Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
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Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Originalarbeit Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) Veränderungen zwischen 1976 und 2017 Von Björn Fuhrer, Manuel Babbi und Bertil O. Krüsi Eingereicht am 03. 02. 2019, angenommen am 13. 04. 2019 Abstracts Die Streuwiesen und Uferlebensräume im Naturschutzgebiet Lake level dynamics and vegetation in a wetland in Lake Biel (Swit- Heidenweg am Bielersee in der Schweiz sind für seltene Tiere zerland) – Changes between 1976 and 2017 und Pflanzen von großer Bedeutung und stellen inmitten der dicht besiedelten Region ein einzigartiges Refugium dar. Auf- On the densely populated Swiss Plateau, the wetlands on the grund baulicher Maßnahmen und einer gesteuerten Abflussre- Heidenweg peninsula in Lake Biel are of great significance for gulierung nahmen die Seespiegelschwankungen und damit auch nature conservation. rare plants and animals. die Grundwasserschwankungen im Schutzgebiet seit 1940 jedoch Since 1940, and in particular since 1982, the seasonal fluc- zusehends ab. Durch die starke Einschränkung dieser Grund- tuations of the lake level and the groundwater table in the wasserdynamik, insbesondere ab 1982, stellt sich die Frage, ob adjacent nature reserve have been substantially reduced and und wie sich dadurch die Vegetation verändert hat. Deshalb stabilized. In order to elucidate how this has affected the wurde 2017 eine Kartierung der vorkommenden Vegetations- vegetation in the nature preserve, we compared vegetation maps typen durchgeführt und mit bestehenden Kartierungen von 1976 established by other scientists in 1976 and 1986 with the und 1986 verglichen. situation in 2017. Seit 1976 hat sich die Vegetation auf 21 % der Gesamtfläche Between 1976 and 2017, the vegetation changed on 21 % of verändert: Aufgrund einer laufend verkürzten Überflutungsdauer the area studied. On higher and now permanently drier areas, der höher gelegenen Bereiche nahmen artenreiche Pfeifengras- small-sedge fens were replaced by species-rich Molinia meadows, wiesen auf Kosten von Kleinseggenrieden deutlich zu. Bultige and near the lake shore, the area occupied by tussock-forming Großseggenriede nahmen hingegen wegen der verringerten tall-sedge communities declined substantially. Seespiegelschwankungen und einem gestiegenen Pegelstand ab. Politically, it seems impossible to restore more dynamic lake Durch die eingeschränkte Grundwasserdynamik werden sich and groundwater tables. Consequently, the observed vegetation solche Entwicklungen in Zukunft weiter fortsetzen. An der ein- developments are likely to continue. As mitigation measure, we geschränkten Grundwasserdynamik kann zwar nichts geändert suggest mowing the drier areas regularly in order to prevent werden, jedoch kann mit einem angepassten Pflegemanagement the encroachment of shrubs and trees. Rotational fallows will insbesondere der rascheren Verbuschung begegnet werden: help to foster the survival of a variety of rare plant and animal konsequentes Mähen mit Rotationsbrachen nur in gehölzarmen species. Bereichen und, wo nötig, verstärktes manuelles Entbuschen. 1 Einleitung mungen die Seespiegelschwankungen je- erhöhte Bulten bilden, verringert haben. doch massiv eingeschränkt (Wehren & Aufgrund verminderter Seespiegelschwan- Inmitten des dicht besiedelten Schweizer Schudel 2012). Insbesondere nach 1982 kungen ist zudem anzunehmen, dass sich Mittellands stellt das Niedermoor Heiden- schwankte der Seepegel nur noch minimal das Röhricht seewärts ausgebreitet hat. weg ein einzigartiges Refugium für seltene und Überflutungen des Niedermoors blie- Die Vegetation am Heidenweg wurde Tiere und Pflanzen dar (Sattler 2011). Als ben fast gänzlich aus. Das kann ein Problem bereits 1976 (Wildi 1976a, b) und 1986 Halbinsel im Bielersee gelegen, steht das sein, denn gemäß Klötzli (1969) hat (Wildi & Leupi 1986, Leupi 1987) flächen- 164 ha große Gebiet mit seinen Röhrichten, eine geringere Grundwasserdynamik Aus- deckend kartiert, was es ermöglicht, mit Groß- und Kleinseggenrieden sowie Pfei- wirkungen auf die Niedermoorvegetation, einer erneuten Kartierung 2017 die Flä- fengraswiesen unter strengem nationalem da sich je nach Grundwasserverhältnis ver- chenveränderungen der einzelnen Vegeta- Schutz (Flachmoorverordnung) (Abb. 1). schiedene Vegetationstypen ausbilden. tionstypen zu quantifizieren. Mithilfe der Für die Erhaltung der Streuwiesen und Konkret wird für das Naturschutzgebiet ausgezeichneten Datengrundlage – insbe- Großseggenbestände ist neben der Nut- Heidenweg erwartet, dass auf den höher sondere zu den vom Pegelstand des Bieler- zung die Aufrechterhaltung des nieder- gelegenen Flächen seit Mitte des 19. Jahr- sees abgeleiteten