SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)

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SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Das Kultur- und Stadtmagazin beider Rheinfelden

                               68 | Januar / Februar 2020 | gratis erhältlich

SCHWERPUNKT
SAMMELN + ARCHIVIEREN
WIR BERICHTEN ÜBER
UNTERSCHIEDLICHSTE ARCHIVE
EINEN HISTORISCHEN BADEANZUG
                                                           Mit
EIFRIGE BRIEFMARKENSAMMLER                              Fasnachts­ f
WERTVOLLE PARAMENTE                                    kalender au8
U.V.M                                                   Seite 37 / 3
MIT DEN VERANSTALTUNGSTIPPS                                
IM JANUAR UND FEBRUAR
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
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Vorankündigung

2
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Liebe Leserin, lieber Leser

                    Rheinfelden                             Sie haben vielleicht eine Briefmarkensammlung aus Ihrer Kind­
                    Lebenswert. Liebenswert.
                                                            heit, sie haben von Stadtarchiven gehört und von Museumsdepots?
                                                            Man staunt nicht schlecht, wenn man hört welche Sammlungen
                                                            und Archive es in Vereinen, Kirchen, Betrieben und Organisationen
IMPRESSUM                                                   gibt. Ob nach wissenschaftlichen Maßstäben gesammelt wird oder
                                                            einfach nach Lust und Laune. Wir stellen einige Archive und Samm­
Herausgeber                                                 lungen vor: ein Museumsdepot, Stadtarchiv und Kirchenarchiv.
Stadt Rheinfelden (Schweiz), Stadt Rheinfelden (Baden)      Eine Frauengruppe, die leidenschaft­
                                                            lich Paramente und Messgewänder
Redaktion Heft 68                                           restauriert und schützt, ein Mann, der
Brigitte Brügger, Désirée Hess, Claudius Beck, Peter Löwe   jahrelang Brunnen und Grenzsteine
                                                            erfasst, wie auch eine Männergruppe,
Fotos Inhalt Autoren, wenn nicht anders vermerkt            die die Presse in Rheinfelden Schweiz
Titelfoto HC Wagner
                                                            zu Weltkriegszeiten auswertet und
                                                            digitalisiert. Einige Industriebetriebe,
Realisation Peter Löwe, www.Loewe-Werbeagentur.com
                                                            wie die Aluminium, haben ein eigenes
Druck Effingermedien AG Brugg
                                                            Firmenarchiv mit umfassender Foto­
Auflage 6.000 Exemplare
                                                            sammlung. Andere Betriebe haben
ISSN 1664-4778                                              das Archiv in ihre Zentrale verlegt
Verteilung                                                  oder einem Staatsarchiv übergeben.
Auslage in Gemeindeverwaltungen, Geschäften,                Was sich hinter den Archivtüren ereig­
Bibliotheken, Schulen und Kultureinrichtungen               net erstaunt. Auch die Bemühungen
Bezug im Abo möglich: Infos auf der vorletzten Seite        das Archivgut zu digitalisieren ist eine
Rheinfelden (Schweiz): Verteilung an Abonnenten             Mammutaufgabe.
der Neuen Fricktaler Zeitung

                                                            Zum Thema passt auch die Eröffnung eines neuen Ausstellungs­
Kontakt für Redaktion und Inserate in Rheinfelden/D
                                                            raumes zur jungen Stadtgeschichte von Rheinfelden (Baden). Kurz
Kulturamt der Stadt, Claudius Beck,
                                                            vor Weihnachten konnte der Schauraum eröffnet werden, der das
Rathaus, Kirchplatz 2, D-79618 Rheinfelden
                                                            bisherige Stadtmuseum im Dachgeschoss des Hauses Salmegg
c.beck@rheinfelden-baden.de, Tel.: +49 7623 95-237
                                                            ablöst. In einem früheren Ladengeschäft wird in Kooperation mit
Kontakt Kalender Rheinfelden/D:
kulturamt@rheinfelden-baden.de
                                                            der Tourist-Information Rheinfeldens Vergangenheit erklärt.

Kontakt für Redaktion, Kalender in Rheinfelden/CH           Den „Fasnächtler“ haben wir wieder den gemeinsamen Narren­
Stadtbüro/Kulturbüro, Brigitte Brügger                      kalender zusammengestellt.
Rathaus, Marktgasse 16, CH-4310 Rheinfelden
2xrheinfelden@rheinfelden.ch, Tel.: +41 61 835 51 11        Die Redaktion wünscht Ihnen allen ein erfolgreiches Jahr mit viel
                                                            Gesundheit und kulturellen Erlebnissen.
Kontakt für Inserate in Rheinfelden/CH
Fricktaler Medien AG, Frau Karin Stocker,
Baslerstrasse 10, 4310 Rheinfelden                          Ihr Claudius Beck
karin.stocker@fricktalermedien.ch, Tel. +41 61 835 00 52
                                                            Leiter des Kulturamts in Rheinfelden (Baden)
Inserate- und Redaktionsschluss für die Ausgabe
März / April 2020: 31. Januar 2020

Schwerpunkt: Sammeln + Archivieren                                                                                EDITORIAL 3
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Fotografisches
                                                                                 Ein bedeutsames Kapitel in der Geschichte von
                                                                                 Rheinfelden schrieben Unternehmen, die vor mehr
                                                                                 als 120 Jahren die Industrialisierung am Hochrhein

Geschichtswerk                                                                   einleiteten. Sie sind die wichtigsten Geburtshelfer
                                                                                 von Badisch-Rheinfelden. Zu ihnen gehört die von

der Aluminium
                                                                                 Schweizer Fabrikanten gegründete Aluminium-Hüt-
                                                                                 te. Sie ging 1898 als erstes Alu-Hüttenwerk Deutsch-
                                                                                 lands nahe des neuerbauten Rheinkraftwerks in

mit 12 500 Bildern                                                               Betrieb. Dem „jungen, silbernen Metall“ wurde eine

E
                                                                                 große Zukunft vorausgesagt.

                                                 gebäude – auch heute noch Herz und                      Lebendige Dokumentation
                                                 Zentrum inmitten des 23 Hektar großen                   Exklusiven Charakter hat das Fotoarchiv
                                                 Werksgeländes.                                          mit seinen in Boxen sortierten 12 500 Ne­
                                                                                                         gativ-Fotos und Repros. „Auf ihnen wie­
                                                 Dem im Frühjahr 2019 gestorbenen Fir­                   derspiegelt sich mehr als 50 Jahre lebendi­
                         iner, der sich in der   menchef Alois Franke war es ein Her­                    ge Firmengeschichte“, sagt Jörg Schmidt.
                         b ewe g t e n G e ­     zensanliegen, dieses historische Gebäude                Die Werksfotografen haben die Negative
                         schichte der „Alu“,     zu erhalten und gründlich zu sanieren.                  einzeln in Heften handschriftlich doku­
wie die Rheinfelder dieses Werk nennen,                                                                  mentiert. Die Aufzeichnungen beginnen
auskennt und viel zu erzählen weiß, ist                                                                  am 20. April 1951. Die ersten Aufnahmen
der ehemalige, in Schwörstadt beheimate­                                                                 zeigen Werksansichten und das Verladen
te Betriebsleiter Jörg Schmidt. Obwohl in­                                                               des Rohstoffs Tonerde im Rheinhafen. Ak­
zwischen im Ruhestand angekommen, ist                                                                    kurat sind nicht nur die Aufnahmedaten
er immer wieder vor Ort, wenn es darauf                                                                  vermerkt, sondern auch die an der Kame­
ankommt, Geschichte des traditionsrei­                                                                   ra eingestellte Blende und Belichtungs­
chen Unternehmens ins Licht zu rücken.                                                                   zeit. Hunderte der Fotos stammen von
                                                  Das restaurierte Direktionsgebäude aus dem Jahr 1898
Sowohl in technischen Details der strom­                                                                 Fotografenmeister Erwin Wehinger – auf­
intensiven Herstellung von Aluminium             Er achtete darauf, dass auch Details des                genommen mit der Rollei oder Leica 6x6.
als auch über die Entwicklung des Unter­         Hauses, in dem einst der Werksdirektor                  Er war viele Jahre bei der „Alu“ Werksfoto­
nehmens ist er bestens im Bilde.                 mit Familie residierte und wohnte, mit                  graf, stand Tag und Nacht zur Verfügung.
                                                 Sorgfalt restauriert wurden. Damals ver­                „Kein Ereignis ohne mich“, erinnert sich
Im Jahre 1970 kam er als frisch bei der          fügte der Firmenchef als Patron noch über               der heute 90-Jährige. Wenn er in Urlaub
Brennet AG ausgebildeter Starkstromelek­         Köchin, Kindermädchen und Dienstperso­                  ging, musste sich der selbständige Foto­
triker zur Aluminium-Hütte, machte 1974          nal. Für sie gab es im Direktionsgebäude                graf sogar abmelden.
die Meisterprüfung, übernahm die Ausbil­         Extra-Zimmer.
dung der Lehrlinge und stieg als Verant­
wortlicher für die technischen Dienste           Heute sind in diesem Gebäude auch Teile
                                                                                                                                                    Foto: Petra Wunderle

