RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig

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RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

                                 HERBST
                                   2021

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    RUNDBRIEF
               Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

INHALT
Editorial: Rote Blätter fallen .................................................................................................................................................   5
Herzlich willkommen! Die Begrüßungsansprachen der Klassen 1–13 ...................................................................                                                 6
Ein Ort der Begegnung, des gemeinsamen Lernens und Verstehens: Die Elternschule stellt sich vor ............ 22
Keine Waldorfschule ohne Kreise: Der Beratungskreis stellt sich vor .................................................................... 24
Hallo, wir sind die Neuen: Unsere neuen Lehrer- und Hort-KollegInnen im Porträt ............................................ 26
Seht, sie tanzen wieder: Die Werkstatt-Aufführungen der Klassen 4B und 6B ................................................... 32
Verwandlung: Interner Eurythmieabschluss der 12. Klasse ......................................................................................... 26
Das Leben ist eine Schule: Die besondere Prüfung: Der Waldorf-Abschluss ........................................................ 36
Gerne erinnere ich mich an einen blinden Mann aus Afghanistan: Bericht aus dem Sozialpraktikum ............... 38
Do you know, what I would like for my lunch today? Aus dem Englischunterricht der Klasse 3B ..................... 40
Crocodile Comics: Aus dem Englischunterricht der Klasse 6A ...................................................................................... 42
Wie gründe ich eine Schule? Zur Entstehung von Gut Loberthal ................................................................................. 44
In klarer Herbstnacht Erzengel Michael wacht: Wie wir Michaeli zelebrieren ......................................................... 46
Erstens kommt es anders: Ein Lagebericht vom FAST fertigen Hortgebäude ....................................................... 48
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RUNDBRIEF HERBST 2021

                  Rote Blätter fallen …
                                         EDITORIAL MICHAELI 2021 —
                                 TEXT: NINA LUCKNER | FOTOS: PIXABAY / ALEXANDER SCHMIDT

    Das Jahr neigt sich im goldenen Herbst seinem Ende         echt und wahr, selbst wenn uns manche Aspekte mit-
    zu und wir alle blicken auf ein weiteres Jahr unter be-    unter stören. Und dass die Welt gut ist, dazu können
    sonderen Umständen zurück. Das Schuljahr dagegen           wir viel beitragen: gemeinsam und im Zusammenhalt
4   ist noch jung: Wir haben neue erste Klassen begrüßt,       und mit der Orientierung auf höhere Weisheit, von der      5
    viele neuen Kolleg*innen sind zu uns an die Schule ge-     wir ahnen können in der Michaelizeit.
    kommen und im Umland von Leipzig hat sogar eine
    ganz neue kleine Waldorfschule ihre Arbeit aufgenom-       In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude am vor-
    men. Genauso aber wie über Anfänge wurde sich auch         liegenden Rundbrief.
    über Abschlüsse Gedanken gemacht und so hat der
    Waldorfabschluss in der 12. Klasse eine neue Gestalt       Nina Luckner
    angenommen. Unsere wachsende Schulgemeinschaft
    findet einerseits Halt in den äußeren Rhythmen von
    Jahreslauf und Schuljahr, andererseits aber auch im Zu-
    sammenhalt von Groß und Klein in einer besonderen
    Zeit. Rhythmus trägt Leben und unser aller Lebens-
    kräfte erfahren Stärkung durch das, was wir immer
    wieder in Gemeinschaft erleben: in Elternabenden, bei
    Festen in sich wandelnder Gestalt, in der Begegnung
    in Arbeitskreisen, vor allem aber im schulischen Alltag
    und im gemeinsamen Tun und Blicken auf die Welt. Die
    Liebesbeziehung zur Welt und zur Erde ermöglichen wir
    Erwachsenen und leben sie den Kindern und Jugendli-
    chen vor – Sie als Eltern zuhause, wir als Kolleg*innen
    in der Schule.                                                    „ … Rote Blätter fallen,
    Unsere waldorfpädagogischen Leitsätze in den Jahren                 graue Nebel wallen,
    der Schulzeit sind uns Lehrer*innen dabei Anspruch
    und Ansporn zugleich: Die Welt ist schön, auch unab-
                                                                     kühler weht der Wind. …“
    hängig von uns als Betrachter, außerdem ist die Welt            Herbstlied | Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1782)
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RUNDBRIEF HERBST 2021

                                                                                                                            Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es      hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese
                                                                                                                            traurig und wusste anfangs selbst nicht, was ihm fehlte,     und ging auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem
                                                                                                                            endlich merkte es, dass es Heimweh war; ob es ihm            Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: „Ach, zieh

Herzlich willkommen!
                                                                                                                            hier gleich vieltausendmal besser ging als zu Haus, so       mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin
                                                                                                                            hatte es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu       schon längst ausgebacken.“ Die Faule aber antwortete:
                                                                                                                            ihr: „Ich habe den Jammer nach Haus gekriegt, und            „Da hätt ich Lust, mich schmutzig zu machen.“ und ging
                                                                                                                            wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann        fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „Ach,
                                                                                                                            ich doch nicht länger bleiben, ich muss wieder hinauf zu     schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle mitein-
                                                                                                                            den Meinigen.“ Die Frau Holle sagte: „Es gefällt mir,        ander reif.“ Sie antwortete aber: „Du kommst mir recht,
                             Die Begrüßungsansprachen der Klassen 1–13                                                      dass du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir so       es könnte mir einer auf den Kopf fallen.“ und ging damit
                                 zu Beginn des Schuljahres 2021/22 —                                                        treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinauf-    weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete
                                            FOTOS: PRIVAT / PIXABAY / PEXELS                                                bringen.“ Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es      sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon
                                                                                                                            vor ein großes Tor. Das Tor ward aufgetan, und wie das       gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten
                                                                                                                            Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger           Tag tat sie sich Gewalt an, war fleißig und folgte der
                                                                                                                            Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so dass       Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte
                                                                                                                            es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben,    an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am zweiten
                                                              sie sprach: „Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so      weil du so fleißig gewesen bist,“ sprach die Frau Holle      Tag aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten
                                                              hol sie auch wieder herauf.“ Da ging das Mädchen zu           und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den            noch mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen.
                                                              dem Brunnen zurück und wusste nicht, was es anfan-            Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor verschlos-         Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht, wie
                                                              gen sollte; und in seiner Herzensangst sprang es in den       sen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt,          sich‘s gebührte, und schüttelte es nicht, dass die Fe-
                                                              Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Be-      nicht weit von seiner Mutter Haus; und als es in den         dern aufflogen. Das ward die Frau Holle bald müde und
                                                              sinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber        Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief:              sagte ihr den Dienst auf. Die Faule war das wohl zufrie-       7
                                                              kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne             „Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie.“          den und meinte, nun würde der Goldregen kommen;
                                                              schien und vieltausend Blumen standen. Auf dieser             Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit       die Frau Holle führte sie auch zu dem Tor, als sie aber
                                                              Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war         Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester        darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kes-
                                                              voller Brot; das Brot aber rief: „Ach, zieh mich raus, zieh   gut aufgenommen.                                             sel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung
                                                              mich raus, sonst verbrenn ich: ich bin schon längst aus-      Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war,            deiner Dienste,“ sagte die Frau Holle und schloss das
                                                              gebacken.“ Da trat es herzu und holte mit dem Brot-           und als die Mutter hörte, wie es zu dem großen Reich-        Tor zu. Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit
                                                              schieber alles nacheinander heraus. Danach ging es            tum gekommen war, wollte sie der andern, hässlichen          Pech bedeckt, und der Hahn auf dem Brunnen, als er
                                                              weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Äpfel, und        und faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen.         sie sah, rief:
                                                              rief ihm zu: „Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel    Sie musste sich an den Brunnen setzen und spinnen;           „Kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie.“
                                                              sind alle miteinander reif.“ Da schüttelte es den Baum,       und damit ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die      Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, so-
KLASSE 1A                                                     dass die Äpfel fielen, als regneten sie, und schüttelte,      Finger und stieß sich die Hand in die Dornhecke. Dann        lange sie lebte, nicht abgehen.
Carolin Erikson                                               bis keiner mehr oben war; und als es alle in einen Haufen     warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber
                                                              zusammengelegt hatte, ging es wieder weiter. Endlich
Frau Holle | Ein Märchen der Brüder Grimm                     kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte
                                                              Frau, weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm
Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine             Angst, und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief
schön und fleißig, die andere hässlich und faul. Sie hatte    ihm nach: „Was fürchtest du dich, liebes Kind? Bleib bei      KLASSE 1B                                                    und wären doch viel klüger.
aber die hässliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter    mir, wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst,      Sandra Brose                                                 Sie zogen alle drei miteinander fort und kamen an einen
war, viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun       so soll dir‘s gut gehn. Du musst nur achtgeben, dass du                                                                    Ameisenhaufen. Die zwei Ältesten wollten ihn aufwüh-
und der Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mäd-             mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, dass       Die Bienenkönigin                                            len und sehen, wie die kleinen Ameisen in der Angst
chen musste sich täglich auf die große Straße bei einem       die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt; ich bin                                                                   herumkröchen und ihre Eier forttrügen, aber der
Brunnen setzen und musste so viel spinnen, dass ihm           die Frau Holle.“ Weil die Alte ihm so gut zusprach, so        Zwei Königssöhne gingen einmal auf Abenteuer und             Dummling sagte: „Lasst die Tiere in Frieden, ich leid‘s
das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu,         fasste sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und be-        gerieten in ein wildes, wüstes Leben, so dass sie gar        nicht, dass ihr sie stört!“
dass die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich      gab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach         nicht wieder nach Haus kamen. Der jüngste, welcher           Da gingen sie weiter und kamen an einen See, auf dem
damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen; sie            ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer         der Dummling hieß, machte sich auf und suchte seine          schwammen viele, viele Enten. Die zwei Brüder wollten
sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte,       gewaltig, auf dass die Federn wie Schneeflocken umher-        Brüder; aber wie er sie endlich fand, verspotteten sie       ein paar fangen und braten, aber der Dummling ließ es
lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie        flogen; dafür hatte es auch ein gut Leben bei ihr, kein       ihn, dass er mit seiner Einfalt sich durch die Welt schla-   nicht zu und sprach: „Lasst die Tiere in Frieden, ich leid‘s
schalt es aber so heftig und war so unbarmherzig, dass        böses Wort und alle Tage Gesottenes und Gebratenes.           gen wollte, und sie zwei könnten nicht durchkommen           nicht, dass ihr sie tötet!“
RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

