Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e.V.
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Schwesternbrief der Johanniter-Schwesternschaft e. V. Ausgabe Dezember 2020 Liebe Johanniterschwestern, der Umgang mit Unsicherheiten begleitet uns im Wieviel Kreativität auch in unserer Gemeinschaft Alltag wie auch im Beruf. Auch wenn die Corona- freigesetzt werden kann, wenn Gewohntes nicht Pandemie ein neues Phänomen ist, so hatten mehr möglich ist, zeigen die Berichte aus den viele Generationen vor uns Herausforderungen Regionen. mit eben diesen Unsicherheiten zu meistern. Üblicherweise drucken wir in der Weihnachtsaus- Johanniterschwester Marianne Reysen beschreibt gabe eine Übersicht geplanter Seminarangebote in ihrem geistlichen Wort, wie es Maria und Josef ab. Da wir frühestens im 2. Quartal des Jahres nach der Aufforderung zur damaligen Volkszäh- mit Fortbildungen beginnen können, haben die lung und der Reise ins Ungewisse erging. Vorstände von Schwesternschaft und Förderver- ein noch nicht getagt und somit stehen die Ent- Auch im Jahr der Pflegenden und Hebammen und scheidungen noch aus. Um Ihnen einen Ausblick dem 200. Geburtstag von Florence Nightingale zu geben, thematisch wird es um Pflegeethik ist es das beherrschende Thema. Wie wollen wir gehen und unter anderem um das Phänomen die Profession weiterentwickeln, wie veränderte Cool-out. Zudem werden wir uns um Verände- und wachsende Versorgungsbedürfnisse beant- rungsprozesse bemühen, für uns selbst und in worten? Prof. Dr. Dr. hc. mult. Ulrich H. J. Körtner den Einrichtungen. Auch die Seniorentagung in schaut mit seinem Beitrag „Care fair im 21. Jahr- Kloster Wennigsen ist im Sommer vorgesehen. hundert“ aus der ethischen Perspektive auf die unterschiedlichen Handlungsfelder der Pflege. Ver- Bleiben Sie bitte mit sich selbst und anderen ge- ständlicherweise sind wir geneigt, Probleme des duldig bei den Begrenzungen durch die Pandemie. eigenen Arbeitsbereichs in erster Linie zu verfol- Pflegende lernen im Beruf mehr als andere Pro- gen und Schwierigkeiten anderer Sektoren wenig fessionen, sich schnell an neue Situationen anzu- oder nur ansatzweise zu erfassen. Um als profes- passen. Nutzen Sie diese gute Fertigkeit und schaf- sionell Pflegende gemeinsam Kraft für die Ent- fen Sie für sich und andere schöne Momente der wicklung auf allen Ebenen zu gewinnen, bieten Verbundenheit. sich die aktive Beteiligung in den vorhandenen Ihnen allen wünsche ich eine gesegnete Weih- und in Gründung befindenden Pflegekammern an nachtszeit und einen guten Jahresausklang. sowie im Deutschen Berufsverband für Pflegen- de (DBfK) in dem wir seit Jahren als korporatives Ihre Andrea Trenner Mitglied aktiv sind. Was uns unabhängig vom Set- ting in der Pflege eint, zeigt ein kurzes zum Deut- schen Pflegetag produziertes Video „Lady with the lamp“. Wer es noch nicht gesehen hat; sie finden es auf YouTube. Nur wir Pflegenden selbst können Zeichen für Veränderung setzen! 1 / Schwesternbrief Dezember 2020
Wer hätte das gedacht? Heute schreibe ich wieder ein geistliches Wort für geregeltes Leben haben würde an der Seite eines den Schwesternbrief zum Advent. Trotz der langen Zimmermanns. Doch da kommt wie aus heiterem Erfahrung, die ich nun damit habe, bin ich verun- Himmel dieses Gebot und sie muss sich schwan- sichert. Wie wird die Situation in Deutschland und ger auf einen weiten und gefährlichen Weg ma- der Welt aussehen, wenn Sie diese Zeilen lesen? chen. Das hat sie sicher verunsichert. Ich weiß es nicht und kann es mir nur schwer vor- Weit weg von ihrer Herkunftsfamilie scheint die stellen. Das, was kommt, liegt mehr denn je im Schwangerschaft wie geplant zu verlaufen und Dunkeln. sie entbindet zu der vorgesehenen Zeit. Doch das Auch Sie werden eventuell noch nicht wissen, wie Ganze passiert nicht in den sicheren vier Wänden Sie dieses Jahr die Advents- und Weihnachts- eines Hauses, wie sie es sich sicher vorgestellt tage begehen werden, obwohl auch Sie sicher in hat. Nicht einmal ein fremdes Haus, eine Herber- Beruf und Familie viel Erfahrung auf diesem Ge- ge kann sie aufnehmen. Nein, bei den Tieren liegt biet haben. Als Konstante wirkt hier – ob in Ihrer nun ihr Sohn in einem Futtertrog. Welche Mutter Bibel zuhause, dem Exemplar das sich eventuell würde das nicht verunsichern? in Ihrer Einrichtung findet oder als Online-Version Doch nicht nur Maria und Josef haben Erlebnis- der Text aus dem Lukas-Evangelium, Kapitel 2. se jenseits des Vorstellbaren. Auch die Hirten in Da lesen wir auch von etwas, das erstmalig alle der Nähe der Stadt können sich nicht mehr auf Menschen der – damals bekannten – Welt be- den Tag-Nacht-Rhythmus verlassen. Sie fürchten traf. Sie alle sollten sich schätzen lassen. Ein Ge- sich. Die Natur spielt verrückt und sie, die nicht bot war vom Kaiser erlassen worden. Niemand lesen oder schreiben können, bekommen die Bot- konnte sich dem straflos widersetzen, es traf alle. schaft der Liebe Gottes aus dem Mund der Engel Jeder sollte sich am Heimatsort des Familienva- zu hören. Um diese unerhörte Botschaft zu verifi- ters in eine Liste eintragen. Einige mussten dabei zieren, werden sie jetzt zu Detektiven der frohen zu Orten reisen, die sie nie zuvor besucht hatten. Botschaft Gottes. Sie verlassen ihren Arbeitsplatz So stelle ich es mir auch für Maria vor. Sie dachte und machen sich auf ins Ungewisse. Sie finden sicher, dass sie nun als Zukünftige von Josef ein das Kind und damit die unvorstellbare Botschaft, „Anbetung durch die Hirten“ Bartolomé Esteban Murillo (1617-1682), Hermitage Museum, St Petersburg, Russland 2 / Schwesternbrief Dezember 2020
dass Gott, von dessen Stärke immer wieder die Rede ist, als verletzlicher Säugling zu den Men- schen gekommen ist – unvorstellbar! Auf diesem Boden der Verunsicherung platziert Gott in unvorhersehbarer Weise seinen Sohn mit der Botschaft seiner Liebe, einer Liebe, die jen- seits der Konventionen und Vorstellungen an Stel- len gelangt, die lieblos scheinen, und Menschen zusammenbringt, die ganz unterschiedliche Erfah- rung gemacht haben. So nimmt Maria – die Frau des Zimmermanns aus Nazareth – die Worte der CC BY-SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main ungebildeten Hirten bei Bethlehem über ihren Sohn an. Anstatt dafür zu sorgen, dass nun alles nach Plan läuft, denkt sie über deren Worte nach - wer hätte das gedacht? Auch wir müssen in diesem Jahr Dinge tun, die für uns letztes Jahr undenkbar gewesen wären. Wir praktizieren Nächstenliebe durch Masken und Plexiglasscheiben, manchmal sogar virtuell. Dabei sind die Reaktionen auf das, was wir anbieten, ganz unterschiedlich. Bei meiner Zerrissenheit zwischen Trauer über die verlorenen Möglichkei- ten und Chancen die andere Formen bieten, hilft in diesem Jahr besonders eine Zeile aus einem Lied der christlichen Rock-Band Skillet, in dem sie Jahreslosung singt „Your light will terrify the dark“ (Dein Licht wird der Dunkelheit das Fürchten lehren) https:// www.youtube.com/watch?v=gjrPzaw0hp4. Ja es kann sein, dass diese sonst so stimmungs- volle Jahreszeit traurig scheint durch den Tod von 2021: mehr Menschen als in anderen Jahren, durch den Verzicht auf Einkaufsbummel oder Weihnachts- marktbesuche, durch eingeschränkte Besuchs- „Jesus Christus spricht: dienste, gesanglose Gottesdienste und stornierte Reisen. Doch auch wenn wir alles Mögliche neu Seid barmherzig, und anders handhaben müssen, bleibt die Weih- nachtsbotschaft dieselbe: Gott kommt zu uns, wie auch euer Vater verletzlich und unvorstellbar. Maria, Josef und die Hirten können uns in unserer eigenen Ver- barmherzig ist!