schließlich zum Betriebsleiter auf.              des Firmenarchivs untergebracht. Beleg­
                                                 schaftsmitglieder hatten Stationen der
Altes Direktionsgebäude mit Sorgfalt             bewegten und spannenden Firmenge­
restauriert                                      schichte aufgeschrieben, dokumentiert
Auf dem Weg von der Werkspforte an               und aufbewahrt. Eine wahre Fundgrube
der Friedrichstraße durch das weite Fab­         für all diejenigen, die sich für Rheinfel­
rikgelände, vorbei an Produktions- und           dens Entstehungsgeschichte interessie­
Lagerhallen erreichten wir nach der              ren. Alois Franke gab die Devise aus: „Es               Erwin Wehinger: „Meinen Beruf sehe ich als Hobby
Überquerung der Hochrheinbahn das in             wird nichts von diesen alten Beständen                  und diese Arbeit ist Therapie für mich.“
den Gründerjahren erbaute Direktions­            entsorgt.“

4    ALU FOTOARCHIV
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Elektrolyse-Ofen im Werk 1 (Halle 2), aufgenommen in den 1960er-Jahren

Auf dem Werksgelände im Winter 1962

                                                                         ALU FOTOARCHIV   5
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
onen über die Pionierzeit in den Gründer­         len Wirtschaftslage und Papiermangels
                                                              jahren, wird mit den Problemen von zwei           verzichtete die Geschäftsleitung auf die
                                                              Weltkriegen konfrontiert, erfährt von Hö­         Herausgabe einer Festschrift. Spannend
                                                              hen und Tiefen des Unternehmens, von              ist die Lektüre dieser drei Jahre nach dem
                                                              Zeiten des Aufbruchs, aber auch von Kri­          Jubiläum erschienenen Serie, weil sie auf­
                                                              senjahren, in denen um die Existenz der           zeigt, wie aus verhältnismäßig kleinen
                                                              Aluminium-Hütte gerungen wurde. Mal               Anfängen ein Industriewerk von beacht­
                                                              pokerte man um den Strompreis, mal gab            lichem Umfang gewachsen ist.
                                                              es auf dem Weltmarkt ein Überangebot an
                                                              Aluminium. So legendäre Menschen wie              Ein Sprung in die neuere Zeit offenbart
                                                              die Direktoren von Schulthess und Wolf­           Überlegungen in der Züricher Konzern­
                                                              gang Capitaine, Betriebsratsvorsitzender          zentrale der Alusuisse, das Werk in Rhein­
                                                              Kurt Hoffmann oder die Redaktionsmit­             felden zu schließen. Jörg Schmidt ist
                                                              arbeiter Fritz Witzig, Kurt Springer und          überzeugt: „Ohne den damals zupacken­
                                                              Heinz Jauschke rücken ins Blickfeld.              den Geschäftsführer Alois Franke, gäbe
                                                                                                                es heute die Aluminium in Rheinfelden
                                                              Wer erinnert sich heute noch, dass es             nicht mehr.“ Eigentlich kam er mit dem
                                                              bei der „Alu“ mal eine Werksfürsorgerin           Auftrag an den Hochrhein, die Vorberei­
                                                              (Olga Winter) gab, bis zu 150 Kinder von          tungen zur Schließung einzuleiten. Statt­
Jörg Schmidt auf der Suche nach Bildern für diesen Beitrag.   Werksangehörigen in
                                                              der Lenzerheide auf
                                                              Ferienlager gingen,
                                                              dass Betriebsange­

F
                                                              hörige im Werkschor
     ür Jörg Schmidt ist dieses „fotografi­                   und Werksorchester
     sche Geschichtswerk“ von besonde­                        sangen und musi­
     rem Wert: „Je älter diese Dokumente                      zierten, dass in den
sind, desto mehr weiß man sie zu schät­                       Nachkriegsjahren
zen.“ Mit der Digitalisierung endet das                       schulpflichtige Kin­
herkömmliche Aufbewahren von Analog­                          der zu Weihnachten
filmen und Negativen. Revolutionäre Ver­                      beschenkt wurden,
änderungen haben Fotografie und Archi­                        dass zinslose Darle­
vierung total umgekrempelt. Bilder sind                       hen 1939 den Bau von
heute PC‘s und Rechnern anvertraut.                           70 Siedlungshäusern
Durch das Eingeben von Stichwörtern                           ermöglichten, dass
sind sie in Sekundenschnelle greifbar.                        in Glanzzeiten bis zu        In den Boxen sind 12 500 Fotos und Negative aufbewahrt.
Nach und nach sollen die 12 500 Negative                      1500 Mitarbeiter be­
gescannt und digitalisiert werden.                            schäftigt waren oder
                                                              dass während des Produktionsverbotes                   dessen führte er 1994 das Werk in einem
„Der Arbeitskamerad“                                          nach dem Zweiten Weltkrieg in der „Alu“                Management-Buy-out aus der Krise. Nach
In Räumen des Direktionsgebäudes la­                          Waggons und Lokomotiven der Bahn in                    einer Umstrukturierung entstand aus der
gern auch sämtliche Bände der Werkszei­                       einer Größenordnung bis zu „70 langen                  Aluminium Rheinfelden GmbH eine Hol­
tungen. Schon bald nach der Währungs­                         Güterzügen“ repariert wurden?                          ding Gesellschaft. Seit Oktober 2018 ist
reform 1948 erschienen unter dem Titel                                                                               Erika Zender Geschäftsführerin der Un­
„Der Arbeitskamerad“ die ersten Hefte.                        Für die Festschrift fehlte das Papier                  ternehmensgruppe Aluminium. Die Ge­
Jahrzehnte waren diese zwischen Werks­                        Im ersten Band aus dem Jahr 1951 ver­                  schäftsbereiche Alloys, Semis und Carbon
leitung und Betriebsrat ein wichtiges                         öffentlichte die Schriftleitung eine von               arbeiten als selbständige Gesellschaften
Bindeglied zur Belegschaft, „Mittler von                      Mitarbeitern 1948 verfasste Serie zur                  mit etwa 250 Mitarbeitern.
Mensch zu Mensch“. Wer in den Bänden                          Firmengeschichte aus Anlass des 50-jäh­
blättert, findet eine Fülle von Informati­                    rigen Bestehens. Wegen der damals labi­                                              Horst Donner

6      ALU FOTOARCHIV
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Fricktaler Bauern                                                                            Tödliche Schüsse bei
kämpften gegen die Alu                                                                       einem Streik der Arbeiter

