Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

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Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

                 Seespiegeldynamik und Vegetation in einem
Originalarbeit

                 Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
                 Veränderungen zwischen 1976 und 2017
                 Von Björn Fuhrer, Manuel Babbi und Bertil O. Krüsi
                 Eingereicht am 03. 02. 2019, angenommen am 13. 04. 2019

                     Abstracts
                     Die Streuwiesen und Uferlebensräume im Naturschutzgebiet                      Lake level dynamics and vegetation in a wetland in Lake Biel (Swit-
                     Heidenweg am Bielersee in der Schweiz sind für seltene Tiere                  zerland) – Changes between 1976 and 2017
                     und Pflanzen von großer Bedeutung und stellen inmitten der
                     dicht besiedelten Region ein einzigartiges Refugium dar. Auf-                 On the densely populated Swiss Plateau, the wetlands on the
                     grund baulicher Maßnahmen und einer gesteuerten Abflussre-                    Heidenweg peninsula in Lake Biel are of great significance for
                     gulierung nahmen die Seespiegelschwankungen und damit auch                    nature conservation. rare plants and animals.
                     die Grundwasserschwankungen im Schutzgebiet seit 1940 jedoch                     Since 1940, and in particular since 1982, the seasonal fluc-
                     zusehends ab. Durch die starke Einschränkung dieser Grund-                    tuations of the lake level and the groundwater table in the
                     wasserdynamik, insbesondere ab 1982, stellt sich die Frage, ob                adjacent nature reserve have been substantially reduced and
                     und wie sich dadurch die Vegetation verändert hat. Deshalb                    stabilized. In order to elucidate how this has affected the
                     wurde 2017 eine Kartierung der vorkommenden Vegetations-                      vegetation in the nature preserve, we compared vegetation maps
                     typen durchgeführt und mit bestehenden Kartierungen von 1976                  established by other scientists in 1976 and 1986 with the
                     und 1986 verglichen.                                                          situation in 2017.
                       Seit 1976 hat sich die Vegetation auf 21 % der Gesamtfläche                    Between 1976 and 2017, the vegetation changed on 21 % of
                     verändert: Aufgrund einer laufend verkürzten Überflutungsdauer                the area studied. On higher and now permanently drier areas,
                     der höher gelegenen Bereiche nahmen artenreiche Pfeifengras-                  small-sedge fens were replaced by species-rich Molinia meadows,
                     wiesen auf Kosten von Kleinseggenrieden deutlich zu. Bultige                  and near the lake shore, the area occupied by tussock-forming
                     Großseggenriede nahmen hingegen wegen der verringerten                        tall-sedge communities declined substantially.
                     Seespiegelschwankungen und einem gestiegenen Pegelstand ab.                      Politically, it seems impossible to restore more dynamic lake
                       Durch die eingeschränkte Grundwasserdynamik werden sich                     and groundwater tables. Consequently, the observed vegetation
                     solche Entwicklungen in Zukunft weiter fortsetzen. An der ein-                developments are likely to continue. As mitigation measure, we
                     geschränkten Grundwasserdynamik kann zwar nichts geändert                     suggest mowing the drier areas regularly in order to prevent
                     werden, jedoch kann mit einem angepassten Pflegemanagement                    the encroachment of shrubs and trees. Rotational fallows will
                     insbesondere der rascheren Verbuschung begegnet werden:                       help to foster the survival of a variety of rare plant and animal
                     konsequentes Mähen mit Rotationsbrachen nur in gehölzarmen                    species.
                     Bereichen und, wo nötig, verstärktes manuelles Entbuschen.

                 1      Einleitung                                          mungen die Seespiegelschwankungen je-          erhöhte Bulten bilden, verringert haben.
                                                                            doch massiv eingeschränkt (Wehren &            Aufgrund verminderter Seespiegelschwan-
                 Inmitten des dicht besiedelten Schweizer                   Schudel 2012). Insbesondere nach 1982          kungen ist zudem anzunehmen, dass sich
                 Mittellands stellt das Niedermoor Heiden-                  schwankte der Seepegel nur noch minimal        das Röhricht seewärts ausgebreitet hat.
                 weg ein einzigartiges Refugium für seltene                 und Überflutungen des Niedermoors blie-           Die Vegetation am Heidenweg wurde
                 Tiere und Pflanzen dar (Sattler 2011). Als                 ben fast gänzlich aus. Das kann ein Problem    bereits 1976 (Wildi 1976a, b) und 1986
                 Halbinsel im Bielersee gelegen, steht das                  sein, denn gemäß Klötzli (1969) hat            (Wildi & Leupi 1986, Leupi 1987) flächen-
                 164 ha große Gebiet mit seinen Röhrichten,                 eine geringere Grundwasserdynamik Aus-         deckend kartiert, was es ermöglicht, mit
                 Groß- und Kleinseggenrieden sowie Pfei-                    wirkungen auf die Niedermoorvegetation,        einer erneuten Kartierung 2017 die Flä-
                 fengraswiesen unter strengem nationalem                    da sich je nach Grundwasserverhältnis ver-     chenveränderungen der einzelnen Vegeta-
                 Schutz (Flachmoorverordnung) (Abb. 1).                     schiedene Vegetationstypen ausbilden.          tionstypen zu quantifizieren. Mithilfe der
                    Für die Erhaltung der Streuwiesen und                      Konkret wird für das Naturschutzgebiet      ausgezeichneten Datengrundlage – insbe-
                 Großseggenbestände ist neben der Nut-                      Heidenweg erwartet, dass auf den höher         sondere zu den vom Pegelstand des Bieler-
                 zung die Aufrechterhaltung des nieder-                     gelegenen Flächen seit Mitte des 19. Jahr-     sees abgeleiteten Grundwasserverhältnis-
                 moortypischen Wasserhaushalts entschei-                    hunderts durch die verringerte Dauer von       sen am Heidenweg – konnte im Rahmen
                 dend. Diese Grundwasserverhältnisse                        hohen Grundwasserständen eine Verschie-        dieser Arbeit untersucht werden, wie sich
                 werden am Heidenweg durch den Pegel-                       bung der Kleinseggenried-Vegetation Rich-      die Flächenanteile der Vegetationseinhei-
                 stand des Bielersees bestimmt (Ammann-                     tung Pfeifengraswiese stattfand und dass       ten von 1976 und 1986 bis 2017 verändert
                 Moser 1975a). Seit Mitte des 19. Jahrhun-                  sich die Großseggenbestände der Uferzone,      haben und welche Vegetationseinheiten
                 derts wurden zum Schutz vor Überschwem-                    welche gegen die Seespiegelschwankungen        maßgeblich betroffen waren.

