Sozial - BruderhausDiakonie

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Sozial - BruderhausDiakonie
Ausgabe 1 I 22

  sozial                                       Das Magazin für Politik, Kirche und
                                               Gesellschaft in Baden-Württemberg

SCHWERPUNKT

  Umweltschonend,                              Aktuelles: Arbeitsbedingungen
                                               familienfreundlich gestalten
  wirtschaftlich, sozial                       Nachrichten: Mit kleinen Kindern
  Nachhaltiges Arbeiten als Unternehmensziel   in Ausbildung und Beruf einsteigen
Sozial - BruderhausDiakonie
INHALT

                        SCHWERPUNKT                            3      Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur verankern
                                                                      Die BruderhausDiakonie orientiert sich an den UN-Nachhaltigkeitszielen

                                                               4      Die Elektromobilität nimmt Fahrt auf
                                                                      Zunehmend nutzt die BruderhausDiakonie Elektro-Autos und -Fahrräder

                                                               6      Es gibt noch viel Verbesserungspotenzial
                                                                      Johanna Gary über die Bemühungen der Diakonie um mehr Nachhaltigkeit

                                                               8      Vom Umwelt- zum Nachhaltigkeitsmanagement
                                                                      Das Umweltmanagementsystem der BruderhausDiakonie hat vieles bewirkt

                                                               10 Wie Bienen und Bäume Menschen verbinden
                                                                  Projekte unterstützen die Artenvielfalt und wirken ins Quartier hinein

                                                               12 Holzprodukte fördern die Artenvielfalt
                                                                  Werkstätten für Menschen mit Behinderung fertigen nachhaltige Produkte

                                                               14 Das Krokolin sorgt für Spaß beim Thema Nachhaltigkeit
                                                                  Schülerinnen und Schüler erproben nachhaltiges Verhalten
                         KOLUMNE
                                                               15 Sich selbst zu ökologischer Verträglichkeit verpflichten
                                                                  Eine nachhaltige Diakonie ist Diakonie für die gesamte Schöpfung
                         AKTUELLES
                                                               16 Säen und ernten im Einklang mit der Natur
                                                                  Landwirtschaftlich arbeiten heißt verantwortungsvoll handeln

                                                               18 Beruf und Familie unter einen Hut bringen
                                                                  Altenhilfe punktet mit familienfreundlichen Arbeitsbedingungen

                                                               20 Schwere Kisten einfach transportieren
                        NACHRICHTEN                               Die BruderhausDiakonie-Fahrradwerkstatt hat ein Cargo-Bike entwickelt

                   SPENDENPROJEKTE                             21 Aktuelles aus der BruderhausDiakonie

                                                               22 Gesund essen in der Oberlinschule
                 DIAKONISCHER IMPULS                              Mit Spenden hat die Oberlinschule ihre Schulverpflegung umgestellt

                                                               24 Gottes Ruf ist eine Befreiung
                                                                  Pfarrerin Katrin Zürn-Steffens,
                                                                  Leitung Theologie und Ethik der BruderhausDiakonie

                         IMPRESSUM
                   Herausgeber                                            Redaktion                                       Fotonachweis
                   Prof. Dr. Bernhard Mutschler, Theologischer Vorstand   Sabine Steininger (verantw.), Martin Schwilk,   Titel, S. 3: Horst Haas; S. 6: Diakonie/Michael Klein; S. 7: Diakonie/
                                                                          Karin Waldner                                   Verena Müller; S. 9: anatoliy_gleb/adobestock; S. 10, S. 16-17:
                   BruderhausDiakonie                                                                                     Ulla Hanselmann; S. 12-13: Andreas Straub; S. 19: Anne Oschwald;
                   Stiftung Gustav Werner und Haus am Berg                Gestaltung und Satz                             S. 23 Jürgen Lippert; S. 24: Andreas Weise; alle anderen: privat oder
                   Ringelbachstraße 211, 72762 Reutlingen                 Mees + Zacke, Susanne Sonneck                   Archiv und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BruderhausDiakonie
                   Telefon: 07121 278-225, Telefax: 07121 278-955
                   Mail: redaktion@bruderhausdiakonie.de                  Druck und Versand                               Spendenkonto
                   ISSN 1861-1281, erscheint dreimal jährlich             Grafische Werkstätte der BruderhausDiakonie,    Evangelische Kreditgenossenschaft Kassel
                                                                          Werkstatt für behinderte Menschen               IBAN DE31 5206 0410 0000 0040 06

2   sozial   1 I 2022
Sozial - BruderhausDiakonie
Nachhaltige Arbeit:
Beschäftigte
pflegen den
Baumlehrpfad.
                                                                                                                         SCHWERPUNKT

Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur verankern
                      Umwelt- und klimaschonendes Verhalten darf sich nicht in Absichtserklärungen
                      erschöpfen. Es muss gelebt werden. Aus dieser Erkenntnis heraus hat die Bruderhaus-
                      Diakonie nachhaltiges Arbeiten in ihre Unternehmensstrategie aufgenommen.

                      Energie einsparen, Verschwendung vermeiden – das          bald klimaneutral zu werden – in Deutschland, in der
                      hat sich die BruderhausDiakonie schon seit Langem         EU und weltweit.“ Die BruderhausDiakonie selbst
                      zum Ziel gesetzt. „Vor über zehn Jahren haben wir         habe sich zum Ziel gesetzt, „spätestens 2035 klima-
                      uns auf den Weg zu einem aktiven Umweltmanage-            neutral zu arbeiten und dabei auch in der Unterneh-
                      ment gemacht und gehören damit zu den Vorreitern          menskultur die Weichen für ein nachhaltiges Arbeiten
                      in der Sozialwirtschaft“, sagt Tobias Staib, Fachlicher   zu stellen – ökologisch, ökonomisch und sozial“.
                      Vorstand der BruderhausDiakonie. Mit diesem Um-           Dieses umfassende Verständnis von Nachhaltigkeit
                      weltmanagement nach dem europäischen Standard             orientiere sich an den Nachhaltigkeitszielen der
                      EMAS (Eco Management and Audit Scheme) hat die            Vereinten Nationen. Jährlich wird die Bruderhaus-
                      BruderhausDiakonie ein ganzes Bündel verschiedener        Diakonie eines dieser Ziele gesondert in den Fokus
                      Maßnahmen und Ideen verwirklicht, die der Umwelt          nehmen. Aktuelles Ziel: „Nachhaltiger Konsum und
                      dienen und gleichzeitig wirtschaftlich sind.              nachhaltige Produktion“. Das schlägt sich unter ande-
                      Angesichts des fortschreitenden Klimawandels hat          rem nieder in einer Strategie zum verstärkten Einsatz
                      die BruderhausDiakonie nach intensiven Diskussio-         von Fotovoltaikanlagen, zum Ausbau von E-Mobilität,
                      nen beschlossen, nachhaltiges Arbeiten noch tiefer in     im Aufbau von Windkraftnutzung. Aber auch in klei-
                      allen Tätigkeitsfeldern zu verankern. Der Klimawandel     nen Projekten zur Umweltbildung wie einem Baum-
                      sei eine der beherrschenden Menschheitsheraus-            lehrpfad, der Klientinnen und Klienten, Mitarbeiter-
                      forderungen, betont Tobias Staib. „Wir begrüßen           schaft und Nachbarschaft zusammenbringen soll.
                      deshalb die verstärkten politischen Bemühungen,           I Martin Schwilk

                                                                                                              sozial   1 I 2022    3
Sozial - BruderhausDiakonie
Jürgen Wendehost
                                                                                                       demonstriert, wie
                                                                                                       das Laden an der
                                                                                                       Säule funktioniert.
SCHWERPUNKT

  Die Elektromobilität nimmt Fahrt auf
                   Weg vom Verbrennungsmotor, hin zu mehr Elektromobilität: Die BruderhausDiakonie
                   ist auf dem Weg, ihre Fahrzeugflotte umzustellen. Bis zum Sommer sind an die 70 Lade-
                   punkte für Elektroautos geplant. Auch für E-Bikes werden Ladestationen geschaffen.