Grundwasserverhältnis- moortypischen Wasserhaushalts entschei- hunderts durch die verringerte Dauer von sen am Heidenweg – konnte im Rahmen dend. Diese Grundwasserverhältnisse hohen Grundwasserständen eine Verschie- dieser Arbeit untersucht werden, wie sich werden am Heidenweg durch den Pegel- bung der Kleinseggenried-Vegetation Rich- die Flächenanteile der Vegetationseinhei- stand des Bielersees bestimmt (Ammann- tung Pfeifengraswiese stattfand und dass ten von 1976 und 1986 bis 2017 verändert Moser 1975a). Seit Mitte des 19. Jahrhun- sich die Großseggenbestände der Uferzone, haben und welche Vegetationseinheiten derts wurden zum Schutz vor Überschwem- welche gegen die Seespiegelschwankungen maßgeblich betroffen waren. 420 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) 2 Material und Methoden Originalarbeit 2.1 Geschichte, Nutzung und Schutz Im 19. Jahrhundert floss die Aare am Bie- lersee vorbei. Der Fluss war begleitet von einer ausgedehnten Sumpflandschaft, in der die Bevölkerung unter mageren Ernten, einer großen Seuchengefahr und regelmä- ßigen großflächigen Überschwemmungen litt (Wehren & Schudel 2012). Von 1868 bis 1890 wurde deshalb das Wasserregime des Bielersees grundlegend umgestaltet. Durch verschiedene Fließgewässerkorrek- turen im Rahmen der ersten Juragewässer- korrektion, d. h. durch den Aus- und Neu- bau diverser Zu- und Abflusskanäle (Weh- ren & Schudel 2012) und die Umleitung der Aare in den Bielersee, sank der mittle- re Pegelstand des Bielersees um 2,3 m (Abb. 2) und zwischen der Ortschaft Erlach und der St. Petersinsel tauchte erstmals ein flacher Landstreifen aus dem See auf. In der Folge entwickelte sich zusammen mit der Streunutzung ein ausgedehntes Nie- Abb. 1: Luftaufnahme des 164 ha großen Naturschutzgebietes Heidenweg vom 2. November 1998 dermoor. Dieses 164 ha große Gebiet wird (Swissair 1998). Blick nach Westen. seither als Heidenweg bezeichnet. Da nach der ersten Juragewässerkorrektion die Niedrigwasser des Bielersees tiefer sanken Nach der Seespiegelabsenkung wurden 2.2 Vegetationskartierungen 1976, als erwartet – Ufer stürzten ein und Hänge zu Beginn des 20. Jahrhunderts im entste- 1986 und 2017 rutschten ab –, wurde 1940 für eine um- henden Riedland stellenweise Flächen fassende Abflussregulation ein Regulier- aufgeschüttet (Ammann-Moser 1975a), Die im Juni 2017 durchgeführte Vegeta- wehr im Nordosten des Bielersees in Be- Entwässerungsgräben ausgehoben und auf tionskartierung umfasste die gesamte Aus- trieb genommen, über das bis heute der den trockeneren Flächen Gebäude erstellt dehnung des Niedermoorperimeters (BAFU gesamte Abfluss gesteuert wird (Wehren (Bossert 1988). Traditionellerweise wur- 1996) und die angrenzenden, landwirt- & Schudel 2012). Zusammen mit der Ver- den die Streuwiesen nie intensiv bewirt- schaftlich intensiver genutzten Flächen mit breiterung und Vertiefung der bestehenden schaftet und die nicht allzu nassen Flächen insgesamt 113 ha. Als Kartiergrundlage im Kanäle von 1962 bis 1973 im Rahmen der lediglich im Herbst zur Streugewinnung Feld dienten hochaufgelöste Luftaufnah- zweiten Juragewässerkorrektion wurden gemäht (Delarze et al. 2008). Erst 1972 men im Maßstab 1:1000 (Google Inc. das Abflussvermögen des Bielersees ver- wurde das Gebiet unter Schutz gestellt 2017) und Falschfarbeninfrarot-Orthofotos größert, die Hochwasserstände gesenkt (Schmalz 1973): Neben verbindlichen (Amt für Geoinformation 2011). Die im und die Niedrigwasserstände leicht erhöht. Schnittterminen wurden in erster Linie wei- Feld erhobenen Vegetationseinheiten und Mit einem Regulierreglement wurden 1982 tere Aufschüttungen und Entwässerungs- deren Grenzlinien sowie punktförmige Ob- die Wasserspiegelschwankungen schließ- maßnahmen verboten (Bossert 1988). jekte wurden mit der Software ArcGIS lich noch weiter eingeschränkt (Wehren Seit 1989 gilt zudem ein striktes Dünge- (ESRI Inc. 2015, Version 10.4) digitalisiert & Schudel 2012) (Abb. 2). verbot und das Riedland darf während des (geschätzte Lagegenauigkeit der Grenzli- Für die Vegetation am Heidenweg be- Sommerhalbjahres nicht mehr betreten nien 10 m). deuteten diese hydrologischen Verände- werden (RRB Nr. 3100). Die Ansprache der Vegetation beruhte rungen, dass die höhergelegenen Flächen Seit den 1970er Jahren wurden die auf der Methode von Burnand & Züst seit 1890 und insbesondere seit 1980 lau- Streuwiesen – und je nach Wasserstand mit (1977, 1978) und wurde für das Gebiet fend weniger häufig oder gar nicht mehr einem schwankenden Anteil auch die Groß- nach Wildi (1976b) und Leupi (1987) voll- überflutet wurden und die tiefergelegene seggenriede – jährlich zwischen August zogen. Waren mehrere Vegetationseinhei- ufernahe Vegetation zunehmend länger und September gemäht (Ammann-Moser ten mosaikartig miteinander verzahnt, überschwemmt wurde (Abb. 