Sommer 2022 - Jesuiten weltweit

Die Seite wird erstellt Hertha Noack
 
WEITER LESEN
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
Sommer 2022
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
EDITORIAL

            Liebe Leserinnen und Leser,

            vielleicht kennen Sie jemanden, der in den letzten Wochen Geflüchtete
            aus der Ukraine bei sich aufgenommen hat, oder Sie haben selbst ein
            Zimmer oder eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Nach Angaben der
            deutschen Innenministerien sind etwa zwei Drittel der Menschen, die
            aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, privat untergekom-
            men, die Hälfte davon bei Freundinnen, Freunden und Verwandten,
            viele andere aber bei hilfsbereiten Fremden. Und auch die Jesuiten in
            Deutschland und Österreich schaffen Platz in ihren Häusern und Ein-
            richtungen, zum Beispiel in Innsbruck, Wien und Bonn.

            Wir in Deutschland und Österreich „schaffen das“, wie auch die Be-
            wältigung der Flüchtlingswelle 2015 – eine viel größere Last aber tra-
            gen gerade die Anrainerstaaten der Ukraine. Hier stranden die meisten
            Geflüchteten, in der vielleicht trügerischen Hoffnung, so schnell wie
            möglich in ihre Städte und Dörfer zurückzukehren, berichten die Jesu-
            iten in Polen und Rumänien und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
            unserer osteuropäischen Partnerorganisationen. „Wir spüren den Opti-
            mismus“, sagt Bianca Albu vom JRS in Bukarest, und berichtet von „ei-
            nem unglaublichen Durchhaltevermögen“ der Menschen trotz täglicher
            schlechter Nachrichten aus der Heimat, von Tod und Zerstörung.

            Wir können nur erahnen, was die Geflüchteten durchleben, ihre Zu-
            versicht bewundern und ihnen dabei helfen, ein Stück Frieden und
            Sicherheit zu finden.

            Wir wünschen Ihnen einen guten, friedlichen Sommer,
            herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

            Ihre

            Klaus Väthröder SJ		              Mag. Katrin Morales
            Missionsprokurator		              Geschäftsführerin in Wien
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
INHALT

                                 04 Flucht in eine ungewisse Zukunft
                                 		    Die Jesuiten in Osteuropa stehen Menschen aus der
                                 		    Ukraine zur Seite, wohin diese der Weg auch führen mag

                                 12    „Alte Lösungen funktionieren nicht mehr“
                                 		    Pedro Walpole SJ über diese Notwendigkeit der
                                 		    sozial-ökologischen Transformation
Flucht aus der Ukraine
                                 16 		 „Es ist gefährlich, Christ zu sein“
Unsere osteuropäischen
Partner­organisationen helfen    		 44 Jahre nach seiner Ermordung wurde Rutilio Grande SJ
beim Ankommen in Polen,          			seliggesprochen. Martin Maier SJ berichtet aus El Salvador
Rumänien und der Republik
Moldau                           18 		 Ein Signal an die Jugend
                                 		    Nach dem Putsch steckt Myanmar in einer tiefen Krise.
                                 		    Die Jesuiten setzen ihre Bildungsprogramme fort

                                 20 Insel am Abgrund
                                 		    Sri Lanka droht im Chaos zu versinken. Die Jesuiten starten
                                 		    Nothilfemaßnahmen.

                                 22 		 Rechenschaftsbericht 2021
                                 		    Katrin Morales über Solidarität und radikale Zeichen
                                 		    der Hoffnung

                                 24 		 Rückblick: Projekte 2021
                                 		 CONCORDIA Prizren – Lok Manch Indien – Kampf gegen
                                 			Corona – Flüchtlingshilfe Marokko – St. Rupert‘s High
                                 		 School Simbabwe – Comparte-Netzwerk Lateinamerika

                                 30		 Stiftung und Erbschaften
                                      		Nachhaltige Unterstützung für unsere Projekte

                                 33 		 Im Dialog
Sozial-Ökologische
                                 		    Sprachrohr aus Papier: Darum bleibt weltweit
Transformation
                                 		    unser wichtigstes Medium
Bildung und indigene Identität
helfen philippinischen Jugend-   34 Nachrichten und Termine
lichen, ihre Lebensräume zu      		    Trauer um Klaus Riesenhuber SJ – #weltweitonline Ukraine –
schützen.                        		    Tanz-Tournee mit Saju George SJ
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
EDITORIAL

Flucht in eine
ungewisse Zukunft
In den Anrainerstaaten der
Ukraine bangen Geflüchtete um
ihre Heimat und um jene, die blieben.
Die Jesuiten und unsere Partnerorganisationen
stehen ihnen zur Seite, wohin sie der Weg auch
führen mag.

   4   jesuitenweltweit
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
INHALT

G
          estern noch Religionslehrer an einem Gym-
          nasium, heute Sozialarbeiter, Psychologe, Lo-
          gistiker und rund um die Uhr am Telefon: Der
24. Februar 2022 hat das Leben von Damian Czerniak
SJ gehörig auf den Kopf gestellt, auch wenn der junge
Jesuit irgendwie damit gerechnet hatte, „dass es nach
den Olympischen Spielen soweit sein könnte“. Dass
Russlands Präsident Wladimir Putin nach monate-
langer Vorbereitung seinem Militär den Befehl geben
würde, das Nachbarland anzugreifen. „Gleich nach
den ersten Raketeneinschlägen klingelte mein Tele-
fon“, erinnert sich Damian: „Ich war schockiert, aber
nicht überrascht.“

                                 jesuitenweltweit     5
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
UKRAINE

In Alarmbereitschaft                             versuchen, gemeinsam mit dem polnischen
In Polen hatte man das immer lautere Säbel-      Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS), einer Orga-
rasseln Putins – Aufrüstung an den Grenzen,      nisation im Aufbau mit nur zwei Angestellten,
Manöver russischer und belarussischer Trup-      eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen.
pen, unverhohlene Destabilisierungsversu-
che in ukrainischen Städten, Cyberattacken       Rechnete man zunächst mit einigen Hundert-
– ernster genommen als im Westen. Die pol-       tausenden, hatten sich Ende April bereits fast
nische Armee war seit Wochen in höchster         drei Millionen der insgesamt über fünf Mil-
Alarmbereitschaft und bereits Mitte Februar      lionen Geflüchteten ins Nachbarland Polen
hatte die Regierung die Kommunen aufgefor-       gerettet. Tausenden Menschen, die auf der
dert, sich auf die Ankunft von Geflüchteten      Durchreise zu Freunden oder Verwandten
vorzubereiten.                                   waren, konnten die Jesuiten seit Februar in ih-
                                                 ren Kommunitäten in Gliwice, Bytom, Nowy
                                                 Sącz und Gdynia für eine oder zwei Nächte
                                                 Obdach geben; dauerhaft haben sie knapp 120
                                                 Menschen in Kommunitäten und Gemeinde-
                                                 häusern untergebracht.

                                                 „Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin,
                                                 über das Telefon Wohnraum zu organisieren“,
                                                 berichtet Damian. Zwölf polnische Familien
                                                 haben sich entschieden, längerfristig Ge-
                                                 flüchtete aufzunehmen, die ihnen die Jesuiten
                                                 vermittleln.

                                                 „Die meisten, die kommen, sind Frauen und
                                                 Kinder“, sagt Damian, „und fast alle wollen so
                                                 schnell es nur geht zurückkehren.“ Nach der
                                                 Generalmobilmachung in der Ukraine dür-
„Ohne die Unterstützung Hunderter                fen Männer im wehrfähigen Alter nicht das
Freiwilliger und all die Spenden aus             Land verlassen, es sei denn sie sind krank,
aller Welt könnten wir die Arbeit                behindert – oder haben mehr als drei oder
nicht bewältigen“                                schwerkranke Kinder, die rund um die Uhr
    Damian Czerniak SJ, Jesuits for Ukraine      Betreuung benötigen: Damian berichtet von
                                                 einer Familie mit einem sechsjährigen Kind,
                                                 das an einer schweren Lungenkrankheit lei-
So waren auch die polnischen Jesuiten vorbe-     det und in Polen behandelt wird: „In solchen
reitet: „Direkt nach den Angriffen haben die     Fällen ist eine schnelle Rückkehr ausgeschlos-
beiden polnischen Jesuitenprovinziale eine       sen.“ Genauso wenn das Wohnhaus zerbombt
Mail an alle Kommunitäten im Land geschickt:     wurde oder der Arbeitsplatz, oder wenn eine
„Öffnet alle Häuser für Geflüchtete!“ Vier Pa-   Zukunft in Polen, wo vielleicht schon Freun-
tres, einer von ihnen Damian, bilden seitdem     de oder Verwandte leben, mehr verspricht als
die polnische Taskforce der Jesuiten und         der Weg zurück ...

