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urologen.info Ausgabe 6 • Dezember 2016 • 14. Jahrgang In dieser Ausgabe: Uro-Onkologie Prostatakrebs Chronodisruption, Melatonin- aktivität, zirkadiane Suszeptibilitätsgene, Chronotherapie Metastasiertes Nierenzellkarzinom Prognose für Patienten mit Absiedelungen in der Bauchspeicheldrüse Muskelinvasives Urothelkarzinom Thromboembolische Ereignisse nach neoadjuvanter Chemo- therapie Andrologie Niedriges Testosteron und Apoplex-Inzidenz Urologie Duloxetin bei Inkontinenz – pro oder contra? Diabetische Zystopathie �� � � �� �� �� �� ��� www.andrologen.info • www.urologen-infoportal.de �� � �� ��� �� �� �
Inhalt URO-ONKOLOGIE 178-190 Chronobiologie und Prostatakrebs Chronodisruption, Melatoninaktivität, zirkadiane Suszeptibilitätsgene, Chronotherapie Prostatakrebs (PCa) Melatoninsulfat/Kortison-Verhältnis im Urin Hinweis auf chronobiologische Assoziation? Neu diagnostizierter metastasierter Prostatakrebs Überleben bei Androgendeprivationstherapie mit und ohne zusätzliche Strahlentherapie Hoch-/Intermediärrisiko-Prostatakrebs Langzeitüberleben bei endokriner Therapie alleine und kombiert mit Strahlentherapie Metastasierter kastrationsresistenter Prostatakrebs PSA-Abfall nach vierwöchiger Abirateronacetat-Behandlung mit Gesamtüberleben assoziiert Oligometastasen des Prostatakarzinoms Progressionsfreies Überleben therapienaiver Patienten nach stereotaktischer Strahlentherapie Active Surveillance bei Prostatakrebs Langzeitergebnisse der bevölkerungsbasierten Göteborger PCa-Screening-Studie Prostatakrebs Häufigkeit der Ejakulationen im Erwachsenenalter beeinflusst Erkrankungsrisiko Klarzelliges Nierenzellkarzinom (ccRCC) Adjuvante Sunitinib-Therapie bei Patienten mit lokoregionärer Hochrisiko-Krankheit Nicht metastasiertes Nierenzellkarzinom Adjuvantes Sunitinib oder Sorafenib bei Patienten mit Hochrisiko-Krankheit Metastasiertes Nierenzellkarzinom Prognose für Patienten mit Absiedelungen in der Bauchspeicheldrüse Metastasiertes nicht klarzelliges Nierenzellkarzinom Everolimus versus Sunitinib — Erstlinie mit mTOR-Inhibitor oder VEGF-Rezeptor-Inhibitor Erstlinie bei fortgeschrittenem Urothelkarzinom Vinflunin−Gemcitabin vs. Vinflunin−Carboplatin bei nicht für Cisplatin geeigneten Patienten urologen.info Dezember • 2016 175
Inhalt URO-ONKOLOGIE 190-191 Muskelinvasives Urothelkarzinom der Harnblase Thromboembolische Ereignisse bei Patienten mit neoadjuvanter Chemotherapie Prognostische Faktoren bei Patienten mit „poor risk“ Keimzelltumor Peniskrebs Weltweite Prävalenz humaner Papillomaviren UROLOGIE 192-199 Kindliche Harninkontinenz Verkehrssicherheit unter anticholinerger Therapie – ein urologisches Thema? Duloxetin bei Inkontinenz – pro oder contra? Zusammenhänge zwischen Ängstlichkeit und überaktiver Blase oder Inkontinenzsymptomen Diabetische Zystopathie: Wenn die Harnblase unter Zucker leidet ANDROLOGIE 200-201 Verbindung zwischen endogenem Testosteron und ischämischen zerebrovaskulären Ereignissen Melatonin- und Kortisonprofile in Verbindung mit altersbedingem Kognitionsverlust Mit Recht an Ihrer Seite 202-203 „Hyperlinks“ auf der eigenen Homepage: Welche rechtlichen Risiken gibt es? Pharmaforum / Meldungen 204-207 Chemotherapie für einen optimalen Therapieerfolg bei mCRPC Männergesundheit: Testosterondefizit als Risikomarker akzeptiert Fortgeschrittenes Blasenkarzinom: Vorläufige Ergebnisse der Phase-I/II-Studie CheckMate-032 10 Jahre Nexavar - eine bewährte Substanz in der Therapie des mRCC TERRAIN-Studie: Auch Weichteilmetastasen sprechen auf Enzalutamid an Bewegung und Sport bei Nierenkrebs: Neue Broschüre von Novartis Impressum 215 176 urologen.info Dezember • 2016
Uro-Onkologie Chronobiologie und Prostatakrebs Chronodisruption, Melatoninaktivität, zirkadiane Suszeptibilitätsgene, Chronotherapie Der menschliche Organismus wird in zahlreichen Bereichen durch ein inneres Uhrwerk auf einen 24- Stunden-Rhythmus eingestellt. Am augenscheinlichsten zeigt sich das beim Schlaf-Wach-Rhythmus. Doch auch endokrine Prozesse wie die Produktion von Testosteron, Kortison und Melatonin sowie zentralnervöse Funktionen unterliegen einem endogen gesteuerten Tagesrhythmus. Verschiedene den zirkadianen Rhythmus kontrollierende Gene spielen eine Rolle in der Tumorigenese. Für das „Schlafhor- mon” als Effektor der zirkadianen Uhr wurden zudem antioxidative, entzündungshemmende, antiangio- gene, antiproliferative und Krebszellapoptose-fördernde Aktivität nachgewiesen. Epidemiologische und genetische Untersuchungsergebnisse belegen, dass eine Chronodisruption direkt mit Prostatakrebs im Zusammenhang stehen kann. Mit der zirkadianen Rhythmik in Einklang gebrachter Applikationsschemata aktueller hormon- strahlen- und chemotherapeutischer Behandlungsstrategien könnten Chronotherapien dazu beitragen, Toxizitäten zu verringern und Effektivitäten zu optimieren. U nter dem Begriff zirkadianes der gleichgestellt. Es existiert eine klare al. 2003). Durch seine der Nachtlänge an- System werden alle biologischen Hierarchie, bei der die lokalen Oszilla- gepasste Sekretion vermittelt Melatonin Funktionen zusammengefasst, die toren auf allen Ebenen durch den zentra- in erster Linie Informationen über den tagesrhythmischen Schwankungen unter- len Schrittmacher über neuronale und hu- Tagesrhythmus an verschiedene Statio- liegen. Sitz des primären chronobiologi- morale Faktoren synchronisiert werden. nen im Organismus. Der stabile tages- schen Zentrums ist der Nucleus supra- Kernelemente des Uhrwerks sind die zeitliche Rhythmus führt zu maximaler chiasmaticus im ventralen Hypothalamus Schlüsselgene, deren Proteinprodukte für Sekretion des Schlafhormons während ((Abb. 1). Dieses Kerngebiet setzt sich aus die Erzeugung und Regulation der zirka- der Nachstunden gegen drei bis vier Uhr. drei Elementen zusammen: Dem Signal- dianen Rhythmik innerhalb der einzelnen Tageslicht bewirkt dann die Inhibierung eingang, dem zentralen Schrittmacher und Zellen überall im Organismus erforder- der Melatoninfreisetzung. Nachts erreicht der Signalausgabe. Auf dem Eingabeweg lich sind (Ko, Takahashi, 2006). Zu den der Melatoninspiegel Werte von 80 bis gelangen Umweltsignale wie insbesonde- Proteinen die chronobiologische Funktio- 120 pg/ml, die unter Tage