“ unsicherung zu Vorbildern werden. Das Licht von (Lukas 6, 36) Gottes Liebe, die noch unvorstellbarer ist als die kommenden Wochen unvorhersehbar sind, wird das Dunkel vertreiben – auch das Dunkel meiner Verunsicherung. Daher wünsche ich Ihnen in diesen Tagen, das auch für Sie das Dunkel vertrieben wird und der Glanz der Liebe Gottes Ihre Festtage erhellt. Ihre Johanniterschwester Pfarrerin Marianne Reysen 3 / Schwesternbrief Dezember 2020
Care Fair im 21. Jahrhundert Die Corona-Pandemie hat den Blick auf prekäre Reichtums sind, dass auch sie in Österreich nicht Verhältnisse in der 24-Stunden-Betreuung und nur leben und arbeiten, sondern auch Steuern zah- auf die angespannte Lage im Pflegebereich ge- len und somit ihren Teil zum Gemeinwohl leisten, lenkt. Das wird zum Anlass genommen, über ging und geht regelmäßig unter. „I am from Aus- ethische Maßstäbe für Fair Care im 21. Jahrhun- tria“: Für viele, die im Gesundheitswesen tätig dert nachzudenken. Pflege ist ein knappes Gut. sind, gilt das jedenfalls nicht. Und ein Großteil Allokationsfragen, also die Frage, wie sich Res- derer, die in der 24-Stunden-Betreuung arbeiten, sourcen zur Erbringung von Pflegeleistungen hat hierzulande nicht einmal den Hauptwohnsitz, bereitstellen lassen, und Fragen der Distribution, sondern führt ein Pendlerdasein zwischen ihrem also die Frage, wie sich Pflegeleistungen bedarfs- Einsatzort und ihrem Heimatort in Rumänien, Po- orientiert und gerecht an Pflegebedürftige zu- len oder in der Ukraine, wo die Familie, der Mann teilen lassen, gewinnen an Schärfe – und das im und die Kinder leben. Ja, ganz richtig: der Ehe- globalen Maßstab. „Fair Care“ oder „Care fair“ mann, nicht etwa die Gattin, denn 24-Stunden- steht für Gerechtigkeitsfragen in der Pflege an Pflege ist weitgehend weiblich. der Schnittstelle zwischen Pflegewissenschaft, Ohne die vielen Frauen, „who are not from Aus- Pflegeökonomie, Pflegeethik und Gesundheits- tria“, würde das ganze Betreuungssystem in der politik. mobilen Pflege zusammenbrechen. Als die Gren- zen geschlossen wurden, um die Corona-Pande- Pflege in Zeiten von Corona mie einzudämmen, wurde das allen bewusst, nicht nur den unmittelbar Betroffenen, den Pflege- Wir erinnern uns noch gut an die ersten Wochen bedürftigen und ihren Familien, den Verantwort- im Lockdown am Beginn der Corona-Pandemie lichen im Gesundheitswesen und in der Gesund- und an die Bilder der Menschen, die den „Heldin- heitspolitik, sondern auch einer breiteren Öffent- nen und Helden des Alltags“, wie man sie nannte, lichkeit, die normalerweise gar nicht so genau auf Balkonen und an offenen Fenstern abends wissen will, wie eigentlich häusliche Pflege und um 18 Uhr Beifall spendeten. Aus den Lausprech- Betreuung gemanagt und finanziert wird. ern der Polizeifahrzeuge, die durch die Straßen Nun aber begann man zu begreifen, was eigent- fuhren, tönte unsere heimliche Nationalhymne: lich in Zeiten der Krise „systemrelevante“ Berufe Reinhard Fendrichs „I am from Austria“. sind. Die Pflege, da sind sich alle einig, gehört Über aller Gefühlsseligkeit im nationalen Schul- dazu. Sie verdient Anerkennung und Wertschät- terschluss, geriet meist ganz aus dem Blick, dass zung, die auch eine angemessenen Bezahlung in diesem Lande mitnichten nur „gelernte“ oder – beinhaltet. Auch darüber herrschte in der Aus- wie ich – „angelernte“ Österreicher/-innen leben, nahmesituation allgemeiner Konsens. Aber es sondern auch Menschen mit anderer Staatsbür- bräuchte auch attraktivere Dienstpläne, die gerschaft. Dass auch sie ein Teil unserer Gesell- wiederum nicht ohne Personalaufstockung funk- schaft und ihres kulturellen wie menschlichen tionieren können. In der größten Not haben alle Verantwortlichen und die Bevölkerung zu all dem gern und rasch ja gesagt. Solche Forderungen und ihre Unterstützung sind allerdings wohlfeil, solange die Frage, wer denn am Ende die Rech- nung bezahlen soll, auf später verschoben wird. Aus welchen Töpfen, ob ganz aus Steuermitteln oder doch besser über eine Pflegeversicherung, ob aus Mitteln des Bundes oder den Budgets der Länder und Gemeinden, gute Pflege finanziert werden soll – und das nicht etwa nur kurzfristig, sondern langfristig, also „nachhaltig“ wie man heute gern sagt – das ist eine Frage, für welche die Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit © dpa / Oliver Berg zumeist nur kurz ist. Schnell schieben sich wieder 4 / Schwesternbrief Dezember 2020
andere Themen in den Vordergrund – bis dann dann die Löhne um jenen Anteil, um den die Fa- irgendwann der nächste sogenannte „Pflege- milienbeihilfe gekürzt worden ist, erhöht werden? skandal“ aufpoppt. Es stellt sich aber noch eine ganz grundsätzliche vierte Frage: Ist es überhaupt gerecht, relativ Und weil eben die meisten in der 24-Stunden-Be- niedrige Löhne zu zahlen, in der Erwartung, dass treuung tätigen Frauen nicht mitsingen können: diese durch den Staat auf einem Umweg auf- „I am from Austria“, regt es kaum jemanden auf, gestockt werden? Ist diese Art von Preisfindung dass für ihre im europäischen Ausland lebenden auf dem Pflegemarkt, der Pflege unter Wettbe- Kinder die Familienbeihilfe aliquotiert worden ist werbsbedingungen anbietet, unter wirtschafts- und nun auch der neu eingeführte Familienbonus ethischen Gesichtspunkten vertretbar? Und wei- aliquotiert wird. Sie merken, wir befinden uns be- ter gefragt: Wieviel Markt und Wettbewerb ist reits mitten in‘s Thema „Fair Care im 21. Jahrhun- im Gesundheitswesen überhaupt wünschenswert dert“ geführt, zu dem ich gebeten worden bin, und im Sinne des Gemeinwohlgedankens zu ver- als Ethiker zu schreiben. Allerdings möchte ich so- treten? gleich unterstreichen, dass zwischen Betreuung und Fachpflege, also den durch das GuKG (Ge- sundheits- und Krankenpflegegesetz) gesetzlich geregelten Berufen der Gesundheits- und Kranken- Pflegeethik und Pflegeökonomie pflege, zu unterscheiden ist. Auch die 24-Stunden- Mit solchen Fragen begibt sich die Pflegeethik in Betreuung ist, wie die Fachpflege, eine Form der das Gespräch mit der noch jungen Disziplin der Care-Arbeit. Aber es gilt nochmals zwischen Pflegeökonomie.1 Hierzulande steckt die Disziplin Caring und Nursing zu unterscheiden. Ein weiterer noch in den Kinderschuhen, während ihre Ur- Unterschied besteht zwischen Gesundheits- und sprünge im angloamerikanischen Raum 50 Jah- Krankenpflege und der Altenpflege. Fair Care im re zurückreichen. Es handelt sich um eine neue 21. Jahrhundert betrifft nicht nur das Problem, wie Teildisziplin der Gesundheitsökonomie, die eine die Bedarfe in den unterschiedlichen Bereichen Nahtstelle zwischen Wirtschaftswissenschaft von Pflege und Betreuung gedeckt werden können. und Pflegewissenschaft bildet. „Sie verwendet Es geht auch darum, zwischen den unterschied- dazu Methoden und Theorien aus der Ökonomie lichen Berufsgruppen für Fairness zu sorgen, zum und wendet diese unter Hinzuziehung der Er- Beispiel bei der Bezahlung, und die Kooperation kenntnisse der Pflegewissenschaft an.