6   jesuitenweltweit
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
UKRAINE

Gekommen, um zu bleiben? Die Integration geflüchteter Kinder ist eine der wichtigsten Aufgaben.

Optimismus und Verzweiflung                                 Momente der vergangenen Monate, bis auf ein-
                                                            mal das Telefon einer Frau klingelte: Ihr Ehe-
Auch Bianca Albu vom JRS Rumänien ist über-                 mann ist bei Gefechten ums Leben gekommen.“
wältigt vom grenzenlosen Optimismus so vieler
Geflüchteter, der aber jeden Moment in Trauer               Sehnsucht nach Normalität
und Verzweiflung kippen kann. Rumänien hat
nach Polen die meisten Menschen aufgenom-                   Normalität brauchen vor allem die Kinder.
men. In Bukarest und fünf anderen Städten                   Das ukrainische Bildungsministerium und
unterstützen sie die Teams des JRS, stellen                 einzelne Schulen stellen Lehrpläne und Un-
Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung,                   terrichtsmaterial online zur Verfügung, so
geben Rechtsberatung, helfen beim Ausfüllen                 dass viele Kinder ihr ukrainisches Schuljahr
von Formularen und bei der Einschulung von                  in Aufnahmeländern wie Polen, Rumänien
Kindern, organisieren Sprachkurse, vermitteln               oder in der Republik Moldau abschließen
Wohnraum und Kita-Plätze, leisten psychoso-                 können. An einigen Schulen werden ukrai-
ziale Unterstützung und versuchen, den Men-                 nische Lehrkräfte eingesetzt. Aber dann?
schen ein Stück Normalität zu schenken.
                                                            „Wenn abzusehen ist, dass die Familien blei-
„Eine unserer ukrainischen Frauen in Buka-                  ben, ist es wichtig, schnell mit Rumänisch-
rest, Viktoria, wurde im April 31“, erzählt Bi-             Kursen anzufangen“, sagt Bianca Albu.
anca. Viktoria ist von Beruf Artistin und lei-              Damian Czerniak SJ berichtet von speziellen
det sehr darunter, dass sie in absehbarer Zeit              ukrainischen Klassen in Polen, aber weiß
kein Engagement in Rumänien finden wird.                    ebenso, dass viele Schülerinnen und Schüler
„Ihre Geburtstagsfeier mit den anderen Frau-                bald in den normalen polnischen Unterricht
en und unserem Team war einer der schönsten                 integriert werden müssen.

                                                                                        jesuitenweltweit   7
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
UKRAINE

8   jesuitenweltweit
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
UKRAINE

Manchmal funktioniert die Integration spie-
lend: Yana (5) floh mit ihrer Mutter aus Odessa
in die Republik Moldau. Gemeinsam mit drei
anderen geflüchteten Frauen und Kindern
lebt sie derzeit im Multifunktionszentrum
des ignatianischen Hilfswerks CONCORDIA
in Tudora. Hier leben nicht nur Geflüchtete,
sondern auch ältere Moldauer:innen. Einer
dieser Menschen ist Fedor. Er hat ein Bein ver-
loren und sitzt im Rollstuhl. „Er und Yana ha-
ben sich gleich zu Beginn angefreundet, und
mittlerweile sind die beiden ein Herz und eine     Auf dem Weg zur Oma nach Israel: Weil Lev (11), Liza (9) und
Seele“, berichtet CONCORDIA-Mitarbeiterin          Platon (4) zu dritt sind, durften sie mit beiden Eltern nach
Katharina Wagner: „Yana führt den Mann je-         Rumänien ausreisen.
den Tag über das Grundstück, malt ihm un-
zählige Bilder und führt ihm ihre Tanzkünste
vor. Und Fedor ist froh über die Abwechslung,
er selbst vermisst seine Familie sehr, denn sei-
ne Kinder und Enkel leben im Ausland.“

„Dank eurer Menschlichkeit,
Aufmerksamkeit und Fürsorge haben
wir die Kraft weiterzumachen“
          Svetlana aus Odessa, jetzt in einem
         CONCORDIA-Zentrum in Rumänien

                                                   Nach vier Wochen Flucht können Svetlana, Domir und Xenia
Geschichten wie die von Yana und Fedor             in Rumänien durchatmen.
strahlen leuchtend hell über dem Dunkel von
Krieg, Zerstörung und Gewalt. „Mein erster
Gedanke war: Warum tun Menschen so et-
was? Mein zweiter war: Was kann ich jetzt
tun?“, erinnert sich Damian Czerniak an seine
Reaktion nach dem Überfall auf die Ukraine.
So wie er haben viele seiner Landsleute und
viele Menschen in ganz Europa empfunden.
Und diese Solidarität ist eine mächtige Waffe
im Kampf gegen Putins Aggression.

                            Steffen Windschall
                                                   Im Multifunktionszentrum von CONCORDIA haben Yana
                                                   und Fedor Freundschaft geschlossen.

                                                                                 jesuitenweltweit           9
Sommer 2022 - Jesuiten weltweit
UKRAINE

Hunger als Waffe
Der Krieg in der Ukraine wütet global: Ernteausfälle verursachen massive Preisstei-
gerungen für Grundnahrungsmittel. In einigen Weltregionen droht eine Hungersnot.

A
        ngesichts massiver Ernteausfälle bei     die schlechte Versorgungslage als Druckmittel
        Weizen in der Ukraine und der rus-       einsetzt, wird der Hunger zur Waffe.
        sischen Exportstopps für Getreide
und Dünger drohen „Hungersnöte, die große        14 Länder beziehen nahezu ihre gesamten
Regionen der Erde betreffen“, warnt das Glo-     Weizenvorräte aus der Ukraine, der Korn-
bale Informations- und Frühwarnsystem für        kammer Europas, viele von ihnen auch Teile
Ernährung und Landwirtschaft (GIEWS) der         ihrer Maisvorräte, darunter arme Länder wie
Vereinten Nationen.                              der Sudan, Libanon oder der Jemen. Obwohl
                                                 Weizen in ihrer Ernährung keine große Rolle
Die Preise für Lebensmittel haben im Febru-      spielt, kann sich der Konflikt auch auf Länder
ar 2022 ein Allzeithoch erreicht. Im Jemen ist   südlich der Sahelzone auswirken: Der Jesuit
Speiseöl um 36 Prozent teurer geworden, in       und Agrarwissenschaftler Claus Recktenwald
Syrien um 39 Prozent. Der Preis für Weizen-      SJ, Direktor des Landwirtschaftsausbildungs-
mehl ist in Libyen um 15 Prozent und im Liba-    zentrums KATC in Sambia, fürchtet, dass
non um 47 Prozent gestiegen. Es sind Konse-      auch die Mais-Preise steigen werden: „Viel
quenzen des Krieges, denn fast ein Drittel des   hängt dann davon ab, wie die Ernten in den
international gehandelten Weizens stammt         afrikanischen Regionen ausfallen. Sind sie
aus der Ukraine und aus Russland. Durch den      schlecht, dann kann sich die Krise verschär-
anhaltenden Konflikt werden ukrainische          fen.“ Er hofft, dass die afrikanischen Entschei-
Landwirt:innen die neue Anbausaison verpas-      dungsträger „frühzeitig die Weichen stellen“,
sen und somit die erhofften Erträge verlieren.   damit sich der Kontinent „möglichst autark“
Wenn der russische Präsident Wladimir Putin      ernähren kann.

10 jesuitenweltweit
Unsere Bitte für Geflüchtete
aus der Ukraine
Obgleich überrollt von den Ereignissen, waren die Jesuiten in Polen, die Teams von JRS Rumänien
und CONCORDIA gewappnet: Seit dem Tag des Angriffs auf die Ukraine sind sie an den Grenzen
präsent, versorgen Geflüchtete mit dem Nötigsten, organisieren Transporte und öffnen ihre Häu-
ser. Nicht nur in den Anrainerstaaten stehen Jesuiten den Vertriebenen zur Seite, auch in der Uk-
raine selbst. In Lviv unterhält der JRS seit 2008 ein Haus für Geflüchtete. Allen, die dort Zuflucht
suchen, wird Unterkunft, Verpflegung, Rechtshilfe und psychosozialer Beistand gewährt.

