Schule und Museum. Ein Kooperationsprojekt - Julia Matlok

 
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Schule und Museum. Ein Kooperationsprojekt - Julia Matlok
14 BDK-Mitteilungen 3.2020

Julia Matlok
Schule und Museum. Ein Kooperationsprojekt
Mit Studierenden lernen und lehren

Wie die Zusammenarbeit von Studierenden           und hierfür mitverantwortlich zu sein: das                     Bezüge zur Universität
und Schülerinnen und Schülern aussehen            Gestalten und Versenden einer Einladung,
und welche Mehrwerte sie für beide Seiten         das Rahmen und Hängen, das Vorstellen                          Der Lehrveranstaltungstyp „Fachdidaktische
bereithalten kann, davon soll am Beispiel der     der eigenen Werke vor einem fremden Pu-                        Übung mit Lehrversuchen“ ist Bestandteil
Kooperation der Gustav-Heinemann-Schu-            blikum, der Abbau und der Verkauf einiger                      des Kunstpädagogikstudiums an der Goe-
le Rüsselsheim am Main und des Instituts          Werke.                                                         the-Universität. Während eines Semesters
für Kunstpädagogik der Goethe-Universität                                                                        wird, häufig auch in Blockveranstaltungen,
Frankfurt am Main berichtet werden.
                                                  Abb. 1 Zur Ausstellung „Von Göttinnen und Weisheiten“. Tonarbeiten zum Schwerpunkt Südamerika entstehen.
Akteurinnen, Akteure und Setting
„Kunst mit KLASSE!“ ist eine seit vier Jah-
ren stattfindende Kooperation, in welcher
die Schülerinnen und Schüler des Rüssels-
heimer Oberstufengymnasiums während
eines Schuljahres intensiv mit dem frauen
museum wiesbaden (s. Kasten) projektorien-
tiert zusammenarbeiten. Leistungskurse des
Faches Kunst wie auch Grundkurse der Ein-
führungsphase, die in Kunst und Geschich-
te von einer Lehrkraft unterrichtet werden,
agieren für mindestens ein Schuljahr fä-
cherübergreifend in Themenfeldern beider
Fächer. Lernen die Schülerinnen und Schüler
das frauen museum wiesbaden bei ihrem
ersten Kooperationstreffen als Besuchende
kennen, so erhalten sie im weiteren Verlauf
während der etwa einmal im Monat statt-
findenden Treffen immer mehr Einblicke in
die aktuellen Ausstellungsthemen, die Ab-
läufe des Museums und können bildnerisch-
praktisch im Museum arbeiten. Weitere
Ausstellungsorte des Rhein-Main-Gebietes
werden zusammen mit der Direktorin des
frauen museum wiesbaden, Beatrixe Klein,
und der Tutorin, Julia Matlok, erschlossen.
Auch die Eindrücke dieser Exkursionen wer-
den gemeinsam rezipiert und gestalterisch
verarbeitet. Aufgrund der zahlreichen Ex-
kursionen und intensiven Praxisphasen hat
das Oberstufengymnasium besonders im
Fach Kunst einen ganztägigen Leistungskurs
etabliert. Der reguläre Unterricht sowie die
Projekttage sind daher von einer Werkstatt-
atmosphäre geprägt. Am Ende eines Jahres-
zyklus steht dann die eigene Ausstellung in
den Museumsräumen, die mit einer Vernis-
sage mit Vortrags- und Musikprogramm er-
öffnet wird. Meist zeigen sechs bis sieben
Werkgruppen unterschiedliche Themen –
oft, aber nicht zwingend mit Genderbezü-
gen. Vielfältige Techniken schaffen erst für
die Lernenden, dann für die Ausstellungsbe-
suchenden Kontraste, wobei letztere gerne
auch Werke erstehen. Das Konzept des Pro-
jekts ist es, die folgenden Schritte zu erleben
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BDK-Mitteilungen 3.2020 15

                                                                         Fotografieren im Haus einlud, wartete der Leistungskurs Kunst der
                                                                         Q3-Phase mit bildnerischen Werken auf die Studierenden. Auf der
                                                                         Grundlage der einstigen Bewerbungsmappen für das Studium brach-
                                                                         ten auch die Studierenden eigene Arbeiten in die Schule mit. Erstaun-
                                                                         lich war es, dass der Leistungskurs mit seinen Mappen im A1-Format
                                                                         und zahlreichen Werken aus dem bereits durchlaufenen Projekt aus
                                                                         dem Schuljahr der Q1- und Q2-Phase seine Werke sehr ausdauernd
                                                                         vorstellte. Dies mag auch der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass
                                                                         die eigenen Werkgruppen während der schon vergangenen Vernis-
                                                                         sage anhand von Kurzvorträgen vorgestellt worden waren. Aufgrund
                                                                         der kongruenten Gruppengröße konnten jeweils Dialoge zwischen
