Resonanzpädagogik Proteste gegen Bildungsabbau - NEU mit dem Mitgliedermagazin der Sektion Zürich Lehrberufe - vpod ...

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Nummer 198 / September 2016

                            Zeitschrift für Bildung, Erziehung und Wissenschaft

Resonanzpädagogik

Proteste gegen
Bildungsabbau

NEU mit dem
Mitgliedermagazin der
Sektion Zürich Lehrberufe
Inhalt

Der Bildungsabbau
                                                                                                                                     Zeitschrift für
in den Kantonen                                                                                                                      Bildung, Erziehung
beeinträchtigt die                                                                                                                   und Wissenschaft
Qualität öffentlicher
Bildung.                                                                                                      vpod bildungspolitik 198
                                                                                                              September 2016
                                                                                                              Ausgewählte Artikel der aktuellen Nummer
                                                                                                              der vpod bildungspolitik sind auch auf unserer
                                                                                                              Homepage zu finden. Jeweils zwei Monate
                                                                                                              nach Erscheinen sind die vollständigen Hefte
                                                                                                              als pdf abrufbar:
                                                                                                              vpod-bildungspolitik.ch

                                                                                                              Impressum
                                                                                                              Redaktion / Koordinationsstelle
                                                                                                              Birmensdorferstr. 67
                                                                                                              Postfach 8279, 8036 Zürich
                                                                                                              Tel: 044 266 52 17
                                                                                                              Fax: 044 266 52 53
                                                                                                              Email: redaktion@vpod-bildungspolitik.ch
                                                                                                              Homepage: www.vpod-bildungspolitik.ch
                                                                                                              Herausgeberin: Trägerschaft im Rahmen des

       Resonanz                                                                                               Verbands des Personals öffentlicher Dienste VPOD
                                                                                                              Einzelabonnement: Fr. 40.– pro Jahr (5 Nummern)
       Der Resonanzbegriff steht im                                                                           Einzelheft: Fr. 8.–

       Mittelpunkt eines neuen Konzepts
                                                         Pflichtlektion                                       Kollektivabonnement: Sektion ZH Lehrberufe;
       kritischer Pädagogik. Sparen am                   Zürich                                               Lehrberufsgruppen AG, BL, BE (ohne Biel), LU, SG.

       Service Public und Bildungsabbau                                                                       Satz: erfasst auf Macintosh
       verunmöglichen auch «Resonanz».                   11 – 14 Das Mitgliedermagazin der                    Layout: Sarah Maria Lang, Brooklyn
                                                         Sektion Zürich Lehrberufe                            Titelseite Foto: antifalten / photocase.de
                                                         Aktionstag am 28. September gegen Abbaupolitik       Druck: Ropress, Zürich
                                                         – Bildung wird kaputtgespart – Neuzugang Roseli
       04 Resonanz in Gesellschaft und
       Schule                                            Ferreira – 10ni-Pause und Agenda.                    ISSN: 1664-5960
       Ein gelingendes Leben braucht Resonanz-                                                                Erscheint fünf Mal jährlich
       erfahrungen. Diese sind sowohl Bedingung als                                                           Redaktionsschluss Heft 199:
       auch Resultat von Bildungsprozessen.                                                                   10. Oktober 2016

       07 Politik der leeren Kassen
                                                         VSoS                                                 Auflage Heft 198: 3800 Exemplare
                                                                                                              Zahlungen:
       Die Unternehmenssteuerreform III würde Milliar-
                                                         19 Wer oder was ist behindert?                       PC 80 - 69140 - 0, vpod bildungspolitik, Zürich
       denlöcher in die öffentlichen Kassen reissen.
                                                         Allenfalls die Schule selber?                        Inserate: Gemäss Tarif 2011; die Redaktion kann
       Davon wäre auch der Bildungsbereich betroffen.
                                                         Die Kolumne des Vereins für eine Volksschule         die Aufnahme eines Inserates ablehnen.
                                                         ohne Selektion.

                                                                                                              Redaktion
                                                                                                              Verantwortlich im Sinne des Presserechts
       Aktuell                                                                                                Johannes Gruber

       08 Eine Frage des politischen Willens
                                                         Film und Medien
                                                                                                              Redaktionsgruppe
       Das Waadtländer Modell der KITA-Finanzierung      20 When I Grow Up I Want to Be                       Susanne Beck-Burg, Roseli Ferreira, Christine
       ist eine Mogelpackung. Nötig wären stattdessen
                                                         a Tourist                                            Flitner, Fabio Höhener, Markus Holenstein, Ernst
       ausreichende öffentliche Mittel.                                                                       Joss, Ute Klotz, Ruedi Lambert (Zeichnungen),
                                                         Ein Film über den Traum eines Jungen aus
                                                                                                              Thomas Ragni, Martin Stohler, Ruedi Tobler, Peter
                                                         Gambia und die Wirklichkeit globaler Ungleichheit.
       15 Von der Sekundarschule zur                                                                          Wanzenried
       Gesamtschule?
                                                         22 Migration erforschen und erfahren
       Eine neue Geschichte des Schulwesens im                                                                Beteiligt an Heft 198
                                                         Die Webseite conTAKT-spuren.ch stellt Hilfsmittel
                                                                                                                                                                  misterQM / photocase.de

       Kanton Bern fokussiert auf den Aspekt der                                                              Hildegard Hefel, Birgit Henökl-Mbwisi, Liselotte
                                                         für die Behandlung von Migration im Unterricht
       Selektion.                                                                                             Lüscher, Roland Schaller, Daniel Weibel
                                                         bereit.

                                                                                                              Dieser Ausgabe der bildungspolitik liegt der
                                                                                                              Flyer «Abbau stoppen!» bei.

       2   vpod bildungspolitik 198
Editorial

           m 28.09. findet in Zürich ein           dazu, dass bei der Umsetzung des neuen

A          Aktionstag mit Demonstration
           gegen die kantonale Spar- und
           Abbaupolitik statt. Der vorliegenden
Ausgabe der vpod bildungspolitik ist ein Flyer
beigelegt, der unter dem Motto «Weil unsere
                                                   Lehrplan 21 (LP 21) ein Qualitätsabbau in
                                                   Kauf genommen wird, indem Unterricht in
                                                   Halbklassen reduziert wird und bei der Aus-
                                                   und Weiterbildung der Lehrpersonen gespart
                                                   werden soll. Katrin Meier, die Präsidentin der
Bildung kaputt gespart wird – Abbau stoppen,       VPOD Sektion Lehrberufe Zürich, zog daraufhin
gemeinsam gegen Sparpolitik» zur Teilnahme         die Reissleine und reichte im Kantonsrat eine
an den Protesten aufruft. Die Artikel von Roseli   Einzelinitiative für ein Moratorium des LP 21
Ferreira (vgl. S. 11) und Fabio Höhener (vgl.      ein (vgl. bildungspolitik 197, S. 15). Mit der
S. 12-13) beleuchten die Hintergründe der          Umsetzung des LP 21 soll gewartet werden,
geplanten Ausgabenkürzungen des Kantons.           bis auch die notwendigen Ressourcen für diese
Die Steuersenkungspolitik der letzten Jahre        bereit stehen. Ende August stellte sich mehr
und Jahrzehnte führt dazu, dass das Ziel           als ein Drittel der Mitglieder des Kantonsrats
eines ausgeglichenen Budgets nur mehr durch        hinter die Initiative, sodass sich nun die
Ausgabenkürzungen zu erreichen ist. Ihren Teil     Regierung mit der Forderung nach einem
dazu beigetragen haben auch Steuerausfälle         Moratorium und mehr Mittel beschäftigen
durch die Unternehmenssteuerreform II. Nun         muss.
drohen noch grössere Einnahmenverluste für
die öffentlichen Kassen mit dem Inkrafttreten      Das Manifest der InitiantInnen des Aktionstags
der Unternehmenssteuerreform III, das es           vom 28.09. verweist auf einen Punkt, der
deshalb unbedingt zu verhindern gilt (vgl.         Vielen noch zu wenig bewusst ist. Während
S. 7). Mit einer «Politik der leeren Kassen»       die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen
betreiben bürgerliche Parteien eine Demontage      durch die bürgerliche Spar- und Abbaupolitik
des Service Public: Nachdem Einnahmen              unter Druck gerät, suchen die Verantwortlichen
durch Steuergeschenke an Firmen und Reiche         für diese Politik nach «Sündenböcken»:
gezielt reduziert wurden, heisst es nun,           Asylsuchende, MigrantInnen, IV-BezügerInnen
dass im öffentlichen Verkehr, im Sozial- und       seien verantwortlich dafür, dass Leistungen
Gesundheitsbereich sowie bei der Bildung           gekürzt werden müssen. Treten wir in
gespart werden muss.                               unserem Kampf gegen die Abbaupolitik
                                                   auch einer solchen rechtspopulistischen
Ein gutes Bildungssystem hat jedoch                Stimmungsmache entgegen: gemeinsam und
seinen Preis. Es braucht entsprechende             miteinander solidarisch.
Rahmenbedingungen, ohne diese kann
auch ein progressives Konzept wie das der
«Resonanzpädagogik» (vgl. S. 4-6) nicht zu
einem guten Unterricht beitragen. Ebenso
braucht es ausgebildete Lehrpersonen
und angemessene Arbeitsbedingungen.
Stattdessen führt im Kanton Zürich die                Johannes Gruber
Abbaupolitik im Bildungsbereich etwa                  Redaktion vpod bildungspolitik