“2 Da die der Gesundheitsberufe zu verbessern. Gesundheits- und Krankenpflege nicht mehr eine Mich beschäftigen die grundlegenden Gerechtig- bloße Hilfsdisziplin der Medizin ist und zudem keitsfragen, die sich hier auftun. Im Rahmen mei- zwischen Akutpflege und Langzeitpflege unter- nes Themas geht es vor allem darum, was Gerech- schieden werden muss, ist die Etablierung einer tigkeit im Bereich der Pflege bedeutet, welche eigenen Disziplin Pflegeökonomie gerechtfertigt. Gerechtigkeitsfragen sich auf diesem Feld des Pflegebedürftigkeit ist für sich genommen kei- Gesundheitswesens stellen. Medizin- und Pflege- ne Krankheit, sondern die mögliche Folge von thik sind in folgender Hinsicht herausgefordert: Krankheit oder von Behinderung, wobei die Be- In der Regel ist für Frauen aus Südosteuropa die einträchtigungen körperlicher wie auch kognitiver Tätigkeit als 24-Stunden-Betreuung in Österreich oder psychischer Natur sein können. Zwar lassen doch nur deshalb attraktiv, weil neben der ge- sich Pflegeleistungen in der Akutpflege, wenn sie ringen Entlohnung verhältnismäßig hohe Sozial- im Zusammenhang mit medizinischer Diagnos- leistungen gezahlt werden, die man unter dem tik, Therapie oder Rehabilitationsmaßnahmen Strich mit zum Gehalt dazurechnen muss. Anders stehen, ökonomisch in der Regel nur schwer von gesagt: Wir leisten uns ein Betreuungssystem in der kurativen Versorgung von Patientinnen und der ambulanten Pflege, das mit niedrigen Löhnen Patienten trennen. „Für Pflegeleistungen, die im auskommt, weil ein Teil des Gesamteinkommens Kontext der Langzeit-Pflege erbracht werden, der Betreuungskräfte aus anderen Töpfen bezahlt ist hingegen eine isolierte Betrachtung nicht nur wird. Es stellen sich somit zumindest drei Fragen: möglich, sondern auch erforderlich.“3 Neben der a) Kann das ursprüngliche Gesamteinkommen nun erforderlichen Akut-Pflege besteht weiterhin von Tätigen in der 24-Stunden-Betreuung (Lohn der Bedarf an langzeit-pflegerischer Versorgung. plus nicht durch Aliquotierung geminderte Fami- lienbeihilfe) als gerecht gelten? b) Lässt sich das 1 Vgl. Michael Wessels, Pflegeökonomie, Berlin 2019. auch noch behaupten, nachdem die Familienbei- 2 M. Wessels, a.a.O. (Anm. 2), S. 20. hilfe gemindert worden ist? c) Wenn nein: Sollten 3 Ebd., S. 16. 5 / Schwesternbrief Dezember 2020
Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist der Pflege- gen nicht einfach dem freien Spiel der Kräfte am bereich ein Markt, der, verglichen mit anderen Markt überlassen werden darf. Auch dürfen die Branchen, überdurchschnittlich wächst. Hinter Entscheidungsgrundlagen für Gesundheitspoli- dem Spitalsbereich (Krankenhausbereich; Anm. tiker im Bereich der Pflege nicht allein von Ge- d. Redaktion) und den niedergelassenen Ärzten sundheitsökonomen erstellt werden, deren Mo- ist die Pflege beispielsweise in Deutschland der delle nicht den spezifischen Anforderungen und drittgrößte Ausgabenbereich. Eine im August Rahmenbedingungen der Pflege gerecht werden. dieses Jahres veröffentlichte Studie des WIFO Und schon gar nicht dürfen gesundheits- und (Österreichisches Institut für Wirtschaftsfor- pflegepolitische Entscheidungsgrundlagen ohne schung) prognostiziert, dass die Kosten für Pfle- Mitwirkung der Interessensvertretungen der Pfle- ge- und Betreuungsleistungen bis 2030 um 77 ge erstellt werden. Prozent steigen werden, wobei allerdings mit re- Ökonomisches Denken ist recht verstanden eine gionalen Unterschieden zu rechnen ist.4 Zahlen- ethische Aufgabe, soll dazu dienen, die Ver- mäßig bilden Pflegende die größte Berufsgruppe schwendung von Ressourcen zu vermeiden und im Gesundheitswesen. Rechnet man noch weite- Strategien zu entwickeln, um Unterversorgung, re Berufsgruppen in Einrichtungen der ambulan- aber auch Überversorgung und Fehlversorgung ten und stationären Langzeitpflege hinzu, die in zu verhindern. Therapie, Sozialarbeit, Hauswirtschaft oder Ver- waltung tätig sind, ist der wirtschaftliche Anteil Das Schlagwort der Ökonomisierung weist aller- der Pflege am Gesundheitssystem noch größer. dings auf die Gefahr hin, dass Medizin und Pflege unter die Räder einer auf Gewinnmaximierung Während der Pflegebedarf in der Bevölkerung und Kostendämpfung ausgerichteten ökonomi- schon allein aufgrund der demografischen Ent- schen Logik geraten. Hier kommt die Pflegeethik wicklung steigt, wächst zugleich der Mangel an ins Spiel. Wie die Pflegewissenschaft verfolgt Pflegekräften. Pflege ist somit ein knappes Gut. auch die Pflegeethik einen systemischen Ansatz. Allokationsfragen, also die Frage, wie sich Res- Somit gehört zur Pflegeethik auch die wirtschafts- sourcen zur Erbringung von Pflegeleistungen ethische Analyse des Pflegesystems. Ethisch be- bereitstellen lassen, und Fragen der Distribution, trachtet hat die Wirtschaft dem Menschen zu also die Frage, wie sich Pflegeleistungen be- dienen und nicht umgekehrt. Für die Pflege be- darfsorientiert und gerecht an Pflegebedürftige deutet das: Die Ökonomie soll für die Pflege, die zuteilen lassen, gewinnen somit an Schärfe. Da- patienten- oder klientenorientiert ausgerichtet bei sind auch die Angehörigen pflegebedürftiger ist, eine dienende oder unterstützende Funktion Personen mit in den Blick zu nehmen. Sie sind ausüben. Hinzukommt die ökologische Perspek- auf mehrfache Weise mit der Pflegebedürftigkeit tive. Der Schutz der Umwelt, der Biosphäre und konfrontiert, sei es als pflegende Angehörige, sei der biologischen Vielfalt gehören inzwischen es, dass sie sich um die Organisation professio- auch in der Medizin- und Bioethik zu den Kern- neller Pflege oder von Betreuung im häuslichen themen.5 Umfeld oder um die Unterbringung in einer sta- Zwischen dem Menschengerechten, dem ökono- tionären Pflegeeinrichtung zu kümmern haben. misch Sachgemäßen und dem Umweltgerechten Und schließlich können sie auch bei der Finanzie- besteht allerdings ein Spannungsfeld,6 das sich rung der Pflege eingebunden sein. auch im Bereich des Gesundheitswesens und in Grundsätzlich ist Pflegeökonomie an der Nah- der Pflege zeigt. Die aufbrechenden Spannungen stelle zwischen Wirtschaftswissenschaft und lassen sich nicht immer harmonisch lösen. Wie Pflegewissenschaft deshalb vonnöten, weil pro- jede Art von Ethik sind auch Pflegeethik und fessionelle Pflege ein knappes Gut ist und weil Wirtschaftsethik eine Konfliktwissenschaft. Sie die Allokation und Distribution von Pflegeleistun- bearbeiten ethische Konflikte im beruflichen 4 Vgl. https://steiermark.orf.at/stories/3063127/ (letzter Zugriff: 21.8.2020). 