    Endlich kamen sie an ein Bienennest, darin war so viel       Die erste war: In dem Wald unter dem Moos lagen die          KLASSE 2A
    Honig, dass er am Stamm herunterlief. Die zwei wollten       Perlen der Königstochter, tausend an der Zahl; die           Doreen Gürlebeck
    Feuer unter den Baum legen und die Bienen ersticken,         mussten aufgesucht werden, und wenn vor Sonnen-
    damit sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dumm-             untergang noch eine einzige fehlte, so ward der, wel-        Liebe Kinder!
    ling hielt sie aber wieder ab und sprach: „Lasst die Tiere   cher gesucht hatte, zu Stein.                                Herzlich willkommen in eurem zweiten Schuljahr und
    in Frieden, ich leid‘s nicht, dass ihr sie verbrennt!“       Der älteste ging hin und suchte den ganzen Tag, als          eurem zweiten Klassenzimmer.
    Endlich kamen die drei Brüder in ein Schloß, wo in den       aber der Tag zu Ende war, hatte er erst hundert gefun-       Die Tafel ist noch ganz neu, aber wie letztes Jahr seht    den nächsten und überall verliefen die Ameisenstra-
    Ställen lauter steinerne Pferde standen, auch war kein       den; es geschah, wie auf der Tafel stand: Er ward in         ihr zwei Frösche auf dem Bild. Doch die Geschichte, die    ßen, auf denen die Tiere ebenfalls steil bergauf und
    Mensch zu sehen, und sie gingen durch alle Ställe, bis       Stein verwandelt. Am folgenden Tage unternahm der            ich euch dazu erzählen möchte, ist eine andere:            bergab liefen, oft sogar schwer beladen. Auch die Kühe
    sie vor eine Türe ganz am Ende kamen, davor hingen           zweite Bruder das Abenteuer; es ging ihm aber nicht          Zwei Frösche, deren Tümpel die heiße Sommersonne           scheuten keine Anstrengung, um an das saftige Gras
    drei Schlösser; es war aber mitten in der Türe ein Läd-      viel besser als dem ältesten, er fand nicht mehr als         ausgetrocknet hatte, gingen auf Wanderschaft. Gegen        am Berghang zu kommen. Sie liefen auf den Alm-Wie-
    lein, dadurch konnte man in die Stube sehen. Da sahen        zweihundert Perlen und ward zu Stein.                        Abend kamen sie in die Kammer eines Bauernhofes            sen, in den Wäldern und auf den Wegen überall herum.
    sie ein graues Männchen, das an einem Tisch saß. Sie         Endlich kam auch an den Dummling die Reihe, der              und fanden dort eine große Schüssel Milch vor, die zum     Da brauchte es manchmal etwas Mut, dem Wander-
    riefen es an, einmal, zweimal, aber es hörte nicht. End-     suchte im Moos; es war aber so schwer, die Perlen zu         Abrahmen aufgestellt war. Sie hüpften sogleich hinein      pfad zu folgen und mitten durch die Herde hindurchzu-
    lich riefen sie zum drittenmal; da stand es auf, öffnete     finden, und ging so langsam.                                 und ließen es sich schmecken.                              gehen. Bäume, Blumen und Käfer gab es zu entdecken,
    die Schlösser und kam heraus. Es sprach aber kein            Da setzte er sich auf einen Stein und weinte. Und wie er     Als sie ihren Durst gestillt hatten und wieder ins Freie   die es nur in den Alpen gibt. Kleine und große Schmet-
    Wort, sondern führte sie zu einem reichbesetzten             so saß, kam der Ameisenkönig, dem er einmal das Le-          wollten, konnten sie es nicht: Die glatte Wand der         terlinge flogen umher, von denen sich einer auch mal
    Tisch; und als sie gegessen und getrunken hatten, brach-     ben erhalten hatte, mit fünftausend Ameisen, und es          Schüssel war nicht zu bezwingen und sie rutschten im-      ein Stück tragen ließ. Und oben angekommen, war die
    te es einen jeglichen in sein eigenes Schlafgemach.          währte gar nicht lange, so hatten die kleinen Tiere die      mer wieder in die Milch zurück.                            Anstrengung vergessen und ich konnte nur noch die
    Am andern Morgen kam das graue Männchen zu dem               Perlen miteinander gefunden und auf einen Haufen ge-         Viele Stunden mühten sie sich nun ab und ihre Schenkel     wunderschöne Aussicht genießen. Oft gab es auf den
    ältesten, winkte und leitete ihn zu einer steinernen Ta-     tragen. Die zweite Aufgabe aber war, den Schlüssel zu        wurden allmählich immer matter. Da quakte der eine         Almen hübsche Holzhütten, in denen sich die Wanderer
8   fel, darauf standen drei Aufgaben geschrieben, wo-           der Schlafkammer der Königstochter aus dem See zu            Frosch: „Alles Strampeln ist umsonst, das Schicksal ist    stärken und ihren Durst stillen konnten. Manchmal wa-        9
    durch das Schloß erlöst werden könnte.                       holen. Wie der Dummling zum See kam, schwammen               gegen uns, ich geb‘s auf!“ Er machte keine Bewegung        ren auch kleine Häuschen aufgestellt, in denen Honig-
                                                                 die Enten, die er einmal gerettet hatte, heran, tauchten     mehr, glitt auf den Boden des Gefäßes und ertrank.         bienenvölker lebten. Einmal konnte ich dem Imker zu-
                                                                 unter und holten den Schlüssel aus der Tiefe.                Sein Gefährte aber kämpfte weiter bis tief in die Nacht    sehen wie er überprüfte, ob es auch allen Bienen gut ging.
                                                                 Die dritte Aufgabe aber war die schwerste: Von den drei      hinein. Da fühlte er den ersten festen Butterbrocken       Später werde ich euch noch eine Geschichte von diesen
                                                                 schlafenden Töchtern des Königs sollte die jüngste und       unter seinen Füßen, er stieß sich mit letzter Kraft ab     besonderen Baumeistern, die mit unermüdlichem Fleiß
                                                                 die liebste herausgesucht werden. Sie glichen sich aber      und war im Freien.                                         dafür sorgen, dass wir Obst, Gemüse und Kräuter essen
                                                                 vollkommen und waren durch nichts verschieden, als           Dass frische Kuhmilch verführerisch lecker ist, habe ich   können, erzählen. Ja, Bienen entschieden in der Geschich-
                                                                 dass sie, bevor sie eingeschlafen waren, verschiedene        im Urlaub in Österreich auf einem Bauernhof in den         te sogar einmal über den erfolgreichen Ausgang einer
                                                                 Süßigkeiten gegessen hatten, die älteste ein Stück Zu-       Alpen auch feststellen können. Und wie der Frosch          Schlacht armer Bauern gegen bewaffnete Soldaten.
                                                                 cker, die zweite ein wenig Sirup, die jüngste einen Löffel   habe ich mich dort auch manchmal gefühlt. In diesem        Jetzt bin ich aber erst mal sehr gespannt, was ihr in eu-
                                                                 Honig. Da kam die Bienenkönigin von den Bienen, die          Gebirge gibt es viele schöne Wanderwege und ich habe       ren ersten Sommerferien alles erlebt habt. Ich freue
                                                                 der Dummling vor dem Feuer geschützt hatte, und ver-         so manchen Gipfel erklommen. Das war mitunter ganz         mich auf ein neues spannendes Schuljahr mit euch und
                                                                 suchte den Mund von allen dreien, zuletzt blieb sie auf      schön anstrengend. Gleichzeitig gab es auf dem Weg so      auf all die Geschichten, die wir gemeinsam erleben, hö-
                                                                 dem Mund sitzen, der Honig gegessen hatte, und so er-        viel zu entdecken. Ein Ameisenhaufen reihte sich neben     ren, schreiben und lesen werden.
                                                                 kannte der Königssohn die rechte.