                                                                            vpod bildungspolitik 198   3
thema

                                                Resonanz in
                                                Gesellschaft und
                                                Schule
                                                In zwei Publikationen beschäftigt sich der
                                                Sozialwissenschaftler Hartmut Rosa mit Resonanz. Auf
                                                allgemeiner Ebene als Ausdruck gelingenden Lebens
                                                von Menschen in unserer modernen Gesellschaft.
                                                Spezifisch innerhalb der Schule als Bedingung und
                                                Resultat gelingender Bildungsprozesse.
                                                Von Johannes Gruber

    iner grösseren Öffentlichkeit ist Hartmut   auch ein Blick in seine umfassende, grundle-    Depression oder eines Burnouts: «Man
E   Rosa mit seinem Buch über Beschleuni-
gung als genuine Veränderung der Zeitstruk-
                                                gende Studie über Resonanz zu empfehlen.        ‹hat› beispielsweise Familie, Arbeit, Verein,
                                                                                                Religion etc., aber sie ‹sagen› einem nichts:
turen in modernen Gesellschaften1 bekannt       Resonanz und Entfremdung                        Es findet keine Berührung mehr statt, das
geworden. Die Analyse der modernen              Anhand von idealtypischen Beispielen il-        Subjekt wird nicht mehr affiziert und erfährt
Zeitverhältnisse respektive die Offenlegung     lustriert Rosa dort zu Beginn seine zentrale    keine Selbstwirksamkeit.» (ebd. S. 316)
sozialpathologischer Entwicklungen führte       These, dass die Weltbeziehungen der ein-
ihn nun zur Beschäftigung mit dem Weltver-      zelnen Menschen gelingen oder misslingen        Resonanzvernichtung durch
hältnis der Menschen. Dieses Jahr erschien      können. Resonanz ist das grundlegende           Steigerungsimperative
sein Werk «Resonanz. Eine Soziologie der        Merkmal eines Gelingens. In einer von           Dass die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse
Weltbeziehung» (2016a), in dem er unter-        Resonanz geprägten Beziehung berühren           die Beziehungen des modernen Menschen
sucht, auf welche Art und Weise Menschen        sich Subjekt und Welt und verändern sich        zur Welt deformieren, war bereits der Aus-
Welt erfahren und sich diese aneignen. Im       dadurch. Unterschiedliche Resonanzräu-          gangspunkt für das Denken von Marx. Rosa
Anschluss daran veröffentlichte er gemein-      me – Rosa nennt etwa Familie, Freunde,          knüpft mit den Begriffen «Entfremdung»
sam mit Wolfgang Endres das Buch «Reso-         Politik, Arbeit, Religion, Natur, Kunst und     und «Verdinglichung» hier an. Auch die his-
nanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer         Geschichte – ermöglichen es den Indivi-         torischen Analysen von Charles Taylor greift
knistert» (2016b), das gewissermassen eine      duen prinzipiell, libidinöse Bindungen          Rosa auf: Während das abendländische Sub-
Anwendung seiner «Soziologie der Weltbe-        aufzubauen und so Resonanzerfahrungen           jekt um 1500 noch keine starre Form gehabt
ziehung» auf Schule und Bildungssystem          zu machen. Was sich Rosa unter Resonanz         haben, offen und durchlässig gewesen sein
darstellt. Bereits im Resonanzbuch ist letz-    vorstellt, wird deutlicher, wenn man seine      soll, kam es mit der Herausbildung der mo-
teren ein Unterkapitel gewidmet, an welches     Bestimmung von Resonanz als dem Ande-           dernen Gesellschaft zu dessen Schliessung
nun «Resonanzpädagogik» anknüpft und die        ren der Entfremdung in den Blick nimmt:         und Distanzierung. Mittels rationaler und
Bedeutung von Resonanz für gelingenden          Entfremdung stellt für ihn eine «Beziehung      instrumenteller Bezugsformen bewältigen
                                                                                                                                                         Brian Jackson / fotolia.com

Unterricht weiter ausführt. Um jedoch Rosas     der Beziehungslosigkeit» (Rahel Jaeggi) dar,    die Menschen unserer Zeit mit einem «abge-
Entwurf von Resonanzpädagogik nicht nur         die von Indifferenz und Abwehr geprägt ist,     pufferten Selbst» (Charles Taylor) ihr Leben,
als Rezeptsammlung im Sinne der Ratge-          in der «Welt stets kalt, starr, abweisend und   das im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts
berliteratur wahrzunehmen, sondern ein          nichtresponsiv erscheint» (Rosa 2016a, S.
tieferes Verständnis seiner Diagnosen und       316). Der Verlust aller Resonanzräume ist       1 Hartmut Rosa (2005): Beschleunigung. Die Veränderung
Handlungsempfehlungen zu entwickeln, ist        wiederum auch das zentrale Merkmal einer        der Zeitstrukturen in der Moderne. FaM / Suhrkamp.

4   vpod bildungspolitik 198
Resonanz

immer mehr durch Beschleunigung und              auf der Suche nach sich selbst die richtigen     der Zwang zur Resonanzsimulation grösser
Wettbewerb geprägt wird.                         Entscheidungen zu treffen, ist das Subjekt       werden, was Rosa «zu den entfremdendsten
   Damit moderne Gesellschaften ihren Wei-       auf Resonanzräume angewiesen. Erst wenn          Erscheinungen spätmoderner Arbeits- und
terbestand sichern können, so diagnostiziert     die Weltaneignung über diese gelingt,            Lebenswelten» (Rosa 2016a, S. 626) zählt.
Rosa, sind diese auf einen Modus dynami-         konstituiert es sich als Individuum: «Insbe-
scher Stabilisierung angewiesen, der sich        sondere spätmoderne Individuen versuchen         Was tun?
insbesondere durch Steigerungsimperative         unentwegt, ihre Gefühle zu verstehen, ihren      Es wird deutlich, dass die Art und Qualität der
auszeichnet. Politik reduziert sich damit auf    Körper zu spüren, harmonische Familien-          Weltbeziehung nur sehr eingeschränkt auf
Her- und Sicherstellung von Wettbewerbs-         beziehungen zu etablieren, sich beruflich         individueller Ebene steuerbar ist. Will man
fähigkeit. «Werden die Steigerungsimpe-          zu verwirklichen, künstlerisch zu entfalten,     tatsächlich Resonanzräume und -möglich-
rative nicht erfüllt, drohen Jobverluste und     spirituell weiterzuentwickeln. Sie sind damit    keiten wieder vergrössern, so kommt man
Firmenzusammenbrüche, die einhergehen            in allen Dimensionen ihres Lebens auf der        um eine «Ersetzung der ‹blindlaufenden›
mit sinkenden Staatseinnahmen (durch             Suche nach Antwortbeziehungen und Re-            kapitalistischen Verwertungsmaschinerie
zurückgehendes Steueraufkommen) und              sonanzerfahrungen.» (Rosa 2016a, S. 599)         durch wirtschaftsdemokratische Institutio-
mit einer Erhöhung der Sozialausgaben               Bemerkenswert ist, dass sich diese Reso-      nen [nicht umhin], welche die Entscheidun-
(durch steigende Arbeitslosigkeit), was ten-     nanzorientierung nicht nur auf den Bereich       gen über Produktionsziele ebenso wie über
denziell zu Haushalts- und Schuldenkrisen        des Privaten beschränkt, sondern auch in den     Produktionsformen und -mittel an die Mass-
und darüber vermittelt schliesslich zu einer     Arbeitsbeziehungen anzutreffen ist. Rosa         stäbe gelingenden Lebens zurückzubinden
Krise des politischen Systems führt.» (Rosa      verweist darauf, dass heute vielfach sowohl      vermögen.» (Rosa 2016a, S. 715)
2016a, S. 681)                                   die Arbeitnehmenden wie auch die Arbeitge-          So klar Rosa hier gegen Ende des Buches
   Damit die Menschen in solchen Gesell-         ber eine Identifikation mit der Arbeit erwar-     formuliert: Wie dies gelingen könnte, dazu
schaften überleben können, müssen sie            ten. Der Anspruch auf Selbstverwirklichung       finden sich kaum mehr als Andeutungen.
permanent ihre psychischen Energien zur          / Selbstwirksamkeit stösst auf den zur Steige-   Rosa beschränkt sich weitgehend darauf,
Selbstoptimierung mobilisieren: «Gleich-         rung der Leistungsfähigkeit: «Spätmoderne        «eine andere Form des Daseins, eine andere
gültig, wie kreativ, aktiv und schnell wir in    Akteure haben längst erkannt, dass sie ein       Existenzweise, eine andere Art und Weise des
diesem Jahr sind, nächstes Jahr müssen wir       resonantes Verhältnis zu ihrem Körper und        auf Welt und Leben Bezogenseins wenigs-
uns steigern, lautet die Grundbefindlichkeit      ihrer Psyche benötigen, um langfristig kre-      tens wieder erahnbar» (Rosa 2016a, S. 736)
spätmoderner Subjekte fast überall auf der       ativ und leistungsfähig zu sein, und dass sie    zu machen. Ob dies für die Weiterführung
Welt.» (Rosa 2016a, S. 711) Und: «Es gibt        sich resonant um ihre Kollegen, Kunden oder      Kritischer Theorie bereits ausreicht, sei
keinen Aspekt menschlichen Lebens und            Klienten kümmern müssen, um erfolgreich          dahingestellt.
menschlicher Körper mehr, der sich nicht         zu sein». (Rosa 2016a, S. 622) Angesichts der
mittels neuer Bio-, Pharma-, Psycho- und         Optimierungserfordernisse am Arbeitsplatz        Resonanzpädagogik
Computertechnologien messen und erfas-           dürften die Möglichkeiten für echte Reso-        In seinem Werk «Resonanzpädagogik» fehlt
sen und darüber verbessern, steigern oder        nanzerfahrungen jedoch stetig kleiner und        die gesellschaftstheoretische Einbettung da-
optimieren liesse.» (ebd., S. 715)
   Solchen Rationalisierungs- und Opti-
mierungszwängen stehen die Individuen
weitgehend ohnmächtig gegenüber. Indem
diese Ängste der Individuen befördern, den
Ansprüchen nicht genügen zu können,
erschüttern sie die Basis für Resonanzer-
fahrungen. Die Geschichte der Moderne
erscheint so als eine «Resonanzkatastrophe»,
deren Beschreibung sich insbesondere
bereits Philosophen der frühen Kritischen
Theorie wie Erich Fromm, Theodor W.
Adorno oder Herbert Marcuse gewidmet
haben. Jürgen Habermas und Axel Honneth
reformulierten und aktualisierten deren Fra-
gestellungen. Auch Hartmut Rosa sieht sich
in dieser Tradition, wenn er seine «Soziologie
der Weltbeziehungen […] als eine Kritik der
historisch realisierten Resonanzverhältnisse
[…] und damit […] als eine modifizierte und
erneuerte Form der Kritischen Theorie»
(Rosa 2016a, S. 36) charakterisiert.

