Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.

 
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Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
Schwesternbrief
der Johanniter-Schwesternschaft e. V.

                                                                   Ausgabe Dezember 2020

Liebe Johanniterschwestern,
der Umgang mit Unsicherheiten begleitet uns im         Wieviel Kreativität auch in unserer Gemeinschaft
Alltag wie auch im Beruf. Auch wenn die Corona-        freigesetzt werden kann, wenn Gewohntes nicht
Pandemie ein neues Phänomen ist, so hatten             mehr möglich ist, zeigen die Berichte aus den
viele Generationen vor uns Herausforderungen           Regionen.
mit eben diesen Unsicherheiten zu meistern.
                                                       Üblicherweise drucken wir in der Weihnachtsaus-
Johanniterschwester Marianne Reysen beschreibt         gabe eine Übersicht geplanter Seminarangebote
in ihrem geistlichen Wort, wie es Maria und Josef      ab. Da wir frühestens im 2. Quartal des Jahres
nach der Aufforderung zur damaligen Volkszäh-          mit Fortbildungen beginnen können, haben die
lung und der Reise ins Ungewisse erging.               Vorstände von Schwesternschaft und Förderver-
                                                       ein noch nicht getagt und somit stehen die Ent-
Auch im Jahr der Pflegenden und Hebammen und
                                                       scheidungen noch aus. Um Ihnen einen Ausblick
dem 200. Geburtstag von Florence Nightingale
                                                       zu geben, thematisch wird es um Pflegeethik
ist es das beherrschende Thema. Wie wollen wir
                                                       gehen und unter anderem um das Phänomen
die Profession weiterentwickeln, wie veränderte
                                                       Cool-out. Zudem werden wir uns um Verände-
und wachsende Versorgungsbedürfnisse beant-
                                                       rungsprozesse bemühen, für uns selbst und in
worten? Prof. Dr. Dr. hc. mult. Ulrich H. J. Körtner
                                                       den Einrichtungen. Auch die Seniorentagung in
schaut mit seinem Beitrag „Care fair im 21. Jahr-
                                                       Kloster Wennigsen ist im Sommer vorgesehen.
hundert“ aus der ethischen Perspektive auf die
unterschiedlichen Handlungsfelder der Pflege. Ver-     Bleiben Sie bitte mit sich selbst und anderen ge-
ständlicherweise sind wir geneigt, Probleme des        duldig bei den Begrenzungen durch die Pandemie.
eigenen Arbeitsbereichs in erster Linie zu verfol-     Pflegende lernen im Beruf mehr als andere Pro-
gen und Schwierigkeiten anderer Sektoren wenig         fessionen, sich schnell an neue Situationen anzu-
oder nur ansatzweise zu erfassen. Um als profes-       passen. Nutzen Sie diese gute Fertigkeit und schaf-
sionell Pflegende gemeinsam Kraft für die Ent-         fen Sie für sich und andere schöne Momente der
wicklung auf allen Ebenen zu gewinnen, bieten          Verbundenheit.
sich die aktive Beteiligung in den vorhandenen
                                                       Ihnen allen wünsche ich eine gesegnete Weih-
und in Gründung befindenden Pflegekammern an
                                                       nachtszeit und einen guten Jahresausklang.
sowie im Deutschen Berufsverband für Pflegen-
de (DBfK) in dem wir seit Jahren als korporatives      Ihre Andrea Trenner
Mitglied aktiv sind. Was uns unabhängig vom Set-
ting in der Pflege eint, zeigt ein kurzes zum Deut-
schen Pflegetag produziertes Video „Lady with
the lamp“. Wer es noch nicht gesehen hat; sie
finden es auf YouTube. Nur wir Pflegenden selbst
können Zeichen für Veränderung setzen!

                                                                          1   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
Wer hätte das gedacht?
Heute schreibe ich wieder ein geistliches Wort für          geregeltes Leben haben würde an der Seite eines
den Schwesternbrief zum Advent. Trotz der langen            Zimmermanns. Doch da kommt wie aus heiterem
Erfahrung, die ich nun damit habe, bin ich verun-           Himmel dieses Gebot und sie muss sich schwan-
sichert. Wie wird die Situation in Deutschland und          ger auf einen weiten und gefährlichen Weg ma-
der Welt aussehen, wenn Sie diese Zeilen lesen?             chen. Das hat sie sicher verunsichert.
Ich weiß es nicht und kann es mir nur schwer vor-
                                                            Weit weg von ihrer Herkunftsfamilie scheint die
stellen. Das, was kommt, liegt mehr denn je im
                                                            Schwangerschaft wie geplant zu verlaufen und
Dunkeln.
                                                            sie entbindet zu der vorgesehenen Zeit. Doch das
Auch Sie werden eventuell noch nicht wissen, wie            Ganze passiert nicht in den sicheren vier Wänden
Sie dieses Jahr die Advents- und Weihnachts-                eines Hauses, wie sie es sich sicher vorgestellt
tage begehen werden, obwohl auch Sie sicher in              hat. Nicht einmal ein fremdes Haus, eine Herber-
Beruf und Familie viel Erfahrung auf diesem Ge-             ge kann sie aufnehmen. Nein, bei den Tieren liegt
biet haben. Als Konstante wirkt hier – ob in Ihrer          nun ihr Sohn in einem Futtertrog. Welche Mutter
Bibel zuhause, dem Exemplar das sich eventuell              würde das nicht verunsichern?
in Ihrer Einrichtung findet oder als Online-Version
                                                            Doch nicht nur Maria und Josef haben Erlebnis-
der Text aus dem Lukas-Evangelium, Kapitel 2.
                                                            se jenseits des Vorstellbaren. Auch die Hirten in
Da lesen wir auch von etwas, das erstmalig alle             der Nähe der Stadt können sich nicht mehr auf
Menschen der – damals bekannten – Welt be-                  den Tag-Nacht-Rhythmus verlassen. Sie fürchten
traf. Sie alle sollten sich schätzen lassen. Ein Ge-        sich. Die Natur spielt verrückt und sie, die nicht
bot war vom Kaiser erlassen worden. Niemand                 lesen oder schreiben können, bekommen die Bot-
konnte sich dem straflos widersetzen, es traf alle.         schaft der Liebe Gottes aus dem Mund der Engel
Jeder sollte sich am Heimatsort des Familienva-             zu hören. Um diese unerhörte Botschaft zu verifi-
ters in eine Liste eintragen. Einige mussten dabei          zieren, werden sie jetzt zu Detektiven der frohen
zu Orten reisen, die sie nie zuvor besucht hatten.          Botschaft Gottes. Sie verlassen ihren Arbeitsplatz
So stelle ich es mir auch für Maria vor. Sie dachte         und machen sich auf ins Ungewisse. Sie finden
sicher, dass sie nun als Zukünftige von Josef ein           das Kind und damit die unvorstellbare Botschaft,

„Anbetung durch die Hirten“ Bartolomé Esteban Murillo (1617-1682), Hermitage Museum, St Petersburg, Russland

2   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
dass Gott, von dessen Stärke immer wieder die
Rede ist, als verletzlicher Säugling zu den Men-
schen gekommen ist – unvorstellbar!
Auf diesem Boden der Verunsicherung platziert
Gott in unvorhersehbarer Weise seinen Sohn mit
der Botschaft seiner Liebe, einer Liebe, die jen-
seits der Konventionen und Vorstellungen an Stel-
len gelangt, die lieblos scheinen, und Menschen
zusammenbringt, die ganz unterschiedliche Erfah-
rung gemacht haben. So nimmt Maria – die Frau
des Zimmermanns aus Nazareth – die Worte der

                                                       CC BY-SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main
ungebildeten Hirten bei Bethlehem über ihren
Sohn an. Anstatt dafür zu sorgen, dass nun alles
nach Plan läuft, denkt sie über deren Worte nach -
wer hätte das gedacht?
Auch wir müssen in diesem Jahr Dinge tun, die für
uns letztes Jahr undenkbar gewesen wären. Wir
praktizieren Nächstenliebe durch Masken und
Plexiglasscheiben, manchmal sogar virtuell. Dabei
sind die Reaktionen auf das, was wir anbieten,
ganz unterschiedlich. Bei meiner Zerrissenheit
zwischen Trauer über die verlorenen Möglichkei-
ten und Chancen die andere Formen bieten, hilft
in diesem Jahr besonders eine Zeile aus einem
Lied der christlichen Rock-Band Skillet, in dem sie