                                                                         Studierenden und Schülerinnen und Schülern stattfinden. Nach einer
                                                                         Weile setzte ein rotierendes Kennenlernen ein. Aus der Lehrerinnen-
                                                                         perspektive betrachtet, aber auch für die Leitung des Museums wur-
                                                                         de schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Projekts deutlich, wie sehr
                                                                         der Leistungskurs von dem Projekt „Kunst mit KLASSE!“ profitiert hat-
                                                                         te. Nicht nur waren die Schülerinnen und Schüler besonders bei den
                                                                         Studierenden darum bemüht, kompetent und selbstsicher aufzutre-
                                                                         ten, um den ihnen teilweise nur wenige Jahre „Vorausgeeilten“ auf
                                                                         Augenhöhe zu begegnen, sie waren durch das Projekt zum Austausch
                                                                         mit Studierenden des Faches auch gut befähigt. Die Studierenden
                                                                         konnten auf der Grundlage dieser ersten Begegnung selbstverständ-
                                                                         lich keine Lerngruppenanalyse anfertigen, mit dem Kurs jedoch auf
Abb. 2 Tonarbeiten zum Schwerpunktthema Südamerika                       Tuchfühlung gehen, einen Einblick in die bisherige bildnerische Ar-
                                                                         beit gewinnen, die Möglichkeiten für das Fach Kunst an der Gustav-
                                                                         Heinemann-Schule und den Typus des Oberstufengymnasiums mit
                                                                         seinen spezifischen Charakteristika kennenlernen.
ein lokales Museum besucht. Anhand eines ausgewählten Schwer-            Ein intensiveres Eintauchen in den Ausstellungs- und Aktionsort, der
punktes oder auf Grundlage einer Sonderausstellung wird von den          für das Schulprojekt, aber auch für die Lehrversuche zentral war, wur-
Studierenden zunächst eine Ausstellung erschlossen. Im Folgenden         de den Studierenden während einer Blockveranstaltung am Wochen-
werden eines oder mehrere Vermittlungskonzepte erstellt, welche          ende ermöglicht. Hierfür standen zunächst unterschiedlichste Mate-
dann in die Praxis umgesetzt werden können. Angeleitet werden die        rialien wie Ton, Holz, Linolium, Kohle, Kreide, Acryl- und Aquarellfarbe
Studierenden dabei von den Museumspädagoginnen und Museums-              sowie unterschiedlichste Papiere bereit. Die Studierenden konnten
pädagogen der jeweiligen Museen. Dies bedeutet zumeist, dass die         sich mit Materialien ihrer Wahl zunächst ungerichtet in die Ausstel-
Studierenden eine museumspädagogische Einheit für Schulklassen           lungsfelder begeben und bildnerisch arbeiten. Auf diese Weise konn-
allein oder in Kleingruppen anleiten. Wesentlich hierbei ist vor allem   ten erste Neigungen und Interessen entdeckt werden, zudem erhielt
die didaktische Aufbereitung musealer Felder sowie eine gelingende
Umsetzung und die Reflexion des eigenen Tuns. Studierende können
und sollen Bestärkung in der Umsetzung ihrer Ideen erfahren, eigene
Planungen kritisch hinterfragen, Erfahrungen als Lehrpersönlichkeit
machen und sich darüber austauschen können. Nicht zuletzt soll
die Übung sowohl Lehramts- als auch Master- oder Bachelorstudie-
renden die Möglichkeit bieten, sich beruflich zu orientieren und zu         frauen museum wiesbaden
prüfen, in welchem Bereich sie sich am ehesten beruflich engagieren
möchten. Das Feld der Museumspädagogik stand hierbei aufgrund               Die Lebenswelten von Frauen in Vergangenheit, Gegenwart
der bereits geschilderten Konstitution der Übung im Vordergrund.            und Zukunft stehen im Zentrum der Arbeit des kulturhistorisch
Das Setting, in welchem Schul- und Hochschulveranstaltungen ver-            ausgerichteten frauen museum wiesbaden. Das preisgekrönte,
bunden wurden, sah vor, dass die Studierenden, die sich für die „Fach-      interdisziplinär arbeitende frauen museum wiesbaden ist seit
didaktische Übung mit Lehrversuchen“ eingeschrieben hatten, ent-            seiner Gründung 1984 in privater Trägerschaft des gemeinnützi-
weder während des Wintersemesters 2017/2018 oder 2018/2019                  gen Vereins Frauenwerkstatt Wiesbaden e.V. und wird durch das
in das Projekt „Kunst mit KLASSE!“ eingebunden werden sollten. Im           Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden finanziell gefördert.