Ambivalenzen der Moderne
Rosa betont die Ambivalenzen der Moderne,
                                                                                                     Hartmut Rosa und Wolfgang Endres:
die sich in deren Freiheitsvorstellung zeigen:       Hartmut Rosa: Resonanz. Eine                    Resonanzpädagogik. Wenn es im
Indem soziale Beziehungen, Wohnort, Be-              Soziologie der Weltbeziehung.                   Klassenzimmer knistert.
ruf, Lebenspartner sowie religiöse, politische       Suhrkamp, 2016. 815 Seiten,                     Beltz, 2016. 128 Seiten, Fr. 21.90
oder ästhetische Anschauungen nicht mehr             Fr. 45.90
von der Tradition vorgegeben werden, müs-
sen diese individuell gewählt werden. Um

                                                                                                                        vpod bildungspolitik 198   5
Resonanz

        Die gelungene Stunde: Das Resonanzdreieck                                              Die misslungene Stunde: Das Entfremdungsdreieck

                                         Lehrer                                                                                     Lehrer
                                 erreicht die Schüler und                                                         empfindet Schüler als Bedrohung; erreicht
                               vermittelt Begeisterung; lässt                                                     sie nicht; erfährt sie als desinteressiert und
                                sich aber auch «berühren»                                                               den Lehrstoff als aufgezwungen

                                       Schule                                                                                     Schule
                                         als                                                                                        als
                                    Resonanzraum                                                                            Entfremdungszone
                                                                          Stoff                         Schüler                                                    Stoff
           Schüler
                                                                erscheint beiden Seiten als   ist vom Thema gelangweilt oder
 ist vom Thema gefesselt; fühlt                                                                                                                       erscheint beiden Seiten als
                                                                Feld von bedeutungsvollen       überfordert; Antipathie und /
sich angenommen / aufgehoben                                                                                                                         Zumutung; sagt ihnen nichts;
                                                                    Möglichkeiten und           oder Missachtung gegenüber
      und ist zugleich offen                                                                                                                       spricht sie nicht an; «ödet sie an»
                                                                    Herausforderungen          Klassenkameraden und Lehrer

gegen nahezu vollständig. Fragen ausserhalb                       ich auch hören können. Auch und gerade,                 für den Wettbewerb zu erwerben, ist auf
des Bildungssystems respektive der Institu-                       wenn sie nicht auf Einklang stösst, sondern             Konkurrenten fokussiert und untergräbt
tion Schule stellen sich hier anscheinend                         wenn es Widerspruch gibt. Das ist eine                  in diesem Sinne Resonanzbeziehungen.»
kaum. Stattdessen beschränkt sich Rosa                            wichtige Doppelfunktion: die Stimme muss                (Rosa 2016b, S. 83)
auf eine phänomenologische Darstellung                            auch widersprechen dürfen, sonst gibt es
eines gelingenden Bildungsprozesses, die                          keine eigene Stimme, keinen eigenen Klang.              Cui bono?
sich eng an die begriffliche Systematik sei-                       Meine Stimme muss auf eine andere Stimme                Resonanz als das «prozesshafte In-Be-
nes Resonanzbuchs anlehnt. Die Idee von                           treffen, sonst gibt es keine Resonanz. Aber             ziehung-Treten mit einer Sache» ist eine
Bildung ist für ihn, «Welt für die Subjekte                       diese andere Stimme darf dem Kind nicht als             Voraussetzung wie auch ein Ergebnis von
zum Sprechen zu bringen oder in Resonanz                          etwas Feindliches begegnen, sondern muss                Bildungsprozessen. Sozialstrukturell ist Re-
zu versetzen.» (Rosa 2016b, S. 18) Dies zu                        ihm als etwas Zugewandtes, das es etwas                 sonanzfähigkeit sehr ungleich verteilt. Wenn
ermöglichen ist die Aufgabe der Schule,                           angeht, entgegentreten.» (Rosa 2016b, S. 31f.)          Kinder in die Schule kommen, haben sie
die junge Menschen neugierig auf die Welt                                                                                 bereits ihre spezifischen «Resonanzachsen»
und ihr zukünftiges Leben machen und zur                          Statt Angst und Wettbewerb                              (potentielle Interessensgebiete) mehr oder
Ausbildung «dispositionaler Resonanz»                             Auf beiden Seiten ist Begeisterung ein                  weniger stark ausgebildet. Die Reproduktion
beitragen soll. Die Aufgabe der Resonanz-                         Gradmesser für Resonanz, die etwa an den                (sic!) sozialer Ungleichheit im Bildungssys-
pädagogik ist es, dazu beizutragen, indem                         leuchtenden Augen von Lehrenden und                     tem ist Rosa zufolge Resultat davon, «dass die
mit ihrer Hilfe das Bildungsgeschehen                             Lernenden abgelesen werden kann. Rosa                   Schulen und Bildungsinstitutionen für pri-
überdacht und verbessert wird, um so die Be-                      interpretiert die Interaktionen im Klassen-             vilegierte Bevölkerungsgruppen gleichsam
reitschaft und Fähigkeit der Jugendlichen zu                      zimmer im Sinne eines Kampfs um Sicht-                  als Resonanzverstärker fungieren […] wäh-
«Anverwandlungsprozessen» – gerade auch                           barkeit, Anerkennung und Wertschätzung.                 rend sie für die sogenannten Bildungsver-
in schwierigen Fällen –vermehrt zu fördern:                       «Fast alle Menschen, vor allem Kinder und               lierer nur Entfremdungszonen sind» (Rosa
«Der neue Begriff meint Pädagogik als das                         Jugendliche, haben eine fundamentale, eine              2016a, S. 753). Dies führt sozialstrukturell
Verstehen eines Bildungsgeschehens, das                           existentielle Angst, nicht zu genügen, nicht            auch in der Schule zu einer sehr ungleichen
viele Dimensionen hat.» (Rosa 2016b, S. 20)                       gut genug zu sein, vielleicht sogar falsch zu           Ausprägung «dispositionaler Resonanz»,
Eine Rolle spielen unter anderem räumliche                        sein in dieser Welt, in ihrem Kern nicht ok zu          was wiederum Auswirkungen auf spätere Ar-
Aspekte im Schulgebäude, die Verlaufsfor-                         sein.» (Rosa 2016b, S. 68). Eine solche Angst           beitsmarktchancen hat. Erziehungsstil und
men von Begegnungen und Interaktionen.                            verunmöglicht Resonanzbeziehungen. Im                   -praktiken der Mittel- und Oberschichtsel-
Im Unterricht wiederum ist der produktive                         Unterricht muss diese deshalb abgebaut und              tern orientieren sich am Ideal der Resonanz.
Umgang mit Fehlern und Scheitern zentral.                         eine Vertrauensbasis von Lehrpersonen und               Indem sie die «physischen, psychischen,
                                                                  SchülerInnen geschaffen werden.                         musischen, kreativen, emotionalen und
Widerspruch und Zuwendung                                           Wettbewerbsformen wie die Notengebung                 sozialen Fähigkeiten» (ebd. S. 622) ihrer
Indifferenz und Abwehr gelte es bei Schü-                         erschweren dies. Obwohl Rosa auch deren                 Kinder fördern, fördern sie zugleich auch
                                                                                                                                                                                         Abbildungen nach Hartmut Rosa (2016): Resonanz. S. 409 und 411.

