2019 SCHULLEITUNG: DIE CHEMIE MUSS STIMMEN - Kanton Thurgau

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2019 SCHULLEITUNG: DIE CHEMIE MUSS STIMMEN - Kanton Thurgau
6 | 2019

SCHULLEITUNG: DIE CHEMIE MUSS STIMMEN
2019 SCHULLEITUNG: DIE CHEMIE MUSS STIMMEN - Kanton Thurgau
I N HA LT                                                                                         Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

                                                                                            Thurgauer Köpfe:
                                                                                                     Museen

            08
                                                                                    ein Thema, sechs
                       Unterwegs mit einer Sc
                                             hulleiterin
                                                                                                    32
        		FOKUS: SCHULLEITUNG                                      		RUND UM DIE SCHULE

        05 Thurgauer Schulleitungen auf einen Blick                29 Blick ins Programm von SRF My School
        06 «Als Schulleiter lerne ich täglich dazu»

        08 Krisenkommunikation im Kapuzenpulli                     		BERUFSBILDUNG
        08 «Lehrpersonen sollen keine Einzelkämpfer sein»
                                                                   30 Der Weg zur Berufsmaturität
        12 Was es bedeutet, in der Schulleitung zu arbeiten

        14 Wenn der Private Banker Schulleiter werden will
                                                                   		MITTELSCHULE
        16 Schulleitungen schätzen ihre Schulen treffend ein
        18 Drei Hochschulen – eine gemeinsame Ausbildung           31 Mit Nobelpreisträgern am Mittagstisch

        20 Führungserfolg: Was sagt die Forschung?

        22 Schulführung in Zeiten des digitalen Wandels            		KULTUR
        23 Mitteilungen aus der Redaktion
                                                                   32 Thurgauer Köpfe: ein Thema, sechs Museen
        24 Zu den Bildern dieser Ausgabe
                                                                   33 kklick lanciert Kulturagenda für Lehrpersonen
        24 Thementagung 2020: Sprachförderung

        24 Impressum
                                                                   		SchlussVERSion

        		VOLKSSCHULE                                              34 Das Weite

        25 Schulentwicklung: Arbeitsfelder

        26 Schulentwicklung: Weiterbildung in Genf

        		PHTG

        27 Digital unterstützte Zusammenarbeit

        27 Mathe-Lehrpersonen für Studie gesucht                                              Schulblatt
        28 Was uns die Sportnote erzählt                                                      März 2020
                                                                                            Thema: Sprach-
                                                                                               förderung

                                                               2
2019 SCHULLEITUNG: DIE CHEMIE MUSS STIMMEN - Kanton Thurgau
Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019                                                                                                                 KO LU MN E

                                                                         Ruedi Gentsch

Was wäre, wenn morgen alle Schulleitenden unauffindbar wä-                          renden mit ausgefallenen Bedürfnissen eben diese kaum mehr
ren? Die Schulkinder hätten keinen – nein, das nicht. Aber die                      befriedigen. Und faule Eier haben es schwerer, dem Dolcefar-
Lehrenden! Die könnten dann nicht – nein, auch nicht. Vielleicht                    niente zu frönen. Würde man immerhin meinen und hoffen. Die
die Schulbehörden? Die hätten keinen – aber stören würde das                        Schulleitenden bringen ihre Schule voran, portieren neue Unter-
vielleicht auch nicht so sehr. Dann könnten sie endlich mal wie-                    richtsformen oder zumindest Altbekanntes in zeitgemässerem
der persönlich in der Schule zum Rechten sehen, statt sich in                       Gewand und halten den Lehrpersonen idealerweise den Rücken
die strategischen Papiere ihrer Ressorts versenken zu müssen.                       frei, damit diese die Innovationen im Schulzimmer auch um-
Aber wohin mit dem vielen eingesparten Geld?                                                         setzen können. Und so fällt dann vom Ganzen
Klar, die Formulare der Obrigkeit müssten wei-                                                       auch etwas für die Schulkinder ab. Oft in ho-
terhin ausgefüllt werden. Da müsste man in den                                                       möopathischen Dosen – aber immerhin und
Schulgemeinden eine Ausfüllstelle schaffen, mit                                                      manchmal auch zum Glück.
Kostenfolge natürlich. Aber vielleicht könnte man
auf kantonaler Ebene die Formularflut eindäm-                                                        Damals, bei der Einführung der Schulleitung,
men, mit Kosteneinsparungen natürlich. Aber wer                                                      zeigte uns der Gastdozent mittels sehr gebrauch-
sagt dann, was richtig und was wichtig ist? Die                                                      ter Tageslichtprojektorfolien auf, dass durch
Eltern? Die tun das ja schon jetzt und erst noch                                                     diese Neuerung weniger die Lehrpersonen als
kostenlos – allerdings ungefragt und meistens                                                        vielmehr die Schulbehördemitglieder entlastet
ungehört. Oder vielleicht die Lehrenden? Das                                                         würden. Das ernüchterte, leuchtete eigent-
fehlte noch! Die hat man eben erst domestiziert                                                      lich ein – und ging vielfach vergessen. Und so
und in die Schranken verwiesen. Das sind jetzt                                                       schossen die Erwartungen ins Kraut. Die Schul-
einfach Angestellte und keine selbstständigen                                                        leitenden versuchten das Menschenunmögliche.
Angestellten mehr mit einer wild und unkontrol-                                                      Einer vom Kanton erklärte mir in jenen Jahren
liert wuchernden Pädagogik. Und sie sind es sich                                                     dann mal, dass man die Schulleitenden bewusst
mittlerweile gewohnt, halten sich an ihr Pflich-                                                     mit möglichst wenig Anstellungsprozenten aus-
tenheft und rufen bei Unregelmässigkeiten wie                                                        statte, damit diese nicht unnötig in Aktivismus
Amok laufenden Elternteilen, übermässigem Haschkonsum oder                          verfallen würden. Dazu fällt mir jetzt nur der hier etwas verknappt
Internet-Sauereien nach der – ja, genau! – nach der Schulleitung!                   wiedergegebene Satz eines preussischen Ministers ein: «Es ist
Die soll es richten. Nun war ich ja nie ein Schulleiter, wohl aber ein              dem Untertanen untersagt, den Massstab seiner beschränkten
Korporal – ein unfreiwilliger, allerdings. Und da sehe ich durchaus                 Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen».
Parallelen. Das Bild vom Sandwich drängt sich auf – nur war ich
als Korporal nicht der kulinarische oder sonstige Höhepunkt, son-
dern der von unten und oben bedrängte Prügelknabe. Eine Rolle,
                                                                                         Mit dieser Kolumne verabschiede ich mich von meiner – hoffent-
die niemand wirklich will – würde man meinen. Man darf sich fra-
                                                                                         lich – geneigten Leserschaft. Als mittlerweile sehr pensionierter
gen, welche Neigungen unsere Schulleitenden insgeheim hegen.
                                                                                         Primarlehrer überlasse ich das Feld berufeneren Leuten, die
                                                                                         vom Tagesgeschehen unmittelbarer betroffen sind. Das Schreiben
Das Rad der Zeit lässt sich bekanntlich nicht zurückdrehen. Das
                                                                                         hat mir viel Spass gemacht und ich bin «dem Schulblatt» sehr
ist auch gut so, weil unsere wehmütigen Blicke ins Präteritum oft
                                                                                         dankbar für den grosszügig zugestandenen Persilschein.
vom grauen Star beeinträchtigt sind. Immerhin, dank der segens-
reichen Einrichtung von Schulleitungen können heute die Leh-
                                                                                                                                                                  Illustration: Ruedi Gentsch

                *Lighter sind Wasserfahrzeuge, die Schiffen das Überwinden von Untiefen ermöglichen, indem sie diese «lichtern», also deren Ladung
                           ganz oder teilweise übernehmen. Lighter sind aber auch Feuerzeuge – diese Dinger mit dem zündenden Funken.