                                                                                                       Jahreslosung
singt „Your light will terrify the dark“ (Dein Licht
wird der Dunkelheit das Fürchten lehren) https://
www.youtube.com/watch?v=gjrPzaw0hp4.
Ja es kann sein, dass diese sonst so stimmungs-
volle Jahreszeit traurig scheint durch den Tod von
                                                                                                       2021:
mehr Menschen als in anderen Jahren, durch den
Verzicht auf Einkaufsbummel oder Weihnachts-
marktbesuche, durch eingeschränkte Besuchs-                                                            „Jesus Christus spricht:
dienste, gesanglose Gottesdienste und stornierte
Reisen. Doch auch wenn wir alles Mögliche neu                                                          Seid barmherzig,
und anders handhaben müssen, bleibt die Weih-
nachtsbotschaft dieselbe: Gott kommt zu uns,                                                           wie auch euer Vater
verletzlich und unvorstellbar. Maria, Josef und
die Hirten können uns in unserer eigenen Ver-
                                                                                                       barmherzig ist!“
unsicherung zu Vorbildern werden. Das Licht von                                                                                 (Lukas 6, 36)
Gottes Liebe, die noch unvorstellbarer ist als die
kommenden Wochen unvorhersehbar sind, wird
das Dunkel vertreiben – auch das Dunkel meiner
Verunsicherung.
Daher wünsche ich Ihnen in diesen Tagen, das
auch für Sie das Dunkel vertrieben wird und der
Glanz der Liebe Gottes Ihre Festtage erhellt.
Ihre Johanniterschwester
Pfarrerin Marianne Reysen

                                                                                                             3   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
Care Fair im 21. Jahrhundert
Die Corona-Pandemie hat den Blick auf prekäre        Reichtums sind, dass auch sie in Österreich nicht
Verhältnisse in der 24-Stunden-Betreuung und         nur leben und arbeiten, sondern auch Steuern zah-
auf die angespannte Lage im Pflegebereich ge-        len und somit ihren Teil zum Gemeinwohl leisten,
lenkt. Das wird zum Anlass genommen, über            ging und geht regelmäßig unter. „I am from Aus-
ethische Maßstäbe für Fair Care im 21. Jahrhun-      tria“: Für viele, die im Gesundheitswesen tätig
dert nachzudenken. Pflege ist ein knappes Gut.       sind, gilt das jedenfalls nicht. Und ein Großteil
Allokationsfragen, also die Frage, wie sich Res-     derer, die in der 24-Stunden-Betreuung arbeiten,
sourcen zur Erbringung von Pflegeleistungen          hat hierzulande nicht einmal den Hauptwohnsitz,
bereitstellen lassen, und Fragen der Distribution,   sondern führt ein Pendlerdasein zwischen ihrem
also die Frage, wie sich Pflegeleistungen bedarfs-   Einsatzort und ihrem Heimatort in Rumänien, Po-
orientiert und gerecht an Pflegebedürftige zu-       len oder in der Ukraine, wo die Familie, der Mann
teilen lassen, gewinnen an Schärfe – und das im      und die Kinder leben. Ja, ganz richtig: der Ehe-
globalen Maßstab. „Fair Care“ oder „Care fair“       mann, nicht etwa die Gattin, denn 24-Stunden-
steht für Gerechtigkeitsfragen in der Pflege an      Pflege ist weitgehend weiblich.
der Schnittstelle zwischen Pflegewissenschaft,
                                                     Ohne die vielen Frauen, „who are not from Aus-
Pflegeökonomie, Pflegeethik und Gesundheits-
                                                     tria“, würde das ganze Betreuungssystem in der
politik.
                                                     mobilen Pflege zusammenbrechen. Als die Gren-
                                                     zen geschlossen wurden, um die Corona-Pande-
Pflege in Zeiten von Corona                          mie einzudämmen, wurde das allen bewusst,
                                                     nicht nur den unmittelbar Betroffenen, den Pflege-
Wir erinnern uns noch gut an die ersten Wochen       bedürftigen und ihren Familien, den Verantwort-
im Lockdown am Beginn der Corona-Pandemie            lichen im Gesundheitswesen und in der Gesund-
und an die Bilder der Menschen, die den „Heldin-     heitspolitik, sondern auch einer breiteren Öffent-
nen und Helden des Alltags“, wie man sie nannte,     lichkeit, die normalerweise gar nicht so genau
auf Balkonen und an offenen Fenstern abends          wissen will, wie eigentlich häusliche Pflege und
um 18 Uhr Beifall spendeten. Aus den Lausprech-      Betreuung gemanagt und finanziert wird.
ern der Polizeifahrzeuge, die durch die Straßen
                                                     Nun aber begann man zu begreifen, was eigent-
fuhren, tönte unsere heimliche Nationalhymne:
                                                     lich in Zeiten der Krise „systemrelevante“ Berufe
Reinhard Fendrichs „I am from Austria“.
                                                     sind. Die Pflege, da sind sich alle einig, gehört
Über aller Gefühlsseligkeit im nationalen Schul-     dazu. Sie verdient Anerkennung und Wertschät-
terschluss, geriet meist ganz aus dem Blick, dass    zung, die auch eine angemessenen Bezahlung
in diesem Lande mitnichten nur „gelernte“ oder –     beinhaltet. Auch darüber herrschte in der Aus-
wie ich – „angelernte“ Österreicher/-innen leben,    nahmesituation allgemeiner Konsens. Aber es
sondern auch Menschen mit anderer Staatsbür-         bräuchte auch attraktivere Dienstpläne, die
gerschaft. Dass auch sie ein Teil unserer Gesell-    wiederum nicht ohne Personalaufstockung funk-
schaft und ihres kulturellen wie menschlichen        tionieren können. In der größten Not haben alle
                                                     Verantwortlichen und die Bevölkerung zu all dem
                                                     gern und rasch ja gesagt. Solche Forderungen
                                                     und ihre Unterstützung sind allerdings wohlfeil,
                                                     solange die Frage, wer denn am Ende die Rech-
                                                     nung bezahlen soll, auf später verschoben wird.
                                                     Aus welchen Töpfen, ob ganz aus Steuermitteln
                                                     oder doch besser über eine Pflegeversicherung,
                                                     ob aus Mitteln des Bundes oder den Budgets der
                                                     Länder und Gemeinden, gute Pflege finanziert
                                                     werden soll – und das nicht etwa nur kurzfristig,
                                                     sondern langfristig, also „nachhaltig“ wie man
                                                     heute gern sagt – das ist eine Frage, für welche
                                                     die Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit
© dpa / Oliver Berg                                  zumeist nur kurz ist. Schnell schieben sich wieder