lerInnen wie Lehrpersonen zu überwinden.                          pädagogischen Nutzen anerkennt, sieht er                deren Wettbewerbsfähigkeit in der Schule
Rosa plädiert für einen «demokratisch-                            diese in einem starken Spannungsverhältnis              und auf dem Arbeitsmarkt. Um der immer
deliberativen Auto-Paternalismus» im Un-                          zum Bildungsprozess: «So lautet meine                   stärkeren Marginalisierung sogenannter
terricht, bei dem den Lehrenden die Aufgabe                       Lieblingsthese: Ich kann mit jemandem nur               «bildungsferner» Kinder entgegenzuwirken,
zufällt, die Resonanzsensibilität der Schüle-                     entweder konkurrieren oder resonieren. […]              fordert Rosa eine Bildungspolitik, die die
rInnen zu erkennen und zum Schwingen zu                           In dem Moment, in dem ein Schüler einen                 Schule auch für diese zu Resonanzräumen
bringen, Lernvorschläge zu machen und Be-                         anderen als Konkurrenten wahrnimmt,                     macht. Politisch stösst dies jedoch auf den
geisterung zu wecken: «Die Idee ist, dass der                     kann er nicht in eine Resonanzbeziehung                 Widerstand derjenigen gesellschaftlichen
Lehrer durch seine Begeisterung den Stoff                         zu ihm treten. Dann will er sich nicht von              Gruppen, die von der Benachteiligung ande-
zum Sprechen bringt, und damit beginnt                            ihm erreichen und schon gar nicht verletzen             rer profitieren und nicht dazu bereit sind, für
der Stoff auch für die Schüler zu sprechen.»                      lassen. Da geht es dann nur darum, Kopf und             ein gutes Bildungssystem mehr öffentliche
(Rosa 2016b, S. 48) Eine Resonanzbezie-                           Schultern über ihm zu halten oder Ellenbo-              Mittel aufzuwenden. Konkret werden solche
hung ist jedoch mindestens zweipolig: «Im                         gen einzusetzen. Das heisst, eine Wettbe-               gesellschaftlichen Konflikte anhand der
Bildungsprozess, im Resonanzraum Schule,                          werbskultur, bei der es bei jedem Schritt der           aktuellen Auseinandersetzungen um die
muss die eigene Stimme des Kindes zur Ent-                        Auseinandersetzung darum geht, besser zu                Unternehmenssteuerreform III (vgl. S. 7)
faltung kommen. Und diese Stimme muss                             sein als andere oder auch nur das Rüstzeug              und um kantonale Sparpakete. (vgl. S. 11-13)

6   vpod bildungspolitik 198
Die Umsetzung der USR III
                                                                                                                                   würde insbesondere die
                                                                                                                                   Gemeinden zu Sparmassnahmen
                                                                                                                                   bei der Bildung zwingen.

                               Politik der leeren Kassen
                               Ein Inkrafttreten der Unternehmenssteuerreform III (USR III) würde Milliardenlöcher in die öffentlichen
                               Kassen reissen. Leidtragende wären in erster Linie die Kommunen – sie müssten Abbaumassnahmen
                               durchführen. Auch der Bildungsbereich wäre wohl massiv davon betroffen. Von Christine Flitner

                                   och ist es nicht zu spät. Die SP hat zu-   besteuerung auf Dividenden. Dafür sollen         abbauen. In Zürich sollen im Rahmen
                               N   sammen mit den Gewerkschaften und
                               weiteren Kräften das Referendum gegen die
                                                                              die Kantone einen höheren Anteil der Bun-
                                                                              dessteuer erhalten, um Spielraum für die
                                                                                                                               der «Leistungsüberprüfung 2016» allein
                                                                                                                               im Bildungsbereich 15 Millionen gespart
                               verheerende «Reform» ergriffen, und bis        Senkung der Gewinnsteuern zu haben. So           werden. In Luzern sollen im Rahmen des
                               Ende September werden noch Unterschrif-        wird der Unterbietungswettbewerb zwischen        Konsolidierungsprogramm KP 17 insgesamt
                               ten gesammelt.                                 den Kantonen weiter angeheizt. Das trifft        330 Millionen Franken eingespart werden,
                                                                              besonders die Städte, die keine Möglichkeit      unter anderem durch eine Erhöhung der Un-
                               Worum geht es?                                 zur Refinanzierung haben.                         terrichtsverpflichtung für die Lehrpersonen,
                               Im Zentrum der Unternehmenssteuerre-                                                            eine Streichung des Dienstaltergeschenks
                               form III steht das Ziel, bestimmte Steu-       Milliardenausfälle drohen                        und eine allgemeine wöchentliche Arbeits-
                               erprivilegien für internationale Firmen        Der Zentralverband öffentliches Personal         zeiterhöhung beim Staatspersonal um circa
                               abzuschaffen, welche die Europäische Union     Schweiz und einzelne Gemeinden haben             1.25 Stunden. Die Lehrpersonen haben schon
                               und die OECD nicht länger akzeptieren. Ein     ausgerechnet, was das bedeutet. Die Stadt        angekündigt, welche Folgen eine Pensen-
                               weiteres Ziel, nämlich die Fehler der Un-      Biel müsste nach den Berechnungen des            aufstockung haben wird: Zur Entlastung
                               ternehmenssteuerreform II zu korrigieren,      ZV mit Ausfällen von 15 Millionen Franken        müssten beispielsweise Klassenlager und
                               wurde im Laufe des Gesetzgebungsprozesses      rechnen, Bern mit 35, Lausanne mit 50 und        ausserschulische Anlässe gestrichen und
                               fallen gelassen. (Man erinnert sich: bei der   Winterthur mit knapp 30 Millionen, um            Elterngespräche limitiert werden.
                               Abstimmung zur USR II wurden seinerzeit        nur ein paar Beispiele zu nennen. Sebastien         Sollte die USR III umgesetzt werden, wäre
                               vom zuständigen Bundesrat bewusst die zu       Guex, Professor an der Universität Lausanne      das alles nur ein sanftes Vorspiel im Ver-
                               erwartenden Steuerausfälle verschwiegen.)      und Spezialist für Steuerfragen, schätzt die     gleich zu den Mindereinnahmen, die dann
                               Auch die Absicht, das Steuersubstrat ins-      gesamten Ausfälle für die öffentliche Hand       auf die Gemeinden zukämen – zusammen
                               gesamt zu erhalten, blieb auf der Strecke.     auf fünf bis acht Milliarden Franken jährlich.   mit entsprechenden Abbaumassnahmen.
nicolasberlin / photocase.de

                               Die im Juni verabschiedete Lösung sieht        Bekanntlich wird der Rotstift in den Gemein-
                               vielmehr tiefe Löcher in den öffentlichen      den gewöhnlich vor allem beim Personal, im       Unterschreiben!
                               Kassen vor, ohne Gegenfinanzierung durch        Sozialbereich und bei der Bildung angesetzt.     Daher: Wer noch nicht unterschrieben hat,
                               die Unternehmen und AktionärInnen. Die         Schon in den vergangenen Jahren wurde            sollte das unverzüglich tun: https://www.
                               ursprünglich geplante Kapitalgewinnsteuer      hier an vielen Stellen gestrichen. Winterthur    sp-ps.ch/de/kampagnen/unterschriften-
                               wurde wieder fallen gelassen, ebenso eine      baut seit 2014 im grossen Stil ab und will       sammlungen/referendum-usr-iii
                               Harmonisierung und Erhöhung der Teil-          bis 2019 110 Stellen und 40 Lehrstellen

                                                                                                                                                    vpod bildungspolitik 198   7
Es lohnt sich also, das Modell einmal ge-
                                                                                               nauer anzusehen. Insbesondere interessiert
                                                                                               die Frage, wie die Finanzierung geregelt
                                                                                               ist, welche Ziele damit angestrebt und
                                                                                               erreicht wurden, und wie das im Vergleich
                                                                                               zu Kantonen wie beispielsweise Basel-Stadt
                                                                                               oder Zürich aussieht, in denen die Kinder-
                                                                                               tagesstätten bisher ohne Arbeitgeberbeiträge
                                                                                               finanziert werden.