                   Fast geräuschlos rollt der weiße Wagen mit dem Logo       Es ist ein technisch ausgeklügeltes System, das um-
                   der BruderhausDiakonie auf den Parkplatz hinter dem       fangreiche Vorarbeiten erfordert hat. Seit einem Jahr
                   Zentrum für Gemeindepsychiatrie in Reutlingen. Für        kümmert sich eine Projektgruppe E-Mobilität, zu der
                   elektrisch angetriebene Dienstfahrzeuge stehen hier       auch Wendehost gehört, um geeignete Standorte für
                   seit Kurzem vier moderne Ladesäulen zur Verfügung.        Ladesäulen und Wallboxen sowie die entsprechende
                   Jede Säule hat zwei Ladepunkte, sodass acht E-Autos       Infrastruktur in den Einrichtungen. Der Projektsteue-
                   gleichzeitig Strom beziehen können. Die Ladestatio-       rer und seine Kollegen prüfen unter anderem, ob die
                   nen sind im Auftrag der BruderhausDiakonie errichtet      technischen Voraussetzungen für das Laden vollelek-
                   und von Jürgen Wendehost abgenommen worden.               trischer Dienstfahrzeuge vorliegen und die Strom-
                   Er ist bei der BruderhausDiakonie für die Projektsteu-    versorgung ausreicht. Da immer mehr Mitarbeiterin-
                   erung Technik und damit für den Ausbau der Lade-          nen und Mitarbeiter mit E-Autos und E-Fahrrädern
                   infrastruktur in der Stiftung zuständig. Wendehost        unterwegs sind, steigt der Bedarf an Ladekapazitäten.
                   parkt vor einer der schlanken Säulen. Dann holt er ein    In der Region Reutlingen kommen zu den bereits be-
                   Ladekabel aus dem Wagen und verbindet diesen mit          stehenden Ladestationen für E-Bikes neue hinzu. Für
                   der Ladesäule. Bevor der Strom fließen kann, schaltet     Elektroautos gibt es aktuell 30 Ladepunkte innerhalb
                   er mithilfe einer Chipkarte den Ladepunkt frei. Ein       der gesamten Stiftung. Bis zum Sommer sollen an die
                   grünes Licht blinkt auf. „Jetzt habe ich mich authenti-   70 Ladepunkte zur Verfügung stehen, die mithilfe von
                   fiziert und kann den Ladevorgang starten.“                Fördermitteln aus verschiedenen Landesprogrammen

  4    sozial   1 I 2022
Sozial - BruderhausDiakonie
SCHWERPUNKT

realisiert werden. Besonders hohe Zuschüsse gibt es        Fahrzeug für den Fuhrpark der Verwaltung in Reut-
für stark stickoxidbelastete Gebiete. „In der Bruder-      lingen an, mit einer Reichweite von 80 Kilometern.
hausDiakonie sind das die Regionen Reutlingen, Stutt- Dieses ist vor Kurzem durch ein neues E-Auto ersetzt
gart und Oberschwaben“, weiß Jürgen Wendehost.             worden, das bereits eine Reichweite von über 400
Das Ziel der gemeinnützigen Stiftung, ökonomisch           Kilometern hat, betont Magdalena Heinz. Seit sich die
und ökologisch zu wirt-                                                                  Kapazität der Autobatterien
schaften, schließt die         „Wie viel Strom ein Dienstfahrzeug laden                  deutlich erhöht habe, sei der
Umstellung des Fuhr-           darf, ist exakt festgelegt. Nicht mehr als elf            Einsatz reiner Elektrofahr-
parks von Verbrenner-                                                                    zeuge auch für die Bruder-
                               Kilowattstunden pro Ladepunkt.“
auf Elektrofahrzeuge mit                                                                 hausDiakonie praktikabel
                               Jürgen Wendehost, Projektsteuerung Technik
ein. Zur Fahrzeugflotte                                                                  geworden. Zudem profitiere
der BruderhausDiakonie                                                                   sie bei der Anschaffung
und ihrer Tochtergesellschaften gehören gegenwärtig        neuer E-Autos von staatlichen Förderprogrammen wie
rund 400 Pkws und Kleinbusse, berichtet Magdalena          BAFA-Elektromobilität und dem Flottenaustauschpro-
Heinz, die für den Fuhrpark zuständige Mitarbeiterin.      gramm sozial & mobil sowie von Herstellerrabatten
Davon sind stiftungsweit über zehn Prozent reine           für kirchliche und soziale Einrichtungen. „Allerdings
Elektro-, Hybrid- oder Gasautos – in der Region Reut-      macht die andauernde Lieferproblematik eine kurz-
lingen sogar mehr als 16 Prozent. „Auch über unter-        fristige Planung und Verfügbarkeit zunehmend
schiedliche Leasingvarianten werden Elektromobile          schwierig“, bedauert Magdalena Heinz.
seit Langem genutzt“, sagt Heinz.                          Ihr Kollege Jürgen Wendehost hat seine Demonstra-
Wie viel Strom ein Dienstfahrzeug laden darf, ist exakt tion inzwischen beendet und verstaut das Ladekabel
festgelegt. „Nicht mehr als elf Kilowattstunden pro        im Wagen. Das nächste Vorhaben steht an: Vor den
Ladepunkt, danach ist Schluss, damit das Gebäude           Werkstätten im Reutlinger Industriegebiet In Laisen
ausreichend versorgt wird“, erläutert Jürgen Wende-        soll die nächste Ladesäule aufgebaut werden.
host, während er die Funktionsweise der Ladesäulen         I Karin Waldner
demonstriert. Lastmanagement nennt sich dieses
intelligente Verfahren: die gezielte Steuerung des
Energiebezugs beziehungsweise die Fähigkeit einer
Ladesäule, nur den Strom zu beziehen, den das
Gebäude nicht selbst benötigt.
Um die in ganz Baden-Württemberg verteilten Lade-
säulen und Wallboxen vernetzen und steuern zu
können, nutzt die BruderhausDiakonie eine spezielle
cloudbasierte Software, so Wendehost. Diese kann
nicht nur sämtliche Ladepunkte und Nutzerdaten
verwalten, sondern auch jeden Ladevorgang eich-
rechtskonform abrechnen. Zum Freischalten des Lade-
vorgangs sieht die Projektgruppe E-Mobilität zwei
Varianten vor: entweder per Chip oder über einen am
Ladepunkt angebrachten Barcode, den Zugangsbe-
rechtigte mit ihrem Smartphone scannen können.
Ganz neu ist das Thema Elektromobilität für die
BruderhausDiakonie nicht. Bereits im März 2011
schaffte die Stiftung das erste vollelektrische            Magdalena Heinz freut sich über das neue elektrische Dienstfahrzeug.

                                                                                                                          sozial   1 I 2022   5
Sozial - BruderhausDiakonie
SCHWERPUNKT

  Es gibt noch viel Verbesserungspotenzial
                   Johanna Gary, als Referentin bei der Diakonie Deutschland zuständig für das Thema Nach-
                   haltigkeit, will ein Diakonie-Klima-Management entwickeln und Nachhaltigkeit auch im
                   eigenen Haus so konsequent wie möglich umsetzen.

                   Die Diakonie hat sich auf die Fahnen geschrieben, die       Dafür möchten wir ein Diakonie-Klimamanagement
                   UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung umzusetzen.            entwickeln. Unseren Schwerpunkt legen wir dabei auf
                   Warum?                                                      die Bereiche Mobilität, Immobilien und Beschaffung.
                   Die Bewahrung der Schöpfung in all ihren Facetten
                   ist in unserem christlichen Glauben tief verwurzelt.        Viele diakonische Einrichtungen haben bereits seit
                   Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten            Jahren ein Umweltmanagement eingerichtet. Wo
                   Nationen bieten dafür einen sehr guten Rahmen. Sie          sehen Sie darüber hinausgehenden Handlungsbedarf?
                   verbinden ökologische, soziale und ökonomische Ziele        Es ist hervorragend, dass sich schon viele diakonische
                   miteinander. Die Diakonie ist bei der Realisierung die-     Einrichtungen mit einem Umwelt- oder Nachhaltig-
                   ser Ziele so etwas wie eine ¸geborene Partnerin‘. Denn      keitsmanagementsystem auf den Weg gemacht
                   sie arbeitet nicht nur an Strategien gegen Armut und        haben. Aber der Weg ist noch lang und eröffnet viele
                   Wohnungslosigkeit. Sondern sie tritt auch für die           Handlungsmöglichkeiten.
                   gleichberechtigte Teilhabe aller, für Gesundheit und        Da sind insbesondere ökologische Aspekte und die
                   Wohlergehen und für hochwertige Bildung für alle als        Einhaltung von Menschenrechten weltweit, die
                   grundlegende Voraussetzung für Befähigungsgerech-           bei der Betrachtung der Lieferketten zum Tragen
                   tigkeit ein.                                                kommen. Gerade bei den Themen Klimaschutz und
                   Aber auch die ökologischen Ziele sind bei uns im            nachhaltige Beschaffung können und müssen wir uns
                   Fokus. Als große Immobilieneigner beziehungsweise           noch stärker engagieren.
                   -nutzer mit teils großen Fahrzeugflotten sowie              Das ist umso wichtiger, als wir rein mengenmäßig
                   als Großverbraucher haben die Einrichtungen der             wirklich einen Unterschied machen könnten: Wir
                   Diakonie momentan an vielen Orten noch Verbesse-            zählen derzeit 31.600 diakonischen Einrichtungen.
                   rungspotenzial. Viele haben sich inzwischen auf den         Wenn alle diese Einrichtungen im großen Stil Energie
                   Weg der sozial-ökologischen Wende gemacht. Sei es           einsparen und ökofaire Produkte einkaufen würden,
                   durch eigene Blockheizkraftwerke, Fotovoltaikanlagen,       wäre für den Planeten und die Menschen in den
                   energetische Sanierungen, nachhaltig und fair produ-        Produktionsländern viel gewonnen.
                   zierte Berufskleidung, Vermeidung
                   von Lebensmittelverschwendung
                   oder die Umstellung von Fuhr-
                   parks auf Elektromobilität.