                 420 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

2    Material und Methoden

                                                                                                                                                           Originalarbeit
2.1 Geschichte, Nutzung und Schutz

Im 19. Jahrhundert floss die Aare am Bie-
lersee vorbei. Der Fluss war begleitet von
einer ausgedehnten Sumpflandschaft, in
der die Bevölkerung unter mageren Ernten,
einer großen Seuchengefahr und regelmä-
ßigen großflächigen Überschwemmungen
litt (Wehren & Schudel 2012). Von 1868
bis 1890 wurde deshalb das Wasserregime
des Bielersees grundlegend umgestaltet.
Durch verschiedene Fließgewässerkorrek-
turen im Rahmen der ersten Juragewässer-
korrektion, d. h. durch den Aus- und Neu-
bau diverser Zu- und Abflusskanäle (Weh-
ren & Schudel 2012) und die Umleitung
der Aare in den Bielersee, sank der mittle-
re Pegelstand des Bielersees um 2,3 m
(Abb. 2) und zwischen der Ortschaft Erlach
und der St. Petersinsel tauchte erstmals ein
flacher Landstreifen aus dem See auf. In
der Folge entwickelte sich zusammen mit
der Streunutzung ein ausgedehntes Nie-         Abb. 1: Luftaufnahme des 164 ha großen Naturschutzgebietes Heidenweg vom 2. November 1998
dermoor. Dieses 164 ha große Gebiet wird                                                                         (Swissair 1998). Blick nach Westen.
seither als Heidenweg bezeichnet. Da nach
der ersten Juragewässerkorrektion die
Niedrigwasser des Bielersees tiefer sanken         Nach der Seespiegelabsenkung wurden             2.2 Vegetationskartierungen 1976,
als erwartet – Ufer stürzten ein und Hänge     zu Beginn des 20. Jahrhunderts im entste-               1986 und 2017
rutschten ab –, wurde 1940 für eine um-        henden Riedland stellenweise Flächen
fassende Abflussregulation ein Regulier-       aufgeschüttet (Ammann-Moser 1975a),                 Die im Juni 2017 durchgeführte Vegeta-
wehr im Nordosten des Bielersees in Be-        Entwässerungsgräben ausgehoben und auf              tionskartierung umfasste die gesamte Aus-
trieb genommen, über das bis heute der         den trockeneren Flächen Gebäude erstellt            dehnung des Niedermoorperimeters (BAFU
gesamte Abfluss gesteuert wird (Wehren         (Bossert 1988). Traditionellerweise wur-            1996) und die angrenzenden, landwirt-
& Schudel 2012). Zusammen mit der Ver-         den die Streuwiesen nie intensiv bewirt-            schaftlich intensiver genutzten Flächen mit
breiterung und Vertiefung der bestehenden      schaftet und die nicht allzu nassen Flächen         insgesamt 113 ha. Als Kartiergrundlage im
Kanäle von 1962 bis 1973 im Rahmen der         lediglich im Herbst zur Streugewinnung              Feld dienten hochaufgelöste Luftaufnah-
zweiten Juragewässerkorrektion wurden          gemäht (Delarze et al. 2008). Erst 1972             men im Maßstab 1:1000 (Google Inc.
das Abflussvermögen des Bielersees ver-        wurde das Gebiet unter Schutz gestellt              2017) und Falschfarbeninfrarot-Orthofotos
größert, die Hochwasserstände gesenkt          (Schmalz 1973): Neben verbindlichen                 (Amt für Geoinformation 2011). Die im
und die Niedrigwasserstände leicht erhöht.     Schnittterminen wurden in erster Linie wei-         Feld erhobenen Vegetationseinheiten und
Mit einem Regulierreglement wurden 1982        tere Aufschüttungen und Entwässerungs-              deren Grenzlinien sowie punktförmige Ob-
die Wasserspiegelschwankungen schließ-         maßnahmen verboten (Bossert 1988).                  jekte wurden mit der Software ArcGIS
lich noch weiter eingeschränkt (Wehren         Seit 1989 gilt zudem ein striktes Dünge-            (ESRI Inc. 2015, Version 10.4) digitalisiert
& Schudel 2012) (Abb. 2).                      verbot und das Riedland darf während des            (geschätzte Lagegenauigkeit der Grenzli-
    Für die Vegetation am Heidenweg be-        Sommerhalbjahres nicht mehr betreten                nien 10 m).
deuteten diese hydrologischen Verände-         werden (RRB Nr. 3100).                                 Die Ansprache der Vegetation beruhte
rungen, dass die höhergelegenen Flächen            Seit den 1970er Jahren wurden die               auf der Methode von Burnand & Züst
seit 1890 und insbesondere seit 1980 lau-      Streuwiesen – und je nach Wasserstand mit           (1977, 1978) und wurde für das Gebiet
fend weniger häufig oder gar nicht mehr        einem schwankenden Anteil auch die Groß-            nach Wildi (1976b) und Leupi (1987) voll-
überflutet wurden und die tiefergelegene       seggenriede – jährlich zwischen August              zogen. Waren mehrere Vegetationseinhei-
ufernahe Vegetation zunehmend länger           und September gemäht (Ammann-Moser                  ten mosaikartig miteinander verzahnt,
überschwemmt wurde (Abb. 3). Die Ufer-         1975a). Seit 2012 wird zwischen Septem-             wurden alle vorhandenen Einheiten er-
gesellschaften wurden neben der Seespie-       ber und Oktober vermehrt gestaffelt ge-             fasst. Die Aufteilung in die Vegetationsein-
gelhöhe aber auch durch den abnehmen-          mäht und Brachestreifen werden zur För-             heiten 2–9 entsprach weitgehend pflanzen-
den Nährstoffgehalt des kalkreichen See-       derung von gefährdeten Arten stehen ge-             soziologischen Verbänden, während deren
wassers beeinflusst: Während sich in den       lassen. Würden die Streuwiesen nicht mehr           Untereinheiten (Buchstaben a–e) ungefähr
1970er Jahren bezüglich des Phosphatge-        gemäht, würde die Pflanzendecke ver-                pflanzensoziologischen Assoziationen und
halts der Bielersee in einem eutrophen bis     filzen, die Artenzusammensetzung würde              Subassoziationen entsprachen (Burnand
gar hypertrophen Zustand befand, erreicht      sich im Zuge der natürlichen Sukzession             & Züst 1978). Strukturmerkmale wie Ein-
dieser seit 2002 wieder mesotrophe Ver-        verändern und sich schließlich zu einem             zelbäume und Gehölze wurden ebenfalls
hältnisse, ähnlich wie 1951 (BAFU 2016).       Auenwald entwickeln (Leupi 1987).                   erfasst.