                                                                                                 Stiftung FAJE
                                                                                                 Budget 2015: circa 58 Millionen

                                                                                                            Sonstige
                                                                                                            9%

                                                                                                                          43%
                                                                                                                          Kanton
                                                                                                         Private AG
                                                                                                           39%

                                                                                                  Zunächst ein Blick auf das Modell.1 Die
                                                                                               Waadtländer Lösung besteht aus zwei Teilen,
                                                                                               nämlich einer Stiftung auf der einen Seite
                                                                                               und den Gemeindenetzwerken mit den Be-
                                                                                               treuungseinrichtungen auf der anderen Sei-
                                                                                               te. Die Stiftung (die Fondation pour l’accueil
                                                                                               de jour des enfants FAJE) wird massgeblich
                                                                                               von der öffentlichen Hand und den Arbeit-
                                                                                               gebern gespeist. Der verpflichtende Beitrag

Eine Frage des                                                                                 der Privatwirtschaft von derzeit 0,08 Prozent
                                                                                               der Lohnsumme fliesst in diese Stiftung. Das
                                                                                               sind etwa 40 Prozent des Stiftungsfonds. Die

politischen Willens                                                                            Stiftung schüttet einen Teil des Geldes an
                                                                                               die Netzwerke der Gemeinden aus, gibt eine
                                                                                               Art Anstossfinanzierung für neu geschaffene
Bei den Diskussionen um den Ausbau der Kita-Versorgung in                                      Plätze und unterstützt Notfall-Betreuungs-
der Deutschschweiz respektive dessen Finanzierung wird das                                     angebote («accueil d’urgence», z.B. wenn
Waadtländer Modell als Vorbild genannt. Dieses ist jedoch eine                                 Kinder krank sind) sowie zwei Organisa-
Mogelpackung. Von Christine Flitner                                                            tionen mit pädagogischen Aufgaben. Die
                                                                                               Finanzierung der Betreuungseinrichtungen
       enn es um die Finanzierung der fa-        nanzierungsmodelle zu überprüfen und ins-     ist nicht Aufgabe der Stiftung, dafür verfügt
W      milienergänzenden Kinderbetreuung
geht, ist häufig lobend von der Romandie
                                                 besondere auch die Rolle der Unternehmen
                                                 anzusehen, die aufgrund des verbreiteten
                                                                                               sie auch über zu wenig Geld.2
                                                                                                  Die zweite Säule des Waadtländer Modells
die Rede, insbesondere vom Kanton Waadt.         Fachkräftemangels ein ganz konkretes          sind die Betreuungseinrichtungen. Deren
Dank der Zusammenarbeit von Unterneh-            Interesse an ausgebauten Tagesbetreuungs-     Finanzierung sieht im Jahr 2016 folgender-
men, öffentlicher Hand und Betreuungs-           angeboten für berufstätige Frauen haben.      massen aus: Von den insgesamt knapp 430
                                                                                                                                                Francesca Schellhaas / photocase.de

einrichtungen werde dort die Finanzierung        Auch aus linken Kreisen tönt daher vermehrt   Millionen Franken Gesamtkosten zahlen die
sichergestellt, und die Privatwirtschaft         der Ruf danach, die Privatwirtschaft zur      Gemeinden 43 Prozent, der Kanton 9, die
beteilige sich zu einem Drittel an den für die   Kasse zu bitten. Die Zürcher AL-Initiative    Eltern 39 und die Arbeitgeber insgesamt 6
Kindetreuung anfallenden Kosten. Das ist         «Kinderbetreuung Ja», die im September        Prozent. In diesen 6 Prozent ist der Beitrag
so leider nicht richtig, und das Waadtländer     zur Abstimmung kommt, verfolgt diese          enthalten, der über die Stiftung FAJE an die
Modell wird zu Unrecht zur Nachahmung            Idee, und auch die SP Basel-Stadt fordert     Netzwerke ausgeschüttet wird. Beiträge der
empfohlen.                                       in einer Stellungnahme vom Mai 2016 «die      Unternehmen, die über den obligatorischen
  Da es der Kinderbetreuung überall an           Einführung von entsprechend innovativen       Stiftungsbeitrag hinausgehen, sind freiwil-
Geld fehlt, liegt es nahe, verschiedene Fi-      Modellen in Basel».                           lig: Und wie die Zahlen der vergangenen

8   vpod bildungspolitik 198
Aktuell

Jahre zeigen, sind diese unbedeutend.                                                                                        den Kosten generiert faktisch nur einen
  Der Beitrag der Privatunternehmen an den                                                                                   schmalen Betrag, der sich nicht auf die
Kosten für die Kinderbetreuung ist also bei                      Betreuungsgrad im Vergleich                                 genannten Ziele auswirkt. Für einen sub-
genauem Hinsehen gering. Trotzdem sind                                            Vorschulische      Schulische
                                                                                                                             stantiellen Beitrag zu den Betreuungskosten
sie in der Stiftung, welche über die Politik der                                  Betreuung          Betreuung               müsste der Arbeitgeberbeitrag erheblich
Kinderbetreuung im Kanton entscheidet, mit                                                                                   höher sein.9
mehreren Sitzen vertreten und haben damit                        Waadt 20144 19.3%                   12.7 %                     Der Nutzen des Waadtländer Vorgehens
ein unverhältnismässig starkes Mitsprache-                                   subventionierte                                 liegt also bestenfalls in einem anderen
recht bei der Gestaltung und Entwicklung                                     Plätze                                          Punkt: In Kantonen mit unterversorgten
                                                                             (24% inkl. nicht
des Bereiches. Die Eltern, die immerhin 39                                   subventionierte
                                                                                                                             Landgemeinden kann ein Fonds zur Anstoss-
Prozent der Kosten tragen, sind dagegen nur                                  Plätze)                                         finanzierung dazu beitragen, dass Einrich-
mit einem Sitz im Stiftungsrat vertreten.3                                                                                   tungen aufgebaut werden, dass gemeinsame
  Es stellt sich die Frage, ob die Waadtländer                    Zürich 20125 19.8%                 12.3 %                  Konzepte entstehen und dass Eltern in allen
Konstruktion Dynamik in den Ausbau der                                                                                       Gemeinden gleiche Bedingungen vorfinden.
                                                                  Basel-Stadt 22.6 %                 25.8%
Tagesbetreuung gebracht hat, welche an-                           20146       (eigene                der Schulkinder         Es bleibt aber zu überprüfen, ob die Beteili-
                                                                              Berechnung)            werden betreut
                                                                                                     (in unterschiedli-
                                                                                                     chem Umfang)
   Finanzierung                                                                                                                  Finanzierung Kita-Plätze
   Kinderbetreuungseinrichtungen
   Budget 2016: 429 Millionen                                                                                                100%
                                                               sammeln. Waadt und Zürich geben an, wie                                     3
                        3% Sonstige                            viele Vollzeitplätze im Verhältnis zur jeweili-                             6
                                                               gen Altersgruppe zur Verfügung stehen. Die                                                34
                                Kantone
                                                               Angaben zur schulischen Betreuung in Basel
                                                               beziehen sich dagegen auf die Zahl betreuter                                52                           70
                                9%                             Kinder, nicht auf die Anzahl Plätze. Die                                                                               73
                                                                                                                             50%
                                                               Tabelle zum Betreuungsgrad lässt trotzdem
                                                               die Aussage zu, dass das Angebot in allen drei
         Eltern                                                Kantonen vergleichbar ist. Vergleicht man                                                 66
         39%                       43%                         das Wachstum in den vergangenen Jahren,
                                                               so ist die Bilanz für den Kanton Waadt eher                                 39                           30
                                   Kommunen                                                                                                                                           27
                                                               schlechter. Dort wurden seit 2006 etwa
                                                               9000 neue Plätze geschaffen, im bedeutend                     0%
                                                                                                                                         Waadt         Zürich           Basel         Bern
                                                               kleineren Kanton Basel-Stadt waren es 3100.7
                                                                                                                                               Anteil Eltern               Arbeitgeber
                                                               Finanzierung
   Private AG     6%                                           Immer wieder wird darauf hingewiesen,                                           Öffentl. Hand               Sonstige

                                                               dass die Elternbeiträge an die institutionelle
                                                               Kinderbetreuung in der Schweiz zu hoch
dernorts nicht besteht. Ein messbares Krite-                   sind und damit eine erwünschte höhere                         gung der Arbeitgeber da tatsächlich fördernd
rium zu dieser Frage ist der Betreuungsgrad                    Berufstätigkeit von Frauen verhindern. Im                     wirkt oder nicht eher einen Bremsklotz
(gemessen an der Anzahl der Vollzeitplätze                     Finanzierungsvergleich zeigt sich, dass der                   darstellt. Die urbanen Zentren Basel, Bern,
im Verhältnis zur Anzahl Kinder im Kan-                        Beitrag der Eltern im Kanton Waadt deutlich                   Zürich oder Genf haben jedenfalls längst
ton). Interessant ist auch die Frage, ob die                   geringer ist als in Zürich, nämlich 38 Prozent                vorgemacht, dass es vor allem eine Frage des
Elternbeiträge, die in der Schweiz immer                       im Vergleich zu 66 in Zürich. Aber auch in                    politischen Willens ist, ob die Kinderbetreu-
wieder als unverhältnismässig hoch beurteilt                   Basel und Bern, wo es keine Beiträge der                      ung ausgebaut wird und wie die Kosten für
werden, durch das Modell gesenkt werden.                       Privatwirtschaft gibt, zahlen die Eltern weni-                diese verteilt werden.
Schwieriger zu beurteilen ist die Entwicklung                  ger, nämlich durchschnittlich 30 Prozent in
der pädagogischen Qualität, die hier nicht                     Basel8 und 27 Prozent in Bern (2014).
beurteilt wird.                                                  Fazit: Weder die Angebotsentwicklung
  Vergleichbare Zahlen zum Betreuungs-                         noch die Höhe der Elternbeiträge wird durch                   Christine Flitner ist Zentralsekretärin des VPOD
grad lassen sich nur schwer zusammenstel-                      das «Waadtländer Modell» beeinflusst. Die                      für die Bereiche Bildung, Erziehung, Wissenschaft
len, da die Kantone unterschiedliche Daten                     Beteiligung der privaten Unternehmen an                       sowie Frauen.