Mit unserer Unterstützung organisieren unsere Partnerinnen und Partner weiter kurz- und
langfristige Hilfsprogramme. Denn selbst wenn der Krieg enden sollte, können viele nicht in
ihre zerbombten Heimatorte zurückkehren. Das Hauptaugenmerk liegt also auf der Bereitstel-
lung von Unterkünften; die polnischen Jesuiten schaffen gerade neue Räumlichkeiten in ihren
Häusern in Gdynia und Warschau. Ein großes Thema bleibt für sie der Transport humanitärer
Hilfsgüter in die Ukraine, der über zwei Verteilerzentren in Polen koordiniert wird.
Langfristige Maßnahmen betreffen in allen Aufnahmeländern die Integration Geflüchteter, vor
allem von Kindern, durch Sprachkurse, Schul- und Kitaplätze. Verschiedene Beratungsangebote
helfen den Familien, Fuß zu fassen. Viele Menschen haben Traumata erlitten und müssen psy-
chologisch betreut werden.

Für diese Arbeit bitten wir Sie herzlich um                  Spendenkonto Österreich
Unterstützung und bedanken uns für Ihre Hilfe!               IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000
                                                             Spendenkonto Deutschland
                                                             IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82
Klaus Väthröder SJ
Missionsprokurator                                           Stichwort: X31222 Ukraine

                                                                             jesuitenweltweit 11
Alte Lösungen funktionieren nicht mehr
Die Beschlüsse der UN-Klimakonferenz geraten zur Farce angesichts der Untätig-
keit der Regierungen des Globalen Nordens. Der Jesuit und Umweltwissenschaftler
Pedro Walpole von den Philippinen fordert: Hört auf die Stimme der Jugend!

D
        ie Verletzlichkeit unserer Welt und die   in Asien steigt der Meeresspiegel kontinu-
        gegenwärtigen Risiken sind nicht zu       ierlich, es entstehen immer mehr Taifune.
        übersehen: vom Amazonas und Ame-          In Afrika nehmen die Dürreperioden zu,
rika über die Landmassen Afrikas, Europas         als Folge drohen immer mehr Unbeständig-
und Asiens bis hin zum Pazifischen Ozean, wo      keit in der Nahrungsmittelproduktion und
sich das andere Drittel der Erde befindet. Wir    Perspektivlosigkeit für junge Menschen. In
können nicht einfach weiter dabei zusehen,        Lateinamerika steht der Verlust des Amazo-
wie sich anderswo die Katastrophen häufen,        nasgebiets im Mittelpunkt. Landwirtschafts-
und unsere vermeintlichen Sicherheiten als        konzerne sind für den großflächigen Verlust
nachhaltig betrachten.                            der Wälder verantwortlich, und der Bergbau
                                                  setzt sich in allen Regionen über die Rechte
Welt aus den Fugen                                und Bedürfnisse der Urbevölkerung hinweg
                                                  und missachtet den Schutz der Ökosysteme.
Dreh- und Angelpunkt dieser Katastrophen          In Europa, in den Vereinigten Staaten und in
ist die Klimakrise: Im Pazifischen Ozean und      Australien nimmt die Häufigkeit von Über-

12   jesuitenweltweit
SOZIAL-ÖKOLOGISCHE TRANSFORMATION

schwemmungen und Waldbränden zu, als             Warum sind wir nicht schockiert? Was muss
Kette extremer Ereignisse.                       geschehen, um uns wachzurütteln? Wir müs-
                                                 sen uns jetzt fragen: Was bedeutet es, in der
Im Mittelpunkt der Maßnahmen gegen die           Zukunft zu leben?
Klimakrise stehen, die Zusammenkünfte und
Berichte der Weltklimakonferenz der Verein-      Kosten explodieren
ten Nationen, der so genannte COP-Prozess.
Nach COP26 in Glasgow 2021 tickt die Uhr         Das Getöse des globalen Nordens mit den Kli-
unerbittlich weiter in Richtung COP27. Die-      mazusagen auf der COP26 ist nichts als eine
se „Conference of the Parties“ wird vom 7.       leere Hülle von Zusagen ohne national bewil-
bis zum 18. November 2022 im ägyptischen         ligte Budgets. Das einstige Juwel in der Krone
Scharmasch-Schaich stattfinden. Für die glo-     der Klimafinanzierung, die jährliche Bewil-
bale Zivilgesellschaft indes, insbesondere für   ligung von 100 Milliarden Dollar, ist jetzt ein
die indigenen Gemeinschaften, sind die Ver-      Symbol für das Versagen der reichen Nati-
einten Nationen und alle ihre Organe, ein-       onen, der dramatischen Entwicklung Rech-
schließlich des Verhandlungsprozesses auf        nung zu tragen und wichtige Mittel für den
den COPs, weit davon entfernt, den Traum von     Klimaschutz zu mobilisieren. Die Münchener
Frieden und Gerechtigkeit in der Welt wahr zu    Rückversicherungs-Gesellschaft schätzt die
machen, sowohl politisch als auch wirtschaft-    Schäden der Überschwemmungskatastrophe
lich. Zur bitteren Wahrheit werden für sie       vom Juli 2021 allein für Deutschland auf 40
stattdessen Armut, Zerstörung von Lebens-        Milliarden Dollar und weltweit auf 280 Milli-
räumen und Schwächung von Demokratien.           arden Dollar bis zum Jahresende. Die zugesag-
                                                 ten 100 Milliarden Dollar sind nur ein Tropfen
                                                 auf den heißen Stein, während die Kosten für
Auch hinter dem Krieg in der Ukraine             Schadensbegrenzung explodieren.
verbirgt sich die Macht des Marktes,
die über den Menschenrechten und                 In Glasgow haben die Vereinigten Staaten, das
den Klimazielen steht.                           Vereinigte Königreich und die Europäische
                                                 Union die Mittel zur Schadensbegrenzung
                                                 sogar blockiert und sich lediglich dazu ver-
Das Gerangel um Erdgaslieferungen in Europa      pflichtet, technische Hilfe für gefährdete Län-
und den Vereinigten Staaten, das Massengrab      der zu finanzieren.
in der ukrainischen Stadt Butscha und der
virtuelle Auftritt des ukrainischen Präsiden-    Im Bereich der erneuerbaren Energien wer-
ten Wolodymyr Selenskyj bei der Grammy-          den die Herausforderungen enorm sein: die
Verleihung haben die Veröffentlichung des        Energieerzeugung von kohlenstoffarmen
dritten Teils des Sechsten Sachstandsberichts    Methoden weiter auszubauen und die Ver-
zum Klimawandel in den Schatten gestellt.        fügbarkeit von Speicher-Infrastruktur und
Der UN-Generalsekretär António Guterres          Elektromobilität zu gewährleisten. In der EU
hat seinen Aufruf erneuert: „Wenn wir jetzt      stammten 2020 nur 22 Prozent der erzeugten
nicht handeln, wird die Welt unbewohnbar         Energie aus erneuerbaren Quellen. Der welt-
sein.“ Ein Echo der leidenschaftlichen Ap-       weite Verbrauch fossiler Energieträger, ins-
pelle der kleinen Inselstaaten auf der COP26.    besondere von Kohle, steigt trotz des rasanten

