Generationen - DAS MAGAZIN DER KATH. PFARREI ST. LIUDGER MÜNSTER-WEST - St. Liudger in Münster
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„In den Kindern erlebt man sein eigenes Leben noch einmal, Vorwort und erst jetzt versteht man es ganz.“ Søren Kierkegaard (1813–1855) Liebe Leserinnen und Leser! vor kurzem durfte ich einen Mann beer- Dass es nicht nur den großen Generatio- digen, der am Beginn seines 100. Lebens- nenvertrag der Bundesrepublik gibt, auf jahres verstorben war. Der Bogen seines dem unser Rentensystem aufbaut, son- ungewöhnlich langen Lebens spannte dern viele kleine und größere Beispiele sich also auf zwischen einer Zeit, in der des gelungenen Miteinanders der ver- in Deutschland so gerade der letzte Kai- schiedenen Lebensalter, hier in unserem ser abgedankt hatte, und einer Zeit, in der Lebensraum in Münsters Westen, ist das durch gezielten Einsatz von sozialen Me- Thema dieser Ausgabe von „Lebendig“. dien im Internet Diktaturen ins Wanken Ob die schon bekannteren Formate wie gebracht werden können. Viele Genera- „Wohnen für Hilfe“ oder „Studium im Al- tionen von Menschen hatte dieser Mann ter“, ob Mehrgenerationenhaus oder Zu- Martin Sinnhuber, in seinem Leben gesehen. Allein vier in sammenleben in einer neuen geistlichen Jahrgang 1968, seiner eigenen Familie. Gemeinschaft – aus ganz unterschiedli- ist seit 20 Jahren Priester chen Blickwinkeln wollen wir das Thema und seit September 2018 „Im soziokulturellen Verständnis ist eine beleuchten. Dabei fehlt auch nicht ein als Seelsorger in der Generation eine große Gruppe von Men- ehrliches Wort der jüngeren Generation Pfarrei St. Liudger. schen, die als „Altersgruppe“ in ihrer zu den Schwierigkeiten im Umgang mit- Gesellschaft oder aufgrund der gemein- einander. samen Prägung durch eine spezifische historische oder kulturelle Konstellation Gerade eine Kirchengemeinde ermöglicht eine zeitbezogene Ähnlichkeit aufwei- an vielen Stellen, über Verwandtschafts- sen“, kann man bei Wikipedia nachlesen. verhältnisse hinaus, die Begegnung ver- So ist z.B. von der Generation „Golf“ die schiedener Altersstufen. Die Menschen, Rede bei den in den späten sechziger und die sich hier engagieren, leisten damit siebziger Jahren Geborenen, oder der Ge- einen wichtigen Beitrag zum Zusam- neration „Why“ oder „Maybe“ bei denen menhalt unserer Gesellschaft. Sollten Sie aus den achtziger und neunziger Jahren. beim Lesen Lust verspüren, sich in dem Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ging einen oder anderen Bereich auch mit zu man von einer mittleren Generationen- engagieren, lassen Sie es uns wissen. Wir dauer von über 30 Jahren aus. Bei den ra- freuen uns immer über neue Gaben und santen Entwicklungen der letzten fünfzig Talente. Und schließlich braucht auch die Jahre, die prägend für eine Altersgruppe Kirche immer wieder den Generationen- sind, schafft man in der Zeit wahrschein- wechsel, um gut in die Zukunft gehen zu lich drei oder vier Generationen. können. Was haben sie einander zu sagen, die ver- Viel Freude beim Lesen! schiedenen Generationen? Wo begegnen sie sich und kommen in einen fruchtba- Pfr. Martin Sinnhuber ren Austausch? Wie lernen die Jungen von den Alten und umgekehrt? 2 | Lebendig Lebendig | 3
Aus Alt mach Neu! „Generationenwechsel“ Doch genauso schwer wie Genera- pörung der Massen aussortiert, und Na- tionenwechsel sind, so wichtig können tionaltrainer Joachim Löw setzte einmal Manchmal muss man darüber nachdenken, bestimmte Dinge zu erneuern. Weil sie auch sein. Jüngere Menschen haben mehr auf viele seiner Altstars. Auf seine sie kaputt sind. Weil sie nicht mehr auf dem neusten Stand sind. Einfach, weil neue Ideen und gehen andere Wege. Weltmeister von 2014, auf die er sich Wege, die für den zukünftigen Erfolg glaubte verlassen zu können. Der Aus- sie die von ihnen geforderte Leistung nicht mehr bringen und ihren Zweck nicht unerlässlich sein können. Natürlich gibt gang ist Geschichte, Löw und sein Team mehr erfüllen können. Eine solche Situation kann einen zwar vor finanzielle es Ausnahmen, im Allgemeinen ist es schienen in der Zeit stehen geblieben, Probleme stellen, abgesehen davon ist dieser Wechsel aber meist keine große aber sehr wichtig, ab einem bestimmten während die Konkurrenten einen riesi- Sache. Wenn mein Handy nicht mehr richtig funktioniert oder gar kaputtgeht, Zeitpunkt das Ruder aus der Hand zu ge- gen Schritt nach vorne gemacht hatten. ben. Dabei geht es nicht einfach darum, dann fahre ich in die Stadt und kaufe mir ein neues. Viele Dinge sind völlig die eine Version durch eine aktuellere Trotz der großen Versprechungen von unkompliziert durch eine neuere Version zu ersetzen. Doch dabei geht es um zu ersetzen. Es geht darum, seinen Stuhl Löw und Co, jetzt endlich alles besser Dinge. Geräte, Kleidung, Lebensmittel. Eben Gegenstände. zu räumen und rechtzeitig Platz für die zu machen, ist das Problem in den Au- Zukunft zu machen. Denn die Zeit bleibt gen vieler Experten einige Monate später Schwieriger wird es, wenn sich die Betriebs, Grundbesitzer von hektarweise nicht stehen. immer noch nicht richtig angegangen. Camillo von Ketteler, Auslaufmodelle gegen ihre Auswechs- Wald und Feldern und Arbeitgeber für Nach dem 0:3 der deutschen National- Jahrgang 1997, zog es nach lung wehren können, weil es sich eben jede Menge Mitarbeiter. Es war immer Menschen wie mein Großvater ha- mannschaft gegen die Niederlande Mitte dem Abitur vom Aasee an nicht um Gegenstände handelt. Wenn klar, dass sein Sohn das Ganze mal über- ben wenigstens lange Zeit, sich darauf Oktober des letzten Jahres wetterte der die Alster. Er studiert jetzt Sportjournalismus man aufpassen muss, wie man mit ihnen nehmen sollte. Doch wann? Es verging vorzubereiten und einen Nachfolger auf- ehemalige Nationalspieler Olaf Thon: in Hamburg. umgeht und wie man ihnen ihr fortge- also die Zeit und mein Onkel, bereits zubauen. Generationenwechsel können „Ein Neuanfang von Joachim Löw mit schrittenes Alter möglichst schonend fertig ausgebildet, war längst bereit für aber auch sehr viel früher und vor Al- neuen Kräften sieht anders aus. Vor Al- vor Augen führt. Kompliziert wird es, seine neuen Aufgaben. Der Betrieb lem plötzlicher stattfinden. Im Profifuß- lem in der Innenverteidigung mit Jérôme wenn es um Menschen geht. aber blieb weiter in fester Hand ball zum Beispiel. Das Geschäft mit dem Boateng und Mats Hummels. Das ist Alt- Stichwort Generationen- meines Großvaters. Als es dann runden Leder ist so schnelllebig wie nie herrenfußball“. Wumms. wechsel. vor einigen Jahren endlich zur zuvor. Das hat viele Vorteile, birgt Übergabe kam, war das