                                                                                      51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 421
Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

                    Um Störungen der Fauna zu vermeiden,
Originalarbeit

                 wurde im Gegensatz zu früheren Kartie-
                 rungen das Schilfröhricht nicht betreten
                 und allfällige Großseggenbestände darin
                 wurden nur von außerhalb bestimmt. Dem
                 Schilfröhricht seewärts vorgelagerte
                 Schwimmblattgesellschaften und Seebin-
                 senröhrichte wurden 2017 nicht erhoben.
                    Die Vegetationskarten von 1976 und
                 1986 im Maßstab 1:5000 (Wildi & Leupi
                 1986) wurden eingescannt, mit der Soft-
                 ware ArcGIS (ESRI Inc. 2015, Version 10.4)
                 entzerrt und georeferenziert. Sämtliche
                 Karteninhalte wurden manuell digitalisiert
                 und die Ausdehnung pro Vegetationsein-
                 heit und -untereinheit berechnet. Waren
                 zwei Vegetationseinheiten mosaikartig
                 miteinander verzahnt, wurde jeder Einheit
                 jeweils die Hälfte der Fläche zugesprochen.                Abb. 2: Maximale, minimale und mittlere Jahrespegelstände des Bielersees 1856–2016 (fehlende Werte
                    Für die Interpretation der Grundwas-                    1925–1928) (Ammann-Moser 1975b, BAFU 2017a, b, Benteli 1899) und deren gleitender Durchschnitt von
                 serbeziehungen wurden anhand von 19                        jeweils zehn Jahren. Eingetragen sind die hydrologisch wirksamen baulichen und gesetzlichen Verände-
                                                                            rungen (Wehren & Schudel 2012).
                 aktuellen Vegetationsaufnahmen aus dem
                 Untersuchungsgebiet Heidenweg (Käser-
                 mann 2011, WSL 2017) die Lebensräume
                 mit dem „Kartierschlüssel der Streuwiesen,
                 Quellsümpfe und Flachmoore der Alluvio-
                 nen“ (Klötzli 1969) nachbestimmt. Damit
                 konnten die von Klötzli (1969) gemach-
                 ten Angaben der Grundwasserverhältnisse
                 auf die drei Streuwiesen-Haupttypen im
                 Schutzgebiet übertragen werden (Tab. 1).
                    Die Pfeifengraswiesen (Vegetationsein-
                 heit 8) stellten gemäß den zwei vorhande-
                 nen Vegetationsaufnahmen ein Stachyo-
                 Molinietesum schoenetosum nach Klötzli
                 (1969) dar. Das Kopfbinsenried (5b) hin-
                 gegen entsprach gemäß den vier vorhan-
                 denen Aufnahmen verschiedenen nassen
                 Ausbildungen des Schoenetums. Für die
                 sechs vorhandenen Vegetationsaufnahmen
                 aus Mischbeständen von Kopfbinsenried
                 und Pfeifengraswiese (5b und 8, Abb. 4)
                 konnte für drei Aufnahmen ein Primulo-
                                                                            Abb. 3: Grundwasser-Dauerlinien im Naturschutzgebiet Heidenweg (x-Achse = Dauer eines bestimmten
                 Schoenetum (typische Variante) und für
                                                                            Wasserstandes in Wochen pro Jahr) und mittlere Pegelstände des Bielersees für vier hydrologisch definier-
                 die anderen drei Aufnahmen ein Stachyo-                    te Zeiträume (BAFU 2017a, b, Wehren & Schudel 2012). Hinterlegt wurde ein generalisiertes Geländeprofil
                 Molinietum schoenetosum nach Klötzli                       (2. x-Achse = Profillänge) des Schutzgebietes Heidenweg (Geodaten © Bundesamt für Landestopografie
                 (1969) bestimmt werden. Die typischen                      DV084370).

                 Tab. 1: Anhand von Vegetationsaufnahmen (KÄSERMANN 2011, WSL 2017) übertragene Grundwasserbeziehungen (KLÖTZLI 1969) der wichtigsten Vegetations-
                 einheiten im Naturschutzgebiet Heidenweg (n = 19) (* neue Bezeichnung: Calliergonella cuspidata (Hedw.) Loeske).
                 nach Burnand & Züst (1977)                                                                         nach Klötzli (1969)
                 Vegetationseinheit              Anzahl                 vergleichbare Assoziation /           Überflutungsdauer       max. Jahresschwan-       nittlerer
                                                 Vegetations-           Subassoziation (Einheit)              (Wochen)                kung (cm)                Grundwasserstand
                                                 aufnahmen                                                                                                     (cm unter Flur)
                 bultbildendes                             7                 Caricetum elatae typicum,                 2–8                     > 140                   25–40
                 Großseggenried (3a)                                       Acrocladium*-Variante (8a, 8ap)
                 Kopfbinsenried (5b)                       4              Schoenetum, nasse Ausbildungen                 9                      40                      5–12
                                                                                      (9–10)
                 Übergang Kopfbinsenried/                  3                    Primulo-Schoenetum                    bis 20                     –                      5–25
                 Pfeifengraswiese (5b/8)                                        (typische Variante) (9)
                                                           3            Stachyo-Molinietum schoenetosum                0–3                    120–132                  25–40
                 Pfeifengraswiese (8)                      2                           (2s)

                 422 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

                                                                                                                                                       Originalarbeit
 4                                                                 5