4   / Schwesternbrief Dezember 2020
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andere Themen in den Vordergrund – bis dann           dann die Löhne um jenen Anteil, um den die Fa-
irgendwann der nächste sogenannte „Pflege-            milienbeihilfe gekürzt worden ist, erhöht werden?
skandal“ aufpoppt.                                    Es stellt sich aber noch eine ganz grundsätzliche
                                                      vierte Frage: Ist es überhaupt gerecht, relativ
 Und weil eben die meisten in der 24-Stunden-Be-
                                                      niedrige Löhne zu zahlen, in der Erwartung, dass
 treuung tätigen Frauen nicht mitsingen können:
                                                      diese durch den Staat auf einem Umweg auf-
„I am from Austria“, regt es kaum jemanden auf,
                                                      gestockt werden? Ist diese Art von Preisfindung
 dass für ihre im europäischen Ausland lebenden
                                                      auf dem Pflegemarkt, der Pflege unter Wettbe-
 Kinder die Familienbeihilfe aliquotiert worden ist
                                                      werbsbedingungen anbietet, unter wirtschafts-
 und nun auch der neu eingeführte Familienbonus
                                                      ethischen Gesichtspunkten vertretbar? Und wei-
 aliquotiert wird. Sie merken, wir befinden uns be-
                                                      ter gefragt: Wieviel Markt und Wettbewerb ist
 reits mitten in‘s Thema „Fair Care im 21. Jahrhun-
                                                      im Gesundheitswesen überhaupt wünschenswert
 dert“ geführt, zu dem ich gebeten worden bin,
                                                      und im Sinne des Gemeinwohlgedankens zu ver-
 als Ethiker zu schreiben. Allerdings möchte ich so-
                                                      treten?
 gleich unterstreichen, dass zwischen Betreuung
 und Fachpflege, also den durch das GuKG (Ge-
 sundheits- und Krankenpflegegesetz) gesetzlich
 geregelten Berufen der Gesundheits- und Kranken-
                                                     Pflegeethik und Pflegeökonomie
 pflege, zu unterscheiden ist. Auch die 24-Stunden-
                                                     Mit solchen Fragen begibt sich die Pflegeethik in
 Betreuung ist, wie die Fachpflege, eine Form der
                                                     das Gespräch mit der noch jungen Disziplin der
 Care-Arbeit. Aber es gilt nochmals zwischen
                                                     Pflegeökonomie.1 Hierzulande steckt die Disziplin
 Caring und Nursing zu unterscheiden. Ein weiterer
                                                     noch in den Kinderschuhen, während ihre Ur-
 Unterschied besteht zwischen Gesundheits- und
                                                     sprünge im angloamerikanischen Raum 50 Jah-
 Krankenpflege und der Altenpflege. Fair Care im
                                                     re zurückreichen. Es handelt sich um eine neue
 21. Jahrhundert betrifft nicht nur das Problem, wie
                                                     Teildisziplin der Gesundheitsökonomie, die eine
 die Bedarfe in den unterschiedlichen Bereichen
                                                     Nahtstelle zwischen Wirtschaftswissenschaft
 von Pflege und Betreuung gedeckt werden können.
                                                     und Pflegewissenschaft bildet. „Sie verwendet
 Es geht auch darum, zwischen den unterschied-
                                                     dazu Methoden und Theorien aus der Ökonomie
 lichen Berufsgruppen für Fairness zu sorgen, zum
                                                     und wendet diese unter Hinzuziehung der Er-
 Beispiel bei der Bezahlung, und die Kooperation
                                                     kenntnisse der Pflegewissenschaft an.“2 Da die
 der Gesundheitsberufe zu verbessern.
                                                     Gesundheits- und Krankenpflege nicht mehr eine
 Mich beschäftigen die grundlegenden Gerechtig-      bloße Hilfsdisziplin der Medizin ist und zudem
 keitsfragen, die sich hier auftun. Im Rahmen mei- zwischen Akutpflege und Langzeitpflege unter-
 nes Themas geht es vor allem darum, was Gerech- schieden werden muss, ist die Etablierung einer
 tigkeit im Bereich der Pflege bedeutet, welche      eigenen Disziplin Pflegeökonomie gerechtfertigt.
 Gerechtigkeitsfragen sich auf diesem Feld des       Pflegebedürftigkeit ist für sich genommen kei-
 Gesundheitswesens stellen. Medizin- und Pflege-     ne Krankheit, sondern die mögliche Folge von
 thik sind in folgender Hinsicht herausgefordert:    Krankheit oder von Behinderung, wobei die Be-
 In der Regel ist für Frauen aus Südosteuropa die    einträchtigungen körperlicher wie auch kognitiver
Tätigkeit als 24-Stunden-Betreuung in Österreich     oder psychischer Natur sein können. Zwar lassen
 doch nur deshalb attraktiv, weil neben der ge-      sich Pflegeleistungen in der Akutpflege, wenn sie
 ringen Entlohnung verhältnismäßig hohe Sozial-      im Zusammenhang mit medizinischer Diagnos-
 leistungen gezahlt werden, die man unter dem        tik, Therapie oder Rehabilitationsmaßnahmen
 Strich mit zum Gehalt dazurechnen muss. Anders      stehen, ökonomisch in der Regel nur schwer von
 gesagt: Wir leisten uns ein Betreuungssystem in     der kurativen Versorgung von Patientinnen und
 der ambulanten Pflege, das mit niedrigen Löhnen Patienten trennen. „Für Pflegeleistungen, die im
 auskommt, weil ein Teil des Gesamteinkommens        Kontext der Langzeit-Pflege erbracht werden,
 der Betreuungskräfte aus anderen Töpfen bezahlt ist hingegen eine isolierte Betrachtung nicht nur
 wird. Es stellen sich somit zumindest drei Fragen: möglich, sondern auch erforderlich.“3 Neben der
 a) Kann das ursprüngliche Gesamteinkommen           nun erforderlichen Akut-Pflege besteht weiterhin
 von Tätigen in der 24-Stunden-Betreuung (Lohn       der Bedarf an langzeit-pflegerischer Versorgung.
 plus nicht durch Aliquotierung geminderte Fami-
 lienbeihilfe) als gerecht gelten? b) Lässt sich das 1 Vgl. Michael Wessels, Pflegeökonomie, Berlin 2019.
 auch noch behaupten, nachdem die Familienbei-       2 M. Wessels, a.a.O. (Anm. 2), S. 20.
 hilfe gemindert worden ist? c) Wenn nein: Sollten 3 Ebd., S. 16.

                                                                         5   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist der Pflege-            gen nicht einfach dem freien Spiel der Kräfte am
bereich ein Markt, der, verglichen mit anderen             Markt überlassen werden darf. Auch dürfen die
Branchen, überdurchschnittlich wächst. Hinter              Entscheidungsgrundlagen für Gesundheitspoli-
dem Spitalsbereich (Krankenhausbereich; Anm.               tiker im Bereich der Pflege nicht allein von Ge-
d. Redaktion) und den niedergelassenen Ärzten              sundheitsökonomen erstellt werden, deren Mo-
ist die Pflege beispielsweise in Deutschland der           delle nicht den spezifischen Anforderungen und
drittgrößte Ausgabenbereich. Eine im August                Rahmenbedingungen der Pflege gerecht werden.
dieses Jahres veröffentlichte Studie des WIFO              Und schon gar nicht dürfen gesundheits- und
(Österreichisches Institut für Wirtschaftsfor-             pflegepolitische Entscheidungsgrundlagen ohne
schung) prognostiziert, dass die Kosten für Pfle-          Mitwirkung der Interessensvertretungen der Pfle-
ge- und Betreuungsleistungen bis 2030 um 77                ge erstellt werden.
Prozent steigen werden, wobei allerdings mit re-           Ökonomisches Denken ist recht verstanden eine
gionalen Unterschieden zu rechnen ist.4 Zahlen-            ethische Aufgabe, soll dazu dienen, die Ver-
mäßig bilden Pflegende die größte Berufsgruppe             schwendung von Ressourcen zu vermeiden und
im Gesundheitswesen. Rechnet man noch weite-               Strategien zu entwickeln, um Unterversorgung,
re Berufsgruppen in Einrichtungen der ambulan-             aber auch Überversorgung und Fehlversorgung
ten und stationären Langzeitpflege hinzu, die in           zu verhindern.
Therapie, Sozialarbeit, Hauswirtschaft oder Ver-
waltung tätig sind, ist der wirtschaftliche Anteil         Das Schlagwort der Ökonomisierung weist aller-
der Pflege am Gesundheitssystem noch größer.               dings auf die Gefahr hin, dass Medizin und Pflege
                                                           unter die Räder einer auf Gewinnmaximierung
Während der Pflegebedarf in der Bevölkerung                und Kostendämpfung ausgerichteten ökonomi-
schon allein aufgrund der demografischen Ent-              schen Logik geraten. Hier kommt die Pflegeethik
wicklung steigt, wächst zugleich der Mangel an             ins Spiel. Wie die Pflegewissenschaft verfolgt
Pflegekräften. Pflege ist somit ein knappes Gut.           auch die Pflegeethik einen systemischen Ansatz.
Allokationsfragen, also die Frage, wie sich Res-           Somit gehört zur Pflegeethik auch die wirtschafts-
sourcen zur Erbringung von Pflegeleistungen                ethische Analyse des Pflegesystems. Ethisch be-
bereitstellen lassen, und Fragen der Distribution,         trachtet hat die Wirtschaft dem Menschen zu
also die Frage, wie sich Pflegeleistungen be-              dienen und nicht umgekehrt. Für die Pflege be-
darfsorientiert und gerecht an Pflegebedürftige            deutet das: Die Ökonomie soll für die Pflege, die
zuteilen lassen, gewinnen somit an Schärfe. Da-            patienten- oder klientenorientiert ausgerichtet
bei sind auch die Angehörigen pflegebedürftiger            ist, eine dienende oder unterstützende Funktion
Personen mit in den Blick zu nehmen. Sie sind              ausüben. Hinzukommt die ökologische Perspek-
auf mehrfache Weise mit der Pflegebedürftigkeit            tive. Der Schutz der Umwelt, der Biosphäre und
konfrontiert, sei es als pflegende Angehörige, sei         der biologischen Vielfalt gehören inzwischen
es, dass sie sich um die Organisation professio-           auch in der Medizin- und Bioethik zu den Kern-
neller Pflege oder von Betreuung im häuslichen             themen.5
Umfeld oder um die Unterbringung in einer sta-
                                                           Zwischen dem Menschengerechten, dem ökono-
tionären Pflegeeinrichtung zu kümmern haben.
                                                           misch Sachgemäßen und dem Umweltgerechten
Und schließlich können sie auch bei der Finanzie-
                                                           besteht allerdings ein Spannungsfeld,6 das sich
rung der Pflege eingebunden sein.
                                                           auch im Bereich des Gesundheitswesens und in
Grundsätzlich ist Pflegeökonomie an der Nah-               der Pflege zeigt. Die aufbrechenden Spannungen
stelle zwischen Wirtschaftswissenschaft und                lassen sich nicht immer harmonisch lösen. Wie
Pflegewissenschaft deshalb vonnöten, weil pro-             jede Art von Ethik sind auch Pflegeethik und
fessionelle Pflege ein knappes Gut ist und weil            Wirtschaftsethik eine Konfliktwissenschaft. Sie
die Allokation und Distribution von Pflegeleistun-         bearbeiten ethische Konflikte im beruflichen