1 Die folgende Beschreibung stützt sich in    Waadt fürs Jahr 2016 sind im genannten          5 Gemäss Kinderbetreuungsindex Gemein-            Kanton im genannten Zeitraum etwa 12000
erster Linie auf die Beschreibung des Mo-     Gemeindebericht mit knapp 430 Millionen         den Kanton Zürich, 2012. Neuere Zahlen            Plätze schaffen müssen.
dells mit aktuellen Zahlen zur Finanzierung   Franken angegeben, betragen also sieben-        stehen nicht zur Verfügung.                       8 Vgl. Sozialberichterstattung des Kantons
im Bericht des Waadtländer Gemeindever-       mal mehr als das Stifungsbudget.                6 Gemäss ED Basel: «Tagesbetreuung in             Basel-Stadt 2013.
bands (Union des Communes Vaudoises)          3 Die Arbeitnehmenden sind gar nicht            Zahlen» 2014, und Angaben im Ratschlag
anlässlich der geplanten Gesetzesrevision                                                                                                       9 Eine Senkung der Elternbeiträge von 39
                                              im Stiftungsrat vertreten, sondern nur im       des Regierungsrats zur Totalrevision des          auf 30 Prozent der Gesamtkosten wie in
2016: http://www.ucv.ch/fileadmin/docu-       begleitenden Konsultativgremium; nur der        Gesetzes betreffend Tagesbetreuung von
ments/pdf/Th%C3%A8mes/Accueil_de_                                                                                                               Basel würde bei gleichbleibenden Platz-
                                              Berufsverband Avenir social hat zurzeit         Kindern (TBG), 2016                               zahlen voraussetzen, dass der Arbeitge-
jour/LAJE_Financement_Explicatif.pdf          einen Sitz im Stiftungsrat.                     7 Bei Schülerzahlen von 17635 in Basel-           berbeitrag in Waadt auf circa 0.2 Prozent
2 Das Budget der Stiftung betrug im Jahr      4 Exposé des motifs et projet de loi modi-      Stadt gegenüber 94827 im Kanton Waadt             der Lohnsumme ansteigt, also mehr als
2015 circa 58 Millionen Franken. Vgl. FAJE,   fiant la loi du 20 juin 2006 sur l’accueil de   (Schuljahr 2014/ 2015). Im Vorschulbereich        verdoppelt wird.
Rapport annuel 2015, http://www.faje.ch/      jour des enfants (LAJE), février 2016, Can-     (0-4) gab es 2015 etwa 9100 Kinder in
actualite/actualite.html                      ton de Vaud, http://www.faje.ch/actualite/      Basel-Stadt und 41100 Kinder im Kanton
Die Kinderbetreuungskosten im Kanton          rev_laje/EMPL_LAJE_03_03_2016.pdf               Waadt. Nach diesem Vergleich hätte der

                                                                                                                                                               vpod bildungspolitik 198      9
Inserate

                                                       Im Jahr 2012 wurde in einer Volksabstimmung der
                                                       Bundesbeschluss über die Jugendmusikförderung
                                                       angenommen. Was ist seither geschehen? Wie
                                                       wurde der Beschluss bisher umgesetzt und was tut
                                                       sich in den Kantonen und Gemeinden? Die Tagung
                                                       am 5. November 2016 in Bern soll über den Stand
                                                       der Dinge informieren und endlich Schwung in die
                                                       Umsetzung bringen. Was lässt sich für eine echte
                                                       Förderung der Musik tun? Welchen Platz soll die
                                                       Musik in der Schule haben? Und wie könnte das
                                                       beispielsweise in den Tagesschulen aussehen, die
                                                       derzeit auf dem Vormarsch sind?

                                                       Zielpublikum:

        «Più mosso» oder                               Musiklehrpersonen aus Musikschulen und Volks-
                                                       schulen, Fachpersonen aus Horten und Tagesschulen,

        «molto moderato»:
                                                       Dozierende, PolitikerInnen und alle, die sich für
                                                       Musik- und Rhythmuserziehung interessieren.

                                                       Tagungskosten:
        Wie weiter mit der Musikinitiative?            Für VPOD-Mitglieder kostenlos, für Nichtmitglieder
                                                       Fr. 60.- (Teilzeitarbeitende und Personen in
                                                       Ausbildung Fr. 40.-)

                                                       Detailliertes Programm ab Mitte September unter
        VPOD-Tagung Musik und Schule                   www.vpod.ch/kalender
                                                       Anmeldungen bis zum 25. Oktober 2016
        Samstag, 5. November 2016, 10.00 – 14.00 Uhr   an VPOD Zentralsekretariat, Patrizia Loggia,
                                                       patrizia.loggia@vpod-ssp.ch oder unter
        Bern, Hotel Bern, Zeughausgasse 9              www.vpod.ch/kalender

                                                                                                            Inserate; Bild oben: Carölchen / photocase.de

10   vpod bildungspolitik 198
Mitgliedermagazin der Sektion Zürich Lehrberufe

Aktionstag
am 28.09. gegen Abbau-Politik
Bis 2019 will der Zürcher Regierungsrat 1.8 Milli-          den Widerstand der Betroffenen her-
arden Franken an öffentlichen Ausgaben streichen.           vorrief, werden heute nur noch depart-
Jetzt formiert sich mit einem kantonalen Aktions-           mentsspezifische Generalkürzungen
tag am 28. September Widerstand.                            verordnet – Konkretes folgt dann
                                                            scheibchenweise. Die Salamitaktik
Das vom Regierungsrat geplante Abbaupaket läuft unter       des Regierungsrats erschwert damit
dem harmlos klingenden Begriff «Leistungsüberprü-           absichtsvoll eine integrale Kritik dieser
fung 2016» (LÜ16). Leistungen zu überprüfen bedeutet        Abbaupolitik.
jedoch offenbar vor allem den Abbau zentraler öffentli-        Einnahmenseitig liegen dem viel
cher Leistungen. LÜ16 bedroht damit die Qualität der        beschworenen «Sparzwang» zurück-
kantonalen Grundversorgung und betrifft Angestellte         gehende Mittel zugrunde, die Ergebnis
und Bürger_innen gleichermassen.                            einer jahrzehntelangen Fiskalpolitik
   Trotz positiven Jahresabschlusses 2015 und eines         zugunsten reicher Einzelpersonen
mittelfristigen Ertragsüberschusses von 1.351 Milliarden    und Grossunternehmen ist. Alleine
Franken (Ausgleich 2008-2015) setzt der Regierungsrat       zwischen 1996 und 2006 wurden
den Rotstift an. In der Finanzplanung 2016-2019 drohe       Steuersenkungen von insgesamt ei-
ein Loch von 1,8 Milliarden Franken, das vor allem mit      ner Milliarde Franken durchgesetzt,
Ausgabenkürzungen gestopft werden soll. Betroffen           die seither jährlich in der Kasse des
wären vor allem die Bereiche Bildung, Gesundheit und        Kantons fehlen. Hinzu kamen Steuer-
öffentlicher Regionalverkehr. So soll z.B. bei Schüler_     reformen wie die Unternehmenssteu-
innen gespart werden (grössere Klassen), bei Lehrlingen     erreform II, die ein riesiges Loch in die
(Schliessung von Lehrwerkstätten), bei Suchtkranken         Kasse des Kantons gerissen hat. Mit der
(reduzierte Öffnungszeiten von Anlaufstellen), bei den      USR III droht nun bereits der nächste
Spitälern (Festschreibung tiefer Fallpauschalen), bei der   «bürgerlich» verantwortete Steueraus-
Frauenberatung (Flora Dora), sowie bei Geflüchteten          fall. Statt mit Kürzungen den Service
(Budget Nothilfe). Selbst der ZVV, der trotz konstantem     Public infrage zu stellen und auf Kosten des Personals
Ausbau den schweizweit höchsten Kostendeckungsgrad          zu sparen, stünde vielmehr ein kritischer Blick auf die
ausweist, soll mit noch zu definierenden Massnahmen          gesamtgesellschaftliche Lastenverteilung an.
zur Kasse gebeten werden.                                      Ein Bündnis unter Beteiligung des VPOD Zürich or-
   Gemäss Finanzhaushaltsgesetz ist der Kanton Zü-          ganisiert nun am 28. September 2016 einen kantonalen
rich dazu verpflichtet, mittelfristig ein ausgeglichenes     Aktionstag gegen dieses Abbau-Paket. Tagsüber finden
Budget zu präsentieren. Diese so genannte «Ausgaben-        dezentrale Aktionen statt, die am Abend in eine zent-
bremse» hält fest, dass der Kanton Massnahmen zur           rale Kundgebung münden. Die Besammlung beginnt
dauerhaften Senkung der Ausgaben ergreifen muss,            um 18:00 Uhr am Bürkliplatz, gestartet wird kurz vor
wenn abzusehen ist, dass das Budget nicht ausgeglichen      19:00 Uhr. Es ist wichtig, dass wir uns als betroffene
ausfällt. Seit 2001 griff das Gesetz bereits mehrere        Bürger_innen gegen die geplante Abbaupolitik zur
Male und hatte umfangreiche Abbau-Pakete zur Folge.         Wehr setzen und zahlreich teilnehmen!
Insgesamt wurden seither 5,7 Milliarden Franken an             Mehr Informationen zum Aktionstag unter
Ausgaben gekürzt, wovon knapp 2/3 auf die Bereiche          www.kaputtgespart.ch.
Bildung (1,2 Milliarden), Gesundheit (1,1 Milliarden)
und Personal (1,1 Milliarden) entfielen.
   Während der Regierungsrat am Anfang der 2000er           Roseli Ferreira, Gewerkschaftssekretärin des VPOD Zürich
Jahre noch spezifische Abbaupläne vorlegte und damit         Lehrberufe