                                                                                               Rückgang (–4,5 ha). Davon betroffen wa-
                                                                   Abb. 4: Kopfbinsenried
                                                                                               ren primär die undifferenzierten Kleinseg-
                                                                   im Übergang zur Pfei-
                                                                   fengraswiese im Natur-      genriede (5) (–2,9 ha) sowie die Kopf-
                                                                   schutzgebiet Heiden-        binsenriede (5b) (–1,2 ha). Kleinseggen-
                                                                   weg (23. Juni 2017).        riede mit Gelber Segge (Carex flava L.) (5c)
                                                                   Abb. 5: Bultbildendes       verschwanden bis 2017 fast vollständig.
                                                                   Großseggenried im              Die Großseggenriede (3) erlitten insge-
                                                                   Naturschutzgebiet           samt nur einen geringen Rückgang
                                                                   Heidenweg (6. Juli 2017).   (–0,9 ha). Während ein beträchtlicher Teil
                                                                   Abb. 6: Im Vordergrund      der bultbildenen Großseggenriede (3a)
                                                                   ein Kleinseggenried         verschwand (–2,8 ha), nahmen die bult-
                                                                   mit vereinzelten Groß-
                                                                                               freien Großseggenbestände (3b) (+0,5 ha)
                                                                   seggen, im Hintergrund
                                                                   ein Schneideried            und insbesondere die Schneideriede (3d)
 6                                                                                             (+1,4 ha) zu. Letztere breiteten sich vor
                                                                   (23. Juni 2017).
                                                                                               allem im Norden aus, während sie andern-
                                                                                               orts leicht abnahmen oder zu Mischbestän-
Ausbildungen von Großseggenrieden (3a,       de Teil der Streuwiesen bestand aber aus          den mit Kleinseggenrieden (3d/5) wur-
Abb. 5) – ohne Betrachtung der Schneide-     großflächigen Kopfbinsenrieden (5b), wel-         den. Die 1976 kleinflächigen Großseggen-
riede (Abb. 6) – ergaben aufgrund von        che vor allem im höheren und damit tro-           riede mit Scharfkantiger Segge (3c) waren
sieben Vegetationsaufnahmen die Subas-       ckeneren Bereich über weite Flächen Über-         2017 nicht mehr vorhanden (–0,2 ha).
soziation Caricetum elatae typicum (Acro-    gänge zu Pfeifengraswiesen (5b/8) aufwie-         Großseggenriede mit Faden-Seggen (3e)
cladium-Variante).                           sen. Reine artenreiche Pfeifengraswiesen          blieben annähernd konstant in ihrer Aus-
                                             (8) waren nur in den trockensten Bereichen        dehnung.
3    Ergebnisse                              vorhanden.                                           Auf den vergleichsweise trockeneren
                                                Außerhalb des geschützten Riedlandes           Flächen war eine Zunahme der bestockten
3.1 Vegetationskartierung 2017               wiesen wenige Futterwiesen im Nordwes-            Fläche seit 1976 zu verzeichnen. Ohne Be-
                                             ten Riedlandarten auf, während der über-          trachtung der Einzelbäume vergrößerte
Innerhalb des Schutzgebietes Heidenweg       wiegende Teil aus artenarmen und intensiv         sich diese bis 1986 (+2,2 ha) und blieb bis
wies die Vegetation 2017 erwartungsge-       bewirtschafteten Fettwiesen (10) bestand.         2017 vergleichbar groß (–0,3 ha). Hoch-
mäß eine deutliche Zonation vom See Rich-    Neben artenreichen Hecken entlang des             staudenfluren (4) kamen erst 1986 vor und
tung Fahrweg auf (Abb. 7): Umfangreiche,     Fahrweges und vielfältigen Gehölzstruktu-         verschwanden bis 2017 fast ganz (–0,4 ha).
dem Ufer vorgelagerte Schilfröhrichte (Ve-   ren vor allem im mittleren Teil der Halb-            Für das – primär aus Schilf bestehende
getationseinheit 2a) gingen landeinwärts     insel, strukturierten vereinzelte Weiden-         – Röhricht (2) konnte 1976 bis 1986 ein
in bultige Großseggenriede (3a) über und     büsche die Streuwiesen. Im nordöstlichen          markanter Rückgang (–2,8 ha) verzeichnet
auf etwas höher liegenden Flächen kamen      Teil des Gebietes dehnten sich Laub- und          werden, jedoch fand bis 2017 eine umso
bultfreie Großseggenriede (3b) hinzu. Da-    Föhrenwälder aus.                                 stärkere Zunahme (+4,7 ha) statt. Diese
bei bestanden große Flächen aus unbewirt-                                                      Zunahme geschah vorwiegend seewärts.
schafteten, artenarmen Schneiderieden        3.2 Entwicklung der Vegetation                    Allerdings wanderte der landseitige Über-
(3d). Die Schneidebinse (Cladium mariscus        zwischen 1976 und 2017                        gang vom Schilf zu den Großseggen auch
(L.) Pohl) drang aber auch über weite Tei-                                                     stellenweise landeinwärts und der Anteil
le in die etwas trockeneren Kopfbinsenrie-   Im Jahr 2017 wiesen rund 21 % der kar-            an Schilfröhricht mit bultigen Großseggen-
de (5b) ein. Großseggenriede mit Faden-      tierten Gesamtfläche von 113 ha eine an-          rieden (2a/3a) im Norden nahm ab.
Seggen (Carex lasiocarpa Ehrh.) (3e) und     dere Vegetationseinheit auf als 1976
Übergänge von Großseggen- zu Kleinseg-       (Abb. 8). Darunter nahm insbesondere der          4      Diskussion
genrieden (3/5) bildeten stellenweise eine   Anteil an Pfeifengraswiesen (8) stark zu
Zone zwischen bultförmigen Großseggen        (+4,1 ha). Die Kleinseggenriede (5) hinge-        Die floristische Artenzusammensetzung
(3a) und Kleinseggen (5). Der überwiegen-    gen verzeichneten einen ebenso massiven           hatte sich innerhalb von 41 Jahren auf

                                                                                  51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 423
Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Originalarbeit

                 Abb. 7: Vegetationskarten vom Schutzgebiet Heidenweg (CH) von 1976 und 1986 (Wildi & Leupi, 1986) sowie von 2017 (Gebäude und Wege Geodaten © Bundes-
                 amt für Landestopografie DV084370.). Originalmaßstab 1:5000.

                 424 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

                                                                                                             halten werden und seinen ökologischen

                                                                                                                                                                     Originalarbeit
                                                                                                             Wert als Habitat zahlreicher gefährdeter
                                                                                                             Arten behalten.