5 Vgl. Bioethik Kern-Curriculum, Abschnitt 1: Lehrplan Ethik-Ausbildungsprogramm, hg. v. der Organisation der Ver- einten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und dem UNESCO Lehrstuhl für Bioethik an der Medizinischen Universität Wien (Christiane Druml), Wien 2016, S. 74–76. Siehe auch Allgemeine Erklärung über Bio- ethik und Menschenrechte (2005), Artikel 17 (Text unter https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/2005_ Allge-meine%20Erkl%C3%A4rung%20%C3%BCber%20Bioethik%20und%20Menschenrechte.pdf sowie http://www. unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/SHS/pdf/Bioethik-Erklaerung-2006.pdf [letzter Zugriff: 21.8.2020]). 6 Vgl. Arthur Rich, Wirtschaftsethik, Bd. I, Gütersloh 1984, S. 172–221; Bd. II, Gütersloh 1990, S. 20. 6 / Schwesternbrief Dezember 2020
Medizinische Versorgung und patientennahe For- schung in einem adaptiven Gesundheitssystem“7. Darin heißt es: „Die Konfrontation mit einer neu- en Viruserkrankung hat die große Bedeutung eines öffentlich finanzierten Gesundheitswesens und einer vernetzten und forschungsnahen Kran- kenversorgung gezeigt. Im Umgang mit neuen Erkrankungsbildern sind insbesondere die Erhe- bung von Forschungsdaten und das unmittelbare Einspeisen von Forschungsergebnissen in die Prävention, Diagnostik und Behandlung essen- ziell.“ Und weiter: „Um in der jetzigen Situation handeln und zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können, muss das bestehende Ge- sundheitssystem weiterentwickelt werden: Be- Alltag, aber auch auf der organisationalen und nötigt wird ein patientenorientiertes, qualitäts- systemischen Ebene. Zu ihnen gehören auch die gesichertes und nicht primär gewinnorientiertes Konflikte zwischen Ökonomie und Pflege, die System, das alle Mitarbeitenden wertschätzt, In- sich nicht immer vermeiden lassen. novationen und digitale Lösungen integriert und insgesamt durch eine enge Vernetzung mit der Wirtschaftsethik und Pflegeethik, aber auch Pfle- Grundlagen- und translationalen Forschung über gewissenschaft und Pflegeökonomie müssen sich eine hohe Resilienz verfügt.“8 unter anderem auch der Frage nach der Finan- zierung des Gesundheitswesens und ordnungs- Die Leopoldina erinnert auch daran, dass „die politischen Fragen stellen. Gerechtigkeit und Krankenversorgung in Krisensituationen und eine Fairness im Gesundheitswesen können auf unter- qualitätsgesicherte und wissenschaftsorientierte schiedliche Weise angestrebt werden. Ideal- medizinische Versorgung der Bevölkerung“9 eine typisch lassen sich marktwirtschaftliche, Sozial- staatliche Aufgabe ist, also nicht dem freien Spiel versicherungs- und staatliche Gesundheits- und des Marktes und seiner Akteure übertragen oder Pflegesysteme unterscheiden. In der realen Welt überlassen werden darf. gibt es aber auch Mischformen, was zum Bei- Die Covid-19-Pandemie hat uns dramatisch vor spiel in Österreich der Fall ist. Allerdings gibt es Augen geführt, dass „in einem Gesundheitssys- hierzulande weiterhin keine Pflegeversicherung, tem, das ein integraler Bestandteil der Daseins- wie sie beispielsweise seit 1995 in Deutschland vorsorge ist, grundsätzlich nicht die gleichen wirt- als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung schaftlichen Maßstäbe angelegt werden“ können besteht. „wie in der freien, wettbewerbsorientierten Wirt- Seit den 1990er Jahren lässt sich europaweit schaft“10. So ist auch die Bedürftigkeit besonders ein Paradigmenwechsel vom klassischen Wohl- vulnerabler und marginalisierter Bevölkerungs- fahrtsstaat zum Sozialmarkt beobachten. Staat- gruppen zu beachten. Das schließt allerdings lich-dirigistische Lenkungsmechanismen wurden Reformbedarf nicht aus, wo Anreize für eine Fehl- zugunsten von marktwirtschaftlichen Mechanis- oder Überversorgung gesetzt werden. men zurückgedrängt, zumeist mit der Begrün- All das Gesagte gilt in besonderer Weise auch für dung, der Markt könne die Bedarfe von Patienten die Pflege, die sich inzwischen zu einem Wachs- effizienter und flexibler decken. Er funktioniere tumsmarkt entwickelt hat, auf dem eine Vielzahl kostenbewusster, was wiederum letztlich allen von Anbietern auftreten und auch wirtschaft- Bürgerinnen und Bürgern zugutekomme, weil auf lich konkurrieren. Sie konkurrieren nicht nur um diese Weise sparsamer mit Steuergeldern und Kunden, sondern auch um Personal. Wie die Versicherungsbeiträgen gewirtschaftet würde. Auch die Forschung profitiere von marktwirt- schaftlichen Anreizen. 7 Text unter https://www.leopoldina.org/uploads/tx_ Das Pro und Kontra kann hier nicht im Einzelnen leopublication/2020_05_27_Stellungnahme_Corona_ diskutiert werden. Aufhorchen lässt allerdings Gesundheitssystem.pdf (letzter Zugriff: 21.8.2020). eine Ende Mai 2020 veröffentlichte Stellungnah- 8 Leopoldina, a.a.O. (Anm. 9), S. 3. me der deutschen nationalen Akademie Leopol- 9 Ebd., S. 2. dina. Sie trägt den Titel „Coronavirus-Pandemie: 10 Leopoldina, a.a.O. (Anm. 9), S. 5. 7 / Schwesternbrief Dezember 2020
medizinische Versorgung ist auch die pflegeri- sche Versorgung der Bevölkerung grundsätzlich eine staatliche Aufgabe. Nicht nur aus ethischer, sondern auch aus pflegeökonomischer Sicht stellt sich die Frage, ob Pflegeleistungen auf Märkten gehandelt werden können wie beliebige andere Güter auch. Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass Patienten oder sonstige pflegebedürftige Menschen zum Produktionsfaktor mutieren, der möglichst ge- winnbringend einzusetzen ist. Auf diese Weise (Foto: JUH) kommt es zu einer Verkehrung der Nutzen-Mittel- Relation, bei der sich eine fremdnützige Instrumen- talisierung des Menschen anbahnt. Eine Gesell- schaft, die den Anspruch erhebt, human und solidarisch zu sein, muss sich die Frage stellen, angesichts des demografischen Wandels, be- was man für Geld nicht kaufen kann bzw. was darf es gesellschaftlicher Wertschätzung, einer man für Geld nicht kaufen können soll. Allerdings angemessenen Entlohnung, attraktiver und be- besteht immer auch die Gefahr, diese Frage darfsgerechter Ausbildungsstrukturen und guter ideologisch zu missbrauchen und so beispiels- Arbeitsbedingungen. Dieses gilt in gleicher Weise weise die Forderung nach einer angemessenen für alle anderen Mitarbeitenden.