ein ex- aber auch ein extrem Da ist man gerade noch Welt- Ich persönlich trem emotionaler Moment für hohes Risiko für ältere meister und gewinnt alle mögli- habe das bei mei- ihn. So etwas ist hart, weil es Spieler. Im Sommer chen Titel mit den Bayern, und nem Großvater am eigenen Ego kratzt. Es haben wir gesehen, nach einem eher mittelmäßi- erlebt. Er war führt einem vor Augen, dass was passiert, wenn gen Jahr wird man schon als bis vor einiger die Zeit vergeht und dass man einen Genera- Altherrenfußballer abgestem- Zeit stolzer man älter wird. Und es be- tionenwechsel ver- pelt. Wobei mittelmäßig bei Leiter eines deutet einen Kontroll- und schläft. Sang- und Hummels und Boateng immer Machtverlust. Klanglos schied noch deutscher Meister, Pokal- die deutsche Na- finale und Champions League tionalmannschaft Halbfinale bedeutet. Und das als bereits in der Grup- Stammspieler. penphase der Fuß- ball-WM in Russland Also, wie geht aus und blieb weit man mit so et- hinter den Erwar- was um? In der tungen zurück. Tat haben Junge Talente die beiden wie der 22-jäh- I n n e n ve r - rige Leroy Sané teidiger wurden zur Em- zuletzt im- C 4 | Lebendig Lebendig | 5
Chatroom statt Küchentisch? mer wieder eklatante Fehler gemacht. Sie haben Schwächen Ein gutes Beispiel hierfür ist der Ex- Wie läuft der Austausch zwischen den Generationen? und Unsicherheiten aufgewiesen, die andeuten, dass ihre Schalker Naldo, der inzwischen in Diens- große Zeit bereits vorbei sein könnte. Doch darf man sie ten der AS Monaco steht. Im Winter deswegen auf eine solch respektlose Art und Weise degra- wechselte er frustriert aus dem grauen dieren? Der 23-jährige Niklas Süle, in Verein sowie Verband Ruhrgebiet in das Fürstentum in Frank- Wenn wir als Jugendliche alleine an Dieses Zitat zeigt uns Jugendlichen Hauptkonkurrent von Boateng und Hummels, sieht das an- reichs Süden. Jetzt könnte man ihn be- einem Tisch mit Erwachsenen sitzen, ein Stück weit, wie wir wahrnehmen, wie ders: „Es sind zwei hochverdiente Spieler. Ich bin froh, dass glückwünschen und denken: Toll! Som- passiert es immer wieder: Die Themen Erwachsene uns betrachten – als würden ich von beiden viel lernen kann, und versuche weiterhin, mer, Sonne, Meer. Was will man denn passen einfach nicht. Je weiter die Men- wir zu wenig Priorität auf die wichtigen viel aufzusaugen. Ich kann doch nicht sagen, ich sei auf ei- mehr? Doch Naldo fühlte sich wohl auf schen alterstechnisch von einem entfernt Dinge legen, klebten zum Beispiel nur ner Ebene mit ihnen. Nicht mal ansatzweise.“ Süle hebt die Schalke. Er verbringt zweieinhalb tolle sind, desto schlimmer wird das, denn am Handy, während sie gerade wichtige beiden Stars also auf ein Podest und stellt sich selbst in ih- Jahre in Gelsenkirchen, macht wichtige schon bei der Generation unserer Eltern Mails beantworten. Doch genau hierin ren Schatten. Taktisches Kalkül oder wahrhaftiger Respekt? Tore gegen den Erzrivalen aus Dortmund merken wir, dass Gespräche schwer zu steckt der Trugschluss. Denn trotz aller Bewunderung, sind Hummels und Boateng und ist Abwehrchef bei den Königsblau- verfolgen sind. Wenn sie zum Beispiel natürlich Konkurrenz für ihn, und er profitiert von ihren en. Das Wetter und das Land sind nicht über Politik reden, hilft es nichts, über Im Handy steckt für die vorigen Gene- Fehlern. die Gründe für den Wechsel. Der 36-jäh- das aktuelle Geschehen informiert zu rationen zwar nur ein Spielgerät, solan- rige Brasilianer fühlt sich nicht mehr sein, denn wenn die Diskussion sich um ge es nicht zum Telefonieren verwendet Für Clubs und Nationalverbände ist es extrem schwierig, wertgeschätzt, kommt nicht mehr zum Politiker dreht, welche schon aus der ak- wird – für uns ist es jedoch das zentrale den Zwiespalt zwischen Alt und Neu zu bewältigen. Setzt Zuge. In der Vorsaison war der Innen- tiven Politik ausgestiegen sind, bevor wir Organisationsmedium. Alle Mails, alle Simon (r.) und Jonas (l.) man auf Identifikationsfiguren, oder baut man nicht doch verteidiger noch die gefeierte Stütze in das fünfte Lebensjahr erreicht hatten, organisatorischen Abläufe, nahezu jeder Klein kommen aus Meck- eher auf die Zukunft in Person von jungen Spielern, wie Schalkes Abwehr, doch die darauffolgen- können wir schlichtweg schlecht mitre- Besuch des Internets und der gesamte lenbeck. Simon studiert eben Niklas Süle einer ist? Denn eigentlich können Vereine de Hinrunde bescheren ihm nur 7 von 17 den. Dieser Effekt verstärkt sich dann in Auftritt in sozialen Medien unsererseits in Münster Arabistik und Informatik und Jonas macht es sich heutzutage kaum noch leisten, ihre Altstars mit Wür- Spielen. Die Reaktionen aus der Schalker der Generation unserer Großeltern noch, findet über das Handy statt. Während gerade sein Abitur. Beide de abtreten zu lassen. Zu schnell ist das Geschäft geworden, Fanszene sind heftig, man könne einen da diese gerne zum Beispiel über Winter- Leute im Alter von 30 bis 60 Jahren zur sind in der Pfarrei im Öffent- zu groß der Abstand zu anderen Clubs. Wenn man nicht so verdienten Spieler doch nicht einfach sportarten redet, die uns häufig nicht nur digitalen Kommunikation vorrangig am lichkeitsausschuss aktiv, da- rechtzeitig agiert und sich für die Zukunft aufstellt, verpasst gehen lassen. Aber wenn die Leistung nicht wirklich interessieren, sondern mit Computer mailen, verwendet die „Jugend rüberhinaus unter anderem man den „Umbruch“ oder das „Übergangsjahr“, wie der Ge- plötzlich nicht mehr reicht oder der Trai- denen wir uns zumeist auch nicht aus- von heute“ dafür fast nur noch Whats- in der Jugendarbeit. nerationenwechsel im Fußball-Vokabular oft betitelt wird. ner nicht mehr auf einen setzt, dann ist kennen. App. Erwachsene nutzen dies weniger Und dann wird man abgehängt. Ein angemessener Abtritt der Erfolg vergangener Tage schnell ver- tiefgründig und im Verhältnis selten, für fällt hierbei oft dem Willen nach Profit und Erfolg zur Last. gessen. Auch wenn es erst gestern war. Das führt dann dazu, dass wir Jugend- junge Menschen hingegen findet darüber Denn heutzutage sind Vereine Wirtschaftsunternehmen. Dann ist man nur froh, wenn man den liche schnell über unsere eigenen The- nicht nur zum Beispiel die Planung von Die Interessen vieler verschiedener Besitzer, Sponsoren und Altstar von der Gehaltsliste streichen und men reden, uns zum Beispiel über unsere Terminen statt, sondern auch fundamen- teilweise sogar Aktionäre müssen bedient werden. Und das durch ein frisches Talent ersetzen kann. Lehrer oder Professoren unterhalten, was tale Gespräche über Sorgen und Nöte. macht den Fußball vielerorts zu einer doch sehr düsteren dazu führt, dass auch die Älteren keine und undankbaren Welt: Wer nicht liefert, muss weg, egal Klingt hart. Ist es auch. ■ Chance mehr haben, in unser Gesprächs- Wenn die unterschiedlichen Genera- wie toll die letzten Jahre waren. thema einzutauchen. tionen sich mehr Mühe geben, die ver- Camillo von Ketteler schiedenen Kommunikationsmethoden Darüberhinaus verstehen andere Ge- zu akzeptieren und die jeweils eigenen nerationen häufig nicht, wie wir kom- Themen verständlicher darzustellen, kön- munizieren: „Die Jugend kann nicht mehr nen sie sich den Umgang miteinander er- auf die Erwachsenen hören. Dazu ist ihre leichtern. ■ Musik zu laut.“ (Oliver Hassencamp, Autor „Erziehung ist organisierte Verteidigung von „Burg Schreckenstein“) Jonas und Simon Klein der Erwachsenen gegen die Jugend.“ Mark Twain (1835–1910) 6 | Lebendig Lebendig | 7