                                                                                                             4.1 Fehlende Überflutung der
                                                                                                                 Kopfbinsenriede

                                                                                                             Die großflächige Ausbreitung von Pfeifen-
                                                                                                             graswiesen (+4,1 ha) primär in die ehemals
                                                                                                             reinen Kopfbinsenriede weist nach Bol-
                                                                                                             lens et al. (2001) auf eine Abtrocknung
                                                                                                             der Flächen beidseits des Fahrwegs hin.
                                                                                                             Dort ist die Distanz zum Grundwasser am
                                                                                                             größten (Ammann-Moser 1975a). Die
                                                                                                             Grenzlinien dieser Flächen (5b/8) entspre-
                                                                                                             chen gemäß Höhenmodell von 2014 über
                                                                                                             weite Strecken einer Höhenkurve bei 429,7
                                                                                                             m. ü. M. (Swisstopo 2017b). Oberhalb die-
                                                                                                             ser Höhe wurden die Flächen von 1890 bis
                                                                                                             1940 an durchschnittlich 36 Tagen pro Jahr
                                                                                                             überflutet, bis 1960 noch an 14 Tagen und
                                                                                                             seither nur noch an fünf Tagen im Jahr.
                                                                                                             Obwohl der mittlere Grundwasserstand seit
                                                                                                             den 1980er Jahren eher gestiegen war, ent-
Abb. 8: Vegetationsentwicklung der Ufer- und Niedermoorgesellschaften im Schutzgebiet Heidenweg (CH)         standen durch die verringerten Grundwas-
1976 bis 2017 (inkl. Gehölze, ohne landwirtschaftlich intensiv genutzte Flächen, Kulturland mit Riedwie-    serhöchststände längere Trockenperioden
senarten, Weideland und Ruderalvegetation). Die Fläche der Säulen stellt die absolute Flächenausdehnung
                                                                                                             während der Vegetationszeit in den höher
in ha dar, weshalb die Säulenbreite variiert (Vegetationseinheiten nach Burnand & Züst 1976). Total 1976:
95,6 ha und 2017: 98,1 ha. Zunahmen von 100 % entsprechen neu kartierten Einheiten, während es sich bei     gelegenen Flächen.
Abnahmen von 100 % um Einheiten handelt, welche nur in der vorangehenden Erhebung kartiert wurden.               Diese Ergebnisse bestätigen die vermu-
                                                                                                             teten Anpassungen der Streuwiesenvege-
                                                                                                             tation an die geringere Überflutungsdauer,
rund einem Fünftel der Fläche deutlich                 Wiederbesiedlung der Flachwasserzone                  wonach sich die am höchsten gelegenen
verändert. Insbesondere Pfeifengraswie-                durch Armleuchteralgen zu einer geringe-              Kopfbinsenriede in Pfeifengraswiesen ver-
sen drangen markant in die Kleinseggen-                ren Erosion des Seebodens (Guthruf et                 wandelt haben. Während ein Kopfbinsen-
riede ein. Die Fläche der Großseggenriede              al. 2016), was vermutlich der entscheiden-            ried üblicherweise mehrere Wochen pro
nahm zwar nur minimal ab, jedoch verrin-               dere Faktor für die Schilfausbreitung war.            Jahr unter Wasser steht, wird eine kopf-
gerten sich die bultigen Ausbildungen                      Aus Sicht des Naturschutzes sind die              binsenreiche Pfeifengraswiese kaum über-
deutlich zugunsten von Schneiderieden                  Veränderungen der Lebensräume groß. Die               flutet (Klötzli 1969). Bereits 1976 pro-
und bultfreien Formen. Das Schilfröhricht              Zunahme der stark gefährdeten Pfeifen-                phezeite Wildi (1976b) die Abtrocknung
breitete sich erst seit 1986 wieder seewärts           graswiesen ist aufgrund ihrer Artenzusam-             der Seeländer Riedwiesen durch die da-
aus und gewann seit 1976 sogar noch an                 mensetzung positiv zu beurteilen und die              mals geplante Senkung der Maximalpegel-
Fläche.                                                Stabilisierung der Schilfröhrichtbestände             stände. Von 1976 bis 1986 nahm dann auch
   Diese Entwicklungen entsprechen den                 äußerst erfreulich. Die Zunahme der arten-            der Anteil an Kopfbinsenrieden mit Pfei-
zu erwartenden Anpassungen der Vegeta-                 armen Schneideriede und die damit ein-                fengraswiesenarten deutlich zu (Wildi &
tion an die veränderten Bedingungen.                   hergehende Abnahme der bultförmigen                   Leupi 1986) und die festgestellte Abtrock-
Einerseits profitierten Pfeifengraswiesen              und teilweise stark gefährdeten Großseg-              nung eines Teilgebietes von 1998 bis 2003
von der ausbleibenden Überflutung der                  genriede ist allerdings zu bedauern.                  (Küchler & Küchler 2011, Küchler 2011)
Kopfbinsenriede (Klötzli 1969), welche                     Trotz der durch die Abtrocknung geeig-            weist ebenfalls auf eine Fortsetzung dieser
den Großteil der Kleinseggenriede ausma-               neteren Bedingungen für Gehölze war dank              Entwicklung hin.
chen, und andererseits verringerten sich               der fachgerechten Bewirtschaftung durch                   Obwohl sich diese tiefgreifende Verän-
die bultförmigen Großseggen durch den                  Landwirte und freiwillige Helferinnen und             derung des Wasserhaushaltes am Heiden-
schmaler gewordenen Bereich, wo der                    Helfer keine allzu starke Zunahme ver-                weg primär in der Mitte des 20. Jahrhun-
Wasserstand regelmäßig schwankt (Klötz-                buschter Flächen zu verzeichnen. Anhand               derts vollzog, bewirkte sie bis 2017 eine
li 1969). Die Zunahme der Schneidbinse                 der nur gering angestiegenen Verschilfung             Veränderung der floristischen Artenzusam-
kann jedoch nicht mit der Grundwasserdy-               der Riedwiesen und der fehlenden Hoch-                mensetzung. Eine derart verzögerte und
namik erklärt werden, sie entwickelte sich             staudenfluren kann auch auf eine stabile              langsame Artenverschiebung ist bei alten
vielmehr aufgrund fehlender Mahd einiger               Nährstoffsituation geschlossen werden.                Wiesen bekannt (Kuhn 1984, Keel 1993).
Großseggenriede (Hangartner 2002). Das                 Schließlich war auch keine Zunahme der                Die Niedermoorvegetation am Heidenweg
Röhricht hingegen gewann durch die ge-                 Beeinträchtigung durch die Erholungsnut-              ist zwar vergleichsweise jung, aber durch
ringeren Seespiegelschwankungen an po-                 zung feststellbar. Zusammenfassend konn-              die fehlende Vorgeschichte, die geringen
tenziell besiedelbarer Fläche. Zudem führ-             te trotz einschneidender Veränderungen                Randeinflüsse sowie die gleichbleibende
te der verringerte Nährstoffgehalt des                 das Niedermoor Heidenweg in einem er-                 Streunutzung bis heute kann eine ebenso
Seewassers und die dadurch einsetzende                 staunlich guten ökologischen Zustand er-              stabile Artenzusammensetzung und dem-

