Spirit biel/bienne - Berner Fachhochschule
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spirit biel/bienne Das Magazin der technischen Disziplinen der Berner Fachhochschule | 1 | 2022 Le magazine des disciplines techniques de la Haute école spécialisée bernoise Kreisläufe | Circuits Ressourcen sind limitiert – sie sollten so lange wie möglich im Umlauf bleiben | Les ressources sont limitées – elles doivent rester en circulation aussi longtemps que possible Special Week Bauabfälle als Ressource | Les déchets de Version fra nçaise du m construction comme agazine ressource disponible e n ligne! ‣ S. 6 Magazin au ch online ve rfügbar! spirit.bfh.c h
2 Inhalt und Impressum Focus Kreisläufe 4 Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle® 5 Économie circulaire et Cradle to Cradle® 6 Kreislaufwirtschaft als Chance – Bauabfälle als Ressource 8 «Wir wollen Leute ausbilden, die anders denken» 10 Das Klima gibt den Bauplan vor 8 12 Mit neuem Recyclingverfahren mehr aus Lithium-Ionen-Batterien herausholen 14 E-Auto aus gebrauchten Komponenten 16 E-LKW – Lebensdauerverlängerung statt Elektroschrott 18 How can the road construction domain contribute to the CE concept? 20 Die Zukunft der Photovoltaik im Simulationsmodell 22 Datenmanagement für die Kreislaufwirtschaft 12 in der Solarindustrie Im Gespräch 24 «Eine attraktive Hochschule schenkt viel Freiraum und Vertrauen» Events 27 Batterieherstellung nach Wunsch News 29 News 18 STI Success Story 31 CLEVERON – Heizungen und Raumluft verbessern Impressum Impressum Herausgeberin: Berner Fachhochschule BFH Publication: Haute école spécialisée bernoise BFH Architektur, Holz und Bau/Technik und Informatik Architecture, bois et génie civil /Technique et informatique Adresse: Berner Fachhochschule BFH, Redaktion spirit Adresse: Haute école spécialisée bernoise BFH, rédaction spirit biel/bienne, Postfach, 2501 Biel-Bienne/spirit@bfh.ch biel/bienne, case postale, 2501 Biel-Bienne / spirit@bfh.ch Erscheinungsweise: 3-mal jährlich Parution: paraît 3� par année Nr. 1: März, Nr. 2: Juni, Nr. 3: Oktober no 1: mars, no 2: juin, no 3: octobre Auflage: 6000 Exemplare Tirage: 6000 exemplaires Redaktion: Diego Jannuzzo, Nicole Bärtschiger, Textatelier.ch Rédaction: Diego Jannuzzo, Nicole Bärtschiger, Textatelier.ch Übersetzungen und Lektorat: Nicolas Bianchi, Stéphane Cuennet, Traductions et lectorat: Nicolas Bianchi, Stéphane Cuennet, Sarah Gaffino, Michelle Joyce Sarah Gaffino, Michelle Joyce Fotos: BFH Photos: BFH Gestaltung, Druck: Stämpfli AG, Wölflistrasse 1, Graphisme, imprimerie: Stämpfli SA, Wölflistrasse 1, Postfach, CH-3001 Bern case postale, CH-3001 Berne Adressänderungen, Abonnement: spirit@bfh.ch Changements d’adresse, abonnement: spirit@bfh.ch Inserate für die nächste Ausgabe: Inserateschluss Date butoir pour les annonces de la prochaine édition: 25. März 2022 25 mars 2022 Sie finden das Magazin in deutscher und französischer Ce magazine existe en version française et allemande Übersetzung auf: spirit.bfh.ch à l’adresse: spirit.bfh.ch ISSN 2297-6957 (Print) ISSN 2297-6957 (Print) ISSN 2673-8910 (Online) ISSN 2673-8910 (Online) Oktober 2021 | spirit
3 Editorial Virve Resta Fachexpertin Innovationsförderung, Amt für Wirtschaft des Kantons Bern Experte de la promotion d’innovation, Office de l’économie du canton de Berne Liebe Leser*innen Chères lectrices, chers lecteurs, Thomas Stucki (BFH) und Martin Wörter (ETH/KOF) Thomas Stucki (BFH) et Martin Wörter (EPF/KOF) fanden kürzlich heraus, dass heute ca. 10 Prozent der ont récemment découvert qu’environ 10 % des entre- Schweizer Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft prises suisses exercent aujourd’hui leur activité dans (KLW) tätig sind. Die noch linear tätigen Unternehmen l’économie circulaire (EC). Celles qui produisent encore sehen für die Umsetzung der KLW viele Hürden. selon un schéma linéaire entrevoient de nombreux obs- Was müssen wir tun, damit Unternehmen die Zirku- tacles à la mise en œuvre de ce système économique. larität als Chance für die Zukunft sehen? Die Zukunft Que devons-nous faire pour que les entreprises considè wird aus Chancen gemacht. Chancen sind vorteilhafte rent la circularité comme une opportunité? L’avenir est Gestaltungsmöglichkeiten und können aus beliebigen constitué de chances à saisir. Les opportunités repré- Quellen wie Trends, Technologien, Zukunftsannahmen sentent des possibilités utiles de concevoir et on peut und Überraschungen geschöpft werden. Chancen hel- les puiser à n’importe quelle source, qu’il s’agisse de fen, die Möglichkeiten der Zukunft auszuleuchten, tendances, de technologies d’hypothèses ou de sur um sich deren Dimensionen und Eigenschaften besser prises. Elles aident à éclairer le champ des possibles qui bewusst zu werden. s’offre à l’avenir pour mieux prendre conscience de Was passiert gerade um uns herum? Das Klima wird ses dimensions et de ses caractéristiques. wärmer, die Rohstoff- und Energiepreise steigen, die Qu’observe-t-on autour de nous en ce moment? Le cli- Menge der produzierten Güter nimmt zu, die Bevölke- mat se réchauffe, les prix des matières premières et de rung schrumpft in den Randregionen, der Staat lenkt l’énergie augmentent, la quantité des biens produits durch Steuern und Abgaben, und neue Technologien s’accroit, la population est en recul dans les régions wie künstliche Intelligenz, IoT, Big Data oder Robotik périphériques, l’État intervient par le biais d’impôts sind im Vormarsch. Alle diese Faktoren können wir et de taxes, et les nouvelles technologies telles que nicht unmittelbar beeinflussen, aber ein Unternehmen l’intelligence artificielle, l’IoT, le Big Data ou la robo- kann jeden einzelnen Faktor betrachten und versuchen tique prennent