„Wohnen für Hilfe“ – „Eine Stunde Hilfeleistung im Monat ein Projekt, das Jung und Alt miteinander verbindet pro Quadratmeter Wohnraum.“ An einem herrlichen Herbsttag radeln meine Frau und ich ins Kreuzviertel zu Frau Bauhaus. Die Tochter ist aus London gekommen, weil Mutter Hilfe benötigt. Wir sind gespannt, was uns erwartet. Denn vor drei Jahren haben wir der betagten alleinstehenden Dame einen jungen Studenten aus Japan vermittelt. Schon beim Betreten des Grundstücks der Uni arbeitet. Im Bett hört sie, wie er begrüßt uns unser alter Bekannte Toshi abends die Haustür zuschließt und sie freudestrahlend. Er jätet im großen Gar- kann dann ebenfalls beruhigt die Augen ten und harkt die Blätter zusammen. Das schließen. Was ihr fehlt, ist Leben im ist seine Arbeit im Rahmen des Projekts Haus. Sie wünscht sich zusätzlich eine „Wohnen für Hilfe“. Voller Stolz erzählt Studentin, gern auch aus dem Ausland, er uns, dass er von der Universität einen die ihre Wohnung mit ihr teilt und ihr Preis für gelungene Integration bekom- Gesellschaft leistet. Wie schön wäre es, men hat. wenn sie morgens den Frühstückstisch decken würde, bevor sie aus dem Haus An der Haustür erwarten uns Mut- geht, und nachmittags oder abends, wenn ter und Tochter. Bei einer Tasse Kaffee sie zurückkommt, erzählt, wie es an der erzählt uns Frau Bauhaus, dass ihr To- Uni gelaufen ist. Wenn es mit der Sprache shi ein lieber Kerl ist, den sie auf keinen Probleme gibt, würde sie gern helfen, wie Ursula und Erwin Stroot Fall missen möchte. Aber er studiert sie es ja auch beim Toshi gemacht hat. Projektleiter seit 2005 so eifrig, dass er schon in der Früh aus Mail: e.stroot@gmx.de dem Haus geht und den ganzen Tag an Wir sehen uns das vorgesehene circa 12 qm große möblierte Zimmer und das gemeinsame Bad an und besprechen alle anstehenden Fragen. Die Nebenkosten betragen 50 Euro, und 12 Stunden Hilfe im Monat für Einkauf und Gesellschaft werden vereinbart. Die Faustregel lautet: Eine Stunde Hilfeleistung im Monat pro Quadratmeter Wohnraum. C 8 | Lebendig Lebendig | 9
Die „liebe“ Familie – eine Illusion?* „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Mit diesem (berühmt gewordenen) Satz be- ginnt Leo Tolstois Roman „Anna Karenina“. Als eine Art Programm des Ro- mans empfunden, wurde er sogar zum Motto für ein verhaltenspsychologi- sches Prinzip, das „Anna-Karenina-Prinzip“. Ob es sich wirklich so verhält, dass – man wäre? Und der Satz provoziert eine wie dieses „Prinzip“ definiert wird – für weitere Frage: ob es vielleicht gar keine Erfolg sämtliche relevanten Faktoren glücklichen Familien (mit individuell gegeben sein müssen, während der Miss- glücklichen Mitgliedern) geben kann? erfolg vom Fehlen nur einer einzigen Be- Aber ist das so? Gibt es am Ende gar dingung abhängig ist, sei einmal dahin- keine glücklichen Familien, weil die gestellt. Man kann diesen Satz auch als Hoffnung oder das Bestreben, sämtliche Claudia Maria Korsmeier Hinweis Tolstois darauf verstehen, dass Bedingungen für ein glückliches Fami- engagiert sich in verschie- Wie läuft das Ganze ab? es in seinem Roman selbstredend um un- lienleben in einer Familie versammeln denen Gremien und bei der Kirchenmusik. Sie arbeitet glückliche Familien gehen wird – etwa, und realisieren zu können, ohnehin kei- als Sprachwissenschaftlerin 1. Schritt: Sie rufen uns an und bekunden Ihr Interesse an dem Projekt. Wir verein- weil eine Handlung allein mit glückli- ne Aussicht auf Gelingen hat? Und wenn und ist Freie Mitarbeiterin baren einen Besuchstermin, um in aller Ruhe über Ihre Wünsche zu reden und chen Familien keine Voraussetzung für es sie gäbe: Sind glückliche Familien bei „Kirche + Leben“. die Wohnmöglichkeit in Augenschein zu nehmen. einen lesenswerten, interessanten Ro- langweilig? ... ist die wirklich „liebe“ Fa- milie eine Illusion? 2. Schritt: Das Wohnangebot wird anonym auf unserer Homepage www.muens- C ter.org/wohnen-fuer-hilfe veröffentlicht. Interessierte Studierende oder Azubis bewerben sich gezielt darauf. 3. Schritt: Wir laden die Bewerber/innen ein, um Sie kennenzulernen und Fragen zu besprechen und das weitere Vorgehen zu erörtern. 4. Schritt: Bei diesem entscheidenden Schritt bringen wir die beiden Parteien zusammen. Sie stellen fest, ob Sympathie für den anderen vorhanden ist und ob ein vertrauensvolles Miteinanderwohnen möglich erscheint. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit signalisieren sie Zustimmung oder Ablehnung. 5. Schritt: Bei Zustimmung wird ein Wohnpartnerschaftsvertrag geschlossen, um eine rechtliche Grundlage zu haben, bei Ablehnung geht die Suche weiter. Ungeduldig wartet Frau Bauhaus auf die schweren Koffer tragen kann. Sie eine Bewerbung und freut sich, dass nach weiß, falls es zu Problemen kommt, ste- 10 Tagen eine liebe Studentin aus China hen wir zur Verfügung, um gemeinsam gern bei ihr einziehen möchte. Sie sorgt eine Lösung zu finden. ■ sich, ob diese zierliche Person denn wohl Ursel und Erwin Stroot 10 | Lebendig Lebendig | 11