                                                                         jesuitenweltweit 13
SOZIAL-ÖKOLOGISCHE TRANSFORMATION

Anstiegs der Nutzung erneuerbarer Energien         zen, müssen wir uns alle freimachen von tief
weiter an. Grund dafür ist die Sorge um die        verwurzelten Einstellungen und Rechtfer-
Energiesicherheit nach der russischen Invasi-      tigungsversuchen, die wir uns im Laufe der
on in der Ukraine und ein gestiegener Bedarf       Zeit angeeignet haben.
nach der Pandemie.
Laut Weltklima-Bericht müssen wir aber die         Wir beobachten massive Veränderungen
globalen Treibhausgasemissionen bis 2030           im Klima und schleichende politische Ver-
um die Hälfte senken, um die globale Erwär-        schiebungen auf der Weltbühne, die die Ge-
mung zu begrenzen, spätestens 2025 müss-           wissheiten der älteren Generation hinfällig
ten sie ihren Höhepunkt erreicht haben. Wie        machen. Veraltete Systeme und Lösungen
aber wollen wir das in drei Jahren, in acht        werden nicht mehr funktionieren, etwa
Jahren erreichen?                                  Kernenergie als „saubere Energie“ zu be-
                                                   trachten. Vor allem die jüngeren Generatio-
Ein neues Bewusstsein                              nen blicken nun über den Tellerrand hinaus.
                                                   Sie wollen ein neues Zuhause erschaffen,
Bukidnon, wo ich lebe, ist mit einem Vermö-        das ihnen gehört, das sozial dynamisch ist,
gen von 18,5 Milliarden Pesos (das entspricht      mit einem integralen Wirtschaftssystem im
etwa 333 Millionen Euro) die fünftreichste         Dienste des Gemeinwohls und der ökologi-
Provinz der Philippinen. Doch die Armuts-          schen Integrität.
quote liegt bei 32,8 Prozent und ist mit 26 Mil-
lionen Armen eine der höchsten im Land. Glo-       Jeden Tag stehe ich um 7 Uhr vor 50 indigenen
bale Agrarkonzerne übernehmen die Macht            Jugendlichen, die in unseren Arbeitsteams für
im Hochland, wo die einheimischen Bauern           Bambusanbau, Wiederaufforstung, Lebens-
Mais für ihr Vieh anbauen. Der anhaltende          mittel-Produktion und Bauarbeiten tätig sind.
Krieg zwischen der Kommunistischen Partei          Sie alle wollen sich weiterbilden und in ihren
und der philippinischen Regierung wird auf         Gemeinden Verantwortung übernehmen.
dem Land der indigenen Bevölkerung ausge-          Auch ich bin jeden Tag dankbar, dass wir 50
tragen: Frieden und Ernährungssicherheit auf       hoffnungsvolle Träumer in unserer eigenen
Mindanao, der zweitgrößten Insel der Philip-       Gemeinschaft haben.
pinen, sind in weiter Ferne.
                                                   Träume wider den Status Quo

Menschen und Gemeinschaften gera-                  Als gläubige Menschen sind wir herausgefor-
ten unter die Räder technokratischer               dert, mit Papst Franziskus zu träumen. Sein
Prozesse und Systeme.                              apostolisches Schreiben „Querida Amazonia“
                                                   („Geliebtes Amazonien“) hat einen klaren Be-
                                                   zug zu Lateinamerika, doch Franziskus teilt
Es besteht die Gefahr, dass Lösungen stereoty-     seine Träume mit uns allen. Er fordert uns
pisiert werden, damit sie in vorgefasste, ver-     auf, unsere Vorurteile und starren Denkwei-
einfachte Ansichten zu komplexen Problemen         sen aufzubrechen, um Träume zuzulassen.
passen, wie dem Rückgang der biologischen          Träume sind eine ernste Angelegenheit, bei
Vielfalt, Armut, Frieden und Klimaflucht. Um       der es um Visionen geht, darum, Freiheit zu
uns mit diesen Realitäten auseinanderzuset-        spüren und dem Status Quo zu trotzen.

14 jesuitenweltweit
SOZIAL-ÖKOLOGISCHE TRANSFORMATION

Wie können wir mit diesen Träumen voran-
kommen?

Verschiedene Jugendgruppen und kirchliche
Bewegungen in der Pazifikregion arbeiten
zusammen und gestalten aktiv die Entwick-
lungdes Wandels. Wie zersplittert die Welt
auch sein mag es gibt viele Möglichkeiten zu-
sammenzuarbeiten und neue Stimmen einzu-
bringen. Die Organisationen „Ecojesuit“, „River
Above Asia“ und „Oceania Ecclesial Network“
nutzen diese Möglichkeiten durch die Koope-
ration mit Netzwerken für soziale Gerechtig-
keit und andere Aktionsfelder. Gleichzeitig
ermutigen wir die indigene Jugend, neue Wege
aufzuzeigen und ihren Gemeinschaften dabei
zu helfen, Lösungen zu definieren und zu ge-
stalten, die in ihrer Kultur verwurzelt sind.

Deshalb ist es wichtig, mit den Jugendlichen zu-   Nicht nur auf den Philippinen: Agrarkonzerne bedrohen
sammenzukommen und ihnen zuzuhören, um             kleinbäuerliche Landwirtschaft.
den Weg in die Zukunft zu erkunden. Dies ist
auch eine Gelegenheit, sich in Bescheidenheit      zu üben und sich selbst eine einfache Freude
                                                   zu gönnen: sich zu engagieren und seine Fä-
                                                   higkeiten weiterzugeben.

                                                   Die Stimmen und Visionen junger Menschen
                                                   finden weltweit Gehör, zusammen mit den
                                                   Geschichten von Millionen marginalisier-
                                                   ter Menschen. „Fridays for Future“, „School
                                                   Strike 4 Climate“ und die „Pacific Climate
                                                   Warriors“ fordern zusammen mit anderen
                                                   jungen Klimaaktivist:innen einen tiefgrei-
                                                   fenden sozial-ökologischen, wirtschaftli-
                                                   chen und finanzpolitischen Wandel, der von
                                                   uns allen eine starke Hoffnung erfordert.
                                                   Sich voll und ganz auf die Vielfalt der Welt,
                                                   die aktuellen Herausforderungen und die
                                                   wichtigen Forderungen der Jugend einzulas-
                                                   sen, ist wie an der Schönheit und Gnade eines
                                                   neuen Sonnenaufgangs teilzuhaben.
Ob in Amazonien oder anderen Weltregionen:
Die Jugend fordert einen Paradigmenwechsel.                                            Pedro Walpole SJ

                                                                               jesuitenweltweit 15
EDITORIAL

„Es ist gefährlich, Christ zu sein“
44 Jahre nach seiner Ermordung wurde der Jesuit Rutilio Grande in El Salvador selig­
gesprochen. Martin Maier SJ, früherer Mitarbeiter von jesuitenweltweit, heute
Geschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, nahm an der Feier teil.

A
       uf diesen Tag hatte Pater Salvador         Aguilares lebte die überwiegende Mehrheit der
       Carranza jahrelang zugelebt: die Se-       Menschen in bitterster Armut. Der Boden war
       ligsprechung seines Freundes Rutilio       im Besitz von einigen wenigen Großgrundbe-
Grande in San Salvador. Zusammen mit drei         sitzern. Für Grande war klar, dass Gott dieser
Mitbrüdern machte er sich am 22. Januar           Situation nicht gleichgültig gegenüberstand.
2022 auf den Weg zum Platz „Salvador del
Mundo – Erlöser der Welt“.
                                                  „Gott liegt nicht im Himmel weit
Kardinal Gregorio Rosa Chávez erinnerte in        oben in einer Hängematte, sondern
seiner Predigt an die 75.000 zivilen Opfer des    er ist mitten unter uns. Für ihn ist es
Bürgerkriegs in El Salvador. Für sie stünden      wichtig, ob es den Armen hier unten
stellvertretend die vier neuen Seligen: Rutilio   schlecht geht oder nicht.“
Grande, seine Begleiter Manuel Solórzano und
Nelson Rutilio Lemus sowie der Franziskaner
Cosme Spessotto. Dann setzte sich eine Pro-       Im Mittelpunkt ihres pastoralen Konzepts
zession mit Reliquien in Glasschreinen in Be-     stand die aktive Beteiligung der Gläubigen am
wegung. Salvador Carranza folgte tief bewegt      Leben der Gemeinde. Die Keimzelle des Neu-
dem Schrein mit einem Taschentuch von Ru-         aufbruchs lag in den Gruppen, die miteinander
tilio Grande, das von seinem Blut getränkt war.   die Bibel lasen. Dabei ging es darum, das Wort
                                                  Gottes mit dem Leben der Menschen in Ver-
Er dachte zurück an den September 1972, als er    bindung zu bringen. Die Gruppen folgten dabei
zusammen mit „Tilo“ in dem Bauerndorf Agui-       dem aus der christlichen Arbeiterjugend kom-
lares begonnen hatten, eine bewusstseinsbil-      menden Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln.
dende und befreiende Pastoral umzusetzen. In      Rutilio Grande bildete mit seinem Pastoralteam

16   jesuitenweltweit
EL SALVADOR

Männer und Frauen zu „Delegados de la palab-
ra“, zu Boten des Wortes aus, die auszogen, um
neue Gruppen ins Leben zu rufen.
Auf diesem Weg entfaltete der Glaube eine
soziale und politische Wirksamkeit. Grande
ermutigte die Bauern, sich gewerkschaftlich
zu organisieren und ihre Rechte auf ein men-
schenwürdiges Leben einzufordern. Auch
andere Priester folgten diesem Beispiel. Doch
damit sahen die Großgrundbesitzer ihre Inte-
ressen bedroht. So begann die Verfolgung der
Kirche in El Salvador.
                                                     Martin Maier SJ (links) mit Salvador Carranza SJ
„Wehe euch, ihr Heuchler!“                           vor der Seeligsprechung von Rutilio Grande.