Rahmen dieser drei Monate konnten die angehenden Kunstpäda-                 Das Museum entwickelt und präsentiert auf einer Fläche von
goginnen und -pädagogen Orte, Akteurinnen, Akteure und Projekt              600 qm wechselnde Ausstellungen zu unterschiedlichen The-
kennenlernen sowie selbst eine kunstpädagogische Sequenz planen,            men. Zeitgenössische Kunstausstellungen vermitteln Einblicke
umsetzen und in der Rückschau betrachten. Um die Projektbeschrei-           in die Schaffenswelt von Künstlerinnen, Frauenfiguren aus aller
bung zu vereinfachen, wird im Folgenden der Projektverlauf von              Welt und allen Zeiten zeigen ein umfassendes Geschichts- und
2018/2019 skizziert; Eingang in das Resümee finden jedoch die Er-           Kulturverständnis und in themenspezifischen Ausstellungen
fahrungen beider Projektgruppen.                                            werden inspirierende weibliche Persönlichkeiten präsentiert.
                                                                            Das vielseitige Veranstaltungsprogramm reicht von Tagungen,
Projektrahmen                                                               Seminaren, Podiumsdiskussionen, Lesungen, Vorträgen und
                                                                            Stadtrundgängen bis zu Filmprojekten und Tanzdarbietungen.
Gespannt von den Lernenden und dem Museumsteam erwartet,                    Die Arbeit des frauen museums wiesbaden wurde 1997 aus-
konnten die Studierenden zunächst in je einer Blockveranstaltung            gezeichnet mit dem Kulturpreis der Stadt Wiesbaden und 2020
das frauen museum wiesbaden sowie die Gustav-Heinemann-Schule               als Museum des Monats durch das Hessische Ministerium für
kennenlernen. Während Beatrixe Klein durch die vier Ausstellungs-           Wissenschaft und Kunst.
etagen des Museums führte und zum spontanen Zeichnen und                    www.frauenmuseum-wiesbaden.de/de/geschichte
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der affektive produktive Zugang den Vorrang.
Es folgte eine Sammlung der unterschiedli-
chen kreativen Werkzugänge und Themen.
Anhand der entstandenen Themen fand am
folgenden Tag wahlweise allein oder in Part-
nerinnen- bzw. Partnerarbeit die Recherche
statt. Die Museumsbibliothek bot hierfür
eine umfangreiche, auf den Schwerpunkt
des Museums bezogene Grundlage. Wei-
tere Literatur wurde von den Studierenden
mitgebracht. Durch die Möglichkeit, immer
wieder in die Ausstellungsetagen des Mu-
seums gehen, Objekte, Bild- und Tondoku-
mente unmittelbar konsultieren zu können,
aber auch durch den Austausch konkreti-
sierten sich Schwerpunktthemen, die später
die Grundlage der Lehrversuche bildeten.
Didaktische Orientierung boten, neben der
Fachliteratur, bisherige Einheiten des Pro-
jekts „Kunst mit KLASSE!“ Innerhalb von
drei Jahren Projektarbeit war ein Material-
fundus entstanden, der sowohl Reihen- als
auch Stundenplanungen und Arbeitsblätter
umfasst. Die nun folgenden 90-minütigen
Einheiten in den Institutsräumen der Uni-
versität standen zur Diskussion der Ent-
würfe sowie zur individuellen Beratung zur
Verfügung. Ab dieser Phase der fachdidak-
tischen Veranstaltungen hatten die Studie-
renden, die lediglich einen Teilnahmeschein
erwerben wollten, die Möglichkeit, ihr Kon-
zept abzugeben. Studierende, die den Leis-
tungsschein anstrebten, bereiteten sich auf
die Umsetzung ihrer Konzeption vor und
gingen in die praktische Planung der Lehr-
versuche.