“11 Entlohnung von professioneller Gesundheits- und Krankenpflege zu diskreditieren. Damit wären wir dann wieder am Anfang meines Vortrags, wenn nämlich gesagt werden sollte, gute Pflege lasse Care Drain und Care Fair sich ja gar nicht mit Geld aufwiegen und solle als Care Drain, also die Abwanderung von medizi- Akt der Nächstenliebe statt als professionell aus- nischem und pflegerischem Personal, ist eine geübte Dienstleistung verstanden werden. Lange besondere Form des Brain Drain. Er wirft Ge- genug sind Pflegepersonen in der Geschichte rechtigkeitsfragen im globalen Maßstab auf.12 Im der Pflege unter dem Vorzeichen einer Ethik der Jahr 2007 waren nach offiziellen Angaben knapp Nächstenliebe ausgebeutet worden. Nun kann 7 Prozent aller hierzulande beschäftigten Pflege- es gewiss keine gute Pflege ohne Empathie und kräfte keine österreichischen Staatsbürger. 8,2 Fürsorglichkeit geben. Kein Nursing ohne Caring, Prozent der Pflegekräfte in Krankenanstalten wie Konzepte der Care-Ethik betonen. Aber doch und 10,5 Prozent der in Alten- und Pflegeheimen sind Fürsorglichkeit in persönlichen Beziehungen, tätigen Pflegepersonen waren im Ausland aus- zum Beispiel in der Familie, und Nursing als Pro- gebildet worden.13 Die Pflegemigration verstärkt fession zu unterscheiden. im globalen Maßstab das bestehende Ungleich- Um noch einmal die Leopoldina zu zitieren: „Das gewicht zwischen Industrieländern und soge- medizinische und pflegerische Fachpersonal ist nannten Entwicklungsländern. Die Ethnologin Ca- für eine patientenwohlorientierte und qualitativ therine Cenzia Choy hat errechnet, dass den zwei hochwertige Versorgung sowie eine effektive Dritteln der Weltbevölkerung, die in den Ländern Krankheitsprävention entscheidend. Zur langfris- des globalen Südens leben, nur 15 Prozent des tigen Sicherung einer angemessenen personellen weltweiten Pflegepersonals zur Verfügung ste- Ausstattung von Gesundheitseinrichtungen, auch hen.14 Wenn medizinische Versorgung und Pflege 11 Leopoldina, a.a.O. (Anm. 9), S. 6. 12 Vgl. Muge Akpinar-Elci / Omur Cinar Elci/M. Murat Civaner, Care Drain, in: Henk ten Have H. (ed.), Encyclopedia of Global Bioethics, Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-09483-0_68, 16.7.2016 (letzter Zugriff: 22.8.2020); Lukas Kaelin, Care drain: The political making of health worker migration. Journal of Public Health Policy, 32, 2011, S. 489–498. 13 Zahlen nach J. Inthorn/L. Kaelin/M. Ridder, a.a.O. (Anm. 18), S. 135f. unter Verweis auf Maureen Lenhart/August Öster- le, Migration von Pflegekräften: Österreichische und europäische Trends und Perspektiven, ÖPZ 12, 2007, S. 8–11. 14 Vgl. Catherine Cenzia Choy, Empire of Care. Nursing and Migration in Filipino American History, Durham/London 2003. Siehe auch J. Inthorn/L. Kaelin/M. Ridder, a.a.O. (Anm. 18), S. 136f. 8 / Schwesternbrief Dezember 2020
zu den Grundgütern zählen, ist der Care Drain tungen sowie Beratungsstellen als Franchise- unter gerechtigkeitstheoretischem Gesichtspunkt nehmern betrieben werden soll. Wenn wir von hoch problematisch. Wenn wir über Care Fair im zukunftsträchtigen Lösungen für den Pflegebe- 21. Jahrhundert sprechen, geht es eben nicht nur darf einer alternden Gesellschaft sprechen, wird um die Finanzierung und personelle Ausstattung die Digitalisierung zunehmend eine Rolle spielen, des heimischen Gesundheitssystems oder um nicht nur bei der Pflegedokumentation, sondern angemessene Bezahlung von Pflegefachkräften, auch bei der Vernetzung von Care-Angeboten sondern auch um die gesundheitspolitischen und im ambulanten Bereich. Digitalisierung ist frei- ökonomischen Auswirkungen von Pflegemigra- lich kein Selbstzweck. Vielmehr kommen auch tion auf die Herkunftsländer. Zu den negativen hier wieder ethische Fragen ins Spiel: Wer sind Folgen gehört nicht nur der Verlust an Personal die Nutznießer digitaler Lösungen? Wer wird in- und die Schwächung der Gesundheitsversorgung, kludiert oder ausgeschlossen? Was ist bezahlbar weil nun die Herkunftsländer fehlende Fachkräfte und wer kommt für die Kosten auf? Wie wird die durch weniger qualifiziertes Personal ersetzen Patientenzentriertheit sichergestellt? Wie lässt müssen. Der Care Drain führt außerdem zu einem sich erreichen, dass die Digitalisierung der Quali- Verlust an Bildungsinvestitionen und qualifizier- tätssicherung und -verbesserung in der Pflege tem Lehrpersonal, wodurch auch die Forschung dient und nicht nur der Kostenreduktion? in den Herkunftsländern beeinträchtigt wird. In all diesen Diskussionen braucht es die kompe- Care Drain kann freilich auch positive Auswirkun- tente Stimme der Pflege und ihrer Interessenver- gen auf die Herkunftsländer haben, etwa durch tretungen. Fair Care im 21. Jahrhundert braucht Geldüberweisungen an die Herkunftsfamilien. Organisationen wie den ÖGKV. Länder können auch davon profitieren, wenn bei- spielsweise Pflegekräfte in einem Joint Venture zwischen Herkunfts- und Zielländern ausgebildet werden. Care Drain und seine negativen wie posi- tiven Folgen sind nicht nur ein pflegeethisches und sozialethisches Thema, sondern auch eine der globalen pflegeökonomischen Fragestel- lungen im 21. Jahrhundert. Und damit komme ich nochmals auf die 24-Stunden-Betreuung zu sprechen. Transnational tätige Care-Arbeiterin- nen sind öffentlich weithin unsichtbar, sieht man von der Krisenstimmung am Beginn des Lock- down in der Corona-Pandemie ab. Sie werden geduldet oder bewegen sich in einer Grauzone, werden aber nicht adressiert. Die evangelische Diakonie in Württemberg versucht diesem Zu- stand mit einem „FairCare“ genannten Projekt entgegenzuwirken, das 2011 gestartet wurde.15 Die Caritas betreibt ein entsprechendes Projekt O. Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Ulrich H. J. Körtner unter dem Namen FairCare und CariFair ver- Institut für Systematische Theologie und mitteln legale Betreuungskräfte und garantieren Religionswissenschaft, Evangelisch-Theolo- die Einhaltung der gesetzlichen Standards des gische Fakultät, Universität Wien; Arbeits- und Sozialschutzes. Erwähnt sei schließ- Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in lich noch die FairCare-Plattform, die aus einem der Medizin, Universität Wien internationalen Forschungsprojekt hervorgegan- gen ist, an dem die Universität Innsbruck und neun weitere Partner aus der EU und der Schweiz beteiligt gewesen sind. Die Plattform beruht auf einem Social-Franchise-System, was bedeutet, dass die Plattform von Hilfs- und Pflegeeinrich- 15 Vgl. Christiane Bomert, Transnationale Care-Arbeiterinnen in der 24-Stunden-Betreuung. Zwischen öffentlicher (Un-)Sichtbarkeit und institutioneller (De-)Adressierung, Wiesbaden 2020, S. 140. 9 / Schwesternbrief Dezember 2020