                   Welche konkreten Nachhaltigkeits-
                   ziele hat sich die Diakonie als
                   Verband für die kommenden Jahre
                   gesteckt?
                   Die Diakonie Deutschland hat es
                   sich zum Ziel gesetzt, bis 2035
                   klimaneutral werden. Wir möch-
                   ten uns als Bundesverband in den
                   kommenden Jahren mit möglichst
                   vielen Verbänden und Einrich-
                   tungen auf den Weg in Richtung
                   Treibhausgasneutralität machen.       Johanna Gary: Die Diakonie hat viele Möglichkeiten, nachhaltig zu handeln.

  6    sozial   1 I 2022
Sozial - BruderhausDiakonie
SCHWERPUNKT

                                                                                                                  Ökologisch und
                                                                                                                  energieeffizient:
                                                                                                                  Beim Bauen lässt
                                                                                                                  sich CO2 sparen.

Bis wann können und sollten die die globalen Nachhal-    interessierten Vertreterinnen und Vertreter der
tigkeitsziele im Verband und in den Mitgliedseinrich-    Diakonie offen ist, haben wir eine Plattform zum
tungen realistischerweise erreicht sein?                 persönlichen Austausch geschaffen.
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2030 als Ziel-     Zwischen den Treffen werden Infomails versendet
punkt für die Erreichung der nachhaltigen Entwick-       mit Hinweisen auf interessante Tools, Fördermög-
lungsziele ausgegeben. Bei einzelnen Zielen gibt es      lichkeiten, Unterstützungsangebote und aktuelle
global gesehen durchaus Fortschritte zu verzeichnen,     Entwicklungen. Wir bieten Veranstaltungen an und
etwa beim Rückgang der Kindersterblichkeit. Um alle      setzen inhaltliche Schwerpunkte zur Profilbildung,
17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu        zum Beispiel beim Thema nachhaltige Textilien. Wir
erreichen, wird aber bei Weitem noch nicht genug         führen mit dem Bundesministerium für wirtschaft-
getan. Die Corona-Pandemie verschärft die Lage und       liche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem
bedroht erreichte Fortschritte, zum Beispiel beim        Deutschen Caritasverband ein Projekt durch, um
Bildungsstand von Kindern.                               den Anteil nachhaltiger Textilien in Einrichtungen
                                                         der Caritas und der Diakonie signifikant zu steigern.
Was tut und welche Möglichkeiten hat die Diakonie,       Darüber hinaus planen wir ein Klimaschutz-Projekt,
um nachhaltiges Arbeiten in den Verbandsstrukturen,      um möglichst viele unserer Mitglieder auf dem Weg
aber auch in ihren Mitgliedseinrichtungen zu fördern?    in Richtung Treibhausgasneutralität zu begleiten.
Wir setzen uns in der Politik dafür ein, dass die dia-   Außerdem versuchen wir natürlich, das Thema
konischen Einrichtungen Unterstützung erhalten für       Nachhaltigkeit so konsequent wie möglich im eigenen
die großen Umstellungsprozesse, die zur Bewältigung      Haus umzusetzen, also in unserer Geschäftsstelle im
der Klimakrise und anderer Herausforderungen not-        Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung.
wendig sind. Als gemeinnützige Sozialunternehmen         Das Gebäude selbst entspricht dem Goldstandard
haben sie von sich aus wenig finanzielle Spielräume      der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.
dafür – und wir wollen ja, dass es schnell vorangeht.    Wir haben ein Umweltmanagementsystem, sind
Wichtig ist Unterstützung bei notwendigen Investiti-     zertifiziert nach dem audit berufundfamilie und
onen. Aber uns beschäftigt auch die Frage, wie unsere    berücksichtigen bei unseren Finanzanlagen
nachhaltige Arbeit auf Dauer refinanziert wird.          anspruchsvolle ethische Anlagekriterien. Großen
Mit dem Netzwerk Nachhaltigkeit@Diakonie, das            Wert legen wir auch auf die nachhaltige Beschaffung.
sich seit 2018 zweimal jährlich trifft und für alle      I Interview: Martin Schwilk

                                                                                                         sozial    1 I 2022           7
Sozial - BruderhausDiakonie
SCHWERPUNKT

  Aus Umwelt- wird Nachhaltigkeitsmanagement
                          Die BruderhausDiakonie ist seit Langem in allen Regionen, in denen sie tätig ist,
                          nach dem europaweit anerkannten Umweltstandard EMAS zertifiziert – eine solide
                          Grundlage für noch mehr Nachhaltigkeit in der Arbeit der Stiftung.

                          Am Anfang stand EMAS – Eco Management and Audit            und nachhaltige Produktion. Die Umsetzung koordi-
                          Scheme. Schon vor mehr als zehn Jahren hat die             niert ein Arbeitskreis, der sich auf Initiative enga-
                          BruderhausDiakonie begonnen, dieses Umwelt-                gierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebildet
                          managementsystem schrittweise in allen Arbeits-            hat und vom Vorstand der BruderhausDiakonie
                          bereichen einzuführen.                                     unterstützt wird. „Der Arbeitskreis will die Aktivitäten,
                          Das hat bis heute vieles bewirkt: Energiesparende          die durch EMAS angestoßen worden sind, weiterent-
                          Heizanlagen wurden gebaut, Fotovoltaik installiert,        wickeln“, unterstreicht Umweltbeauftragter Koch, der
                          bestehende Gebäude gedämmt, auf stromsparende              wie Benjamin Scharf Mitglied des Arbeitskreises ist.
                          Beleuchtung umgestellt, Papier, Putzmittel und
                          andere Verbrauchsmaterialien durch umweltzertifi-          Beispielhafte Projekte in den Regionen
                          zierte Alternativen ersetzt. Kennzahlen wurden             Bei der BruderhausDiakonie in Münsingen-Butten-
                          erhoben, Berichte verfasst. Diese Bilanz könne sich        hausen gibt es bereits seit 2007 eine sehr aktive
                          sehen lassen, fasst Umweltbeauftragter Armin Koch          Umweltgruppe, die bis heute Mitarbeiterinnen,
                          zusammen. „EMAS arbeitet mit vielen Regeln und             Mitarbeiter, Bewohnerinnen und Bewohner für einen
                          Normen“, meint Benjamin Scharf, der die Abteilung          bewussten Umgang mit Energie sensibilisiert. Bereits
                          Prozesse und Umwelt der BruderhausDiakonie leitet.         2011 habe die Einrichtung ihre ersten Fotovoltaik-
                          Mancherorts habe das System einen hohen bürokrati-         anlagen im Münsinger Ortsteil Apfelstetten installiert
                          schen Aufwand verursacht.                                  sowie auf dem Georgenhof, einem Freizeitheim der
                                                                                     BruderhausDiakonie in Pfronstetten, berichtet Rudi
                          Nachhaltigkeitsziele als Richtschnur                       Lamparter, Umweltbeauftragter in Buttenhausen.
                          Deshalb, so Scharf, habe die BruderhausDiakonie            Vor fünf Jahren sei die alte Straßenbeleuchtung
                          entschieden, die „Nachhaltigkeitsziele leichter ver-       entlang der Einrichtungsgebäude saniert und durch
                          ständlich und besser kommunizierbar zu machen“.            LED-Lampen ersetzt worden. Seit 2018 versorgt ein
                          Das Umweltmanagement wird seit 2021 zu einem               stiftungseigenes Blockheizkraftwerk die Werkstätten
                          umfassenden Nachhaltigkeitsmanagement ausge-               in Buttenhausen mit Strom und Wärme. Ein zweites
                          baut. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen      Blockheizkraftwerk soll noch in diesem Jahr in Betrieb
                          dienen dabei als Richtschnur. „Diese Nachhaltigkeits-      gehen, sagt Lamparter. Er bedauert, dass in der
                          ziele sind so formuliert, dass sich daraus konkrete Jah-   Vergangenheit so manches Nachhaltigkeitsvorhaben
                          resziele für die Einrichtungen der BruderhausDiakonie      an ökonomischen Zwängen gescheitert sei. „Wir
                          ableiten lassen“, erläutert Scharf. 2021 etwa liegt der    könnten sonst schon viel weiter sein“, ist Lamparter
                          Fokus auf dem zwölften Ziel: Nachhaltiger Konsum           überzeugt. Markus Rank, Fachbereichsleiter

  Nachhaltigkeit hat
  viele Gesichter: eine
  E-Bike-Station und
  ein Dachgarten
  in Münsingen-
  Buttenhausen.