                                                                 Da war der Zauber vorbei, alles war aus dem Schlaf er-
                                                                 löst, und wer von Stein war, erhielt seine menschliche
                                                                 Gestalt wieder. Und der Dummling vermählte sich mit          KLASSE 2B                                                  einer Dachrinne einen Eimer, der zur Hälfte mit Wasser
                                                                 der Jüngsten und Liebsten und ward König nach ihres          Regine Eberhardt                                           gefüllt war. Sofort flogen sie auf den Eimerrand, aber
                                                                 Vaters Tod; seine zwei Brüder aber erhielten die beiden                                                                 so sehr sie sich auch mühten – sie konnten mit ihren
                                                                 andern Schwestern.                                           Nach der Fabel „Die Krähe und der Wasserkrug“ (Äsop)       Schnäbeln das Wasser nicht erreichen.
                                                                                                                                                                                         „Oooh“, jammerte Kroox, „der Eimer ist schon halb leer.
                                                                                                                              An einem heißen Sommerabend erreichten die Krähen          Das Wasser steht für uns viel zu tief. Wir müssen elen-
                                                                                                                              Kroox und Kraax ein altes Bauerngehöft. Den ganzen         dig verdursten.“ Damit flatterte er müde in einen schat-
                                                                                                                              Tag hatten sie verzweifelt nach einem Schluck Wasser       tigen Winkel und legte sich zum Sterben.
                                                                                                                              gesucht, aber die Sonne hatte alle Pfützen und Tümpel      „Aaah“, sagte Kraax, „der Eimer ist noch halb voll. Wenn
                                                                                                                              trocken geleckt. Da entdeckten sie unter dem Fallrohr      ich es schlau anstelle, werde ich bald zu trinken
RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

                                                                  Und die Moral von der Geschicht‘?
                                                                  Handeln hilft weiter, klagen nicht.                          KLASSE 3B
                                                                  Und was man sich auch merken soll:                           Vivian Hanner-Peter
                                                                  was halb leer ist, ist noch halb voll!
                                                                                                                               Das Mitbringsel (Ludger Helming-Jacoby)
                                                                  Liebe Klasse 2b, im zweiten Schuljahr werdet ihr be-                                                                      Ich könnte euch zum Beispiel davon erzählen, was für
     bekommen.“ Und schon flog er los, holte Kieselstein          eindruckende Fabeln wie diese hören und von heiligen         „Wo warst Du denn so lange? Hast Du uns etwas mit-           ein tüchtiger Helfer für die Menschen so ein Tropfen ist;
     auf Kieselstein und ließ dieselben in den Eimer fallen.      Personen, die Gutes in die Welt gebracht haben. Ich          gebracht?“, riefen die Kinder dem Vater entgegen, der        keine Mauer, kein Haus könnte gebaut werden, auf dem
     So stieg und stieg das Wasser im Behältnis. Schon            wünsche euch, dass ihr stets voll freudiger Tatkraft         gerade zur Tür hereinkam.                                    Acker könnte nichts angebaut werden, und kein Brot
     nach kurzer Zeit konnte Kraax mit seinem Schnabel            sein möget und tolle Ideen habt in diesem 2. Schuljahr.      „Ich habe einen Waldspaziergang gemacht“, sagte der          könnte gebacken werden ohne die Hilfe der Wasser-
     das Wasser erreichen und seinen Durst nach Herzens-          Ich freue mich auf unser gemeinsames Jahr.                   Vater und fügte mit einem leicht spitzbübischen Lachen       tröpfchen.“ „Oh ja, davon würde ich gern etwas hören“,
     lust stillen.                                                                                                             hinzu: „Und mitgebracht habe ich euch auch etwas.“ -         sagte der Junge. – „Ich auch“, meinte das Mädchen und
                                                                                                                               „Zeig mal!“ – „Was ist es denn?“ – „Nur Geduld! Ihr wer-     fügte hinzu, während es den Tropfen auf der Hand
                                                                                                                               det‘s gleich sehen. Es ist winzig klein, aber ein wahres     nachdenklich anschaute: „Aber ich würde auch gern et-
                                                                                                                               Zauberwesen: Es kann sich in so viele Gestalten ver-         was darüber erfahren, wo so ein Tropfen eigentlich her-
                                                                                                                               wandeln wie kaum ein anderes Wesen. Es kann ganz             kommt.“ – „Na, er wird wohl als Regentropfen herun-
     KLASSE 3A                                                    umgezogen. Es ging wieder in den Süden. Dort fand ich        hart und fest, aber auch weich und nachgiebig sein.          tergefallen sein“, sagte der Junge. „Das weiß ich auch!“,
     Ute Frieda Treppke                                           für lange Zeit eine neue Heimat. Schließlich war ich dort    Manchmal ist es kugelrund, es kann sich aber auch so         gab das Mädchen zurück. „Und dass die Tropfen, die in
                                                                  Lehrerin. Auch an einer Waldorfschule. Meine Klasse          dünn machen, dass es durch das feinste Röhrchen hin-         der Regenwolke sind, mit Hilfe der Sonne aus dem