leur essor. Nous n’avons pas les moyens zu erkennen, was gerade dieser oder jener Faktor für d’influencer directement tous ces facteurs, mais une seine Strategie, für Produkte und Dienstleistungen, entreprise peut examiner chacun d’entre eux et déter- für den eigenen Vertrieb, für die Partnerschaften sowie miner ce que tel ou tel facteur implique pour sa straté- für die Ressourcen bedeutet. gie, ses produits et services, sa propre distribution, ses 10 Prozent der Schweizer Unternehmen haben er- partenariats et ses ressources. kannt, dass sie Wettbewerbsvorteile und Wertschöp- Dix pour cent des entreprises suisses ont compris fung mit den zirkulären Lösungen erzielen können. Sie qu’elles pouvaient obtenir des avantages concurren- haben mit Sicherheit erkannt, dass ihre Zukunft anders tiels et créer de la valeur ajoutée grâce aux solutions aussehen wird und ihre Unternehmensstrategie «zirku- circulaires. Elles ont assurément pris conscience que lärer» gestaltet. Die obigen Entwicklungen werden sich leur avenir revêtirait une forme différente et remodelé mit grosser Wahrscheinlichkeit verstärken. Wenn dies leur stratégie pour la rendre plus circulaire. Les proba- geschieht, sind diese Unternehmen bereits im Geschäft bilités de voir les tendances susmentionnées se ren- und helfen zudem, die grossen Probleme der Erde zu forcer sont notables. Si cela se produit, ces entreprises lösen, die uns vermehrt Angst machen. Die Angst war auront l’avantage d’exercer déjà leur activité et contri- aber noch nie eine gute Begleiterin, vielmehr brauchen bueront en outre à résoudre les grands problèmes de la wir Mut und Weitsicht. planète qui nous effraient de plus en plus. Or, la peur n’a Packen wir es an, weil die Erde schon immer zirkulär jamais été bonne conseillère. Ce dont nous avons bien war. davantage besoin, c’est de courage et de clairvoyance. Mettons-nous au travail, car la Terre a toujours été Virve Resta circulaire. Virve Resta März 2022 | spirit
4 Focus: Kreisläufe Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle® Mit dem «New Green Deal» hat sich die EU für eine CO2-neutrale, nachhaltige, giftfreie und geschlossene Kreislaufwirtschaft ausgesprochen. Wie verhält es sich mit der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz? Albin Kälin CEO, EPEA Switzerland GmbH, akkreditierter Gutachter für die Cradle-to-Cradle-Certified®- Zertifizierung «The New Green Deal» Tausende Produkte sind Cradle-to-Cradle-Certified®- Brüssel, 10. Februar 2021: Das EU-Parlament nimmt zertifiziert, von Parfums über Bodenbeläge, T-Shirts den Vorschlag der EU-Kommission für den «New Green und Jeans zu Wasserflaschen und Fensterpflegeproduk- Deal» mit einer grossen Stimmenmehrheit an. Dies sind ten. Eine wachsende Anzahl von Marken, Organisatio- umfassende politische Empfehlungen, um bis spätes- nen und Institutionen anerkennt die Cradle-to-Cradle- tens 2050 eine CO2-neutrale, nachhaltige, giftfreie und Certified®-Zertifizierung als bevorzugten Standard für geschlossene Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Somit ihre Kaufentscheidungen. ist ein Faktum geschaffen worden, und es gibt kein Zu- rück mehr. Der Auftrag des EU-Parlaments an die EU- Emmentaler Firma ist Weltmeisterin im Bereich Kommission lautete, bereits im Jahr 2021 neue Gesetz- Druck/Verpackung gebungen unter anderem in der Ökodesign-Richtlinie Die Migrationsproblematik, vor allem im Bereich der zu erlassen, da schon 80 Prozent der späteren Umwelt- Lebensmittelverpackung, ist ein viel diskutiertes The- auswirkungen von Produkten beim Design festgelegt ma. Hier würde Cradle to Cradle® bedeuten, dass nur werden. Die Ziele des «New Green Deal» können nur Stoffe für Verpackungen eingesetzt werden, die sicher durch eine Kreislaufwirtschaft erreicht werden. für biologische Systeme sind und dadurch Migration zulassen können. Mit den bedruckten Papieren der Vö- Wie steht es mit der Kreislaufwirtschaft geli AG aus dem Emmental wurden erstmals weltweit in der Schweiz? Verpackungslösungen umgesetzt, die kreislauffähig Sowohl die Politik wie auch die Unternehmen ma- und damit zukunftsfähig sind. Die Firma ist weltweit chen zu wenig, um nach einem echten Kreislaufprinzip die erste Druckerei, die GOLD bei der Cradle-to-Cradle- zu wirtschaften. Die Schweiz gehört weltweit zu den Certified®-Zertifizierung erreicht hat – ein Meilenstein. Top-3-Ländern im Produzieren von Abfällen und ist eindeutig Weltmeister im Abfallverbrennen. Damit Kontakt – kaelin@epeaswitzerland.com werden Ressourcen unwiederbringlich zerstört und können nicht den kommenden Generationen in guter Infos Qualität zur Verfügung gestellt werden. Dies ist der fal- – EPEA Switzerland GmbH, epeaswitzerland.com sche Weg. Doch es gibt auch eine gute Nachricht. Es – Cradle to Cradle Certified®, c2ccertified.org existieren ein paar Leuchtturmfirmen in der Schweiz, – Druckerei Vögeli, voegeli.ch – social media: epeaswitzerland die das Kreislaufprinzip erfolgreich umsetzen. Albin Kälin ist Gründer und CEO (seit 2009) von EPEA Der Standard für kreislauffähige Produkte Switzerland GmbH. 2021 wurde er mit dem CEO Today Europe Cradle to Cradle Certified® ist ein global anerkannter Award 2021 ausgezeichnet. Bewertungsstandard für sichere, nachhaltige und kreislauffähige Produkte. Produktdesigner*innen, Her stellerfirmen und Marken rund um den Globus vertrauen auf den Cradle-to-Cradle-Certified®-Zerti fizierungs-Produktstandard. Er gilt als transformieren- der Wegweiser, um Produkte mit einer positiven Wir- kung für die Gesellschaft und die Umwelt zu entwickeln. März 2022 | spirit