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2019 SCHULLEITUNG: DIE CHEMIE MUSS STIMMEN - Kanton Thurgau
E D ITO R IA L                                                                      Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

                                    Wer führt,
                                    prägt die Schule
                                    Liebe Leserin, lieber Leser

                                    145 Schulleitungen führen die Thurgauer Primar- und Sekun-
                                    darschulen. Das sind 145 verschiedene Ideen davon, wie die-
                                    ser Beruf im Alltag gelebt werden soll. Diese Vielseitigkeit
                                    kombiniert mit der weitgehenden Autonomie der Thurgauer
                                    Schulgemeinden bedeutet, dass die Schulleitungen mit jeder
                                    ihrer Handlungen nicht einfach administrative Dienste verrich-
                                    ten, sondern die Schule entscheidend prägen. Dieses Schul-
                                    blatt möchte aufzeigen, was den Beruf Schulleitung spannend
                                    macht. Das sind die Kommunikation mit den unterschiedlichs-
                                    ten Menschen, die Breite der Aufgaben und die immer wie-
                                    der neuen Situationen, die individuelle Lösungen erfordern.
                                    Und, wie es der oberste Schulleiter des Kantons im Interview
                     «Zentral ist   mit dem Schulblatt (S. 6) sagt: Die meisten machen ihren an-
                                    spruchsvollen Job sehr gerne.
                 der Aufbau von
                  Schulleitungs-    Das System der Schulleitung wurde im Thurgau um die Jahr-
                                    tausendwende eingeführt. Nach rund 20 Jahren ist es nun Zeit
                   nachwuchs.»      für eine Standortbestimmung. Diese haben der Verband Schul-
                                    leiterinnen und Schulleiter Thurgau, der Verband Thurgauer
                                    Schulgemeinden, Bildung Thurgau, die PHTG sowie das Amt für
                                    Volksschule gemeinsam vorgenommen. Unter anderem entstand
                                    daraus ein Berufsleitbild, das die Leistungen, Zuständigkeitsbe-
                                    reiche und den Grundauftrag der Schulleitung definiert (siehe
                                    S.  12). Der Beruf wird damit auf eine breit anerkannte Grundlage
                                    gestellt. Zentral ist der Aufbau von Schulleitungsnachwuchs, da-
                                    mit dem Mangel in den kommenden Jahren begegnet werden
                                    kann. Auch kleine Schritte im Alltag können dazu beitragen: Sind
                                    Sie in der Schulleitung tätig, fördern Sie geeignete Lehrpersonen
                                    und suchen Sie frühzeitig das Gespräch mit ihnen. Sind Sie eine
                                    Lehrperson, die sich für Führungsaufgaben interessiert, spre-
                                    chen Sie Ihre Schulleitung darauf an und engagieren Sie sich.
                                    Durch diesen Dialog in den einzelnen Schulhäusern gewinnt das
                                    Thurgauer Bildungssystem als Ganzes.

                                    Das Schulblatt wird ab dem kommenden Jahr neu noch vier
                                    statt sechs Mal erscheinen und bereits ab dieser Ausgabe et-
                                    was schlanker ausfallen. Ergänzend zur gedruckten Ausgabe
                                    wird in den kommenden Monaten der Onlineauftritt unter
                                    schulblatt.tg.ch neu ausgerichtet und angereichert. Wir freuen
                                    uns, wenn Sie Themen und Entwicklungen rund um die Thur-
                                    gauer Volksschule weiterhin als aufmerksame Leserinnen und
                                    Leser verfolgen – sei es im Print oder online.

                                    Ob Sie in Ihrem Berufsalltag vor einer Klasse stehen, eine Schule
                                    leiten oder beides kombinieren: Ich wünsche Ihnen dabei für das
                                    kommende Jahr viel Energie, frische Ideen und bereichernde
                                    Begegnungen. Herzlichen Dank für Ihren Einsatz im 2019.

                                    Monika Knill
                                    Regierungsrätin, Chefin DEK

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Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019                                                                                    FOKUS

Z AHLEN UND FAK TEN

Thurgauer                                                              27 Schulleitungen sind          19 Schulleitungen sind

Schulleitungen
auf einen Blick
                                                                         Jahre
                                                                          oder
                                                                          älter.   59 40                                Jahre
                                                                                                                        oder
                                                                                                                        jünger.

Schulleitungen sind wie viele Führungspositionen

                                                                                            7
männerdominiert. Doch die Frauen holen auf: Ihr
Anteil ist in den letzten fünf Jahren um gut zehn
Prozent gestiegen. Daneben ist aktuell knapp ein                                                    Schulleitungen
                                                                                                    sind im Jobsharing mit
Fünftel der Schulleitungen über 59 Jahre alt und
                                                                                                    zwei Personen organisiert.
etwa ein Achtel unter 40 Jahre alt.

S    olche und weitere Zahlen können aus der Schulver-
     waltungssoftware (SVS) abgerufen werden, in der
verschiedenste Daten aus der Thurgauer Volksschule ab-
                                                                                         Durchschnittliche
                                                                                         Zeit an aktueller Stelle

                                                                                        9,7
gespeichert sind. Hier einige Kennzahlen zu den Thurgauer
Schulleitungen im Überblick:

                                                                                                          Jahre.

145
Schulleitungen sind in der
                                                               34.1%

                                                                   65.9%
                                                                                   Durchschnittliches Arbeitspensum:

                                                                         65,9%
Thurgauer Volksschule tätig.

                            26
                                                                                                40 von 145 Schulleitungen
    Durchschnittliche
                                                                                                arbeiten 100 Prozent.
    Anzahl geführter
         Personen:
                            Höchstwert 89
                            Tiefstwert 6                    Das Durchschnittalter
                                                            der Schulleitungen beträgt

                                                            50,6
         4
Schulleitungen
üben ihre Arbeit in mehreren
                                                                                   Jahre.

                                                                                                    36%
                                                                                            der Schulleitungen sind weiblich.
                                                                                              Dieser Anteil ist seit 2014 um rund
Gemeinden aus.
                                                                                                        zehn Prozent gestiegen.

                                                               5
FOKUS                                                                                               Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

                                                            INTERVIE W

                              «Als Schulleiter
                          lerne ich täglich dazu»
       Weil alle irgendwann von der Schule betroffen sind, haben alle eine Meinung dazu. Das kennt
   Lukas Leutenegger, neuer Präsident des Verbandes Schulleiterinnen und Schulleiter Thurgau (VSLTG)
        auch von seinem Hobby Fussball. Doch Leutenegger nimmt die Meinungsvielfalt sportlich:
           Genau darin liege die Herausforderung, die den Beruf Schulleitung spannend macht.

                                                     Interview: Urs-Peter Zwingli

Lukas Leutenegger, was möchten               öffentlicht wurde. In diesem werden die      len. In meiner Antrittsrede habe ich das
Sie als VSLTG-Präsident erreichen?           Aufgaben einer Schulleitung definiert.       Bild eines Mannes gezeigt, der im Regen
Ich will die Vernetzung unter den Schul-     Was darüber hinausgeht, muss gemäss          steht, dabei aber singt und tanzt. Damit
leiterinnen und Schulleitern weiter för-     diesem Leitbild mit zusätzlichen Stellen-    wollte ich zeigen: Als Schulleitung sollte
dern, sie sollen keine Einzelkämpfer sein.   prozenten aufgefangen werden. Heute          man auch in schwierigen Zeiten die Lo-
Wir bieten für Berufseinsteigende zum        ist es leider oft so, dass Schulleitungen    ckerheit nicht verlieren.
Beispiel Mentoringprogramme an, bei          mit der Zeit immer mehr neue Aufgaben
denen ihnen erfahrene Kolleginnen und        übernehmen müssen, während ihr Pen-          Wie hat sich der Beruf Schulleitung
Kollegen beratend zur Seite stehen. Und      sum gleichbleibt. Grundsätzlich macht        in den letzten Jahren entwickelt?
für den informellen Aufbau von Kontak-       der grösste Teil der Thurgauer Schullei-     Die Ansprüche der Eltern an die Schule
ten ist neu ein Frühlingsapéro geplant.      tungen ihren Job meiner Einschätzung         sind sicher gestiegen. Bei der Schule ist
Wichtig ist mir zudem, dass wir als Ver-     nach aber sehr gerne.                        es ein wenig wie im Fussball: Alle sind
band daran arbeiten, die Schule positiv zu                                                irgendwie und irgendwann davon be-
verkaufen. Sie steht unter permanentem       Stellen Sie sich vor, Sie möchten            troffen und fast alle haben darum eine
Druck von verschiedenen Seiten, dabei        einen Lehrer davon überzeugen,               Meinung dazu. Gleichzeitig ermöglichen
leistet sie Aussergewöhnliches.              Schulleiter zu werden: Was würden
                                             Sie ihm über den Beruf sagen?
Wie meinen Sie das konkret?                  Dass er unglaublich vielschichtig und
Die Schule schafft es, eine praktisch un-    darum spannend ist. Man hat mit unter-              «Die Schule schafft es,
endliche Vielfalt von Kindern und Jugend-    schiedlichen Menschen und den Ansprü-             eine praktisch unendliche
lichen in ihrem fachlichen und sozialen      chen mehrerer Interessensgruppen zu                Vielfalt von Kindern und
Lernen zu begleiten. Der produktive Um-      tun. Diese Ansprüche muss man ausba-
                                                                                              Jugendlichen in ihrem fach-
gang mit dieser Vielseitigkeit der Schü-     lancieren, gleichzeitig darf man den Blick
lerinnen und Schüler ist eine beachtliche    für das grosse Ganze nicht verlieren. Und        lichen und sozialen Lernen
Leistung.                                    schliesslich ist es ein Beruf, in dem ich         zu begleiten. Das ist eine
                                             täglich dazulerne. Gerade was die Füh-              beachtliche Leistung.»
Wie würden Sie die aktuelle                  rung angeht, die sehr zentral ist.
Situation der Thurgauer
Schulleitungen beschreiben?                  Welche Eigenschaften muss eine
Viele Schulleitungen werden in den           gute Schulleitung mitbringen?                digitale Medien es, diese Meinungen und
nächsten fünf Jahren pensioniert. Der        Sie muss im dichten Tagesgeschäft die        Ansprüche sehr schnell zu platzieren.
Aufbau von geeignetem Nachwuchs              wichtigen Projekte sehen und diese prag-     Das spüren auch Lehrpersonen, die sich
ist darum ein zentrales Thema für uns.       matisch bearbeiten. Was sicher nützt,        vermehrt gegenüber Eltern legitimieren
Wichtig ist weiter, dass in Zusammen-        ist Humor, Gelassenheit und eine dicke       müssen. Einmal spontan aus dem Klas-
arbeit mit dem VTGS, Bildung Thurgau,        Haut. Ab und zu muss man Entschei-           senzimmer zu gehen, ist mittlerweile fast
der PHTG sowie dem AV ein neues              dungen fällen, die einzelnen Personen        nicht mehr möglich. Die Aufgabe der
Berufsbild erarbeitet und soeben ver-        oder einer Anspruchsgruppe nicht gefal-      Schulleitung ist es darum vermehrt, den