3). Die Ufer- 1975a). Seit 2012 wird zwischen Septem- wurden alle vorhandenen Einheiten er- gesellschaften wurden neben der Seespie- ber und Oktober vermehrt gestaffelt ge- fasst. Die Aufteilung in die Vegetationsein- gelhöhe aber auch durch den abnehmen- mäht und Brachestreifen werden zur För- heiten 2–9 entsprach weitgehend pflanzen- den Nährstoffgehalt des kalkreichen See- derung von gefährdeten Arten stehen ge- soziologischen Verbänden, während deren wassers beeinflusst: Während sich in den lassen. Würden die Streuwiesen nicht mehr Untereinheiten (Buchstaben a–e) ungefähr 1970er Jahren bezüglich des Phosphatge- gemäht, würde die Pflanzendecke ver- pflanzensoziologischen Assoziationen und halts der Bielersee in einem eutrophen bis filzen, die Artenzusammensetzung würde Subassoziationen entsprachen (Burnand gar hypertrophen Zustand befand, erreicht sich im Zuge der natürlichen Sukzession & Züst 1978). Strukturmerkmale wie Ein- dieser seit 2002 wieder mesotrophe Ver- verändern und sich schließlich zu einem zelbäume und Gehölze wurden ebenfalls hältnisse, ähnlich wie 1951 (BAFU 2016). Auenwald entwickeln (Leupi 1987). erfasst. 51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 421
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) Um Störungen der Fauna zu vermeiden, Originalarbeit wurde im Gegensatz zu früheren Kartie- rungen das Schilfröhricht nicht betreten und allfällige Großseggenbestände darin wurden nur von außerhalb bestimmt. Dem Schilfröhricht seewärts vorgelagerte Schwimmblattgesellschaften und Seebin- senröhrichte wurden 2017 nicht erhoben. Die Vegetationskarten von 1976 und 1986 im Maßstab 1:5000 (Wildi & Leupi 1986) wurden eingescannt, mit der Soft- ware ArcGIS (ESRI Inc. 2015, Version 10.4) entzerrt und georeferenziert. Sämtliche Karteninhalte wurden manuell digitalisiert und die Ausdehnung pro Vegetationsein- heit und -untereinheit berechnet. Waren zwei Vegetationseinheiten mosaikartig miteinander verzahnt, wurde jeder Einheit jeweils die Hälfte der Fläche zugesprochen. Abb. 2: Maximale, minimale und mittlere Jahrespegelstände des Bielersees 1856–2016 (fehlende Werte Für die Interpretation der Grundwas- 1925–1928) (Ammann-Moser 1975b, BAFU 2017a, b, Benteli 1899) und deren gleitender Durchschnitt von serbeziehungen wurden anhand von 19 jeweils zehn Jahren. Eingetragen sind die hydrologisch wirksamen baulichen und gesetzlichen Verände- rungen (Wehren & Schudel 2012). aktuellen Vegetationsaufnahmen aus dem Untersuchungsgebiet Heidenweg (Käser- mann 2011, WSL 2017) die Lebensräume mit dem „Kartierschlüssel der Streuwiesen, Quellsümpfe und Flachmoore der Alluvio- nen“ (Klötzli 1969) nachbestimmt. Damit konnten die von Klötzli (1969) gemach- ten Angaben der Grundwasserverhältnisse auf die drei Streuwiesen-Haupttypen im Schutzgebiet übertragen werden (Tab. 1). Die Pfeifengraswiesen (Vegetationsein- heit 8) stellten gemäß den zwei vorhande- nen Vegetationsaufnahmen ein Stachyo- Molinietesum schoenetosum nach Klötzli (1969) dar. Das Kopfbinsenried (5b) hin- gegen entsprach gemäß den vier vorhan- denen Aufnahmen verschiedenen nassen Ausbildungen des Schoenetums. Für die sechs vorhandenen Vegetationsaufnahmen aus Mischbeständen von Kopfbinsenried und Pfeifengraswiese (5b und 8, Abb. 4) konnte für drei Aufnahmen ein Primulo- Abb. 3: Grundwasser-Dauerlinien im Naturschutzgebiet Heidenweg (x-Achse = Dauer eines bestimmten Schoenetum (typische Variante) und für Wasserstandes in Wochen pro Jahr) und mittlere Pegelstände des Bielersees für vier hydrologisch definier- die anderen drei Aufnahmen ein Stachyo- te Zeiträume (BAFU 2017a, b, Wehren & Schudel 2012). Hinterlegt wurde ein generalisiertes Geländeprofil Molinietum schoenetosum nach Klötzli (2. x-Achse = Profillänge) des Schutzgebietes Heidenweg (Geodaten © Bundesamt für Landestopografie (1969) bestimmt werden. Die typischen DV084370). Tab. 1: Anhand von Vegetationsaufnahmen (KÄSERMANN 2011, WSL 2017) übertragene Grundwasserbeziehungen (KLÖTZLI 1969) der wichtigsten Vegetations- einheiten im Naturschutzgebiet Heidenweg (n = 19) (* neue Bezeichnung: Calliergonella cuspidata (Hedw.) Loeske). nach Burnand & Züst (1977) nach Klötzli (1969) Vegetationseinheit Anzahl vergleichbare Assoziation / Überflutungsdauer max. Jahresschwan- nittlerer Vegetations- Subassoziation (Einheit) (Wochen) kung (cm) Grundwasserstand aufnahmen (cm unter Flur) bultbildendes 7 Caricetum elatae typicum, 2–8 > 140 25–40 Großseggenried (3a) Acrocladium*-Variante (8a, 8ap) Kopfbinsenried (5b) 4 Schoenetum, nasse Ausbildungen 9 40 5–12 (9–10) Übergang Kopfbinsenried/ 3 Primulo-Schoenetum bis 20 – 5–25 Pfeifengraswiese (5b/8) (typische Variante) (9) 3 Stachyo-Molinietum schoenetosum 0–3 120–132 25–40 Pfeifengraswiese (8) 2 (2s) 422 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) Originalarbeit 4 