  8        sozial     1 I 2022
Sozial - BruderhausDiakonie
SCHWERPUNKT

                                                                                                                     Fotovoltaik:
                                                                                                                     wichtiger Baustein
                                                                                                                     der dezentralen
                                                                                                                     Energieversorgung.

Sozialpsychiatrie und Behindertenhilfe Alb, hofft des-   von Mitarbeitern und Klienten zuständig ist. Es gebe
halb auf den Nachhaltigkeitsfonds der Bruderhaus-        Schulungen zu Themen wie Mülltrennung, Strom-
Diakonie, der Ideen und Projekte von Mitarbeitern        und Wasserverbrauch oder richtigem Lüften. „Jeder
für mehr Nachhaltigkeit finanziell fördert. „Wir haben   kann dazu beitragen, Energie einzusparen.“
für Buttenhausen eine Fotovoltaikanlage beantragt“,      Das Bewusstsein dafür wächst bei Leitungskräften
sagt Rank.                                               und Mitarbeiterschaft, meint Jürgen Wendehost,
13 solcher Anlagen gibt es bereits in der gesamten       verantwortlich für die Projektsteuerung Technik in
Stiftung und die Tendenz, den Strombedarf durch          der Stiftung. Der Technikexperte hat viele Ideen, um
eigene dezentrale Energiegewinnung abzudecken,           die Energieeffizienz der stiftungseigenen Gebäude zu
steigt. Zusätzlich beziehe die BruderhausDiakonie        steigern. Auch wenn erst einmal investiert werden
für ihre Einrichtungen und Dienste zu 100 Prozent        müsste, so könnte die automatische Steuerung von
Ökostrom aus Wasserkraft, sagt Wolf Dausien, Leiter      Gebäudefunktionen wie Heizung, Klima oder Beleuch-
des Dienstleistungszentrums Zentraler Einkauf.           tung mittelfristig viel Energie und Geld einsparen. Eine
Regenerative Energiequellen spielen auch in den          Projektgruppe habe sich mit dem Thema Gebäude-
Einrichtungen der BruderhausDiakonie in der Region       automation beschäftigt und klare Vorgaben und
Bodensee-Oberschwaben seit Langem eine Rolle.            Standards für Neubauten und Generalsanierungen
Als das Seniorenzentrum Wilhelm-Maybach-Stift in         entwickelt, berichtet Wendehost. Das 2021 eröffnete
Friedrichshafen 2008 erbaut wurde, entschied sich        Seniorenzentrum in Altbach zum Beispiel profitiere
die Stiftung für umweltschonende Erdwärmepumpen,         bereits von einer automatisch regulierten Heizung.
die die im Boden und Grundwasser befindliche
Wärme in Heizenergie umwandeln. „Das gesamte             Nachhaltigkeit geht alle an
Haus wird ausschließlich mit nachhaltiger Erdwär-        „Die BruderhausDiakonie will beim Thema Nach-
me beheizt“, betont der Umweltbeauftragte Markus         haltigkeit und Klimaneutralität Vorreiter sein und
Borho. Im 2010 errichteten Seniorenzentrum in            andere Organisationen anregen“, betont Benjamin
Weingarten setzte die BruderhausDiakonie auf eine        Scharf. Deshalb gehöre die Stiftung zu den Grün-
Holzpellet-Heizung. Im Vergleich zu fossilen Energie-    dungsmitgliedern des Nachhaltigkeitsnetzwerks der
trägern ist der CO2-Ausstoß viel geringer, auch wenn     Diakonie und habe an den Leitlinien der Diakonie
Holzpellets aufgrund der zunehmenden Abholzung           zur Nachhaltigkeit mitgearbeitet. „Wir sind sehr am
und CO2-Emissionen durch den Transport der Hölzer        Austausch interessiert und berichten gerne über
inzwischen kritischer gesehen werden.                    unsere Erfahrungen.“ Ein Forum dafür ist der Nach-
Künftig will die Region Oberschwaben auch die Kraft      haltigkeitstag, den die BruderhausDiakonie für den
der Sonne nutzen: Das geplante neue Fachpflegeheim       kommenden November im Stuttgarter Haus der
in Ravensburg werde mit einem Solardach ausgestat-       Wirtschaft plant.
tet, berichtet Borho, der auch für die Umweltbildung     I Karin Waldner I Martin Schwilk

                                                                                                            sozial    1 I 2022        9
Sozial - BruderhausDiakonie
SCHWERPUNKT

  Wie Bienen und Bäume Menschen verbinden
                       Das Projekt „BeeD“ und ein Baumlehrpfad: Diese beiden Umweltprojekte der
                       BruderhausDiakonie wollen das Bewusstsein für den Wert der Natur wie auch
                       das soziale Miteinander im Quartier stärken.

                       Ein kalter, sonniger Freitagvormittag im Februar.         ihren Seniorenzentren am Markwasen und Betzingen
                       Michael Wolf hebt den Metalldeckel des Bienenkastens      angestoßen hat. „BeeD“ trägt zum Schutz der bedroh-
                       an und wirft einen Blick auf die Wintertraube, zu der     ten Bestäuber bei, die ihrerseits helfen, die Vielfalt
                       sich die Insekten zusammenballen, um sich gegensei-       der Natur zu erhalten. Zudem sind unterschiedliche
                       tig zu wärmen. Schnell senkt er die Abdeckung wieder      Gruppen und Generationen in das Projekt einbezogen
                       – die Kälte tut den pelzigen Tierchen nicht gut.          – so erhält „BeeD“ auch eine soziale Dimension.
                       Im Winter ist der Imker nur ab und zu hier im Garten      Von April bis Anfang August zählt die „Schwarm-
                       des Seniorenzentrums am Markwasen der Bruder-             kontrolle“ zu Wolfs Aufgaben. „Dabei suche ich die
                       hausDiakonie in Reutlingen. Doch sobald es wärmer         Waben nach neuen Königinnenzellen ab, damit
                       wird, kommt er wöchentlich. Hauptberuflich arbeitet       nicht ein neues Bienenvolk entsteht, das dann aus-
                       der 56-Jährige als Hausmeister der Seniorenzentren        schwärmt.“ Der Bienenkasten steht direkt vor einem
                       in Mittelstadt und Pliezhausen. Privat besitzt er rund    verglasten Gang, der zwei Gebäudeteile des Senioren-
                       zwanzig Bienenvölker. Seine langjährige Imkererfah-       zentrums verbindet. Die Seniorinnen und Senioren
                       rung bringt er in das Biodiversitätsprojekt „BeeD“ ein.   können dem Imker von dort aus bei der Arbeit zuse-
                       Der Name leitet sich ab aus dem englischen „bee“          hen, ohne Gefahr zu laufen, dass sie gestochen wer-
                       (Biene) sowie „BruderhausDiakonie“. Drei Bienen-          den. Und wenn er nicht da ist, lässt sich vom Verbin-
                       völker betreut Wolf im Rahmen des Projekts, das die       dungsgang aus das summende Treiben am Flugloch
                       Altenhilfe Reutlingen der BruderhausDiakonie in           bestens beobachten. Zumal das Wiesenkarree rund

  Das Bienenteam
  unterstützt den
  Imker Michael Wolf
  in Betzingen.