5 Focus: Circuit Économie circulaire et Cradle to Cradle® En adoptant le «New Green Deal» (pacte vert), l’UE s’est prononcée en faveur d’une économie en circuit fermé, carboneutre, durable et exempte de sub stances toxiques. Qu’en est-il de l’économie circu- laire en Suisse ? Albin Kälin CEO, EPEA Switzerland GmbH, expert accrédité pour la gestion du label Cradle to Cradle Certified® «The New Green Deal» leur confiance à la norme de certification Cradle to Bruxelles, le 10 février 2021. Le Parlement euro- Cradle Certified®. Elle sert d’indicateur et d’incitateur péen adopte à une large majorité la proposition de la pour le développement de produits ayant un impact Commission européenne prônant le «New Green Deal». positif sur la société et l’environnement. Des milliers de Ce pacte regroupe des recommandations politiques glo- produits les plus variés disposent du label Cradle to bales visant à parvenir à une économie circulaire, Cradle Certified®, qu’il s’agisse de parfums, de revête- neutre en CO2, durable, non toxique et en circuit fermé ments de sol, de t-shirts, de jeans, de bouteilles d’eau ou d’ici à 2050 au plus tard. Cette décision marque un tour- encore de produits d’entretien des fenêtres. Un nombre nant en ce qu’elle rend impossible tout retour en arrière. croissant de marques, d’organisations et d’institutions Le Parlement européen a demandé à la Commission reconnaissent le label Cradle to Cradle Certified® comme européenne d’adopter une nouvelle législation en 2021, norme privilégiée pour leurs décisions d’achat. notamment en ce qui concerne la directive sur l’écocon- ception, étant donné que 80 % de l’impact environne- Une entreprise de l’Emmental championne mental des produits est déjà déterminé au moment de du monde dans le domaine de l’impression et leur conception. Seule une économie circulaire permet de l’emballage d’atteindre les objectifs du «New Green Deal». La problématique de la migration, notamment dans le domaine des emballages alimentaires, est un sujet Qu’en est-il de l’économie circulaire en Suisse? largement discuté. Dans ce cas, Cradle to Cradle® sig Tant du côté du monde politique que du côté des en- nifierait que seules des substances qui autorisent la treprises, les efforts en faveur d’une gestion des affaires migration, car elles sont sans danger pour les systèmes selon une approche véritablement circulaire demeurent biologiques, seraient utilisées pour les emballages. Les insuffisants. La Suisse figure parmi les trois pays pro- papiers imprimés de la société Vögeli AG, basée dans duisant le plus de déchets dans le monde et se profile l’Emmental, ont permis de fabriquer des solutions clairement comme la championne en matière d’inciné- d’emballage inédites pensées pour la circularité et qui ration. Cela signifie que les ressources sont irrémédia- s’avèrent donc porteuses d’avenir. L’entreprise est la blement détruites sans pouvoir être mises à la disposi- première imprimerie au monde à obtenir le label tion des générations futures dans de bonnes conditions. Cradle to Cradle Certified® GOLD – un jalon important. Ce n’est pas la voie à suivre. On peut cependant annon- cer aussi une bonne nouvelle. Quelques entreprises Contact – kaelin@epeaswitzerland.com phare en Suisse appliquent avec succès le principe de circularité. Infos – EPEA Switzerland GmbH, epeaswitzerland.com Norme s’appliquant aux produits pensés pour – Cradle to Cradle Certified®, c2ccertified.org la circularité – Imprimerie Vögeli, voegeli.ch – social media: epeaswitzerland Cradle to Cradle Certified® est une norme d’évalua- tion reconnue à l’échelle mondiale pour des produits Albin Kälin est le fondateur et CEO (depuis 2009) sûrs, durables et recyclables. d’EPEA Switzerland GmbH. En 2021, il s’est vu remettre le Les concepteurs et conceptrices de produits, les fa- CEO Today Europe Award 2021. bricant-e-s et les marques du monde entier accordent März 2022 | spirit
6 Focus: Kreisläufe Kreislaufwirtschaft als Chance – Bauabfälle als Ressource Noch ist unklar, wie dereinst Baumaterialien und -teile direkt und ohne wesentliche Verluste in neue Bauwerke zurückgeführt werden können. Das The- menfeld ist neu. Klar ist nur: Wenn die graue Umwelt- belastung der Bauwirtschaft substanziell reduziert Katrin Büsser werden soll, dann wird ein Paradigmenwechsel in Professorin für Architektur und Planung, BFH der Planung stattfinden müssen. Dieser Paradigmenwechsel in der Planung bringt Patrick Fuchs, BFH, über Kreisläufe im Holzbau oder nicht nur Herausforderungen, sondern vielmehr auch von Eva Stricker und Guido Brandi, ZHAW, über ihre Chancen mit sich. Fachkenntnisse sind gefragt, neue Forschung zur Wiederverwendung von Bauteilen. Handlungsfelder und Gestaltungsräume tun sich auf. «Kann die Küche zum Präzedenzfall für ein modula In der Special Week «Bauabfälle als Ressource» mach res Bausystem werden, das einfach unterhalten, erneu ten sich Studierende und Dozierende auf die Suche nach ert oder sogar wiederverwendet werden kann?» Diese neuen Ideen. Frage stellten sich Sandro Jud und Davide Werren. Die Zahlen sind eindrücklich: Gut 15 Prozent der in Küchen werden meist nach der SMS- oder Euro-Mass der Schweiz verursachten Umweltbelastung1 gehen auf norm geplant und gebaut. Dennoch unterscheiden sie die Erstellung, den Unterhalt und die Entsorgung von sich im Detail. Korpusse, Fronten oder Auszüge sind Bauwerken zurück. Auf der anderen Seite ist der Bau für untereinander nicht kompatibel und teilweise von rund 84 Prozent der in der Schweiz produzierten Ab schlechter Qualität. Ganze Küchen werden entsorgt, fälle (65 Prozent Aushub- und Ausbruchmaterial obwohl nur einzelne Teile am Ende des Lebenszyklus und 19 Prozent Rückbaumaterial)2 verantwortlich. angekommen sind, denn eine Renovation ist unmög Eine effizientere Weiterverwendung von Rückbaumate lich oder lohnt sich nicht. Noch mehr würde eine Wie rial würde