5 Rückgang (–4,5 ha). Davon betroffen wa- Abb. 4: Kopfbinsenried ren primär die undifferenzierten Kleinseg- im Übergang zur Pfei- fengraswiese im Natur- genriede (5) (–2,9 ha) sowie die Kopf- schutzgebiet Heiden- binsenriede (5b) (–1,2 ha). Kleinseggen- weg (23. Juni 2017). riede mit Gelber Segge (Carex flava L.) (5c) Abb. 5: Bultbildendes verschwanden bis 2017 fast vollständig. Großseggenried im Die Großseggenriede (3) erlitten insge- Naturschutzgebiet samt nur einen geringen Rückgang Heidenweg (6. Juli 2017). (–0,9 ha). Während ein beträchtlicher Teil Abb. 6: Im Vordergrund der bultbildenen Großseggenriede (3a) ein Kleinseggenried verschwand (–2,8 ha), nahmen die bult- mit vereinzelten Groß- freien Großseggenbestände (3b) (+0,5 ha) seggen, im Hintergrund ein Schneideried und insbesondere die Schneideriede (3d) 6 (+1,4 ha) zu. Letztere breiteten sich vor (23. Juni 2017). allem im Norden aus, während sie andern- orts leicht abnahmen oder zu Mischbestän- Ausbildungen von Großseggenrieden (3a, de Teil der Streuwiesen bestand aber aus den mit Kleinseggenrieden (3d/5) wur- Abb. 5) – ohne Betrachtung der Schneide- großflächigen Kopfbinsenrieden (5b), wel- den. Die 1976 kleinflächigen Großseggen- riede (Abb. 6) – ergaben aufgrund von che vor allem im höheren und damit tro- riede mit Scharfkantiger Segge (3c) waren sieben Vegetationsaufnahmen die Subas- ckeneren Bereich über weite Flächen Über- 2017 nicht mehr vorhanden (–0,2 ha). soziation Caricetum elatae typicum (Acro- gänge zu Pfeifengraswiesen (5b/8) aufwie- Großseggenriede mit Faden-Seggen (3e) cladium-Variante). sen. Reine artenreiche Pfeifengraswiesen blieben annähernd konstant in ihrer Aus- (8) waren nur in den trockensten Bereichen dehnung. 3 Ergebnisse vorhanden. Auf den vergleichsweise trockeneren Außerhalb des geschützten Riedlandes Flächen war eine Zunahme der bestockten 3.1 Vegetationskartierung 2017 wiesen wenige Futterwiesen im Nordwes- Fläche seit 1976 zu verzeichnen. Ohne Be- ten Riedlandarten auf, während der über- trachtung der Einzelbäume vergrößerte Innerhalb des Schutzgebietes Heidenweg wiegende Teil aus artenarmen und intensiv sich diese bis 1986 (+2,2 ha) und blieb bis wies die Vegetation 2017 erwartungsge- bewirtschafteten Fettwiesen (10) bestand. 2017 vergleichbar groß (–0,3 ha). Hoch- mäß eine deutliche Zonation vom See Rich- Neben artenreichen Hecken entlang des staudenfluren (4) kamen erst 1986 vor und tung Fahrweg auf (Abb. 7): Umfangreiche, Fahrweges und vielfältigen Gehölzstruktu- verschwanden bis 2017 fast ganz (–0,4 ha). dem Ufer vorgelagerte Schilfröhrichte (Ve- ren vor allem im mittleren Teil der Halb- Für das – primär aus Schilf bestehende getationseinheit 2a) gingen landeinwärts insel, strukturierten vereinzelte Weiden- – Röhricht (2) konnte 1976 bis 1986 ein in bultige Großseggenriede (3a) über und büsche die Streuwiesen. Im nordöstlichen markanter Rückgang (–2,8 ha) verzeichnet auf etwas höher liegenden Flächen kamen Teil des Gebietes dehnten sich Laub- und werden, jedoch fand bis 2017 eine umso bultfreie Großseggenriede (3b) hinzu. Da- Föhrenwälder aus. stärkere Zunahme (+4,7 ha) statt. Diese bei bestanden große Flächen aus unbewirt- Zunahme geschah vorwiegend seewärts. schafteten, artenarmen Schneiderieden 3.2 Entwicklung der Vegetation Allerdings wanderte der landseitige Über- (3d). Die Schneidebinse (Cladium mariscus zwischen 1976 und 2017 gang vom Schilf zu den Großseggen auch (L.) Pohl) drang aber auch über weite Tei- stellenweise landeinwärts und der Anteil le in die etwas trockeneren Kopfbinsenrie- Im Jahr 2017 wiesen rund 21 % der kar- an Schilfröhricht mit bultigen Großseggen- de (5b) ein. Großseggenriede mit Faden- tierten Gesamtfläche von 113 ha eine an- rieden (2a/3a) im Norden nahm ab. Seggen (Carex lasiocarpa Ehrh.) (3e) und dere Vegetationseinheit auf als 1976 Übergänge von Großseggen- zu Kleinseg- (Abb. 8). Darunter nahm insbesondere der 4 Diskussion genrieden (3/5) bildeten stellenweise eine Anteil an Pfeifengraswiesen (8) stark zu Zone zwischen bultförmigen Großseggen (+4,1 ha). Die Kleinseggenriede (5) hinge- Die floristische Artenzusammensetzung (3a) und Kleinseggen (5). Der überwiegen- gen verzeichneten einen ebenso massiven hatte sich innerhalb von 41 Jahren auf 51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 423