Am 13. Februar 1977 fand in Apopa eine Protest-
demonstration mit über 6.000 Teilnehmern             Die Bekehrung des Erzbischofs
statt. Bei der abschließenden heiligen Messe
hielt Rutilio Grande eine flammende Predigt.         Auch wenn Rutilio Grande ein Freund Rome-
Unerschrocken stellte er fest: „Es ist gefährlich,   ros war, so stand dieser seinem Engagement in
Christ zu sein in unserer Mitte!“ Er zitierte        Aguilares distanziert gegenüber. Doch wie er
Statistiken über das Elend in El Salvador. Dann      jetzt vor dem Leichnam Rutilio Grandes stand,
fuhr er fort: „All dies kleiden wir heuchlerisch     wurde Oscar Romero im Innersten erschüttert.
in prunkvolle Werke, wehe euch, ihr Heuchler,        Er ließ sich das schlichte Zimmer Rutilios zei-
die ihr euch lauthals Katholiken nennt.“             gen und murmelte vor sich hin: „Er hat wirk-
Es dürfte diese Predigt gewesen sein, die Ru-        lich arm gelebt.“ Romero entschied, mitten in
tilio Grandes Todesurteil besiegelt hat. Am 12.      der Nacht eine Messe zu feiern.
März 1977 wurde er zusammen mit seinen zwei
Begleitern auf dem Weg zu einem Gottesdienst         Papst Franziskus war die Seligsprechung von
aus einem Hinterhalt ermordet. Auftraggeber          Rutilio Grande so wie schon die Heiligspre-
waren die Großgrundbesitzer.                         chung von Oscar Romero 2018 ein besonderes
                                                     Anliegen. Und Vieles, was heute auf der Agen-
Salvador Carranza dachte zurück, wie ihn an          da der Erneuerung der Kirche in Lateiname-
jenem Abend im Pfarrhaus von Aguilares die           rika und der Karibik steht, hat Rutilio Grande
Nachricht von den Morden erreichte. Er war           schon vorweggenommen: den missionarischen
fassungslos. Eigentlich wollte er zusammen mit       Neuaufbruch, die neue Beteiligung der Laien,
Rutilio in die Filialgemeinde von El Paisnal fah-    die Würdigung der indigenen Traditionen,
ren. Doch Carranza hatte sich verspätet –des-        den prophetischen Beitrag der Kirche zu poli-
wegen war er noch am Leben. Als die drei blu-        tischen und strukturellen Veränderungen. So
tenden Leichname in Aguilares eintrafen, half        sind die Seligsprechungen vom 22. Januar ein
er mit, sie in Leintücher zu hüllen. Er erinnerte    Signal der Ermutigung für die Kirche Latein-
sich auch noch, wie in der Nacht der neuer-          amerikas auf ihrem Weg der sozialen, kultu-
nannte Erzbischof Oscar Romero eintraf.              rellen, ökologischen und synodalen Umkehr.

                                                                                  jesuitenweltweit 17
Ein Signal an die Jugend
         Nach dem Putsch vom Februar 2021 steckt Myanmar in einer tiefen Krise.
         Die Jesuiten stehen weiter an der Seite der Ärmsten und setzen ihre
         Bildungsprogramme fort.

         A
                 m 1. Februar 2021, als Myanmar unter     Die UNO schätzt, dass mindestens 1.600 Zi-
                 immer mehr COVID-Erkrankungen            vilistinnen und Zivilisten ums Leben kamen
                 und den Auswirkungen der Aus-            und viele weitere verwundet wurden, dass
         gangssperren auf Bildung und Wirtschaft litt,    mindestens 5.600 Häuser zerstört wurden,
         stürzte das Militär die gewählte Regierung.      und noch viele weitere Menschen verwun-
         Die Bevölkerung aber wollte nicht akzeptie-      det wurden. Und dass der Konflikt 520.000
         ren, dass die Demokratie bereits nach der        neue Binnenvertriebene geschaffen hat, zu-
         zweiten Wahl abgeschafft werden sollte, und      sätzlich zu den 370.000 aus dem Krieg gegen
         widersetzte sich der Machtübernahme mit zi-      ethnische Minderheiten vor dem Putsch. All
         vilem Ungehorsam und Streiks.                    diese traurigen Zahlen steigen jeden Monat
                                                          weiter an.
         Trotz des friedlichen Charakters der Proteste
         versuchte das Militär, die Zivilbevölkerung      Um zwanzig Jahre zurückgeworfen
         mit außergewöhnlicher Brutalität zu unter-
         drücken. Die Gräueltaten reichten von der        Die geschlossenen Fabriken und Büros, die ge-
         Erschießung von Demonstrierenden bis hin         schlossenen Schulen und Universitäten, eine
         zu Luftangriffen auf Städte und Dörfer. In ei-   Nahrungsmittelinflation von 30 Prozent bin-
         nem Fall wurden sogar Menschen verbrannt,        nen zwölf Monaten und die durch das Militär
         die in einer Kirche Schutz gesucht hatten.       geschaffene Unsicherheit wirken sich verhee-

         18    jesuitenweltweit
Kleidung Geflüchteter in Bar Elias, Libanon.
MYANMAR

rend auf die Gesellschaft aus. Die Wirtschaft     erfolgreiche Saison für MAGIS, ein spirituelles
ist nahezu zusammengebrochen, und fast die        Bildungsprogramm, das jungen Menschen je-
Hälfte der Bevölkerung lebt jetzt in Armut.       suitische Werte und Wahrnehmung vermittelt.
Dies wirft die humanitäre Entwicklung und
die Wirtschaft um 20 Jahre zurück. Mehr als       In Nanhlaing im Bundesstaat Kachin wurde
die Hälfte der 56 Millionen Einwohner ist un-     ein Wohnheim für 50 Mädchen aus abgelege-
ter 30 Jahre alt, und 16 Millionen Schulkinder    nen Gebieten errichtet, die zur Ausbildung in
haben praktisch zwei Schuljahre versäumt. Es      die Gemeinde kommen, dazu ein neuer Kon-
ist daher besonders besorgniserregend, dass       vent für die Schwestern, die vor Ort arbeiten.
ein Ende des Konflikts nicht in Sicht ist. Vie-
le junge Menschen sind verzweifelt, weil sie      In Taunggyi findet in verschiedenen Stadttei-
keine Zukunft für sich sehen, und der Impuls      len Unterricht für Binnenflüchtlingskinder
vieler ist, gegen die Junta zu kämpfen, selbst    statt, unter anderem auf dem Dach des Kan-
wenn es sie das Leben kostet.                     didatenhauses der Jesuiten. Die Pläne für den
                                                  Ausbau einer Schule in Taunggyi wurden trotz
Nothilfe, Exerzitien, Bildung                     des Putsches vorangetrieben, und das neue Ge-
                                                  bäude soll noch dieses Jahr eröffnet werden.
Was war die Antwort der Jesuiten in dieser he-
rausfordernden Zeit? Da sie an der Seite der      Zusammen mit den anderen Werken der Jesu-
Ärmsten stehen, liegt ihr Fokus immer darauf,     iten ist dies ein deutliches Signal an die jun-
sich mit den am stärksten Betroffenen zu soli-    gen Menschen. Die Jesuiten sind zuversicht-
darisieren. Zum Zeitpunkt des Putsches waren      lich, dass es trotz aller Widrigkeiten eine gute
die Jesuiten an Nothilfemaßnahmen beteiligt,      Zukunft für das Land geben wird.
um die Auswirkungen der Pandemie abzufe-                                              Thomas Wolf
dern. Hinzu kam eine neue Fokussierung auf
die geistlichen Aspekte ihrer Arbeit, insbe-
sondere zur Unterstützung der Menschen, die
große Belastungen ertragen: Viele Exerzitien
wurden online abgehalten. Der Apostolische
Plan der Jesuiten räumt der Jugend Myanmars
besondere Priorität ein und wird dem großen
Bedarf an Bildung Rechnung tragen.