     Liebe dritte Klasse!                                         hatte nun ihr achtes Schuljahr beendet und ich als ihre      durch schlüpfen kann. Es kann sich so hauchzart und          Meer hochgeflogen sind. Aber das Meer, wo kommt das
     Ich stehe nun als Lehrerin vor euch. Wie bin ich wohl, die   Klassenlehrerin konnte mir eine neue Klasse suchen.          leicht machen, dass es davonfliegt. Und manchmal             denn her, wie ist es denn eigentlich entstanden, und
     neue Lehrerin? Und wie kam ich hierher, zu euch? Und         Dafür wanderte ich zu euch. Nun möge Leipzig mir für         nimmt es sogar die Gestalt eines Glitzersterns an.“ –        wer hat es gemacht?“ – „Davon will ich euch auch gern
10   was werden wir nun gemeinsam machen? Um euch                 viele Jahre eine neue Heimat werden. Und wir wandern         „Und das hast du im Wald gefunden? Nun zeig doch mal!“       erzählen“, sagte der Vater.                                 11
     Antworten zu geben, fange ich mit einem besonderen           gemeinsam durch die dritte Klasse. Wir werden viel zu        Der Vater holte ein Büschelchen Moos aus der Tasche
     Ausspruch an. „Der Weg ist das Ziel!“ Auf Wegen muss         tun haben. Es wird einen Acker zu bearbeiten geben.          und presste es in der Hand. „Einer von euch muss die         Liebe Kinder,
     man wandern. Dass man wandert, das kennen wir alle.          Aus dem Getreide, wie genau wird es zu unserem Brot,         Hand drunter halten und es auffangen.“ – „Du drückst         So wie die Kinder in der Geschichte danach gefragt ha-
     Manchmal wandert man mit der Familie am Wochen-              unseren Brötchen? Vom Bauen erfahren wir, aber erst          zu stark, du machst es noch kaputt!“ – „Nein, nein, das      ben, wo das Wasser herkommt oder wie das Meer ent-
     ende oder in den Ferien. Manchmal vielleicht sogar ei-       später im Jahr. Vorher lernen wir alle die Schreibschrift.   macht ihm nichts – seht, da kommt es schon heraus!“          standen ist und wer es gemacht hat, so wollen auch wir
     nen ganzen Tag. Manch einer wandert sogar für eine           Außerdem gibt es so einiges von Handwerkern zu ler-          „Ein Wassertropfen!“ Die Kinder schauten den Tropfen,        uns in diesem Schuljahr fragen, wo wir herkommen und
     Woche. Oder sogar ein Jahr lang. Vielleicht kann man         nen. Vom Schuster, der tatsächlich noch Schuhe macht         der in die Hand des Jungen gefallen war, an, als sähen       wie die Erde entstanden ist. Wir wollen uns damit be-
     sogar sagen, dass man durch das Leben wandert. Dann          und von Schneiderinnen, nicht von der fertigen Kleidung      sie so etwas zum ersten Mal. „Ach so, ja“, sagte der Jun-    schäftigen, wie Menschen früher gelebt und gearbeitet
     ist der Weg des Wanderns wohl das Ziel des Lebens.           aus dem Geschäft, sondern wie richtig genäht wird. Frü-      ge schließlich, „hart und fest als Eis; weich und rund als   haben, wie sie mit ihren geschickten Händen z.B. ge-
     Wie ist es dann nur um die Heimat bestellt? Ein Wande-       her gingen nur die Handwerksburschen zünftig auf die         flüssiger Tropfen; und wenn er in eine Pflanzenwurzel        schneidert, gewebt, ihren Acker bestellt, gebacken oder
     rer durch das Leben, wo ist denn seine Heimat, sein Zu-      Walz und wanderten durch die Lande, um ihr Handwerk          hineinschlüpft, macht er sich ganz dünn.“ – „Und in ei-      getöpfert haben. Wir werden auch Handwerke unserer
     hause? Viele sagen, dass die Heimat dort ist, wo man         zu erlernen. Das nehmen wir uns als Klasse nun vor, um       ner Wolke“, ergänzte das Mädchen, „schwebt er durch          Zeit kennenlernen und uns selbst in dem einen oder an-
     geboren wurde. Wenn nun jemand auf Wanderschaft              von den Menschen, ihren Orten und ihrem Gewerken zu          die Luft, und als Schneeflocke sieht er aus wie ein Stern.   derem Handwerk ausprobieren. Wir möchten in diesem
     geht, verlässt er diese Heimat. Wir haben in Märchen         lernen. Bevor wir aber das tun, lasst uns davon hören,       Das hast du uns ja alles erzählt. Aber kannst du uns         Schuljahr gemeinsam die Freude am sinnvollen Tätig-
     und Geschichten davon gehört, dass so manch einer            wie die Erde den Menschen überhaupt Heimat werden            nicht noch mehr davon erzählen, was so ein Tropfen al-       Sein erleben und pflegen.
     seine Heimat verließ. In die weite Welt musste oft ein       konnte, was davon erzählt wird.                              les erlebt?“ – „Ja“, meinte der Vater, „das kann ich wohl.
     Königssohn gehen oder der Hans aus dem Lied. Oder
     ein Mädchen musste Gefahren in der Welt bestehen,
     um den Bruder vom Zauber zu befreien. Manchmal
     kehrten sie in ihre Heimat zurück, doch so manches Mal
     wurde ein neuer Ort zur Heimat. Von solchen Dingen                                                                        KLASSE 4A                                                    Schon als kleines Kind war Johann Sebastian begeistert
     habt ihr ganz früher in der ersten Klasse schon gehört.                                                                   Almut Stadelmann-Roth                                        von der Stadtpfeiferei, die von Vater Bach geleitet wur-
     Ein bisschen so ist es bei mir. Ich bin schon viel gewan-                                                                                                                              de. Der kleine Johann Sebastian marschierte am Ende
     dert. Dort, wo die Nordsee nicht weit weg ist und die                                                                     Liebe Viertklässler,                                         des Musikantenzuges mit und spielte dabei auf einem
     Möwen schreien, wurde ich geboren. Als junge Frau bin                                                                     im vierten Schuljahr werden wir uns in der Heimatkun-        Vogelpfeifchen, das ihm die Mutter geschenkt hatte.
     ich in den Süden gezogen. Von dort ging es dann irgend-                                                                   deepoche mit Leipzig beschäftigen. Es haben hier in der      Später lernte er, auf der Flöte, der Oboe und auch auf
     wann an die Ostsee. Die wurde meiner Familie zur Hei-                                                                     Stadt berühmte Komponisten gelebt. Einer davon war           der Geige zu spielen. Am meisten aber begeisterte ihn
     mat. Trotzdem sind wir alle wegen der Arbeit wieder                                                                       Johann Sebastian Bach. Von ihm habe ich euch erzählt:        die triumphierende Orgel.
RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