                                                                  6
Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019                                                                                          FOKUS

Lehrpersonen den Rücken zu stärken           müssen uns darum bemühen, systema-
und ihnen dadurch Entscheidungsfrei-         tisch gute Lehrpersonen anzusprechen
heit zu verschaffen. Gleichzeitig sind der   und zu fördern. Besonders grössere Schul-
Schule als Ganzes immer mehr Aufgaben        gemeinden, in denen Lehrpersonen ein-
übertragen worden – heute bilden wir         fach zusätzliche Aufgaben und Projekte
Kinder und Jugendliche auch in Themen        übernehmen können, sind hier in der
                                             Pflicht. Aber unabhängig von der Grösse
                                             muss jede Schulleitung zudem die Thur-
                                             gauer Volksschule als Ganzes im Blick
        «Die Schule steht unter              haben: Natürlich verliere ich als Schul-
       permanentem Druck von                 leiter eine gute Lehrperson, wenn diese
                                                                                            Zur Person
                                             eine Stelle in der Schulleitung bekommt.
         verschiedenen Seiten,                                                              Der 49-jährige Lukas Leutenegger
                                             Die Schule als Gesamtsystem gewinnt
       dabei leistet sie Ausser-                                                            ist seit sieben Jahren Schulleiter der
                                             dadurch aber.
            gewöhnliches.»                                                                  Primarschule Pfyn, dies in einem
                                                                                            60-Prozent-Pensum. Er hat auf dem
                                             Mit welchen konkreten Ange-
                                                                                            dritten Bildungsweg an der Universität
                                             boten wollen Sie Schulleitungen
                                                                                            Zürich Pädagogik, Sonderpädagogik
                                             den Alltag erleichtern?
                                                                                            und Psychologie studiert. Berufliche
wie Ernährung, Gesundheit, Sexualität        Wir legen im Schuljahr 2019/2020 einen
                                                                                            Erfahrungen hat Leutenegger unter
sowie in der Schuldenprävention aus.         Fokus auf die Weiterbildung. Dafür möch-
                                                                                            anderem als Heimleiter im andante
Das sind wichtige Themen, die wir gerne      ten wir vermehrt in Kontakt mit der PHTG
                                                                                            Eschenz (Wohn- und Ausbildungs-
bearbeiten, diese Entwicklung muss aber      darauf hinwirken, deren Weiterbildungs-
                                                                                            stätte für junge Menschen mit
im Blick behalten werden. Manchmal er-       angebot auszubauen. Daneben sind aber
                                                                                            zerebraler oder geistiger Beeinträch-
warte ich fast den Tag, an dem es heisst,    auch niederschwellige Dienstleistungen
                                                                                            tigung), als Dozent an der Höheren
die Schule müsse den Kindern nun auch        für unsere Mitglieder geplant. Eine Idee ist
                                                                                            Fachschule für Kindererziehung
Tischmanieren beibringen…                    etwa, dass die VSLTG-Mitglieder über un-
                                                                                            Zug sowie als Projektleiter beim
                                             sere Webseite Dokumentvorlagen für Mit-
                                                                                            Organisations-Beratungsunternehmen
Die Schule ist also dynamisch, ihr           arbeitergespräche, Unterrichtsbesuche
                                                                                            Schiess gesammelt. Zusätzlich hat
Aufgabenbereich wächst genauso               und ähnliches austauschen können.
                                                                                            er eine Ausbildung zum Supervisor,
wie das Kommunikationsbedürfnis
                                                                                            Coach und Organisationsberater am
aller Beteiligten. Wo sehen Sie              Sie haben im Gespräch mehrfach
                                                                                            Institut für Systemische Impulse in
darin die Rolle der Schulleitung?            den Blick für das grosse Ganze
                                                                                            Zürich absolviert. Leutenegger wohnt
Je nach Situation ist die Rolle ganz ver-    erwähnt. Wenn Sie diesen Blick
                                                                                            in Frauenfeld, ist verheiratet und Vater
schieden. In Gesprächen mit den Lehr-        auf die Thurgauer Volksschule
                                                                                            von drei erwachsenen Kindern. In
personen – etwa nach Unterrichtsbe-          richten: Wo steht diese?
                                                                                            seiner Freizeit ist er gerne mit seinem
suchen – bin ich der Coach, der bei der      Ich bin ein Fan der Thurgauer Volks-
                                                                                            Hund unterwegs, liest viel und mag
persönlichen Verbesserung helfen will.       schule, sie ist geprägt von engagierten
                                                                                            Kunst. Er ist zudem sportlicher Leiter
Dann bin ich wie gesagt Vermittler zwi-      Lehrpersonen und Schulleitungen, die
                                                                                            der Mädchen- und Frauenteams des
schen verschiedenen Gruppen, manch-          für die Kinder und Jugendlichen viel
                                                                                            FC Frauenfeld.
mal fühle ich mich fast schon wie ein        leisten. Auf der Primarstufe müssen wir
Diplomat. Und nicht zuletzt bin ich eine     allerdings aufpassen, dass sich nicht
Führungsperson, die in einem speziellen      ein Fachlehrersystem entwickelt. Es ist
Umfeld Entscheide umsetzt. Lehrper-          für viele Kinder in diesem Alter meines
sonen sind grundsätzlich sehr kritisch       Erachtens wichtig, in der Schule wenige,
eingestellt gegenüber Hierarchien, was       starke Bezugspersonen zu haben. Durch
ich aber als Chance sehe.                    ein Fachlehrersystem wird die Schule
                                             zudem total durchgeplant, Spontanität
Sie haben es bereits erwähnt: Das            hat darin kaum mehr Platz. Grundsätz-
Angebot an Schulleitungen auf                lich stimmt für mich aber die Richtung,
dem Arbeitsmarkt wird in Zukunft             die der Lehrplan 21 der Schule weist.
weiter abnehmen. Was kann                    Schade finde ich nur, dass man es in Be-
dagegen unternommen werden?                  zug auf die Primarstufe verpasst hat, in
Es ist so, dass wir bisher die Nachwuchs-    der Bewertung einen wirklichen Wurf zu
förderung im Alltagsgeschäft etwas ver-      landen: Noten sind dort meiner Meinung
nachlässigt haben. Wir als Schulleitungen    nach noch immer überbewertet.  ¡

                                                                  7
FOKUS                                                                                                            Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

THEMA

Krisen-
kommunikation
im Kapuzenpulli
Vom Sporttag mitten ins Krisengespräch: Wer eine
Schule leitet, weiss oft nicht, was der Tag bringt.
Unterwegs mit Isabella Walzthöny, Schulleiterin in
Frauenfeld, die als junge Frau in ihrem Beruf eine                                                                       al im Trainer an einem
                                                                                                                                                  sportlichen
                                                                                                    Walzthöny für einm
                                                                         Die Schulleiterin Isabella
Seltenheit ist.                                                          Begegnungstag in ihre
                                                                                                 r Schule.