Wie kann eine „liebe“ Familie entste- Vergebung nötig. Vorbehaltlose Kommu- hen und wachsen? Das muss sicherlich nikation ist ebenso wichtig wie ein Vor- ein Gemeinschaftswerk sein. Familien- schuss an Liebe, um eine gemeinsame mitglieder kennen sich oft sowohl viel zu Basis des Vertrauens zu schaffen, aus der gut, weil sie jahrelang „in guten und in Verantwortung füreinander und auch bösen Tagen“ zusammen gelebt haben, Harmonie im Zusammensein erwachsen als auch viel zu schlecht, weil sich jeder können. Eine solche Basis hält auch eini- auch in seinen anderen Lebenszusam- ge Schwachpunkte aus, die nicht per se menhängen entwickelt, wofür die ande- zum Scheitern des „Projekts“ „heile Fa- ren vielleicht den Blick verlieren oder milie“ führen. gar nicht erst entwickeln. Was man an- deren Menschen gegenüber an Toleranz, Die liebe Familie ist keine Illusion. Höflichkeit, Rücksichtnahme, Vertrauen Aber es gibt sie nicht einfach und un- und Aufmerksamkeit entgegenbringt, umstößlich, denn sie muss stets gehegt haben Familienmitglieder zumindest und gepflegt werden, und zwar in dem in gleicher Weise als Behandlung „ver- Bewusstsein, dass sich jeder einzelne dient“. Das Gegenteil scheint oft der Fall und dadurch auch alle zusammen stets zu sein. Verletzungen der einen oder ändern und entwickeln. Das verhindert anderen Art unter Familienmitgliedern dann auch Langeweile. ■ lassen sich nicht durch immerwährendes Erinnern aus der Welt schaffen; hier ist Claudia Maria Korsmeier Ein weiteres Gegenbild: Ein junges Mädchen wird schwanger, sie ist noch * Es gibt Familien, in denen durch Gewalt solch massive Verletzungen geschehen sind, dass sie nicht „heilbar“ Wenn man sich so umhört, scheint keine 18. Sie entscheidet sich für das sind. Diese Familien sind hier ausdrücklich nicht gemeint. es in den meisten Familien „Streit“ zu Kind. Eltern und Geschwister halten zu- geben, womit nicht nur Auseinanderset- sammen und bereiten alles vor, um das zungen um verschiedenste Themen und Baby liebevoll und offenherzig zu emp- in jeder denkbaren Intensität, Verlet- fangen. Alle verbindet ein unbedingtes zungen oft schweren Grades bis hin zu Vertrauen, auf das sich jeder verlassen regelrechter Feindschaft gemeint sind, kann. sondern auch Kommunikationsprobleme mehr oder minder gravierender Art bis „Die Familie sucht man sich nicht aus“, hin zur „Funkstille“. ist immer wieder zu hören, oft genug als „Der einzige Mensch, der sich vernünFtig benimmt, ist mein Schneider. Argument gegen das Bemühen um Har- Er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich trifFt, Ein Gegenbild: Gottesdienst mit Fa- monie oder überhaupt Kontakt. Eine Fa- während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen miliensegnung. Im Kreis stehen Eltern, milie ist tatsächlich keine Gemeinschaft, in der Meinung, sie passten auch heute noch.“ Kinder und die Großmutter, haben die deren Existenz auf gegenseitiger Sympa- Arme umeinander geschlungen und stel- thie beruht. Man kann den Kontakt zwar George Bernard Shaw (1856–1950) len sich als Familie unter Gottes Segen abbrechen, wird seine Familie aber trotz- – wie eine lebendige Schutzburg, die nie- dem nicht los. Gleichwohl gibt es Fälle mand zerstören kann, weil alle zusam- derart zerrütteter Familien, dass ein Kon- menstehen. Ein Bild der Freude und des taktabbruch die einzige Möglichkeit ist, Friedens. weiteren Schaden von sich abzuwenden. 12 | Lebendig Lebendig | 13
Meine lieben Kinder, Ich werde nicht mehr lange leben und Euch schnell wieder vergnügt die Hand. will nun von Euch Abschied nehmen. Helft Euch, wo Ihr könnt. Ist einer trau- Das wird mir sehr schwer; denn ich rig oder mißmutig, kümmert Euch, bis habe jeden von Euch so sehr lieb, und er wieder heiter ist. Lauft nicht ausein- ihr habt mir immer nur Freude gemacht. ander. Pflegt, was Euch zusammenführt. Ich werde nun nicht mehr sehen, wie Ihr Spielt, singt und tanzt miteinander, wie heranwachst und selbstständige Men- wir es so oft gemacht haben. Schließt schen werdet. Ich bin aber ganz zuver- Euch mit Euren Freunden nicht ab, wenn sichtlich, dass ihr an Mamas Hand den Ihr die Geschwister teilnehmen lassen rechten Weg geht und dann auch von könnt. Das festigt auch die Freundschaft. Verwandten und Freunden Rat und Bei- stand finden werdet. Liebe Kinder, ich Ich trage an meiner rechten Hand habe viel gesehen und noch mehr erlebt. den Ring, mit dem mich Mama glück- Meine väterlichen Erfahrungen können lich gemacht hat. Es ist das Zeichen, Euch aber nicht mehr leiten. Ich möch- dass ich ihr und auch Euch gehöre. Der te deshalb noch einiges sagen, was für Wappenring an meiner Linken mahnt Euer Leben wichtig ist, wenn Euch auch an die Familie, der wir angehören, an manches erst später aufgehen wird. die Vor- und Nachfahren. Er sagt: Höre die Stimme der Vergangenheit. Verliere Vor allem haltet weiter in Liebe, Ver- dich nicht selbstherrlich an die flüchtige trauen, Ritterlichkeit und Sorge fest zu Gegenwart. Sei treu der guten Art dei- Klaus Bonhoeffer, Ostern 1945 Mama, so lange Gott sie Euch erhält. ner Familie und überliefere sie Kindern Brief an seine Kinder Denkt immer, ob Ihr ihr nicht irgendeine und Enkeln. Liebe Kinder, versteht nun Freude machen könnt. Wenn Ihr einmal diese besondere Verpflichtung recht. Die groß seid, wünsche ich Euch, dass Ihr Ehrfurcht vor der Vergangenheit und die Eurer Mutter so herzlich nahe bleibt, wie Verantwortung gegenüber der Zukunft ich meinen Eltern nahe geblieben bin. So geben fürs Leben die rechte Haltung. Klaus (1901–1945) ist ein älterer Bruder von Dietrich Bonhoeffer. Nach seinem recht versteht man seine Eltern nämlich Haltet stolz zu Eurer Familie, aus der sol- Jurastudium erhält er 1930 seine Anwaltszulassung und heiratet Emmi Delbrück erst, wenn man selbst erwachsen ist. Ich che Kräfte wachsen. Stellt Ansprüche an habe Mama gebeten, bis zum Ende bei Euch und Eure Freunde.- Nach Anerken- (1905–1991), mit der er zusammen eine Tochter und zwei Söhne hat: Thomas, mir zu bleiben. Es waren schwere aber nung streben macht Euch unfrei, wenn Cornelie und Walter. Klaus hatte über seinen Bruder Dietrich Kontakt zum kirch- herrliche Monate. Sie waren auf das Ihr sie nicht mit Anmut auch entbehren lichen Widerstand, über Hans von Dohnanyi zum militärischen und über den Wesentliche gerichtet und von der Lie- könnt und das gelingt nicht jedem. Hört Vetter seiner Frau, Ernst von Harnack, zum sozialdemokratischen Widerstand be und der starken Seele Eurer Mutter nicht auf billigen Beifall. und somit die Möglichkeit, die einzelnen Widerstandsgruppen gezielt mitein- getragen. Ihr werdet das erst später ver- stehen. Die Menschen, die Euch sonst be- ander zu verbinden. 1944 wird er im Zusammenhang mit dem Attentat vom gegnen, nehmt, wie sie sind. Stoßt Euch 20. Juli auf Adolf Hitler verhaftet und am 2. Februar 1945 vom Volksgerichts- Haltet auch Ihr Geschwister fest und nicht gleich an dem, was fremd ist oder hof zum Tode verurteilt. Drei Monate später wird Bonhoeffer von einem Son- immer fester zusammen. Dass Ihr so Euch mißfällt und schaut auf die guten derkommando des Reichssicherheitshauptamts hingerichtet. Seine Kinder sind verschieden seid, ist jetzt noch manch- Seiten. Dann seid Ihr nicht nur gerech- gerade mal dreizehn, zehn und sechs Jahre alt. Im folgenden Abschiedsbrief mal Anlaß zum Zank. Wenn Ihr erst ter, sondern bewahrt Euch selbst vor älter seid, werdet Ihr Euch um so mehr Engherzigkeit. Im Garten wachsen viele an seine Kinder bestärkt er sie zu Toleranz, Respekt und Rückgrat. Das ist ein geben können. Mal ein Zank ist nicht so Blumen. Die Tulpe blüht schön aber duf- großes Vermächtnis. schlimm. Tragt ihn aber nicht mit Euch tet nicht und die Rose hat ihre Dornen. herum. Denkt dann an mich und gebt Ein offenes Auge aber freut sich auch am C 14 | Lebendig Lebendig | 15