                                                                 den Thomasschülern gute Sänger wurden. Und er kom-          KLASSE 5A
                                                                 ponierte und komponierte. Seine Musik war für die           Julia Dutschke
                                                                 Menschen neu und ungewöhnlich. Die einen bewun-
                                                                 derten ihn dafür, die anderen schüttelten den Kopf. Er      Liebe Fünftklässler,
                                                                 komponierte nicht nur Kirchenmusik. Einmal brachte          vor vier Jahren seid ihr eingeschult worden und habt
                                                                 ein Freund eine Geschichte mit, in der es um eine junge     seither eine Vielzahl von Dingen gelernt. Von vielen
                                                                 Frau ging, die süchtig war nach Kaffee. Ihr Vater wollte    Menschen durftet ihr lernen. Ja, als Menschen sind wir
     Schon mit ungefähr zehn Jahren verlor er in kurzer Zeit     ihr den Kaffee abgewöhnen und wollte sie daher solan-       darauf angewiesen von anderen Menschen zu lernen,
     Mutter und Vater und lebte von da an bei einem seiner       ge nicht verheiraten bis sie sich abgewöhnt hatte, Kaf-     was etwas sehr Schönes ist. Woher aber stammen das
     älteren Brüder, der ihn auch im Orgelspiel unterrichtete.   fee zu trinken. Schließlich verkündete sie aber, dass sie   Wissen und die Erfahrungen, die die Menschen seit Ge-
     Dieser hielt einige Noten für seinen kleinen Bruder für     nur einen Mann heirate, der ihr den Kaffeegenuss er-        nerationen weitergeben.
     zu schwer und wollte nicht, dass er sie spielte oder ab-    laube und am Ende hatte sie einen Ehemann und so viel       Ihr werdet meinen, dass man vieles aus Büchern ent-
     schrieb. Das aber wollte Johann Sebastian. So ver-          Kaffee, wie sie wollte. Johann Sebastian Bach gefiel        nehmen kann, aber es gab eine Zeit, in der es noch kei-
     schloss er sie vor ihm und Johann Sebastian begann, sie     diese Geschichte so gut, dass er sich noch am selben        ne Bücher gab, weil der Buchdruck noch nicht erfunden
     in der Nacht heimlich bei Mondschein abzuschreiben.         Abend hinsetzte, um Musik dazu zu komponieren. So           war. Tja, dann stand das Wissen eben schon auf alten
     Mit fünfzehn Jahren konnte er sein eigenes Geld ver-        entstand die „Kaffeekantate“. Bach fand, das sei genau      Papyrusrollen oder auf noch älteren Tontafeln. Doch es
     dienen, indem er in verschiedenen Städten sang und          die richtige Musik für den Kaffeehausbesitzer, der in der   gab davor eine Zeit, da gab es die Schrift noch nicht,       Pflicht ist es, die Taube zu schützen, doch deine größere
     auf der Orgel spielte. Dafür ging er Hunderte von Kilo-     Leipziger Katharinenstraße ein Kaffeehaus besaß.            niemand konnte lesen oder schreiben. Die Menschen            Pflicht ist es, mich und die meinen nicht verhungern zu
     metern zu Fuß durch Deutschland. Nach Leipzig zog                                                                       brauchten dies auch nicht, weil sie alles, was sie wissen    lassen. Entscheide dich, o König!“ Wie konnte nun der
     Johann Sebastian Bach, als er schon Vater von fünf Kin-     Es ist schade, dass es dieses Kaffeehaus nicht mehr         mussten, aus dem Munde anderer, älterer Menschen             König, der alle Lebewesen gleichermaßen liebte, Ge-
     dern war (und er bekam noch weitere Kinder). Die Stadt      gibt. Aber wenn wir dann durch Leipzig gehen, werden        erfuhren. Auf diese Weise wurde das Wissen über viele        rechtigkeit walten lassen? „Lieber Habicht, wähle dir
12   war damals schon groß. In der Nikolaikirche und in der      wir uns auf jeden Fall Gebäude anschauen, in denen Jo-      Generationen weitergegeben, bevor es irgendwann              aus meinem Reiche einen Hirsch, einen Eber – was du         13
     Thomaskirche dirigierte er die Kirchenmusik und spielte     hann Sebastian Bach lebte und arbeitete und natürlich       aufgeschrieben wurde. Was die Menschen zum Leben             willst.“ „Hirsch und Eber sind keine Nahrung für mich.
     die Orgel. Er war auch dafür verantwortlich, dass aus       noch einiges mehr.                                          brauchten, erzählten sie sich oft in Form von weisheits-     Die Götter haben die Taube mir zur Nahrung bestimmt!“
                                                                                                                             vollen, tiefsinnigen aber auch heiteren Geschichten. So      Der König bot ihm sein ganzes Königreich an, um die
                                                                                                                             habt ihr auch die Geschichten der Edda in der vierten        Taube zu retten. Da sagte der Habicht: „König, wenn dir
                                                                                                                             Klasse kennen gelernt. Eine solche Geschichte, die schon     das Leben der Taube so viel wert ist, gib mir stattdes-
                                                                                                                             viele tausend Jahre alt ist, will ich euch jetzt erzählen:   sen so viel von deinem eigenen Fleisch, wie diese Taube
     KLASSE 4B                                                   wusste, warum ihm dies geschah: Nur                                                                                      wiegt.“ Ohne sich zu bedenken, schnitt sich der König
     Nina Luckner                                                so, mit den Haaren in der Weltesche                         Die Geschichte vom hungrigen Habicht und der schutz-         ein Stück Fleisch heraus und legte es auf die Waag-
                                                                 hängend, konnte er aus dem Rauschen                         suchenden Taube                                              schale. Doch die Taube war schwerer als diese Stück.
     Liebe 4. Klasse,                                            und Raunen der Naturgewalten die                            Vor sehr langer Zeit brachte der König von Indien – In-      Der König schnitt sich ein weiteres Stück heraus, die
     Ganz weit oben im Norden, dort, wo es selten warm           „Runen“ ersinnen. Seine Laute wurden                        dien war damals ein blühendes und wunderschönes              Taube war immer noch schwerer. Je mehr Fleisch der
     wird, dort erzählen sich die Menschen sehr alte Ge-         zu Worten und als es genug Worte wa-                        Königreich – seinem Gott ein Opfer dar. Während er in        König auf die Waagschale legte, desto schwerer wurde
     schichten, die davon handeln, wie die Welt entstanden       ren, da löste sich sein Haar aus den Äs-                    tiefer Andacht versunken da saß, flog plötzlich eine         die Taube. Schließlich sprang der König selber auf die
     ist. Besonders schön ist die Geschichte, die uns davon      ten und er fiel aus dem Baum, um wie-                       angstvolle Taube in seinen Schoß, die von einem wilden       Schale, um sein Leben für das der Taube zu opfern.
     erzählt, wie die Sprache zu den Menschen gekommen           der zu erwachen. So ist die Sprache                         Habicht verfolgt wurde und bat den König, ihr Schutz zu      In diesem Augenblick verwandelte sich der Habicht in
     ist, denn nicht immer konnten die Menschen sprechen.        entstanden und Odin gab sie den Men-                        gewähren. Der Habicht lies sich vor dem König nieder         seine wahre Gestalt und rief: „Ich bin Indra, der König
     Odin, der höchste Gott, liebte die Menschen. Er hatte sie   schen.                                                      und sprach: „Edler König, weithin preist man deine           aller Götter und des Himmels. Die Taube ist ein Freund
     selbst mit Seele und Lebenshauch begabt und es              Im vierten Schuljahr gibt es einiges für                    Großmut und Weisheit. Jedem Hungernden gibst du zu           der Götter und ich kam, um dich zu prüfen. Für deine
     schmerzte ihn, dass sie nicht sagen konnten, was ihnen      uns zu tun, was mit der Sprache zu-                         essen, niemanden lässt du darben. Warum gönnst du            große Treue und Standhaftigkeit erhältst du unver-
     Kummer oder Freude schuf, was sie schauten und hör-         sammenhängt. Wir werden die nordi-                          mir meine Nahrung nicht und schützt die Taube, mich          gleichlichen Ruhm, solange die Menschen auf Erden
     ten. Sie lebten wie Träumende und waren stumm wie           schen Stabreime sprechen, von den                           plagt großer Hunger?“ Der König antwortete: „Habicht         leben.“
     die Fische. Da brachte Odin ein Opfer. Er verwundete        Tieren hören und erzählen, die keine                        höre, diese Taube bat mich um Schutz. Es ist jeder-
     sich mit einem Speer und fiel in einen abgrundtiefen        menschliche Sprache haben, uns mit                          manns heilige Pflicht, einen Schutzsuchenden niemals         Liebe Kinder, vieles können wir Menschen von diesen
     Traum. Im Traum fühlte er sich hoch hinauf ins Geäst der    der Stadt Leipzig beschäftigen, in der                      preiszugeben!“ Sprach der Habicht: „Recht hast du, König.    Geschichten lernen. Im kommenden Schuljahr wollen
     Weltenesche getragen und mit den Haaren in den Zwei-        mancherorts Sächsisch gesprochen                            Doch jedes Wesen auf der Erde benötigt seine Speise.         wir diese uralten Zeitepochen der Menschheit genauer
     gen aufgehängt. Neun Nächte hing er so in dem riesigen      wird und so werden wir viele interes-                       Nimmst du mir die meine, so muss ich sterben. Sterbe         kennenlernen. Darauf dürft ihr euch freuen!
     Baum ohne Essen und Trinken. Wind umwehte ihn, Tau          sante Gespräche führen, auf die ihr                         ich, so stirbt mein Weib und sterben meine Kinder auch.
     betropfte ihn und große Pein litt er an seinem Haar. Odin   euch mit mir freuen dürft!                                  Beschützt du die Taube, müssen wir alle sterben. Deine
RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