4 Vgl. https://steiermark.orf.at/stories/3063127/ (letzter Zugriff: 21.8.2020).
5 Vgl. Bioethik Kern-Curriculum, Abschnitt 1: Lehrplan Ethik-Ausbildungsprogramm, hg. v. der Organisation der Ver-
  einten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und dem UNESCO Lehrstuhl für Bioethik an der
  Medizinischen Universität Wien (Christiane Druml), Wien 2016, S. 74–76. Siehe auch Allgemeine Erklärung über Bio-
  ethik und Menschenrechte (2005), Artikel 17 (Text unter https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/2005_
  Allge-meine%20Erkl%C3%A4rung%20%C3%BCber%20Bioethik%20und%20Menschenrechte.pdf sowie http://www.
  unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/SHS/pdf/Bioethik-Erklaerung-2006.pdf [letzter Zugriff: 21.8.2020]).
6 Vgl. Arthur Rich, Wirtschaftsethik, Bd. I, Gütersloh 1984, S. 172–221; Bd. II, Gütersloh 1990, S. 20.

6   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
Medizinische Versorgung und patientennahe For-
                                                       schung in einem adaptiven Gesundheitssystem“7.
                                                       Darin heißt es: „Die Konfrontation mit einer neu-
                                                       en Viruserkrankung hat die große Bedeutung
                                                       eines öffentlich finanzierten Gesundheitswesens
                                                       und einer vernetzten und forschungsnahen Kran-
                                                       kenversorgung gezeigt. Im Umgang mit neuen
                                                       Erkrankungsbildern sind insbesondere die Erhe-
                                                       bung von Forschungsdaten und das unmittelbare
                                                       Einspeisen von Forschungsergebnissen in die
                                                       Prävention, Diagnostik und Behandlung essen-
                                                       ziell.“ Und weiter: „Um in der jetzigen Situation
                                                       handeln und zukünftigen Herausforderungen
                                                       begegnen zu können, muss das bestehende Ge-
                                                       sundheitssystem weiterentwickelt werden: Be-
Alltag, aber auch auf der organisationalen und         nötigt wird ein patientenorientiertes, qualitäts-
systemischen Ebene. Zu ihnen gehören auch die          gesichertes und nicht primär gewinnorientiertes
Konflikte zwischen Ökonomie und Pflege, die            System, das alle Mitarbeitenden wertschätzt, In-
sich nicht immer vermeiden lassen.                     novationen und digitale Lösungen integriert und
                                                       insgesamt durch eine enge Vernetzung mit der
Wirtschaftsethik und Pflegeethik, aber auch Pfle-
                                                       Grundlagen- und translationalen Forschung über
gewissenschaft und Pflegeökonomie müssen sich
                                                       eine hohe Resilienz verfügt.“8
unter anderem auch der Frage nach der Finan-
zierung des Gesundheitswesens und ordnungs-            Die Leopoldina erinnert auch daran, dass „die
politischen Fragen stellen. Gerechtigkeit und          Krankenversorgung in Krisensituationen und eine
Fairness im Gesundheitswesen können auf unter-         qualitätsgesicherte und wissenschaftsorientierte
schiedliche Weise angestrebt werden. Ideal-            medizinische Versorgung der Bevölkerung“9 eine
typisch lassen sich marktwirtschaftliche, Sozial-      staatliche Aufgabe ist, also nicht dem freien Spiel
versicherungs- und staatliche Gesundheits- und         des Marktes und seiner Akteure übertragen oder
Pflegesysteme unterscheiden. In der realen Welt        überlassen werden darf.
gibt es aber auch Mischformen, was zum Bei-
                                                        Die Covid-19-Pandemie hat uns dramatisch vor
spiel in Österreich der Fall ist. Allerdings gibt es
                                                        Augen geführt, dass „in einem Gesundheitssys-
hierzulande weiterhin keine Pflegeversicherung,
                                                        tem, das ein integraler Bestandteil der Daseins-
wie sie beispielsweise seit 1995 in Deutschland
                                                        vorsorge ist, grundsätzlich nicht die gleichen wirt-
als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung
                                                        schaftlichen Maßstäbe angelegt werden“ können
besteht.
                                                       „wie in der freien, wettbewerbsorientierten Wirt-
Seit den 1990er Jahren lässt sich europaweit            schaft“10. So ist auch die Bedürftigkeit besonders
ein Paradigmenwechsel vom klassischen Wohl-             vulnerabler und marginalisierter Bevölkerungs-
fahrtsstaat zum Sozialmarkt beobachten. Staat-          gruppen zu beachten. Das schließt allerdings
lich-dirigistische Lenkungsmechanismen wurden           Reformbedarf nicht aus, wo Anreize für eine Fehl-
zugunsten von marktwirtschaftlichen Mechanis-           oder Überversorgung gesetzt werden.
men zurückgedrängt, zumeist mit der Begrün-
                                                       All das Gesagte gilt in besonderer Weise auch für
dung, der Markt könne die Bedarfe von Patienten
                                                       die Pflege, die sich inzwischen zu einem Wachs-
effizienter und flexibler decken. Er funktioniere
                                                       tumsmarkt entwickelt hat, auf dem eine Vielzahl
kostenbewusster, was wiederum letztlich allen
                                                       von Anbietern auftreten und auch wirtschaft-
Bürgerinnen und Bürgern zugutekomme, weil auf
                                                       lich konkurrieren. Sie konkurrieren nicht nur um
diese Weise sparsamer mit Steuergeldern und
                                                       Kunden, sondern auch um Personal. Wie die
Versicherungsbeiträgen gewirtschaftet würde.
Auch die Forschung profitiere von marktwirt-
schaftlichen Anreizen.                                  7 Text unter https://www.leopoldina.org/uploads/tx_
Das Pro und Kontra kann hier nicht im Einzelnen           leopublication/2020_05_27_Stellungnahme_Corona_
diskutiert werden. Aufhorchen lässt allerdings            Gesundheitssystem.pdf (letzter Zugriff: 21.8.2020).
eine Ende Mai 2020 veröffentlichte Stellungnah-         8 Leopoldina, a.a.O. (Anm. 9), S. 3.
me der deutschen nationalen Akademie Leopol-            9 Ebd., S. 2.
dina. Sie trägt den Titel „Coronavirus-Pandemie:       10 Leopoldina, a.a.O. (Anm. 9), S. 5.

                                                                            7   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
medizinische Versorgung ist auch die pflegeri-
sche Versorgung der Bevölkerung grundsätzlich
eine staatliche Aufgabe. Nicht nur aus ethischer,
sondern auch aus pflegeökonomischer Sicht stellt
sich die Frage, ob Pflegeleistungen auf Märkten
gehandelt werden können wie beliebige andere
Güter auch.
Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass Patienten
oder sonstige pflegebedürftige Menschen zum
Produktionsfaktor mutieren, der möglichst ge-
winnbringend einzusetzen ist. Auf diese Weise