Ressourcen schonen, Deponien entlasten derverwendung an einem neuen Ort aufwendige und sowie die Umweltbelastung durch Verarbeitung und teure Anpassungen nach sich ziehen. «Es fehlt nicht Transport reduzieren. viel», sind Jud und Werren überzeugt. Was, wenn die Die Planer*innen halten einen riesigen, bislang Küchenbaufirmen die Standardisierung bis ins Detail noch wenig bedachten Hebel in der Hand. weitertrieben? Modular geplant und aus dauerhaften Nur – sollen die Kreisläufe am Bau geschlossen wer Materialen konstruiert, könnten Küchen viel länger den, bedeutet dies, dass die Verfügbarkeit von Materia unterhalten, bei Bedarf erneuert und sogar wiederver lien und Bauteilen an den Anfang gestellt und somit die wendet werden. Dies wäre ein starkes Kaufargument gewohnten Abläufe radikal neu gedacht werden müs für die kosten- und umweltbewusste Bauherrschaft. sen. Hier setzten die Studierenden der BFH-AHB Spe «In der digitalen Kette im Holzmodulbau klafft eine cial Week «Bauabfälle als Ressource» an und ent Lücke. Soll der Kreis geschlossen werden, müssen der wickelten Hypothesen für eine kreislauffähige Rückbau vor Ort und die Demontage im Werk zur Mate Bauwirtschaft. Dabei wurden ganz neue Handlungsfel rialgewinnung mit bedacht werden.» Diese Feststel der entdeckt. lung veranlasste Tobias Hasler, David Marty und Aaron Die Ideen und Strategien der Studierenden entstan Müller im Gespräch mit verschiedenen Expert*innen den, während sie sich auf verschiedenen Exkursionen dazu, herauszufinden, ob es möglich wäre, die Lücke zu entlang des Entsorgungswegs von Bauten (Rückbau, schliessen. Ihre Recherchen zeigen, dass es noch ver Sortierung, Deponie, KVA, Recyclingwerk) mit der Pro schiedene Herausforderungen gibt: Zentral für die au blematik auseinandersetzten. Die Besichtigung von tomatisierte Demontage ist die Durchgängigkeit der Pionierprojekten wie dem K118 des Baubüro in situ Daten, die jede Anpassung vor Ort verbietet. Auch oder dem NEST-Gebäude dienten als Inspiration. müssten die Art der Verbindungen und die Material Die theoretischen Grundlagen lieferten verschiedene wahl auf die spätere Demontage abgestimmt werden. Fachvorträge – beispielsweise von Isabel Gutzwiller, Das Fazit der drei Studenten: Der automatisierte Rück Stahlbau Zentrum Schweiz SZS zum Thema Wiederver bau wäre eigentlich möglich. Doch das Ende des Le wendung im Stahlbau, von Prof. Corentin Fivet, EPFL, benszyklus der heute produzierten Module liegt noch über «optimum reuse» und Forschungsprojekte, von in weiter Ferne. Es besteht noch kein Interesse. Die ho März 2022 | spirit
7 Focus: Kreisläufe Modulare Küchenzeile: neu (links), renoviert (mitte), wiederverwendet an neuem Ort (rechts) «Kann die Küche zum Präzedenzfall für ein modulares Bausystem werden, das einfach unterhalten, erneuert oder sogar wiederverwen- det werden kann?» Diese Frage stellten sich die Studierenden zu Beginn ihrer Arbeit. hen Kosten jedoch, die eine zerstörungsfreie Trennung Seien es die «Urban Miner» oder die Planer*innen, der Materialien als Voraussetzung für eine effiziente die durch die generalistische Sichtweise und die Nähe Kreislaufwirtschaft mit sich bringt, macht die aufge zur Kundschaft Bedürfnisse erkennen und dann zu worfene Frage nach der automatisierten Demontage sammen mit Unternehmen kreislauffähige Produkte besonders relevant. entwickeln wie im Beispiel der modularen Küchen, «Nur wenn bekannt ist, wo was verfügbar ist, kön oder sei es wie im Beispiel der automatisierten Demon nen Bauteile und Materialien wiederverwendet wer tage die Entwicklung von ökonomischen Rückbaupro den.» Flavia Frautschi, Tobias König, Jana Röthlisber zessen – die drei Beispiele zeigen exemplarisch, wie ger und Nedim Terzic sehen ein Informationsdefizit als vielfällig und spannend die neuen Herausforderungen Hindernis für die Nutzung der «urbanen Mine» (die sind und welche Chancen sich in der Kreislaufwirt Stadt als Rohstofflagerstätte) und verfolgten daher ei schaft eröffnen. nen systemischen Lösungsansatz. Sie haben ein natio Die Diskussion der studentischen Visionen am letz nales Bauteilkataster vorgeschlagen. Im Rahmen von ten Tag gemeinsam mit David Hiltbrunner, Sektion Abbruchgenehmigungen sollen die verwendbaren Bau Rohstoffkreisläufe des BAFU, hat gezeigt, dass es noch stoffe und -teile erfasst und in einem Bauteilkataster viel Entwicklung braucht. Das Engagement der Studie publiziert werden. Bauherren, Planerinnen oder Unter renden war spürbar: Sie wollen einen Beitrag zur Re nehmen können darauf zugreifen und so an geeignete duktion der grauen Umweltbelastung leisten und for Materialien gelangen. dern, dass durch gesetzliche, wirtschaftliche und Im Rahmen von Neubaubewilligungen werden normative Rahmenbedingungen Anreize für die Kreis ebenfalls Informationen im Kataster abgelegt. Das Ins laufbauwirtschaft geschaffen werden. trument liefert die dringend notwendigen, umfassen den Informationen über die Ressourcen im Baubestand, 1 AFU. (2019). Projekt MatCH – Synthese, Material- und B die zur Entwicklung geschlossener Kreisläufe notwen Energieflüsse der schweizerischen Volkswirtschaft. dig sind. Die Bewirtschaftung des «Materiallagers», so 2 https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/abfall/ die Gruppe, schafft eine neue Profession: «Urban inkuerze.html, eingesehen am 4. Januar 2022. Miner» sind Spezialist*innen für die Beurteilung und Kontakt Qualifizierung des Baubestands im Hinblick auf die – katrin.buesser@bfh.ch Weiterverwendung. Infos zur Special Week der BFH-AHB – bfh.ch/ahb/de/aktuell/medienmitteilungen/2021/kreislaufwirt- schaft-im-zentrum-der-special-week/ Das Video zur Special Week auf spirit.bfh.ch > Kreislaufwirtschaft als Chance Auf Exkursion in der Sortieranlage. März 2022 | spirit