Neue „Community Colleges“ wurden ins Le-
ben gerufen, auch wenn Ausgangssperren
die Eröffnung an einigen Standorten verzö-
gert haben. Das „Myanmar Leadership Insti-
tute“ und das „Campion College“ bieten wei-
terhin Online-Kurse an, u.a. auf Grundlage
des Fernunterrichtsmaterials, das von Jesuit
Worldwide Learning entwickelt wurde.
Online-Unterricht und Online-Treffen waren        Der frühere Analyst Thomas Wolf ist durch viele persön-
auch von zentraler Bedeutung für eine sehr        liche Kontakte Myanmar und den Jesuiten verbunden.

                                                                              jesuitenweltweit 19
Insel am
Abgrund

  Durch die Pandemie und fatale politische Fehlentscheidungen droht Sri Lanka
  im Chaos zu versinken. Eine Task Force der Jesuiten koordiniert landesweit
  Nothilfemaßnahmen.

  S
         ri Lanka befindet sich in einer aku-      Hunger zu entgehen. Die Reise ist gefährlich,
         ten Wirtschaftskrise: Die Devisenre-      immer wieder werden Flüchtende in Seenot
         serven sind erschöpft, die Vorräte an     von der indischen Küstenwache gerettet.
  Treibstoff, Lebensmitteln, Medikamenten,
  Zement und anderen wichtigen Gütern wer-         Auslöser des schlimmsten wirtschaftlichen
  den knapp. Die Regierung ist zuversichtlich,     Zusammenbruchs seit der Unabhängigkeit
  dass sie die Krise bald überwinden wird.         1948 sind die Pandemie und ihre Folgen sowie
  Aber alles – einschließlich der Auswirkun-       die unzureichende politische Reaktion der Re-
  gen des Krieges zwischen Russland und der        gierung. Im Jahr 2020 wurde der Tourismus
  Ukraine – deutet darauf hin, dass wirtschaft-    als einer der wichtigsten Devisenbringer Sri
  liche Erholung in weiter Ferne ist. Jetzt geht   Lankas schwer beschädigt, was zu einer Dol-
  es ums Überleben.                                larkrise führte. Zehntausende stehen mittler-
                                                   weile stundenlang vor Tankstellen Schlange.
  Stromausfälle, Treibstoffmangel,                 Außerdem sind die Menschen täglich mit
  Schlangestehen                                   Stromausfällen konfrontiert.

  Die katastrophale wirtschaftliche Lage Sri       Warten auf den „absoluten Absturz“
  Lankas treibt die Bevölkerung in den Ab-
  grund. Tausende versuchen, mit Fischerboo-       Nur Linsen, Reis und Tee ohne Milch: Die
  ten an die indische Küste zu fliehen, um dem     Mahlzeiten von Helen Perinpanayagam, einer

  20 jesuitenweltweit
SRI LANKA

Friseurin, ihrem Ehemann, einem Taxifah-         vor der COVID-19-Pandemie in Kraft traten.
rer, und ihren vier kleinen Kindern werden       Laut IWF ist die Staatsverschuldung auf ein
immer karger: „Da es kaum Gas zum Kochen         „unhaltbares Niveau“ angestiegen.
gibt und der Strom abgestellt ist, bereiten
wir unsere Mahlzeiten im Freien über Holz-       Aktionsplan der Jesuiten
feuer zu.“ Eine Treppe in ihrem Haus führt
zu einem unfertigen zweiten Stock: Die Be-       Die Jesuiten in Sri Lanka leisten kontinuier-
tonpreise sind zu hoch, um weiterzubauen.        lich Unterstützung für Familien, die von der
Wie viele Landsleute fragen sie sich: „Wann      Krise betroffen sind. Eine Task Force, beste-
kommt der absolute Absturz?“ Schulprüfun-        hend aus drei Jesuiten, wurde eingerichtet,
gen werden wegen Papierknappheit verscho-        um die Arbeit zu koordinieren. Diese Task
ben. Das Land lebt praktisch von der Hand in     Force stimmt sich mit den Katastrophenma-
den Mund und ist zunehmend von ausländi-         nagement-Teams der einzelnen Kommunitä-
scher Hilfe abhängig.                            ten ab. Die Teams vor Ort besuchen Familien
                                                 und evaluieren die Bedürfnisse. Im Fokus ste-
Sri Lankas Selbstverständnis als aufstreben-     hen insbesondere Selbstständige im informel-
der Wirtschaftsstandort ist erschüttert.         len Sektor, Familien mit Kindern unter 5 Jah-
                                                 ren sowie ältere und behinderte Menschen.
500.000 unterhalb der Armutsgrenze
                                                 Vorrangiges Ziel ist es, die grundlegende Ver-
Auch die Kosten für den Anbau von Reis sind      sorgung mit Lebensmitteln zu gewährleisten.
astronomisch gestiegen. Die Regierung hat        Mit ihr sinkt auch das Risiko für Erkrankun-
kein Geld für Düngemittelsubventionen. Die       gen und häusliche Gewalt. Und es geht dabei
Weltbank schätzt, dass seit Beginn der Pan-      auch darum, menschliche Arbeitskraft so gut
demie 500.000 Menschen unter die Armuts-         wie möglich zu schützen, damit Sri Lanka
grenze gefallen sind, was einem Rückschritt      weiterhin über eine qualifizierte Arbeitneh-
von fünf Jahren bei der Armutsbekämpfung         merschaft verfügt.
entspricht. Die Situation ist so schlimm ge-
worden, dass sich lange Schlangen vor den        Die Wirtschaft Sri Lankas liegt nun am Boden.
Passämtern gebildet haben, da jeder vierte Sri   Die indische Nothilfe für den Handel wird es
Lanker das Land verlassen möchte, vor allem      ermöglichen, die Krise noch etwa einen Mo-
junge und gebildete Menschen.                    nat lang zu überstehen. Aber wenn die Mittel
                                                 erst einmal erschöpft sind, sieht die Zukunft
Die Krise wurzelt in der Misswirtschaft der      des Landes düster aus. Die gegenwärtige He-
Vor-Corona-Zeit: „Sri Lanka ist eine klas-       rausforderung besteht darin, eine Lösung zu
sische Zwillingsdefizit-Wirtschaft“, heißt       finden, um katastrophale soziale und politi-
es in einem Arbeitspapier der Asiatischen        sche Verwerfungen zu verhindern.
Entwicklungsbank von 2019. Neben einem
Haushaltsdefizit ist auch die Produktion von                                      Roy Fernando SJ,
Handelswaren und Dienstleistungen unzu-           Direktor für Entwicklung der Jesuiten in Sri Lanka
reichend. Beschleunigt wurde die Krise durch
Steuersenkungen, die die Regierung im Wahl-        Unterstützung für die Jesuiten in Sri Lanka:
kampf 2019 versprochen hatte und die Monate        jesuitenweltweit.de/SriLanka

                                                                          jesuitenweltweit 21
Rechenschaft 2021
der Jesuitenmissionen Deutschland und Österreich

Solidarisch für Veränderungen

Z
        um dritten Mal finden Sie im Sommer-      geschrieben hat. Einladung zu Umkehr, Er-
        heft von jesuitenweltweit in Österreich   neuerung und Transformation sollen sie
        und Deutschland einen Jahresrück-         sein. Als Bezugspunkt und Horizont für un-
blick, der – auch – von den Auswirkungen der      seren Einsatz bleiben sie uns und unseren
Corona-Pandemie geprägt ist. „Gemeinsam“          Projektpartner:innen Herausforderung auch
und „solidarisch“ waren auch Schlagworte der      für die kommenden Jahre.
Überschriften der letzten beiden Rückblicke.
Gerne möchte ich sie für 2021 mit dem Wort        Konkret wurde daraus die Gründung des So-
„Veränderungen“ vervollständigen. Denn die        zial-Ökonomischen Zentrums der zentraleu-
vergangenen drei Jahre haben uns sehr deut-       ropäischen Provinz der Jesuiten in Nürnberg:
lich gemacht, wie wichtig Gemeinschaft und        ein Ort, der vernetzen soll und Antworten
Solidarität, aber auch der entschiedene Ein-      geben auf die notwendigen Fragen einer um-
satz für Veränderung sind.                        fassenden gesellschaftlichen Transformation.