     KLASSE 5B                                                     goldenen Locken. Jetzt vernahm er auch den Klang ih-        hingezogen. Einige Fabeln und Mythologien ranken            auswählen und ihn in seiner Entwicklung über den Jah-
     Rossitza Todorowa                                             rer Stimme und war bald seiner Sinne beraubt. Er be-        sich um das Wesen der Bäume. Ich hatte das Glück in         reslauf beobachten, dabei ein kleines Tagebuch führen.
                                                                   fahl den Schiffern, am Felsen anzufahren. Aber als er       Istrien/Kroatien auf der Insel Brjuni diesen Sommer         Und so wie wir uns der Geschichte/Biografie eines
     Meine liebe 5. Klasse,                                        ans Land springen wollte, nahm er den Sprung zu kurz        einen über 600 Jahre alten Olivenbaum zu sehen. Ein         Baumes nähern, so werden wir uns in diesem Schul-
     ich freue mich euch wieder fast alle hier zu sehen. Un-       und versank im Strom; die Wogen schlugen schauer-           mächtiger Stamm, tiefe Furchen in seiner knorrigen          jahr auch mit der Geschichte der Menschheit beschäf-
     abhängig von den Notwendigkeiten als Mittelstufen-            lich über ihm zusammen.                                     Rinde, kräftige, grün-graue lederartige Blätter, die sich   tigen. Wie und wann lebten die ersten Menschen, wie
     klasse, sich allen Regeln zu stellen, lasst uns gemein-       Die Nachricht kam schnell zu den Ohren des Pfalzgra-        gegen Trockenheit und Hitze wehren.                         entwickelten sich die alten Kulturen und was können
     sam den Blick in die Ferne richten. Viele haben schöne        fen. Voll Schmerz und Zorn befahl er seinen Knechten,       Auch in Thüringen konnte ich bei meinen Wanderun-           sie uns heute noch lehren?
     Erlebnisse aus der Ferienzeit mitgebracht. Bestimmt           ihm die Unholdin tot oder lebendig zu bringen. Einer        gen mächtige Fichten und Eichen tagtäglich bewun-
     sind auch einige von euch weit weggefahren.                   seiner Hauptleute versprach, den Willen des Pfalzgra-       dern, wie sie sich Wind, Wetter und Umwelt bis heute        Meine liebe 5. Klasse, ich wünsche uns ein schönes,
     In diesem Schuljahr begegnen wir neuen Inhalten. Be-          fen zu vollziehen. Doch bat er sich aus, dass er die Hexe   stellen und überleben. Jeder von euch hat gewiss in         kontinuierliches und glückliches Schuljahr. Möge uns
     ginnen werden wir mit Geographie. Unsere Flüsse in            gleich in den Rhein stürzen dürfe, damit sie sich nicht     seiner Umgebung einen besonderen Baum, welchem              alles gelingen, was wir uns vornehmen.
     Leipzig und Sachsen haben wir schon kennengelernt.            vielleicht durch Zauberkünste wieder aus Kerker und         man täglich begegnet. Wir werden uns diesen einen
     Ausgehend von den Quellen von Elbe und Rhein, na-             Banden befreie. Der Pfalzgraf war es zufrieden. Nun
     türlich auch anderer Flussläufe sowie zahlreicher Ge-         zog der Hauptmann gegen Abend aus und stieg mit
     birgszüge, erobern wir uns das gesamte Deutschland.           einer Schar Männer die Lorelei hinan. Die Jungfrau saß
     Flüsse in ihrem Fließen und eigenwilligen Mäandern,           oben auf der Spitze und hielt eine Schnur von Bern-
     Bäume in ihrer Vielfalt und ihrem Wachstum sind uns           stein in der Hand. Sie sah die Männer kommen und rief       KLASSE 6A
     nahe. Manche Sage rankt sich um diese Naturreiche.            ihnen zu, was sie hier suchten. „Dich, Zauberin“, ant-      Maren Uhlig
     So finden wir auch eine Sage zum Rhein und der Lore-          wortete der Hauptmann, „und ich befehle dir, dich so-
     ley, welche auch Heinrich Heine zu einer Ballade inspi-       fort in die Fluten hinabzustürzen!“ - „Ei“, sagte die       Meine lieben Sechstklässler,
14   rierte. Die Loreley ist ein 132 Meter hoher, steiler          Jungfrau lachend, „der Rhein mag mich holen!“               in diesem Jahr erwarten uns viele spannende Entde-                                                                    15
     Schieferfelsen am rechten Rheinufer in der Rhein-             Bei diesen Worten warf sie die Bernsteinschnur in den       ckungsreisen und wir werden immer wieder feststel-
     schlucht bei Sankt Goarshausen in Deutschland.                Strom hinab und sang mit schauerlichem Ton: “Vater,         len, dass in Raum und Zeit eigentlich alles auf geheim-
     Man erzählt sich, dass in den alten Zeiten sich manch-        Vater, geschwind, geschwind, die weißen Rosse schick        nisvolle Weise irgendwie miteinander zusammenhängt:
     mal auf der Lorelei um die Abenddämmerung und beim            deinem Kind, es will reiten mit Wogen und Wind!“            Wir werden zum Beispiel Deutschland von der Ostsee
     Mondschein eine Jungfrau sehen ließ. Sie sang mit so          Urplötzlich brauste der Strom daher. Der Rhein rausch-      bis zu den Alpen durchwandern – vorerst aber nur im
     lieblicher Stimme, dass alle davon bezaubert wurden,          te, dass weitum Ufer und Höhen mit weißem Gischt            Atlas und in unserer Phantasie. Desgleichen Europa, die
     die es hörten. Viele, die vorüberfuhren, wurden an dem        bedeckt waren. Man sagt, zwei Wellen, die fast die Ge-      Heimat so vieler verschiedener Kulturen. Ein bisschen
     Felsenriff im Strom in die Tiefe gerissen, weil sie auf ihr   stalt von zwei weißen Rossen hatten, stiegen mit Blit-      haben wir uns ja letztes Jahr in der Geschichtsepoche
     Fahrzeug nicht mehr achteten. Niemand hatte die               zesschnelle zur Kuppe des Felsens empor und trugen          schon im Mittelmeerraum umgesehen – allerdings in
     Jungfrau aus der Nähe gesehen - nur einige junge Fischer.     die Jungfrau hinab in den Strom, wo sie verschwand.         einer längst vergangenen Zeit, der griechischen Antike.     genau wann und wo, aber das tut momentan auch
     Zu ihnen gesellte sie sich die Jungfrau manchmal im                                                                       Nun kehren wir dahin zurück, ins Nachbarland Italien        nichts zur Sache – hatten sich die mächtigsten Fürsten
     letzten Abendrot und wies ihnen die Stellen, wo sie           In der Pflanzenkunde im späten Frühjahr werden wir          und ein paar Jahrhunderte später. Gemeinsam mit den         des Landes getroffen. Gekleidet waren sie in kostbare
     ihre Netze für einen guten Fang auswerfen sollten. Je-        Bekanntes und Neues erleben und erlernen. Doch              alten Römern nehmen wir teil an der Gründung des Rö-        Pelze und prächtige Seidenstoffe, sie trugen wertvollen
     des Mal, wenn sie dem Rat der Jungfrau folgten, taten         schon in den nächsten Tagen werden wir uns einer            mischen Imperiums. Und auch die Alpen, das mächtige         Schmuck und regierten über wohlhabende Ländereien.
     sie einen reichlichen Fang. Diese Geschichte verbreite-       langfristigen Aufgabe widmen: dem Baum. Viele von           Hochgebirge, wird hier wieder eine Rolle spielen, näm-      Während des üppigen Gastmahles prahlten sie mit ih-
     te sich bald im ganzen Lande. Auch der Sohn des Pfalz-        uns fühlen sich von sehr, sehr alten Bäumen besonders       lich wenn der Karthagische Feldherr Hannibal mit sei-       ren Besitztümern, ihrem großen Gefolge, ihren schö-
     grafen, der damals in der Nähe sein Hoflager hatte,                                                                       nem Heer und sogar mit Elefanten durch die Berge zie-       nen Frauen und ihrem Gold. „Seht her“, rief der eine,“
     hörte diese wundervolle Mär; so verspürte er den                                                                          hen wird um Rom zu belagern. In seiner Tasche als           dieser goldene Armreif mit den zwei Drachenköpfen
     Drang, auch diese Jungfrau zu sehen. Er tat, als ob er                                                                    Glücksbringer wird er dabei einen kleinen Stein haben,      stammt aus dem Frankenland. Er hat mich 7000 Thaler
     auf die Jagd gehen wollte, nahm den Weg nach Ober-                                                                        ein Granitstück, welches er bei der gefährlichen Über-      gekostet und ist mit Edelsteinen besetzt.“ Die Männer
     wesel; setzte sich dort in ein Boot und ließ sich strom-                                                                  querung der Alpen aufgesammelt hat. In der Gesteins-        lobten den wunderbaren Reif und seinen stolzen Be-
     abwärts fahren.                                                                                                           kundeepoche werden wir uns anschauen, wie Granit            sitzer, dann erhob sich ein anderer: „Dein Schmuck ist
     Die Sonne war eben untergegangen, und die ersten                                                                          tief im Innern der Erde entsteht und welche Rolle er bei    kostbar, aber sieh her, dies ist mein Schwert! Hast du
     Sterne traten am Himmel hervor, da näherte sich sein                                                                      der Auffaltung der Alpen gespielt hat. Aber auch in der     jemals eine herrlichere Waffe gesehen? Die Klinge ist
     Fahrzeug der Lorelei. „Seht ihr sie dort, die verwünsch-                                                                  Geschichtsepoche begegnen wir dem Granit wieder             aus bestem Sarazenenstahl, ich habe ihn im Orient von
     te Zauberin?“ riefen die Schiffer. Der Jüngling hatte sie                                                                 und diese kleine Geschichte in mitten der großen Ge-        einem Sultan zum Geschenk erhalten.“ Die Männer ju-
     aber schon erblickt. Sie saß am Abhang des Felsens,                                                                       schichte will ich euch schon jetzt erzählen:                belten und die Waffe ging von Hand zu Hand. Als sich
     nicht weit vom Strome, und band einen Kranz um ihre                                                                       Auf einer mittelalterlichen Burg – ich weiß nicht mehr      der Tumult an der Tafel etwas gelegt hatte, richteten
RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