8 Focus: Kreisläufe «Wir wollen Leute ausbilden, die anders denken» Ab September 2022 gibt es an der BFH den Master «Circular Innovation and Sustainability». Damit werden Manager*innen ausgebildet, welche die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft voran treiben sollen. Ein Gespräch mit Frédéric Pichelin, Prof. Dr. Frédéric Pichelin Mitglied des Kernteams Master CIS über die Leiter Bereich Forschung, Dienst leistung und Weiterbildung FDW, Schwerpunkte des Studiengangs und die grosse BFH-AHB Bedeutung der Kreislaufwirtschaft. nommen. Das ist ernüchternd. Sehr wenige Firmen sind Herr Pichelin, wie zirkulär leben Sie persönlich? interessiert daran, dass Rohstoffe möglichst lange wie- derverwendet werden. Deshalb ist es wichtig, zukünf- Als Ingenieur habe ich ein grosses Interesse an elek- tige Kaderleute auf diesem Gebiet auszubilden. tronischen Geräten. Wenn bei uns zu Hause ein Gerät kaputt ist, repariere ich es selbst, anstatt es wegzu- schmeissen. Unsere Gesellschaft hat sich daran ge- Startet die BFH deshalb im September 2022 wöhnt, defekte Dinge zu entsorgen und neue zu kaufen. den Masterstudiengang «Circular Innovation In einer zirkulären Wirtschaft sollten diese jedoch so and Sustainability»? lange wie möglich im Umlauf bleiben. Ja. Es ist unser Ziel, genau solche Manager*innen auszubilden. Unter dem Stichwort «Changemaker» Wieso ist die Kreislaufwirtschaft für die Gesell- wollen wir Leute ausbilden, die anders denken, beste- schaft so bedeutend? hende Verhältnisse infrage stellen und die Kreislauf- wirtschaft stärken wollen. Der Masterstudiengang ist Wir nutzen limitierte Ressourcen. Doch nicht nur fächerübergreifend konzipiert. Einerseits vermittelt er diese werden knapp, sondern auch die nachwachsen- betriebswirtschaftliche Kompetenzen. Andererseits den Rohstoffe. Aufgrund der Coronapandemie kam es erwerben die Studierenden ein technisches und ökolo- zum Beispiel beim Rohmaterial Holz zu Lieferengpäs- gisches Verständnis von Produktionskreisläufen und sen. Limitierte sowie nachwachsende Rohstoffe sollten das Know-how, um mit unseren natürlichen Ressour- deshalb so lange wie möglich im Kreislauf gehalten cen nachhaltig umzugehen. Sie setzen sich in verschie- werden. In einer linearen Wirtschaft wird etwa Holz denen Bereichen mit Themen wie Produktdesign, Ener- verbrannt, was CO2 freisetzt. In einer Kreislaufwirt- gie- und Ernährungssysteme, Unternehmertum oder schaft bleibt das Holz möglichst lange erhalten und auch Landnutzung auseinander. speichert dadurch das CO2 mittel- bis langfristig. Weshalb ist die Interdisziplinarität so wichtig? Wie weit entwickelt ist die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz? Die Kreislaufwirtschaft ist ein komplexes Thema. Um es zu verstehen und um konkrete Projekte umset- Leider nicht sehr weit. Ein Team um meinen Kolle- zen zu können, braucht es verschiedene Disziplinen. gen Tobias Stucki aus dem BFH-Departement Wirt- Die Departemente Agrar-, Forst- und Lebensmittelwis- schaft führte zwischen 2017 und 2019 eine Studie senschaften BFH-HAFL, Wirtschaft BFH-W sowie Ar- durch. Dabei wurden 8000 Schweizer Firmen aus un- chitektur, Holz und Bau BFH-AHB bilden das Kernteam terschiedlichen Branchen bezüglich Kreislaufwirt- des Masterstudiengangs. Zudem habe BFH-Fachleute schaft befragt. Lediglich 10 Prozent setzten auf zirku- aus den Bereichen Gesundheit BFH-G, Technik und In- läre Prozesse. Die anderen hatten bis zu diesem formatik BFH-TI, Soziale Arbeit BFH-S und Künste HKB Zeitpunkt kaum ökologische Verbesserungen vorge- ihr Wissen zu den Themen Kreislaufwirtschaft und März 2022 | spirit
9 Focus: Kreisläufe Master «Circular Innovation and Sustainability»: den Studierenden ein ganzheitliches Verständnis der Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Nachhaltigkeit eingebracht. Mit dieser Zusammen arbeit ermöglichen wir den Studierenden ein ganzheit- Für welche Personen ist der neue Masterstudien- liches Verständnis der Kreislaufwirtschaft. Damit gang besonders geeignet? Innovation entstehen kann, müssen verschiedene Dis- ziplinen zusammenkommen. Grundsätzlich für Studierende mit einem Bache- lorabschluss in Wirtschaft, Life Science oder Technolo- gie. Doch auch Studierende der Künste oder der Sozia- Wo liegen konkret die Schwerpunkte des len Arbeit können sich anmelden. Grundvoraussetzung Studiengangs? ist wie angesprochen eine innovative Projektidee. In einem persönlichen Gespräch entscheiden wir dann Wir haben ihn in drei Themenbereiche eingeteilt: über die Zulassung. Produkt- und Prozessinnovation, zirkuläre Geschäfts- modelle sowie deren Schnittstellen zu Politik und Ge- sellschaft. Hinzu kommt die Methodik als themenüber- Und wo arbeiten Absolvent*innen nach dem greifender Schwerpunkt. Bei Letzterem geht es etwa Studium? um die Frage, wie sich Kreislaufwirtschaft bemessen lässt oder wie ein zirkuläres Produkt designt werden Zum Beispiel in der Privat- oder Finanzwirtschaft. kann. Zudem verfolgt jede*r Student*in während der Dort ist der Bedarf an Nachhaltigkeitsberater*innen Ausbildung eine eigene Projektidee, aus der am Schluss gross. Neben der Privatwirtschaft kommen aber auch ein konkretes Geschäftsmodell entstehen kann. Behörden wie das Bundesamt für Umwelt oder nationa- le oder internationale Nichtregierungsorganisationen als Arbeitsorte infrage. Unsere Absolvent*innen sollen Zum Beispiel? helfen, die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Sie sol- len sich bewusst sein, dass sie einen positiven Beitrag In der Lebensmittelindustrie gibt es viele Nebenpro- an die Weiterentwicklung der Gesellschaft leisten kön- dukte, die wertvolle Wertstoffe für neue Produkte ent- nen – im Beruf und auch im privaten Umfeld. halten. So stellte ein Student der Hochschule der Küns- te in Bern vor ein paar Jahren aus Kaffeesatz Geschirr Kontakt – frederic.pichelin@bfh.ch her. Damals gab es unseren Master leider noch nicht. Aus einem solchen Projekt kann man eine sehr konkre- Infos zum neuen BFH-Master «Circular Innovation and te Geschäftsidee entwickeln. Genauso wie bei folgen- Sustainability» dem Beispiel aus der Holzindustrie: Dort wird die Rinde – Anmeldefrist: 15. Mai 2022 der Bäume meistens verbrannt oder ungenutzt liegen – Studienbeginn: 19. September 2022 – bfh.ch/msc-nachhaltigkeit gelassen. An der BFH haben wir ein Verfahren entwi- ckelt, mit dem man Tannine aus der Rinde extrahieren kann. Daraus stellen wir nun Klebstoff für Span- und Master «Circular Innovation and Sustainability» > Sperrholzplatten her. das Video dazu auf spirit.bfh.ch März 2022 | spirit