Mehr als „etwas tun“                              Hoffnungszeichen setzen

Die universellen apostolischen Präferenzen        „Wir müssen radikale Zeichen setzen. Nur
des Jesuitenordens (UAPs) haben uns 2021          wenn Zeichen auch radikal sind, können
als Jahresthema durch das Magazin und un-         sie Menschen Hoffnung geben“, lautete ein
sere Projektarbeit begleitet: einen Weg zu        Wortbeitrag beim europäischen Treffen der
Gott finden, an der Seite der Benachteilig-       jesuitischen Sozialwerke im März dieses
ten gehen, mit jungen Menschen unterwegs          Jahres in Loyola im spanischen Baskenland:
sein in eine hoffnungsvolle Zukunft und in        radikal nicht im Sinne eines Extremismus,
der Sorge um die Schöpfung, unser gemein-         sondern im Bemühen, sich ganz grundle-
sames Haus, zusammenarbeiten. Die UAPs            gend, mit vollem Einsatz, für tiefgreifende
sollen uns anregen, mehr als „etwas zu tun“,      Veränderungen einzusetzen. Viele solcher
wie Klaus Väthröder SJ im vergangenen Jahr        Hoffnungszeichen konnten wir mit unseren

22 jesuitenweltweit
Projektpartner:innen dank Ihrer Unterstüt-      Dringlichkeit der Veränderungen
zung setzen. Der Neustart von CONCORDIA
Tranzit im Kosovo und die Zusammenarbeit        Der Jahrgang unserer Jesuit Volunteers, die
zwischen der technischen Hochschule in          ihre Freiwilligen-Einsätze im Frühjahr 2020
München und der St. Rupert’s Highschool         wegen Corona abbrechen mussten, steht in
in Simbabwe sind nur zwei von vielen Bei-       besonderer Weise mit uns in Verbindung.
spielen. In Haiti werden nach dem Erdbeben      Sie haben an ihren Einsatzorten in Kambo-
neue, erdbebensichere Häuser mit den und        dscha, in Indien und Mexiko die Auswirkun-
für die Familien gebaut, die ihr Zuhause ver-   gen der Klimakrise vor allem auf die ärmere
loren haben. Psychosoziale Begleitung und       Bevölkerungsgruppen erlebt. Ihnen ist die
Ausbildungsangebote ergänzen das Gesamt-        Notwendigkeit von tiefgreifenden Verände-
paket, das einen Neustart ermöglicht.           rungen für eine gute Zukunft auch ihrer Ge-
                                                neration sehr bewusst.
Im 2021 besonders von der zweiten Corona-
welle betroffenen Indien haben unsere Part-     Den Weg gemeinsam gehen
nerinnen und Partner Impf-Aktionen orga-
nisiert. Außerdem, so schreibt z. B. Joseph     Diese Erfahrung der eigenen Betroffenheit
Victor SJ aus Darjeeling, war es möglich,       und der Dringlichkeit von Veränderungen
Kindern, deren Eltern durch Corona arbeits-     angesichts der weltweiten Auswirkungen
los wurden, den Schulbesuch zu finanzieren.     von Pandemie, Klimakrise und jetzt auch des
                                                Krieges in der Ukraine machen wir alle in der
In Myanmar und Afghanistan sind die             einen oder anderen Weise. Jetzt gilt es, Wege
Präsenz und Unterstützung durch unsere          der Veränderung zu suchen und gemeinsam
Projektpartner:innen Hoffnungsanker für         zu gehen.
viele Menschen unter schwierigsten Lebens-
bedingungen. In jüngster Zeit kamen noch        Danke für alle Unterstützung und Verbun-
die Nothilfe-Programme in Sri Lanka und         denheit auf diesem Weg!
der Ukraine hinzu. Auch hier bleiben wir vor
Ort, so lange es möglich ist ist – und unter-                                     Katrin Morales,
stützt durch Ihre Hilfe.                        Geschäftsführerin von jesuitenweltweit Österreich

                                                                         jesuitenweltweit 23
Es ist ein langer Weg
Bildung für alle zu einer Selbstverständlichkeit machen: Das ist das große Ziel
von CONCORDIA Tranzit in Prizren/Kosovo. Das Betreuer-Team aus Psychologin-
nen, Lehrkräften und Sozialarbeitern wächst.

Eingefahrene Strukturen haben den All-
tag der Bewohner:innen von Tranzit, einem       „Mittlerweile besuchen die ersten
Stadtteil im kosovarischen Prizren, lange ge-   vier Kinder aus dem Sozialzentrum
prägt. Die meisten gehören dem Volk der Ash-    die höhere Schule. Das ist ein großer
kali an. Buben und Männer arbeiten, während     Erfolg, an den 2016 noch niemand
junge Frauen früh schwanger werden und          geglaubt hätte. Sie sind jetzt Vorbilder
sich der Hausarbeit widmen. Bildung war in-     und Motivation für die jüngeren
mitten aller Probleme eher Nebensache. Aus      Kindern aus der Nachbarschaft,
diesen Strukturen auszubrechen ist schwer,
                                                diesem Weg zu folgen.“
vielleicht unmöglich, wenn man nichts an-
                                                 Bardhyl Metkamberi, Leiter des Zentrums
deres kennt. Im Sozialzentrum CONCORDIA
Tranzit lernen die Kinder, dass es auch einen
anderen Weg gibt: den der Bildung. Dort sind    Der Schulabschluss ist für viele von ihnen
Lehrkräfte auch in den Ferien präsent, die      nicht das Ende. Einer der Freiwilligen aus
Kinder haben stets Zugang zu Bildungsan-        Tranzit – es sind meist Jugendliche, die die
geboten wie Englischunterricht, Tanzkursen      Schule abgebrochen haben und gegen eine
oder Musikunterricht.                           kleine Vergütung mithelfen – ist mittlerweile
                                                an der Fakultät für Musik an der Universität
Viele Gespräche mit den Familien, die Zusam-    Pristina eingeschrieben.
menarbeit mit Freiwilligen und das Wirken
eines Teams aus Sozialarbeitern, Psycholo-
ginnen und Lehrkräften tragen zu einem Um-      Mit insgesamt 80.000 Euro haben jesuiten-
denken bei. Bildung ist nicht mehr abstrakt     weltweit Österreich und Deutschland das Pro-
– sie wird zur Option.                          jekt im vergangenen Jahr unterstützt.

24 jesuitenweltweit
Die Stimme der Stimmlosen
Graswurzelbewegung und Aktionsplattform: „Lok Manch“ gibt ausgegrenzten
Menschen in ganz Indien eine Stimme.

Ein Christ zu sein, eine Muslima, einer nied-   den einst Stimmlosen landesweit eine kräfti-
rigen „Kaste“ anzugehören oder als Adivasi,     ge Stimme zu geben. Lok Manch ermutigt und
Angehöriger eines indigenen Stammes, zu         befähigt die Menschen, fundamentale Rechte
leben, wird in Indien zunehmend härter. Das     wie den Zugang zu Bildung und Trinkwasser
politisch-gesellschaftliche Klima ist unter     zu erstreiten und den Kampf gegen Unge-
dem Primat eines aggressiven Hindu-Nati-        rechtigkeit und Korruption aufzunehmen.
onalismus rau geworden für Minderheiten.
Gewalt, Diskriminierung und institutionelle
Ausgrenzung sind trauriger Alltag.              „Seitdem ich im Komitee von Lok
                                                Manch bin, fühle ich mich befähigt
„Lok Manch“ (dt.: Forum des Volkes) ist eine    und ermutigt, anderen in meinem
Graswurzelbewegung, die dem Einhalt gebie-      Dorf zu helfen und Verantwortung zu
ten will und sich stark macht für Pluralismus   übernehmen.“
und Demokratie: als „nationale Plattform zur        Roopa Siddi (29, Lok Manch-Delegierte)
Förderung der Würde und des Wohlergehens
marginalisierter Menschen in Indien“. Lok
Manch vereint 100 jesuitische und säkulare      Direktes Ziel von Lok Manch ist, die Lebens-
Organisationen in zwölf indischen Bundes-       qualität von bis zu 300.000 Familien in ganz
staaten und 15 Jesuitenprovinzen.               Indien zu verbessern. Entscheidend ist hier
                                                die Arbeit von über 3.000 verantwortlichen
Neben der Vernetzung von Einzelpersonen,        Aktivist:innen vor Ort, von denen 50 Prozent
Communities und NGOs und dem Empower-           Frauen sind.
ment durch Workshops und Rechtsberatung
geht es bei Lok Manch um direkte politische     2021 haben wir die Arbeit von Lok Manch dank
Intervention, darum, sich einzumischen und      Ihrer Hilfe mit 78.00 Euro gefördert.