Text und Bilder: Urs-Peter Zwingli

I   sabella Walzthöny trägt Leggins, Laufschuhe und einen Ka-
    puzenpulli, es ist 7:45 Uhr an einem frischen Montagmorgen
im Herbst. «Heute dürfen alle mit Trainerhosen in die Schule
                                                                       Begegnungsmorgen statt, an dem sich die Schüler über die
                                                                       Klassengrenzen hinweg kennenlernen. Ein Tanzspiel weckt die
                                                                       über 300 teils noch verschlafenen Menschen, Walzthöny wirkt
kommen», sagt die 30-jährige Schulleiterin der Frauenfelder            hellwach, tanzt aber trotzdem mit. Zwischendurch scherzt sie
Primarschul- und Kindergartenanlage Langdorf. «Gleichzeitig            mit den Lehrpersonen («Lustig, einmal alle im Trainer zu sehen»)
müssen wir den Schülern klarmachen, dass das eine Ausnahme             und bespricht sich kurz mit einem Lehrer über einen Schüler,
ist», ergänzt sie sofort. Auf dem Pausenplatz, den die Schullei-       der im Unterricht Probleme macht.
terin von ihrem Büro aus im Blick hat, sind die 310 Primarschü-
lerinnen und -schüler des Langdorfs mittlerweile in Gruppen            Notizblock und Smartphone immer dabei
aufgestellt. Walzthöny wirft nochmals einen Blick auf das aus-         Am gleichen Morgen muss Walzthöny – noch immer im Sport-
gedruckte Tagesprogramm, geht dann mit schnellen Schritten             dress – schnell auf Krisenkommunikation umschalten: Eine
auf den Platz. Dort findet das Einwärmen zu einem sportlichen          schwierige Besprechung mit einer Lehrperson fordert Empa-

                                            Während Schulleitungen das opera-                      Andreas Wirth, wo sehen Sie
                                            tive Tagesgeschäft im Griff haben,                     als Schulpräsident die Bedeutung
                                            muss die Schulbehörde sich mit der                     der Schulleitung?
                                                                                                   Sie führt die Schule pädagogisch und
                                            Zukunft befassen: Etwa, damit
                                                                                                   personell, das oberste Ziel davon ist die
                                            genügend Platz für alle Schülerinnen
                                            und Schüler vorhanden ist. Der Frau-
                                            enfelder Schulpräsident Andreas                             «Wir wollen die Ansichten
                                            Wirth spricht im Interview über seit                         und Ideen der Personen,
                                            Jahren steigende Schülerzahlen, die
    «Lehrpersonen                           Bedeutung der Schulleitung sowie
                                                                                                         die an der Front arbeiten,
                                                                                                       bei Entscheiden einbeziehen.
    sollen keine                            deren Zusammenarbeit mit der Be-                              So verlieren wir bei der

    Einzelkämpfer                           hörde. Für ihn ist klar: Bei der Nach-
                                            wuchsförderung sind Behörden und
                                                                                                         Erarbeitung der Strategie
                                                                                                       den Kontakt zur Basis nicht.»
    sein»                                   Schulleitung gleichermassen gefragt.

                                                                   8
Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019                                                                                                    FOKUS

thie und Entscheidungen von der Schul-                                                     Pult voller Arbeit ist.» Für ihre 30 Jahre
leiterin. Walzthöny vereinbart eine wei-                 «Unsere Schule ist                wirkt Walzthöny abgeklärt, dabei war
tere Aussprache, macht sich nach der                                                       genau ihr Alter bei der Stellensuche
                                                      sehr heterogen und hat
Besprechung am Computer einige No-                                                         eine Schwierigkeit. «Ich bekam zwei
                                                         einen relativ hohen
tizen. «Ich muss mich in diesem Job sehr                                                   Absagen mit der Begründung, ich hätte
schnell auf verschiedene Situationen                 Ausländeranteil. Ich will,            zu wenig Erfahrung.» Tatsächlich ge-
und Personen einstellen können. Lehr-                  dass diese Vielfalt als             hört Walzthöny in ihrem Beruf gleich im
personen, Schüler, Eltern, Behörde – ich            Chance begriffen wird, um              doppelten Sinn zu einer Randgruppe:
muss ihre Anliegen erkennen und umge-                voneinander zu lernen.»               Laut der Umfrage 2019 des Verbandes
kehrt die richtigen Worte finden, damit                                                    der Schulleiterinnen und Schulleiter
meine Botschaft ankommt.» Genau diese                                                      Schweiz (VSLCH) sind nur gerade
Vielseitigkeit und die Arbeit mit verschie-                                                zehn Prozent der Schulleitungen jünger
densten Menschen seien es, die den Beruf spannend machen.            als 40 Jahre. Zudem sind bei den Vollzeitstellen 62 Prozent
«Das heisst aber auch, dass sehr viele Anliegen zu mir kom-          Männer beschäftigt. «Natürlich ist es etwas speziell, wenn ich
men. Ich bin immer mit einem Notizblock unterwegs oder ma-           einer Lehrperson, die 15 Jahre mehr Berufserfahrung hat als
che mir digitale Erinnerungen.» So schaut Walzthöny während          ich, Tipps für ihren Unterricht gebe. Als Frau habe ich mich
des Gesprächs hin und wieder auf ihr Smartphone. Ihre private
Handynummer steht auf der Visitenkarte der Schulleiterin. «Ich
konnte auswählen, ob ich eine zweite Nummer haben will, dies
habe ich aber abgelehnt. Für mich ist es wichtig, dass ich schnell
informiert bin, wenn etwas läuft», sagt sie.

«Wer nicht abschalten kann, bekommt Probleme»
                                                                                                                     Die S chulle
Wichtig sei – gerade wenn ihre private Nummer bekannt ist –                                                                         itungsfunkt
                                                                                                                                                  ion im Thur
                                                                                                                                                                gau
im Privatleben von der Schule abzuschalten. «Wer das nicht
kann, der bekommt als Schulleiterin oder Schulleiter früher
oder später Probleme», sagt Walzthöny. Wichtig sei für sie                                Geduld, G
zum Abschalten Ausdauersport. «Vor allem braucht es aber                                            elassenhe
                                                                                          helfen da            it und Hum
Selbstdisziplin, um die nötige innere Distanz zu schaffen.»                                        bei, im ko             or
                                                                                          System d            m plexen
Manchmal geht Walzthöny über Mittag ins Frauenfelder Hal-                                          er Schule
lenbad und schwimmt ihre Bahnen. «So etwas muss ich mir                                                      zu besteh
                                                                                                                       en .
fix vornehmen, und dann einfach gehen – auch wenn mein

Bildung eines Schulteams mit gleichen        den Weiterbildungen der Lehrpersonen           antwortlich. In Frauenfeld beispiels-
Zielen. Dieses entwickelt sich durch         durchzuführen, braucht es klare Ziele,         weise ist die Zahl der Schülerinnen
gemeinsame Werte und pädagogische            eine gute Organisation und auch Moti-          und Schüler seit 2012 um knapp 15
Konzepte. So müssen Lehrpersonen             vation. Die Schulleitung stellt auch den       Prozent gestiegen. Angesichts die-
nicht als Einzelkämpfer auftreten. Wenn      Dialog über den Lehrplan 21 sicher.            ser Entwicklung braucht die Schul-
die Schule als Einheit kommuniziert, wird                                                   raumplanung viel Voraussicht. Die
zudem die Zusammenarbeit mit Schüle-         Wie würden sie die                             Schulleitung setzt operativ um, was
rinnen und Schüler und Eltern einfacher.     Kernaufgabe der Schulbehörde                   die Schulbehörde festlegt. Über-
                                             und entsprechend jene der Schul-               schneidungen gibt es vor allem im
Welche Herausforderungen haben               leitung beschreiben? Wo gibt                   Bereich Personal. Als Behörde sind
die Arbeit der Schulleitung in den           es Überschneidungen?                           wir formal zuständig für Anstellungen
letzten Jahren geprägt?                      Die Schulbehörde legt kurz- und langfris-      und Entlassungen. Die Personalaus-
Die Einführung des Lehrplanes 21 war         tige Ziele fest, dies in Zusammenarbeit        wahl erfolgt daher in enger Zusam-
und ist ein zentrales Projekt. Dessen        mit der Schulleitung, und sie überprüft        menarbeit mit der Schulleitung.
Umsetzung wäre ohne die Schulleitung         die Zielerreichung. Sie ist für die Schul-
schwierig gewesen. Um die entsprechen-       raumplanung und die Bauvorhaben ver-           weiter auf der nächsten Seite ›