sich nun aller Augen auf einen Mann am oberen Ende        weisen. Dennoch besitze ich einen Ring, der mir teurer        KLASSE 9
des Tisches. Bisher hatte er schweigend sein Mahl ver-    ist als jeder Edelstein der Welt. Seht her“, und er hob die   Benita Hochmuth
zehrt, er war edel, aber einfach in dunkles Leder und     Hand, damit jedermann diesen Ring sehen konnte.
grünen Samt gekleidet. „Und ihr, Fürst Gideon, womit      Grau war er und unscheinbar. „Dieser einfache Ring            Liebe 9. Klasse,
könnt ihr euch rühmen?“ Fragten die anderen Gäste,        umfasst ein Stück Granit. Dieses stammt aus dem Fel-          nach der netten Willkommensrede durch die 12. Klas-
teils, wie es schien, auch mit ein bisschen Hohn in der   sen, auf dem meine Väter ihre Burg erbauten – und sie         se möchte natürlich auch ich euch ganz herzlich in der
Stimme, denn der Fürst war für seine Bescheidenheit       ist so stark und sicher, dass sie noch nie erobert wurde.     Oberstufe und als meine neue Klasse begrüßen. Vieles,
bekannt. Nie sah man ihn in Gold und Seide, nie prahlte   Prahlt ihr mit euren Rubinen und Smaragden – mich             was euch in diesem und den nächsten Jahren erwartet,
er mit Taten und Besitz. „Nun“, sprach er schließlich,    schmückt dieser schlichte, mächtige Stein besser.“ Da         wisst ihr sicher schon von Geschwistern oder Freun-
nachdem ihn die anderen bedrängt hatten, zu reden,        wurde es rings herum still und die lautesten Prahler          den in höheren Klassen. Praktika, Vorträge, Klausuren
„solch kostbaren Schmuck wie ihr habe ich nicht vorzu-    nachdenklich …                                                und nicht zuletzt Prüfungen werdet ihr meistern, aber     in den Sand geschrieben, jetzt ritzt du die Worte in
                                                                                                                        was ich euch auf euren Weg mitgeben möchte, werde         Stein. Warum?“ Der andere Freund antwortete: „Wenn
                                                                                                                        ich euch mit Hilfe einer kleinen Geschichte erzählen:     uns jemand gekränkt oder beleidigt hat, sollten wir es
                                                                                                                        Zwei Freunde gingen einmal gemeinsam auf Reisen           in den Sand schreiben, damit der Wind des Verzeihens
                                                                                                                        und wanderten dabei auch durch eine schier endlose        es irgendwann auslöschen kann. Aber wenn jemand
                                                          und Lebensbedingungen bieten viele Forschungsfra-             Wüste. Während der mühsamen Wanderung kam es              etwas getan hat, was uns gut tut oder wir unbedingt
                                                          gen. Ähnliches gilt für die Gesteinskunde. Neben der          zum Streit und der eine schlug dem anderen vor Wut        behalten wollen, dann sollten wir es Stein ritzen, damit
                                                          Entstehung unterschiedlicher Gesteine soll auch deren         ins Gesicht. Der Geschlagene war gekränkt und ent-        kein Wind es je wieder löschen kann.“
                                                          Verwendung betrachtet werden. Im naturwissen-                 täuscht und ohne ein Wort zu sagen, kniete er nieder
                                                          schaftlichen Unterricht hält die Physik weitere Anre-         und schrieb folgende Worte in den Sand: „Heute hat        Liebe 9. Klasse, ich wünsche euch für eure Reise durch
                                                          gungen und Lernmöglichkeiten bereit. Die Naturwis-            mich mein bester Freund ins Gesicht geschlagen.“          die Oberstufe und damit für die nächste Etappe eurer
                                                          senschaften waren für mich immer sehr spannend,               Schweigend setzten sie anschließend ihre Wanderung        Schulzeit viele Erlebnisse und Begegnungen, die ihr in      17
                                                          daher möchte ich euch eine Kleinigkeit darüber erzäh-         fort und kamen bald darauf zu einer Oase. Dort be-        Stein meißeln könntet, damit sie in eurem Gedächtnis
                                                          len. Jeder von euch weiß, dass es bei guter Beleuch-          schlossen sie ein Bad zu nehmen. Der Freund, der ge-      bleiben und euren Weg begleiten. Freundschaft, Ver-
                                                          tung nicht schwierig ist, etwas zu sehen – aber Sehen         schlagen worden war, blieb dabei im Schlamm stecken       antwortung und Zusammenhalt spielen dabei eine
                                                          und Sehen ist zweierlei. Goethe formulierte einst:            und drohte zu ertrinken. Die Kräfte und die Hoffnung      große Rolle, ich wünsche euch, dass ihr euch gegen-
                                                                                                                        schwanden, aber sein Freund rettete ihn in buchstäb-      seitig unterstützt und füreinander da seid, wenn wir
                                                          Was ist das Schwerste von allem?                              lich letzter Sekunde unter Einsatz des eigenen Lebens.    Lehrer vielleicht mal nicht so wollen wie ihr. Es wird
                                                          Was dir das leichteste dünkt:                                 Nachdem sich der Freund, der fast ertrunken wäre, von     immer wieder Hürden und Schwierigkeiten geben,
                                                          Mit den Augen zu sehen,                                       seinem Schrecken erholt hatte, nahm er einen Stein        aber auch Erfolge und schöne Erfahrungen werdet ihr
                                                          was vor den Augen dir liegt.                                  und ritzte folgende Worte hinein: „Mein bester Freund     sammeln. Und genau diese gilt es im Gedächtnis zu
KLASSE 6B                                                                                                               hat mir heute das Leben gerettet.“ Der Freund, der ihn    behalten, um sich zu motivieren und weiter voran zu
Christoph Dobbrisch                                       Das bedeutet, ein Mensch kann eine Sache oder eine            zuvor geschlagen und dann gerettet hat, fragte er-        kommen. Ich jedenfalls möchte für euch da sein und
                                                          Bewegung zur Kenntnis nehmen, ohne dass seine Ge-             staunt: „Als ich dich gekränkt hatte, hast du die Worte   euch auf eurer Reise begleiten. Auf geht’s!
Liebe 6. Klasse,                                          danken dadurch im Geringsten bewegt werden; er re-
ich grüße euch aus der Ferne und heiße euch im neuen      gistriert bestenfalls. Dieser Aussage folgend möchte
Schuljahr herzlich willkommen. Aktuell genieße ich die    ich euch ein kleines Rätzel anbieten: „Nachts sind alle
Möglichkeit, mit meiner Familie die Lebenszeit ausgie-    Katzen grau.“ Wie kann das sein? Findest du ein Experi-
big zu teilen und Erlebnisse zu sammeln. Dafür bin ich    ment, welches dieses Sprichwort genau erklärt? Wie            KLASSE 10                                                 wird dunkel, John ist frustriert. Endlich, nach Kilome-
sehr dankbar. Bestimmt habt auch ihr die Zeit mit euren   müsste das Experiment durchgeführt werden?                    Nicole Dreifke                                            tern ohne ein Zeichen von Zivilisation, erblickt er ein
Familien genutzt und könnt vieles berichten. Auf unse-                                                                                                                            Café an der Straße. Er parkt sein Auto und liest das
ren gemeinsamen Austausch bin ich sehr gespannt.          Ich wünsche euch viel Freude beim Nachdenken!                 Liebe 10. Klasse,                                         Schild „Das Warum-Bist-Du Hier-Café“. John sucht sich
Das sechste Schuljahr hält tolle Lerninhalte bereit. In                                                                 als ich mich hinsetzte und mir überlegte, was ich euch    einen Platz, die Kellnerin heißt ihn willkommen und
Bezug auf den historischen Verlauf der Geschichte soll                                                                  für das 10. Schuljahr mit auf den Weg geben möchte,       überreicht ihm die Speisekarte. Beim hungrigen Stu-
sich der Blick auf die Entwicklungen im alten Rom rich-                                                                 kam mir John Streleckys Büchlein „Das Café am Rande       dieren stellt er fest, dass die Liste der Speisen und Ge-
ten. Bauwerke, Gegenstände, aber auch Brauchtümer                                                                       der Welt“ in den Sinn, welches ich gerade als Ferien-     tränke mit der Frage endet „Warum bist du hier?“ und
                                                                                                                        lektüre gelesen hatte. Es handelt von einem entschei-     in Klammern die Aufforderung – „Für weitere Fragen,
                                                                                                                        denden Moment im Leben des Helden John.                   kontaktieren Sie unser Personal.“ Als die Kellnerin zu
                                                                                                                        John ist unterwegs auf dem Highway, er hat sich ver-      Johns Tisch zurückkehrt, bestellt er das Frühstück, ob-
                                                                                                                        fahren, sein Tank ist bald so leer wie sein Magen, es     wohl es schon nach 10 am Abend ist, und fragt sie, was
RUNDBRIEF - HERBST 2021 - Freie Waldorfschule Leipzig
RUNDBRIEF HERBST 2021