unscheinbaren Grün. So entdeckt man einmal an dem unerschöpflichen Glück Weisheit und Frömmigkeit, die sich vom chen, sondern vertieft und festigt sie. Bleibt nicht im Halb- bei den Menschen meist verborgene, er- einer lebendigen Bildung teilhabt. Sucht Vergänglichen dem Ewigen zuwendet. dunkel, sondern ringt nach Klarheit, ohne das Zarte zu freuliche Seiten, wenn man sich erst ein- aber nicht den Wert der Bildung in den verletzen und das Unnahbare zu entweihen. Ergreift selbst mal in sie hineinversetzt. Wer sich nur höreren Leistungen, zu denen sie Euch Das ist der Segen dieser Zeit. Über- von dieser Welt Besitz, in der nur gilt, was Ihr erfahren mit sich beschäftigt, hat dafür keinen befähigt, sondern darin, dass sie den laßt Euch nun nicht allein den frommen und Euch selbst in letzter Ehrlichkeit erworben habt. Dann Sinn. Glaubt mir aber, liebe Kinder, das Menschen adelt durch die innere Frei- Stimmungen, die solche Erschütterun- wird Euer Leben gesegnet und glücklich sein. Lebt wohl! Leben erschließt sich Euch erst dann im heit und Würde, die sie ihm verleiht. gen hervorrufen oder die in der Hast Gott schütze Euch! kleinen Kreis und im Großen, wenn Ihr Sie weitet Euch den Horizont von Raum und Verwirrung dieser Welt aus einem nicht nur an Euch, sondern auch an die und Zeit. Die Berührung mit dem Ede- Gefühl der Leere ab und zu hervorbre- In treuer Liebe umarmt Euch Euer Papa. ■ andern denkt, sie miterlebt. Wer beim len und Großen veredelt Anstand, Urteil Musizieren sich nur an seine Stimme und Gefühl und entzündet die nie erlö- klammert oder gar nur sich selbst hö- schende Begeisterung, die kein dürftiges ren will, dem entgeht das Ganze. Wer es Alltagsleben kennt. So werdet Ihr Kö- aber recht erfühlt, lebt auch beim edlen nige. Beherrscht nun auch Euch selbst. Volksklängen seines Instruments mit in Entwickelt Eure Gaben aus dieser Kraft den anderen Stimmen. zum Können und zur Tüchtigkeit. Wenn dann die Zeit Euch hold ist, wird sie den Wenn Ihr Euer Leben so einstellt, Menschen und nicht nur die Leistung wird es von diesem weiten Geiste ganz schätzen. und gar durchdrungen. Das macht ge- wiß viel Freude. Wer aber herzlich Ich wünsche Euch, dass Ihr, solang dankbar annimmt, gibt oft mehr. Den Ihr jung seid, recht viel im Lande wan- Menschen gerecht zu werden, gehört dert und es in vollen Zügen und mit of- dazu, und wohlwollend an ihnen teil- fenen Sinnen in Euch aufnehmt. Beim zunehmen, nie Spielverderber sein. Aus Wandern hat man noch die rechte Muße, diesem Geiste entspringt dann ganz na- sich der Landschaft und den Eindrücken türlich als Form des Umgangs auch die von Menschen, Dörfern und den schö- Höflichkeit, die Euch die Menschen ge- nen alten Städten ganz zu überlassen. winnt. Pflegt sie als feine, lebenskluge Wenn dann beim Wandern und bei Lie- Kunst des Herzens. dern die Phantasie von unseren Tagen in vergangene Zeit schweift, entsteht vor Wer es versteht, die Menschen, die Euch versonnen, unergründlich das Bild von Macht und Einfluß sind, recht zu vom schönen deutschen Land, in dem nehmen, ohne an innerer Freiheit ein- sich unser eigenes Wesen findet. Dann zubüßen, kann viel Gutes bewirken. Es wendet Euch nach Süden. Im nie erfüll- wäre töricht, seine Weltgewandtheit zu ten, sehnsuchtsvollen Drange nach be- verachten. Ist sie Euch nicht gegeben, so sonderer Klarheit liegt unsere Kraft und haltet Euch in aller Unbefangenheit zu- unser Schicksal. Die Zeiten des Grauens, rück. Doch das hat lange Zeit. Nur weil der Zerstörung und des Sterbens, in de- ich dann nicht mehr bin, spreche ich nen Ihr, liebe Kinder, aufwachst, führen jetzt davon. den Menschen die Vergänglichkeit alles „An seinen Vorfahren kann man nichts ändern, Irdischen vor Augen, denn alle Herrlich- aber man kann mitbestimmen, was aus den Nachkommen wird.“ Hoffentlich lassen die Verhältnisse keit des Menschen ist wie des Grases Euch die Ruhe und eine lange Zeit, einen Blume. Unter diesem Erlebnis führen François de La Rochefoucauld (1613–1680) jeden in seiner Art geistig auszuwach- wir unser Leben im Bewußtsein seiner sen und noch viel zu lernen, damit Ihr Vergänglichkeit. Hier beginnt aber alle 16 | Lebendig Lebendig | 17
Café für die nicht-singenden Eltern und Großeltern vor und nach dem Gottes- dienst bietet die gern genutzte Möglich- keit, bei Kaffee und Keksen ins Gespräch zu kommen. Mit „Sing halleluja“ schaffen wir ein Angebot, bei dem „Es ist schön, nicht nur in der sich die gesamte Familie Messe nebeneinanderzusitzen, wiederfindet, ob klein oder groß, jung und alt: sondern auch mit anderen Jeder sucht sich, woran Familien über das, was wir mitei- er gerade Freude hat. nander feiern, ins Gespräch zu Mit dieser Freude fei- kommen und sogar gestaltend ern wir anschließend bei der Feier mitwirken zu kön- gemeinsam mit allen nen. Hier wächst Gemeinschaft Generationen den Fa- miliengottesdienst. Das ganz konkret im Miteinanderre- Leitwort der Erstkom- den, im Miteinanderbeten und munionkinder in die- Singen und im Miteinanderglau- sem Jahr trifft auch das, ben. Auch hier kann Gemeinde was dieses Projekt aus- Foto: © Michael Bogedain in Pfarrbriefservice.de macht, zu dem eigens lebendig werden, und das gibt ein Lied komponiert Freude und Hoffnung!“ wurde, welches natür- lich immer dabei ist: Lisa Mensing, 50 Jahre „Komm nimm Teil an Generationsverbindende meiner Freude“. Mit Jesus Christus in Projekte in St. Liudger* unserer Mitte können wir uns an diesen Sonntagen als Gemeinschaft mit der gan- zen Familie auf den Weg des Glaubens machen und unsere Freundschaft mit Je- sus vertiefen. Familiensonntag in St. Anna Mit einem kleinen Team begleiten wir Familienchor „Sing halleluja“, Eltern.Café und Bilderbuchkino üben und mit ihnen den anschließenden dieses Projekt, was immer jeweils am Gottesdienst musikalisch mitzugestalten. vierten Sonntag im Monat von 10.00 bis Seit einigen Wochen gibt es etwas Neues – vornehmlich, aber nicht ausschließlich Wer Freude am Musizieren hat, singt, 11.00 Uhr vor den Familienmes- rund um den einmal im Monat stattfin- aus den Erstkommunionfamilien – Kin- kleinere Geschwister ab drei Jahren kön- sen im Pfarrzentrum von St. denden Familiengottesdienst in St. Anna: der, Eltern und Großeltern, um im Fa- nen währenddessen ins Bilderbuchkino Anna stattfindet. ■ Eine Stunde vor der Hl. Messe treffen sich milienchor „Sing halleluja“ Lieder einzu- in die Bücherei gehen, größere Geschwis- ter die Gelegenheit nutzen, miteinander Sylvia van Schelve Gesellschaftsspiele zu spielen. Das Eltern. * Natürlich gibt es in unserer Pfarrei noch weitere Projekte, die verschiedene Generationen miteinander verbinden. Wir können hier aus Platzgründen leider nur eine Auswahl vorstellen. C 18 | Lebendig Lebendig | 19