                                                                                                                       vpod zürich Pflichtlektion 4 | 16   11
Panorama

Bildung wird kaputtgespart
                                   Nicht nur der Kanton Zürich, sondern auch andere                   erbringen. Diese Bereitschaft ist umso erstaunlicher, da
                                   Deutschschweizer Kantone und der Bund streichen                    aus volkswirtschaftlicher und finanzpolitischer Sicht der
                                   die Bildungsinvestitionen zusammen. Der Bund                       Abbau widersinnig ist. Er beruht nicht auf einer fundierten
                                   plant bei Bildung und Forschung bis 2019 rund                      Analyse der Kantonsfinanzen, sondern ist vielmehr einer
                                   550 Millionen Franken zu kürzen. In den Kantonen                   Fehlbudgetierung und dem Willen geschuldet, den Staat
                                   beträgt der Abbau bei Anstellungsbedingungen und                   zu verscherbeln. Denn um die Bundesfinanzen steht
                                   Schulqualität für die Jahre 2016 bis 2018 in etwa                  es weitaus weniger schlimm, als uns das bürgerliche
                                   gleich viel. Doch die desaströse Finanzpolitik ruft                Finanzpolitiker weismachen wollen.
                                   nun breiten Widerstand hervor.
                                                                                                      Bund spart an der Realität vorbei
                    Der Bund streicht aus der Finanzplanung für die Jahre                             Gemessen an allen Voranschlägen seit 2006 hätte der
                    2017 bis 2019 rund 2,8 Milliarden Franken. Am stärksten                           Bund ein Minus von 218 Millionen Franken erzielen
                    Federn lassen muss die Entwicklungshilfe. An zweiter                              müssen. In Tat und Wahrheit resultierten aber Über-
                    Stelle folgt Bildung und Forschung. 550 Millionen Franken                         schüsse in der Höhe von 26.9 Milliarden Franken. So
                    und damit 20 Prozent des gesamten Abbaupaketes geht                               endete auch das letzte Jahr mit einem überraschend hohen
                                     zu Lasten der ETH Zürich und Lausanne                            Überschuss. Um fast zwei Milliarden Franken hat sich
                                     sowie weiteren Forschungsanstalten. Der                          der Bund verrechnet. Die Nachricht, dass das Ergebnis
«Die Finanzen werden Bundesrat vermeldet, dass die Sparmass-                                          besser ausfällt, als erwartet wurde, kommt mittlerweile
                                     nahmen in dieser Höhe nötig werden, um                           so verlässlich, wie das Amen in der Kirche: Mittlerweile
schlecht geredet, um                 die ausfallenden Steuereinnahmen aus                             rechnet das Finanzdepartement für das Jahr 2016 mit
den Service Public                   der verschlechterten Wirtschaftslage zu
                                     kompensieren. Angesichts der massiven
kaputtzusparen.»                     Steuergeschenke in den letzten Jahren ein
                                     blanker Hohn. Ausgleichende Massnah-
                    men auf der Einnahmeseite gehören bei den Bürgerlichen
                                                                                                         Kantone kürzen beim
                    zum politisch Undenkbaren. In der Schweiz hat sich eine
                    Kultur des «Gürtel-enger-Schnallens» etabliert. Dem
                                                                                                         Service Public
                    Service Public wird dabei leichtsinnig die Luft abgeschnit-                                 Die Kantone stehen in Sachen Abbaupakete
Seit Jahren
verrechnet sich der
                    ten. Bereitwillig opfern Politiker_innen die Qualität der                                   dem Bund in nichts nach. Diese streichen über
Bund massiv bei der öffentlichen Dienstleistungen und die Arbeitsbedingun-                                      eine halbe Milliarde Franken bei der Bildung.
Budgetierung        gen der Angestellten, welche diese Dienstleistungen
                                                                                                                  Im Aargau sollen die Dienstaltersgeschenke
                                                                                                                sukzessive abgeschafft werden, die Dauer
                                                                                                                der Lohnnachzahlung im Todesfall wird
                Bundesbudget: Voranschlag und Ergebnis                                                          reduziert und alle Volksschullehrpersonen
                                                                                                                müssen pro Woche eine Lektion zusätzlich
     8000                                                                                                       unterrichten. Zudem gibt es im Jahr 2017
                                                                      Voranschlag (Mio. Fr.)                    keine Lohnerhöhungen. Dies bereits zum
                                                                      Ergebnis (Mio. Fr.)                       dritten Mal in Folge. Die Aargauer Lehrer_
     6000
                                                                                                                innen haben Widerstand angekündigt. Geplant
                                                                                                                sind mehrere Protestaktionen und eine grosse
                                                                                                                Kundgebung vor dem Grossratsgebäude
                                                                                                                während der Unterrichtszeit.
     4000

                                                                                                                  Der Kanton Luzern schnürt das grösste
                                                                                                                Abbaupaket seiner Geschichte. Betroffen
     2000                                                                                                       sind Menschen mit Behinderung, Eltern und
                                                                                                                Schulkinder, ÖV-Benützer_innen und ganz
                                                                                                                besonders die Angestellten beim Kanton.
                                                                                                                Gegen diesen Abbau des Service Public
        0
                                                                                                                hat sich eine «Allianz für Lebensqualität»
                                                                                                                gebildet. Die breite Allianz bestehend aus
                                                                                                                dem VPOD und zahlreichen Parteien und
     -2000                                                                                                      Verbänden lancieren drei kantonale Initiativen.
             2006     2007      2008      2009   2010   2011   2012     2013       2014        2015

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung

12    vpod zürich Pflichtlektion 4 | 16
Neuzugang in der Sektion Lehrberufe

                                                              Vom Corporate Watchdog zur
                                                              kantonalen Bildungspolitik
einem Überschuss von 1,7 Milliarden Franken. Budgetiert       Ich ahnte nichts Böses, als ich im
wurde ein Defizit von 500 Millionen Franken. Das Ergeb-        Januar diesen Jahres eine ruhige
nis wäre sogar erfreulich, wenn der Bundesrat daraus die      Minute nutzte, um eine Tasse Tee
richtigen Schlüsse ziehen würde. Doch die verbesserte         zu trinken und meine privaten
Ausgangslage veranlasst Bundesbern nicht dazu, auf die        Mails zu lesen. Das Kind war noch
Abbaumassnahmen zu verzichten. Im Gegenteil: Das              in der Schule, das Mittagessen kö-
nächste Sparprogramm ist bereits in Planung. Der Bun-         chelte vor sich hin, ein ungewöhn-
desrat hat angekündigt im zweiten Halbjahr ein weiteres       lich friedlicher Montagmorgen,
Abbauprogramm für die Jahre 2018 bis 2020 vorzulegen.         da traf es mich beim Überfliegen
Die Bürgerlichen haben ein Glaubwürdigkeitsproblem.           eines seit jeher abonnierten Job-
Seit Jahren werden unnötige Sparübungen mit Fehlkal-          Newsletters wie ein Blitz – der
kulationen legitimiert. Die massiv besseren Rechnungs-        VPOD Zürich war auf der Suche
ergebnisse bleiben wiederum ohne Auswirkungen. Gute           nach einer Gewerkschaftssekretä-
Finanzierungsergebnisse haben kaum Folgen auf die             rin! War das nicht vielleicht etwas
Investitionspolitik. Das zeigt, dass das Sparen kein Na-      für mich? Gewerkschaftsarbeit!
turgesetz, sondern politisch gewollt ist. Der Widerstand      Bildungspolitik! Gleichstellung!
gegen den Abbau bedarf ebenfalls einer politischen Ant-       Der portugiesischen Seconda,
wort, damit unsere Bildung nicht kaputtgespart wird.          Tochter eines Metallarbeiters und
                                                              einer Carearbeiterin, schlug das