Jahrzehnte sorgte der „Fluorkrieg“ am        Aufsehen sorgten 1963 Bauern aus dem            Mit einem Schusswechsel, bei dem der
Hochrhein für Schlagzeilen. Bauern und       Fricktal, als sie mit ihren kranken Kühen       Streikposten Adamo Gnoli tödliche Verlet­
Förster aus dem Fricktal protestierten       durch Zürich vor die Zentrale der Alusuisse     zungen erlitt, endete ein Streik der Arbeiter
gegen die Fluorid-Abgase aus der Rhein­      zogen. Das Rheinfelder Werk unternahm           der Aluminium-Hütte im Sommer 1909.
felder Aluminium-Hütte. Sie beklagten        erhebliche Anstrengungen, die Fluorid-          Niedrige Löhne, lange Arbeitszeit sowie
erkrankte Kühe, tote Bienen und Schäden      Emissionen einzudämmen. Es gelang über          Schichtarbeit mit Doppelschichten lösten
in den Wäldern. In den jahrelangen Aus­      Filteranlagen auf den Dächern, Fluoridgase      unter der Belegschaft Unruhe aus. Viele
einandersetzungen ging es um Entschä­        von der Abluft zu absorbieren und in den        der 140 Arbeiter traten dem Christlichen
digungszahlungen. Die zur Schweizer Un­      Produktionskreislauf zurückzuführen. Die        Metallarbeiterverband bei. Auf Forderun­
ternehmensgruppe Alusuisse gehörende         Rheinfelder Ingenieure leisteten auf dem        gen zu besseren Arbeitsbedingungen ging
Aluminium-Hütte wehrte sich gegen die        Gebiet des Umweltschutzes Pionierarbeit.        die Direktion des Unternehmens nicht ein.
ihrer Ansicht nach überhöhten Forderun­      Der Streit mit den Schweizer Nachbarn en­       Am 22. Juli kam es zu Arbeitsverweige­
gen. Viele Jahre betrieb sie beim Beugge­    dete aber erst mit der Einstellung der Elekt­   rungen. Streikposten wurden aufgestellt.
ner Schloss einen landwirtschaftlichen       rolysen und damit der Aluminium-Produk­         Als „Arbeitswillige“ heimlich in die Fabrik
Versuchsbetrieb mit Viehhaltung, um mit      tion im Jahre 1991. Der Schweizer Journalist    geschleust wurden, eskalierte die Ausein­
Gegenbeweisen antreten zu können. 1958       Henri Leuzinger kommt in einem in der           andersetzung. Es fielen Schüsse. Mehrere
kam es in Möhlin zu Demonstrationen          Aargauer Zeitung veröffentlichten Beitrag       Arbeiter wurden verletzt. Erst dem großher­
von 5000 Menschen. Bauern besetzten mit      zum Ergebnis: „Weit über 2500 Kühe und          zoglichen Militär gelang es, weitere Kampf­
Traktoren die Rheinbrücke in Rheinfelden.    Rinder sind seit 1952 an den Folgen der         maßnahmen zu verhindern.
Von der Absicht, vor die Tore der „Alu“ zu   Fluorid-Emissionen verendet.“                        (Aus einem Artikel von Wolfgang Brocks
ziehen, ließ man ab. Für internationales                                                            in den Rheinfelder Geschichtsblättern)

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SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Spannende Geschichten eines Bade-
    anzugs und eines Christus-Gemäldes

Das Fricktaler Museum beherbergt
eine Sammlung von mehreren Tau-
send Objekten unterschiedlichster
Art aus unserer Heimat, welche
wissenschaftlich erfasst, bearbeitet
und archiviert sind. Dies geschieht
heute nach hoch wissenschaftli-
chen Grundsätzen und mit moder-

H
nen elektronischen Hilfsmitteln.

                            ätten Sie es ge­
                            wusst? Die Ins­
                            titution Muse­
um ist gar nicht so alt, wie man allgemein
denken würde. Erst seit gut 200 Jahren         Damen-Badekleid aus den Anfangsjahren der Rheinfelder Badi
zählt das Sammeln, Bewahren, Erforschen
und Ausstellen von Kunstschätzen und
Kulturgegenständen zu den substanziel­         Museen im Allgemeinen und das Frick­                     löst dies verschiedene Arbeitsschritte
len Anliegen der Museen. Damit dienen          taler Museum im Speziellen sind somit                    aus: Der Gegenstand wird zuerst im Ein­
sie in erster Linie unserer Orientierung       wichtige Erinnerungsarchive, die unsere                  gangsinventar verzeichnet, beschrieben
und tragen somit zu unserer Bildung bei.       kulturelle Vergangenheit bewahren damit
                                               wir bei einem Besuch im Stande sind uns
Die Gründungszeit des Fricktaler Muse­         zu vergewissern, von wo wir eigentlich
ums geht auf das Jahr 1878 zurück. Bereits     kommen, und welche Kulturleistungen
zwei Jahre später wurden die ersten Ob­        unsere Geschichte hervorgebracht hat.
jekte zum kirchlichen und bürgerlich-
häuslichen Leben gesammelt. Heute be­          Aufbewahren ist nicht einfach aufbewahren
herbergt das Fricktaler Museum im Haus         Damit die gesammelten Kulturgüter
zur Sonne an der Marktgasse eine Samm­         Rheinfeldens und des Fricktals verfüg­
lung von mehreren Tausend Objekten un­         bar, anschaubar und auswertbar sind, ist
terschiedlichster Art, wie Gemälde und         eine entsprechende, auf das Objekt abge­
Fotografien, Möbel, archäologische Fun­        stimmte Behandlung und Aufbewahrung
de, Objekte aus Holz und Glas, Metall und      erforderlich. Nebst den Ausstellungsob­
Textil usw. All die gesammelten, regis­        jekten in den verschiedenen Räumlich­
trierten, archivierten und teilweise auch      keiten des Museums an der Marktgasse
restaurierten Kulturgüter sollen für uns       12 lagert ein grosser Teil der Sammlung
und für unsere Nachkommen später ein­          fachgerecht in einem Depot. Wird ein
mal noch verfügbar und anschaubar sein.        Objekt in die Sammlung aufgenommen,                      Blick in das Depot des Fricktaler Museums

8    FRICKTALER MUSEUM
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Fricktaler Museum
                                                                                             Marktgasse 12
                                                                                             4310 Rheinfelden
                                                                                             www.fricktaler-museum.ch
                                                                                             jeweils Dienstag, Samstag und Sonntag
                                                                                             von 14–17 Uhr geöffnet

Christusbild mit drei Einschüssen

                                                             Zwei Beispiele, wie sie ge-   Ein Christusbild mit drei Einschusslöchern
                                                             gensätzlicher nicht sein      Das zweite, hier als Beispiel genannte Ob­
                                                             können                        jekt könnte sich unterschiedlicher nicht
                                                             Beide hier als Beispie­       vom Ersten abheben, handelt es sich doch
                                                            le genannten Objekte           um ein Ölgemälde auf Holz in einfachem
                                                            durchliefen das vorge­         Zierrahmen mit einer unten geschweif­
                                                            nannte Prozedere. Dabei        ten Anstückung mit der Inschrift «Ecce
                                                            kam zur jeweiligen Her­        Homo». Nach der Übersetzung Martin
                                                            kunft, Verwendung und          Luthers bedeutet dies so viel wie «Sehet,
                                                            Geschichte durchaus Er­        welch ein Mensch». Das Gemälde, welches
                                                            staunliches zutage:            offenbar aus dem frühen 17. Jahrhundert
                                                                                           datiert, zeigt den römischen Stadthalter
                                                            Ein dunkelblauer Badean-       Pontius Pilatus, wie er Jesus in einem pur­
                                                            zug aus der Badi Rhein-        purnen Umhang und mit grünem Tuch,
                                                            felden                         gegeisselt und gefesselt, mit Dornenkro­
                                                            Das erste Objekt: Ein          ne auf dem Haupt, der jüdischen Bevölke­
                                                            dunkelblauer Damen­            rung zeigt. Bei der hochformatigen Holz­
                                                            badeanzug aus Tricot-          tafel handelt es sich um ein in Öl gemaltes
                                                            Baumwolle, über der            Andachtsbild eines unbekannten Künst­
                                                            Brustpartie gelb/rot           lers der alpenländischen Schule, welches
                                                             gestreift, am linken          aus einer Schenkung aus dem Jahre 2011
                                                               Träger ein weisser          stammt. Das Gemälde weist drei Ein­
                                                               Knopfverschluss. Dazu       schusslöcher auf. Der Text in Handschrift
                                                              ist das Badekleid mit        auf der geschweiften Anstückung gibt
                                                        den Buchstaben «St.R.» be­         auch über diese Sonderbarkeit teilweise
                                                     stickt. Das Fricktaler Museum         Auskunft. Er besagt, dass ein durchziehen­
                                                   erhielt dieses Stück als Schen­         der Soldat im Jahr 1633 im Dorf Stein drei
und alle Informationen, welche primär       kung im Jahr 2009. Der Schenker hatte          Schüsse auf das Gemälde abgegeben hat.
bekannt sind über Verwendung, Benutzer      das Badekleid im Jahr 1993 beim Umbau          Fakt ist, dass der Dreissigjährige Krieg, der
und Herkunft dokumentiert. Der Zustand      des Hauses seiner Tante gefunden. In der       zwischen 1633 und 1638 auch das Fricktal
wird festgehalten und ein entsprechen­      Zwischenzeit diente das «gute Stück» of­       erfasste, das Dorf Stein in seiner wirt­
des Foto vervollständigt den Ersteintrag.                                                  schaftlichen Entwicklung zurückwarf.
Nachdem das Objekt mit einer Inventar­         «Solche Badeanzüge wurden                   Das Bild stammt höchstwahrscheinlich
nummer versehen ist, kann im Depot ein      offenbar an die Gäste vermietet.»              aus einer damaligen Kapelle in Stein auf
entsprechender Platz zugewiesen werden.                                                    dem Weg nach Säckingen, an welche heu­
Seit 1998 wird die Sammlung von Fachleu­    fenbar längere Zeit als Isolation für eine     te nur noch die Bezeichnung Kapellenweg
ten betreut und im gleichen Jahr wurde      Wasserleitung. Der rot/gelbe Streifen im       erinnert.
auch die systematische Erfassung auf ein    Brustbereich sowie die bestickten Buch­
spezielles Computerprogramm umgestellt      staben «St.R.» lassen auf das Strandbad        Die hier beschriebenen Objekte samt ih­
und in den folgenden Jahren durch die       Rheinfelden in seinen Anfangsjahren            ren kuriosen Geschichten stehen stellver­
wissenschaftliche Bearbeitung erweitert.    schliessen. Und tatsächlich war die Tante      tretend für die Sammlung des Fricktaler
Dies beinhaltet die ausführliche Doku­      des Schenkers einst als Kioskverkäuferin       Museums. Unter diesem Aspekt ist ein
mentation und Bestimmung des Denk­          und später als Kassiererin im Strandbad,       Besuch im Fricktaler Museum gerade
malwerts, also die historische Dimension    welches 1933 eröffnet wurde, tätig. Solche     in diesen kalten Tagen «wärmstens» zu
eines jeden Objektes.                       Badeanzüge wurden offenbar an die Gäs­         empfehlen.
                                            te vermietet.                                                           Stephan Schöttli