                                                                 9
FOKUS                                                                                                              Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

                                                          urgau
                                       sfunk tion im Th
                    Die Schulleitung

                                ng kann
                 als Schulleitu
Die Tätigkeit                  n
                                                                    zu hundert Prozent und ist für 35 Lehrpersonen sowie zehn Be-
                 st von lokale                                      treuerinnen des Tagesschulangebotes verantwortlich. «Zentral
nicht losgelö                    werden.
   so n d e rhe ite n betrachtet                                    ist bei dieser Grösse, dass alle das gemeinsame Ziel kennen, da
Be                                                                  ich ja nicht mit jedem und jeder täglich sprechen kann.» Nach
                                                                    diesem Ziel gefragt, sagt sie: «Das Miteinander ist mir sehr
                                                                    wichtig.» Sowohl im Team als auch in der gesamten Schulan-
                                                                    lage. Diese ist relativ weitläufig: Zwei Schulhäuser, zwei Kin-
                                                                    dergärten sowie ein Tagesschulangebot befinden sich darauf.
                                                                                          Entsprechend verteilt sind Lehrpersonen,
  jedoch nie diskriminiert gefühlt», sagt                                                 Schülerinnen und Schüler im Alltag. Der
  sie. Sowieso sei sie sich ein Männer-             «Lehrpersonen, Schüler,               sportliche Begegnungsmorgen sei einer
  umfeld gewöhnt: Walzthöny hat frei-                                                     dieser seltenen Momente, an denen alle
                                                   Eltern, Behörde – ich muss
  willigen Militärdienst bei den Tambou-                                                  Personen, die das Langdorf beleben, an
  ren geleistet, das Instrument ziert             ihre Anliegen erkennen und              einem Ort versammelt sind. So hat Walzt-
  noch immer den Sperrbildschirm ihres              umgekehrt die richtigen               höny an diesem Morgen die Gelegenheit
  Smartphones.                                     Worte finden, damit meine              ergriffen und eine kurze Rede gehalten.
                                                      Botschaft ankommt.»                 Diese richtete sich vor allem an die Pri-
  «Alle müssen das Ziel kennen»                                                           marschülerinnen und -schüler und erklärte
  Nach insgesamt sechs Jahren als Se-                                                     mittels einer kurzen Geschichte, wie Be-
  kundarlehrerin in Weinfelden absol-                                                     wegung beim Lernen helfen kann. Der
  vierte Walzthöny die Schulleitungsausbildung des Netzwerkes       Hintergrund davon: Im Schulhaus läuft gerade die VCS-Aktion
  Schulführung. Dann ergab sich im Schuljahr 2018/2019 die          «Walk to school» mit dem Ziel, dass der Schulweg zu Fuss zu-
  Gelegenheit, im Langdorf im Jobsharing mit einem 30 Prozent-      rückgelegt wird. Ins Langdorf kommen Schüler aus den pri-
  Pensum einzusteigen. Walzthöny teilte sich die Stelle mit Beat    vilegierten Wohnquartieren auf den Frauenfelder Hügeln und
  Goldinger, der mit seiner Einzelfirma vakante Schulleitungsstel-  Wohnquartieren, die von Mehrfamilienhäusern geprägt sind,
  len vorübergehend besetzt. «Von ihm als erfahrenen Schulleiter    zusammen. «Unsere Schule ist darum sehr heterogen und hat
  konnte ich viel lernen, so gesehen war dieses Jahr der ideale     einen relativ hohen Ausländeranteil. Ich will, dass diese Vielfalt
  Einstieg in den Job.» Seit 2019/2020 führt sie nun die Schule     als Chance begriffen wird, um voneinander zu lernen», sagt sie.

      Sie haben die Zusammenarbeit                           Die Aufgaben der Basis wurden im              Anpassungen. Für die Thurgauer Schul-
      angesprochen. Wie funktioniert                         soeben veröffentlichten Berufsleit-           gemeinden ist dies von Vorteil, weil sie
      diese in Frauenfeld, wo in                             bild der Thurgauer Schulleitungen             sehr unterschiedlich aufgestellt sind.
      der Primarschule sechs Schul-                          festgehalten. Wie sehen Sie die
      leitungen beschäftigt sind?                            Bedeutung dieses Leitbildes?                  Die Frauenfelder Schulgemeinde
      Eine Vertretung der Schulleitungen                     Es schafft Klarheit über das Kernge-          ist in ein städtisches Umfeld mit
      sitzt in der strategischen Kommis-                     schäft der Schulleitung und schützt diese     wachsenden Schülerzahlen einge-
      sion der Behörde. Das ist deshalb                      so vor Überlastung. Auch die Schulbe-         bettet. Was sind hier die Beson-
      wichtig, weil wir die Ansichten und                    hörde profitiert. Sie kann bei zusätzlichen   derheiten für die Schulleitung?
      Ideen der Personen, die an der Front                   Aufgaben anhand des Leitbildes definie-       Ein Vorteil ist, dass sich die Schullei-
      arbeiten, bei Entscheiden einbezie-                    ren, ob die Schulleitung diese überneh-       tungen über spezifische, lokale Fragen
      hen wollen. So verlieren wir bei der                   men kann und welche Aufstockung der           und Aufgaben untereinander austau-
      Erarbeitung der Strategie den Kon-                     Stellenprozente das allenfalls zur Folge      schen und aufteilen können. Das ist für
      takt zur Basis nicht.                                  hat. Das Leitbild ermöglicht individuelle     eine einzelne Schulleitung in einer klei-

                                                                                 10
Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019                                                                                                         FOKUS

Digitaler Unterricht im Fokus
Später steht ein Unterrichtsbesuch auf dem Programm. Auf
dem Weg dorthin füllen die Schülerinnen und Schüler auf dem
Weg zurück von der Pause die Schulhausgänge mit Lachen
und Rufen, einige rennen. «Ich habe mir auch schon überlegt,
ob ich gegen diesen Lärm etwas unternehmen will. Aber ab
und zu muss man pragmatisch sein: Die ständige Kontrolle
solcher Regeln würde einen massiven Aufwand bedeuten.»
Die Sechstklässler an diesem Morgen begrüssen die Schul-
leiterin mit «Grüezi Frau Walzthöny» im Chor, danach richtet
sich ihre Aufmerksamkeit auf einen Menschen aus Karton,
an dem die Lehrerin die Lage und Funktion verschiedener                 Isabella Walzthöny während
                                                                                                     eine s Unterrichtsbesuche
Organe erklärt.                                                                                                                  s im Klassenzimmer.

Walzthöny hat sich eine Liste der Schülerinnen und Schüler
inklusive Fotos besorgt («Ich kann die meisten Schülerinnen           Das Bauchgefühl nicht vergessen
und Schüler zuordnen, alle Namen kann ich mir aber nicht              Zurück im Büro sinniert Walzthöny über ihren Beruf, bei dem
merken»), sitzt im hinteren Bereich des Klassenzimmers mit            sie täglich dazulerne und es nie langweilig werde. «Natürlich
ihrem Laptop. In einem Gespräch wird sie der Lehrerin später          gibt es gerade auch unter Lehrpersonen Vorurteile über den
rückmelden, was ihr am Unterricht gefallen hat und wo sie             Beruf – etwa, dass man kein Privatleben mehr habe und mit
noch Entwicklungspotential sieht. «Die Personalführung ist            administrativen Arbeiten zugedeckt sei.» Auch sie sei nicht ge-
eine der schönsten Seiten des Berufs», sagt Walzthöny dazu.           rade enthusiastisch beim Erledigen von administrativen Arbei-
Nach der Unterrichtsstunde, in der mit Kartonmodellen, Lück-          ten, «aber ich mache sie dennoch genau, weil es wichtig ist, gut
entexten und Kreide gearbeitet wurde, sagt sie: «Solche Be-           dokumentiert zu sein». Daneben müsse man als Schulleitung
suche zeigen mir: Wir haben zwar das Material für das digitale        bei aller Planung und Organisation auch das Bauchgefühl nicht
Klassenzimmer, gleichzeitig wird es noch nicht oft angewen-           vergessen. «Eine zentrale Fähigkeit ist es, im dichten Alltag zu
det. Wir brauchen in diesem Bereich noch Weiterbildungen              erkennen, was wichtig ist – und diese Punkte dann zu bear-
für die Lehrpersonen.»                                                beiten und dabei nicht allzu perfektionistisch sein zu wollen.»  ¡