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SCHWERPUNKT

Der Baumlehrpfad (links) und das Bienenprojekt „BeeD“ sollen das Bewusstsein für die Natur schärfen und Menschen zusammenbringen.

um den Kasten im Frühjahr zu einem herrlich bunten,              zentrums in Kontakt. „So fördern wir die Begegnung
bienenfreundlichen Blumenreich erblüht.                          der Generationen und stärken dabei die Nachbar-
„Das Beobachten der Bienen hat auf unsere Bewoh-                 schaftlichkeit im Quartier“, sagt Christina Kolb von der
nerinnen und Bewohner eine beruhigende, entspan-                 Altenhilfe Reutlingen. Ziel sei es, durch Kooperationen
nende Wirkung“, sagt Betreuungsassistentin Margit                Netzwerke im Stadtteil zu bilden.
Ringelmann, die Wolf bei seiner Tätigkeit unterstützt.           Eine solche Erweiterung hat das Projekt bereits im
Gleichzeitig weckten die Honigproduzenten viele                  Seniorenzentrum Betzingen erfahren: Dort sind auch
Fragen zu ihrer Lebensweise und Haltung. „Für die                Ehrenamtliche integriert. Eine von ihnen ist Ines Bech-
Bewohnerinnen und Bewohner stellen die Bienen ein                stein, die früher als Betreuungsassistentin im Senio-
wertvolles Aktivierungsangebot dar.“ Dazu gehört                 renzentrum gearbeitet hat und nun einmal monatlich
auch das sinnliche Erlebnis. So hat Wolf die Senio-              Imker Wolf bei der Pflege von zwei Bienenstöcken
rinnen und Senioren den Honig direkt aus der Wabe                unterstützt. Zum Bienen-Team gehört auch Oskar
löffeln oder das Gelee Royale probieren lassen, von              Ehret vom Schwäbischen Albverein. Dessen Betzinger
dem sich die Königin ernährt. Zudem bekamen sie                  Ortsgruppe hat das Projekt mit einer Spende finan-
demonstriert, wie Honig geschleudert wird, und                   ziell unterstützt. So trägt „BeeD“ zur Integration des
wissen nun, wie man aus Bienenwachs Kerzen zieht.                Seniorenzentrums in die Gemeinde bei. „In Pandemie-
                                                                 zeiten ist diese Stärkung der sozialen Beziehungen,
Auch die Oberlinschule beteiligt sich am Projekt                 die der Isolation der Bewohnerinnen und Bewohner
Die Welt der Pollensammler fasziniert aber nicht                 entgegenwirkt, von besonderem Wert“, betont
nur ältere Menschen, sondern auch Kinder. Deshalb                Nedjeljko Tosic, Hausleiter des Seniorenzentrums
macht bei „BeeD“ auch die benachbarte Oberlin-                   Betzingen. Das Bewusstsein für die Natur schärfen
schule mit, ein Sonderpädagogisches Bildungs- und                und gleichzeitig ein breites Publikum im Quartier
Beratungszentrum der BruderhausDiakonie. Unter                   ansprechen und vernetzen – das soll auch der neue
Anleitung des Imkers und in Schutzanzüge gehüllt                 Baumlehrpfad der BruderhausDiakonie in Reutlingen
studieren und versorgen zehn Elf- bis Zwölfjährige die           bewirken. Zwölf Schautafeln rund um das Hofgut
fleißigen Schwärmer. „Ich nehme immer nur ein Kind               Gaisbühl informieren in leichter Sprache über heimi-
mit an den Bienenkasten“, erzählt Wolf. „Dabei gilt es,          sche Baumarten wie Esche, Trauerweide, Feldahorn
absolute Ruhe zu bewahren, sonst werden die Bienen               und Winterlinde. Initiiert wurde der 2,5 Kilometer
stechig“, warnt er.                                              lange Pfad vom Umweltbeauftragten der Bruderhaus-
„Die Schülerinnen und Schüler erfahren durch das                 Diakonie, Armin Koch. Klientinnen und Klienten sowie
Imkerprojekt intensiv die Natur“, beschreibt Jürgen              die Mitarbeiterschaft der umliegenden Einrichtungen,
Haberbosch, Konrektor der Oberlinschule, den päda-               Schulklassen, Kunden des Bio-Hofladens auf dem
gogischen Nutzen des Projekts. Und schließlich kom-              Gaisbühl oder Erholung suchende Spaziergänger –
men die Jungen und Mädchen über das Bienenprojekt                die Bäume bringen sie alle zusammen.
mit Bewohnerinnen und Bewohnern des Senioren-                    I Ulla Hanselmann

                                                                                                                           sozial   1 I 2022   11
Beim Arbeiten in
                                                                                                                  der Werkstatt ist
                                                                                                                  handwerkliches
                                                                                                                  Geschick gefragt.
SCHWERPUNKT

  Holzprodukte fördern die biologische Vielfalt
                   In der Werkstatt der BruderhausDiakonie in Fluorn-Winzeln stellen Menschen mit
                   Behinderung Nistkästen, Vogelhäuschen und Insektenhotels her. Davon profitieren
                   Schmetterlinge und viele andere Insektenarten.

                   Die zugeschnittenen Holzteile liegen bereit, jetzt ist   geeignet und trägt damit zum Erhalt der Biodiversität
                   handwerkliches Geschick gefragt. Mit spürbarer Freu-     bei. „Füllstoffe wie Tannenzapfen sammeln wir mit
                   de nehmen die jungen Männer Bohrmaschine und             der Gruppe in der Natur ein“, berichtet Karl-Heinz
                   Schrauben in die Hand und legen los. „Ich arbeite für    Gerster, der die Fräs- und Schleifarbeiten übernimmt.
                   mein Leben gerne in der Holzwerkstatt“, sagt einer der   Denn: „Wir lassen unsere Klienten ohne sorgfältige
                   Klienten. Einen Plan braucht er nicht, jeder Handgriff   Prüfung nicht an Maschinen“, versichert Gerster.
                   sitzt. Und wenn er doch mal Hilfe benötigt, steht        Die Grüne Gruppe zählt derzeit sieben Mitglieder,
                   ihm Karl-Heinz Gerster, Mitarbeiter der Bruderhaus-      darunter drei Frauen. Sie stammen aus Fluorn-Win-
                   Diakonie, zur Seite. Sie gehören zur Grünen Gruppe       zeln beziehungsweise der näheren Umgebung und
                   der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM)        wohnen im Elternhaus oder in Wohnbereichen der
                   der BruderhausDiakonie in Fluorn-Winzeln, die im         BruderhausDiakonie. Die Aufgaben werden indivi-
                   Herbst 2021 offiziell eröffnet worden ist.               duell, im Rahmen der Möglichkeiten jeder Einzelnen
                   Die kleine Holzwerkstatt ist Teil der WfbM. Hier wer-    und jedes Einzelnen, verteilt. „Über die Holzprodukte
                   den kreative und nützliche Holzprodukte wie Nistkäs-     kommen die Beschäftigten mit Menschen aus der
                   ten, Vogelhäuschen und Insektenhotels angefertigt.       Umgebung in Kontakt“, betont Thilo Mutscheller,
                   Das Insektenhotel, das aus mehreren Abteilungen          Bereichsleiter Arbeit und berufliche Bildung, der
                   besteht, ist für Schmetterlinge und andere Insekten      zugleich die Werkstatt leitet. Darüber hinaus sind die

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SCHWERPUNKT

Mitglieder der Grünen Gruppe für die Tierpflege zu-      Beispiel zur Lebensmittelverschwendung oder zur
ständig. Derzeit versorgen sie ein Pferd, drei Alpakas   richtigen Mülltrennung ergänzt. Gemeinsam mit der
sowie mehrere Hasen und Katzen. Zu ihren Aufgaben        Volkshochschule habe die Grüne Gruppe auch schon
gehören auch Gartenarbeiten wie Rasen mähen und          einen inklusiven Bastelkurs zum Bauen von Insekten-
Hecken schneiden, der Winterdienst und hauswirt-         hotels ausgerichtet. „Und einige Pflanzen, wie etwa
schaftliche Aufgaben.                                    Löwenzahn, sehen nicht nur schön aus, sondern
                                                         schmecken auch als Salat gut“, erläutert Mutscheller.
Kurze Transportwege dank lokaler Lieferanten             Für die Zukunft sei geplant, die Produktion schritt-
Die nachhaltigen Produkte aus der Holzwerkstatt          weise auszuweiten, teilt Karl-Heinz Gerster mit. Ideen
sind laut Mutscheller beliebte Geschenke. Er würde       gebe es viele. Beim Upcycling habe die Grüne Gruppe
den Absatz gerne mit einem überregionalen Verkauf        beispielsweise Klappstühle aus alten Brettern gebaut.
ankurbeln, denn bislang erfolge der Verkauf vor          Ähnliche Produkte könnten hinzukommen, etwa
allem durch Mundpropaganda. Ein Problem sei              Körbe für Honiggläser. Gerster hofft auf weitere
auch der stark gestiegene Holzpreis, der sich auf die    Aufträge von Industrieunternehmen und öffentlichen
Preise der Produkte auswirke. „Anfangs haben wir         Stellen: „Wenn wir in größeren Serien produzieren,
nur mit Resten gearbeitet“, sagt Karl-Heinz Gerster.     werden die Produkte günstiger.“
Inzwischen werde Holz beim Sägewerk in Alpirsbach-       Dass die Klienten beim Hämmern und Bohren eigene
Reutin gekauft. „Das Schöne an unserem Standort ist,     Ideen entwickeln, ist den Fachkräften recht. Ein Werk-
dass wir viel Natur in der Umgebung haben.“              stattbeschäftiger beklebt ausgesägte Alpaka-Figuren
Die BruderhausDiakonie arbeitet mit lokalen Lieferan-    mit Wolle. „Die ist richtig weich“, sagt er und zeigt
ten und Handwerkern zusammen. Das erspart lange          eine fertige Figur. Die Beschäftigten sind stolz auf ihre
Anfahrts- und Transportwege und senkt die CO2-           Arbeit. „Wenn der Rasen ordentlich gemäht oder ein
Emissionen. Mit ihrer pädagogischen Arbeit stärke        schönes Blumenbeet gepflanzt ist, sind das sichtbare
die Werkstatt zudem das Bewusstsein der Klienten         Ergebnisse“, sagt Thilo Mutscheller. Dann wüssten die
für Nachhaltigkeit, meint Thilo Mutscheller. So werde    Klientinnen und Klienten, dass sie gebraucht werden.
die praktische Arbeit mit Bildungsangeboten zum          I Andreas Straub