„Wann kommt denn Linus?“ Ein Schülerpraktikum in „Wohnen in Pastors Garten“ Hallo, mein Name ist Linus Weiß. Ich habe dort mit den älteren Menschen Die Freude der Bewohner, eine Kinder- regende und schöne Begegnung. Dieses Ich komme aus Roxel, bin 14 Jah- „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt, Kaf- gruppe zu erleben, ist immer groß. Ob erleben und spiegeln uns auch die uns re alt und besuche die Münster- fee getrunken, sie beim Spazierengehen wir sie auf dem Gelände treffen oder bei begleitenden Eltern. ■ landschule Tilbeck. Dort findet in begleitet und habe sie zu ihrem Platz einer gemeinsamen Aktion, immer be- Manuela Knabke den siebten Klassen ein sozial ge- begleitet. Kurz nach Praktikumsbeginn gegnen wir freundlichen Gesichtern. Leiterin des Familienzentrums prägtes Praktikum statt, welches zwei haben die Senioren dann zum Beispiel Maria Aparecida Wochenstunden beansprucht. gefragt: „Wann kommt denn Linus“, was Fazit: mich sehr motiviert hat. Wir sind froh, so einen Bogen zwischen Die meisten im meinem Alter haben im den Generationen schlagen zu können Kindergarten ein Praktikum gemacht. Für meine Mitschüler war es nicht von und den Kontakt zwischen Jung und Alt Da ich ältere Menschen aber entspann- großem Interesse, dass ich mein Prak- durch vielfältige Aktivitäten zu fördern „Mittlerweile lernen die Kinder die Generation ter oder weniger anstrengend finde als tikum im Altenheim gemacht habe. Ich und zu unterstützen. Mittlerweile lernen der Urgroßeltern kennen, die den Meckmannshof kleine Kinder, wollte ich ein Praktikum habe im Praktikum gelernt, dass man sich die Kinder die Generation der Urgroßel- im Altenheim machen. Nach einer kur- mit vielen Senioren gut verstehen kann, tern kennen, die den Meckmannshof be- bewohnen. Es ist für beide Seiten eine aufregende zen Recherche bin ich auf „Wohnen in wenn man weiß wie. wohnen. Es ist für beide Seiten eine auf- und schöne Begegnung.“ Pastors Garten“ gestoßen. Dort habe Manuela Knabke ich dann eine Praktikumsanfrage hinge- Auch wenn mir das Praktikum recht viel schickt. Kurz darauf habe ich dann mein Spaß gemacht hat, sehe ich meine berufli- Praktikum dort gemacht. che Zukunft eher im Medien- oder IT-Be- reich, da mich dieses Thema noch mehr interessiert. ■ Linus Weiß Lesepatin in der Marienschule – „Wann kommt denn Linus?“ eine gute Entscheidung Häufig gestellte Frage der Senioren in „Wohnen in Pastors Garten“ Bei meiner Arbeit für die KÖB St. Panta- Bücher zur Auswahl, z. B. Erstlesebücher leon wurde ich auf die Lesepatenschaft und Sachbücher, aber auch die Bücherei mit der Marienschule aufmerksam. Da stellt der Schule Lesestoff zur Verfügung. ich gerne lese und auch meinen Enkeln Den Kindern macht das gemeinsame Le- „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider“ gerne vorlese, konnte ich mir gut vorstel- sen sehr viel Spaß, u.a. auch deshalb, weil Gemeinsame Begegnungen des Familienzentrums len, auch in der Schule die Kinder beim sie sich die Bücher selbst aussuchen dür- Lesen zu unterstützen. fen. Sie erweitern dabei ihren Wortschatz Maria Aparecida mit den Bewohnern des Meckmannshofs und verbessern ihren Sprachgebrauch. Ein bis zwei Mal in der Woche gehe ich Besonders schön finden die Kinder die Unsere Verbindung zu den Bewohnern ckelte sich ein umfassendes Spektrum seit vier Jahren regelmäßig vormittags persönliche Zuwendung. Oft laufen sie des Altenhilfezentrums Meckmanns- mit verschiedenen, immer wiederkeh- in eine Klasse, um mit von der Lehrkraft mir schon voller Erwartung entgegen. hof hat eine lange Tradition. Als direkte renden Angeboten, die die Bewohner aus ausgewählten Kindern das Lesen zu üben. Auch für mich ist die Begegnung mit den Nachbarn, Zaun an Zaun, gibt es viele ihrer Kindheit kennen und die die Kin- Dabei lesen die Kinder mir vor oder ich Kindern eine schöne und bereichern- Berührungspunkte. Die anfänglichen, der in ihrem Alltag neu kennenlernen. selbst lese vor und stelle Fragen zum Text. de Erfahrung, die mir immer wie- eher losen Kontakte haben sich mit der Das sind Aktionen wie Bilderbuchkinos In den Klassenräumen gibt es eine Menge der viel Freude macht. ■ Entwicklung zum Familienzentrum 2008 Märchenstunden, Singen, Kneippen und Margaret Sommerhage durch eine verbindliche Kooperation in- gemeinsam gelebte Bräuche wie Palm- tensiviert. gottesdienst, Ostern, Martinsumzug, Ni- „Wer Spaß am Lesen hat, liest viel. Gemeinsam haben wir nach Berührungs- kolaus und Advent, sowie regelmäßige Wer viel liest, liest gut. punkten gesucht, an denen sich Bewoh- monatliche Treffen einer Kleingruppe ner und Kinder treffen. Daraus entwi- von Kindern und Bewohnern. Wer gut liest, liest gerne.“ Unser Motto des Lesepatenprojekts (inspiriert durch die Canisius-Schule in München) C 20 | Lebendig Lebendig | 21
Gebetspatenschaften im Rahmen der Erstkommunionvorbereitung in St. Anna Wie heißt der Großvater Jesu? Die eindrucksvolle Ahnenlinie des Messias In jedem Jahr wählt das Vorberei- Wir sind sicher, dass die Gottesdienstbe- tungsteam für die Zeit der Kommunion- sucher, die wir um die Übernahme einer vorbereitung ein Wort aus der Bibel, in Gebetspatenschaft bitten, diese Freude in „Omas/Opas sind wie Knöpfe: Sie halten die Großfamilie zusammen.