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) Originalarbeit Abb. 7: Vegetationskarten vom Schutzgebiet Heidenweg (CH) von 1976 und 1986 (Wildi & Leupi, 1986) sowie von 2017 (Gebäude und Wege Geodaten © Bundes- amt für Landestopografie DV084370.). Originalmaßstab 1:5000. 424 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) halten werden und seinen ökologischen Originalarbeit Wert als Habitat zahlreicher gefährdeter Arten behalten. 4.1 Fehlende Überflutung der Kopfbinsenriede Die großflächige Ausbreitung von Pfeifen- graswiesen (+4,1 ha) primär in die ehemals reinen Kopfbinsenriede weist nach Bol- lens et al. (2001) auf eine Abtrocknung der Flächen beidseits des Fahrwegs hin. Dort ist die Distanz zum Grundwasser am größten (Ammann-Moser 1975a). Die Grenzlinien dieser Flächen (5b/8) entspre- chen gemäß Höhenmodell von 2014 über weite Strecken einer Höhenkurve bei 429,7 m. ü. M. (Swisstopo 2017b). Oberhalb die- ser Höhe wurden die Flächen von 1890 bis 1940 an durchschnittlich 36 Tagen pro Jahr überflutet, bis 1960 noch an 14 Tagen und seither nur noch an fünf Tagen im Jahr. Obwohl der mittlere Grundwasserstand seit den 1980er Jahren eher gestiegen war, ent- Abb. 8: Vegetationsentwicklung der Ufer- und Niedermoorgesellschaften im Schutzgebiet Heidenweg (CH) standen durch die verringerten Grundwas- 1976 bis 2017 (inkl. Gehölze, ohne landwirtschaftlich intensiv genutzte Flächen, Kulturland mit Riedwie- serhöchststände längere Trockenperioden senarten, Weideland und Ruderalvegetation). Die Fläche der Säulen stellt die absolute Flächenausdehnung während der Vegetationszeit in den höher in ha dar, weshalb die Säulenbreite variiert (Vegetationseinheiten nach Burnand & Züst 1976). Total 1976: 95,6 ha und 2017: 98,1 ha. Zunahmen von 100 % entsprechen neu kartierten Einheiten, während es sich bei gelegenen Flächen. Abnahmen von 100 % um Einheiten handelt, welche nur in der vorangehenden Erhebung kartiert wurden. Diese Ergebnisse bestätigen die vermu- teten Anpassungen der Streuwiesenvege- tation an die geringere Überflutungsdauer, rund einem Fünftel der Fläche deutlich Wiederbesiedlung der Flachwasserzone wonach sich die am höchsten gelegenen verändert. Insbesondere Pfeifengraswie- durch Armleuchteralgen zu einer geringe- Kopfbinsenriede in Pfeifengraswiesen ver- sen drangen markant in die Kleinseggen- ren Erosion des Seebodens (Guthruf et wandelt haben. Während ein Kopfbinsen- riede ein. Die Fläche der Großseggenriede al. 2016), was vermutlich der entscheiden- ried üblicherweise mehrere Wochen pro nahm zwar nur minimal ab, jedoch verrin- dere Faktor für die Schilfausbreitung war. Jahr unter Wasser steht, wird eine kopf- gerten sich die bultigen Ausbildungen Aus Sicht des Naturschutzes sind die binsenreiche Pfeifengraswiese kaum über- deutlich zugunsten von Schneiderieden Veränderungen der Lebensräume groß. Die flutet (Klötzli 1969). Bereits 1976 pro- und bultfreien Formen. Das Schilfröhricht Zunahme der stark gefährdeten Pfeifen- phezeite Wildi (1976b) die Abtrocknung breitete sich erst seit 1986 wieder seewärts graswiesen ist aufgrund ihrer Artenzusam- der Seeländer Riedwiesen durch die da- aus und gewann seit 1976 sogar noch an mensetzung positiv zu beurteilen und die mals geplante Senkung der Maximalpegel- Fläche. Stabilisierung der Schilfröhrichtbestände stände. Von 1976 bis 1986 nahm dann auch Diese Entwicklungen entsprechen den äußerst erfreulich. Die Zunahme der arten- der Anteil an Kopfbinsenrieden mit Pfei- zu erwartenden Anpassungen der Vegeta- armen Schneideriede und die damit ein- fengraswiesenarten deutlich zu (Wildi & tion an die veränderten Bedingungen. hergehende Abnahme der bultförmigen Leupi 1986) und die festgestellte Abtrock- Einerseits profitierten Pfeifengraswiesen und teilweise stark gefährdeten Großseg- nung eines Teilgebietes von 1998 bis 2003 von der ausbleibenden Überflutung der genriede ist allerdings zu bedauern. (Küchler & Küchler 2011, Küchler 2011) Kopfbinsenriede (Klötzli 1969), welche Trotz der durch die Abtrocknung geeig- weist ebenfalls auf eine Fortsetzung dieser den Großteil der Kleinseggenriede ausma- neteren Bedingungen für Gehölze war dank Entwicklung hin. chen, und andererseits verringerten sich der fachgerechten Bewirtschaftung durch Obwohl sich diese tiefgreifende Verän- die bultförmigen Großseggen durch den Landwirte und freiwillige Helferinnen und derung des Wasserhaushaltes am Heiden- schmaler gewordenen Bereich, wo der Helfer keine allzu starke Zunahme ver- weg primär in der Mitte des 20. Jahrhun- Wasserstand regelmäßig schwankt (Klötz- buschter Flächen zu verzeichnen. Anhand derts vollzog, bewirkte sie bis 2017 eine li 1969). Die Zunahme der Schneidbinse der nur gering angestiegenen Verschilfung Veränderung der floristischen Artenzusam- kann jedoch nicht mit der Grundwasserdy- der Riedwiesen und der fehlenden Hoch- mensetzung. Eine derart verzögerte und namik erklärt werden, sie entwickelte sich staudenfluren kann auch auf eine stabile langsame Artenverschiebung ist bei alten vielmehr aufgrund fehlender Mahd einiger Nährstoffsituation geschlossen werden. Wiesen bekannt (Kuhn 1984, Keel 1993). Großseggenriede (Hangartner 2002). Das Schließlich war auch keine Zunahme der Die Niedermoorvegetation am Heidenweg Röhricht hingegen gewann durch die ge- Beeinträchtigung durch die Erholungsnut- ist zwar vergleichsweise jung, aber durch ringeren Seespiegelschwankungen an po- zung feststellbar. Zusammenfassend konn- die fehlende Vorgeschichte, die geringen tenziell besiedelbarer Fläche. Zudem führ- te trotz einschneidender Veränderungen Randeinflüsse sowie die gleichbleibende te der verringerte Nährstoffgehalt des das Niedermoor Heidenweg in einem er- Streunutzung bis heute kann eine ebenso Seewassers und die dadurch einsetzende staunlich guten ökologischen Zustand er- stabile Artenzusammensetzung und dem- 51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 425