es mit dem Namen des Cafés und der Frage auf der           auch für euch die Frage in den Blick „Was ist meine Be-     KLASSE 11
Speisekarte auf sich hat. Eine ganze Nacht beschäftigt     stimmung?“ „Was möchte ich tun in meinem Leben?“            Svetlana Gitin
er sich mit dieser Frage und verlässt am Morgen das        „Wer möchte ich sein?“ Manche von euch haben da
Café als neuer Mensch.                                     schon ganz konkrete Vorstellungen – „ich will einmal
Wenn ich nun jede einzelne und jeden einzelnen von         reich und berühmt sein, ich will mein eigener Chef sein,    Liebe 11. Klasse,
euch frage: „Warum bist du hier?“ Was würdet ihr wohl      ich möchte mit Kindern arbeiten, ich werde nach Japan       ich habe eine gute Freundin, sie heißt Lisa Wasser, und
antworten? „Hier in der Schule? Ich bin hier, weil meine   gehen und Computerspiele entwickeln, ich gehe zur           sie ist von Beruf … Das werdet ihr mir nach der Rede          Sondergerichtshof, Phnom Penh, Myanmar. Auf der
Eltern mich herschicken. Weil ich eine Prüfung ablegen     Reiterstaffel der Polizei, ich werde Olympionike“.          sagen. Sie reist so viel, dass es ihr schon egal ist, wohin   Anklagebank eine zierliche Alte, die erste Shakes-
muss, um einen Beruf zu erlernen oder um zu studie-        Aber wie genau findet man heraus, was die eigene Be-        sie heute oder morgen fliegt, ob zu den Wolkenkrat-           peare-Expertin im Land und zugleich Massenmörderin.
ren. Weil das die Gesellschaft von mir erwartet. Weil      stimmung ist? Die beste Methode ist sicherlich das          zern oder in den Dschungel, das ist für sie nicht mehr        Anklagen an Genozid lösen sich ohne jede Spur in ihren
ich Allgemeinbildung erwerben muss, um in der Welt         Ausprobieren. Was weckt meine Leidenschaft, welche          als Augenblinzeln, sie schaut dann nicht mal aus dem          Pupillen.
klarzukommen.“ Die Eltern – die Schulpflicht – die Ge-     Tätigkeiten erfüllen mich mit Zufriedenheit und Freu-       Taxifenster. Die silberne Tube des Fliegers auf den           Ihre Kunden fragen sie nach jedem Event: Sind Sie Ärz-
sellschaft. Das scheint eine weitverbreitete Sicht auf     de? Was gelingt mir? Was kann ich bewirken? Eine sol-       Wolkenstelzen ist ihr Zuhause, sie ist ans Lächeln des        tin? Botanikerin? Richterin? Süchtig nach ihrer Stimme,
Schule unter jungen Erwachsenen zu sein und geht           che Möglichkeit bieten die beiden Betriebspraktika, die     Flugbegleiters gebunden, wie ein Baby an die Nabel-           wollen sie nie eine andere hören. Der Knopf ist aus,
nicht selten mit einem Verlust an Motivation und Freu-     im 10. Schuljahr anstehen; schon in 4 Wochen beginnt        schnur seiner Mutter.                                         Kopfhörer ab. Die fremden Erlebnisse abgeschüttelt.
de einher, mit dem Gefühl von Fremdbestimmung.             das erste Praktikum in einem Betrieb eurer Wahl, in         „Was möchten Sie denn heute gern, meine Dame,                 Die Sprachen sind wieder dicht vakuumverpackt, die
                                                           dem ihr euch ausprobieren könnt.                            Schwertfischsuppe oder Litschi Sorbet?“ „Mein Herr,           Synonyme in geordneten Reihen gefroren. Lisa ist wie-
                                                           Und kann es nicht auch eine Sicht auf Schule geben, in      mir reicht ein gewöhnliches Sandwich, denn hoch über          der im Flieger, in ihrem Dornröschenschlaf.
                                                           der diese ein Ort des Ausprobierens ist? Ein Ort, an        den Wolken blühen meine Geschmacksknospen auf:                Was ist denn Lisa Wasser von Beruf? Richtig, Konfe-
                                                           dem junge Menschen die Antworten auf diese ent-             Schinkenrosen, Kamillen von Emmentaler, Tomaten-              renzdolmetscherin. Sie verdient sehr gut. Ist sie jedoch
                                                           scheidenden Fragen finden? Ich wünsche mir, dass ihr        nelken. Meine Zunge, der einzige Ort, dem ich in mei-         wirklich erfüllt? Was fehlt ihr? Ihr Leben ist zerrissen,
                                                           zur Schule kommt, weil ihr das selbst wollt, nicht, weil    nem grauen Imperium ein wenig Farbe gönne. Meine              ihre eigene Seele ist grau. Mit all ihrer gegebenen Fan-     19
                                                           eure Eltern euch schicken. Dass ihr zur Schule kommt,       Zehen zusammengerollt im Dornröschenschlaf. Ich               tasiekraft hat sie nie ihre eigene Welt geschaffen. Und
                                                           weil ihr Fragen habt und neugierig seid und euch ge-        lauere zwischen den thermalen Schichten der Men-              Lisa hat nie für jemanden gelebt. Das Messbare: Geld,
                                                           meinsam mit euren Mitschüler*innen und Lehrer*in-           schenerfahrung. Wie ein Blutegel, lebe ich von den            Erfolg, Anzahl der Aufrufe – ist nicht alles.
                                                           nen auf den Weg macht, um die Welt kennenzulernen           Abenteuern der anderen. Der einzige Schatz, den ich           Was Lisa nicht ahnt, ihr aber schon – ist, dass ihr
                                                           und sie mitzugestalten. Dass ihr zur Schule kommt,          besitze, sitzt im Gefrierkühlfach meines Hirns. Zehn          Leuchttürme seid, die Glühbirnen im Herzen des Brust-
                                                           weil ihr das Gefühl habt, ein Teil einer Gemeinschaft zu    Sprachen – Wortarten in Eiswürfelschalen, Synonyme            korbs. Ihr strahlt alle anders. Und die Farbe eures Lichts
                                                           sein, in der ihr in vielfältigen sozialen Konstellationen   vakuumverpackt“.                                              sollt ihr aus all den Gegensätzen finden. Ihr holt euer
                                                           die Menschen und euch selbst immer besser kennen-           Man sieht sie nicht, hört aber gut. Ihr Arbeitsplatz heißt    Herz aus dem Rippenkäfig und gebt es den Menschen
                                                           lernen könnt. Ein Ort an dem ihr euch auseinanderset-       im Profi-Jargon Affenkäfig. Sie setzt Kopfhörer auf,          in Not. Ihr stellt euch Unsichtbares vor und züchtet aus
John antwortet zunächst auf die Frage: „Ich bin hier,      zen und eure eigenen Werte definieren könnt. Ein Ort,       zieht das Mikrofon zu den Lippen, ihre zarten Finger          den Molekülen Sterne. Ihr probiert Ideale auf die Reali-
weil ich hungrig bin und mich verfahren habe – es war      an dem ihr eure Talente erproben und ausleben könnt         gleiten der Konsole entlang. Sie drückt auf den Knopf         tät an und seht, dass die Realität so gewaltig ist, dass
das erste Café auf meinem Weg.“ „Nein,“ sagt Casey,        und ein Ort an dem ihr wirksam seid. Vielleicht ist das     – und dann – Turboauftauen, die gefrorenen Wortar-            die engen Ideale an den Nähten platzen. Dann nehmt
die Kellnerin „so ist die Frage nicht gemeint. Wenn du     ein naiver Wunsch und ihr sagt jetzt, so ist Schule aber    ten schmelzen, die Synonyme springen aus ihren                ihr eine Nadel und flickt etwas Stoff hinzu, weil die
die Frage nur ein klein wenig abänderst, bekommt sie       nicht. Vielleicht können wir aber auch gemeinsam dar-       Schalen – und gießen in die Tausende von durstigen            Wirklichkeit keine Diät machen wird.
eine ganz andere Bedeutung, wenn die Frage nicht an        an arbeiten, dass mein Wunsch Wirklichkeit wird.            Ohren – eine Flut im Konferenzraum. Sie ist Sklavin           Ihr habt in den letzten zwei Jahren ungewohnt und un-
ein Gegenüber, sondern an dich selbst gerichtet ist:       John verlässt am Morgen das Café und beschließt sei-        und Herrin zugleich, zugleich eine Wagenlenkerin und          gewollt viele Gegensätze erfahren, genug Spagate ge-
„Warum bin ich hier?“ und wenn du dich ehrlich be-         ne Bestimmung zu finden und alles zu tun, um sie zu         eine Stute. Von der Höhe ihrer Kunst, sind ihre Kunden        übt. Präsenz – Homeschooling; Einsamkeit – zum
mühst, diese Frage für dich zu beantworten, wirst du       erfüllen. Er entscheidet als erstes, seinen ganz eigenen    nur Läuse. Auf ihrer Zunge dreht sie das Leben und            Bersten volle Klassenräume; von hundert auf null und
feststellen, dass es keine einfache Antwort gibt.“ Und     Weg zu gehen und nicht länger einfach mit dem Strom         Glück.                                                        wieder von null auf hundert. Vom einsamen Kleinprinz-
so lernt John in dieser Nacht, dass dies die entschei-     zu schwimmen.                                               Weltkonferenz der Botanik in Montevideo. Sie ist ein          planeten zur Milchstraße des Zusammenseins. Das
denden Fragen im Leben sind: „Was ist meine Bestim-        In diesem Sinne wünsche ich euch ein interessantes          Schweißtropfen der Wonne in der Achselhöhle eines             hat aber euch und euer Licht nur stärker gemacht. Nun
mung und wie kann ich sie erfüllen?“                       und spannendes neues Schuljahr und hoffe, ihr packt         Entdeckers. Er zeigt der Wissenschaftswelt eine neue          macht ihr euch auf die Reise. Nicht so wie Lisa, auf
Ich dachte also, ein bisschen befindet ihr euch in einer   jede Gelegenheit beim Schopfe, euch auszuprobieren,         Art Orchidee vom Regenwald Amazonas.                          fremde Reisen, sondern auf eure eigene, nach eurem
ähnlichen Situation wie John. Bisher haben die meisten     mitzugestalten und eurer Bestimmung ein wenig nä-           Weltgesundheitsorganisation, eine Tagung in Genf zu           Plan, der euch zum Ende führen wird.
Entscheidungen in eurem Leben eure Eltern oder an-         her zu kommen.                                              Ebola. Sie ist eine Frau aus einem kongolesischen             Ihr flechtet eure eigene Biographie, eigene Welt, die
dere Erwachsene für euch getroffen. Doch je älter ihr                                                                  Stamm; sie stillt eine Baby-Makake mit eigener Brust-         stark wie eine Festung, spannend wie ein Abenteuer-
werdet, desto mehr Entscheidungen für euer Leben           Ich freue mich darauf, euch dabei zu begleiten.             milch. Wenn das Baby einschläft, küsst sie es, verdreht       roman, bunt wie eine Blumenwiese und offen, wie der
werdet ihr selbst treffen und mehr und mehr rückt                                                                      ihm den Hals, macht aus ihm einen Braten.                     Ozean sein wird. Viel Spaß dabei!
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