                                                                                                51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 425
Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

                 entsprechend träge Artenverschiebung                       mäßig geschnitten, gewinnen aber trotz-      auch etliche bultige Flächen (3a) und Groß-
Originalarbeit

                 vermutet werden.                                           dem laufend an Durchmesser – insbeson-       seggenriede mit Scharfkantiger Segge (3c)
                    Erstaunlicherweise dehnten sich die                     dere wenn sie in ungemähten Rotations-       durch Schneideriede (3d) ersetzt. Dass die
                 reinen Pfeifengraswiesen am Heidenweg                      brachen liegen. Untersuchungen von Küch-     festgestellte Zunahme von Schneidebinsen
                 aber nur unwesentlich aus. Allerdings führ-                ler & Küchler (2011) von 1998 bis 2003       im ganzen Gebiet primär auf nicht mehr
                 ten im südlichen Mittelteil die Zunahme                    bestätigen, dass trotz aller Bemühungen      bewirtschafteten Flächen stattfand, passt
                 von Feuchtwiesenarten sowie die Verdrän-                   die Niedermoorvegetation auffällig tiefe     zu den ökologischen Ansprüchen dieser
                 gung durch Gehölze an anderen Stellen zu                   Lichtzahlen aufwies und Pflanzen mit ge-     Art: Die Schneidebinse hat zwar eine ver-
                 einer Reduktion des Nettozuwachses der                     ringerem Lichtbedürfnis sowie der Gehölz-    gleichbare ökologische Amplitude wie die
                 Pfeifengraswiesenfläche. Ebenso wurde am                   anteil signifikant zugenommen hatten.        Steife Segge (Carex elata ALL.) (Klötzli
                 nordwestlichen Fettwiesenrand vermutlich                                                                1969) und besiedelt deshalb mit ihrer star-
                 weniger weit seewärts gemäht und der ge-                   4.2 Fehlende Wasserspiegeldynamik            ken vegetativen Vermehrungsfähigkeit
                 stiegene mittlere Seespiegel erlaubte es                       in Großseggenrieden                      durch unterirdische Ausläufer (Lutz 1938)
                 dort primär Schneidebinsen und Landröh-                                                                 primär andere Großseggenriede (Klötzli
                 richten, die kleinflächigen Pfeifengrasbe-                 Die Abnahme der Großseggenriede ent-         et al. 2010). Teilweise wächst sie aber auch
                 stände von 1986 zu überwachsen.                            spricht einer schweizweiten Entwicklung      in nassen Kleinseggenrieden (Wildi 1976b)
                    Die vergleichsweise geringe Flächenzu-                  (Graf et al. 2010) und betraf primär die     und reagiert empfindlich auf die Mahd
                 nahme reiner Pfeifengraswiesen (8) bestä-                  bultbildenden Bestände (3a) (–2,8 ha).       (Ellmauer 2005). Die wintergrüne Schnei-
                 tigen aber auch, dass bei fehlender Über-                  Dieser Großseggengürtel wurde an den         debinse (Matz 2011) kann nämlich im
                 flutung der Kopfbinsenriede (5b) sich zwar                 meisten Uferstellen schmaler, wofür gemäß    Herbst die Nährstoffe im Laub nicht in un-
                 Übergänge zu Pfeifengraswiesen (5b/8)                      Klötzli (1969) die geringer gewordenen       terirdische Speicherorgane zurückziehen
                 einstellen, die Kopfbinsenriedarten aber                   Wasserstandsschwankungen verantwort-         (Pfadenhauer & Eska 1986) und ver-
                 erst bei ausgeprägt wechselfeuchten Bedin-                 lich gemacht werden können. Zudem wur-       schwindet deshalb bei jährlicher Mahd
                 gungen verschwinden. Molinieten zeichnen                   den diverse Streifen vom Röhricht über-      (Hangartner 2002).
                 sich nämlich durch ausgesprochen große                     nommen, was auf die Wirkung des gestie-          Schneideriede sind äußerst artenarm
                 Toleranz gegenüber Grundwasserschwan-                      genen Seespiegels hindeutet.                 und im Gebiet großflächig vorhanden, wes-
                 kungen aus, während Kopfbinsenriede am                        Der mittlere Seespiegel lag im Zeitraum   halb dieser an sich gefährdete (VU) Lebens-
                 Heidenweg die geringsten Grundwasser-                      1940 bis 1981 bei 429,1 m. ü. M. und die     raum in der Schweiz (Delarze et al. 2016)
                 schwankungen bevorzugen (Klötzli 1969).                    Großseggenriede, die den Übergang vom        nicht gefördert werden muss. Wichtiger
                 Die Pfeifengraswiesen bildeten deshalb                     See zum Land bilden, übersteigen gemäß       wäre die Bewahrung von bultigen Großseg-