nen Schulgemeinde weniger gut möglich.      Das Berufsleitbild wurde auch                       schaft üblich zuerst erkannt, ange-
Zudem übernimmt die professionell or-       erarbeitet, um den Nachwuchs in                     sprochen und gefördert werden.
ganisierte Schulverwaltung viele für alle   der Schulleitung sicherzustellen.                   Schulbehörden und Schulleitungen
anfallende Aufgaben. Weil es mehrere        Wo sehen Sie bei diesem Thema                       sind darum in der Pflicht, auf geeig-
Schulleitungen sind, bedeutet das ande-     Handlungsbedarf?                                    nete Lehrpersonen zuzugehen. Gute
rerseits, dass die einzelne Schulleitung    Dass der Nachwuchs je nach Schulge-                 Schulleitungen generieren diesen
sich an der gemeindeinternen «Leitlinie»    meinde knapp ist, ist auch ein grund-               Nachwuchs einfacher, da sie ihrem
auszurichten hat. Schulleitungen in klei-   sätzliches Problem: So bildet die Päda-             Team durch ihr eigenes Beispiel zei-
nen Schulgemeinden haben da mehr            gogische Hochschule Thurgau ständig                 gen, dass sie einen attraktiven und
Freiheiten, müssen allerdings auch sehr     neue Lehrpersonen für den Arbeitsmarkt              spannenden Beruf ausüben. ¡
viele Aufgaben übernehmen. Es ist letzt-    aus, bei den Schulleitungen hingegen
lich eine Frage der Persönlichkeit und      gibt es dieses von selbst laufende Sys-
der eigenen Zielsetzung, welche Struk-      tem nicht. Für die Schulleitung geeignete
turen eine Schulleitung bevorzugt.          Personen müssen wie in der Privatwirt-              Interview: Urs-Peter Zwingli

                                                                 11
FOKUS                                                                                                   Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

THEMA

Was es
bedeutet, in der
Schulleitung zu
                                                                       Aller Anfang ist ein Workshop
                                                                       März 2017: Rund dreissig Lehrerpersonen, Schulleiterinnen
                                                                       und Schulleiter, Behördenmitglieder und Fachleute aus Hoch-

arbeiten                                                               schule und Verwaltung treffen sich in einem Hörsaal am Rand
                                                                       des Campus der Pädagogischen Hochschule in Kreuzlingen.
                                                                       Anhand der vier Themenfelder «Berufsbild», «Anstellung», «Re-
                                                                       krutierung» und «Aus- und Weiterbildung» versuchen sie eine
Die Thurgauer Bildungsverbände, die PHTG und                           Diagnose des Schulleitungsberufs. Die Welt wird dabei nicht
das AV haben ein gemeinsames Positionspapier                           neu erfunden: «Flexibilisierung der Aus- und Weiterbildung»,
«Schulleitungsberuf im Thurgau» verfasst. Einblicke                    «Klare Anstellungsbedingungen», «Stärkung der Rekrutierung
                                                                       in der Personalarbeit vor Ort», «Teilzeitmodelle fördern» – das
in die Entstehungsgeschichte und den Inhalt der                        sind alles keine revolutionären Forderungen. Und sie betreffen
Berufsvorstellungen.                                                   Themen, bei denen dem Kanton, der PH sowie den Berufs-
                                                                       verbänden aufgrund übergeordneter Rahmenbedingungen und
Text: Heinrich Christ, AV
                                                                       finanzielle Realitäten die Hände eng gebunden sind.

                                                                       Gemeinsame Vorstellungen als «missing link»

H      aben wir ein Problem mit dem Schulleitungsberuf? Nein,
       meinen die einen: Die Schulleitungen (SL) im Thurgau
sind gut etabliert, die nötigen Stellen sind besetzt. Und immer
                                                                       Wegweisend wurde aber die These, dass die Probleme weni-
                                                                       ger in den «hard facts» wie Lohn, Pensum oder Organisation
                                                                       der Ausbildung liegen, als in fehlenden gemeinsamen «Be-
wieder entscheiden sich motivierte junge Kolleginnen und Kol-          rufsvorstellungen». Es fehlen also Antworten auf die Fragen,
legen für die SL-Ausbildung. Ja, tönt es von anderer Seite: Das        was eine Schulleitung überhaupt ausmacht, welches ihre Kern-
Interesse an der SL-Ausbildung schwanke, die Schulgemein-              aufgaben sind und weshalb es Schulleitungen braucht. Deren
den könnten ihre Schulleitungsstellen zwar besetzen, hätten            Klärung – so die Vermutung – könnte sich positiv auf alle oben
aber nicht immer genügend Auswahl. Im Sinn von «Vorsicht               erwähnten Handlungsfelder (Berufsbild, Aus- und Weiterbil-
ist besser als Nachsicht» nahm der Regierungsrat das Thema             dung, Anstellungsbedingungen, Rekrutierung) auswirken. Eine
2016 in seine Legislaturziele auf und forderte darin, die Ar-          Arbeitsgruppe mit Vertretungen aller Bildungspartner erhielt
beitssituation für Schulleitungen und die Attraktivität des Be-        entsprechend den Auftrag, «Berufsvorstellungen» zu Papier zu
rufes zu optimieren. Gemeinsam nahmen sich Bildungsver-                bringen. Das Ergebnis liegt nun als sechsseitiges Dokument
bände, PHTG und AV dieser Aufgabe an.                                  «Schulleitungsfunktion Thurgau» vor.

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   Wild auf Wald
    bis 29. März 2020
    Naturmuseum Thurgau / Frauenfeld
    Di–Fr 14–17 Uhr / Sa–So 13–17 Uhr
    naturmuseum.tg.ch

                                                                  12
Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019                                                                                         FOKUS

Über Leitung sprechen
Der erste Abschnitt wirft die grundsätzlichen Fragen auf: Was       unterscheidet sich von Ort zu Ort. Genauso wie auch andere
waren und sind die Ziele der Geleiteten Schule? Welche Rolle        lokale Begebenheiten das effektive Bild der rund 140 Schullei-
haben Schulleitungen in unserem System der Teilautonomen            tungen und 84 Schulgemeinden im Kanton beeinflussen. Die
Schulen? Was macht Führen im Schulumfeld aus? Diese Fragen          Definition eines passenden Stellenprofils muss entsprechend
bereiten auf den zweiten Abschnitt, das eigentliche Berufsbild      vor Ort erfolgen.
vor. Natürlich waren sich die Autorinnen und Autoren bewusst,
dass es den oder die prototypische Schulleitung nicht gibt. Trotz-  Vom Berufsbild zum Stellenprofil
dem versuchen sie, ein Bild zu skizzieren. Die Schulleitung erhielt Grundlage dafür bilden die Empfehlung für einen Grundauftrag
dafür eine Persönlichkeit (positives Menschenbild, die Freude, zu   im dritten Teil: Die Empfehlungen unterscheiden zwischen The-
führen, Belastbarkeit usw.), pädagogische                                                   men und Aufgaben, die in den Grundauf-
Erfahrung und eine solide Ausbildung. So                                                    trag gehören und grundsätzlich im Rah-
ausgestattet kann sie mit ihrem umfas-                                                      men des Mindestpensums gemäss § 19
senden gesetzlichen Auftrag mit den drei              «Wegweisend wurde die                 Volksschulverordnung geleistet werden
Hauptgebieten pädagogische Führung,                  These, dass die Probleme               sollen und möglichen Zusatzaufträgen,
personelle Führung, administrativ-organi-            weniger in den ‹hard facts›            die zusätzlich vergütet oder entlastet wer-
satorische Führung konfrontiert werden.                   wie Lohn, Pensum                  den (z.B. Betreuung von Bauprojekten
                                                                                            oder Leitung von Tagestrukturen). Diese
                                                        oder Organisation der
Beziehungen im Vordergrund                                                                  Aufstellung ist wie das ganze Dokument
                                                      Ausbildung liegen, als in
Wie kommt man dieser komplexen Füh-                                                         nicht als abschliessend oder absolut zu
rungsaufgabe nach? Die Autorinnen und                 fehlenden gemeinsamen                 verstehen, sondern als Empfehlung. Das
Autoren waren sich schnell einig, dass                  Berufsvorstellungen.»               Dokument soll helfen, über das Thema
gute Führung – nicht nur im Schulumfeld –                                                   Schulleitung ins Gespräch zu kommen.
auf Menschen bezogen ist. Letztlich ste-                                                    Wenn es dazu beiträgt, lokale Stellen-
hen die Beziehungen zwischen den Men-                                                       profile auszuhandeln, Kolleginnen und
schen in einer Organisation im Vordergrund. Eine Herausforde-       Kollegen für den Schulleitungsberuf zu motivieren und Diskus-
rung ist die Verortung der Schulleitung zwischen operativer und     sionen um die Zukunft dieses vielseitigen Berufs anzuregen –
strategischer Ebene. Wie diese Schnittstelle genau gestaltet ist,   dann hat es schon viel erreicht.  ¡