Aus der Johanniter-Familie Johanniter-Internet über 13.000 Informationsseiten Nach über eineinhalbjähriger Vorarbeit in den Ein- richtungen, Werken und den Gliederungen des Ordens konnte der neue Internet-Auftritt am 22. September diesen Jahres online gehen. Alleine für die Website-Konzeption wurden über 2.200 Arbeitstage erfasst. In den zurückliegenden Wochen nach dem Start konnten bereits viele Erkenntnisse gewonnen werden: Stand 30.11. arbeiten 255 Online-Redak- teure mit dem System, um interessierte Online- Besucher stets aktuell über Johanniter-Neuheiten und wichtige Entwicklungen zu informieren. Aktu- ell können über 13.000 Informationsseiten unter www.johanniter.de und den Folgeseiten aufgeru- fen und besucht werden. Die Zentralseiten werden mittlerweile durch eine Werke übergreifende gemeinsame Redaktionsgruppe der Johanniter aktualisiert und betreut. Dabei finden Interessierte die Johanniter nun noch besser und schneller im World Wide Web. Die bisherigen Inhalte der alten Seiten wurden aktualisiert, doppelte Inhalte entfernt und durch zentrale datenbankgestützte Inhalte ersetzt sowie das Betriebssystem hinsichtlich Suchmaschinen- freundlichkeit optimiert. Auch für die Johanniter- Schwesternschaft hat der neue Internet-Auftritt messbare Verbesserungen: Im Oktober zum Bei- spiel waren im Schnitt etwa 8.500 pro Tag und im gesamten Monat knapp 260.000 Seitenauf- rufe zu messen. Natürlich verläuft eine solch umfangreiche Um- stellung nicht an allen Stellen reibungslos – über die Monate Oktober und November wurde kon- tinuierlich nachgearbeitet und insbesondere die Geschwindigkeit und Stabilität optimiert. Auch die Umsetzung zur Mehrsprachigkeit (im ersten Schritt Englisch, Französisch und Finnisch) kann nun ge- nutzt werden. In den folgenden Monaten geht die- se Pflege weiter. JO www.johanniter.de 10 / Schwesternbrief Dezember 2020
„Gemeinsam gegen Corona“ – spezielle Zwischenlager organisiert. Die CEBONA fünf wirkungsvolle Beispiele aus ist für den Pandemie-Winter 2020 gerüstet. Schon im Frühjahr traf die Corona-Krise die CEBONA der Johanniter-Familie nicht unvorbereitet. „Das Vorhalten von Krisen- plänen gehört zur Zertifizierung“, erklärt Kerstin Neben einem deutschlandweiten Corona-Kompe- Müller. „Wir konnten direkt auf die Pläne zurück- tenzteam hat jede Einrichtung der Johanniter- greifen und ein ganzes Maßnahmenbündel in Kraft Krankenhäuser, Fach- und Rehabilitationsklinken setzen.“ So wurde auf den Einsatz von Springern individuelle Hygiene- und Sicherheitskonzepte verzichtet, jedes Haus von einem festen Team be- sowie Besuchsregelungen entwickelt – passgenau treut. Die Mitarbeitenden arbeiteten in den kriti- abgestimmt auf die Bedingungen vor Ort. Wir sind schen Bereichen nur noch in Schutzausrüstung, überall in engem Kontakt mit den lokalen Gesund- der Reinigungsturnus neuralgischer Punkte wie heitsbehörden und verfolgen die Entwicklungen der Türklinken oder Griffe wurde erhöht. „Und so der Pandemie genau – zum Wohle unserer Patien- arbeiten wir jetzt auch im Winter weiter“, sagt ten und unserer Mitarbeitenden. Informationen zu die Geschäftsbereichsleiterin. Je nach Einsatzge- den Einrichtungen vor Ort und den Flyer zum biet – CEBONA-Mitarbeiter sind in ganz Deutsch- Hygiene- und Sicherheitskonzept der Johanniter- land tätig – unterscheiden sich die örtlichen Vor- Akutkrankenhäuser finden Sie auf den Internet- gaben. Manchmal wird Mund-Nase-Schutz aus seiten der Johanniter GmbH. In den Johanniter- Stoff getragen, manchmal Einwegmasken, manch- Seniorenhäusern gleichen regionalen Krisen-Be- mal sind FFP-2-Masken vorgeschrieben. Immer auftragte alle Maßnahmen mit den Empfehlungen aber wird der Schutz der Mitarbeitenden und da- des Robert-Koch-Instituts, des Bundesgesund- mit auch der Bewohner groß geschrieben. Die Hy- heitsministeriums und der regionalen Gesundheits- gienevorschriften in den Küchen sind auch ohne ämter und Heimaufsichtsbehörden kontinuierlich Corona-Pandemie streng. Hier wurde zusätzlich ab und stehen im engen Austausch mit allen Ein- auf eine Trennung der individuellen Arbeitsberei- richtungsleitungen. Vor dem Besuch einer Einrich- che und Arbeitsmittel gesetzt. So können Abstän- tung verschaffen sich Besucher auf den Internet- de eingehalten und Infektionsrisiken verringert seiten der Johanniter Seniorenhäuser GmbH einen werden. Lieferanten betreten die Gebäude nicht Überblick über die aktuellen Besuchsregelungen mehr, die Warenannahme erfolgt draußen. und helfen so mit, Ansteckungen zu verhindern bzw. zu minimieren. Die Johanniter-Unfall-Hilfe Besonders in Südosteuropa waren die Corona- (JUH) ist auf die zweite Welle der Pandemie gut Fallzahlen im Sommer und Herbst in die Höhe ge- vorbereitet. Viele Erfahrungen aus dem Frühjahr schnellt. Vielerorts waren die Gesundheitssyste- konnten genutzt werden, um die Dienste darauf me überlastet. Die Johanniter entsandten drei einzustellen. Trotz gestiegenen Infektionsrisikos Experten innerhalb eines interdisziplinären Teams und den damit verbundenen erschwerten Arbeits- in den Kosovo, wo sie medizinisches Personal im bedingungen werden die JUH-Dienstleistungen Umgang mit Corona-Patienten berieten und über aufrechterhalten. Oberste Priorität hat immer der bessere Schutzmaßnahmen aufklärten. Der Ein- Schutz unserer Kundinnen und Kunden, Patientin- satz war das Ergebnis einer stärkeren internatio- nen und Patienten – aber auch unserer Mitarbei- nalen Vernetzung. Gemeinsam gegen Corona: ter/-innen. Die Johanniter bieten mit ihren Ange- Zusammen mit humedica und I.S.A.R Germany boten zu Corona-Hilfen Unterstützung für Privat- beteiligten sich die Johanniter unter der Feder- personen in der Corona-Pandemie und Beratung führung des Robert Koch-Instituts an einem ge- und Unterstützung für Unternehmen im Umgang meinsamen „Emergency Medical Team“ (EMT) mit der Corona-Pandemie. im Kosovo. Das 15-köpfige Team wurde durch Experten der Universitätsmedizin der Berliner Die CEBONA GmbH ist als Dienstleister der Johan- Charité, des Universitätsklinikums Hamburg Ep- niter in vielen Johanniter-Einrichtungen für Ca- pendorf und des Kommando Sanitätsdienst der tering und Reinigung zuständig. Mitten in einer Bundeswehr komplettiert. Sie reisten am 21. Sep- Pandemie ist das eine Herausforderung. Die Vor- tember für zwei Wochen in den Kosovo, um in ratshaltung an Desinfektionsmitteln und anderen Krankenhäusern in der Hauptstadt Pristina und chemischen Produkten ist ausgeweitet worden, der Umgebung bei der Behandlung von COVID-19- Schutzausrüstungen für die Mitarbeitenden wie Patienten und der Prävention zu unterstützen. Überziehkittel und Einweghandschuhe werden vorgehalten, Schutzmasken nachgeordert und JO 11 / Schwesternbrief Dezember 2020