“ Ob dem zum Ausdruck kommt, was uns für ihrem persönlichen Leben kennengelernt der kleine Jesus dies auch erlebt hat? Leider berichten uns die Evangelisten die Kinder und ihre Familien wichtig ist. haben. In diesem Jahr lautet es: Komm, nimm teil Matthäus und Lukas nur sehr wenig über die Kindheit und Jugend Jesu, so zum an meiner Freude! Wir bitten sie daher darum, die Kom- Beispiel, dass er im Jerusalemer Tempel zur Beschneidung und Weihe vorge- munionkinder und ihre Familien ihrem stellt wurde, vorübergehend im Exil in Ägypten war und als Zwölfjähriger vor Gebet anvertrauen zu dürfen. Sie be- den Schriftgelehrten in Jerusalem spektakulär auftrat. Zudem wird mitgeteilt, kommen eine Karte (siehe links) mit dem dass der Junge mit seinen „Eltern“ in Nazaret lebte und ihnen „gehorsam“ Vornamen eines der Kinder, das damit um das Gebet bittet. So können die Paten war (Lukas 2,51). sich „ihr“ Kind ganz persönlich zu eigen machen. Als Maria noch mit Jesus schwanger Kind Maria zur Welt. (In unserer Pfar- war, eilte sie zu ihrer „Verwandten“ Eli- rei St. Liudger wird die heilige Anna vor Die Kinder können so in der Zeit der sabeth ins Bergland von Judäa (Lukas allem in der namensgleichen Gemeinde Franz-Josef Lütke Schelhowe Kommunionvorbereitung noch etwas 1,39-56); nicht erwähnt werden Besuche in Mecklenbeck verehrt). Jesus wird von war 33 Jahre Gymnasialleh- entdecken: Die Freude daran, dass sie zu bei ihrem Vater und ihrer Mutter. Auch seinem frommen und wohlhabenden rer und versuchte in dieser Zeit, bei seinen Schülern einer großen Gemeinschaft gehören. Sie sonst fehlen in der Bibel Angaben über Großvater Joachim – es heißt, er sei sehr das Interesse an der Bibel zu sind Teil der Gemeinschaft derer, die zu die Namen der Großeltern Jesu mütterli- alt geworden – sicher viel gelernt haben. wecken. Nach seiner Pen- Christus gehören und die darum mitein- cherseits. So war die frühe Christenheit sionierung schrieb er je ein ander verbunden sind, auch wenn sie sich auf spätere außerbiblische Überliefe- Die Frage nach einem weiteren Großva- Buch über das Alte und das persönlich gar nicht kennen. rungen angewiesen, die allerdings ein ter Jesu sollte sich eigentlich erübrigen, Neue Testament und leitet wahrscheinlich erfundenes, von theo- denn es heißt in der Bibel, dass Maria ihr seit einiger Zeit zusammen Diese Erfahrung schenken die Gebetspa- Kind durch den Heiligen Geist empfan- mit Pastor Laufmöller den logischen Absichten geprägtes Bild ver- Offenen Bibelkreis ten den Kindern und ihren Familien. mitteln. Dabei ist die wichtigste Quelle gen habe (Lukas 1,26-38). Josef ist also „Lebendige Worte“ in der das apokryphe (das heißt das „verborge- nicht der leibliche Vater Jesu. Der Mann Gemeinde „St. Stephanus“. Aus Gesprächen, besonders mit älteren ne“, kirchlich nicht anerkannte) Evange- Marias ist aber in anderer Hinsicht be- Gottesdienstbesuchern weiß ich, dass sie lium des Jakobus aus dem 2. Jahrhundert deutsam: In der damaligen, männerdo- das sehr gerne tun, denn sie sind die, die nach Christus. Nach dieser legendenar- minierten Gesellschaft war er sicher der schon ihr ganzes, oft langes Leben auf ihn tigen Darstellung heißen die Eltern Ma- rechtliche Vertreter Jesu, als dieser noch vertraut haben und wissen, dass Gott die- rias Anna und Joachim. Sie bleiben viele unmündig war. Möglicherweise hat Je- ses Vertrauen niemals enttäuscht. Jahre kinderlos; doch sie lassen nicht sus auch den Beruf Josefs erlernt, denn Das bezeugen zu dürfen, ist eine Freu- nach, Gott inständig zu bitten, ihren die Menschen in der Heimatstadt Naza- de, die Gott dann wiederum den Paten Kinderwunsch zu erfüllen. Schließlich ret bezeichnen Jesus als „Zimmermann“ schenkt. ■ gelobt Anna (nach dem Vorbild der alt- (Markus 6,3). Vor allem aber ist Josef Jesus lädt uns mit diesem Wort dazu ein, Marianne Stuhldreier testamentlichen Hanna, 1 Samuel 1f.11), ein Abkomme aus dem messianisch so die Freude zu spüren, die entsteht, weil ihr erstes Kind Gott und seinem Dienst wichtigen jüdischen Stamm Juda. Des- wir in jeder Lebenssituation ihm vertrau- zu weihen. Nach einiger Zeit verkün- halb wird Josef sowohl bei Matthäus als en dürfen. det ein Engel den Eheleuten schließlich, auch bei Lukas als – indirekter – Vorfah- dass Gott ihr Flehen erhört hat. Anna re Jesu genannt. Dies geht aus zwei Bi- und Joachim eilen daraufhin zur Gol- belabschnitten hervor, die aber im Übri- „Wir glauben ganz fest daran, dass das Gebet Kraft hat und dass es die denen Pforte des Tempels in Jerusalem, gen recht unterschiedlich aufgebaut und Kinder und ihre Familien stärkt, wenn sie sich von der ganzen Gemeinde um ihre Dankbarkeit zu bekunden und inhaltlich teilweise abweichend sind: getragen und begleitet wissen.“ zu opfern. Sie umarmen einander innig Die Genealogie Jesu bei Matthäus (um Eine ältere Gottesdienstbesucherin und neun Jahre später bringt Anna ihr 80/90 n. Chr.) geht von der fernen Ver- C 22 | Lebendig Lebendig | 23
gangenheit aus: „Buch des Ursprungs hebt Matthäus sogar im Eingangsvers Relief der „Wurzel Jesu Christi, des Sohnes Davids, des hervor. Als Nachfahre Davids ist Jesus Jesse“ über dem Süd- Sohnes Abrahams. Abraham war der der wahre König Israels. Mit diesem portal von St. Lamberti, Vater von Isaak, Isaak von Jakob, Jakob Titel erscheint der zeitgleich regierende Münster von Juda und seinen Brüdern. […] Obed König Herodes als sein Gegenspieler (Mt Foto: FJ.LS, 16.11.2018 war der Vater von Isai, Isai der Vater des 2,1-12) und beim hoheitlichen Einzug in Königs David. David war der Vater von Jerusalem vor der Passion wird der mes- Salomo. […] Salomo war der Vater von sianische Anspruch Jesu offenbar (Mt Rehabeam. […] Jakob war der Vater 21,1-11). von Josef, dem Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus ■ Ferner betont Matthäus, dass Jesus ein (der Messias) genannt wird.“ „Sohn Abrahams“ sei. Indirekt wird Matthäus 1,1-16 (hier stark gekürzt; die damit angedeutet, dass sich in Jesus vollständige Genealogie verzeichnet 42 die Segensverheißung an den Erzvater Generationen; Mt 1,17) erfüllt hat: „Durch dich sollen alle Ge- schlechter der Erde Segen empfangen“ Die Genealogie des Lukas (um 80/90 n. (Gen 12,3). So spannt das Matthäusevan- Chr.) geht umgekehrt vor und zählt die gelium einen Bogen von Abraham bis Generationen zeitlich rückläufig auf: zum weltweiten Missionsauftrag in Mat- „Jesus war, als er zum ersten Mal öffent- thäus 28,19f. lich auftrat, etwa dreißig Jahre alt. Er galt als Sohn Josefs. Die Vorfahren ■ Bei Lukas ist das letzte Glied in der Josefs waren: Eli […], David, Isai […], Kette der Vorfahren sogar Adam und Juda, Jakob, Isaak, Abraham, Terach […], dann Gott: Jesus ist der „neue Adam“, Sem, Noach, Lamech, Metuschelach […], in Jesus Christus wird uns Gott auf eine Set, Adam; (der stammte von) Gott.