                                                                          Download
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                                                                          av.tg.ch

                                                                  13
FOKUS                                                                                                      Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

THEMA

Wenn der                                                                 Zusätzlich zum Leitbild fordere der VTGS seine Mitglieder dazu
                                                                         auf, sich in der Rekrutierung neuer Schulleitungen zu enga-

Private Banker                                                           gieren. «Die Förderung und Weiterbildung geeigneter Lehr-
                                                                         personen ist eine ständige Aufgabe aller Schulleitungen und

Schulleiter
                                                                         Schulbehörden.» Es gelte dabei, viele Gespräche zu führen und
                                                                         Lehrpersonen mit Potential immer wieder anzusprechen. «Es
                                                                         kann eine gewisse Zeit dauern, bis sich eine geeignete Lehrper-

werden will                                                              son für die Ausbildung zur Schulleitung entscheidet.»

                                                                         Bereits im Juni 2018 empfahl der VTGS in seiner Verbandszeit-
                                                                         schrift «Zytpunkt» auch konkrete Möglichkeiten, wie angehende
Schulleitungsnachwuchs ist gefragt. Die                                  Schulleitungen unterstützt werden können: Dazu gehören etwa
Thurgauer Schulgemeinden setzen darum auf eine                           die Zuteilung eines Mentors sowie eine Kostenbeteiligung an
verstärkte Nachwuchsförderung. Parallel dazu                             der Ausbildung.

werden Quereinsteigende im Beruf ein Thema.                            Schulleitung gestaltet die Schule
                                                                       Aktuell sei es tatsächlich nicht einfach, freie Schulleitungsstellen
Text: Urs-Peter Zwingli                                                zu besetzen, bestätigt Leuenberger die Momentaufnahme der
                                                                       VSLCH-Umfrage. Die Gründe dafür seien vielfältig: Einerseits

D      en Schweizer Schulleiterinnen und Schulleitern steht ein
       Umbruch bevor: Laut der Umfrage 2019 des Berufsver-
bandes VSLCH sind 20 Prozent der Schulleitungen über 59
                                                                       sei die Nachwuchsförderung bisher nicht systematisch betrieben
                                                                       worden. Andererseits liessen sich immer wieder Lehrpersonen
                                                                       zur Schulleitung ausbilden, die den Beruf nach wenigen Jahren
Jahre altEinige Schulgemeinden spüren bereits, dass das An-            wieder verlassen. «Eine Schule zu leiten ist eine sehr interes-
gebot auf dem Markt knapper wird: In der VSLCH-Umfrage                 sante, aber auch anspruchsvolle Aufgabe», sagt Leuenberger.
gaben 60 Prozent der Teilnehmer an, sie hätten zunehmend               Nicht jede gute Lehrperson sei automatisch dazu befähigt, in der
Mühe, freie Schulleitungsstellen zu besetzen. Einzelne Kantone         Schulleitung zu arbeiten. «Man ist in einer Führungsposition, muss
wie Glarus und Bern würden wegen steigender Schülerzahlen              verschiedene Anliegen einbinden und viele Entscheidungen fäl-
sowie anstehender «Pensionierungswel-                                                          len. Die Führung von Menschen muss
len» sogar auf einen grossen Mangel hin-                                                       ein Stück weit auch eine Berufung sein.»
steuern, schreibt der Verband Schulleite-                                                      Wer im Beruf am richtigen Ort sei, habe
rinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH)               «Unsere Hoffnung ist,                     aber viel Einfluss auf die Gestaltung der
in einer Medienmitteilung. Gleichzeitig             dass die Schulleitungen                    Schule. «Die Schulleitung nimmt in der
gebe es grosse Unterschiede zwischen              dank des neuen Leitbildes                    Entwicklung von Unterrichtsmethoden
den Kantonen. So zeigt die Umfrage                                                             im Rahmen des Lehrplans 21 eine ent-
                                                   grundsätzlich eine höhere
auch, dass schweizweit 66 Prozent der                                                          scheidende Rolle ein.»
                                                  Berufszufriedenheit haben.»
Schulleitungen seit Beginn ihrer Tätig-
keit nie die Stelle gewechselt haben.               Heinz Leuenberger, Präsident VTGS          Mehr Quereinsteigende?
                                                                                               In Zeiten, in denen Schulleitungsnach-
Schulgemeinden in der Pflicht                                                                  wuchs gefragt ist, werden auch Querein-
Im Thurgau konnten auf das Schuljahr                                                           steigende wieder häufiger zum Thema:
2019/2020 alle Schulleitungsstellen besetzt werden. Um den             Schulleitungen also, die keinen Hintergrund als Lehrpersonen
Schulleitungsnachwuchs langfristig zu sichern, haben ver-              haben, dafür aber Führungserfahrung aus der Wirtschaft oder
schiedene Akteure der Volksschule gemeinsam Massnahmen                 Verwaltung mitbringen. «Der VTGS-Vorstand ist geteilter Mei-
ergriffen: Im November wurde ein Berufsleitbild veröffentlicht,        nung über Quereinsteigende», sagt Leuenberger. «Ich persönlich
das von allen Bildungsverbänden, der Pädagogischen Hoch-               würde es begrüssen, wenn mehr Externe die Ausbildung zur
schule sowie dem Amt für Volksschule erarbeitet wurde (mehr            Schulleitung machen. Man muss nicht zwingend eine Lehrper-
dazu auf Seite 12 und 13). «Das Berufsleitbild schärft das             son sein, um in der Schulleitung arbeiten zu können.» Natürlich,
Stellenprofil der Schulleitungen, ihr Grundauftrag ist jetzt klar      fügt er an, müssten Quereinsteigende das nötige pädagogische
definiert», sagt Heinz Leuenberger, Präsident des Verbandes            Wissen nachholen. Quereinsteigende in der Schulleitung sind im
Thurgauer Schulgemeinden (VTGS). «Unsere Hoffnung ist,                 Thurgau grundsätzlich möglich, die Rahmenbedingungen dafür
dass die Schulleitungen damit grundsätzlich eine höhere Be-            sind relativ eng definiert: Laut der Verordnung über die Volks-
rufszufriedenheit haben und länger an einer Stelle bleiben.»           schule müssen Quereinsteigende einen Hochschulabschluss,
Dies, weil das Leitbild darstelle, welche Aufgaben als Zusatz          Führungserfahrung sowie «mehrjährige Erfahrung mit Bezug
zum Grundauftrag gezählt und entsprechend mit einem hö-                zum schweizerischen Bildungswesen» vorweisen. Auch der Zu-
heren Pensum ausgeglichen werden sollen.                               gang zur Schulleitungsausbildung etwa an der PHTG ist gemäss

                                                                    14
Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019                                                                                       FOKUS