                 primär einen mosaikartigen Bestand mit                     Höhenmodell (Swisstopo 2017b) kaum           genrieden und insbesondere der stark ge-
                 den höher gelegenen gefährdeten (VU)                       eine Höhe von 429,3 m. ü. M. Tatsächlich     fährdeten (EN) Ausbildungen mit Faden-
                 Kleinseggenrieden (Delarze et al. 2016).                   wurden diese Großseggenriede oberhalb        Seggen (Delarze et al. 2016) durch eine
                 Trotz dieser Nettoabnahme an Kleinseggen-                  429,1 m. ü. M. bis 1981 nur während 28       zweijährliche Mahd sowie die Erhaltung von
                 rieden nahmen die reinen Kopfbinsenriede                   Wochen pro Jahr überflutet, während seit-    Kleinseggenrieden durch jährliche Mahd.
                 durch die Zunahme an Schoenus nigricans                    her eine Überflutung an 37 Wochen im Jahr
                 / S. ferrugineus aber insgesamt zu. Insbe-                 stattfand. Von 1890 bis 1940 standen die     4.3 Ende des Schilfsterbens
                 sondere wandelten sich die 1976 noch ent-                  Großseggenriede sogar nur an 21 Wochen
                 lang fast des gesamten Ufers kartierten                    pro Jahr unter Wasser.                       Von 1951 bis 1968 hatte sich die Schilfröh-
                 Abbaustadien – Mischbestände aus Groß-                        Landseitig wanderte die Grenze von        richtfläche am Heidenweg um 18 % verrin-
                 seggenrieden und Kleinseggenrieden (3/5)                   Kleinseggenrieden (5) und Übergängen von     gert (Ammann-Moser 1975a) und es wu-
                 – bis 2017 fast vollständig in reine Kopfbin-              Großseggen- zu Kleinseggenrieden (3/5)       wurde bereits von einem „Schilfsterben“
                 senriede (5b) oder in solche mit Schneide-                 ebenfalls in die ehemals bultigen Großseg-   gesprochen (Iseli 2016). Doch dann nah-
                 riedanteilen (3d/5) um.                                    genbestände hinein. Solche Übergangsfor-     men 1986 bis 2017 die Schilfflächen am
                    Die Pfeifengraswiesen gelten in der                     men von Großseggenbeständen zu Klein-        Heidenweg erstmals wieder deutlich zu.
                 Schweiz als stark gefährdet (EN) (Delarze                  seggenrieden entstehen durch die fort-       Durch den hypertrophen Zustand des Bie-
                 et al. 2016) und stellen die derzeit arten-                schreitende Verlandung und Abtrocknung       lersees in den 1970er Jahren (BAFU 2016)
                 reichsten Lebensräume am Heidenweg dar.                    (Klötzli 1969). Da der Seespiegel aber nur   waren einerseits die Schilfhalme empfind-
                 Diese sind deshalb prioritär zu erhalten und               nach 1874 (–230 cm) und im Zeitraum zwi-     licher geworden gegen mechanische Schä-
                 eine Zunahme ist insofern durchaus er-                     schen 1962 und 1981 (–4 cm) tiefer lag als   digungen (Klötzli 1971) durch Treibholz,
                 wünscht. Weiterhin gehören die jährliche                   im jeweiligen Zeitabschnitt vorher (1890     aufbrechende Eisdecken, Hagel etc. (Iseli
                 Herbstmahd zu gestaffelten Zeitpunkten                     bis 1939 / 1940 bis 1961 / 1982 bis 2017)    1995) und andererseits belastete das mas-
                 und das Wegführen des Schnittgutes zu den                  und die Verlandung kaum den insgesamt        senhafte Auftreten von Fadenalgen die
                 wichtigsten Pflegemaßnahmen. Aufgrund                      um 24 cm erhöhten Mittelwasserspiegel        Halme (Iseli 1995). Seither ist der Phos-
                 der fortgeschrittenen Abtrocknung besteht                  (zwischen den Zeiträumen 1890 bis 1939       phatgehalt massiv gesunken (BAFU 2016),
                 aber eine zunehmende Gefährdung durch                      und 1982 bis 2017) übersteigen konnte,       der Stickstoffgehalt hat sich ebenfalls re-
                 Verbuschung. Aktuell sind zwar nur weni-                   muss der Rückgang dieser für den Heiden-     duziert (Guthruf et al. 2009) und die
                 ge Flächen sichtbar verbuscht, aber weite                  weg typischen Übergangsstadien wahr-         Algen haben wieder abgenommen
                 Gebiete wiesen trotz jährlichem Schnitt                    scheinlich immer noch auf die erste Jura-    (Clément et al. 2017).
                 viele niederliegende und in die Breite                     gewässerkorrektion zurückgeführt werden.        Infolge des Nährstoffrückgangs im See-
                 wachsende Gehölze auf. Die zahlreichen                        Neben der Schilfzunahme und der Ab-       wasser nahm auch die Artenvielfalt unter
                 Keimlinge von Faulbäumen, Pappeln und                      nahme an Mischbeständen aus Klein-/          den Wasserpflanzen wie auch deren Aus-
                 Weiden werden zwar bei der Mahd regel-                     Großseggenried wurden aber vor allem         dehnung in die Tiefe am Heidenweg deut-