Lehrversuche in der Praxis
Durch das überwiegend große Engagement
der Studierenden kamen fünf verschiede-
ne Lehrversuche, die jeweils 90 Minuten
umfassten, zustande. Da die Bezeichnung
„Lehrversuch“ den Schülerinnen und Schü-
lern wenig geläufig ist und der Terminus des
Versuchs bei den Teilnehmenden befremdlich wirken kann, wurden        Lieblingsgegenstände
diese für den Kurs als Workshops vorgestellt. Schnell wurde klar,
dass das Programm für einen Leistungskurs zu umfangreich sein         Der Vormittag des Workshop-Tages begann in der Dauerausstellung
würde. Daher wurde der zweite Kunst-Leistungskurs der Schule ein-     mit handlichen Lieblingsgegenständen (ausgenommen Smart-
geladen und ein Workshop auf den Tag der offenen Tür in der Gus-      phones und digitale Mobilgeräte), die alle am Workshop Teilnehmen-
tav-Heinemann-Schule ausgelagert. Aufgrund der verschiedenen          den mitbrachten. Die Vorstellungsrunde anhand der persönlichen
Ausstellungsetagen war es problemlos möglich, zwei Gruppen am         Gegenstände ermöglichte ein lockeres Kennenlernen und weckte zu-
Vormittag parallel in der Dauer- und Sonderausstellung arbeiten zu    gleich das Bewusstsein für die Symbolkraft von Gegenständen und
lassen. Nach einer gemeinsamen Mittagspause fand ein Wechsel der      somit auch für die der Exponate der Ausstellungsebene. Schwer-
Workshops statt und zum Ende ein gemeinsamer Abschluss mit Prä-       punktmäßig wurde aus dieser die Plattform, die sich mit Altameri-
sentation der entstandenen Werke. Dieses aufgelockerte Programm       ka beschäftigt, herausgegriffen. Vor dem Hintergrund persönlicher
hat sich in der Praxis bewährt, da nicht nur die Teilnahme an den     Bezüge durch die Familiengeschichte sowie besonderes persönliches
Workshops, sondern auch der Austausch zwischen und während der        Interesse und fundiertes Wissen konnte der anleitende Student in
Einheiten wesentlicher Bestandteil außerschulischen Lernens und       der Übung vielfältige Aspekte der Artefakte, die von Amuletten über
Lehrens sein sollte. Im Folgenden soll dieser Workshop-Tag umrissen   Gefäße bis hin zu Figurinen reichten, behandeln. Ein großes Anliegen
werden.                                                               war es hierbei, die eurozentristische Perspektive auf die Exponate,
Aus dem im Winter 2018/2019 aktuellen Angebot wählten drei der        die ohne Hintergrundtexte gezeigt werden, zu überwinden. Zudem
fünf Studierendengruppen die Sonderausstellung „Glamour, Avant-       galt es vielfältig, Relevanz oder Kontinuität zwischen prähistori-
garde und Latzhose“. Zwei weitere Studierende beschäftigten sich      schen Figuren und Gegenständen der Lernenden und somit der heu-
mit der Dauerausstellung „Von Göttinnen und Weisheiten“ und ent-      tigen Lebenswelt zu finden. Eine moderierte Diskussion zu diesem
wickelten jeweils ein eigenes Vermittlungskonzept.                    Themenfeld leitete zur Praxisarbeit mit Ton über (Abb. 1). Auch im
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                                                                                                                         plastischen Arbeiten sollten Deutungsan-
                                                                                                                         sätze von Götterskulpturen nachempfunden
                                                                                                                         und haptisch erahnt werden. Kopien, Zitate
                                                                                                                         und Neuinterpretationen zu den Exponaten
                                                                                                                         entstanden in Ton (Abb. 2).