Street Art und Graffiti Tour – Regionaltreffen in Berlin An einem windig-kühlen Samstagnachmittag Anfang September trafen sich insgesamt 14 Mit- glieder (Johanniterschwestern, Fördermitglieder und Gäste) aus der Region Berlin, Brandenburg, Sachsen am Maybachufer im Bezirk Neukölln. Teilnehmer aus allen drei Bundesländern waren vertreten. Eine Street Art und Graffiti Tour stand auf dem Programm. Unser Stadtführer, ein junger Mann, 25 Jahre alt, war früher selber Teil der Szene. Ak- tuell studiert er Sprache und Kommunikation und wird in Kürze seine angestrebte journalistische Tätigkeit aufnehmen. Er führte uns im Zickzack durch das lebendige Kreuzberg, vom Maybach- ufer zum Brunnen am Mariannenplatz. Dieser Stadtteil ist voll von Graffiti. Jedes zweite Haus ist „verziert“, aber man weiß oft nicht, was die Bilder und Schriften bedeuten. Was treibt die Sprayer dazu, nachts hoch über den Dächern ihr Leben zu riskieren, welche Botschaften hinterlas- sen sie? Wieso werden manche Street-Art-Kunst- Künstlermilieus und zeigte uns unzählige Beispie- werke gnadenlos übersprüht und wie entsteht le dieses speziellen Genres. Am Mariannenplatz eine Auftragsarbeit? Unser Stadtführer gab wäh- angekommen, durften wir uns selbst künstlerisch rend der Tour vieles uns Unbekannte aus der in- mit farbigen Tapes am Feuerwehrbrunnen versu- ternationalen Sprayer-Szene preis. Er erläuterte chen. Nur Wenige stellten sich dieser Abschluss- die Stile und Techniken aus der Perspektive des aufgabe, denn es galt viele Eindrücke zu verarbei- ten. Auf dem Weg durch den uns fremden Kiez spazierten wir an mediterranen Straßenecken mit terrakottafarbenen Fassaden, bunten Markisen, Restaurants, Bars und Imbissen vorbei. Wir unter- querten S-Bahntrassen, liefen an verwilderten Gärten vorbei und trafen auf Kundschaft warten- de junge Damen aus einem anderen Gewerbe. Wir streiften eine typische Kreuzberger Demo mit 12 / Schwesternbrief Dezember 2020
roten Fahnen und viel Polizeipräsenz. Straßen- Foyer befindet sich der Eingang zum Restaurant lärm, S-Bahngetöse und Tatütata wechselten sich „3 Schwestern“ mit einem lauschigen Innenhof. ab mit Ruhe und Vogelgezwitscher, Windstille mit Witterungsbedingt tafelten wir an drei Tischen im einer kühlen Brise. Kreuzgewölbesaal des ältesten Gebäudes in Kreuz- berg, in dem schon damals die Schwestern des Durstig, hungrig und leicht durchgefroren standen Krankenhauses speisten. Das Kennenlernen, Wie- wir nun vor dem Künstlerhaus Bethanien. Das his- dersehen und die persönlichen Erlebnisse be- torische Bethanienkrankenhaus am Mariannen- herrschten die Gespräche. Wir alle freuten uns platz, im heute berühmten Ortsteil Kreuzberg über den lockeren Austausch, Ideen für die nächs- SO 36, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Ver- ten Regionaltreffen wurden gesammelt. Die Fach- mächtnis des Königs Friedrich Wilhelm IV. gegrün- diskussion musste wegen den aktuellen Abstands- det und auf Anregung Theodor Fliedners den Dia- regeln auf Einzelgespräche beschränkt werden. konissen zum Betrieb übertragen. Damit sollte Am frühen Abend bekräftigten wir den Wunsch der stetig wachsenden Bevölkerung Rechnung ge- auf ein Wiedersehen und verabschiedeten uns tragen und die Charité entlastet werden. Neben voller Eindrücke des gemeinsam Erlebten im Ge- weiteren Aufgabenfeldern stand im Zentrum die päck voneinander. Errichtung eines Institutes zur Ausbildung von Krankenpflegerinnen, mit welchem eine eigene Der Johanniter-Schwesternschaft möchten wir Krankenanstalt verbunden sein sollte. In der Apo- ausdrücklich für die Finanzierung der Street-Art- theke arbeitete zeitweise Theodor Fontane als Tour danken. Dieses im Wesentlichen an der Apotheker. Beginnend mit den Revolutionsjahren frischen Luft gestaltete Regionaltreffen könnte 1848/1849 bis zur Schließung im Jahre 1970 durch- auch Anregung für weitere Begegnungen sein, lebte das Krankenhaus alle Irrungen und Wirrun- natürlich nicht mehr in Kreuzberg und Neukölln gen der Neueren Geschichte. als derzeitig aktuelle Hotspots. Die drei Bundes- länder stehen uns in unserer Region zur Planung Nach vielen Auseinandersetzungen und Bürger- und Gestaltung frei. Bis zum nächsten Mal! begehren wird das Gebäude heute als kommunal betriebene Galerie genutzt. Hinter dem mit Säu- Regionalschwestern len und historischen Pflegemotiven gestalteten Dorothee Lerch und Brigitte Scharmach 13 / Schwesternbrief Dezember 2020
Erfolgreiches Examen trotz schwieriger Umstände Am 29. Oktober beendeten sieben Auszubildende ten Rahmen durchgeführt werden. Ohne Ange- der Gesundheits- und Krankenpflegeassistenz hörige, ohne Vertreter der Praxis, ohne Schüler ihre einjährige Ausbildung an der Johanniter Bil- anderer Kurse und ohne das Kollegium verab- dungs-GmbH. schiedeten Kursleiterin Johanniterschwester Petra Kowar sowie Schulleiterin Johanniterschwester In einem sehr turbulenten Jahr, in welchem die Christina Körner die Absolventinnen in einer kur- Auswirkungen der Corona-Pandemie täglich spür- zen Zusammenkunft. Per Video gratulierten die bar waren, sowohl in der theoretischen wie auch übrigen Mitarbeiter der Bildungs-GmbH, denn in der praktischen Ausbildung, gingen die Schüle- die Schülerinnen waren jedem in diesem Jahr rinnen und Schüler tapfer ihren Weg. Im Oktober doch ans Herz gewachsen. beendeten sie nach drei anstrengenden Prüfungs- teilen schließlich erfolgreich ihre Ausbildung. Johanniterschwester Christina Körner Die Zeugnisübergabe konnte aufgrund der aktuel- Schulleitung len Hygieneschutzmaßnahmen nur im allerkleins- Pilgertreffen in Münster Pilgern, der Begriff abgeleitet vom ursprünglichen hen“ 350 bzw. 130 Meter von meinem Arbeits- Wort peregrinus „in der Fremde sein“. Dies woll- platz weg sind und am Ende sogar mein Arbeits- ten wir Münsteraner Schwestern, wenn auch ganz platz selbst ist? Diese Gedanken teilen neben mir in der Nähe, für einen Nachmittag im Oktober noch zwei Mitschwestern, die, genau wie ich, in sein. Wie sehr können wir in Münster in der Frem- der Johanniter-Akademie NRW arbeiten. Unser de sein? Und hat pilgern nicht auch etwas mit Ab- Startpunkt ist die Trinitatiskirche, gefolgt von schalten vom Alltag, von der Arbeit zu tun? Wie der Heilig-Geist-Kirche, Endpunkt die Johanni- sehr kann ich denn von der Arbeit abschalten, ter-Akademie. Geplante Zeit um „in die Fremde wenn die Orte, zu denen wir „in die Fremde ge- zu gehen“ circa 90 Minuten. Das kann ja heiter 14 / Schwesternbrief Dezember 2020