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) entsprechend träge Artenverschiebung mäßig geschnitten, gewinnen aber trotz- auch etliche bultige Flächen (3a) und Groß- Originalarbeit vermutet werden. dem laufend an Durchmesser – insbeson- seggenriede mit Scharfkantiger Segge (3c) Erstaunlicherweise dehnten sich die dere wenn sie in ungemähten Rotations- durch Schneideriede (3d) ersetzt. Dass die reinen Pfeifengraswiesen am Heidenweg brachen liegen. Untersuchungen von Küch- festgestellte Zunahme von Schneidebinsen aber nur unwesentlich aus. Allerdings führ- ler & Küchler (2011) von 1998 bis 2003 im ganzen Gebiet primär auf nicht mehr ten im südlichen Mittelteil die Zunahme bestätigen, dass trotz aller Bemühungen bewirtschafteten Flächen stattfand, passt von Feuchtwiesenarten sowie die Verdrän- die Niedermoorvegetation auffällig tiefe zu den ökologischen Ansprüchen dieser gung durch Gehölze an anderen Stellen zu Lichtzahlen aufwies und Pflanzen mit ge- Art: Die Schneidebinse hat zwar eine ver- einer Reduktion des Nettozuwachses der ringerem Lichtbedürfnis sowie der Gehölz- gleichbare ökologische Amplitude wie die Pfeifengraswiesenfläche. Ebenso wurde am anteil signifikant zugenommen hatten. Steife Segge (Carex elata ALL.) (Klötzli nordwestlichen Fettwiesenrand vermutlich 1969) und besiedelt deshalb mit ihrer star- weniger weit seewärts gemäht und der ge- 4.2 Fehlende Wasserspiegeldynamik ken vegetativen Vermehrungsfähigkeit stiegene mittlere Seespiegel erlaubte es in Großseggenrieden durch unterirdische Ausläufer (Lutz 1938) dort primär Schneidebinsen und Landröh- primär andere Großseggenriede (Klötzli richten, die kleinflächigen Pfeifengrasbe- Die Abnahme der Großseggenriede ent- et al. 2010). Teilweise wächst sie aber auch stände von 1986 zu überwachsen. spricht einer schweizweiten Entwicklung in nassen Kleinseggenrieden (Wildi 1976b) Die vergleichsweise geringe Flächenzu- (Graf et al. 2010) und betraf primär die und reagiert empfindlich auf die Mahd nahme reiner Pfeifengraswiesen (8) bestä- bultbildenden Bestände (3a) (–2,8 ha). (Ellmauer 2005). Die wintergrüne Schnei- tigen aber auch, dass bei fehlender Über- Dieser Großseggengürtel wurde an den debinse (Matz 2011) kann nämlich im flutung der Kopfbinsenriede (5b) sich zwar meisten Uferstellen schmaler, wofür gemäß Herbst die Nährstoffe im Laub nicht in un- Übergänge zu Pfeifengraswiesen (5b/8) Klötzli (1969) die geringer gewordenen terirdische Speicherorgane zurückziehen einstellen, die Kopfbinsenriedarten aber Wasserstandsschwankungen verantwort- (Pfadenhauer & Eska 1986) und ver- erst bei ausgeprägt wechselfeuchten Bedin- lich gemacht werden können. Zudem wur- schwindet deshalb bei jährlicher Mahd gungen verschwinden. Molinieten zeichnen den diverse Streifen vom Röhricht über- (Hangartner 2002). sich nämlich durch ausgesprochen große nommen, was auf die Wirkung des gestie- Schneideriede sind äußerst artenarm Toleranz gegenüber Grundwasserschwan- genen Seespiegels hindeutet. und im Gebiet großflächig vorhanden, wes- kungen aus, während Kopfbinsenriede am Der mittlere Seespiegel lag im Zeitraum halb dieser an sich gefährdete (VU) Lebens- Heidenweg die geringsten Grundwasser- 1940 bis 1981 bei 429,1 m. ü. M. und die raum in der Schweiz (Delarze et al. 2016) schwankungen bevorzugen (Klötzli 1969). Großseggenriede, die den Übergang vom nicht gefördert werden muss. Wichtiger Die Pfeifengraswiesen bildeten deshalb See zum Land bilden, übersteigen gemäß wäre die Bewahrung von bultigen Großseg- primär einen mosaikartigen Bestand mit Höhenmodell (Swisstopo 2017b) kaum genrieden und insbesondere der stark ge- den höher gelegenen gefährdeten (VU) eine Höhe von 429,3 m. ü. M. Tatsächlich fährdeten (EN) Ausbildungen mit Faden- Kleinseggenrieden (Delarze et al. 2016). wurden diese Großseggenriede oberhalb Seggen (Delarze et al. 2016) durch eine Trotz dieser Nettoabnahme an Kleinseggen- 429,1 m. ü. M. bis 1981 nur während 28 zweijährliche Mahd sowie die Erhaltung von rieden nahmen die reinen Kopfbinsenriede Wochen pro Jahr überflutet, während seit- Kleinseggenrieden durch jährliche Mahd. durch die Zunahme an Schoenus nigricans her eine Überflutung an 37 Wochen im Jahr / S. ferrugineus aber insgesamt zu. Insbe- stattfand. Von 