deutlich auf 2 re Lichtreize in den zentralen Schrittma- nen in zentralen und peripheren Effekto- bis 20 pg/ml abfallen. Die biologischen cher. Dieser umfasst eine Reihe einzel- ren kontrollieren, gehören insbesondere: Melatonineffekte kommen über die bei- zelliger zirkadianer Oszillatoren, die im Period 1, 2, 3 (Per1–3); Cryptochrome 1, den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren gesunden Individuum synchronisiert sind 2 (Cry1, 2); Clock (Circadian Locomotor MT1 und MT2 zustande. und ein koordiniertes Ausgabesignal ent- Output Cycles Kaput) und Bmal1. stehen lassen. Chronodisruption mit erhöhtem Da die Physiologie des Menschen ent- Abstimmung des zirkadianen Prostatakrebsrisiko assoziiert? scheidend von der Chronobiologie geprägt Uhrwerks durch Melatonin wird, kommt der rhythmischen Oszilla- Die Hypothese, dass das Risiko für hor- tion in so gut wie allen Zellen des Orga- Die zirkadiane Sekretion von Melatonin monabhängige Krebserkrankungen durch nismus eine Rolle zu. Daher sind Varian- aus der im Zwischenhirn lokalisierten Zir- Disruption des zirkadianen Rhythmus er- ten des zentralen Uhrwerks in peripheren, beldrüse (Epiphyse) wird durch den Haupt- höht sein könne, wurde insbesondere beim nicht neuronalen Geweben aktiv. Aller- taktgeber im hypothalamischen Nucleus Brustkrebs und seltener auch beim Pro- dings sind nicht alle diese Uhren einan- suprachiasmaticus gesteuert (Hastings, et statakrebs untersucht. In einer Metaa- 178 urologen.info Dezember • 2016
Uro-Onkologie und Tagarbeitern beobachtet. aus ONCOLINE; Rhodes et al. 2004) si- Nach Meinung der Autoren ist gnifikant herunterreguliert ist. es aber erforderlich, die noch Inwieweit Variationen von zirkadianen relativ junge Kohorte weiter- Genen für das Risiko von zum Tode füh- hin nachzuverfolgen (Ham- rendem Prostatakrebs eine Rolle spielen, mer et al. 2015). wurde von Markt et al. (2015) anhand von Bei 10 051 männlichen Pilo- 96 Einzelnukleotid-Polymorphismen in ten aus vier nordischen Staaten 12 zirkadianen Schlüsselgenen bei Pa- (Dänemark, Island, Norwegen tienten aus drei Studienkohorten unter- und Schweden) war das rela- sucht. Sie fanden keine feste einheitliche tive Prostatakrebs-Risiko mit Beziehung zwischen Genvarianten und zunehmender Anzahl der im dem fatalen Prostatakrebsrisiko. Cockpit auf Langstreckenflü- Anhand der Genotypisierung genetischer gen verbrachten Stunden signi- Varianten in zehn zirkadianen Genen bei fikant erhöht ((p=0.01) (Pukka- Patienten aus zwei bevölkerungsbasier- la et al. 2003). ten Fall-Kontroll-Studien zu Prostatakrebs Papantoniou et al. (2015b) überprüften Zhu et al. (2009) die Hypo- bestimmten die Tagesrhyth- these, dass Varianten zirkadianer Gene die men einer Reihe von Sexual- Suszeptibilität für Prostatakrebs erhöhen Abb. 1: Der zentrale Schrittmacher ist die oberste Steuereinheit hormonen und ihren Metabo- können. Sie ermittelten, dass in der All- der inneren Uhr für die zirkadiane Rhythmik. Sein Sitz ist der Nucle- liten im Urin von Tages- und gemeinbevölkerung drei zirkadiane Gene us suprachiasmaticus, ein paariges Kerngebiet des Hypothalamus oberhalb des Chiasma opticum. Nacharbeitern. Sie ermittel- ( (ARNTL , CSNK1E, und NPAS2) mit der ten bei Arbeitern mit perma- individuellen Suszeptibilität für Prosta- nenten Nachtschichten vergli- takrebs signifikant im Zusammenhang nalyse wurde der Einfluss zirkadianer chen mit Tagesarbeitern deutlich erhöhte stehen. Zudem wurden Einzelnukleotid- Disruption auf das Prostatakrebsrisiko Androgenspiegel mit verzögerter maxi- polymorphismen in sechs Genen (Clock, anhand epidemiologischer Studiendaten maler Androgenproduktion. Die erhöh- Cry1, Cry2, Per1, Per2 und Per3) iden- analysiert (Sigurdardottir et al. 2012). In te und zeitlich verschobene Sexualhor- tifiziert, die signifikant mit Subgruppen 15 von 16 der im Review berücksichtig- monproduktion könnte nach Auffassung von mehr oder weniger aggressiven Tu- ten Studien (davon 10 mit signifikantem der Autoren das erhöhte Risiko für hor- moren assoziiert sind. Ergebnis) ließ sich eine positive Assozi- monabhängigen Krebs, wie er bei Nacht- ation zwischen einer zur Chronodisrup- schichtarbeitern beobachtet wird, zumin- Vielfältige Melatonineffekte in der tion führenden Aktivität und dem Pros- dest teilweise erklären. Tumorbiologie tatakrebsrisiko ermitteln, Verglichen mit Tagesarbeitern hatten Uhrengene regulieren Entwicklung Melatonin ist an der Regulierung ver- Wechselschichtarbeiter ein signifikant er- und Progression von Prostatakrebs schiedener biologischer Prozesse betei- höhtes Prostatakrebsrisiko. Bei durchge- ligt. Die funktionelle Diversität des Neu- hender Arbeit in Nachtschichten war das Zirkadiane Gene kontrollieren die Ex- rohormons beinhaltet antioxidative (Reiter Prostatakrebsrisiko dagegen nicht signi- pression von Tumorsuppressorgenen, et al. 1995), immunregulatorische (Cal- fikant erhöht (Kubo, et al. 2006). Zellzyklusgenen, Genen, die für Caspa- vo et al. 2013), antiangiogene (Kim et al. In einer bevölkerungsbasierten spani- sen kodieren, und Genen für Transkrip- 2013), antiproliferative (Jung-Hynes, et schen Fall-Kontroll-Studie wurde ein er- tionsfaktoren (Fu & Lee, 2003). Hieraus al. 2011) und Krebszellapoptose-fördern- höhtes Prostatakrebsrisiko bei längerfris- resultierte die Hypothese, dass zirkadiane de (Sainz et al. 2003) Aktivität. tiger Nachtarbeitszeit in Verbindung mit Gene eine Rolle in der Tumorigenese spie- Melatonin fungiert als endogener Radi- verkürzter Überlebenszeit bestätigt. Die len könnten. Das beträfe die individuelle kalenfänger und verfügt über ein breites Gefährdung betraf zuvörderst Chronoty- Suszeptibilität gegenüber Krebserkran- Spektrum an antioxidativen Wirkungen. pen, die das Arbeiten am Abend bevorzu- kungen – insbesondere hormonabhängi- Das Hormon hilft, reaktive Sauerstoffspe- gen. Bei Nachtschichtarbeit über einen sehr gen Karzinomen wie dem Prostatakrebs zies zu neutralisieren und schützt hier- langen Zeitraum erhöhte sich das Prosta- (Zhu et al. 2006). durch insbesondere die Zellen der Leber takrebsrisiko aber auch für Chronotypen Befunde zu Variationen der Uhrenge- vor Schäden durch zahlreiche toxische mit der Präferenz für morgendliche Ar- ne in Verbindung mit Prostatakrebs lie- Substanzen wie Aflatoxine, Schwerme- beit (Papantoniou et al. 2015a). gen insbesondere für Per1 vor. Cao et al. talle, Nikotin, Kohlenstofftetrachlorid, In einer zeitnahen großen Kohortenstu- (2009) fanden, dass die Per1-Expression Per1 chemotherapeutische Substanzen und die wurde kein unterschiedliches Prosta- in humanen Prostatakrebszelllinien ge- Endotoxine infolge septischer Prozesse takrebsrisiko zwischen Wechselschicht- genüber normaler Prostata (gemäß Daten (Esteban-Zubero, et al. 2016). Als adju- urologen.info Dezember • 2016 179