10 Focus: Kreisläufe Das Klima gibt den Bauplan vor Die Ingenieurwissenschaften basieren auf Fakten und Daten. Was nicht bewiesen werden kann, wird nicht anerkannt. Woher kommen die Fakten und Daten zur Validierung der Kreislaufwirtschaft und der Nachhaltig- keit? Die Antwort ist einfach: Die Digitalisierung liefert Thomas Rohner die benötigten Daten. Sei es zu CO2-Emissionen, grauer Professor für Holzbau und BIM, BFH Energie, Bezugsflächen, Rohstoffquellen, Transportwe- gen, Nachhaltigkeitskriterien oder Wohlfühlfaktoren. Die Digitalisierung liefert nicht nur die Datengrund- Die Formulierung der gemeinsamen Anwendungs- lagen, sondern ermöglicht auch die Simulation von fälle wird Use-Case-Management genannt, ein systemi- Szenarien. Wie läuft der Bau ab? Wie bewegen sich die scher, systematischer und methodischer Ansatz, der in Personen darin? Was passiert bei einem Brand? Wie der Schweiz entwickelt wurde und heute von buildingS- hoch ist die sommerliche Temperatur in der Stadt? Wo MART international angewendet wird. BIM befähigt die sind Erholungszonen? Wo Aktivzonen? All das kann Baubranche zur Einhaltung des «Aktionsplan Digitale mithilfe des digitalen Zwillings simuliert werden. Schweiz» des Bundesrats, mit ausgewählten Massnah- Der Betrachtungsperimeter ist der Lebenszyklus, was men von bundesexternen Dritten, die einen Beitrag zur einen Paradigmenwechsel in Planung, Bau und Nutzung Erreichung der Strategieziele leisten. Das Konzept der verlangt. Die digitale Transformation ist als methodi- Kreislaufwirtschaft ermöglicht der Bauwirtschaft, am scher Ansatz ein evolutionärer Prozess. Es braucht einen gleichen Strick zu ziehen und in Kollaboration optima- systemischen, systematischen Ansatz plus Building In- le Lösungen zu finden. formation Modelling (BIM). Die Nachhaltigkeit wird messbar, berechenbar und kontrollierbar – unabhängig Schlüssiges Konzept davon, welche Methode angewendet bzw. was abgebil- Holz, BIM und Nachhaltigkeit ergeben ein schlüssi- det werden soll. Ob der Standard Nachhaltiges Bauen ges Konzept zur Errichtung guter Bauten. Das kurzfris- Schweiz (SNBS) oder der Nachhaltigkeitskompass ge- tige Kostendenken muss durch ein langfristiges Quali- wählt, ob Treibhausgas oder CO2 gemessen wird – der tätsdenken ersetzt werden, und die Baubranche hat den digitale Zwilling liefert die richtigen Daten. grössten Hebel (40 Prozent der CO2-Emission). Gebaut wird für künftige Generationen, und das Handeln muss Gemeinsamkeit als nachhaltige Strategie «Cradle-to-Cradle»-geleitet sein. Das Jahr 2021 hat viele positive Entwicklungsschrit- te im digitalen Bauen ausgelöst. Die BIM-Methode ist Die Botschaften sind einfach und verständlich: weltweit unbestritten. Um eine «unité de doctrine» zu – Es ist bedeutend einfacher, nachhaltige Häuser zu erreichen, wurde an den von der SBB organisierten BIM bauen, als Leute in ihrer Mobilität einzuschränken. Industry Days ein 6-Punkte-Plan formuliert, der folgen- – Es ist bedeutend einfacher, ökologische und des festlegt: nachwachsende Baustoffe zu verwenden, als den – gemeinsames sprich einheitliches Vorgehen: Fleischkonsum einzuschränken. gemeinsames Zielbild und Roadmap – Es ist bedeutend einfacher, Fassaden zu begrünen, – das Gleiche verstehen: gemeinsame Sprache als energiebetriebene Technologien zur Kühlung, (Glossar) Luftreinigung und Lärmdämmung einzusetzen. – das Gleiche datentechnisch abbilden: gemeinsames Datenmodell Nachwachsende Rohstoffe und mehrfach genutzte – das Gleiche modellieren: gemeinsame Bauteil Bei den nachwachsenden Baustoffen spielt Holz die bibliothek wichtigste Rolle, denn 31 Prozent der Schweizer Fläche – das Gleiche untersuchen: gemeinsame Anwen- sind Wald. Der Wald übernimmt Funktionen in allen dungsfälle drei Säule der Nachhaltigkeit: soziale, ökologische und – das Gleiche bestellen: gemeinsame Bestell ökonomische Nachhaltigkeit müssen in der Waldwirt- grundlagen schaft zu einer Einheit gebracht werden. Der gebaute März 2022 | spirit
11 Focus: Kreisläufe Schweizer Gebäudepark besteht aus 3,2 Milliarden Ton- Digitalisierung in der Bildung nen vornehmlich mineralischen Stoffen. Zwar sind sie Das Konzept des Staatssekretariats für Bildung, For- nicht nachwachsend, aber dennoch bilden sie die gröss- schung und Innovation (SBFI) teilt der Bildung, For- te heimische Ressource. Historisch gesehen wurden schung und Innovation die zentrale Rolle in der Ent- schon immer alte Bauten als Materialquelle für Neues wicklung, Anwendung und Nutzbarmachung neuer verwendet. Dieser «Revitalisierungsprozess» hat nicht Technologien zu. Das zugrundeliegende didaktische nur Vorteile, da einige Kulturbauten dadurch ver- Konzept baut auf drei Säulen: schwunden sind. Grundsätzlich ist die Wiederverwen- – Interdisziplinarität – bedeutet vielfältige und dung von Baumaterial äusserst sinnvoll, ob minerali- flexible Curricula, unterstützte und begleitete