EDK in der Regel ein Lehrdiplom sowie mindestens fünf Jahre        «Wer zum CAS zugelassen werden will, muss eine mehrjährige
Unterrichtserfahrung geknüpft. Wer über eine Schulleitungs-        Affinität zur Bildungslandschaft Schweiz belegen.» Viele Interes-
stelle verfügt, wird auch zur Ausbildung zugelassen, falls er eine senten seien etwa in Schulbehörden engagiert oder hätten im
der genannten Bedingungen nicht erfüllen kann – erhält dann        bisherigen Beruf Berührungspunkte mit der Schule gehabt. Weil
allerdings nur eine Kursbescheinigung ohne EDK-Anerkennung.        Führungserfahrung ein zwingender Zulassungsgrund ist, wird im
                                                                                           CAS FESL der Fokus auf pädagogisch-
Eine Ausbildung extra für                                                                  psychologische Themen und schulische
Quereinsteigende                                                                           Aspekte gelegt. Personalführung wird
Allerdings gibt es für Quereinsteigende         «Wir hatten immer wieder                   hingegen eher am Rand thematisiert.
ohne Lehrdiplom alternative Ausbildungs-              Anfragen für die
angebote: Die Pädagogische Hochschule            Schulleitungsausbildung                   Lanz betont: «Die Ausbildung ist keine
Luzern (PHLU) führt aktuell bereits zum       von Personen, die Führungs-                  Garantie, dass die Absolvierenden den
fünften Mal den CAS «Mit Führungser-                                                       Einstieg in die Schulleitung schaffen.»
                                               erfahrung aus Unternehmen
fahrung eine Schule leiten» (FESL) durch.                                                  Der erwähnte Private Banker werde es
«Wir hatten immer wieder Anfragen für die           und NGOs aber kein                     schwieriger haben als etwa Juristen oder
Schulleitungsausbildung von Personen,            Lehrdiplom mitbringen.»                   Sozialpädagogen, die zuvor bereits mit
die Führungserfahrung aus Unternehmen                  Caroline Lanz, PHLU                 Kindern und Jugendlichen gearbeitet ha-
und NGOs aber kein Lehrdiplom mitbrin-                                                     ben. «Die öffentliche Akzeptanz für Quer-
gen. Das hat uns auf die Einführung eines                                                  einsteigende ist noch immer eher tief. Der
speziellen CAS gebracht», sagt die Studi-                                                  CAS hat gerade am Anfang viel Skepsis
engangsleiterin Caroline Lanz, die an der PHLU die Abteilung       geweckt.» Mit steigendem Bedarf an Schulleitungen steige al-
Schulleitung und Schulentwicklung verantwortet. Die Querein-       lerdings auch die Akzeptanz. So würden jährlich mehrere FESL-
steigenden kämen aus verschiedensten Berufsfeldern: Darun-         Absolventinnen und –Absolventen eine Stelle in der Schulleitung
ter sind Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Juristinnen       finden. Sie sei überzeugt, dass Schulen von externen Kompe-
und Juristen, aber auch ein Private Banker oder ein Ingenieur      tenzen profitieren können. «Gerade für grosse und komplexe
aus dem Flugzeugbau sei unter den bisher 79 Absolventinnen         Schuleinheiten können Erfahrungen, die beispielsweise ein Ma-
und Absolventen. Führungserfahrung allein genügt aber nicht:       nager einer mittelgrossen Firma mitbringt, ein Gewinn sein.»  ¡

                                                                     15
FOKUS                                                                                                    Schulblatt Thurgau 6 | Dezember 2019

HINTERGRUND

Schulleitungen                                                          personen entsprechende Aussagen in ihren Befragungen. Die
                                                                        Lehrpersonen orteten jedoch durchgehend weniger Verbesse-

schätzen                                                                rungsbedarf als die Schulleitungen. Die dargestellten Auswer-
                                                                        tungen deuten darauf hin, dass an der Thurgauer Volksschule

ihre Schulen
                                                                        noch keine flächendeckende Kultur der systematischen Si-
                                                                        cherung der Schul- und Unterrichtsqualität besteht, die die
                                                                        Perspektive von Eltern sowie Kindern beziehungsweise Ju-

treffend ein                                                            gendlichen miteinbezieht. Ein grosser Teil der Schulleitungen
                                                                        erkennt entsprechenden Verbesserungsbedarf.

                                                                        Vergleiche unterschiedlicher Stufen
Resultate von schriftlichen Befragungen zeigen,                         Erwähnenswert sind ferner einzelne Vergleiche zwischen
dass die Schulleitungen Aussagen zu ihrer Schule                        verschiedenen Gruppen von Schulleitungen. Wider Erwarten
sehr ähnlich einschätzen wie Lehrpersonen, Eltern                       kaum Mittelwertsunterschiede zeigen die Einschätzungen
                                                                        von Schulleitungen mit zwanzig und weniger unterstellten
oder Schülerinnen und Schüler.                                          Lehrpersonen gegenüber denjenigen von Schulleitungen mit
                                                                        grösserer Führungsspanne. Jedoch unterscheiden sich Ein-
Text: Patrick Bachmann & Patrick Steffen, Schulevaluation AV            schätzungen von Schulleitungen der Primarschule von sol-
                                                                        chen der Sekundarschule. Mittelwerte der Einschätzungen

D      ie Fachstelle Schulevaluation befragt verschiedene An-
       spruchsgruppen der Thurgauer Volksschule zu schulischen
Themen (siehe Textbox). Ein Überblick über die Auswertungen
                                                                        von Primarschulleitungen sind häufig kritischer als solche der
                                                                        Sekundarschulleitungen. Die bereits erwähnte Aussage zum
                                                                        Einholen von Rückmeldungen bei Kindern beziehungsweise
zeigt, dass die Schulleitungen ihre Schulen weitgehend ähnlich          Jugendlichen durch die Lehrpersonen veranschaulicht diese
einschätzen wie die Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie              Tendenz.
Lehrpersonen. So zogen beispielsweise alle Befragtengruppen
eine positive Gesamtbilanz über ihre Schule: Schulleitungen und         Datenbasierte Erkenntnisse für Politik und Öffentlichkeit
Lehrpersonen bewerteten die Aussage «Alles in allem haben wir           Die anonymisierten Erkenntnisse aus Befragungen und Schwer-
eine sehr gute Schule» mit fast deckungsgleichem und hohem              punkte aus Rückmeldungen an die Schulen bilden das Rückgrat
Mittelwert. Kinder und Jugendliche sowie Eltern beurteilten             für das Steuerungswissen zur Schul- und Unterrichtsqualität,
diese Aussage zwar leicht kritischer, aber dennoch mit gutem            das die Fachstelle Schulevaluation dem Amt für Volksschule so-
Mittelwert. Übereinstimmend gute Mittelwerte zwischen Schul-            wie dem Departement für Erziehung und Kultur zur Verfügung
leitungen, Lehrpersonen und Eltern zeigten sich auch in ande-           stellt. Das Steuerungswissen soll eine Übersicht über die kan-
ren für den Schulalltag wesentlichen Belangen. Diese umfassen           tonale Bildungslandschaft und damit die Rechenschaftslegung
beispielsweise Aussagen dazu, ob an der Schule die Eltern als           des Schulträgers Kanton gegenüber Politik und Öffentlichkeit
wichtige Schulpartner wahrgenommen würden, ob Schulleitung              gewährleisten. Darüber hinaus dient es der datengestützten
und Kollegium stetig daran seien, ihre pädagogischen Grund-             Gestaltung der Bildungspolitik.  ¡
sätze im Alltag umzusetzen, oder ob klar festgelegt sei, wie bei
Verstössen gegen Schulregeln vorzugehen ist.

Kritischer Blick auf die Rückmeldungskultur
Andere Aussagen schätzten die verschiedenen Befragten-                      Befragungen zur Schul- und Unterrichtsqualität
gruppen übereinstimmend kritisch ein. So wies die Auswer-                   Die Fachstelle Schulevaluation gibt den Thurgauer Volks-
tung der Schulleitungsbefragungen bemerkenswert tiefe                       schulen regelmässig Rückmeldungen zur Schul- und
Mittelwerte und eine breite Streuung über sämtliche Antwort-                Unterrichtsqualität. Diese beruhen auf Einschätzungen,
möglichkeiten etwa bei der Aussage aus, ob an der Schule                    die Schülerinnen und Schüler ab der Mittelstufe, Eltern,
gezielt Rückmeldungen zur Schulqualität bei Eltern eingeholt                Lehrpersonen, Schulleitungen und Schulbehörden und
würden. Knapp die Hälfte der Schulleitungen ortete Verbes-                  allenfalls weitere Befragte zurückmelden. Seit 2014
serungsbedarf. Noch kritischer bewerteten insbesondere                      verwendet die Fachstelle Fragebogen, die standardi-
die Schulleitungen von Primarschulen, ob die Lehrpersonen                   siert und statistisch überprüft sind. Einzelne Aussagen
regelmässig Rückmeldungen zur Unterrichtsqualität durch                     zur Schul- und Unterrichtsqualität stimmen darin bei
systematische Befragungen bei Schülerinnen und Schülern                     den unterschiedlichen Befragtengruppen inhaltlich
einholen würden. Rund zwei Drittel der Schulleitungen aller                 überein. Dies erlaubt, die verschiedenen Perspektiven
Stufen vermerkten bei dieser Aussage Verbesserungsbedarf.                   zu vergleichen sowie Gemeinsamkeiten und Unter-
Mit kritischen Einschätzungen bewerteten auch die Eltern, die               schiede einander gegenüberzustellen.
Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule und die Lehr-

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