                                                                                                                      Nachhaltig produ-
                                                                                                                      ziert: Vogelhäuser,
                                                                                                                      Nistkästen und
                                                                                                                      Insektenhotels.

                                                                                                             sozial    1 I 2022        13
SCHWERPUNKT

  Das Krokolin sorgt für Spaß beim Thema Nachhaltigkeit
                        Im Krokolin-Projekt lernen Schülerinnen und Schüler der Oberlinschule seit
                        diesem Schuljahr Wissenswertes zum Thema Nachhaltigkeit. Dazu gehört auch ein
                        praktischer Teil. Sie dürfen sich etwa als Designerinnen und Designer versuchen.

                        Als Krokolin das Klassenzimmer der 3. Klasse M3 der      Gedanken über die Umwelt und sind gut informiert“,
                        Oberlinschule betritt, hat es die volle Aufmerksamkeit   erklärt Beate Roberts. „Jede und jeder kann im kleinen
                        der Schülerinnen und Schüler. Wenn das Krokolin zu       Rahmen etwas zum Umweltschutz beitragen.“
                        Besuch kommt, bringt es spannende Aufgaben zum           Die Mädchen und Jungen der Klasse M3 dürfen sich
                        Thema Nachhaltigkeit mit. Dieses Mal ist in seiner       in den nächsten Wochen im Unterricht als Nach-
                        Begleitung eine Kinder-Schaufensterpuppe. Denn           wuchsdesignerinnen und -designer versuchen. In
                        heute geht es um das Thema Kleidung.                     der Krokolin-Kiste befinden sich verschiedene bunte
                                                                                 Applikationen zum Aufbügeln. Das Krokolin ist dabei,
                        Eine Kiste voller spannender Aufgaben                    aber auch ein Panda und ein Marken-Logo. „Man
                        Drei Lehrerinnen, Nadine Brändle, Alina Kronenthaler     kann so auch aus einem einfach weißen T-Shirt etwas
                        und Beate Roberts, organisieren sich gemeinsam als       machen“, sagt Alina Kronenthal, die den Mädchen
                        Nachhaltigkeits-Arbeitsgemeinschaft und haben das        und Jungen kurz das Projekt erklärt. In der M3 haben
                        Krokolin-Projekt auf den Weg gebracht: Sie bereiten      einige der neun- bis zehnjährigen Schülerinnen und
                        für alle Klassen von eins bis neun Kisten mit Aufgaben   Schüler schon überlegt, mit welchen Applikationen
                        zum Thema Nachhaltigkeit vor. Die Mädchen und            sie ihre Kleidung verschönern möchten. „Mein grüner
                        Jungen haben bereits aus Altpapier Bäume gebastelt       Pulli ist so langweilig. Ich möchte gerne das Krokolin
                        und eine Woche lang in der Schulküche ausschließ-        drauf haben und auch die anderen Bilder“, sagt eine
                        lich vegetarisches Essen gekocht und davon Fotos         der Schülerinnen.
                        gemacht. An einer Nachhaltigkeitswand im Schulflur
                        können die Ergebnisse der Projekte bestaunt werden.      Thema Nachhaltigkeit mit Positivem verbinden
                                                                                 Die Krokolin-Aufgaben haben immer auch einen
                        Das Krokolin erinnert an den Umweltschutz                theoretischen Teil. So beschäftigen sich die Schüler-
                        Lehrerin Alina Kronenthaler schlüpft mit einem Kos-      innen und Schüler im Unterricht unter anderem
                        tüm in die Rolle des Krokolin. „Die grüne Farbe passt    mit den Produktionsabläufen der Herstellung von
                        zum Thema Nachhaltigkeit. Krokolin ist etwas Be-         Kleidung. Das Krokolin ist mittlerweile aus der
                        sonderes“, sagt sie, „so wie unsere Schülerinnen und     Oberlinschule nicht mehr wegzudenken. Es hängt
                        Schüler“. Der Name des Logos des Nachhaltigkeits-        als Applikation unter anderem an Heizungen im
                        Projekts sei eine Wortschöpfung aus Krokodil und         Schulhaus und erinnert daran, diese herunterzu-
                        Oberlin, angelehnt an den Schulnamen Oberlinschule.      drehen, um so Energie zu sparen. Schulleiter Daniel
                        „Die Schülerinnen und Schüler machen sich ganz viele     Reiber ist vom Krokolin-Projekt überzeugt: „Mit
                                                                                 Krokolin wird das Thema Nachhaltigkeit mit etwas
                                                                                 Positivem verbunden und nicht mit Verzicht.“
                                                                                 Die Oberlinschule hat noch ein weiteres nachhaltiges
                                                                                 Mode-Spezial ins Leben gerufen: einen Umsonst-
                                                                                 laden, der nun jeden Freitag geöffnet hat. Hier können
                                                                                 die Schülerinnen und Schüler gebrauchte Kleidungs-
                                                                                 stücke tauschen. Der Ansturm am Eröffnungstag ist
                                                                                 groß. Klassenweise stürmen die Mädchen und Jungen
                                                                                 an die Ständer, suchen nach Pullis, Hosen, Mützen
  Drei Lehrerinnen                                                               und Kapuzenjacke und zeigen ihren Lehrerinnen und
  haben das Krokolin-
  Projekt auf den                                                                Lehrern, was sie ergattert haben.
  Weg gebracht.                                                                  I Nadine Nowara

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KOLUMNE

Prof. Dr. Bernhard Mutschler

Sich selbst zu ökologischer
Verträglichkeit verpflichten

Die Herausforderungen sind gewaltig: Sämtliche
Arbeitsprozesse des Wirtschaftslebens sollen in den
kommenden 15 Jahren nachhaltig gestaltet werden.
Damit müssen die menschlichen Anforderungen an
die Schöpfung so ausgerichtet werden, dass diese
auch in der Lage ist, sie zu erfüllen: Nur so viel, wie
nachwächst, kann sinnvollerweise verbraucht werden.