1890 bis 1940 standen die 4.3 Ende des Schilfsterbens sondere wandelten sich die 1976 noch ent- Großseggenriede sogar nur an 21 Wochen lang fast des gesamten Ufers kartierten pro Jahr unter Wasser. Von 1951 bis 1968 hatte sich die Schilfröh- Abbaustadien – Mischbestände aus Groß- Landseitig wanderte die Grenze von richtfläche am Heidenweg um 18 % verrin- seggenrieden und Kleinseggenrieden (3/5) Kleinseggenrieden (5) und Übergängen von gert (Ammann-Moser 1975a) und es wu- – bis 2017 fast vollständig in reine Kopfbin- Großseggen- zu Kleinseggenrieden (3/5) wurde bereits von einem „Schilfsterben“ senriede (5b) oder in solche mit Schneide- ebenfalls in die ehemals bultigen Großseg- gesprochen (Iseli 2016). Doch dann nah- riedanteilen (3d/5) um. genbestände hinein. Solche Übergangsfor- men 1986 bis 2017 die Schilfflächen am Die Pfeifengraswiesen gelten in der men von Großseggenbeständen zu Klein- Heidenweg erstmals wieder deutlich zu. Schweiz als stark gefährdet (EN) (Delarze seggenrieden entstehen durch die fort- Durch den hypertrophen Zustand des Bie- et al. 2016) und stellen die derzeit arten- schreitende Verlandung und Abtrocknung lersees in den 1970er Jahren (BAFU 2016) reichsten Lebensräume am Heidenweg dar. (Klötzli 1969). Da der Seespiegel aber nur waren einerseits die Schilfhalme empfind- Diese sind deshalb prioritär zu erhalten und nach 1874 (–230 cm) und im Zeitraum zwi- licher geworden gegen mechanische Schä- eine Zunahme ist insofern durchaus er- schen 1962 und 1981 (–4 cm) tiefer lag als digungen (Klötzli 1971) durch Treibholz, wünscht. Weiterhin gehören die jährliche im jeweiligen Zeitabschnitt vorher (1890 aufbrechende Eisdecken, Hagel etc. (Iseli Herbstmahd zu gestaffelten Zeitpunkten bis 1939 / 1940 bis 1961 / 1982 bis 2017) 1995) und andererseits belastete das mas- und das Wegführen des Schnittgutes zu den und die Verlandung kaum den insgesamt senhafte Auftreten von Fadenalgen die wichtigsten Pflegemaßnahmen. Aufgrund um 24 cm erhöhten Mittelwasserspiegel Halme (Iseli 1995). Seither ist der Phos- der fortgeschrittenen Abtrocknung besteht (zwischen den Zeiträumen 1890 bis 1939 phatgehalt massiv gesunken (BAFU 2016), aber eine zunehmende Gefährdung durch und 1982 bis 2017) übersteigen konnte, der Stickstoffgehalt hat sich ebenfalls re- Verbuschung. Aktuell sind zwar nur weni- muss der Rückgang dieser für den Heiden- duziert (Guthruf et al. 2009) und die ge Flächen sichtbar verbuscht, aber weite weg typischen Übergangsstadien wahr- Algen haben wieder abgenommen Gebiete wiesen trotz jährlichem Schnitt scheinlich immer noch auf die erste Jura- (Clément et al. 2017). viele niederliegende und in die Breite gewässerkorrektion zurückgeführt werden. Infolge des Nährstoffrückgangs im See- wachsende Gehölze auf. Die zahlreichen Neben der Schilfzunahme und der Ab- wasser nahm auch die Artenvielfalt unter Keimlinge von Faulbäumen, Pappeln und nahme an Mischbeständen aus Klein-/ den Wasserpflanzen wie auch deren Aus- Weiden werden zwar bei der Mahd regel- Großseggenried wurden aber vor allem dehnung in die Tiefe am Heidenweg deut- 426 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz) ungefähr in den 1960er Jahren prognosti- seeufer und Stefanie von Felten (Ala-Re- Fazit für die Praxis Originalarbeit ziert. Durch den seit 1980 höheren mittle- servatskommission Heidenweg) für die • Daten von Grundwasserständen und ren Seespiegel könnte sich die landseitige fundierte Betreuung dieser Arbeit. Im -schwankungen bilden eine zentrale Schilfgrenze allerdings auch auf Kosten der Weiteren danken wir Dr. Yvonne Stampfli Grundlage für die Beurteilung und Großseggenbestände weiter landwärts aus- sowie Dominique Hindermann von der zu- Prognose von Veränderungen in Nieder- dehnen. Die Schilfröhrichte werden nicht ständigen Behörde (Abteilung Naturförde- mooren. bewirtschaftet, somit bilden das geltende rung des Kantons Bern) für ihre Unterstüt- • An Seeufern mit eingeschränkter See- Betretverbot und die Einhaltung des Min- zung. spiegeldynamik stellen das Verschwinden destabstands für Boote die wichtigsten von bultbildenden Großseggen und die Schutzmaßnahmen für Flora und Fauna. Literatur raschere Verbuschung auf abtrocknenden Streuwiesen die primären Probleme dar. 4.4 Redynamisierung? Aus Umfangsgründen steht das ausführ- liche Literaturverzeichnis unter www.nul- Abtrocknende Kleinseggenriede an Die in Schweizer Niedermooren verbreite- online.de (Webcode 2231) zur Verfügung. Seeufern: te Abtrocknung (Küchler & Küchler • Die jährliche Herbstmahd ist umso 2011) und die damit verbundene Verände- zwingender und ein zusätzliches, rung der Biotope konnte auch am Heiden- manuelles Entbuschen kann notwendig weg beobachtet werden. Die maßgebenden werden. Grundwasserverhältnisse lassen sich aber • Rotationsbrachen erhöhen zusätzlich kaum ändern, da