Uro-Onkologie vante Krebstherapie bewirkte Melatonin fähigkeit und die Proliferationsrate der takrankheiten gegenüber der gesunden bei Radiochemotherapien eine wesentli- Zellen signifikant beeinträchtigt. Prostata deutlich heraufreguliert (Jung- che Abschwächung der Nebenwirkungen Jung-Hynes et al. (2010) überprüften Hynes et al. 2010). (Wang et al. 2012). Transtympanisch ap- ferner die Hypothese, dass Melatonin an- Über die Supprimierung der Tumoran- pliziert schützte das Antioxidans im Tier- tiproliferative Effekte auf Prostatakrebs giogenese durch Melatonin kommen on- experiment das Corti-Organ effektiv vor überträgt, indem es das deregulierte zir- kostatische Effekte zustande (Park et al. Cisplatin-verursachter Ototoxizität (De- kadiane Uhrwerk resynchronisiert. Tat- 2009, Sohn et al. 2015). Das Neurohor- mir et al. 2015). sächlich bewirkte die Behandlung der mon inhibiert den Hypoxie-induzierba- Abgesunkene Melatoninspiegel füh- Prostatakrebszellen mit Melatonin die ren Transkriptionsfaktor 1 (HIF-1) und ren bei Krebspatienten vielfach zu dere- Zunahme von Per2 und Clock während den proangiogenen vaskulären endothe- gulierter Biorhythmik. Das maligne Zell- Bmal1 abnahm. lialen Wachstumsfaktor (VEGF). Das He- wachstum steht dabei mit einer veränderten Außer in Zellkulturen wurden die Ex- teromer HIF-1 besteht aus einer konstitu- Expressionsrate zirkadianer Uhrengene pressionsmuster von Clock, Bmal1 und tiv exprimierten β-Untereinheit und der im Zusammenhang. Diesbezügliche In- Per2 auch mittels Gewebe-Microarrays in streng reguliert exprimierten α-Unterein- vitro-Untersuchungen mit den humanen menschlichen Prostatageweben bestimmt. heit. In vitro lässt sich die Expression des Prostatakrebszelllinien LNCaP, DU145, In den Proben von benigner Prostatahy- HIF-1α-Proteins in den humanen Prostata- 22Rv1 und PC3 ergaben gegenüber nor- perplasie, hochgradiger intraepithelialer krebszellen DU145, PC3 und LNCaP un- malen Prostataepithelzellen verringerte Neoplasie, lokalisiertem Prostatakrebs, ter norm- und hypoxischen Bedingungen Spiegel an Clock- und Per2-Protein, wäh- metastasiertem Prostatakrebs und Pro- durch pharmakologische Konzentrationen rend die Konzentration des Bmal1-Prote- statakrebs-Metastasen aus den Lymph- an Melatonin hemmen. Die Inhibition er- ins erhöht war (Jung-Hynes et al. 2010). knoten, dem Kolon oder Gehirn waren folgt auf der Translationsebene, so dass Wurden die Prostatakrebszellen jedoch Per2 und Clock in erheblich geringerem die Spiegel an HIF-1α-mRNA nicht ab- mit humanem Per2-Vektor transfiziert und Maße exprimiert als in normalem Pros- gesenkt sind (Park et al. 2009). damit die Überexpression des Per2-Gen- tatagewebe. Dagegen war die Expressi- In hypoxischen PC3-Prostatakrebs- produkts herbeigeführt, waren die Lebens- on von Bmal1 bei proliferativen Prosta- zellen wurde die Expression von HIF- 1α, HIF-2α und VEGF auf mRNA-Ebe- ne durch Melatonin signifikant verringert, und die Expression der mikroRNA-Mo- leküle miRNA3195 und miRNA374b her- aufreguliert. Letzteres vermittelt die durch T DHT Melatonin induzierte antiangiogene Ei- genschaft (Sohn et al. 2015). Melatonin inhibiert die Androgen- DHT abhängige Proliferation benigner Pros- DHT tataepithelzellen und Androgen-sensiti- AR AR AR ver LNCaP-Zellen. Das ist nicht auf die ARE Supprimierung der Bindung von And- PKCα RORα rogenrezeptoren (AR) an die Androgen- responseelemente Androgen-abhängiger Gene sondern auf das Verhindern der AR- MT 2 Translozierung in den Zellkern zurück- 1 Melatonin MT zuführen (Rimler et al. 2002). Mit An- drogen-insensitiven PC3-Zellen, die mit ROS einen Wildtyp-AR-Vektor transfiziert Wachstums- Apoptose arrest waren (PC3-AR), wurde nachgewiesen, dass die Abschwächung der AR-Aktivi- tät durch Melatonin auf den Ausschluss Abb. 2: Negative Feedback-Schleife zwischen Melatonin und dem Androgenrezeptor (AR): Tes- tosteron (T) wird zu Dihydrotestosteron (DHT) reduziert, das im Zytoplasma der Prostatazellen der AR aus dem Zellkern zurückzufüh- (auch Prostatakrebszellen) an den AR bindet und diesen aktiviert. Der AR-DHT-Komplex wird in ren ist (Rimler et al. 2002). den Zellkern transloziert und heftet sich an das Androgen-Response-Element (ARE) von Zielge- Antiproliferative Effekte von Melato- nen, um damit deren Transkription zu stimulieren. Diese transkriptionelle Aktivität unterdrückt die Expression der Melatoninrezeptoren MT1 und MT2. Damit wird die Fähigkeit des Melatonins un- nin auf LNCaP-Zellen in einem Xenograft- terbunden, Wachstumsarrest und Apoptose zu induzieren sowie oxidativen Stress zu verhindern Mausmodell stehen im Zusammenhang mit (ROS = reactive oxygen species). Melatonin und seine Rezeptoren inhibieren ihrerseits die Trans- der Expression des G-Protein-gekoppelten lozierung des AR-DHT-Komplexes in den Zellkern. Dabei sind unter anderem Protein Kinase C al- pha (PKCα) und der RAR (retinoic acid receptor)-related orphan receptor alpha (RORα) involviert Melatoninrezeptors MT1 (Xi et al. 2001). (nach Kiss & Ghosh, 2016). Zudem zeigten Tam et al. (2007), dass in 180 urologen.info Dezember • 2016