                                                                                                     FRICKTALER MUSEUM                9
SAMMELN + ARCHIVIEREN - Rheinfelden (CH)
Baupläne können auf dem USB-Stick mitgenommen werden

 DIGITALISIERUNG
 ist ein
 Großprojekt

      „Das Stadtarchiv ist das Gedächtnis einer Stadt,“ sagt Frank Uhlich, Leiter der Abteilung Steuerung, Schulen und Sport.

      Andrea Rupp digitalisiert einen Plan.                       Rein gesetzlich besteht die Pflicht zum Archivieren,“ erklärt Nicole Ziaja, Ansprechpartnerin für Digitalisie-
                                                                  rung in der Abteilung Personal & Organisation.

10   DAS STADTARCHIV
D                 as Stadtarchiv ist das Ge­
                  dächtnis einer Stadt“, be­
                  schreibt Frank Uhlich,
Leiter der Abteilung Steuerung, Schulen
und Sport, die Aufgabe des Stadtarchivs.
Wenn Akten im Archiv abgegeben wer­
                                                sein muss. Dabei kommen aber auch his­
                                                torisch wertvolle Dinge zusammen.“ Mit
                                                Hilfe der alten Akten können Mitarbeiter
                                                frühere Vorgänge und Entscheidungen
                                                nachvollziehen. Aber auch Wissenschaft­
                                                lern, Studenten, historisch interessierten
den, bewertet Sabine Diezinger, Leiterin        Bürgern oder Architekten mit einem be­
des Stadtarchivs und Historikerin, die Sa­      rechtigten Anlass steht das Archiv zur Re­
chen nach den jeweiligen gesetzlichen           cherche offen. Neben Diezinger und Rupp
Fristen, die zur Aufbewahrung gelten.           arbeitet noch Cornelia Butz im Archiv.
Etwa Gebäudepläne müssen aufgehoben             Bearbeitung von Anfragen, Auskunfts­
werden, solange ein Gebäude steht. Nach         erteilung, Aktenausleihe und Aktenab­
Ablauf der Löschfrist bleibt die Akte auch      gabe sind die typischen Aufgaben der
weiterhin im Bestand, wenn sie als histo­       Mitarbeiter. Zur strukturierten Ablage
risch relevant erachtet wird. „Ein gutes        wird das Ablagesystem der Kommunalen
Beispiel sind die An-, Ab- und Ummeldun­        Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsma­
gen, die wir vom Bürgerbüro bekommen“,          nagement (KGSt) benutzt. Ziaja erklärt:
erklärt Andrea Rupp, Mitarbeiterin im Ar­       „Das wird den Kommunen an die Hand
chiv. „Wir haben einen Altbestand, da kön­      gegeben, damit nach einem ähnlichen
nen wir bei Rentenanfrage nachvollzie­          Schema und nachvollziehbar abgelegt
hen, ob derjenige schon lange im                wird.“ Es wird nur eine Grobstruktur vor­
Landkreis gewohnt hat, wann er verzogen         gegeben, die Feinstruktur wird durch die
ist oder ob er Kinder hat. Das ist alles für    Stadt selbst festgelegt.
die Rente wichtig. Rein theoretisch müsste
man diese Daten nicht aufheben, aber sie        Bei Rupp liegt der Arbeitsschwerpunkt in
sind historisch relevant.“                      der Digitalisierung. Wenn Rupp eine Akte
                                                digitalisiert hat, vermerkt sie das auch in
Das Archiv belegt einen 192 Quadratmeter        der Papierakte. So baut sich langsam der
großen Raum im zweiten Obergeschoss des         digitale Bestand auf. Im Stadtarchiv hat
Rathauses sowie ein 60 Quadratmeter gro­        Rupp mit der Digitalisierung der Bauak­
ßes Magazin im dritten Obergeschoss und         ten begonnen, da hier die Kundennach­
hat noch eine Außenstelle in der Karl-Fürs­     frage von Bauherren, Maklern, Ingenieu­
tenberg-Straße. Die 36 Regalfahrwagen im        ren und Architekten am größten ist. Der
                                                                                                 Nollinger Rechnungsbuch 1645 bis 1719 und Friedhofs-
Archiv sind beidseitig mit Akten bestückt,      Kunde markiert in der Akte, was er digi­         plan Nollingen (Oben).
durchnummeriert und mit einem Verzeich­         talisiert haben möchte und Rupp scannt
                                                                                                 Historischer Bestand im Archiv (Mitte und unten).
nis versehen. Platzsparend eng an eng ste­      die teilweise großformatigen Pläne oder
hend, kann die Hälfte der Regale mecha­         die Textteile der Akte am Plotter ein. „Das
nisch mit einem großen Rad, die andere          Handling ist für die Bauherren oder Mak­         rung ist, dass grundsätzlich nicht einfach
Hälfte elektrisch per Knopfdruck bewegt         ler leichter“, erklärt Rupp. Es bedeutet         etwas gelöscht werden darf, sondern alles
werden, so dass sich an der gewünschten         auch eine Zeitersparnis und einen finanzi­       dem Archiv angeboten werden muss. Die
Stelle ein Gang zwischen den Regalen            ellen Vorteil, wenn etwa ein Architekt den       Archivleitung entscheidet über die Auf­
auftut. Im Rathaus finden sich Akten der        digitalisierten Plan auch auf dem eigenen        bewahrung oder endgültige Vernichtung
Ämter, Akten der ehemals eigenständigen         PC öffnen und dort den geplanten Anbau           der Daten. Auf den DIMAG-Servern liegen
Ortsteile, Urkunden, Fachliteratur, Amts­       direkt einsetzen kann. Die digitalisierte        schon die Daten des Gewerberegisters
bücher, Schriftverkehr, Fotos, Zeichnungen      Akte kann der Kunde im Archiv einfach            und als nächstes sind die Personenstands­
und Zeitungsartikel mit einer Gesamtlän­        mit einem USB-Stick abholen. Durch den           register, Baupläne und die Daten aus dem
ge von 1882 Metern. Das älteste Stück ist       niedrigeren Papierverbrauch wird auch            Einwohnermeldewesen dran. Angesichts
wohl ein Rechnungsbuch aus Nollingen            die Umwelt geschont.                             der Fülle der Daten können auch externe
von 1645 bis 1719, das noch in Sütterlin ver­                                                    Dienstleister zur Digitalisierung heran­
fasst ist, berichtet Rupp.                      Im Archiv stellt die Digitalisierung schon ei­   gezogen werden. Uhlich weist daraufhin,
                                                nen laufenden Prozess dar. Die komplette         dass es sich bei der Digitalisierung um
„Ein Archiv hat jede Einrichtung“, erklärt      Umstellung der Verwaltung auf ein digi­          einen einmaligen Aufwand handelt. Ziele
Nicole Ziaja, Ansprechpartnerin für Di­         tales Archiv betreut Ziaja als Projektleite­     der Digitalisierung sind die Steigerung der
gitalisierung in der Abteilung Personal         rin. Die Verwaltung arbeitet seit 2016 mit       Kundenfreundlichkeit und der Effizienz
& Organisation. „Rein gesetzlich besteht        dem digitalen Magazin DIMAG des Lan­             sowie der Erhaltung der Bestände des Ar­
die Pflicht zum Archivieren, weil Verwal­       desarchivs Baden-Württemberg und der             chivs.
tungshandeln immer nachvollziehbar              Anstalt ITEOS. Hintergrund der Einfüh­                                         Horatio Gollin

                                                                                                                   DAS STADTARCHIV                      11
Über 300 Teile umfasst der Paramentenschatz der christkatholischen Kirche Rheinfelden

Der Respekt vor dem grossen
handwerklichen Geschick

Bei der Restaurierung der christka-            gehören Gewandstücke (Kasel oder Dal­
tholischen Kirche in Rheinfelden               matik) oder Teile (zum Beispiel Manipel,
vor rund 30 Jahren kam der grosse              Stola) davon, welche Priester während der
                                               Heiligen Messe getragen haben. Neben
Paramentenschatz wieder ins Be-
                                               den liturgischen Kleidern zählen auch die
wusstsein. Eine vom christkatho-               Kelchwäsche (zum Beispiel Velen, Palla oder
lischen Frauenverein eingesetzte               Bursa) sowie die oftmals reich verzierte und
Arbeitsgruppe setzt sich für den Er-           bestickte Verkleidung der Altartisch-Front,
halt dieser wertvollen Textilien ein.          das Antependium, zu den Paramenten.

