert. können z.B. auch bereits bestehende multifunkti- Perspektivisch sollten etwa zehn bis zwölf Zen- onale Dorfläden als Kristallisationspunkte für neu tren entstehen, die untereinander vernetzt sind zu gründende RegioWez dienen. Eine enge Vernet- und auch eng mit den in NRW neu entstehenden zung und Zusammenarbeit der RegioWez auf Re- Öko-Modellregionen zusammenarbeiten. gierungsbezirks-Ebene ist ratsam. Die Basis-Finanzierung kann anteilsmäßig durch Die Arbeit der Regionalen Wertschöpfungszentren Land, Landkreis und Kommune erfolgen. Ergänzt sollte – vergleichbar dem Konzept der Biologi- werden kann die Finanzierung durch die Einwer- schen Stationen – von neu zu gründenden Träger- bung unterschiedlicher Fördermittel von Land und vereinen organisiert werden. Mögliche Mitglieder Bund sowie von Unternehmen wie auch durch der Trägervereine wären: Bürger*innengeld und durch Nutzungseinnah- men. Das in die RegioWez investierte Geld trägt » Landwirtschaftskammern und Handwerkskam- zum Aufbau regionaler Wirtschaftskraft bei und mern bzw. -innungen kommt über Rückfinanzierungen (z.B. geleistete » Kommunen- und Landkreisverwaltungen Gewerbesteuer) wieder der Region zugute. Ein Finanzierungsmodell stellen z.B. die Biologischen » Wirtschaftsförderung » Tourismusförderung Ähnliche Modelle für vergleichbare Themen in NRW » Regionalvermarktungsinitiativen » Veterinär- und Ordnungsämter Auch in anderen Bereichen wird die Notwendig- » Bauern- und Naturschutzverbände keit für den Aufbau projektunabhängiger Unter- stützungsstrukturen erkannt und entsprechend » Bioanbauverbände gehandelt. So wurden zum Beispiel folgende » Naturparke Einrichtungen etabliert: »Verbraucherzentralen NRW – mit 61 » Verbraucherverbände Beratungsstellen » Ernährungsräte »Regionalzentren Bildung für nachhaltige » Biologische Station Entwicklung »Biologische Stationen »Eine Welt Promotor*innen »RENN – Regionale Netzstellen Nachhalti- keitsstrategie 1 Die Biologischen Stationen sind in NRW aus dem ehrenamtlichen Naturschutz hervorgegangen und stellen heute ein Bindegliedzwischen dem ehrenamtlichen und dem amtlichen Naturschutz dar. Inzwischen existieren beinahe flächendeckend in fast allen Landkreisen Biologische Stati- onen. Sie sind inVereinsträgerschaft in Kooperation mit den Naturschutzverbänden organisiert und werden vom NRW-Umweltministerium und dem jeweiligen Kreis finanziert. Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Unterstützung vonTätigkeiten der Biologischen Sta- tionen NRW für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden in der Förderrichtlinien Biologische Stationen NRW – FöBS festgelegt.
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