Uro-Onkologie Androgen-insensitiven 22Rv1-Prostata- möglichen Normalisierung der zirkadia- trugen 51 % bzw. 29 % ((p=0,003). Zudem krebszellen ein Melatonin/MT1/PKC-Me- nen Rhythmen unter der ADT (Hanisch reduzierten sich bei Chronotherapie die chanismus an der Melatonin-induzierten & Gehrman, 2011). Raten an schwerer Mukosatoxizität und Abschwächung der Androgen-AR-Signal- Hsu e al. (2016) überprüften die Hypo- Neuropathie hochsignifikant. Die medi- transduktionskaskade beteiligt ist. Durch these, dass die Krankheitskontrolle und ane Dauer bis zur Krankheitsprogression AR-Aktivität wird die Expression der Me- die mit einer Hochdosis-Strahlenthera- war bei Chronotherapie ebenfalls länger latoninrezeptoren supprimiert. Daraus wird pie verbundene Toxizität zirkadian vari- als bei kontanter Infusionsrate (6,4 Mo- geschlossen, dass der Melatonin-Effekt un- ieren. Hierzu verteilten sie Patienten mit nate versus 4,9 Monate, p=0,006). Hin- ter Umständen am ehesten bei Androgen lokalisiertem Adenokarzinom der Pros- sichtlich der Überlebenszeit bestand kein depriviertem Prostatakrebs mit niedriger tata auf eine Gruppe mit der Behandlung signifikanter Unterschied (15,9 Monate AR-Aktivität zum Tragen kommt (Kiss & zur Tageszeit (vor 17:00 Uhr, n=267) und versus 16,9 Monate). Ghosh, 2016; Abb. 2). eine Gruppe mit der Bestrahlung in den Eine von der Association for Research Verschiedene Tumoren sind aufgrund Abendstunden (nach 17:00 Uhr, n=142. on Time in Biology and Chronotherapy von Apoptoseresistenz nur schwer behan- Bestrahlt wurden die Prostata und invol- (ARTBC) International Chronotherapy delbar. Da Melatonin ein natürlicher Aus- vierte Samenbläschen (median 78 Gy). Bei Group initiierte Metaanalyse aus drei Pha- löser des programmierten Zelltods in Tu- abendlicher Bestrahlung waren die Patien- se-III-Studien hatte zum Ziel, bei Män- morzellen aber nicht in normalen Zellen ten seltener als die tagsüber bestrahlen Pa- nern und Frauen mit metastasiertem ko- ist, könnte es diesbezüglich in klinische tienten frei von späten gastrointestinalen lorektalem Karzinom die Effektivität der Programme einbezogen werden (Sánchez- Beschwerden vom Grad ≥2 (Hazard Ra- Chronotherapie mit dem etablierten Ver- Hidalgo et al. 2012). Über eine mögliche tio 2,96, p
Uro-Onkologie Hastings MH, Reddy AB, Maywood ES, 2003. A with oxaliplatin, fluorouracil, and folinic acid in meta- 2003. Melatonin and cell death: differential actions clockwork web: circadian timing in brain and peri- static colorectal cancer. Lancet 350:681-686. on apoptosis in normal and cancer cells. Cell Mol phery, in health and disease. Nat Rev Neurosci 4: Lu Y-X, Chen D-L, Wang D-S, et al. 2016. Melatonin Life Sci 60:1407-1426. 649-661. enhances sensitivity to fluorouracil in oesophageal Sánchez-Hidalgo M, Guerrero JM, Villegas I, et Hsu FM, Hou WH, Huang CY, et al. 2016. Diffe- squamous cell carcinoma through inhibition of Erk al. 2012. Melatonin, a natural programmed cell death rences in toxicity and outcome associated with cir- and Akt pathway. Cell Death Dis 7:e2432. inducer in cancer. Curr Med Chem 19:3805-3821. cadian variations between patients undergoing Markt SC, Valdimarsdottir UA, Shui IM, et al. 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Neoplasia 6:1-6. ‘‘Clock’’ matter in prostate cancer? Cancer Epide- 1997. Randomised multicentre trial of chronotherapy Sainz RM, Mayo JC, Rodriguez C, Tan DX, et al. miol Biomarkers Prev 15:3-5. Prostatakrebs (PCa) In der Fall-Kontroll-Studie wurde bei Melatoninsulfat/Kortison-Verhältnis im Urin Männern mit PCa im Morgenurin eine signifikant niedrigere Konzen- Hinweis auf chronobiologische Assoziation? tration an Melatoninsulfat und ein Melatonin und Kortison, die einer zirkadianen Rhythmik unterliegen, haben deutlich geringeres Melatoninsulfat/ onkostatische und immunsuppressive Eigenschaften. Das Verhältnis ihrer Kortison-Verhältnis im Urin (M/C-U) Konzentrationen im Morgenurin (M/C-U) wurde im Zusammenhang mit PCa bestimmt als bei Kontrollen. Das analysiert. Vorliegen von PCa insbesondere im fortgeschrittenen Stadium stand D ie Studienpopulation der Fall-Kon- lich niedrigeren PSA-Spiegels bei den mit einem niedrigen M/C-U kombi- troll-Studie bestand aus 120 Män- Kontrollen. niert mit PSA-Spiegeln >10 ng/ml nern mit neu diagnostiziertem, Im Vergleich zu den Kontrollen hat- im Zusammenhang. Eine eindeu- pathologisch nachgewiesenem PCa und ten die PCa-Patienten eine signifikant tige kausale Beziehung zwischen 240 Kontrollen. Die beiden Gruppen un- niedrigere Melatoninsulfat-Konzentra- M/C-U und PCa-Risiko lässt sich terschieden sich nur bezüglich des deut- tion und höhere Kortisonkonzentration daraus nicht ableiten. (p=0,007) im Urin. Am deutlichsten aus- geprägt war der Unterschied zwischen den ▼ Melatoninsulfat/Kortison-Verhältnis Männern mit PCa und den Kontrollen bei Biomarkers fand sich mit 32,1-fach höhe- 200 p10 ng/ml lag eine 8,82-fach erhöhte Wahrschein- Tai S-Y, Huang S-P, Bao B-Y, Wu M-T, 2016. Urinary 0 melatonin-sulfate/cortisol ratio and the presence of lichkeit eines PCa vor. Diese Kombina- prostate cancer: A case-control study. Scientific Prostatakrebs Kontrollen tion des zirkadianen und des klinischen Reports 6:29606. urologen.info Dezember • 2016 183
Uro-Onkologie Neu diagnostizierter metastasierter Prostatakrebs In einer Analyse zeitnaher Fälle ei- Überleben bei Androgendeprivationstherapie nes neu diagnostizierten metasta- sierten Prostatakarzinoms, in denen mit und ohne zusätzliche Strahlentherapie mit Androgendeprivationstherapie Bei Männern mit neu diagnostiziertem metastasiertem Prostatakarzinom (ADT) alleine oder zusätzlich noch (mPCa) wurde Prostatektomie mehrfach retrospektiv als lebensverlängernde mit Strahlentherapie behandelt wor- Maßnahme nachgewiesen. Dagegen ist in der Situation die Rolle der extrakor- den war, überlebten letztere Patien- poralen Strahlentherapie (ST) kaum untersucht. Sie wurde aktuell anhand der National Cancer Database bei mPCa-Patienten evaluiert, die eine Androgende- ten wesentlich länger als diejenigen privationstherapie (ADT) mit oder ohne zusätzliche ST erhalten hatten. mit ADT alleine. A us dem Zeitraum von 2004 bis 2012 handelt worden waren. Das mediane Fol- wurden 6 382 Männer mit mPCa low-up betrug 5,1 Jahre. Ein Überlebensvergleich zwischen Pati- identifiziert, von denen 5 844 mit In der uni- und multivariaten Analyse enten mit ADT, Patienten mit ADT plus ST ADT alleine und 538 mit ADT plus ST be- war das Gesamtüberleben (OS) bei ADT stratifiziert nach Strahlendosis (≥65 Gy vs. plus ST signifikant länger als bei ADT al-