für die Regulierung des die Verbuschungsgefahr, weshalb diese KO N TA K T nur unter sorgfältiger Abwägung des Seepegelstands neben den ökologischen eine Vielzahl anderer Interessen berück- Björn Fuhrer absolvierte ein ökologischen Nutzens und der Gefahren Bachelorstudium in Life für den Lebensraum zweckmäßig sein sichtigt werden müssen (Wehren & Schu- Sciences an der Zürcher Hoch- können. del 2012). An zentraler Stelle steht dabei schule für Angewandte Wissen- der Schutz der Bevölkerung und der Infra- schaften und arbeitet seit 2018 Seeufernahe, länger überstaute struktur vor Hochwassern. Es ist daher als wissenschaftlicher Mit- Großseggenriede: begreiflich, dass rein ökologische Gründe arbeiter in einem Büro für Öko- • Das Verringern der Grundwasserdistanz nicht genügen, um die Seespiegeldynamik logie und Landschaftsplanung (Landschaftswerk Biel-Seeland). mittels Abschürfungen – etwa auf wieder zu vergrößern und damit eine Ge- Er befasst sich mit der Pflege, Aufwertung und ehemals aufgeschütteten Flächen mit fährdung der Seeanlieger und einer großen Renaturierung von Seeufern, Fließgewässern, Wald- Ruderalfluren oder Fettwiesen – als Bevölkerungszahl entlang der abfließenden rändern sowie Feucht- und Trockenwiesen. drastische Maßnahme kann neue Groß- Aare in Kauf zu nehmen. Die für die Regu- > b.fuhrer@landschaftswerk.ch seggenriede schaffen. lierung zuständigen Stellen sind sich des • Soll die Schneidbinse verschwinden, muss Einflusses auf die Niedermoore am Heiden- Manuel Babbi absolvierte ein drei bis fünf Jahre lang jährlich vor einer weg zudem durchaus bewusst (Wehren & Masterstudium in Life Sciences mehrwöchigen Überstauung bodeneben Schudel 2012). an der Zürcher Hochschule für gemäht werden (Hangartner 2002). Trotz der regulierten Grundwasserver- angewandte Wissenschaften und arbeitet seit 2013 als hältnisse hat sich weder die Gesamtfläche wissenschaftlicher Mitarbeiter des Feuchtgebietes verringert, noch hat sich in der Forschungsgruppe Vege- lich zu (Guthruf et al. 2016). Da im Ge- dessen ökologische Qualität durch Verbu- tationsökologie am Institut gensatz zu den 1980er Jahren die Arm- schung, Verschilfung oder Zunahme von für Umwelt und Natürliche leuchteralgen im Bielersee heute das ganze Hochstauden wesentlich verschlechtert. Ressourcen an der ZHAW. Nebst der Durchführung Jahr wieder bis in 20 m Tiefe und die vas- Auch dank der fachgerechten Pflege und der von Vegetationskartierungen und -analysen befasst kulären Pflanzen bis in 5 m Tiefe während nur geringen Störungen durch Erholungs- er sich hauptsächlich mit der ökologischen Auf- wertung von Waldrändern. des Sommers das Sediment stabilisieren suchende kann die Halbinsel weiterhin et- (Guthruf et al. 2016) und den natürlichen lichen seltenen Tier- und Pflanzenarten > manuel.babbi@zhaw.ch Sedimenttransport durch die windbeding- einen unersetzbaren Lebensraum bieten. Prof. Dr. Bertil Krüsi studierte ten Strömungen und den Wellengang bei und promovierte an der ETH Sturm (Iseli 1995) entlang der Ufer ent- Dank Zürich, bildete sich in Post-docs schärfen, können sie maßgebend mit der in Kanada und Frankreich Ausdehnung des Schilfröhrichts am Hei- Wir danken Erwin Leupi (ANL AG, Aarau) weiter, arbeitete als Consultant denweg in Verbindung gebracht werden. für die spannenden Fachdiskussionen so- in der Privatwirtschaft, für die Weltbank und die EU in Brüssel, Denn wo durch die Eutrophierung die Un- wie die Einführung in die Feldarbeit. Chris- und forschte und lehrte an ETH terwasserpflanzen verschwunden waren, toph Käsermann (KBP GmbH, Bern/Berni- Zürich, der Eidg. Forschungs- setzte eine verstärkte Erosion ein, die dem sche floristische Beratungsstelle) und Prof. anstalt WSL und der Zürcher Hochschule für Schilf den Boden entzog. em. Dr. Brigitta Ammann-Moser (Institute angewandte Wissenschaften ZHAW. Neben Lang- Die Röhrichtzunahme ist äußerst erfreu- of Plant Sciences, Universität Bern) danken zeituntersuchungen im Schweizerischen National- lich, da dieser gefährdete Lebensraum (VU) wir für ihre Unterstützung in Form von park zum Einfluss des Rothirschs auf die Vegetation, (Delarze et al. 2016) primär seewärts umfangreichen Felddaten und sehr infor- der Pflege von Halbtrockenrasen und kontrolliertem Abbrennen entwickelte er auch eine App zum vordrang und damit keine andere geschütz- mativen Gesprächen. Weiter gilt unser Bestimmen von Süssgräsern im nicht blühenden te Vegetation verdrängte. Durch die Reo- Dank vor allem Christoph Iseli (Land- und blühenden Zustand. ligotrophierung des Bielersees wird länger- schaftswerk Biel-Seeland, Biel) für die ge- > bertil.kruesi@zhaw.ch fristig eine Ausdehnung des Röhrichts wie meinsame Fachdiskussion über die Bieler- 51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 427
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