                                               Schatz vor rund 30 Jahren gefunden
                                               Im Rahmen der Innenrestaurierung der
                                               christkatholischen Kirche St. Martin
                                               (1986 bis 1992) wurde man auf den gros­
                                               sen Paramentenschatz aufmerksam. Die
                                               geschichtsträchtigen Textilien fand man
                                               oberhalb des Hochaltars und erkannte
                                               deren Wert. Die Kunsthistorikerin Carme­

                                                 «Damals hatte jeder Stiftsherr
                                                  seinen persönlichen Ornat.»

                                               la Kuonen inventarisierte die wertvollen
                                               Stücke. «Damals hatte jeder Stiftsherr sei­
                                               nen persönlichen Ornat», erklärt Jolanda
                                               Capomolla.

K
                                                  Am Anfang waren es die Frauen des
         arin Persy, Regina Manger, Johanna    christkatholischen Frauenvereins, welche
         Holer und Jolanda Capomolla (von      sich um die Reparaturen und um die Reini­
         links) tragen immer Handschuhe,       gung der Paramante kümmerten. Später ist
wenn sie die Paramente berühren. Ganz          aus ehemaligen Vorstandsmitgliedern des
sorgfältig nehmen sie die wertvollen Texti­    Frauenvereins eine Arbeitsgruppe entstan­
lien aus dem Schrank und packen sie aus        den, welche sich seit Jahren mit Leib und
dem säurefreien Seidenpapier. «Man sieht       Seele für die wertvollen Textilien einsetzt.
am Zustand der fragilen Seidenstoffe und       Seit vier Jahren ergänzt die Restauratorin
Stickereien, dass sie während vieler Jahre     Regina Manger das Team.
gebraucht worden sind», erklärt Karin Persy.      Die vier Frauen investieren ehrenamtlich
                                               viele Stunden ihrer Freizeit für die sachge­
Der Paramentenschatz der christkatho­          rechte Aufbewahrung der Paramente. Min­
lischen Kirche St. Martin in Rheinfelden       destens einmal pro Monat kontrollieren sie
umfasst über 300 Teile, angefertigt haupt­     die Textilien, die in Schubladen aufbewahrt
sächlich im 18. und 19. Jahrhundert. Para­     werden. Ganz wichtig sind die Lagerungs­
mente sind im Kirchenraum und in der           verhältnisse, die regelmässig strengstens
Liturgie verwendete Textilien, die oftmals     überprüft werden. «Die Textilien müssen        Von hinten sind die Gewänder noch prächtiger, weil
                                                                                              die Priester früher mit dem Rücken zur Kirchgemeinde
durch Klosterfrauen in aufwendiger Hand­       vor Feuchtigkeit, Licht und Staub geschützt
                                                                                              standen.
arbeit künstlerisch gestaltet wurden. Dazu     sein», erklärt Johanna Holer.

12   DER PARAMENTENSCHATZ
Eine Palla von der Stickerin Scholastica An der Allmend.

                                                             Grosser Respekt vor dem
                                                             handwerklichen Geschick
                                                             Wenn man die vier Frauen der Paramen­           Eine Bursa mit Reliefstickereien unterschiedlichster Mate-
                                                                                                             rialien wie zum Beispiel Pailletten, Silberdraht und Seide.
                                                             tengruppe bei ihrer Arbeit beobachtet, stellt
                                                             man ihre Begeisterung fest. «Wir haben
                                                             grossen Respekt vor diesem handwerkli­
                                                             chen und künstlerischen Geschick, welches
                                                             die Paramentenstickerinnen an den Tag ge­
                                                             legt haben und vor der grossen Arbeit, die
                                                             sie geleistet haben», sagt Karin Persy. Eine
                                                             begabte Paramentenstickerin aus der Regi­
                                                             on war die Luzerner Nonne Scholastica An
                                                             der Allmend. Sie lebte von 1647 bis 1722 und
                                                             viele ihrer Kunstwerke sind im Kloster in
                                                             Olsberg entstanden. Zwei ihrer prächtigen       Diese Sedilien (Sitze im Altarraum) warten auf die
                                                                                                             Restauration.
                                                             Arbeiten sind heute in Rheinfelden.
                                                                Neben der grossartigen Handarbeit ist
                                                             auch die Geschichte, die hinter jedem ein­
                                                             zelnen Stück steckt, faszinierend. So gibt es
                                                             im Paramentenschatz in Rheinfelden zum
                                                             Beispiel eine Kasel (ärmelloses liturgisches
                                                             Gewand), welches Teile aus den Zeiten der
                                                             Kaiserin Maria Theresia enthält. Das Ge­
                                                             wand wurde vermutlich bis 1933 getragen
                                                             und 2011 aufwendig restauriert.
                                                                Paramente reinigen und restaurieren
                                                             zu lassen ist sehr kostspielig. Diese Arbeit    Auch das Antependium ist durch aufwendige und sorg-
                                                                                                             fältige Handarbeit hergestellt worden und wird je nach
                                                             muss durch professionelle Textilrestaurato­
                                                                                                             liturgischer Farbe im Kirchenjahr gewechselt.
                                                             rinnen vorgenommen werden und ist sehr
                                                             zeitintensiv, da oftmals die einzelnen Teile
                                                             vor der Reinigung getrennt werden müs­             Eine aktuelle Investition ist der Bau des
                                                             sen, weil sie aus verschiedenen Materialien     neuen Kulturgüterraums im Kirchgemein­
                                                             bestehen.                                       dehaus Martinum. Dort entsteht derzeit ein
                                                                                                             Raum, wo die Paramente bei optimalen kli­
                                                             Ein Segen, aber auch eine finanzielle           matischen Bedingungen, die in diesen Mo­
                                                             Belastung                                       naten getestet werden, aufbewahrt werden
                                                             Vor zwei Jahren fand der Rheinfelder Stadt­     können. «Wir haben schon viel Unterstüt­
                                                             pfarrer Peter Grüter in einer Holzkiste über­   zung bekommen», freuen sich die Frauen
                                                             raschenderweise ein Altartuch aus dem           der Arbeitsgruppe. So auch an der Kirchge­
                                                             frühen 18. Jahrhundert. Durch zwei Restau­      meindeversammlung, an welcher das Geld
                                                             ratorinnen wurde eine Notkonservierung          für den vom Kirchenpfleger Chris Leemann
                                                             vorgenommen. «Das Antependium muss              projektierten neuen Raum bewilligt wurde.
                                                             restauriert werden», sagen Regina Manger        Die Paramentengruppe wird bei ihren Pro­
                                                             und ihre drei Kolleginnen. Ein Thema, wel­      jekten jeweils durch Bundesexperten und
                                                             ches die Paramentengruppe immer wieder          die kantonale Denkmalpflege begleitet.
                                                             beschäftigt, sind die Finanzen.                    Regina Manger, Jolanda Capomolla, Ka­
                                                                Ein durch grosszügige Legate geäufneter      rin Persy und Johanna Holer freuen sich
                                                             Paramentenfonds wird durch den Verkauf          sehr auf den neuen Raum. Bis dieser bezo­
                                                             von Kunstkarten und Briefmarken mit Mo­         gen werden kann, gibt es jedoch noch viel
                                                             tiven aus dem Paramentenschatz unter­           zu tun. «Es braucht noch einiges», sagt Jo­
Regina Manger (links) und Jolanda Capomolla mit einem        stützt. «Unser grosser Schatz ist ein Segen,    landa Capomolla, «aber es muss auch für
bestickten Antependium (Verkleidung der Front des
                                                             aber auch eine Aufgabe», betonen die vier       die nächsten hundert Jahre passen.»
Altartischs).
                                                             Frauen.                                                                       Janine Tschopp

                                                                                                                  DER PARAMENTENSCHATZ                                13
DER SCHAURAUM…
…BIETET SPANNENDE EINBLICKE IN DIE
GESCHICHTE VON RHEINFELDEN
                                                                                              „Gesicht“ - bewusst ohne Objekte. Die his­
Der modern und klar gestaltete Schauraum beleuchtet in fünf Themenblö-
                                                                                              torischen Gegenstände aus dem früheren
cken die Entstehung und Entwicklung der Stadt
                                                                                              Stadtmuseum werden in einem Depot auf­
                                                                                              bewahrt. Der gesamte Fundus wird vom
                                                                                              Kulturamt katalogisiert und digitalisiert.