                                                                                                                         Tonfigur
                                                                                                                         Ebenfalls mit der Dauerausstellung be-
                                                                                                                         schäftigte sich der Workshop mit der Frage:
                                                                                                                         „(Inwiefern) ist die Unsichtbarkeit der Vulva
                                                                                                                         historisch bedingt? War das schon immer
                                                                                                                         so?“ Dieser brisante und den Inhalt vor-
                                                                                                                         wegnehmende Titel war den Jugendlichen
                                                                                                                         vorab nicht bekannt. Stattdessen wurde ein
                                                                                                                         niedrigschwelliger Einstieg über eine kleine
                                                                                                                         Zeichenaufgabe gewählt. Schülerinnen und
                                                                                                                         Schüler sollten das Geschlecht von Mann
                                                                                                                         und Frau spontan zeichnen. Wie von der an-
                                                                                                                         leitenden Studentin vermutet worden war,
                                                                                                 konnte gerade das weibliche Geschlecht nur sehr schemenhaft dar-
                                                                                                 gestellt werden. Dass dies auf der heutigen kulturellen Verfasstheit
                                                                                                 basiert, die Nacktheit von Frauen einerseits objekthaft herauszu-
                                                                                                 stellen und ihr Geschlecht zugleich mit schamhafter Unsichtbarkeit
                                                                                                 zu belegen, wurde im anschließenden Gespräch erarbeitet. Unter-
                                                                                                 stützend wurde hierbei ein Comicauszug aus Liv Strömquists „Der
                                                                                                 Ursprung der Welt“ herangezogen (Abb. 3). Kurzweilig, witzig bis
                                                                                                 ironisch wird darin auf diese Tatsache Bezug genommen und ein
                                                                                                 kleiner Exkurs zu den Geschlechtervorstellungen des 19. Jahrhun-
                                                                                                 derts wurde geboten. Besonders passend war das von der Studentin
                                                                                                 gewählt Comicmaterial auch, da zwei Exponate des Museums da-
                                                                                                 rin gezeigt und thematisch eingebunden waren: Repliken der Frau
                                                                                                 von Laussel (im Original aus Kalkstein, etwa 25.000 Jahre alt) und
                                                                                                 der Frau vom Hohlefels (im Original aus Mammut-Elfenbein, etwa
                                                                                                 35.000 bis 40.000 Jahre alt). Mit beiden prähistorischen Artefakten
                                                                                                 konnten sich die Lernenden in jeweils einer Arbeitsgruppe eigen-
                                                                                                 ständig beschäftigen. Nach einer deskriptiven Analyse wurden ers-
                                                                                                 te Interpretationsansätze gewagt, wobei auf den nur spekulativen
                                                                                                 Charakter, aufgrund der mangelnden Faktenlage, hingewiesen wur-
                                                                                                 de. Neben dem, allgemein oft den altsteinzeitlichen Idolen zugeord-
                                                                                                 neten Aspekt der Fruchtbarkeit wurde den beiden prähistorischen
                                                                                                 Frauendarstellungen vorrangig das Göttliche zugeordnet. Im Folgen-
                                                                                                 den standen demnach Fragen wie „Warum ist vielen heute die The-
                                                                                                 matisierung der weiblichen Geschlechtsorgane peinlich?“ „Warum
                                                                                                 war es in der Altsteinzeit ein heiliges Thema?“ oder „Zu was führt
                                                                                                 die Unsichtbarkeit der Vulva?“ im Fokus. Nach dem kritischen Um-
                                                                                                 gang mit historischen Vorstellungen und gesellschaftlichen Werten
                                                                                                 erhielt das erworbene Wissen Ausdruck in einer eigenen Tonfigur.
                                                                                                 Diese zu formen und dann kurz zu erklären, wieso die Figur entspre-
                                                                                                 chend gestaltet ist und worauf die Gestaltung Bezug nimmt, runde-
                                                                                                 te den zweiten Workshop ab (Abb. 4).

                                                                                                 Zeitschriftencover
                                                                                                 Parallel hierzu fand morgens in der Sonderausstellung „Glamour,
                                                                                                 Avantgarde und Latzhose“ die Auseinandersetzung mit Printmedien
                                                                                                 am Beispiel der Frauenzeitschrift statt. Der Leistungskurs hatte als
                                                                                                 vorbereitende Aufgabe eine gängige Frauenzeitschrift kritisch ana-
                                                                                                 lysiert, visuell wie inhaltlich. Auch in der Ausstellungsebene war eine
                                                                                                 Wand feministisch geprägten Zeitschriften gewidmet, die besonders
Abb. 3 (li. o.) Gemeinsame Annäherung an die prähistorischen Artefakte durch Comics in der
Ausstellung „Von Göttinnen und Weisheiten“
                                                                                                 im Eigenverlag erschienen waren. Darunter fanden sich auch Zei-
Abb. 4 (re. o.) Themenvertiefung und Diskussion zur Unsichtbarkeit des weiblichen Geschlechts    tungscover der 1970er Jahre, die buchstäblich Schlagzeilen gemacht
in der Ausstellung „Von Göttinnen und Weisheiten“                                                hatten. Exemplarisch ist der „Stern“ vom 06. Juni 1971 zu nennen,
Abb. 5 (li. u.) Auf der Grundlage von Selbstporträts werden in der Ausstellung „Glamour,         der titelte: „Wir haben abgetrieben!“ Öffentlich gemacht wurde
Avantgarde und Latzhose“ eigene Zeitschriftencover entwickelt.