                                                                                                                                                                    Foto: zvg
Fabio Höhener, Gewerkschaftssekretär VPOD Lehrberufe Zürich   Herz bis zum Hals.
                                                                 Eigentlich war ich gar nicht
                                                              auf Stellensuche. Seit fast neun
                                                              Jahren arbeitete ich bei der Erklärung von Bern (jetzt             Roseli Ferreira: Mit Helm
                                                                                                                                 und Weitblick
                                                              Public Eye) in der digitalen Kommunikation und war
                                                              zufrieden damit. Als ehemalige Journalistin hatte ich
                                                              dort 2007 meine Traumstelle gefunden; insbesondere
                                                              die Projektarbeit und das Campaigning hatten es mir
 Mit der Bildungs-, Gesundheits- und ÖV-                      angetan. Natürlich brachte ich als Gründungsmitglied
 Initiative fordern sie einen starken Service                 der dortigen Personalkommission und VPOD-Mitglied
 public. Zudem findet am 27. September 2016                   ein grosses Interesse an arbeitsrechtlichen und gesell-
 eine «Landsgemeinde für Lebensqualität»                      schaftspolitischen Fragen mit; und immerhin hatte ich
 statt. Im Luzerner Kantonsrat wollen die                     zusammen mit Kolleg_innen erfolgreich einen GAV
 Direktbetroffenen über das Abbaupaket                        abgeschlossen. Aber würde diese gewerkschaftliche
 und mögliche Alternativen für einen                          Erfahrung reichen, um beim VPOD zu landen (übrigens
 lebenswerteren Kanton diskutieren.                           eine selbstkritische Frage, die sich wohl meist nur
                                                              Frauen, internalisiertem Sexismus sei Dank, vor einer
    Die Mehrzahl der Kantone hat in den                       Stellenbewerbung stellen)? Wie Sie es sich an dieser
 letzten Jahren Kürzungen im Bildungsbereich                  Stelle bereits sicher denken können: Ja!
 beschlossen oder bereits umgesetzt. Der                         Seit Juli führt mich nun meine morgendliche Velo-
 Dachverband «Lehrerinnen und Lehrer                          fahrt zum Bahnhof Wiedikon, und obwohl ich es nach
 Schweiz» (LCH) geht davon aus, dass von                      neun Jahren fast erwartete, bin ich noch kein einziges
 2013 bis 2015 Kürzungen im Bildungsbereich                   Mal aus autopilotinnenhafter Nostalgie stattdessen an
 in der Höhe von 265 Millionen Franken                        der Dienerstrasse gelandet. Womöglich hat das damit
 beschlossen wurden. Dazu kommen noch                         zu tun, dass mir meine neue Aufgabe so gut gefällt.
 die geplanten Kürzungen zwischen 2016 und                    Bestimmt trägt jedoch auch das tolle Team dazu bei,
 2018 in den Deutschschweizer Kantonen im                     dass ich mich von Anfang an an der Birmensdorfer
 Umfang von mehr als einer halben Milliarde                   Strasse wohlgefühlt habe. Mich erwarten vielfältige He-
 Franken. Die weitaus höchsten Abstriche                      rausforderungen beim VPOD. Ich weiss, dass vielerorts
 betreffen direkt die Anstellungsbedingungen                  die Spielräume für gewerkschaftliche Arbeit eng sind
 der Lehrpersonen wie Lohnkürzungen oder                      und dass diese teilweise durch eine als alternativlos
 Pensenerhöhungen. Ebenfalls oft sind die                     angepriesene Abbau-Politik enger werden. Meine lang-
 Unterrichtsbedingungen betroffen: Die                        jährige berufliche Erfahrung hat mich jedoch gelehrt,
 Klassengrössen werden erhöht und Lektionen                   dass Räume nur dann entstehen, wenn sie geschaffen
 gestrichen.                                                  werden. Das ist mein Job. Ich freu mich drauf.

                                                              Roseli Ferreira, Gewerkschaftssekretärin VPOD Lehrberufe Zürich

                                                                                                                            vpod zürich Pflichtlektion 4 | 16   13
10ni-Pause                                                                                                  Parolen

                                                        bereits in den Kantonen Waadt, Freiburg
Ja zur Initiative AHVplus                               und Neuenburg bewährt. Durch die Er-                  25. September 2016
Während sich Pensionskassen auch                        weiterung der Finanzierungsbasis wird
dank Negativzinsen in der Krise befin-                   sichergestellt, dass die Kosten des wach-
den, und den Pensionierten Rentenver-                   senden Angebots für die Gemeinden                     KANTON ZÜRICH
luste drohen, trägt die AHV trotz demo-                 tragbar bleiben. Der VPOD unterstützt
graphischer Entwicklung seit der letzten                das JA zu dieser Vorlage. Mehr Infos                  Volksinitiative Bezahlbare
Lohnprozentanpassung 1975 doppelt so                    unter http://kinderbetreuung-ja.ch/                   Kinderbetreuung                                 Ja
viele Renten wie damals. Eine beschei-
dene Erhöhung der Lohnbeiträge um
je 0,4 Prozent für Arbeitgeber_innen                    BVK: Rentenziel unerreichbar                          EIDGENÖSSISCH

und Arbeitnehmende reichte, um                          Zu den Kritiker_innen der BVK gehören
die Erhöhung der AHV-Renten um                          die Zürcher Bezirksgerichte. Im Sep-                  Volksinitiative AHVplus                         Ja
10 Prozent zu finanzieren. Mit einem                     tember 2015 hielten sie fest, dass es sich
Bruttolohn von 5000 Franken würde                       bei den beschlossenen Anpassungen im                  Volksinitiative grüne Wirtschaft                Ja
eine heute 30-Jährige etwa 20 Franken                   Grunde um einen Rentenabbau von
mehr im Monat bezahlen, aber nach der                   10-15 Prozent handelt. Am 15. Juni 2016
Pension monatlich fast 200 Franken                      fand nun eine Aussprache zwischen ei-
                                                                                                              Nachrichtendienstgesetz                     Nein
mehr Rente erhalten. Um mit der 2.                      ner Delegation der Bezirksgerichte und
Säule auf dasselbe Rentenniveau zu                      der BVK statt. In einem Arbeitspapier
kommen, müsste sie 40‘000 Franken                       der Bezirksgerichte heisst es: «[...] dass            KOMMUNAL – STADT ZÜRICH
zusätzlich ansparen. Der VPOD setzt                     die von Ihnen vorgenommene ‹Aktua-
sich im Sinne existenzsichernder Frau-                  lisierung der versicherungstechnischen                Instandsetzung und Umbau
enrenten für ein JA zu dieser Vorlage                   Grundlagen per 1. Januar 2017› für prak-              Schulhaus Schütze                               Ja
ein. Mehr Informationen zur Initiative                  tisch alle Versicherten das formulierte
unter http://ahvplus-initiative.ch                      Rentenziel von 60 Prozent deutlich un-                Ersatzneubau Schulhaus
                                                        erreichbar macht. Es bleibt für uns daher             Schauenberg
                                                                                                                                                              Ja
                                                        fraglich, ob die von Ihnen beschlossene
Kinderbetreuungsinitiative Ja                           Regelung mit der Stiftungsurkunde
Im Kanton Zürich müssen Eltern viel                     und namentlich dem darin statuierten,
mehr für die Kinderbetreuung bezah-                     vom Regierungsrat am 30. Mai 2007 be-              erneut struktureller Gewalt ausgesetzt.
len als in anderen Kantonen. Mit der                    schlossenen Stiftungszweck vereinbar               Umso wichtiger ist es, sich auch hier
Einrichtung eines kantonalen Betreu-                    ist.» Mehr Informationen im Protest-               zu engagieren und ein Zeichen gegen
ungsfonds soll sich das nun ändern. Un-                 Ticker http://bvk-monitor.ch                       Rassismus und Ausgrenzung zu setzen
ternehmen würden 0.2 bis 0.5 Prozent                                                                       – für Offenheit und Solidarität! Am
der AHV-pflichtigen Lohnsumme in den                                                                        18. September findet in Zürich der 15.
Fonds einzahlen – jährlich kämen so                     Lauf gegen Rassismus                               Lauf gegen Rassismus statt. Die Gelder
mindestens 120 Millionen Franken zu-                    Noch nie waren so viele Menschen auf               des Sponsor_innenlaufs kommen
sammen. Mit diesen Mitteln können die                   der Flucht wie heute. Sie lassen ihre              Organisationen wie der SPAZ oder der
Gemeinden dafür sorgen, dass Krippen                    Heimat hinter sich, um Sicherheit und              ASZ zugute. Weitere Informationen
und Horte für alle bezahlbar werden.                    Schutz zu suchen. Einmal in «sicheren»             zum Lauf gegen Rassismus unter
Betreuungsfonds dieser Art haben sich                   Ländern angekommen, sind sie oft                   www.laufgegenrassismus.ch

                                        Lauf gegen Rassismus                        Gesellschaftliches und                      Informationen über Veranstaltungen
                                        Sonntag, 18. September 2016,                politisches Engagement
Agenda
                                                                                                                                und Versammlungen sind auch
                                        ab 10:00 Uhr                                nach der Pensionierung                      aufrufbar unter:
                                        Bäckeranlage, Zürich                        Mit: Ruth Gurny, Soziologin,                www.zuerich.vpod.ch/
                                                                                    Denknetz, ehemalige Leiterin der            kalender
                                        Abstimmungssonntag                          Forschungsstelle des Departements
                                        Sonntag, 25. September 2016                 Soziale Arbeit ZHAW
                                                                                    Donnerstag, 29. September 2016,
                                        Kantonaler Aktionstag                       17:00 Uhr
                                        gegen das Abbaupaket                        VPOD Sitzungssaal, 5. Stock
                                        Mittwoch, 28. September 2016,
                                        Demonstration ab 18:00 Uhr
                                        Bürkliplatz, Stadthausanlage

                                        IMPRESSUM VPOD ZÜRICH PFLICHTLEKTION: Organ des VPOD Zürich Lehrberufe, Birmensdorferstrasse 67, 8036 Zürich,
                                        Tel: 044/295 30 00, Fax: 044/295 30 03, www.vpod-zh.ch, Redaktion: Roseli Ferreira und Fabio Höhener, Layout und Druck:
                                        ROPRESS, 8048 Zürich, Nr. 4 / September 2016, erscheint fünf Mal jährlich, 1. Jahrgang, Auflage: 3800

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