M
           odern, klar, gut strukturiert, far­   Menschen hauptamtlich und ehrenamtlich       Ganz auf Objekte verzichten muss der Be­
           big gegliedert: Professionell prä­    mitgewirkt haben. Die Federführung für       sucher des Schauraums aber nicht. Alle acht
           sentiert sich der Schauraum, der      das Projekt lag bei Bürgermeisterin Diana    Wochen wird ein wechselndes Exponat aus
Einblicke in die Geschichte von Rheinfelden      Stöcker. Die Gründe für den Umzug vom        der stadtgeschichtlichen Sammlung als
(Baden) gibt. Übersichtlich aufgebaut wirkt      Haus Salmegg, wo das frühere Stadtmuse­      „besonderes Objekt“ präsentiert.
die Dauerausstellung, die in fünf Themen­        um im Dachgeschoss sein Domizil hatte, in
bereiche unterteilt ist und die Entstehung       den Schauraum in der Karl-Fürstenberg-       Die Ausstellungsgestaltung und Grafik, die
und Entwicklung der Industriestadt am            Straße liegen auf der Hand. Zum einen ist    von der Karlsruher Agentur zwo/elf entwi­
Rhein beleuchtet. Die einzelnen Module mit       der Schauraum zentral in der Stadtmitte      ckelt wurde, setzt auf moderne Optik mit
informativen Texten und Fotografien und          gut erreichbar, barrierefrei und an allen    speziell angefertigten Ausstellungswand-
die integrierten digitalen Medien laden          Werktagen zugänglich. Zum anderen ist        Modulen aus Holz im Grundton schwarz
dazu ein, sich mit historischen Epochen, Er­     die Koppelung und Kooperation mit der        mit farblich abgestuftem Pixelmuster.
eignissen und Persönlichkeiten der Stadt zu      Tourist-Info ein Vorteil, denn es herrscht   Hochwertig sind die Texte auf Folie und
beschäftigen.                                    dort reger Publikumsverkehr. In den zwei     die Fotos mit 3D-Wirkung auf Aludibond
                                                 Jahren der Zwischennutzung hat sich der      gedruckt. Die Texte, die einen anschauli­
Weg vom Nostalgischen und Musealen hin           Schauraum bereits bestens für Ausstellun­    chen und fundierten historischen Abriss
zu einem zeitgemäßen Konzept, das Ge­            gen bewährt.                                 geben, wurden von Stadtarchivarin Sabine
schichte spannend erlebbar und nachvoll­                                                      Diezinger verfasst. Unterstützt wurde sie
ziehbar macht: Diesen Erlebnischarakter          Die breite Glasfront und die klare Archi­    dabei von Bürgermeisterin Diana Stöcker
hat der neue Raum für Stadtgeschichte, an        tektur gibt dem neuen Stadtmuseum ein        und Gabriele Zissel, Ressortleiterin Stadt­
dem mit der Geschichte der Stadt vertraute       frisches, entstaubtes und zeitgemäßes        marketing und Tourismus.

14    DER SCHAURAUM
Jedes Thema hat eine spezielle Farbe be­
kommen, passend zum Inhalt: Blau als Far­
be des Flusses für alles, was mit dem Rhein
zu tun hat, Grün für Persönlichkeiten, wel­
che die Stadt prägten, Gelb, Orange und Rot
symbolisieren als Stadtfarben die Stadtwer­
dung und Stadtentwicklung.
   Der Streifzug durch die Geschichte dies­
seits und jenseits des Rheins auf 130 Quad­
ratmetern Ausstellungsfläche beginnt mit
der frühen Besiedelung und den Spuren der
Kelten, Römer und Alamannen. Auch über
die „Herrschaft Rheinfelden“, deren Zent­
rum im 10. Jahrhundert die Burg auf dem
Stein auf der Felsinsel im Rhein bildete, ist
Wissenswertes zu erfahren, ebenso über
den Einfluss der Zähringer und Habsburger.
Alte Karten und Abbildungen der archäolo­
gischen Funde dokumentieren diese frühen
Epochen.
                                                Einblick in die Geschichte von Rheinfelden (Baden) gibt der neu gestaltete und modern
   Der Rhein als Grenze, etwa in der Kriegs­    konzipierte Schauraum mit Modulen zu einzelnen Themenbereichen.
zeit, ist ein weiteres Thema. Dass der Rhein
auch ein verbindendes Element ist, zeigt
sich beim Blick auf die rege Zusammen­          Industriestadt. Wie die Stadt wuchs und                     Auch Persönlichkeiten, die in der Vergan­
arbeit und das Miteinander der beiden           wuchs, nach den Eingemeindungen zur                         genheit viel in Rheinfelden bewegt haben,
Schwesterstädte. In einem digitalen Bil­        Großen Kreisstadt wurde, wird gut lesbar                    werden gewürdigt: Emil Rathenau, Gene­
derrahmen sind Fotografien zu sehen, die        dargestellt. Auch ein Film über den Einfluss                raldirektor der AEG, der den Bau des Fluss­
gemeinsame Aktivitäten und Veranstal­           des Kraftwerksbaus auf die Stadtwerdung                     kraftwerks entscheidend vorantrieb, Walter
tungen des badischen und schweizerischen        wird gezeigt.                                               Rathenau, der ein elektrochemisches Werk
Rheinfelden am Auge vorüberziehen las­                                                                      in Rheinfelden bauen ließ, der Nollinger
sen: Brückensensationen, Rheinschwim­           Wie die Industrie als Motor für das Entste­                 Bürgermeister Adolf Senger, der Buchdru­
men, Neujahrsempfänge, Musikschulfeste.         hen der Stadt wirkt, wird in einem weite­                   cker und Verleger Peter Krauseneck, der
   Wie sich die Siedlungsgeschichte von         ren Ausstellungsteil deutlich gemacht. Die                  den ersten Buch- und Zeitungsverlag in
1850 bis in die Gegenwart entwickelt hat,       Ansiedlung der Seidenfabrik Baumann,                        dem aufstrebenden Industrieort gründete,
wird visuell ansprechend mittels Touch­         der Bau des damals größten Flusskraft­                      die Ärztin Therese Herzog-Rennau, die als
screen aufbereitet. Interessant und auf­        werks Europas und die Entstehung der                        eine der ersten Frauen überhaupt Medizin
schlussreich ist der „Vorher-Nachher“-Ver­      elektrochemischen Industrie Ende des 19.                    studierte, ab 1913 eine Praxis in Rheinfel­
gleich auf einem weiteren Touchscreen:          Jahrhunderts kurbelten den Wirtschafts­                     den führte und für ihr aufopferungsvolles
Historische Fotografien von Gebäuden und        ort Rheinfelden mächtig an. Die Firmen                      Wirken zur Ehrenbürgerin ernannt wurde,
Plätzen in Rheinfelden werden aktuellen,        Energiedienst, Evonik Industries und Alu­                   und Herbert King, der als Bürgermeister
teils mittels Drohnen gemachten Aufnah­         minium Rheinfelden steuerten zur In­                        und Oberbürgermeister fast 40 Jahre lang
men dieser jeweiligen Orte und Häuser           dustriegeschichte viele Fotos aus den Fir­                  die Geschicke der Stadt lenkte.
gegenübergestellt, um die Unterschiede          menarchiven bei. So erhalten die Besucher
zwischen früher und heute sichtbar zu           spannende Einblicke in den Kraftwerksbau                    Menschen, Biografien und Meilensteine in
machen. Erwin Wehinger hat dem Stadt­           und, mittels digitalen Foto-Zeitreisen, in die              der Geschichte der Stadt werden im Schau­
archiv vor langer Zeit alte Fotografien zur     Unternehmensgeschichten von Energie­                        raum erlebbar gemacht, der einen Bogen
Verfügung gestellt, die von Gabriele Zissel     dienst, Evonik und Aluminium.                               ins Heute schlägt und die ältere wie die
und Stadtführerin Ulrike Maunz für dieses                                                                   junge Generation anspricht - auch im Hin­
Modul ausgesucht wurden.                        Gesichter der Stadt kann man unter dem                      blick auf das Stadtjubiläum 2022.
                                                Titel „Angekommen - Meine Heimat Rhein­
Spannend dargestellt wird der Kraftwerks­       felden“ kennenlernen. 16 Menschen im Al­                    Öffnungszeiten in den Wintermonaten:
bau und die Ansiedlung der Fabrikanlagen,       ter von 14 bis 88 Jahren aus der Kernstadt                  Mo bis Fr 10 – 16 und Sa 10 – 13 Uhr
die maßgebliche Impulsgeber für die Ent­        und den Ortsteilen wurden gefragt, wie                      Öffnungszeiten in den Sommermonaten:
wicklung der Stadt waren. Durch den Bau         sie nach Rheinfelden gekommen sind, was                     Mo bis Fr 10 – 18 und Sa 10 bis 13 Uhr
des ersten Wasserkraftwerks und die ersten      ihnen hier gefällt und wie sie sich engagie­                Führungen – auch für Schulklassen – kön­
Industriebetriebe kamen hunderte von Ar­        ren. Auf drei großen Bildschirmen erzählen                  nen über die Tourist-Info angefragt werden.
beitern mit ihren Familien an den Rhein,        die Jugendlichen, Frauen und Männer et­
das war der Anfang einer prosperierenden        was über sich und ihr Leben in Rheinfelden.                                              Roswitha Frey