Abb. 6 (re. u.) Zeitschriftencover einer Schülerin im Querformat, welches sich auch inhaltlich
                                                                                                 dabei eine Aktion, bei der 374 prominente und nicht prominente
gegenüber weiblichen Posen und Idealen durch den Verzicht auf die Bildfigur querstellt           Frauen sich zu ihrem Schwangerschaftsabbruch und dem damit ein-
Schule und Museum. Ein Kooperationsprojekt - Julia Matlok
18 BDK-Mitteilungen 3.2020

hergehenden damaligen Rechtsverstoß bekannten. Die in der Aus-              Die Besonderheit der Veranstaltung lag in der Zweigleisigkeit von
stellung vorhandenen Zeitschriftencover wurden mit der eingangs             Schule und Museum. Schülerinnen und Schüler, aber auch Studie-
von den Lernenden vorgestellten Analysen von gängigen aktuellen             rende bewegten sich in beiden Institutionen und erkundeten im
Frauenzeitschriften kontrastiert. Als zusätzlicher Input zum Thema          Projekt Möglichkeiten kooperativen Lernens. Während die Oberstu-
wurde ein kritisches Interview mit einem Redakteur aus den 1970er           fenschülerinnen und -schüler schon während ihres ersten Leistungs-
Jahren zum Thema Frauenzeitschriften gehört, welches ein erschre-           kursjahres vermehrt Museumsluft schnuppern konnten, hatte sich
ckend eindimensionales und fremdbestimmtes Bild der Frau zeich-             ihr Aktionsradius in der 13. Klasse nun hin zum Austausch mit Stu-
nete. Im Spannungsfeld damaliger feministischer Zeitschriften und           dierenden erweitert. Dies scheint für Schülerinnen und Schüler, die
heutiger Frauenzeitschriften konnten die Schülerinnen und Schüler           kurz vor dem Abitur oftmals deutliche Fortschritte hinsichtlich der
im Anschluss selbst ein Zeitschriftencover erarbeiten (Abb. 5). Es soll-    Durchdringung von Fachinhalten, aber auch in Bezug auf persönli-
te verdeutlichen, welche Themen ihnen wichtig sind. Als Grundlage           che Reife machen, naheliegend. Mit Blick auf die baldige berufliche
konnte ein Selfie, welches vorab in Farbe im Format A4 ausgedruckt          Orientierung zeigt das Leistungsfach häufig die Neigung für ein be-
worden war, dienen. Schrift und Bild konnten genutzt werden, um             stimmtes Berufsfeld an. Studierende nach ihren Studieninhalten be-
dem eigenen Frauenbild oder noch unerfüllten Forderungen Aus-               fragen zu können, sie „bei der Arbeit“ erleben und auch sich selbst
druck zu verleihen (Abb. 6).                                                befragen zu können, ob das Feld der Kunstpädagogik ein mögliches
                                                                            eigenes Arbeitsfeld sei, war für einige Schülerinnen und Schüler
Plakate                                                                     hilfreich. Dass die Studierenden nur wenige Jahre älter waren und
                                                                            noch stärker als Lernende erlebt wurden als eigene Lehrkräfte, unter-
Der vierte Workshop beschäftigte sich mit dem Thema Protest, wel-           stützte ein schnelles Einlassen aufeinander. Spannend war es aber
ches in der Sonderausstellung „Glamour, Avantgarde und Latzhose“            auch zu sehen, was der Unterricht des Faches Kunst in der Schule
vielfältig sichtbar wurde. Kleidung, Musik, Zeitschriften, besonders        und Universität, was aber auch Lebenswirklichkeit den angehenden
aber das Plakat waren in den späten 1970er Jahren Ausdruck von              Kunstpädagoginnen und Kunstpädagogen mitgegeben hatte. Wozu
Lebensgefühl und Lebenshaltung geworden, die oft bewusst Kritik             waren sie befähigt, welche Kompetenzen fehlten ihnen? Angehende
an der bestehenden Ordnung übte. So wollte auch die Frauenbe-               Kunstlehrerinnen und -lehrer schon während ihres Studiums darin
wegung eine umfassende gesellschaftspolitische Transformation.              zu bestärken, engagiert zu lehren und auch außerschulisch zu agie-