                                                                                                                             (Foto: JUH)
kommt es zu einer Verkehrung der Nutzen-Mittel-
Relation, bei der sich eine fremdnützige Instrumen-
talisierung des Menschen anbahnt. Eine Gesell-
schaft, die den Anspruch erhebt, human und
solidarisch zu sein, muss sich die Frage stellen,
                                                              angesichts des demografischen Wandels, be-
was man für Geld nicht kaufen kann bzw. was
                                                              darf es gesellschaftlicher Wertschätzung, einer
man für Geld nicht kaufen können soll. Allerdings
                                                              angemessenen Entlohnung, attraktiver und be-
besteht immer auch die Gefahr, diese Frage
                                                              darfsgerechter Ausbildungsstrukturen und guter
ideologisch zu missbrauchen und so beispiels-
                                                              Arbeitsbedingungen. Dieses gilt in gleicher Weise
weise die Forderung nach einer angemessenen
                                                              für alle anderen Mitarbeitenden.“11
Entlohnung von professioneller Gesundheits- und
Krankenpflege zu diskreditieren. Damit wären wir
dann wieder am Anfang meines Vortrags, wenn
nämlich gesagt werden sollte, gute Pflege lasse
                                                              Care Drain und Care Fair
sich ja gar nicht mit Geld aufwiegen und solle als
                                                              Care Drain, also die Abwanderung von medizi-
Akt der Nächstenliebe statt als professionell aus-
                                                              nischem und pflegerischem Personal, ist eine
geübte Dienstleistung verstanden werden. Lange
                                                              besondere Form des Brain Drain. Er wirft Ge-
genug sind Pflegepersonen in der Geschichte
                                                              rechtigkeitsfragen im globalen Maßstab auf.12 Im
der Pflege unter dem Vorzeichen einer Ethik der
                                                              Jahr 2007 waren nach offiziellen Angaben knapp
Nächstenliebe ausgebeutet worden. Nun kann
                                                              7 Prozent aller hierzulande beschäftigten Pflege-
es gewiss keine gute Pflege ohne Empathie und
                                                              kräfte keine österreichischen Staatsbürger. 8,2
Fürsorglichkeit geben. Kein Nursing ohne Caring,
                                                              Prozent der Pflegekräfte in Krankenanstalten
wie Konzepte der Care-Ethik betonen. Aber doch
                                                              und 10,5 Prozent der in Alten- und Pflegeheimen
sind Fürsorglichkeit in persönlichen Beziehungen,
                                                              tätigen Pflegepersonen waren im Ausland aus-
zum Beispiel in der Familie, und Nursing als Pro-
                                                              gebildet worden.13 Die Pflegemigration verstärkt
fession zu unterscheiden.
                                                              im globalen Maßstab das bestehende Ungleich-
Um noch einmal die Leopoldina zu zitieren: „Das               gewicht zwischen Industrieländern und soge-
medizinische und pflegerische Fachpersonal ist                nannten Entwicklungsländern. Die Ethnologin Ca-
für eine patientenwohlorientierte und qualitativ              therine Cenzia Choy hat errechnet, dass den zwei
hochwertige Versorgung sowie eine effektive                   Dritteln der Weltbevölkerung, die in den Ländern
Krankheitsprävention entscheidend. Zur langfris-              des globalen Südens leben, nur 15 Prozent des
tigen Sicherung einer angemessenen personellen                weltweiten Pflegepersonals zur Verfügung ste-
Ausstattung von Gesundheitseinrichtungen, auch                hen.14 Wenn medizinische Versorgung und Pflege

11 Leopoldina, a.a.O. (Anm. 9), S. 6.
12 Vgl. Muge Akpinar-Elci / Omur Cinar Elci/M. Murat Civaner, Care Drain, in: Henk ten Have H. (ed.), Encyclopedia
   of Global Bioethics, Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-09483-0_68, 16.7.2016 (letzter Zugriff:
   22.8.2020); Lukas Kaelin, Care drain: The political making of health worker migration. Journal of Public Health Policy,
   32, 2011, S. 489–498.
13 Zahlen nach J. Inthorn/L. Kaelin/M. Ridder, a.a.O. (Anm. 18), S. 135f. unter Verweis auf Maureen Lenhart/August Öster-
   le, Migration von Pflegekräften: Österreichische und europäische Trends und Perspektiven, ÖPZ 12, 2007, S. 8–11.
14 Vgl. Catherine Cenzia Choy, Empire of Care. Nursing and Migration in Filipino American History, Durham/London
   2003. Siehe auch J. Inthorn/L. Kaelin/M. Ridder, a.a.O. (Anm. 18), S. 136f.

8   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
zu den Grundgütern zählen, ist der Care Drain             tungen sowie Beratungsstellen als Franchise-
unter gerechtigkeitstheoretischem Gesichtspunkt           nehmern betrieben werden soll. Wenn wir von
hoch problematisch. Wenn wir über Care Fair im            zukunftsträchtigen Lösungen für den Pflegebe-
21. Jahrhundert sprechen, geht es eben nicht nur          darf einer alternden Gesellschaft sprechen, wird
um die Finanzierung und personelle Ausstattung            die Digitalisierung zunehmend eine Rolle spielen,
des heimischen Gesundheitssystems oder um                 nicht nur bei der Pflegedokumentation, sondern
angemessene Bezahlung von Pflegefachkräften,              auch bei der Vernetzung von Care-Angeboten
sondern auch um die gesundheitspolitischen und            im ambulanten Bereich. Digitalisierung ist frei-
ökonomischen Auswirkungen von Pflegemigra-                lich kein Selbstzweck. Vielmehr kommen auch
tion auf die Herkunftsländer. Zu den negativen            hier wieder ethische Fragen ins Spiel: Wer sind
Folgen gehört nicht nur der Verlust an Personal           die Nutznießer digitaler Lösungen? Wer wird in-
und die Schwächung der Gesundheitsversorgung,             kludiert oder ausgeschlossen? Was ist bezahlbar
weil nun die Herkunftsländer fehlende Fachkräfte          und wer kommt für die Kosten auf? Wie wird die
durch weniger qualifiziertes Personal ersetzen            Patientenzentriertheit sichergestellt? Wie lässt
müssen. Der Care Drain führt außerdem zu einem            sich erreichen, dass die Digitalisierung der Quali-
Verlust an Bildungsinvestitionen und qualifizier-         tätssicherung und -verbesserung in der Pflege
tem Lehrpersonal, wodurch auch die Forschung              dient und nicht nur der Kostenreduktion?
in den Herkunftsländern beeinträchtigt wird.
                                                          In all diesen Diskussionen braucht es die kompe-
Care Drain kann freilich auch positive Auswirkun-         tente Stimme der Pflege und ihrer Interessenver-
gen auf die Herkunftsländer haben, etwa durch             tretungen. Fair Care im 21. Jahrhundert braucht
Geldüberweisungen an die Herkunftsfamilien.               Organisationen wie den ÖGKV.
Länder können auch davon profitieren, wenn bei-
spielsweise Pflegekräfte in einem Joint Venture
zwischen Herkunfts- und Zielländern ausgebildet
werden. Care Drain und seine negativen wie posi-
tiven Folgen sind nicht nur ein pflegeethisches
und sozialethisches Thema, sondern auch eine
der globalen pflegeökonomischen Fragestel-
lungen im 21. Jahrhundert. Und damit komme
ich nochmals auf die 24-Stunden-Betreuung zu
sprechen. Transnational tätige Care-Arbeiterin-
nen sind öffentlich weithin unsichtbar, sieht man
von der Krisenstimmung am Beginn des Lock-
down in der Corona-Pandemie ab. Sie werden
geduldet oder bewegen sich in einer Grauzone,
werden aber nicht adressiert. Die evangelische
Diakonie in Württemberg versucht diesem Zu-
stand mit einem „FairCare“ genannten Projekt
entgegenzuwirken, das 2011 gestartet wurde.15
Die Caritas betreibt ein entsprechendes Projekt           O. Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Ulrich H. J. Körtner
unter dem Namen FairCare und CariFair ver-                Institut für Systematische Theologie und
mitteln legale Betreuungskräfte und garantieren           Religionswissenschaft, Evangelisch-Theolo-
die Einhaltung der gesetzlichen Standards des             gische Fakultät, Universität Wien;
Arbeits- und Sozialschutzes. Erwähnt sei schließ-         Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in
lich noch die FairCare-Plattform, die aus einem           der Medizin, Universität Wien
internationalen Forschungsprojekt hervorgegan-
gen ist, an dem die Universität Innsbruck und
neun weitere Partner aus der EU und der Schweiz
beteiligt gewesen sind. Die Plattform beruht auf
einem Social-Franchise-System, was bedeutet,
dass die Plattform von Hilfs- und Pflegeeinrich-

15 Vgl. Christiane Bomert, Transnationale Care-Arbeiterinnen in der 24-Stunden-Betreuung. Zwischen öffentlicher
   (Un-)Sichtbarkeit und institutioneller (De-)Adressierung, Wiesbaden 2020, S. 140.