                 426 N ATU RS C H U TZ u nd L and s ch a f ts planu ng | 51 (09) | 2019
Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)
Björn Fuhrer et al., Seespiegeldynamik und Vegetation in einem Feuchtgebiet im Bielersee (Schweiz)

                                                 ungefähr in den 1960er Jahren prognosti-        seeufer und Stefanie von Felten (Ala-Re-
Fazit für die Praxis

                                                                                                                                                         Originalarbeit
                                                 ziert. Durch den seit 1980 höheren mittle-      servatskommission Heidenweg) für die
• Daten von Grundwasserständen und              ren Seespiegel könnte sich die landseitige      fundierte Betreuung dieser Arbeit. Im
    -schwankungen bilden eine zentrale           Schilfgrenze allerdings auch auf Kosten der     Weiteren danken wir Dr. Yvonne Stampfli
    Grundlage für die Beurteilung und            Großseggenbestände weiter landwärts aus-        sowie Dominique Hindermann von der zu-
    Prognose von Veränderungen in Nieder-       dehnen. Die Schilfröhrichte werden nicht        ständigen Behörde (Abteilung Naturförde-
    mooren.                                      bewirtschaftet, somit bilden das geltende       rung des Kantons Bern) für ihre Unterstüt-
•   An Seeufern mit eingeschränkter See-        Betretverbot und die Einhaltung des Min-        zung.
    spiegeldynamik stellen das Verschwinden      destabstands für Boote die wichtigsten
    von bultbildenden Großseggen und die         Schutzmaßnahmen für Flora und Fauna.            Literatur
    raschere Verbuschung auf abtrocknenden
    Streuwiesen die primären Probleme dar.      4.4 Redynamisierung?                            Aus Umfangsgründen steht das ausführ-
                                                                                                 liche Literaturverzeichnis unter www.nul-
Abtrocknende Kleinseggenriede an                 Die in Schweizer Niedermooren verbreite-        online.de (Webcode 2231) zur Verfügung.
Seeufern:                                        te Abtrocknung (Küchler & Küchler
• Die jährliche Herbstmahd ist umso             2011) und die damit verbundene Verände-
  zwingender und ein zusätzliches,
                                                 rung der Biotope konnte auch am Heiden-
  manuelles Entbuschen kann notwendig
                                                 weg beobachtet werden. Die maßgebenden
  werden.
                                                 Grundwasserverhältnisse lassen sich aber
• Rotationsbrachen erhöhen zusätzlich           kaum ändern, da für die Regulierung des
  die Verbuschungsgefahr, weshalb diese                                                            KO N TA K T
  nur unter sorgfältiger Abwägung des          Seepegelstands neben den ökologischen
                                                 eine Vielzahl anderer Interessen berück-                             Björn Fuhrer absolvierte ein
  ökologischen Nutzens und der Gefahren                                                                               Bachelorstudium in Life
  für den Lebensraum zweckmäßig sein            sichtigt werden müssen (Wehren & Schu-
                                                                                                                      Sciences an der Zürcher Hoch-
  können.                                        del 2012). An zentraler Stelle steht dabei                           schule für Angewandte Wissen-
                                                 der Schutz der Bevölkerung und der Infra-                            schaften und arbeitet seit 2018
Seeufernahe, länger überstaute                   struktur vor Hochwassern. Es ist daher                               als wissenschaftlicher Mit-
Großseggenriede:                                 begreiflich, dass rein ökologische Gründe                            arbeiter in einem Büro für Öko-
• Das Verringern der Grundwasserdistanz          nicht genügen, um die Seespiegeldynamik                              logie und Landschaftsplanung
                                                                                                                      (Landschaftswerk Biel-Seeland).
  mittels Abschürfungen – etwa auf               wieder zu vergrößern und damit eine Ge-
                                                                                                 Er befasst sich mit der Pflege, Aufwertung und
  ehemals aufgeschütteten Flächen mit           fährdung der Seeanlieger und einer großen
                                                                                                 Renaturierung von Seeufern, Fließgewässern, Wald-
  Ruderalfluren oder Fettwiesen – als            Bevölkerungszahl entlang der abfließenden       rändern sowie Feucht- und Trockenwiesen.
  drastische Maßnahme kann neue Groß-            Aare in Kauf zu nehmen. Die für die Regu-
                                                                                                 > b.fuhrer@landschaftswerk.ch
  seggenriede schaffen.                          lierung zuständigen Stellen sind sich des
• Soll die Schneidbinse verschwinden, muss       Einflusses auf die Niedermoore am Heiden-                            Manuel Babbi absolvierte ein
  drei bis fünf Jahre lang jährlich vor einer   weg zudem durchaus bewusst (Wehren &                                 Masterstudium in Life Sciences
  mehrwöchigen Überstauung bodeneben             Schudel 2012).                                                       an der Zürcher Hochschule für
  gemäht werden (Hangartner 2002).                  Trotz der regulierten Grundwasserver-                            angewandte Wissenschaften
                                                                                                                      und arbeitet seit 2013 als
                                                 hältnisse hat sich weder die Gesamtfläche
                                                                                                                      wissenschaftlicher Mitarbeiter
                                                 des Feuchtgebietes verringert, noch hat sich                         in der Forschungsgruppe Vege-
lich zu (Guthruf et al. 2016). Da im Ge-         dessen ökologische Qualität durch Verbu-                             tationsökologie am Institut
gensatz zu den 1980er Jahren die Arm-            schung, Verschilfung oder Zunahme von                                für Umwelt und Natürliche
leuchteralgen im Bielersee heute das ganze       Hochstauden wesentlich verschlechtert.          Ressourcen an der ZHAW. Nebst der Durchführung
Jahr wieder bis in 20 m Tiefe und die vas-       Auch dank der fachgerechten Pflege und der      von Vegetationskartierungen und -analysen befasst
kulären Pflanzen bis in 5 m Tiefe während        nur geringen Störungen durch Erholungs-         er sich hauptsächlich mit der ökologischen Auf-
                                                                                                 wertung von Waldrändern.
des Sommers das Sediment stabilisieren           suchende kann die Halbinsel weiterhin et-
(Guthruf et al. 2016) und den natürlichen        lichen seltenen Tier- und Pflanzenarten         > manuel.babbi@zhaw.ch
Sedimenttransport durch die windbeding-          einen unersetzbaren Lebensraum bieten.
                                                                                                                     Prof. Dr. Bertil Krüsi studierte
ten Strömungen und den Wellengang bei                                                                                und promovierte an der ETH
Sturm (Iseli 1995) entlang der Ufer ent-         Dank                                                                Zürich, bildete sich in Post-docs
schärfen, können sie maßgebend mit der                                                                               in Kanada und Frankreich
Ausdehnung des Schilfröhrichts am Hei-           Wir danken Erwin Leupi (ANL AG, Aarau)                              weiter, arbeitete als Consultant
denweg in Verbindung gebracht werden.            für die spannenden Fachdiskussionen so-                             in der Privatwirtschaft, für die
                                                                                                                     Weltbank und die EU in Brüssel,
Denn wo durch die Eutrophierung die Un-          wie die Einführung in die Feldarbeit. Chris-
                                                                                                                     und forschte und lehrte an ETH
terwasserpflanzen verschwunden waren,            toph Käsermann (KBP GmbH, Bern/Berni-                               Zürich, der Eidg. Forschungs-
setzte eine verstärkte Erosion ein, die dem      sche floristische Beratungsstelle) und Prof.    anstalt WSL und der Zürcher Hochschule für
Schilf den Boden entzog.                         em. Dr. Brigitta Ammann-Moser (Institute        angewandte Wissenschaften ZHAW. Neben Lang-
    Die Röhrichtzunahme ist äußerst erfreu-      of Plant Sciences, Universität Bern) danken     zeituntersuchungen im Schweizerischen National-
lich, da dieser gefährdete Lebensraum (VU)       wir für ihre Unterstützung in Form von          park zum Einfluss des Rothirschs auf die Vegetation,
(Delarze et al. 2016) primär seewärts            umfangreichen Felddaten und sehr infor-         der Pflege von Halbtrockenrasen und kontrolliertem
                                                                                                 Abbrennen entwickelte er auch eine App zum
vordrang und damit keine andere geschütz-        mativen Gesprächen. Weiter gilt unser
                                                                                                 Bestimmen von Süssgräsern im nicht blühenden
te Vegetation verdrängte. Durch die Reo-         Dank vor allem Christoph Iseli (Land-           und blühenden Zustand.
ligotrophierung des Bielersees wird länger-      schaftswerk Biel-Seeland, Biel) für die ge-
                                                                                                 > bertil.kruesi@zhaw.ch
fristig eine Ausdehnung des Röhrichts wie        meinsame Fachdiskussion über die Bieler-

                                                                                    51 (09) | 2019 | NAT UR SCHUTZ und L andscha f ts p l a n un g 427
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