                                                                      jesuitenweltweit 25
Aufatmen!
Die zweite Corona-Welle ließ 2021 Indiens Gesundheitssystem kollabieren. Mit Ihrer
Unterstützung haben unsere Partnerorganisationen vielen Armen das Leben gerettet.

Hohe Infektionszahlen und strenge Lockdowns
blieben der Welt auch im zweiten Corona-Jahr     „Nach meiner Diagnose hatte ich
nicht erspart. In Indien, das sich im Mai 2021   Todesangst. So viele Menschen aus
mit mindestens 300.000 Neuinfektionen pro        unserer Gegend haben Covid nicht
Tag einer schweren zweiten Infektions-Welle      überlebt. Nach 21 Tagen Behandlung
gegenübersah, brach die öffentliche Gesund-      im Jesu Ashram Krankenhaus wurde
heitsversorgung zusammen. Landesweit gab es      mir ein zweites Leben geschenkt. Ich
in den Kliniken nicht genug Betten und nicht     bete täglich für alle, die mir halfen“
genug Sauerstoff. Viele Erkrankte lagen auf
                                                      Luli, 68, Angehörige des Santal-Stamms
den Gängen oder mussten gar vor den Kran-
kenhäusern kampieren.
                                                 Viele Familien haben Angehörige verloren,
Nachdem die Regierung NGOs zur Mithilfe          oft jene, die das einzige Einkommen nach
aufgerufen hatte, haben Jesuiten kurzerhand      Hause bringen. Die Essenspakete haben un-
einige zusätzliche Zentren eingerichtet: Im      ser Überleben gesichert“, sagt Sonal Singh
St. Joseph College in Darjeeling zum Beispiel    aus Samjha Colony, einer Gemeinde am Rand
eines mit 50 Betten und ausreichend Sauer-       der Hauptstadt.
stoff, Medikamenten und Lebensmitteln und        Mit dem Abklingen der Welle konnten die
im nahen Matigara eine Einrichtung speziell      Jesuiten erfolgreich Impfaktionen organisie-
für Frauen und Kinder. Dort wurden bis Au-       ren In Darjeeling etwa haben zunächst 1.125
gust letzten Jahres 18 Covid-kranke Frauen       Menschen eine kostenlose Impfung erhalten,
und Kinder betreut. Vier Patientinnen und        in der zweiten Runde 1.500, darunter viele
Patienten aus der Umgebung wurden Sau-           Teepflücker:innen und Studierende.
erstoffzylinder nach Hause geliefert, berich-
tet Julius Kujur SJ, Verantwortlicher im Jesu    Mit Ihrer Unterstützung flossen 1.370.375 Euro
Ashram Krankenhaus.                              in den Kampf gegen die Pandemie.

26 jesuitenweltweit
JESUIT VOLUNTEERS

Marokko: Gestrandet im Transitland
Die Maghreb-Länder sind für viele afrikanische Geflüchtete auf dem Weg nach Euro-
pa vorläufige Endstation. Zwei jesuitische Einrichtungen geben ihnen Perspektiven.

Etwa hunderttausend Menschen, die aus           Im Baraka-Zentrum absolvieren derzeit 120
Afrika und dem Nahen Osten nach Europa          junge Menschen eine Berufsausbildung in
fliehen wollten, sind in Marokko gestrandet,    den Bereichen Gastronomie, Elektronik, Sani-
einem Land, dessen Wirtschaftsleistung und      tärwesen und Management. 300 Jugendliche
Pro-Kopf-Einkommen viel höher sind als in       und junge Erwachsene lernen in Nachmit-
anderen afrikanischen Staaten, das aber vor     tagskursen Französisch, Spanisch und Eng-
allem in seinen ländlichen Regionen unter-      lisch. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der
entwickelt ist. Eine kleine Jesuitenkommu-      Förderung junger Frauen.
nität in Nador im Nordosten des Landes steht
den Geflüchteten und den Einheimischen
bei. Zwei Werke, die Diözesandelegation für     „Es ist in Marokko für Geflüchtete
Migration und das Baraka-Zentrum für Be-        schwierig, medizinische Leistungen
rufsbildung und Integration, sind im Einsatz    in Anspruch zu nehmen. Frauen und
für die Migrantinnen und Migranten sowie        Kinder leiden unter den Umständen.“
für die marginalisierte lokale Bevölkerung          Alvar Sánchez SJ, Projektverantwortlicher
des Maghrebstaats.

In Nador und Oujda, nahe der Grenze zu          In beiden Einrichtungen arbeiten jeweils
Algerien, vermitteln die Jesuiten und ihre      Teams von etwa zwanzig Mitarbeiterinnen
Mitarbeiter:innen Geflüchteten Behandlun-       und Mitarbeitern. Da die Zahl der Geflüch-
gen bei Ärzten und in Krankenhäusern, be-       teten in Nordmarokko stetig wächst, sind die
raten sie und übersetzen. Die Teams betreuen    Jesuiten auf Partner angewiesen, um die Pro-
die Menschen auch in ihrem Alltag. Besonders    gramme zu finanzieren.
Bedürftige finden Schutz und psychosoziale
Unterstützung in der Herberge der Pfarrei St.   2021 konnten wir mit Ihrer Hilfe die Jesuiten in
Louis in Oujda.                                 Marokko mit 50.000 Euro unterstützen.

                                                                        jesuitenweltweit 27
St. Rupert’s: Nachhaltig in die Zukunft
Eine Schule fürs Leben: Im ländlichen Simbabwe bringt St. Rupert’s den Wandel.
Der „Science Block“ festigt die Bedeutung der einzigen High School weit und breit.
Im ländlichen Simbabwe führen nur weni-         der in diesem Jahr fertiggestellt wird. Mit
ge Schulen zur Hochschulreife. Von den 6,3      der Einrichtung des Science Block kann St.
Millionen Jungen und Mädchen im Land le-        Rupert‘s weiter als High School betrieben
ben 4,8 Millionen in Armut, davon 1,6 Mil-      werden. Aktuell arbeiten wir gemeinsam am
lionen in extremer Armut. Fast 15 Prozent       umfassenden Ausbau der Wasserversorgung
der Kinder und Jugendlichen besuchen keine      und der Solarenergie.
Schule. Die Gebühren sind hoch, staatliche
Schulen in schlechtem Zustand, Kinderar-
beit und -prostitution traurige Realität. Co-   „Die neue Infrastruktur bringt nicht
rona hat den Bildungsnotstand verschärft.       nur Energie, sie dient auch der Ausbil-
                                                dung in dieser komplexen Technologie.“
Im abgelegenen Makonde können die                        Dipl.Ing. Mathias Stelmach (lftr e.V.)
Schüler:innen von St. Rupert‘s ihren Traum
wahrmachen und nach dem Abschluss der
High School ein Hochschulstudium begin-         Der Bau einer Mensa sowie ein Jungeninternat
nen. In einer beispiellosen Kooperation mit     sind die Pläne für die kommenden Jahre. In
Wissenschaftlern und Studierenden der TU        der Umsetzung der Projekte zur nachhaltigen
München wurde die St. Rupert Mayer‘s High       Energieversorgung wird St. Rupert’s von einer
School zum echten Standortfaktor. Mit Ihrer     weiteren Gruppe der TU München, dem Ver-
Unterstützung haben wir uns der stetigen        ein TU eMpower Africa, unterstützt. Im Mit-
Weiterentwicklung des Schulcampus ver-          telpunkt stehen Erneuerung und Ausbau der
schrieben. Im Jahr 2021 ist es uns gelungen,    Solarenergie sowie der Bau von Brunnen, die
in Zusammenarbeit mit dem TU-Programm           ebenfalls mit Solarpumpen betrieben werden.
„learning from the roots“ (lftr e.V.) den Bau
eines naturwissenschaftlichen Lernzen-          Im Jahr 2021 konnten wir St. Rupert’s dank Ihrer
trums, des „Science Block“, anzustoßen,         Hilfe mit 84.000 Euro unterstützen.

28 jesuitenweltweit
Sie können auch lesen