                                                                                                                               DER SCHAURAUM        15
In 200 bis 300 Jahren EINE GOLDGRUBE
Das Archiv der Stiftsbibliothek St. Martin in Rheinfelden zieht um. Aber bevor die Umzugskartons auf Reisen gehen,
gab es eine Menge zu tun. Historiker Felix Bacher über ein ganz spezielles Jahr im Dachstock der Stadtkirche, wo kein

I
Tag wie der andere war.

In den 1920er-Jahren hiess der christka­
tholische Pfarrer von Rheinfelden Achilles
Bailly. 1928 unternahm dieser eine Reise
in die Benelux-Staaten und hat davon ei­
nen Brüssel-Reiseführer, Schifffahrtspläne
und Menü-Karten hinterlassen. Solches,
was Archivare gemeinhin als Kuriosa be­
zeichnen, haben es Felix Bacher am meis­
ten angetan. In all den Monaten, in denen
er jetzt schon im Dachstock über der Sa­
kristei der Stadtkirche St. Martin forscht
und sichtet, dokumentiert und aussortiert,
ist ihm der Geistliche mit dem prägnan­
ten Namen am meisten ans Herz gewach­
sen. «Meine Kollegen Lucy Hindermann
und David Mache ziehen mich schon
manchmal damit auf, sagen, Bailly wäre
mein Liebling.»                                             Mit Kreuzgewölbe und Kruzifix: Felix Bacher an seinem Arbeitsplatz.

«Gift für das Material»
                                                            fertig zu machen. Das urige Archivstüb­                     auch mit Jacke, Kappe auf dem Kopf und
Schon vor längerer Zeit wurden Teile des                    chen, das nur über eine halsbrecherische                    Schal um den Hals.» Aber vielleicht hat
Archivs der Stiftsbibliothek St. Martin, vor                Wendeltreppe erreichbar ist, mit seinem                     ihn ja die Liebe zum Vergangenen von in­
allem die wertvollen Handschriften, in                      schummrigen Licht, den alten Holzmö­                        nen gewärmt, den Mann, der im Brotberuf
                                                            beln und dem alles überspannenden                           im Marketing tätig ist, dessen «Herz aber
                                                            Kreuzgewölbe wird im Januar für immer                       schon für das Historische schlägt», wie er
                                                            abgeschlossen. Rund ein Jahr Arbeit ist                     sagt.
                                                            dann zu Ende, ein Jahr, in dem der Be­
                                                            stand soweit möglich dokumentiert, in­                      Mit Wehmut
                                                            ventarisiert und in säurefreien Kartons
                                                            verpackt wurde. Das Archivgut wird in                       Seine Rheinfelder Zeit wird dem 31-Jäh­
                                                            einer Rheinfelder Zivilschutzanlage un­                     rigen, der in Basel und Heidelberg, Ge­
                                                            terkommen und es dort klimatisch besser                     schichte, Kunstgeschichte und Religions­
                                                            haben als in der Martins-Kirche. Bacher:                    wissenschaft studiert hat, wohl für immer
                                                            «Die Kälte, die Feuchtigkeit und der feh­                   in Erinnerung bleiben. Mit ein bisschen
                                                            lende Brandschutz hier sind ja Gift für das                 Wehmut blickt er auf das nahe Ende des
                                                            Material.»                                                  Projekts. «Das Jahr hier oben war schon
                                                                                                                        speziell.» Nicht nur des eigentümlichen
Felix Bacher war bei seiner Arbeit im Archiv von lateini-   Er aber hat das Raumklima all die Mona­                     Arbeitsplatzes wegen – über ihm waren
schen Inschriften umgeben.
                                                            te über tapfer ertragen – vom Frost der                     nur noch die Fledermäuse – sondern auch,
                                                            ersten Tage im Februar über die Gluthit­                    «weil wir mit Methoden wie vor 100 Jah­
die Unibibliothek Basel ausgelagert. An­                    ze im Sommer und zurück zu den tiefen                       ren gearbeitet haben». Natürlich hat er
fang 2019 erteilte die Kirchenpflege den                    Temperaturen jetzt, da es auf das Ende                      zur Erstellung des Inventars einen Com­
drei Profis den Auftrag, das, was noch vor­                 zugeht. Er sagt: «Eigentlich bin ich keine                  puter benutzt, den es seinerzeit noch nicht
handen war, ebenfalls zum Abtransport                       Frostbeule, aber im Februar sass ich hier                   gab. Aber weitere Digitalisierungen, also

16      DIE STIFTSBIBLIOTHEK
Mit Brief und Siegel – eine Handschrift von 1792 aus dem
                                                                                                                      Archivbestand.