sche, metallische oder organische Baustoffe. Wichtig Lernprozesse, Flipped Classrooms und Blended ist, dass die artenreine Trennung möglich ist und die Learning. Herkunftsdeklaration erhalten bleibt. Hier kann uns – Future Skills – bedeutet die Verankerung und die Blockchain-Technologie unterstützen, nachhaltige integrative Förderung von zukünftigen Fähigkeiten. und transparente Lieferketten mittels RFID1 und GTIN2 – Vernetzung – weist auf die Kultur des Teilens von zu garantieren. Wissen und Können und auf die Vernetzung von Lehre und Forschung hin. Blockchain und RFID zur Kontrolle der Materialflüsse 1 RFID: Radio-Frequency Identification: Sender/Emp- Konsument*innen verlangen verlässliche Daten, um fänger zum berührungslosen Identifizieren und Loka- ethische Entscheidungen treffen zu können. Das heisst, lisieren von Objekten Prozessketten müssen zu Ende gedacht werden von der 2 GTIN: Global Trade Item Number: weltweit eindeutiger Gewinnung/Ernte, über den Transport, die Verarbei- Identifikationsschlüssel von Produkten in einer offe- tung, die Vorfertigung und die Montage bis zu der Tren- nen Handelskette nung, dem Rückbau oder der Revitalisierung. Die Blockchain-Technologie unterstützt dieses Vorgehen, indem alle Transaktionen in chronologischer Reihen- Kontakt – thomas.rohner@bfh.ch folge aufgelistet und in einer verteilten, öffentlichen Datenbank abspeichert werden. Als Transponder kann Infos zu Forschung und Lehre ein RFID-Tag dienen, Anwendungen gibt es bereits vie- – Institut für digitale Bau und Holzwirtschaft IdBH: bfh.ch/idbh > le im Bauwesen. Aus diesen neuen Anforderungen er- Kompetenzen > Digitales Bauen gibt sich ein Auftrag an die Bildung. – Lehre an der BFH-AHB: bfh.ch/ahb/de/studium Holz, BIM und Nachhaltigkeit ergeben ein schlüssiges Konzept zur Errichtung guter Bauten. Vom digitalen zum realen Modell. März 2022 | spirit
12 Focus: Kreisläufe Mit neuem Recyclingverfahren mehr aus Lithium-Ionen-Batterien herausholen Die Berner Fachhochschule BFH entwickelt zusam men mit Partnern ein neues Verfahren für ein effi zienteres Recycling von Lithium-Ionen-Batterien. Ein Ziel des Projekts besteht darin, mehr wertvolle Rohstoffe aus Altbatterien zurückzugewinnen und Prof. Dr. Axel Fuerst dadurch Materialkreisläufe zu schliessen. Leiter Maschinentechnik, BFH Kaum jemand zweifelt daran, dass den Strassen- Gleich bei mehreren Aspekten des Verwertungspro- fahrzeugen mit elektrischem Antrieb die Zukunft ge- zesses streben die Forschenden Verbesserungen im hört. Als Energiespeicher verwenden sie Lithium-Io- Vergleich zum bekannten Verfahren an. Das beginnt nen-Akkumulatoren, die immer leistungsfähiger, bei der Charakterisierung der Batterien. Hier geht es langlebiger und günstiger werden. Bis 2030 dürften darum, die genaue Materialzusammensetzung und den jährlich rund 60 000 Tonnen dieser Batterien in die «Gesundheitszustand» jeder Batterie zu analysieren. Schweiz importiert werden. Sie enthalten Rohstoffe, Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen lässt sich deren Gewinnung und Verarbeitung erhebliche Um- bestimmen, ob eine Second-Life-Anwendung oder eine weltbelastungen verursachen. Damit Elektromobilität stoffliche Verwertung sinnvoller ist. Ebenfalls wichtig ihr Nachhaltigkeitsversprechen erfüllen kann, gilt es, ist eine verlässliche Tiefenentladung, weil unvollstän- mit diesen zum Teil raren und teuren Materialien spar- dig entladene Batterien wegen der hohen Spannungen sam umzugehen. Deshalb rücken zunehmend auch die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Die zurückgewonnene Recyclingverfahren für ausgediente Lithium-Ionen- Restenergie trägt ausserdem dazu bei, die Energiebi- Batterien in den Fokus der Wirtschaft und der Wissen- lanz des Recyclingverfahrens zu verbessern. Eine we- schaft. Die Inhaltsstoffe der Batterien sollen möglichst sentliche Optimierung streben die Forschenden bei der vollständig zurückgewonnen und für die Herstellung anschliessenden Demontage der Batteriepacks an. Die neuer Batterien verwendet werden. Trennung der einzelnen Batteriemodule erfolgt heute noch manuell. Das ist erstens aufwendig und entspre- 90 statt 70 Prozent zurückgewinnen chend kostenintensiv und zweitens mit Risiken verbun- Im Rahmen eines Innosuisse-Projekts befasst sich den. Mit einem teilautomatisierten Verfahren und mit die BFH derzeit mit der Optimierung bestehender Recy- neuen Sicherheitsvorrichtungen sollen diese Schwä- clingverfahren, insbesondere jenes, das an der Techni- chen des heutigen Verfahrens behoben werden. schen Universität Braunschweig entwickelt worden ist. Mit diesem können rund 70 Prozent der Inhaltsstoffe Schreddern, trocknen, trennen von Lithium-Ionen-Batterien zurückgewonnen werden. Für die Entwicklung der Prozesse zur Charakterisie- Umsetzungspartner des Projekts ist das Schweizer rung, zur Tiefenentladung und zur Demontage der Bat- Start-up LIBREC AG. Das Unternehmen will schon bald terien ist der SIPBB zuständig. Er verfügt mit seinem ein Recyclingwerk eröffnen, das ausgediente Fahrzeug- Swiss Battery Technology Center über ein grosses batterien entweder für einen Second-Life-Einsatz auf- Know-how bei diesen Themen. bereitet oder diese demontiert und rezykliert. Beim Die anschliessende Rückgewinnung eines möglichst stofflichen Recycling wird eine Rückgewinnungsrate hohen Anteils der Materialien gehört zum Aufgabenbe- von 90 Prozent angestrebt. Die Aufgabe der Forschungs- reich der BFH. Sie betreibt in Burgdorf eine Fertigungs- partner besteht nun darin, diese ehrgeizige Quote in anlage für Batterie-Kleinserien und kann in diesem dem auf zwei Jahre befristeten Projekt zu erreichen. Bereich ihre Kompetenzen ausspielen. In einem ersten Neben der BFH beteiligen sich die Eidgenössische Ma- Schritt werden die Batteriemodule geschreddert. An- terialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) und der schliessend wird das zerkleinerte Material getrocknet, Switzerland Innovation Park Biel/Bienne (SIPBB) am damit keine gefährlichen Dämpfe mehr entweichen. Projekt. Die Herausforderung besteht darin, die Lösungsmittel in der Elektrolytflüssigkeit aufzufangen und zu reini- März 2022 | spirit