Den Garten Eden bebauen und bewahren                       Prof. Dr. Bernhard
Die Schöpfung „zu bebauen und zu bewahren“, steht          Mutschler,
                                                           Theologischer
uns Menschen ins Stammbuch geschrieben. Erstes             Vorstand der
Mosebuch 2,15: „Und Gott der Herr nahm den Men-            BruderhausDiakonie.
schen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn
bebaute und bewahrte.“ Aber seit über 50 Jahren ist
beispielsweise durch den Club of Rome bekannt, dass
wir Menschen im großen Stil das Gegenteil tun: Wir        Bildung und persönliches Engagement
nehmen uns mehr als nachwächst. Jahrhundertelang          Ökologisch verträgliches Verhalten setzt ein Bewusst-
wurde bei Fortschritt und Entwicklung nur der Nutzen      sein dafür sowie Kenntnis voraus. Bildung für nach-
für Menschen gesucht. Heute ist klar: Das ist nicht       haltige Entwicklung steht seit 2016 im Lehrplan der
nachhaltig. Der Mensch sägt damit an dem Ast, auf         Schulen von Baden-Württemberg. Umweltbildung
dem er sitzt. Klima, Pflanzen, Tiere, Böden, Wasser       von klein auf tritt heute neben Friedensbildung,
und Luft brauchen mehr Schutz. Denn sie verändern         Gesundheitsbildung oder Medienbildung. Das
sich sehr zu unseren Ungunsten, wenn wir sie weiter       Gewusst-wie ist die Voraussetzung für persönliches
überlasten.                                               Handeln. Wir sind davon überzeugt, dass Menschen
                                                          in der Kraft des christlichen Glaubens, der christ-
Die Schöpfung braucht mehr Schutz                         lichen Liebe und der christlichen Hoffnung auch
Die BruderhausDiakonie hat bereits einiges getan,         ihr Verhalten verändern. Liebe, Gerechtigkeit und
angefangen von unseren Leitsätzen wie: „Wir handeln       Haushalterschaft (Ökologie) gehören zusammen.
wirtschaftlich und ökologisch“, über flächendeckende
EMAS-Zertifizierung und „Grüner Gockel“ bis hin           Nachhaltigkeit betrifft das ganze Leben
zu Umweltleitlinien, die in allen Einrichtungen für       Eine nachhaltige Diakonie ist zugleich Diakonie für
umweltgerechtes Arbeiten sorgen, durchgängigem            die gesamte Schöpfung. Zur Schöpfungsdiakonie
Bezug von Ökostrom oder Biolandhöfen und der              gehört nach unserer Überzeugung eine Selbst-
Werkstattkooperation fair-bio-sozial. Das Nachhaltig-     verpflichtung zur ökologischen Verträglichkeit des
keitsziel Nummer zwölf aus der Agenda 2030 der            gesamten Lebens. Dies schließt Freizeitverhalten
Vereinten Nationen: „Nachhaltiger Konsum und nach-        und Arbeitsorganisation ein. Ein afrikanisches Sprich-
haltige Produktion“, genießt aktuell besondere Bedeu-     wort lehrt: Viele kleine Leute, die an vielen kleinen
tung in der BruderhausDiakonie. Wichtige Stichworte       Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht
sind Abfallvermeidung, Vorzug regenerativer Produkte      der Welt verändern. Darum bitten wir, darauf hoffen
und durchgängige Betrachtung der Umweltbilanz.            wir, und dafür arbeiten wir in Diakonie, Kirche und
Aber ist dies alles genug?                                Gesellschaft.

                                                                                                            sozial   1 I 2022   15
AKTUELLES

Säen und ernten im Einklang mit der Natur
                        In den landwirtschaftlichen Betrieben und Gärtnereien der BruderhausDiakonie wird
                        Nachhaltigkeit großgeschrieben und nach ökologischen Kriterien gewirtschaftet. Für
                        Fachkräfte wie Daniel Pfeiffer ist das eine Frage der Verantwortung.

                        Wer an einem Freitagvormittag die Backstube des          berichtet Daniel Pfeiffer, Werkstattleitung für
                        Hofguts Gaisbühl betritt, wird vom Duft nach             Ökologie und Landbau der BruderhausDiakonie in
                        frischem Brot umfangen. Um sechs Uhr morgens hat         der Region Reutlingen.
                        Marion Oßwald den Holzofen angefeuert, Zutaten           Für den Getreideanbau seien die Flächen am Stadt-
                        abgewogen, Teigstücke geformt. Jetzt holt die gelernte   rand von Reutlingen zu klein, erklärt der 47-Jährige.
                        Hauswirtschaftliche Betriebsleiterin mit einem           Das Mehl, das deshalb von einer Mühle im Neckartal
                        Schieber die bei 280 Grad gebackenen Bauern-, Dinkel-    bezogen wird, wie auch sonst alles, was in der Back-
                        und Dreikornlaibe aus dem Ofen und verteilt sie auf      stube auf dem Blech landet, entspricht den Qualitäts-
                        einem Metallregal. An einem Arbeitstisch bricht ihre     kriterien des Anbauverbands Bioland. Dass nach den
                        Mitarbeiterin Elke Fromm Eier in eine Schüssel, um       Prinzipien des Öko-Landbaus gesät und geerntet wird,
                        die Füllung für zwei Käsekuchen zuzubereiten. Ihr        ist für Pfeiffer, der über Ausbildungen als Landwirt,
                        Kollege Florian Hofgräf vermengt unterdessen mit         Arbeitserzieher und Industriemechaniker verfügt, eine
                        einem Rührgerät den Teig für einen Marmorkuchen.         Frage der Verantwortung: „Wir gehen so mit dem
                        Vier Kuchen, 15 Butterstreusel, 15 Seelen, 25 Dinkel-    Boden um, dass auch noch die nachfolgenden
                        weckle und noch jede Menge weitere süße Stückle          Generationen damit wirtschaften können und das
                        und Brötchensorten: In sechs Stunden arbeiten            natürliche Gleichgewicht erhalten bleibt.“ Für die
                        Marion Oßwald und ihr Team den Bestellzettel ab,         Bioland-Zertifizierung nehmen er und sein Team
                        den sie für diesen Verkaufstag vom Hofladen des Hof-     einen höheren Bürokratieaufwand in Kauf. Bei Kont-
                        guts Gaisbühl der BruderhausDiakonie in Reutlingen       rollen müssen sie etwa den Warenfluss nachweisen
                        erhalten haben. Am Nachmittag sollen die Backwaren       können, also die exakten Mengen der verarbeiteten
                        über die Theke gehen. Ein Teil der Zutaten, die das      Lebensmittel. Der Nachhaltigkeitsgedanke spiegle
                        Backteam verarbeitet, etwa das Obst für die Kuchen,      sich auch darin, dass das Holz für den Holzofen aus
                        stammen vom Hofgut selbst. Auf sieben Hektar             einer Werkstatt der BruderhausDiakonie in Bad Urach
                        betreiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie     kommt. Die Rindenabschnitte fielen dort bei der
                        die Beschäftigten der Werkstatt für Menschen mit         Bauklötzchen-Produktion als Abfall an, erzählt Pfeiffer.
                        Behinderung Gemüse-, Kräuter- und Obstanbau,             Naturverträglich wirtschaften – dieses Ziel verfolgen

Marion Oßwald
verteilt die Brote
auf dem Regal.

Bestellungen des
Hofladens prüfen
und sicherstellen.

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AKTUELLES

                                                                                                                      Das gehäckselte
                                                                                                                      und getrocknete
                                                                                                                      Gemüse wird ge-
                                                                                                                      nau abgewogen.

auch die beiden anderen landwirtschaftlichen Betrie-      Gemüse in Zellophan-Tütchen ab. Auch Peperoni-,
be der BruderhausDiakonie in der Region Reutlingen:       Zwiebel- und Kräutersalz wird hier in Handarbeit
Auf dem Biolandhof Bleiche in Bad Urach wird Mut-         gemischt und abgefüllt. Die Gläser und Tüten finden
terkuh- und Legehennen-Haltung sowie Gemüse- und          sich häufig in den Geschenkkörben wieder, die die
Kartoffelanbau auf rund 40 Hektar Land betrieben;         Beschäftigten für die Kundschaft arrangieren.
die Gärtnerei Münsingen-Buttenhausen kultiviert           Auch in der Riesenhof Gärtnerei der Bruderhaus-
Kräuter, Gemüse und Salat sowie Zierpflanzen und          Diakonie in Ravensburg bauen Menschen mit
Blumensetzlinge nach Bioland-Richtlinien.                 psychischer Erkrankung Gemüse, Kartoffeln und
                                                          Kräuter nach Bioland- und Demeter-Richtlinien an.
Eigenverantwortlich und kreativ tätig sein                Hinzu kommt Getreideanbau, der das Futter für
Auf dem Hofgut Gaisbühl in Reutlingen sind 75             rund 650 Hühner liefert, wie Produktionsleiter
Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkran-         Andreas Gronmaier erklärt. Die Hühner werden in
kung beschäftigt, hinzu kommen etwa zwei Dutzend          drei „Hühnermobilen“ gehalten – alle vierzehn Tage
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bruderhaus-          wechseln sie ihren Standplatz, so dass die Tiere frische
Diakonie. Der Hof halte Arbeitsangebote bereit, die       Auslaufflächen erhalten. Das Besondere: Es handelt
unterschiedliche Fertigkeiten erforderten, so Daniel      sich um eine Bruderhahnzucht. Gronmaier erklärt das
Pfeiffer: „Unsere Klientinnen und Klienten können         Prinzip: „Unsere männlichen Küken, die in der traditio-
eigenverantwortlich und kreativ tätig sein, durch den     nellen Hühnerzucht bis vor Kurzem getötet wurden,
Kontakt mit den Endkunden erleben sie selbstwirk-         gehen an einen anderen Betrieb, der sie aufzieht. Wir
sam den Sinn ihrer Arbeit.“                               beteiligen uns an den Futterkosten und zahlen zudem
Zum Bio-Sortiment des Hofladens, der sich auf dem         in einen Züchtungsfonds ein.“
Gelände befindet und zweimal wöchentlich geöffnet         Darüber hinaus sei die Bioland-Gärtnerei mit ihren
hat, gehören das eigene Gemüse und Obst ebenso            Erzeugnissen an dem per App organisierten Lieferser-
wie die Produkte, die aus der Weiterverarbeitung          vice von Primafood beteiligt. Das Unternehmen stellt
entstehen – Säfte, Fruchtaufstriche, Apfelmus sowie       Produkte verschiedener regionaler Erzeuger – vom
getrocknetes Suppengrün und Kräutersalze. Basis           Bäcker bis zum Fischzüchter – nach den Wünschen
für die Salze und das Suppengrün ist B-Ware, also         der Kunden zusammen und bringt sie zu Abholorten,
beispielsweise gebrochene Karotten oder Lauch-            wo sie der Besteller in Empfang nimmt. So würden
stangen, bei denen die Wurzeln gekappt wurden. Mit        Transportwege reduziert und lokale, auf Qualität
der nachhaltigen Weiterverarbeitung dieser Lebens-        bedachte Produzenten unterstützt. Die noch junge
mittel, die woanders wohl im Müll landen würden,          Vermarktungsidee stoße auf wachsende Nachfrage,
ist an diesem Freitag Ornella Leipold beschäftigt – die   weiß Andreas Gronmaier – ein Zeichen dafür, dass
29-Jährige füllt an einer elektronischen Küchenwaage      Nachhaltigkeit klar im Trend liege.
das gehäckselte und im Dörrofen getrocknete               I Ulla Hanselmann