Mit dem Blick der Nachgeborenen näherten sich die Teilnehmenden             ren, das war ein Ziel des Projekts. In Erfüllung ging vorerst das Einlas-
den Forderungen der zweiten Frauenbewegung (Abb. 7). Anhand des             sen auf viele kritische Themen für das Projekt „Kunst mit KLASSE!“,
Videos „Ain't Your Mama“ von Jennifer Lopez, welches sie mit Hilfe          die lebensnah und mit aktuellem Bezug vermittelt wurden. Auch der
der Videoanalyse zusammen erschlossen, überprüften sie, inwiefern           selbstkritische Blick auf das eigene Projekt im Nachgang stellte die
sich die Forderungen erfüllt hatten. Besonders geeignet erschien            Weichen für einige Modifizierungen für das Folgejahr. Nicht zuletzt
dieses Musikvideo, da es durch den Text auffordert, tradierte Frauen-       erhielt das Projekt „Kunst mit KLASSE!“ durch die Teilnahme der Stu-
bilder hinter sich zu lassen, die Sängerin visuell jedoch als Pin-up-Girl   dierenden auch ein breiteres Interesse in den Aktionsräumen Schu-
inszeniert. Auf perfide Weise treten Bild und Text dementsprechend          le, Museum und Universität. Damit waren die sich verzahnenden
in Dissonanz und führen den scheinbar emanzipatorischen An-                 Projekte für alle Beteiligten mit höherem Zeiteinsatz, aber auch mit
spruch ad absurdum. Dies aufzudröseln, machte den Schülerinnen              wertvollen Erfahrungen und Erkenntnissen verbunden.
und Schülern Freude und motivierte sie für die anschließende Pra-
xisphase. Auf Plakaten konnten sie selbst Bild und Text nun in Über-        Fotos: Kim Engels
einstimmung bringen und einen Bereich benennen, in welchem sie
Emanzipation noch immer für wesentlich hielten. Die entstandenen            Literatur
Plakate wurden anschließend im Treppenaufgang zur Ausstellungs-
                                                                            Engels, Kim/Fuchs, Gotthard: Sag an, wer ist doch diese… Göttinnenfiguren und Marienbilder.
etage für die Dauer der Ausstellung aufgehängt.                                 Wiesbaden 2008.
                                                                            Gimbutas, Marija: Die Sprache der Göttin. Frankfurt a. M. 1998.

Resümee                                                                     Heinrich-Böll-Stiftung/Feministisches Institut (Hg.): Wie weit flog die Tomate? Berlin 1999.
                                                                            Notz, Gisela: Warum flog die Tomate? Die autonomen Frauenbewegungen der Siebzigerjahre.
                                                                                Neu-Ulm 2018.
Auf den Workshop-Tag mit den Studierenden zurückblickend, stell-
ten die Schülerinnen und Schüler beider Kurse ihre Arbeiten vor und
tauschten sich über ihre Eindrücke aus. Auch die Studierenden er-
hielten die Möglichkeit, Feedback zu geben oder sich über ihre Erfah-
rungen zu äußern. Die durchweg positive Resonanz und die gelöste
Atmosphäre waren ein erster Indikator einer gelungenen Koopera-
tion (Abb. 8). Wie ist das dargestellte Projekt nun aber mit etwas          Julia Jennifer Matlok ist Kunstpädagogin M. A., OStR an einem
Abstand zu betrachten, welche Mehrwerte sind für alle Beteiligten           Oberstufengymnasium und Lehrbeauftragte an der Goethe-
daraus entstanden?                                                          Universität Frankfurt am Main. E-Mail: julia.matlok@web.de

                                                                            Abb. 7 Schülerinnen und Schüler erforschen in der Ausstellung „Glamour, Avantgarde und Latz-
                                                                            hose“ deren emanzipatorischen Anspruch.
                                                                            Abb. 8 Am Ende des ersten Workshop-Tages tauschen sich alle Beteiligten im Plenum aus.
Schule und Museum. Ein Kooperationsprojekt - Julia Matlok
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