                                                                                9   / Schwesternbrief Dezember 2020
Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
Aus der Johanniter-Familie
Johanniter-Internet
über 13.000 Informationsseiten
Nach über eineinhalbjähriger Vorarbeit in den Ein-
richtungen, Werken und den Gliederungen des
Ordens konnte der neue Internet-Auftritt am 22.
September diesen Jahres online gehen. Alleine
für die Website-Konzeption wurden über 2.200
Arbeitstage erfasst.
In den zurückliegenden Wochen nach dem Start
konnten bereits viele Erkenntnisse gewonnen
werden: Stand 30.11. arbeiten 255 Online-Redak-
teure mit dem System, um interessierte Online-
Besucher stets aktuell über Johanniter-Neuheiten
und wichtige Entwicklungen zu informieren. Aktu-
ell können über 13.000 Informationsseiten unter
www.johanniter.de und den Folgeseiten aufgeru-
fen und besucht werden. Die Zentralseiten werden
mittlerweile durch eine Werke übergreifende
gemeinsame Redaktionsgruppe der Johanniter
aktualisiert und betreut.
Dabei finden Interessierte die Johanniter nun
noch besser und schneller im World Wide Web.
Die bisherigen Inhalte der alten Seiten wurden
aktualisiert, doppelte Inhalte entfernt und durch
zentrale datenbankgestützte Inhalte ersetzt sowie
das Betriebssystem hinsichtlich Suchmaschinen-
freundlichkeit optimiert. Auch für die Johanniter-
Schwesternschaft hat der neue Internet-Auftritt
messbare Verbesserungen: Im Oktober zum Bei-
spiel waren im Schnitt etwa 8.500 pro Tag und
im gesamten Monat knapp 260.000 Seitenauf-
rufe zu messen.
Natürlich verläuft eine solch umfangreiche Um-
stellung nicht an allen Stellen reibungslos – über
die Monate Oktober und November wurde kon-
tinuierlich nachgearbeitet und insbesondere die
Geschwindigkeit und Stabilität optimiert. Auch die
Umsetzung zur Mehrsprachigkeit (im ersten Schritt
Englisch, Französisch und Finnisch) kann nun ge-
nutzt werden. In den folgenden Monaten geht die-
se Pflege weiter.

JO

www.johanniter.de

10   / Schwesternbrief Dezember 2020
„Gemeinsam gegen Corona“ –                          spezielle Zwischenlager organisiert. Die CEBONA
fünf wirkungsvolle Beispiele aus                    ist für den Pandemie-Winter 2020 gerüstet. Schon
                                                    im Frühjahr traf die Corona-Krise die CEBONA
der Johanniter-Familie                              nicht unvorbereitet. „Das Vorhalten von Krisen-
                                                    plänen gehört zur Zertifizierung“, erklärt Kerstin
Neben einem deutschlandweiten Corona-Kompe-         Müller. „Wir konnten direkt auf die Pläne zurück-
tenzteam hat jede Einrichtung der Johanniter-       greifen und ein ganzes Maßnahmenbündel in Kraft
Krankenhäuser, Fach- und Rehabilitationsklinken     setzen.“ So wurde auf den Einsatz von Springern
individuelle Hygiene- und Sicherheitskonzepte       verzichtet, jedes Haus von einem festen Team be-
sowie Besuchsregelungen entwickelt – passgenau      treut. Die Mitarbeitenden arbeiteten in den kriti-
abgestimmt auf die Bedingungen vor Ort. Wir sind    schen Bereichen nur noch in Schutzausrüstung,
überall in engem Kontakt mit den lokalen Gesund-    der Reinigungsturnus neuralgischer Punkte wie
heitsbehörden und verfolgen die Entwicklungen       der Türklinken oder Griffe wurde erhöht. „Und so
der Pandemie genau – zum Wohle unserer Patien-      arbeiten wir jetzt auch im Winter weiter“, sagt
ten und unserer Mitarbeitenden. Informationen zu    die Geschäftsbereichsleiterin. Je nach Einsatzge-
den Einrichtungen vor Ort und den Flyer zum         biet – CEBONA-Mitarbeiter sind in ganz Deutsch-
Hygiene- und Sicherheitskonzept der Johanniter-     land tätig – unterscheiden sich die örtlichen Vor-
Akutkrankenhäuser finden Sie auf den Internet-      gaben. Manchmal wird Mund-Nase-Schutz aus
seiten der Johanniter GmbH. In den Johanniter-      Stoff getragen, manchmal Einwegmasken, manch-
Seniorenhäusern gleichen regionalen Krisen-Be-      mal sind FFP-2-Masken vorgeschrieben. Immer
auftragte alle Maßnahmen mit den Empfehlungen       aber wird der Schutz der Mitarbeitenden und da-
des Robert-Koch-Instituts, des Bundesgesund-        mit auch der Bewohner groß geschrieben. Die Hy-
heitsministeriums und der regionalen Gesundheits-   gienevorschriften in den Küchen sind auch ohne
ämter und Heimaufsichtsbehörden kontinuierlich      Corona-Pandemie streng. Hier wurde zusätzlich
ab und stehen im engen Austausch mit allen Ein-     auf eine Trennung der individuellen Arbeitsberei-
richtungsleitungen. Vor dem Besuch einer Einrich-   che und Arbeitsmittel gesetzt. So können Abstän-
tung verschaffen sich Besucher auf den Internet-    de eingehalten und Infektionsrisiken verringert
seiten der Johanniter Seniorenhäuser GmbH einen     werden. Lieferanten betreten die Gebäude nicht
Überblick über die aktuellen Besuchsregelungen      mehr, die Warenannahme erfolgt draußen.
und helfen so mit, Ansteckungen zu verhindern
bzw. zu minimieren. Die Johanniter-Unfall-Hilfe     Besonders in Südosteuropa waren die Corona-
(JUH) ist auf die zweite Welle der Pandemie gut     Fallzahlen im Sommer und Herbst in die Höhe ge-
vorbereitet. Viele Erfahrungen aus dem Frühjahr     schnellt. Vielerorts waren die Gesundheitssyste-
konnten genutzt werden, um die Dienste darauf       me überlastet. Die Johanniter entsandten drei
einzustellen. Trotz gestiegenen Infektionsrisikos   Experten innerhalb eines interdisziplinären Teams
und den damit verbundenen erschwerten Arbeits-      in den Kosovo, wo sie medizinisches Personal im
bedingungen werden die JUH-Dienstleistungen         Umgang mit Corona-Patienten berieten und über
aufrechterhalten. Oberste Priorität hat immer der   bessere Schutzmaßnahmen aufklärten. Der Ein-
Schutz unserer Kundinnen und Kunden, Patientin-     satz war das Ergebnis einer stärkeren internatio-
nen und Patienten – aber auch unserer Mitarbei-     nalen Vernetzung. Gemeinsam gegen Corona:
ter/-innen. Die Johanniter bieten mit ihren Ange-   Zusammen mit humedica und I.S.A.R Germany
boten zu Corona-Hilfen Unterstützung für Privat-    beteiligten sich die Johanniter unter der Feder-
personen in der Corona-Pandemie und Beratung        führung des Robert Koch-Instituts an einem ge-
und Unterstützung für Unternehmen im Umgang         meinsamen „Emergency Medical Team“ (EMT)
mit der Corona-Pandemie.                            im Kosovo. Das 15-köpfige Team wurde durch
                                                    Experten der Universitätsmedizin der Berliner
Die CEBONA GmbH ist als Dienstleister der Johan-    Charité, des Universitätsklinikums Hamburg Ep-
niter in vielen Johanniter-Einrichtungen für Ca-    pendorf und des Kommando Sanitätsdienst der
tering und Reinigung zuständig. Mitten in einer     Bundeswehr komplettiert. Sie reisten am 21. Sep-
Pandemie ist das eine Herausforderung. Die Vor-     tember für zwei Wochen in den Kosovo, um in
ratshaltung an Desinfektionsmitteln und anderen     Krankenhäusern in der Hauptstadt Pristina und
chemischen Produkten ist ausgeweitet worden,        der Umgebung bei der Behandlung von COVID-19-
Schutzausrüstungen für die Mitarbeitenden wie       Patienten und der Prävention zu unterstützen.
Überziehkittel und Einweghandschuhe werden
vorgehalten, Schutzmasken nachgeordert und          JO