                                                                                                             sozial    1 I 2022     17
AKTUELLES

Beruf und Familie unter einen Hut bringen
                        Der Wunschdienstplan ist eine der Maßnahmen für familienfreundliches Arbeiten,
                        mit denen sich die Einrichtungen der BruderhausDiakonie in der Region Bodensee-
                        Oberschwaben für das Evangelische Gütesiegel Familienorientierung zertifiziert haben.

                        Pflegedienst- und Wohngruppenleiterin Irina Rehaag       Einrichtungen der BruderhausDiakonie in der Region
                        koordiniert seit Kurzem den Wunschdienstplan im          für das Familiensiegel zertifiziert haben – ebenso wie
                        Gustav-Werner-Stift Ravensburg. Wunschdienstplan         sechs weitere Maßnahmen für familienfreundliches
                        heißt: Die rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter      Arbeiten, die für das Siegel eine Rolle spielen, erklärt
                        mit unterschiedlichen Arbeitszeitumfängen können         Tobias Günther, Fachbereichsleiter Altenhilfe in der
                        anmelden, wann sie arbeiten und wann sie frei haben      Region Bodensee-Oberschwaben. Er ist Mitglied der
                        wollen. Alle sollen sich im Dienstplan gleichberech-     Projektgruppe Familiensiegel. Der Zertifizierung ging
                        tigt wiederfinden. Von außen betrachtet ein Ding der     eine Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                        Unmöglichkeit. Doch Irina Rehaag wirkt gelassen: „Ich    quer durch alle Arbeitsbereiche der Bruderhaus-
                        erlebe die Menschen mit ihren Bedürfnissen haut-         Diakonie in der Region voraus. Sie sollte zeigen, was
                        nah.“ Eingetragene Wunschtermine der Beschäftigten       aus Mitarbeitersicht für die Vereinbarkeit von Beruf
                        sind so gut wie unantastbar. „Wenn der Dienstplan        und Privatleben wichtig ist. Den Rücklauf von 100
                        weitgehend passt, sind die Mitarbeitenden zufrieden,     beantworteten bei 400 verschickten Fragebögen
                        und der Betrieb kann reibungslos laufen.“ Gibt es        wertet Simone Windbühler als gutes Zeichen der
                        Überschneidungen bei den Wunschterminen, klären          Beteiligung. Die Fachdienst-Bereichsleiterin gehört
                        die Kolleginnen und Kollegen dies meist unter sich im    ebenfalls zur Projektgruppe. Über manche Ergebnisse
                        Team. „Das hat viel mit gegenseitiger Anerkennung        der Befragung war sie besonders erstaunt: So hätte
                        zu tun,“ betont die junge Führungskraft, die im Haus     sie erwartet, dass etwa die Möglichkeit zu einem
                        schon ihre Ausbildung gemacht hat und heute auch         Sabbatjahr für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                        Fachwirtin ist. Wo nötig, sucht sie im direkten Dialog   attraktiv wäre. Diese legen jedoch größeren Wert auf
                        mit den Kolleginnen und Kollegen nach einer Lösung.      andere Themen: Räume oder Autos der Einrichtungen
                                                                                 privat mieten zu können beispielsweise, ein jährliches
                        Befragung zeigt Bedürfnisse der Mitarbeiterschaft        Rentnertreffen für die gesamte Region, Vergünstigun-
                        Transparenz und Kommunikation: Schlüsselbegriffe,        gen im Öffentlichen Nahverkehr. „Wichtig waren vor
                        die Irina Rehaag mit ihrem Team aktiv leben möchte.      allem Punkte, die Gemeinschaft möglich machen,“
                        Den Wunschdienstplan gab es schon, bevor sich die        erläutert Tobias Günther.

Wunschtermine
sind so gut wie
unantastbar.

Irina Rehaag hat
selbst einen zwei-
jährigen Sohn.

18       sozial      1 I 2022
AKTUELLES

                                                                                                                   Der Pflegealltag
                                                                                                                   ist durch den
                                                                                                                   Wunschdienstplan
                                                                                                                   leichter geworden.

Bei der Umsetzung geht es einerseits darum, familien-   für ihren Sohn eingegangen ist, schätzt sie sehr.
freundliches Arbeiten zu ermöglichen. Andererseits      Außerdem sei für ihre pflegebedürftige Oma „ruck-
aber auch darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter       zuck“ ein Pflegeplatz im Gustav-Werner-Stift Ravens-
durch attraktive Angebote ans Unternehmen zu            burg organisiert worden. Denn Mitarbeiterinnen und
binden.                                                 Mitarbeiter des Unternehmens werden unterstützt,
                                                        wenn sie für einen engen Angehörigen einen Pflege-
Einrichtungen punkten mit Sportmöglichkeiten            platz benötigen – und zudem beraten betriebliche
Eines der bereits seit Längerem eingeführten Ange-      Pflegelotsen bei allen Fragen rund um die Pflege
bote nennt sich Qualitrain: Mitarbeiterinnen und Mit-   von Angehörigen. In eigens gebildeten Projektteams
arbeiter der Altenhilfe Region Bodensee-Oberschwa-      sollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitere,
ben können das Sportangebot von 5000 Sportstätten,      bisher noch nicht umgesetzte familienfreundliche
Fitnessstudios oder Freibädern nutzen. Der eigene       Maßnahmen bearbeiten.
monatliche Beitrag ist gering, das Angebot monatlich
kündbar. Simone Windbühler erläutert: „Qualitrain       Angebote in der Unternehmenskultur verankern
empfinden die Mitarbeitenden als Aufwertung, weil       Eine der nächsten Aufgaben der Familiensiegel-
solche Angebote in der Region sonst nur von nam-        Projektgruppe etwa ist ein Flyer, der diese Angebote
haften Industrieunternehmen bekannt sind.“ Als          und Maßnahmen als Teil der Unternehmenskultur
Arbeitgeber könne man damit punkten.                    deutlich machen soll. Einer Kultur, von der alle Mit-
Irina Rehaag würde Qualitrain auch gerne nutzen,        arbeiterinnen und Mitarbeiter, unabhängig von ihrer
etwa fürs Fitnessstudio oder zum Klettern. Aber         jeweiligen familiären Situation, profitieren können,
neben Beruf, Familie mit zweijährigem Sohn und          wie Tobias Günther und Simone Windbühler aus-
Hausbau sowie weiteren privaten Interessen bleibt ihr   drücklich betonen. Sei es mit Qualitrain-Sport- und
dafür momentan keine Zeit. Dafür profitiert sie vom     Gesundheitsangeboten, mit vergünstigten Einkaufs-
Zuschuss zu den Kindergartengebühren. Dass Fachbe-      möglichkeiten – oder dem Wunschdienstplan, der
reichsleiter Tobias Günther bei ihrem Wiedereinstieg    individuelle Arbeitszeiten ermöglicht.
nach der Elternzeit flexibel auf die Betreuungszeiten   I Anne Oschwald

                                                                                                          sozial    1 I 2022       19
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