werden, Skepsis ist das vorherrschende Gefühl. Bis zu dem Moment, in dem ich, in dem wir, die Trinitatiskirche betreten. Leise Musik, ein Kreis aus Stühlen, eine Kerze und ein Pfarrer, der uns auf unserer Pilgerreise begleitet und uns die geistlichen Impulse gibt. Die Skepsis weicht einer Neugierde. Er berichtet uns von der Worther- kunft der Worte „Pilgern“ und „Buße“, singt mit uns und gibt uns für den Weg den Impuls im Sin- ne der Aussage „Höre auf Schafe zu zählen, zähle stattdessen deine Segen“, darüber nachzuden- ken, an welchen Stellen wir gesegnet sind. Paar- weise machen wir uns auf den kurzen Weg, den goldenen Oktober an unserer Seite. Gespräche Menze. Zur Geborgenheit gesellt sich Ruhe. Der entwickeln sich, Gedanken werden ausgetauscht. Pfarrer spricht über Dankbarkeit und darüber, Ich finde es auch heute noch erstaunlich, wie dass sie häufig nicht mehr selbstverständlich ist. viele Segen auf einem Weg von 350 Metern ge- Gemeinsam sprechen wir den Wochenpsalm. Der funden werden können, wenn bewusst darüber letzte Impuls, zu dem wir uns Gedanken machen nachgedacht wird. Zweite Station: Heilig-Geist- sollen, ist Dankbarkeit. Wofür sind wir dankbar? Kirche. Wieder ein einladender Kreis aus Stühlen, Wir sollen es aufschreiben, nur für uns. Über- wieder Musik, wieder die Kerze, wieder Pfarrer rascht von der Aufgabe, bleibt mein Blatt leer, Menze. Die Neugierde weicht einer Geborgenheit. dann eine Anrede und plötzlich ist die Seite voll Die Speisung der 4000, die wir gemeinsam le- und die Zeit um. Wir sprechen gemeinsam das sen, dient als Grundlage für den zweiten Impuls. „Vaterunser“ und Pfarrer Menze verabschiedet Auf dem nächsten Weg zu Johanniter-Akademie sich. Zu Geborgenheit und Ruhe gesellt sich sollen wir uns Gedanken darüber machen, an schlussendlich Frieden. Den krönenden Abschluss welchen Stellen in unserem Leben wir kleingeistig bieten die hervorragende Kürbiscremesuppe und waren oder sind. Vor dem Aufbruch wird noch die wunderbaren Gespräche. Fazit für mich! Ich gesungen. Auf 130 Metern lassen sich erstaun- war an diesem schönen Tag in der Ferne, wenn lich viele Momente finden, in denen der Glaube auch ganz nah, und ich kam zutiefst beseelt zu- zu verlieren droht. Dritte Station: Vor der Johan- rück. Danke dafür. niter-Akademie. Diesmal keine Stühle, dafür das achtspitzige Kreuz, wieder Musik, wieder Pfarrer Johanniterschwester Saskia Brettmann 15 / Schwesternbrief Dezember 2020
Souverän und überzeugend – auch im virtuellen Umfeld Anfang Oktober trafen sich sieben Johanniter- schwestern und zwei Fördermitglieder mit den unterschiedlichsten Erwartungen auf der Insel Schwanenwerder im Berliner Ortsteil Nikolassee zum Seminar: „Souverän und überzeugend – auch im virtuellen Umfeld“. Ziel der Fortbildung ist, die Fähigkeit für einen überzeugenden Auftritt in Online-Meetings zu stärken, Kompetenz aus- zustrahlen, souverän mit Störungen umzugehen und im virtuellen Raum mit anderen in Kontakt zu bleiben. Die Diplom-Sprechwissenschaftlerin und Kommu- nikationstrainerin Christel Tietge hatte ein um- fangreiches Trainingsprogramm für ein bewuss- tes und souveränes Auftreten im virtuellen Raum anzubieten. Jeder Teilnehmer hatte seine eigenen unterschiedlichsten Erfahrungen zum und im Um- gang mit dem virtuellen Raum. Variierende Tech- nikkenntnisse, verschiedenste Bedarfe an Informa- tionen und bei all dem nicht zuletzt auch eine ge- mischte Gefühlslage mit dem neuen Medium. Auf der Suche nach Souveränität, brachten die Erkenntnisse über nonverbale und paraverbale Wirkkräfte so langsam Sicherheit. Bei den Wirk- kräften geht es um Bodenkontakt, Aufrichtung des Körpers, Blick und Blickkontakt, Mimik und Gestik sowie Stimme und Aussprache. Durch Frau Tietges originelles und professionelles Training wurden die Inhalte in praktischen Übungen ver- stehbar und regten zur Umsetzung an. In einem schönen Tagungshaus wurde trotz Co- rona sehr motiviert, gut gelaunt und überaus interessiert geatmet, gelächelt und gesprochen und sich der Stimm-Modulation hingegeben. Da- bei zeigten Teilnehmer/-innen auch ungeahnte Schauspielkunst-Talente. In acht Stunden inten- siver Arbeit, wurden alle Inhalte unserer Bedarfe beleuchtet und bearbeitet. Im Praxistest und auf unbekannten Wegen waren wir mutig unterwegs. Der ein oder andere ist dabei über sich selbst hinausgewachsen. Ein absolut gelungenes Training in und um den virtuellen Raum! Wie nachhaltig wir gelernt haben oder ob wir eventuell den einen oder an- deren Tipp noch brauchen, wird sich im zweiten dann virtuellen Teil des Seminars zeigen. Die Teil- nehmer werden alle noch einmal, in einer kleinen 16 / Schwesternbrief Dezember 2020
persönlichen Sequenz, alles zum Besten geben, Aber bis dahin ist es gut, in einem Kreis geübt was sie auf Schwanenwerder lernen durften. zu haben, in dem man sich sehr gut aufgehoben Ich bin mir sicher, dass der virtuelle Raum eines weiß! Tages auch genauso selbstverständlich wahrge- Regionalschwester Yvonne Emde nommen wird wie die reale Begegnung. 17 / Schwesternbrief Dezember 2020
Im Norden zuhause und doch zusammen Mitten im Fußballfieber hatten wir unser erstes es besteht eine hohe Arbeitszufriedenheit unter Regionaltreffen der Region Nord im Februar im den Pflegenden. Dank einer großzügigen Spende Johanniterstift Bremen, während die Bewohner/- der Johanniter-Hilfsgemeinschaft Hannover wer- innen auf einer Großbild-Leinwand ein Bundes- den im Haus für die Mitarbeiter Coachings und ligaspiel von Werder Bremen verfolgten. Resilienzseminare angeboten. Die Teamweiterent- wicklung wird von Johanniterschwester Marita In Anpassung an die Corona-Bedingungen probier- Neumann als Resilienztrainerin begleitet. ten wir für unser zweites Regionaltreffen eine Videokonferenz als alternatives Format aus. Auf Auch eine wichtige Rolle während der Ausbildung der Agenda des Treffens standen die unterschied- spielt, wie berufliches Selbstverständnis, eine wer- lichsten Themen. Unter anderem tauschten wir teorientierte Grundhaltung und Berufsethik in der uns zu Strategien der Personalgewinnung und Ausbildung angebahnt und vermittelt werden. Mit Mitarbeiterbindung aus. Anhand von empirischen der neuen generalisierten Ausbildung und einem Studien konnte herausgefunden werden, dass kompetenzorientierten Curriculum werden insbe- eine positive und wertschätzende Führungskultur, sondere in der Kommunikation und Werteorientie- eine respektvolle und fördernde Atmosphäre im rung zu Beginn der Ausbildung neue Schwerpunk- Dienstbetrieb, verlässliche Dienstplanung, ausrei- te gesetzt. Birgit zum Felde und Gela Spöthe be- chend vorhandenes Personal, eine gute Praxisan- richteten hierzu aus den Pflegeschulen. leitung (insbesondere für Schüler!) die wichtigsten Eine andere Strategie ist die Gewinnung von Pfle- Faktoren der Mitarbeiterbindung im Betrieb sind. gefachkräften aus dem Ausland. Ethisch vertretbar Demnach bleiben ausgebildete Pflegende als exa- ist eine Anwerbung jedoch nur dann, wenn dadurch minierte Fachkräfte der Einrichtung erhalten, wenn nicht im Heimatland ein vorhandener Mangel an solche Faktoren vorhanden sind. So wurden bei- Pflegenden forciert wird. Beispielsweise gelten die spielweise am Johanniterstift in Bremen alle frisch Philippinen als ein Land in dem es mehr Pflege- ausgebildeten Pflegefachkräfte von der Einrichtung fachkräfte als Arbeit gibt. Das Land ist auch für übernommen. Alle Stellen sind nun voll besetzt und seine hervorragend ausgebildeten Pflegekräfte 18 / Schwesternbrief Dezember 2020
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