                                                                      11   / Schwesternbrief Dezember 2020
Street Art und Graffiti Tour –
Regionaltreffen in Berlin
An einem windig-kühlen Samstagnachmittag
Anfang September trafen sich insgesamt 14 Mit-
glieder (Johanniterschwestern, Fördermitglieder
und Gäste) aus der Region Berlin, Brandenburg,
Sachsen am Maybachufer im Bezirk Neukölln.
Teilnehmer aus allen drei Bundesländern waren
vertreten.
Eine Street Art und Graffiti Tour stand auf dem
Programm. Unser Stadtführer, ein junger Mann,
25 Jahre alt, war früher selber Teil der Szene. Ak-
tuell studiert er Sprache und Kommunikation und
wird in Kürze seine angestrebte journalistische
Tätigkeit aufnehmen. Er führte uns im Zickzack
durch das lebendige Kreuzberg, vom Maybach-
ufer zum Brunnen am Mariannenplatz. Dieser
Stadtteil ist voll von Graffiti. Jedes zweite Haus
ist „verziert“, aber man weiß oft nicht, was die
Bilder und Schriften bedeuten. Was treibt die
Sprayer dazu, nachts hoch über den Dächern ihr
Leben zu riskieren, welche Botschaften hinterlas-
sen sie? Wieso werden manche Street-Art-Kunst-        Künstlermilieus und zeigte uns unzählige Beispie-
werke gnadenlos übersprüht und wie entsteht           le dieses speziellen Genres. Am Mariannenplatz
eine Auftragsarbeit? Unser Stadtführer gab wäh-       angekommen, durften wir uns selbst künstlerisch
rend der Tour vieles uns Unbekannte aus der in-       mit farbigen Tapes am Feuerwehrbrunnen versu-
ternationalen Sprayer-Szene preis. Er erläuterte      chen. Nur Wenige stellten sich dieser Abschluss-
die Stile und Techniken aus der Perspektive des       aufgabe, denn es galt viele Eindrücke zu verarbei-
                                                      ten. Auf dem Weg durch den uns fremden Kiez
                                                      spazierten wir an mediterranen Straßenecken mit
                                                      terrakottafarbenen Fassaden, bunten Markisen,
                                                      Restaurants, Bars und Imbissen vorbei. Wir unter-
                                                      querten S-Bahntrassen, liefen an verwilderten
                                                      Gärten vorbei und trafen auf Kundschaft warten-
                                                      de junge Damen aus einem anderen Gewerbe.
                                                      Wir streiften eine typische Kreuzberger Demo mit

12   / Schwesternbrief Dezember 2020
roten Fahnen und viel Polizeipräsenz. Straßen-      Foyer befindet sich der Eingang zum Restaurant
lärm, S-Bahngetöse und Tatütata wechselten sich     „3 Schwestern“ mit einem lauschigen Innenhof.
ab mit Ruhe und Vogelgezwitscher, Windstille mit    Witterungsbedingt tafelten wir an drei Tischen im
einer kühlen Brise.                                 Kreuzgewölbesaal des ältesten Gebäudes in Kreuz-
                                                    berg, in dem schon damals die Schwestern des
Durstig, hungrig und leicht durchgefroren standen
                                                    Krankenhauses speisten. Das Kennenlernen, Wie-
wir nun vor dem Künstlerhaus Bethanien. Das his-
                                                    dersehen und die persönlichen Erlebnisse be-
torische Bethanienkrankenhaus am Mariannen-
                                                    herrschten die Gespräche. Wir alle freuten uns
platz, im heute berühmten Ortsteil Kreuzberg
                                                    über den lockeren Austausch, Ideen für die nächs-
SO 36, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Ver-
                                                    ten Regionaltreffen wurden gesammelt. Die Fach-
mächtnis des Königs Friedrich Wilhelm IV. gegrün-
                                                    diskussion musste wegen den aktuellen Abstands-
det und auf Anregung Theodor Fliedners den Dia-
                                                    regeln auf Einzelgespräche beschränkt werden.
konissen zum Betrieb übertragen. Damit sollte
                                                    Am frühen Abend bekräftigten wir den Wunsch
der stetig wachsenden Bevölkerung Rechnung ge-
                                                    auf ein Wiedersehen und verabschiedeten uns
tragen und die Charité entlastet werden. Neben
                                                    voller Eindrücke des gemeinsam Erlebten im Ge-
weiteren Aufgabenfeldern stand im Zentrum die
                                                    päck voneinander.
Errichtung eines Institutes zur Ausbildung von
Krankenpflegerinnen, mit welchem eine eigene        Der Johanniter-Schwesternschaft möchten wir
Krankenanstalt verbunden sein sollte. In der Apo-   ausdrücklich für die Finanzierung der Street-Art-
theke arbeitete zeitweise Theodor Fontane als       Tour danken. Dieses im Wesentlichen an der
Apotheker. Beginnend mit den Revolutionsjahren      frischen Luft gestaltete Regionaltreffen könnte
1848/1849 bis zur Schließung im Jahre 1970 durch-   auch Anregung für weitere Begegnungen sein,
lebte das Krankenhaus alle Irrungen und Wirrun-     natürlich nicht mehr in Kreuzberg und Neukölln
gen der Neueren Geschichte.                         als derzeitig aktuelle Hotspots. Die drei Bundes-
                                                    länder stehen uns in unserer Region zur Planung
Nach vielen Auseinandersetzungen und Bürger-
                                                    und Gestaltung frei. Bis zum nächsten Mal!
begehren wird das Gebäude heute als kommunal
betriebene Galerie genutzt. Hinter dem mit Säu-     Regionalschwestern
len und historischen Pflegemotiven gestalteten      Dorothee Lerch und Brigitte Scharmach

                                                                      13   / Schwesternbrief Dezember 2020
Erfolgreiches Examen
trotz schwieriger Umstände
Am 29. Oktober beendeten sieben Auszubildende        ten Rahmen durchgeführt werden. Ohne Ange-
der Gesundheits- und Krankenpflegeassistenz          hörige, ohne Vertreter der Praxis, ohne Schüler
ihre einjährige Ausbildung an der Johanniter Bil-    anderer Kurse und ohne das Kollegium verab-
dungs-GmbH.                                          schiedeten Kursleiterin Johanniterschwester Petra
                                                     Kowar sowie Schulleiterin Johanniterschwester
In einem sehr turbulenten Jahr, in welchem die
                                                     Christina Körner die Absolventinnen in einer kur-
Auswirkungen der Corona-Pandemie täglich spür-
                                                     zen Zusammenkunft. Per Video gratulierten die
bar waren, sowohl in der theoretischen wie auch
                                                     übrigen Mitarbeiter der Bildungs-GmbH, denn
in der praktischen Ausbildung, gingen die Schüle-
                                                     die Schülerinnen waren jedem in diesem Jahr
rinnen und Schüler tapfer ihren Weg. Im Oktober
                                                     doch ans Herz gewachsen.
beendeten sie nach drei anstrengenden Prüfungs-
teilen schließlich erfolgreich ihre Ausbildung.
                                                     Johanniterschwester Christina Körner
Die Zeugnisübergabe konnte aufgrund der aktuel-      Schulleitung
len Hygieneschutzmaßnahmen nur im allerkleins-

Pilgertreffen in Münster
Pilgern, der Begriff abgeleitet vom ursprünglichen   hen“ 350 bzw. 130 Meter von meinem Arbeits-
Wort peregrinus „in der Fremde sein“. Dies woll-     platz weg sind und am Ende sogar mein Arbeits-
ten wir Münsteraner Schwestern, wenn auch ganz       platz selbst ist? Diese Gedanken teilen neben mir
in der Nähe, für einen Nachmittag im Oktober         noch zwei Mitschwestern, die, genau wie ich, in
sein. Wie sehr können wir in Münster in der Frem-    der Johanniter-Akademie NRW arbeiten. Unser
de sein? Und hat pilgern nicht auch etwas mit Ab-    Startpunkt ist die Trinitatiskirche, gefolgt von
schalten vom Alltag, von der Arbeit zu tun? Wie      der Heilig-Geist-Kirche, Endpunkt die Johanni-
sehr kann ich denn von der Arbeit abschalten,        ter-Akademie. Geplante Zeit um „in die Fremde
wenn die Orte, zu denen wir „in die Fremde ge-       zu gehen“ circa 90 Minuten. Das kann ja heiter