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Uro-Onkologie Metastasierter kastrationsresistenter Prostatakrebs Bereits nach vierwöchiger Be- PSA-Abfall nach vierwöchiger Abirateronacetat- handlung von mCRPC-Patienten mit Abirateronacetat stand die Ver- Behandlung mit Gesamtüberleben assoziiert änderung des PSA-Spiegels hoch- Gemäß der Hypothese, dass bei Patienten mit kastrationsresistentem Prosta- signifikant im Zusammenhang mit takrebs (mCRPC) ein bereits nach vierwöchiger Behandlung mit Abirateron- dem PSA-Ansprechen nach 12 Wo- acetat (AA) eingetretener PSA-Abfall ≥30 % mit verlängertem Gesamtüberle- chen und dem Gesamtüberleben. ben (OS) und einem ≥50 %igen PSA-Abfall nach 12 Wochen im Zusammenhang Das traf auf Patienten mit und ohne steht, während ein PSA-Anstieg ≥25 % nach 4 Wochen ein deutlich schlechte- vorausgegangene Docetaxel-Che- res Krankheitsergebnis prognostiziert, ließe sich bei Ausbleiben des Anspre- motherapie zu. chens frühzeitig ein Therapiewechsel vornehmen. Am Royal Marsden NHS Foundati- oder nach Docetaxel mit AA behandelt höhte Wahrscheinlichkeit eines ≥50 %igen on Trust wurde ein Analysenkollek- worden waren. PSA-Abfalls. tiv mit 274 mCRPC-Patienten identifi- Bis zur vierten Woche nach Beginn der Nach 4 Wochen AA hatte sich das PSA ziert, die zwischen 2006 und 2014 vor Behandlung mit AA erreichten 126 Pati- bei 102 Patienten (37,2 %) um ≥25 % enten (46 %) einen ≥30 %igen PSA-Ab- erhöht – 66 davon nach Docetaxel. Der ▼ Gesamtüberleben (Wahrscheinlichkeit) fall. Damit verbunden war ein signifikant PSA-Anstieg war mit signifikant verkürz- 1,0 längeres OS als bei Nichterreichen die- tem OS assoziiert. Von den 102 Patienten 0,8 ser Ansprechmarge (25,8 vs. 15,1 Mona- mit 25 % PSA-Anstieg nach 4 Wochen Responder te, p
Uro-Onkologie Active Surveillance bei Prostatakrebs (PCa) Die Ergebnisse mit Active Surveil- Langzeitergebnisse der bevölkerungsbasierten lance (AS) deuten bei Patienten mit Minimalrisiko-PCa auf ein hohes Göteborger PCa-Screening-Studie Maß an Sicherheit hin, währen AS Active Surveillance hat heute einen anerkannten Stellenwert zur Vermeidung bei Niedrig- und Intermediärrisiko- von Überbehandlung bei Niedrigrisiko-PCa. Die Langzeitergebnisse der PCa das Risiko birgt, die Heilungs- Göteborger PCa-Screeningstudie ergänzen die noch dünne Datenlage zur möglichkeit zu verpassen. längerfristigen Sicherheit für die Patienten bei AS-Programmen. D ie Screeningstudie startete 1995 versorgt wurden. Das Risiko ihrer Krebser- bzw. 48 % (Abb.). Häufigste Gründe für mit Männern von 50 bis 65 Jah- krankung war in 244 Fällen als sehr nied- den Abbruch der Active Surveillance wa- ren. Für die aktuelle Analyse um- rig „Minimalrisiko“-PCa, in 126 Fällen als ren die Zunahme des Krebsvolumens und/ fasste die Studienpopulation 474 Männer, Niedrigrisiko-PCa und in 104 Fällen als oder des GS (n=108) sowie ein alleiniger die in erster Linie mit Active Surveillance Intermediärrisiko-PCa eingestuft worden. PSA-Anstieg (n=50). Sie erfüllten die Epstein-Kriterien für in- Bei 54 Männern schlug Active Surveil- ▼ Behandlungsfreies Überleben signifikanten PCa: Sehr niedriges Risiko lance fehl. Die 10- und 15-Jahre versa- 1,00 (T1c, Gleason Score [GS] ≤6, PSA-Dich- gensfreie Rate betrug 87 % bzw. 72 %. te
Uro-Onkologie Klarzelliges Nierenzellkarzinom (ccRCC) Bei Patienten mit lokoregionärem Adjuvante Sunitinib-Therapie bei Patienten mit ccRCC und hohem Rezidivrisi- ko nach Nephrektomie führte die lokoregionärer Hochrisiko-Krankheit postoperative adjuvante Behandlung Mit verschiedenen adjuvanten Behandlungsstrategien nach Nephrektomie mit Sunitinib gegenüber der mit Pla- beim RCC wie Zytokin-Therapie, Strahlentherapie und Hormontherapie war cebo zu einer signifikant längeren bislang keine Senkung der Rezidivhäufigkeit erreicht worden. In der Phase-III- krankheitsfreien Überlebenszeit. Studie S-TRAC (Sunitinib Trial as Adjuvant Treatment of Renal Cancer) wurde Im Gegenzug musste eine höhere die Effektivität und Sicherheit von Sunitinib bei Patienten mit lokoregionärem Rate an toxischen Vorkommnissen ccRCC und hohem Rezidivrisiko nach Nephrektomie ermittelt. in Kauf genommen werden. D ie Randomisierung umfasste 615 Jahre in der Placebo-Gruppe. Zum Zeit- Patienten, von denen 309 der punkt des Daten-Cutoffs war es in der Sunitinib- und 306 der Placebo- Sunitinib-Gruppe bei 113 von 309 Pati- Adverse Events (AE) waren im Sunitinib- Gruppe zugeordnet wurden. Die Patienten enten (36,6 %) zu einem Rezidiv, zu se- Arm häufiger als im Placebo-Arm die Ursa- erhielten ein Jahr lang 50 mg Sunitinib oder kundären Malignität oder Tod gekommen. che für Dosisreduzierungen (34,2 vs. 2 %), Placebo täglich in einem 4/2 Schema (vier In der Placebo-Gruppe betraf es 144 von Unterbrechungen (46,4 vs. 13,2 %) und Ab- Wochen Medikation gefolgt von zweiwö- 306 Patienten (47,1 %). Nach 3 und 5 Jah- bruch (28,1 vs. 5,6 %). Das Verhältnis von chiger Pause). Die Behandlung wurde bis ren waren die Anteile krankheitsfreier Pa- Grad 3 und Grad 4 AE betrug 48,4 vs. zum erneuten Auftreten der Erkrankung, tienten in der Sunitinib-Gruppe 64,9 % 15,8 % bzw. 12,1 vs. 3,6 %. Schwerwie- dem Auftreten einer sekundären Maligni- bzw. 59,3 % und in der Placebo-Gruppe gende AE waren in beiden Armen ähnlich tät, intolerabler Toxizität oder dem Austritt 59,5 % bzw. 51,3 %. häufig (21,9 vs. 17,1 %). Red. ◄ aus der Studie fortgesetzt. Die Daten zum Gesamtüberleben wa- Auf der Grundlage eines verblindeten, ren zum Zeitpunkt des Daten-Cutoffs noch unabhängigen zentralen Reviews betrug nicht ausgereift. In der Sunitinib- und der Ravaud A, Motzer RJ, Pandha HS, et al. 2016. Adjuvant sunitinib in high-risk renal-cell carcino - die mediane Dauer der Krankheitsfrei- Placebo-Gruppe waren je 64 Todesfälle ma after nephrectomy. N Engl J Med DOI: 10.1056/ heit 6,8 Jahre in der Sunitinib- und 5,6 aufgetreten. NEJMoa1611406 Nicht metastasiertes Nierenzellkarzinom (RCC) Die Ergebnisse sprechen eindeu- Adjuvantes Sunitinib oder Sorafenib bei tig gegen den Einsatz antiangioge- netischer Therapien (Sunitinib und Patienten mit Hochrisiko-Krankheit Sorafenib) im adjuvanten Umfeld Bisher fehlen Marker, um bei Patienten mit reseziertem RCC eine Subgruppe mit bei Patienten mit primär resezier- erhöhtem Rezidivrisiko identifizieren zu können. Alternativ wurde deshalb tem RCC. Die Exzessive Toxizität erwogen, dass das Rezidivrisiko bei Patienten mit Hochrisiko-Krankheit posto- der Substanzen führte trotz Dosis- perativ durch eine unterstützende Therapie mit Effektivität bei fortgeschrittenem