“ Lu- unüberbietbare, Heil schaffende Weise kas 3,23-38 (hier stark gekürzt, die voll- leibhaftig gegenwärtig. Angedeutet wird ständige Genealogie enthält 76 Namen) die Spannweite der Heilsgeschichte von der Schöpfung (Adam) bis zur Erlösung Das älteste Evangelium, die theologische (Jesus Christus). Geschichtserzählung des Markus (um 70 n. Chr.), enthält noch keine Genealogie. ■ Darüber hinaus zeigen die Genealogi- Erst das wachsende Interesse der Urkir- en eindrucksvoll die jüdischen Wur- che an einer Kenntnis der Herkunft Jesu zeln Jesu. Er ist ein Sohn Israels und und die Absicht, seine außerordentliche steht in der Tradition seines Volkes. So Hoheit auch genealogisch zu begründen, sollte auch die christliche Kirche immer dürfte die beiden späteren Evangelisten wieder zeigen, wie sehr sie mit dem Ju- Matthäus und Lukas veranlasst haben, dentum verbunden ist: „Der Glaube Jesu neben Kindheitsgeschichten auch Vor- eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns“ fahren-Listen Jesu zu präsentieren. Sie (Schalom Ben-Chorin, jüdischer Religi- vermitteln wichtige Botschaften: onsphilosoph). als wollte der Evangelist bereits hier an- Großvater Jesu „väterlicherseits“ heißt, C ■ Theologisch bedeutsam ist, welche Personen jeweils am zeitlichen Anfang ■ Bemerkenswert ist aber auch, dass deuten, dass das Heil Gottes nicht auf Israel beschränkt ist („Darum geht zu denn Matthäus behauptet, dass ein Mann namens „Jakob“ der Vater von Jo- der Abstammungskette genannt wer- Matthäus die Namen von vier nichtjü- allen Völkern …“, Mt 28,19). sef gewesen sei, Lukas hingegen nennt den. Beide Genealogien registrieren eine dischen („heidnischen“) Frauen in seinen ihn „Eli“. Diese Ungenauigkeit bzw. Un- Abstammung Jesu aus dem königlich- Stammbaum aufnimmt (Tamar, Rut, Ra- Kehren wir zur Ausgangsfrage zurück, sicherheit wird noch verstärkt, wenn messianischen Geschlecht Davids. Dies hab und die Frau des Urija). Es scheint, so bleibt offen, wie der (rechtliche) man bedenkt, dass die Genealogien auch C 24 | Lebendig Lebendig | 25
Zwischen Ahnentafel und Stammbaum: Familienforschung in Westfalen sonst in den Namensnennungen über- schon im 16. Jahrhundert entstanden. wiegend uneinheitlich sind: Von den 102 1912/13 wurde eine detailgetreue Kopie insgesamt genannten Personen kommen gefertigt. Jeder Mensch stammt von einer Mutter ab. Das ist nicht zweifelhaft. Der Vor- nur 17 in beiden Abstammungslisten vor gang der Geburt ist der Beweis. Jedes Kind hat auch einen Erzeuger, der von (85 werden also nur einmal – entweder Das bilderreiche Relief ruht auf einem bei Matthäus oder bei Lukas – erwähnt). Türsturz, der zwischen den Monogram- dem Kind später möglicherweise gar nichts weiß. Zum „Vater“ wird er erst, So ergeben sich recht unterschiedliche men für Jesus und Maria in Latein die wenn er das Kind als das Seine anerkennt und damit für das Kind Verantwor- Genealogien. Daher ist davon auszuge- Worte des Propheten Jesaja wieder- tung übernimmt. Die Römer sagten: Pater semper incertus, „der Vater [Erzeu- hen, dass die Verfasser der Listen nicht gibt: „Doch aus dem Baumstumpf Isais ger] immer unsicher“. in erster Linie historisch gesicherte An- wächst ein Reis hervor, / ein junger Trieb gaben präsentieren wollten, sondern aus seiner Wurzel bringt Frucht“ (Jesaja beabsichtigten, in einer je eigenen Ab- 11,1). Darüber ist der liegende, schlafen- Ein „Stammbaum“ zeigt die bekannten Eine „Ahnentafel“ zeigt dagegen die stammungslinie die Messianität und die de Jesse (= biblisch Isai, der Vater Davids Nachfahren eines Menschen (s. Beispiel bekannten, biologischen Vorfahren eines weltweite Bedeutung Jesu zu bezeugen. und damit Begründer der königlichen auf Seite 28). Das Wort steht für die Vor- Menschen, also seine zwei Eltern, vier Dynastie Israels) zu sehen. Aus seiner stellung, dass aus einer Wurzel ein sich Großeltern, acht Urgroßeltern u.s.w. (in Seite entspringt ein Baum, von dessen verzweigender Baum erwächst. Diese Potenzen von 2). Durch Verwandtenhei- Dr. Leopold Schütte (78) In den bildnerischen Darstellungen der Stamm zu beiden Seiten sechs mit rei- „Wurzel“ ist nach der biblischen Schöp- raten können manche dieser Positionen war Oberstaatsarchivrat Vorfahren Jesu sind zwei Varianten zu chem Laubwerk geschmückte Äste ab- fungsgeschichte Adam, der erste Mensch. identisch sein. Heiraten unter nahen Ver- am früheren Staatsarchiv Münster. Er ist ausgewiesener unterscheiden: zweigen. Sie tragen Blütenkelche mit Oft wird dies Baum-Bild in den bildlichen wandten dienten dem Machterhalt, wa- Spezialist für Westfälische ■ Der Bildtyp der „Heiligen Sippe“ geht den Bildern von zwölf jüdischen Köni- und schriftlichen Darstellungen auf eine ren aber fast überall auf der Erde ungern Landesgeschichte und Ehren- von Marias Verwandtschaft aus und gen der messianischen Linie David-Salo- einzige Abstammungslinie reduziert – so gesehen bzw. verboten. mitglied der Westfälischen stellt unter anderem ihre Mutter Anna mo (unten links David mit der Harfe). Im bei der Genealogie Jesu nach Lukas. Bei Gesellschaft für Genealogie und ihren Vater Joachim klar heraus. Gipfelfeld thront Maria mit dem Jesus- diesem stammt Jesus als der„Sohn Da- Gegenstand der Familienforschung und Familienforschung. Zu Joachim gilt als Schutzpatron der Vä- kind, zu beiden Seiten von einem kni- vids“ über diesen hinaus von Adam ab. sind in der Regel die Vorfahren. Eine seinen zahlreichen Publikati- ter und Großväter. Beider Fest wird am enden Engel verehrt. So ergibt sich eine Ahnentafel kann immer nur so weit zu- onen zählt auch das Lexikon „Wörter und Sachen aus 26. Juli gefeiert. Dagegen ist der Vater Verbindung zwischen Jesse, aus dessen rückreichen, wie es sichere historische Westfalen 800 bis 1800“ Josefs, sei es nun Jakob oder Eli, in der Leib ein Spross (lat. virga = Reis, Rute, Quellen gibt. Solche (2. A. Duisburg 2014), in Volksfrömmigkeit nahezu unbekannt. Zweig) wächst, und der Jungfrau (lat. gibt es einigermaßen dem er sein Wissen über virgo) Maria. Zugleich wird der Über- lückenlos nur für we- Westfalen auf mehr ■ Der Bildtyp der „Wurzel Jesse“ weist gang vom Alten Bund (hier repräsentiert nige Hochadelsfami- als 800 Seiten zusammen- auf die Vorfahren Josefs (zumindest in durch die jüdischen Könige) zum Neuen lien etwa bis ins 15. gefasst hat. einer Auswahl) hin. Ein eindrucksvolles Bund (mit Jesus Christus und Maria) an- oder 14. Jahrhundert. Beispiel dieser genealogischen Darstel- gezeigt. Den oberen Abschluss bildet die Davor wird es „dünn“ lung befindet sich in der Bekrönung des Halbfigur des segnenden Gottvaters. ■ mit den Quellen. Nur Hauptportals der St. Lamberti-Kirche in wenige können sich Münster (am Beginn der Salzstraße). Das Franz-Josef Lütke Schelhowe bis zu Karl dem Gro- originale Kunstwerk ist wahrscheinlich ßen vor 1300 Jahren und seinen Vorfah- ren zurückverfolgen. Nach dem in der „Frag doch die Generation vor dir, Vergangenheit ver- und sieh dir die Fülle der Erfahrungen deiner Vorfahren an.“ bindlichen und auch Ahnentafel des Sigmund Christoph Graf von Waldburg-Zeil- heute noch üblichen Hiob 8,8 Trauchburg, Domherr in Konstanz seit 1776. Namensrecht trägt Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe 73/IX. das Kind den Namen C 26 | Lebendig Lebendig | 27
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