                                                                                                                      250 Mann gegen die «Neukatholiken»

                                                                                                                      Auch die Abschrift mit Schreibmaschine
                                                                                                                      eines Briefs vom 15. September 1876 – das
                                                                                                                      Original befindet sich in Bern – gehört da­
                                                                                                                      zu. Darin schreibt der Offizier Emil Bruts­
                                                                                                                      chy, dass er die öffentliche Sicherheit bei
                                                                                                                      der Bischofsweihe von Eduard Herzog
                                                                                                                      aus Rheinfelden zu gewährleisten habe.
                                                                                                                      Herzog, dessen Büste Bacher tagtäglich
                                                                                                                      bei der Arbeit über die Schulter sah, war
                                                                                                                      der erste christkatholische Bischof der
                                                                                                                      Schweiz. Von 250 Mann Militär schreibt
                                                                                                                      Brutschy, die aufzubieten seien, um die
                                                                                                                      «Neukatholiken» in Schach zu halten und
                                                                                                                      gegen mögliche Ausschreitungen vorzu­
                                                                                                                      gehen. Mit «Neukatholiken» sind die Rö­
Achilles Bailly, der Stadtpfarrer von Rheinfelden, hat 1928 eine Reise in die Benelux-Staaten unternommen und davon   misch-Katholischen gemeint, von denen
Souvenirs mitgebracht.
                                                                                                                      sich die Christkatholiken 1872 vor allem
                                                                                                                      aus Protest gegen das päpstliche Unfehl­
das Übertragen des Original-Materials auf                   genauer draufgeschaut. Hat niemand die                    barkeitsdogma abgespalten hatten.
elektronische Datenträger, sind im Projekt                  Pfarrer darin beraten, was erhaltenswert
nicht vorgesehen.                                           ist und was nicht. So haben diese eben                    Erstmals für Publikum offen
Im Falle einer Bibel aus dem 18. Jahrhun­                   nach Gutdünken entschieden und archi­
dert, die im Bestand ist und an welcher                     viert, was sie ganz persönlich für wichtig                Wehmut, dass bald Schluss sein wird,
der Schimmel schon kräftig genagt hat,                      hielten. Das konnte dann auch schon mal                   mischt sich bei Felix Bacher mit der Freu­
wäre das vermutlich auch ohnehin keine                      eine Sammlung schwedischer Krimiroma­                     de darüber, dass die Bestände in der Zivil­
Option mehr, so nahe am Zerfall ist sie be­                 ne sein. Klassisches Archivgut ist darunter               schutzanlage nicht in der Versenkung ver­
reits. Bacher: «Wäre das jetzt eine Hand­                   wie Belege, Jahresrechnungen, Personal­                   schwinden, sondern öffentlich zugänglich
schrift, käme eine Restaurierung sicher                     akten und Urkunden. Hier heisst es für                    sein werden. Erstmals – denn Publikums­
in Betracht. Aber es ist nur ein Druck und                  den Archivar vor allem eines – Dubletten                  verkehr war ja im bisherigen Archivraum
bei dem lohnt es sich nicht.» Vielleicht                    entdecken und aussortieren. Sie haben                     in der Stadtkirche unmöglich, schon allein
machen sie aus der Not eine Tugend und                      kistenweise Fotos gefunden. Was sie zei­                  der Statik wegen.
stellen besagte Bibel öffentlich aus, so wie                gen, wurde durch die Mithilfe alteingeses­
sie ist. Der Nachwelt zur Mahnung: Das                      sener Rheinfelder in vielen Fällen wieder                 Er sagt: «In den nächsten 100 Jahren ist
passiert, wenn man zu wenig auf sein                        identifiziert. Sie haben handschriftlich an­              das Archiv vielleicht nicht so spannend.
kulturelles Erbe achtet.                                    gefertigte Protokolle und Berichte von der                Aber in den kommenden 200 bis 300 Jah­
                                                            Rheinfelder Fasnacht im 19. Jahrhundert                   ren wird es eine Goldgrube sein.» Dann,
Das Archiv der Stiftsbibliothek St. Martin                  entdeckt. Diese haben es David Mache vor                  wenn noch stärker säkularisierte Gesell­
in Rheinfelden besteht schon seit Jahr­                     allem angetan, der sie sich nun näher zu                  schaften auf ihre Ahnen zurückschauen,
hunderten. Doch erst sehr kurz ist die Ge­                  Gemüte führen und womöglich darüber                       die im 19. Jahrhundert Militär aufbieten
schichte seiner wissenschaftlichen Auf­                     publizieren möchte.                                       mussten, um einen drohenden Glaubens­
arbeitung. Vor 2007, dem Jahr, in dem der                                                                             konflikt einzudämmen – so wie 1876 in
Historiker Linus Hüsser den Bestand grob                                                                              Rheinfelden.
inventarisierte, hat vermutlich niemand                                                                                                              HC Wagner

                                                                                                                                 DIE STIFTSBIBLIOTHEK                      17
Mit Leidenschaft für die Vergangenheit

„Wenn man VIELE INTERESSEN hat,
kommt auch vieles zusammen.“
D
         er Brunnentrog vor der Nollinger                 Trog wasserdicht ab und bohrte Löcher in       auf dem Heimweg gesehen“, erinnert sich
         Schmiede trägt die Initialen G. und              den Boden, so dass überschüssiges Wasser       Merkt. Der linke Balken fehlte. Es reizte
         N. für Gemeinde Nollingen sowie                  abfließen konnte, wenn der Trog mit Erde       Merkt das Wegekreuz zu renovieren. Dies
die Jahreszahl 1908, für das Jahr als die da­             befüllt und bepflanzt wird. In der Wannen­     gelang und 1998 gab es eine feierliche Ein­
malige Gemeinde den Trog in der Oberen                    gasse konnte damals ein neuer Standort         weihung des renovierten Kreuzes.
Dorfstraße errichtete. Wasser hält der Brun­              gefunden worden.                                  Für den Schwarzwaldverein hat Merkt
nen schon lange keines mehr. Die Mitarbei­                   Der 1935 geborene Merkt ist ein echter      längere Zeit die Pflege des römischen Guts­
ter der Stadtgärtnerei haben ihn saisonal                 Nollinger. Die Eltern waren in der Land­       hofs am Trimm-Dich-Pfad übernommen
bepflanzt, nachdem Anfang Oktober Mitar­                  wirtschaft. Merkt wuchs mit drei Brüdern       und bis heute kümmert er sich um das
beiter des Werkhofs in Rücksprache mit                    und zwei Schwestern auf. Er besuchte die       erneuerte Wegekreuz und den dortigen
dem Stadtteilbeirat Nollingen den Trog                    Volksschule und wollte Schneider oder          Totenkopfstein. Auch das Linsenbachkreuz
vom bisherigen Standort in der Wannen­                    Fliesenleger werden, aber mit der Lehrstel­    hat Merkt renoviert. Als er 2006 das de­
gasse versetzt hatten. Nach dem Eigentü­                  le klappte es nicht, so dass sich Merkt zu­    montierte, denkmalgeschützte Nollinger
merwechsel des Privatgrundstücks sollte                   nächst als Waldarbeiter verdingte. Für eini­   Kirchenkreuz von 1754 im Anbau hinter der
die Fläche anderweitig genutzt werden. Es                 ge Zeit arbeitete er in der Seidenweberei in   Kirche im Dreck liegen sah, war Merkt er­
                                                                                                         schüttert. Zusammen mit Günther Heuche­
                                                                                                         mer konnte er 2011 dafür sorgen, dass das
                                                                                                         Friedhofskreuz von Leonhard Eder restau­
                                                                                                         riert wurde und an der Kirchenwand einen
                                                                                                         neuen Platz bekam. Im selben Jahr brach­
                                                                                                         ten Heuchemer und Elmar Döbele ihn dazu,
                                                                                                         sich an der Erfassung der Kleindenkmäler
                                                                                                         für das Landratsamt Lörrach und das Re­
                                                                                                         gierungspräsidium Freiburg zu beteiligen.
                                                                                                         Über zwei Jahre hinweg erfasste Merkt
                                                                                                         Grenzsteine, Kreuze, Brunnen und Quellen
                                                                                                         auf der Nollinger Gemarkung.
                                                                                                            Von der Erfassung der Kleindenkma­
                                                                                                         le hat er noch einen ganzen Ordner voller
                                                                                                         Erfassungsbögen, Fotos und Notizen. Es ist
                                                                                                         nicht der einzige Ordner mit historischen
                                                                                                         Informationen in seinem Büro. Im Schrank
                                                                                                         reihen sich unzählige Festschriften und
                                                                                                         Ordner mit Informationen über Nollinger
                                                                                                         Vereine, Straßen und Örtlichkeiten. „Histo­
            „Historische Fotos und solche Sachen haben mich immer interessiert“, sagt Heinrich Merkt.
                                                                                                         rische Fotos und solche Sachen haben mich
                                                                                                         immer interessiert“, erklärt Merkt seine Lei­
war nicht der erste Umzug des historischen                Rheinfelden, bevor er bei der Stadtgärtnerei   denschaft. „Wenn man viele Interessen hat,
Brunnentrogs.                                             anheuerte. 1957 wechselte er zur Degussa,      kommt auch vieles zusammen.“ Sein Inte­
   Vor 18 Jahren musste der Brunnen schon                 wo er bis 1993 im Lager und als Disponent      resse beschränkt sich nicht nur auf Nollin­
einmal ausweichen. Es ist Heinrich Merk­                  tätig war. Merkt hat 1959 geheiratet und ist   gen. Merkt sammelt auch Historisches und
ts Verdienst, dass es den Trog heute noch                 Vater von zwei Töchtern. Seit 1965 wohnt er    Außergewöhnliches zu anderen Rheinfel­
gibt. 2001 war der alte, rissige Brunnen                  vis à vis des Elternhauses im Oberdorf.        der Ortsteilen und Nachbargemeinden bis
ersetzt worden, da er auseinander zu bre­                                                                in den Raum Freiburg. Auch Zeitungsartikel
chen drohte. Für den Abtransport sollte der               Der naturverbundene Merkt war im               über die europäischen Partnerstädte Rhein­
historische Trog zerschlagen werden. Das                  Schwarzwaldverein Rheinfelden aktiv, was       feldens haben Eingang in seine Sammlung
konnte Merkt verhindern, der den Trog aus                 dazu führte, dass er 1997 das erste Mal ei­    gefunden. „Das möchte ich an die Nach­
Stampfbeton und Sandstein restaurierte.                   nem historischen Gut zu neuem Leben            kommen weitergeben. Natürlich muss ich
Er dichtete den 2,8 Meter langen, 75 Zen­                 verhalf. „Nach einer Wanderung habe ich        noch vieles verfeinern“, sagt Merkt.
timeter breiten und 48 Zentimeter hohen                   das Kreuz zwischen Eichsel und Nollingen                                     Horatio Gollin

18    HISTORISCHES
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