reduzierungen in erheblichen Maße RCC gesenkt werden könne. Diesbezüglich wurden die beiden antiangiogenen zu Therapieabbrüchen. Substanzen Sunitinib und Sorafenib als adjuvante Therapie bei Patienten mit resektiertem Hochrisikotumor im Vergleich mit Placebo getestet. I n 226 Studienzentren der USA und Ka- sprüngliche Dosis hochtitriert. Bis dahin Anteil an Patienten mit unerwünschten nada wurden 1 943 Patienten mit histo- hatten 44 % der Patienten im Sunitinib- Ereignissen der Grade ≥3 mit beiden logisch nachgewiesenem klarzelligem Arm und 45 % der Patienten im Sorafenib- Substanzen 55 %. oder nicht-klarzelligem Hochrisiko-RCC Arm die Therapie abgesetzt. Der Anteil der 5-Jahre-Gesamtüberle- randomisiert der Behandlung mit Sunitinib Die krankheitsfreie Überlebenszeit für benden war in den drei Studienarmen ver- (n=647), Sorafenib (n=649) oder Place- Sunitinib, Sorafenib und Placebo betrug gleichbar (Sunitinib: 77,9 %, Sorafenib: bo (n=647) zugewiesen. Die Hochrisiko- 70, 73,4 bzw. 79,6 Monate (Sunitinib vs. 80,5 %, Placebo: 80,3 %). Die mediane Zuordnung beinhaltete folgende Kriterien: Placebo: p=0,804; Sorafenib vs. Place- Gesamtüberlebensdauer war noch in keiner pT1b G3–4 N0 (oder pNX in Fällen mit bo: p=0,718). Das Fehlen eines Behand- Gruppe erreicht worden. Red. ◄ klinischem N0) bis jedwedes T jedwedes lungserfolgs betraf sowohl die Patienten G N+ (total resektiert) M0. mit voller Startdosis als auch die Patien- Nach der Rekrutierung von 1 323 Pa- ten mit reduzierter Einstiegsdosis. Haas NB, Manola J, Uzzo RG, et al. 2016. Adjuvant tienten wurde die Startdosis beider Subs- Die Rate an verschiedenen Nebenwir- sunitinib or sorafenib for high-risk, non-metastatic renal-cell carcinoma (ECOG-ACRIN E2805): a dou- tanzen aufgrund der hohen Abbruchraten kungen war höher als erwartet. Auch nach ble-blind, placebo-controlled, randomised, phase 3 reduziert und dann individuell auf die ur- Reduzierung der Startdosis übertraf der trial. Lancet 387:2008-2016. 188 urologen.info Dezember • 2016
Uro-Onkologie Metastasiertes Nierenzellkarzinom Obwohl bei den mRCC-Patienten mit Prognose für Patienten mit Absiedelungen in Pankreasmetastasen eine höhere der Bauchspeicheldrüse Anzahl von Organen betroffen war, wurde bei ihnen ein indolenterer Ver- Verschiedene Fallserien, die zumeist aus der Prä-Tyrosinkinaseinhibitor-Ära lauf mit längerer Lebenserwartung stammten, hatten bei mRCC-Patienten mit Pankreasmetastasen ein verlängertes als bei mRCC-Patienten ohne Pan- Gesamtüberleben ergeben. Inwieweit sich das anhand klinischer Ergebnisse bei kreasmetastasen festgestellt. Patienten mit mRCC und Pankreasmetastasen, die mit Pazopanib oder Sunitinib behandelt worden waren, bestätigen lässt, wurde retrospektiv analysiert. D ie ausgewerteten Krankenakten lungszeitraum von Januar 2006 bis No- pulation mit Pankreasmetastasen und von der Patienten mit mRCC an der vember 2011. Alle Patienten hatten als 26 Monaten bei den anderen ohne Pan- University of Texas MD Ander- Erstlinientherapie entweder Sunitinib kreasmetastasen ermittelt (Abb.). son Cancer Center umfassen den Behand- oder Pazopanib erhalten. Für das krebsspezifische Überleben er- Von 228 identifizierten mRCC-Patien- rechneten sich nach einem Follow-up von ▼ Gesamtüberleben (Wahrscheinlichkeit) ten hatten 44 Pankreasmetastasen neben median 29 Monaten entsprechend 42 Mo- Metastasen an anderer Stelle. Vierunddrei- nate bei Vorliegen von Pankreasmetasta- 1,0 Mit Pankreasmetastasen (28/44) Ohne Pankreasmetastasen (137/184) ßig (77 %) von ihnen und 109 der restli- sen und 27 Monate ohne Pankreasmetas- 0,8 chen Patienten (59 %) hatten sich einer Ne- tasen. Am mRCC verstarben 26 von den 0,6 phrektomie unterzogen. In der Gruppe mit 44 Patienten mit Pankreasmetastasen und Pankreasmetastasen hatten 30 Patienten 121 von 184 Patienten ohne Pankreasme- 0,4 ≥3 Metastasenorte, und in vier Fällen war tastasen ((p=0,05). Red. ◄ 0,2 das Pankreas einziger Metastasenort. p
Uro-Onkologie Erstlinie bei fortgeschrittenem Urothelkarzinom Beide Vinflunin-basierten Chemothe- Vinflunin−Gemcitabin vs. Vinflunin−Carboplatin rapien zeigten ähnliche Krankheits- kontrollraten, Gesamtansprechraten bei nicht für Cisplatin geeigneten Patienten und Gesamtüberlebenszeiten. Die Für Patienten mit fortgeschrittenem Urothelkarzinom, die z.B. aufgrund Kombination Vinflunin−Gemcitabin eingeschränkter Nierenfunktion für Cisplatin nicht in Frage kommen, gibt es konnte durch bessere hämatologi- keine standardmäßige Erstlinienchemotherapie. Für diesen Patientenkreis sche Verträglichkeit punkten. wurden in einer internationalen randomisierten Phase-II-Studie Effektivität und Verträglichkeit von zwei Vinflunin-basierten Therapieregimen beurteilt. Hämatologische unerwünschte Ereig- P atienten mit lokal fortgeschrittenem tensität von 97,4 % bzw. 91,3 %. Redu- nisse (UE) Grad 3-4 traten im VG-Arm oder metastasiertem Urothelkarzi- zierungen der Vinflunin-Dosis waren bei seltener als im VC-Arm auf (Neutrope- nom wurden randomisiert (1:1) ent- 6 Patienten des VG-Arms und 13 Patienten nie: 38 % versus 68 %, febril: 3 % versus weder mit Vinflunin−Gemcitabin (VG, des VC-Arms indiziert. 14 %). Auch Thrombozytopenien Grad 3-4 n=34) oder Vinflunin−Carboplatin (VC, Die Krankheitskontrollraten (DCR = waren im VG-Arm seltener als im VC- n=35) behandelt. Im VG-Arm erhielten komplettes Ansprechen + partielles An- Arm (VG 6 % versus VC 21 %). die Patienten am Tag 1 je nach Baseline- sprechen + Krankheitsstabilisierung; pri- In beiden Behandlungsarmen traten Kreatinin-Clearance 250 oder 280 mg/m2 märer Endpunkt) betrugen in beiden Ar- nicht-hämatologische UE Grad 3-4 auf. Vinflunin plus Gemcitabin an den Tagen men 77 %. Das mediane progressionsfreie Das betraf Asthenie (22 %), Infektionen 1 und 8 (750 mg/m 2 mit Erhöhung auf Überleben und die Gesamtüberlebensdauer (7 %) Obstipation (4 %). Es bestanden kei- 1000 mg/m2 im Zyklus 2 sofern keine To- erreichten im VG- und VC-Arm 5,9 Mo- ne größeren Unterschiede zwischen den xizität Grad ≥2 auftrat). Patienten im VC- nate versus 6,1 Monate bzw. 14,0 Monate Behandlungsgruppen. Red. ◄ Arm erhielten Vinflunin plus Carboplatin versus 12,8 Monate. Zum Zeitpunkt der De Santis M, Wiechno PJ, Bellmunt J, et al. AUC 4,5 am Tag 1 alle 21 Tage. Analyse