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werden, Skepsis ist das vorherrschende Gefühl.
Bis zu dem Moment, in dem ich, in dem wir, die
Trinitatiskirche betreten. Leise Musik, ein Kreis
aus Stühlen, eine Kerze und ein Pfarrer, der uns
auf unserer Pilgerreise begleitet und uns die
geistlichen Impulse gibt. Die Skepsis weicht einer
Neugierde. Er berichtet uns von der Worther-
kunft der Worte „Pilgern“ und „Buße“, singt mit
uns und gibt uns für den Weg den Impuls im Sin-
ne der Aussage „Höre auf Schafe zu zählen, zähle
stattdessen deine Segen“, darüber nachzuden-
ken, an welchen Stellen wir gesegnet sind. Paar-
weise machen wir uns auf den kurzen Weg, den
goldenen Oktober an unserer Seite. Gespräche         Menze. Zur Geborgenheit gesellt sich Ruhe. Der
entwickeln sich, Gedanken werden ausgetauscht.       Pfarrer spricht über Dankbarkeit und darüber,
Ich finde es auch heute noch erstaunlich, wie        dass sie häufig nicht mehr selbstverständlich ist.
viele Segen auf einem Weg von 350 Metern ge-         Gemeinsam sprechen wir den Wochenpsalm. Der
funden werden können, wenn bewusst darüber           letzte Impuls, zu dem wir uns Gedanken machen
nachgedacht wird. Zweite Station: Heilig-Geist-      sollen, ist Dankbarkeit. Wofür sind wir dankbar?
Kirche. Wieder ein einladender Kreis aus Stühlen,    Wir sollen es aufschreiben, nur für uns. Über-
wieder Musik, wieder die Kerze, wieder Pfarrer       rascht von der Aufgabe, bleibt mein Blatt leer,
Menze. Die Neugierde weicht einer Geborgenheit.      dann eine Anrede und plötzlich ist die Seite voll
Die Speisung der 4000, die wir gemeinsam le-         und die Zeit um. Wir sprechen gemeinsam das
sen, dient als Grundlage für den zweiten Impuls.     „Vaterunser“ und Pfarrer Menze verabschiedet
Auf dem nächsten Weg zu Johanniter-Akademie          sich. Zu Geborgenheit und Ruhe gesellt sich
sollen wir uns Gedanken darüber machen, an           schlussendlich Frieden. Den krönenden Abschluss
welchen Stellen in unserem Leben wir kleingeistig    bieten die hervorragende Kürbiscremesuppe und
waren oder sind. Vor dem Aufbruch wird noch          die wunderbaren Gespräche. Fazit für mich! Ich
gesungen. Auf 130 Metern lassen sich erstaun-        war an diesem schönen Tag in der Ferne, wenn
lich viele Momente finden, in denen der Glaube       auch ganz nah, und ich kam zutiefst beseelt zu-
zu verlieren droht. Dritte Station: Vor der Johan-   rück. Danke dafür.
niter-Akademie. Diesmal keine Stühle, dafür das
achtspitzige Kreuz, wieder Musik, wieder Pfarrer     Johanniterschwester Saskia Brettmann

                                                                       15   / Schwesternbrief Dezember 2020
Souverän und überzeugend –
auch im virtuellen Umfeld
Anfang Oktober trafen sich sieben Johanniter-
schwestern und zwei Fördermitglieder mit den
unterschiedlichsten Erwartungen auf der Insel
Schwanenwerder im Berliner Ortsteil Nikolassee
zum Seminar: „Souverän und überzeugend – auch
im virtuellen Umfeld“. Ziel der Fortbildung ist,
die Fähigkeit für einen überzeugenden Auftritt
in Online-Meetings zu stärken, Kompetenz aus-
zustrahlen, souverän mit Störungen umzugehen
und im virtuellen Raum mit anderen in Kontakt
zu bleiben.
Die Diplom-Sprechwissenschaftlerin und Kommu-
nikationstrainerin Christel Tietge hatte ein um-
fangreiches Trainingsprogramm für ein bewuss-
tes und souveränes Auftreten im virtuellen Raum
anzubieten. Jeder Teilnehmer hatte seine eigenen
unterschiedlichsten Erfahrungen zum und im Um-
gang mit dem virtuellen Raum. Variierende Tech-
nikkenntnisse, verschiedenste Bedarfe an Informa-
tionen und bei all dem nicht zuletzt auch eine ge-
mischte Gefühlslage mit dem neuen Medium.
Auf der Suche nach Souveränität, brachten die
Erkenntnisse über nonverbale und paraverbale
Wirkkräfte so langsam Sicherheit. Bei den Wirk-
                                                     kräften geht es um Bodenkontakt, Aufrichtung
                                                     des Körpers, Blick und Blickkontakt, Mimik und
                                                     Gestik sowie Stimme und Aussprache. Durch Frau
                                                     Tietges originelles und professionelles Training
                                                     wurden die Inhalte in praktischen Übungen ver-
                                                     stehbar und regten zur Umsetzung an.
                                                     In einem schönen Tagungshaus wurde trotz Co-
                                                     rona sehr motiviert, gut gelaunt und überaus
                                                     interessiert geatmet, gelächelt und gesprochen
                                                     und sich der Stimm-Modulation hingegeben. Da-
                                                     bei zeigten Teilnehmer/-innen auch ungeahnte
                                                     Schauspielkunst-Talente. In acht Stunden inten-
                                                     siver Arbeit, wurden alle Inhalte unserer Bedarfe
                                                     beleuchtet und bearbeitet. Im Praxistest und auf
                                                     unbekannten Wegen waren wir mutig unterwegs.
                                                     Der ein oder andere ist dabei über sich selbst
                                                     hinausgewachsen.
                                                     Ein absolut gelungenes Training in und um den
                                                     virtuellen Raum! Wie nachhaltig wir gelernt
                                                     haben oder ob wir eventuell den einen oder an-
                                                     deren Tipp noch brauchen, wird sich im zweiten
                                                     dann virtuellen Teil des Seminars zeigen. Die Teil-
                                                     nehmer werden alle noch einmal, in einer kleinen

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persönlichen Sequenz, alles zum Besten geben,       Aber bis dahin ist es gut, in einem Kreis geübt
was sie auf Schwanenwerder lernen durften.          zu haben, in dem man sich sehr gut aufgehoben
Ich bin mir sicher, dass der virtuelle Raum eines   weiß!
Tages auch genauso selbstverständlich wahrge-
                                                    Regionalschwester Yvonne Emde
nommen wird wie die reale Begegnung.

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Im Norden zuhause und doch
zusammen
Mitten im Fußballfieber hatten wir unser erstes       es besteht eine hohe Arbeitszufriedenheit unter
Regionaltreffen der Region Nord im Februar im         den Pflegenden. Dank einer großzügigen Spende
Johanniterstift Bremen, während die Bewohner/-        der Johanniter-Hilfsgemeinschaft Hannover wer-
innen auf einer Großbild-Leinwand ein Bundes-         den im Haus für die Mitarbeiter Coachings und
ligaspiel von Werder Bremen verfolgten.               Resilienzseminare angeboten. Die Teamweiterent-
                                                      wicklung wird von Johanniterschwester Marita
In Anpassung an die Corona-Bedingungen probier-
                                                      Neumann als Resilienztrainerin begleitet.
ten wir für unser zweites Regionaltreffen eine
Videokonferenz als alternatives Format aus. Auf       Auch eine wichtige Rolle während der Ausbildung
der Agenda des Treffens standen die unterschied-      spielt, wie berufliches Selbstverständnis, eine wer-
lichsten Themen. Unter anderem tauschten wir          teorientierte Grundhaltung und Berufsethik in der
uns zu Strategien der Personalgewinnung und           Ausbildung angebahnt und vermittelt werden. Mit
Mitarbeiterbindung aus. Anhand von empirischen        der neuen generalisierten Ausbildung und einem
Studien konnte herausgefunden werden, dass            kompetenzorientierten Curriculum werden insbe-
eine positive und wertschätzende Führungskultur,      sondere in der Kommunikation und Werteorientie-
eine respektvolle und fördernde Atmosphäre im         rung zu Beginn der Ausbildung neue Schwerpunk-
Dienstbetrieb, verlässliche Dienstplanung, ausrei-    te gesetzt. Birgit zum Felde und Gela Spöthe be-
chend vorhandenes Personal, eine gute Praxisan-       richteten hierzu aus den Pflegeschulen.
leitung (insbesondere für Schüler!) die wichtigsten   Eine andere Strategie ist die Gewinnung von Pfle-
Faktoren der Mitarbeiterbindung im Betrieb sind.      gefachkräften aus dem Ausland. Ethisch vertretbar
Demnach bleiben ausgebildete Pflegende als exa-       ist eine Anwerbung jedoch nur dann, wenn dadurch
minierte Fachkräfte der Einrichtung erhalten, wenn    nicht im Heimatland ein vorhandener Mangel an
solche Faktoren vorhanden sind. So wurden bei-        Pflegenden forciert wird. Beispielsweise gelten die
spielweise am Johanniterstift in Bremen alle frisch   Philippinen als ein Land in dem es mehr Pflege-
ausgebildeten Pflegefachkräfte von der Einrichtung    fachkräfte als Arbeit gibt. Das Land ist auch für
übernommen. Alle Stellen sind nun voll besetzt und    seine hervorragend ausgebildeten Pflegekräfte

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