waren 51 Patienten gestorben − 2016. Vinflunine – gemcitabine versus vinflunine – Die mediane Anzahl Zyklen betrug im (25 im VG- und 26 im VC-Arm). In 46 carboplatin as first-line chemotherapy in cisplatin- unfit patients with advanced urothelial carcinoma: VG-Arm 5 (1−17) und 4 (1−11) im VC-Arm. Fällen lag dem eine Krankheitsprogres- results of an international randomized phase II trial Vinflunin erreichte eine mediane Dosisin- sion zugrunde. (JASINT1). Ann Oncol 27:449-454. Muskelinvasives Urothelkarzinom der Harnblase Bei Patienten mit muskelinvasivem Thromboembolische Ereignisse bei Patienten Blasenkrebs, die sich einer neoad- juvanten Chemotherapie unterzie- mit neoadjuvanter Chemotherapie hen, treten vor und nach der radika- Die Platin-basierte neoadjuvante Chemotherapie in Verbindung mit radikaler len Zystektomie häufig TEE auf. Eine Zystektomie hat für Patienten mit muskelinvasivem Blasenkrebs nach Evidenz- prospektive Untersuchung sollte den stufe I einen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber alleiniger radikaler Nutzen einer Thromboseprophylaxe Zystektomie. Das damit verbundene erhöhte Thromboserisiko wurde anhand in dieser Situation abklären. des zeitlichen Auftretens, der Inzidenz und der klinischen Merkmale throm- boembolischer Ereignisse (TEE) charakterisiert. D ie multiinstitutionelle retrospektive anderweitigem Anlass. Die Inzidenz ei- TEE vor der radikalen Zystektomie nicht mit Analyse umfasste Daten von 761 nes TEE in den 10 Zentren betrug 13,8 %. signifikant verkürzter Gesamtüberlebens- Patienten, die sich zwischen 2002 Sie variierte je nach Zentrum von 5 % bis zeit im Zusammenhang stand, war ein sol- und 2014 aufgrund von muskelinvasivem 32 %. Die Patienten mit TEE waren äl- ches Ereignis postoperativ mit signifikant Blasenkrebs einer neoadjuvanten Chemo- ter als die ohne TEE (67,6 vs. 64,6 Jahre, verkürztem Überleben assoziiert. Als Risi- therapie und radikalen Zystektomie un- p=0,02) und hatten einen längeren neo- kofaktoren für die Gesamtüberlebensdauer terzogen hatten. Das mediane Follow-up adjuvanten Chemotherapie-Kurs erhalten wurden das pathologische Stadium und ein von der Diagnosestellung an betrug me- (10,9 vs. 9,7 Wochen, p=0,01). Von den hoher Khorana-Score (basierend auf Base- dian 21,4 (3 bis 27,2) Monate. TEE entwickelten sich 58 % präoperativ line-Hämoglobin, Thrombozyten- und Leu- Bei 101 Patienten kam es zu jeweils ei- (72 % davon waren symptomatisch). kozytenzahl, BMI und Tumorlokalisation) nem und in vier Fällen zu zwei zeitlich Die Gesamtüberlebenszeit bei den Pati- identifiziert. Red. ◄ getrennten TEE. Sie waren bei 71,6 der enten mit und ohne TEE betrug 43,4 bzw. Duivenvoorden WCM, Daneshmand S, Canter D, et Patienten klinisch entdeckt worden und 68,7 Monate ((p=0,06). Auch hinsichtlich der al. 2016. Incidence, characteristics and implications of thromboembolic events in patients with muscle invasi- waren in den restlichen Fällen ein Zufalls- krebsspezifischen Überlebensdauer bestand ve urothelial carcinoma of the bladder undergoing neo- befund bei bildgebenden Verfahren aus lediglich ein Trend ((p=0,07). Während ein adjuvant chemotherapy. J Urol 196:1627-1633. 190 urologen.info Dezember • 2016
Uro-Onkologie Prognostische Faktoren bei Patienten mit Patienten höheren Alters mit pri- „poor risk“ Keimzelltumor mär mediastinalem nichtsemino- matösem Keimzelltumor oder mit Unter mehreren Prognosemodellen für Patienten mit Keimzelltumor ist die Hirnmetastasen haben ein höhe- Risikostratifizierung der International Germ Cell Cancer Collaborative Group res Mortalitätsrisiko als Patienten (IGCCCG) das in der klinischen Praxis am häufigsten verwendete. Danach mit testikulärem/retroperitonealem haben 14 % der Patienten mit metastasiertem Keimzelltumor eine „poor risk“ Krankeit, und nur knapp die Hälfte überlebt fünf Jahre. Die aktuelle Analyse Primärtumor. versucht prognostische Faktoren für die „poor risk“ Patienten zu identifizieren. D ie retrospektive Analyse umfasst splatin-Etoposid-basierter Chemotherapie kleiner als bei Patienten mit testikulären/ Daten von 273 Patienten mit „poor behandelt worden waren. retroperitoneslen Primärorten (58 % vs. risk“ Keimzelltumor, die von 1990 Nach der Firstline-Chemotherapie blieben 79 %; Abb.). bis 2014 ander Indiana University, India- 160 Männer dauerhaft krankheitsfrei. Fünf In einem multivariaten Modell hatten Pa- napolis, USA, diagnostiziert und mit Ci- Jahre progressionsfrei (PFS) und 5 Jahre tienten mit Lebermetastasen, Hirnmetasta- insgesamt zu überleben (OS) erreichten sen, primär mediastinalem nichtseminoma- 58 % bzw. 73 % der Patienten. tösen Keimzelltumor oder logarithmischer ▼Gesamtüberleben (Wahrscheinlichkeit) Patienten mit nichtpulmonalen visze- Erhöhung des β-humanen Choriongonado- 1,0 Mediastinum ralen Metastasen waren signifikant kür- tropins eine verkürzte Progressionsfreiheit. Hoden/Retroperitoneum 0,8 zer progressionsfrei als jene mit Metasta- Höheres Alter, Hirnmetastasen und primä- sen in der Lunge. Hirnmetastasen hatten re mediastinale Krankheit hatten einen le- 0,6 den ungünstigsten Einfluss auf die Über- bensverkürzenden Effekt. Red. ◄ lebensparameter. Das resultierte in einem 0,4 5-Jahres-PFS von 24 % und einem 5-Jah- Adra N, Althouse SK, Liu H, et al. 2016. Prognostic res-OS von 51 %. Die OS-Rate war bei factors in patients with poor-risk germ-cell tumors: 0 a retrospective analysis of the Indiana University 0 5 10 15 20 25 Patienten mit primär mediastinalem nicht- experience from 1990 to 2014. Ann Oncol 27: Jahre seminomatösem Keimzelltumor deutlich 875-879. Peniskrebs Nach der Detektionsrate von HPV- Weltweite Prävalenz humaner Papillomaviren DNA alleine oder in Verbindung mit zumindest einem Marker für onkoge- In der Epidemiologie und Pathogenese des Peniskarzinoms spielen zum ne HPV-Aktivität standen ein Vier- einen Krankheitsprozesse wie Entzündungen, Phimose, eine Vorgeschichte mit Lichen sclerosus oder Lichen planus sowie andererseits die Infektion mit tel bzw. ein Drittel der Peniskarzi- humanen Papillomaviren (HPV) eine Rolle. Anhand einer Fallserie aus 25 nome im Zusammenhang mit einer Ländern mit 85 hochgradigen intraepithelialen Plattenepithelläsionen HPV-Infektion. (HGIPL) und 1 010 invasiven Peniskarzinomen wurde eine umfassende Analyse der HPV-DNA-Prävalenz inklusive Typenverteilung, sowie Surrogat- onkogener Aktivität mittels E6*I-mRNA markern für virale Aktivität (E6*I-mRNA und p16 INK4a ) durchgeführt. in HGIPL und invasivem Peniskrebs sehr N ach der zentralen histopatholo- Plattenepithelkarzinomen ohne warzig- hoch (97,1 % bzw. 85,1 %). Vielfach lag gischen Begutachtung der For- basaloide Merkmale. auch eine erhöhte Expressionsrate des malin-fixierten Gewebe wurden Unter den HPV-DNA-positiven Proben Surrogatmarkers p16 INK4a vor. In 69,3 % die Detektion von HPV-DNA und die Gen- war der Anteil multipler HPV-Infektion der HPV-positiven HGIPL-Proben war die typisierung durchgeführt. Zum Nachweis bei den Patienten mit HGIPL höher als bei p16 INK4a-Expression heraufreguliert und onkogener Aktivität wurden die HPV-po- denen mit invasivem Peniskrebs (17,6 % zugleich E6*I-mRNA nachweisbar. Zu- sitiven Proben auf E6*I-mRNA und alle versus 9,0 %; p=0,027). Bei beiden Lä- mindest einer der beiden Marker viraler Proben auf die Expression von p16 INK4a sionstypen wurde HPV16 als häufigster Aktivität wurde in 85,3 % der Fälle nach- getestet. Typ nachgewiesen. Bei invasivem Penis- gewiesen. Die entsprechenden Raten für In 87 % der HGIPL und in 33 % der in- krebs war HPV6 der zweithäufigste HPV- invasive Peniskarzinome waren 22,0 % vasiven Peniskarzinome wurde HPV-DNA Typ. In ca. 70 % der HPV-positiven Penis- bzw. 27,1 %. Red. ◄ nachgewiesen. Gesondert nach histologi- karzinome wurde entweder HPV16 oder scher Diagnose fand sich die höchste HPV- HPV18 entdeckt. Alemany L, Cubilla A, Halec G, et al. 2016. Role of DNA-Prävalenz in HGIPL mit warzig-ba- Bei Infektion mit HPV16 und anderen human papillomavirus in penile carcinomas world- saloiden Merkmalen und die geringste in Hochrisiko-Typen war die Nachweisrate wide. Eur Urol 69:953-961. urologen.info Dezember • 2016 191
Urologie Kindliche Harninkontinenz D ie kindliche Harninkontinenz ist kel umgeht, folgen daraus unterschiedli- weisen ein Einnässen vor Erreichen der definiert als unkontrollierter Urin- che Befunde und Symptome. Toilette oder „einfach so zwischendurch“ abgang nach dem 5. Lebensjahr, auf, insbesondere nachdem sie zuvor – oft- der sich nachts und /oder tagsüber mani- Miktionsaufschub mals aufgrund der erkennbaren Unruhe festiert. Analog zur überaktiven Blase oder Haltemanöver – zum Toilettengang bei Erwachsenen liegt auch der Harnin- Das Aufschieben des Miktionsvorgangs aufgefordert worden sind. kontinenz bei Kindern eine somatofor- erfolgt aus innerer Not der Kinder und ist Diagnostisch finden sich eine alters- me Miktionsstörung zugrunde. So kön- anhand typischer Haltemanöver wie z.B. entsprechend normale oder vergrößer- nen Ängste oder Unsicherheiten, die dem Fersensitz oder Überkreuzen der Bei- te Blasenkapazität, Restharnbildung so- das Kind belasten, zur Folge haben, ne erkennbar. Bei alleinigem Miktionsauf- wie eine Verdickung der Blasenwand als dass ein Kind einnässt. Ebenso kann schub erfolgt die anschließende Blasenent- Folge des erhöhten Miktions-Eröffnungs- sich die Unterdrückung der eigenen, na- leerung koordiniert mit physiologischer drucks bei kontraktem Sphinkter, der erst türlichen Bedürfnisse in der Unterdrü- Uroflowmetrie-Kurve, in der Regel aller- sekundär nach Miktionseinleitung durch ckung des Harndrangs und der Miktion dings nicht restharnfrei, die Kinder hören „Überlaufen“ relaxiert. somatisieren. Pathologisches Korrelat ist sozusagen „zu früh auf“. Bei gezieltem die Dysfunktion des externen urethralen Nachfragen wird das Wasserlassen nach Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination Sphinkters im Sinne eines Miktionsauf- Miktionsaufschub als „total erleichternd“ schubs, gegebenenfalls kann zusätzlich oder „natürlich schön“ etc. beschrieben, so Es gibt jedoch viel mehr Kinder, die nicht während der Miktion eine extrinsisch be- dass verständlich ist, dass die Kinder so- nur die Miktion aufschieben, sondern zu- dingte funktionelle subvesikale Obstruk- fort wieder damit aufhören, den Sphinkter sätzlich die Miktion unterbrechen bzw. tion im Sinne einer Detrusor-Sphinkter- zu relaxieren, sobald im Sinne einer Über- unbewusst verhindern wollen. Hier fin- Dyskoordination bestehen. Je nach Art lauf-Symptomatik eine Spannungsabfuhr det sich neben der Miktionseinleitung im der Dysfunktion bzw. je nachdem, wie das stattgefunden hat, bzw. sobald der Druck Sinne eines „Überlaufens“ eine Detrusor- Kind unbewusst mit seinem Schließmus- weg ist. Die meisten betroffenen Kinder Sphinkter externus-Dyskoordination, die eine konsekutive Detrusorhyperaktivität bedingt. Diagnostisch weist die Uroflow- metrie typischerweise eine Sägezahn-Kur- Beginn der Messung Qmax Ende der Messung ve und eine funktionell kleinkapazitäre Blase auf ((Abb.). Die Sonographie zeigt 30 Restharnbildung sowie eine deutlichere Flowmetrie-Auswertung Wandverdickung der Blase im Vergleich Maximaler Flow = 13,4 ml/s zu den Kindern mit Miktionsaufschub. Mittlerer Flow = 5,6 ml/s Die meisten dieser Kinder nässen vor Miktionsvolumen = 518 ml dem Erreichen der Toilette ein, „einfach Flowzeit = 92,9 s 20 Miktionszeit = 100,8 s so“ zwischendurch beim Spielen o.Ä. und Zeit bis max Flow = 6,4 s auch nachts. Manchen Kindern ist es durch Harnfluss (ml/s) Beschleunigung = 2,1 ml/s*s Verzögerung = --- s erhebliche Einschränkung der Trinkmenge und Miktionsaufschub möglich, tagsüber die Problematik der kleinkapazitären Blase 10 und der Detrusorhyperaktivität zu kupieren und nur nachts einzunässen. Ähnlich der Kinder mit Miktionsaufschub gehen sie ty- pischerweise in der Schule überhaupt nicht oder – wenn sie dort bis zum späten Nach- 520 mittag bleiben – einmal zur Toilette und Blasenvolumen 1 72 519 nässen nachts ein. Wenn dann im Rahmen (ml) 250 der urologischen Therapie die Flüssigkeits- zufuhr erhöht wird, manifestiert sich aber hier im Gegensatz zum Miktionsaufschub 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 auch eine Tagessymptomatik mit Pollakis- Zeit (Sek.) urie und gegebenenfalls zusätzlichem Harn- Abb.: Uroflowmessung bei einem 9-jährigen Jungen (modifiziert nach Hohenfellner U.). abgang vor Erreichen der Toilette im Sinne 192 urologen.info Dezember • 2016
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