13 Focus: Kreisläufe gen, um sie wiederverwerten zu können. Bei allen heu- liche Prozesse digital simulieren. Im Computermodell te üblichen Verfahren werden die Lösungsmittel ver- lassen sich alle Parameter beliebig verändern und die brannt. daraus resultierenden Auswirkungen analysieren. Dies Das getrocknete Material wird nun zuerst mecha- ist insbesondere für die Beurteilung der Wirtschaftlich- nisch getrennt. Nachdem unerwünschte Materialien keit wichtig, weil Faktoren wie der Energieverbrauch wie Kunststoffteilchen entfernt worden sind, verbleibt oder der Unterhalt der Anlagen die Kosten des Verfah- die sogenannte Schwarzmasse. Sie enthält alle Be- rens mitbestimmen. Die BFH wird die aus der Compu- standteile der Kathoden und Anoden, namentlich Lithi- tersimulation gewonnenen Daten der EMPA zur Verfü- um, Grafit und verschiedene Metalloxide. Mit dem an- gung stellen. Deren Advancing Life Cycle Assessment gestrebten neuen Verfahren soll es nun möglich Group (ALCA) wird für den gesamten Prozess eine Le- werden, den Grafit bereits im Recyclingwerk von den benszyklusanalyse vornehmen. Die Ökobilanzierung Aktivmaterialien der Kathode zu trennen. Durch diese soll zeigen, ob das neue Verfahren die hohen Erwartun- Vorbehandlung erhöht sich der Wert der Schwarz gen erfüllt, das heisst: ob es dazu beiträgt, den Bedarf masse. Diese wird später von spezialisierten Unterneh- an Primärrohstoffen zu reduzieren und dem Ziel einer men aufbereitet, um die wertvollen Metalle Kobalt, Kreislaufwirtschaft bei Antriebsbatterien näher zu Kupfer, Nickel, Mangan und Aluminium sowie das kommen. A lkalimetall Lithium zurückzugewinnen. Ob sich der zurückgewonnene Grafit für die Herstellung neuer Kontakt – axel.fuerst@bfh.ch B atterien verwenden lässt, ist ebenfalls Gegenstand des Forschungsprojekts. Bei den heute üblichen Verfah- Infos ren wird der Grafit verbrannt oder als Reduktionsmittel – Berner Fachhochschule: bfh.ch / Suchbegriff «Librec» in der Metallurgie verwendet. – EMPA: empa.ch / Advancing Life Cycle Assessment Group (ALCA) – Switzerland Innovation Park Biel/Bienne (SIPBB): sipbb.ch Testen im Labor, simulieren im Computer Um die neuen Verfahren zur Auftrennung des Elek- trolyten und zur Aufbereitung der Schwarzmasse zu Video zur Forschungsanlage testen, baut und betreibt die BFH in ihrem Forschungs- Lithium-Ionen-Batterie auf spirit.bfh.ch > labor eine Versuchsanlage. Gleichzeitig wird sie sämt- Neues Recyclingverfahren Die BFH betreibt in Burgdorf eine Fertigungsanlage für Batterie-Kleinserien und kann in diesem Bereich ihre Kompetenzen ausspielen. März 2022 | spirit
14 Focus: Kreisläufe E-Auto aus gebrauchten Komponenten Ein Beispiel für Kreislaufwirtschaft: Ein Team der Berner Fachhochschule BFH hat untersucht, wie sich ausgemusterte Benzinfahrzeuge dank Gebraucht teilen in E-Autos umrüsten lassen. Doch ist die Idee markttauglich? Prof. Martin Kucera Leiter Elektrotechnik und Informationstechnologie, BFH Man nehme einen alten Audi A2 mit Benzinantrieb, Batteriezellen (Umfang pro Stück: 15×12×4,5 cm, Ge- den Elektromotor eines Nissan-Leaf-Occasionautos und wicht: 1,4 kg), deren Spannung und Ladung permanent mehr als 100 gebrauchte Batteriezellen von Mitsubishi- überwacht und so für einen sicheren Betrieb der Ener- E-Autos und füge die Komponenten zusammen. Was giezufuhr im Auto sorgt. Dieses System dient am Depar- dabei herauskommt, ist mehr als eine Spielerei – näm- tement BFH-TI übrigens weiterhin der Forschung. lich ein Lehrbeispiel für Circular Economy und ein fahr- «Unsere Batteriezellen haben wir bei einer Schweizer bares E-Auto. Recyclingfirma bezogen und so vor der Vernichtung Das Projekt rückt das sogenannte Retrofitting in den gerettet», sagt Meer. «Ein Occasionmarkt existiert in Fokus, als Ergänzung zum Recycling von Rohmateria- diesem Bereich nicht, jedenfalls nicht in der Schweiz.» lien. Das Retrofitting setzt sich zum Ziel, vorhandenen Von den 105 Zellen aus zwei Chargen erwiesen sich 96 Komponenten zu einem zweiten Leben zu verhelfen. als brauchbar und wurden im Kofferraum des Audi A2 Die verlängerte Lebensdauer wirkt sich positiv auf die eingebaut. Dazu hatten sie bei einem Schlosser nach Umweltbilanz der Industriegüter aus, indem gemessen Mass ein Gehäuse lasern lassen. an der Länge von deren Lebenszyklus der CO2-Ausstoss Zur Triage der Zellen musste das Team intensive La- und der Energieverbrauch sinken. boranalysen betreiben. Horn erklärt: «Wenn die Batte- Neun Studierende aus verschiedenen Fachbereichen rien in einem Marken-E-Auto ausgetauscht werden, der BFH haben das Experiment diesen Frühling als ge- sind sie eigentlich noch gut. Statt 100 Prozent Leis- meinsame Bachelorarbeit gewagt; vier von ihnen stu- tungsfähigkeit haben sie eine Kapazität von rund dieren Elektrotechnik und Informationstechnologie, je 80 Prozent. Da in der E-Mobilität die Reichweite das zwei Automobil- und Fahrzeugtechnik sowie Maschi- A und O ist, landen die Batterien sehr schnell in der nentechnik. Verstärkung erhielt das Team durch einen Wiederverwertung.» angehenden Wirtschaftsingenieur, der sich mit der In dieser Hinsicht bietet das Retrofitting eine echte Markttauglichkeit des Retrofit-E-Autos befasste. Chance, um die Umweltbilanz der Lithium-Ionen-Zel- Wie können Retrofit-Fahrzeuge der E-Mobilität der len deutlich zu verbessern, ehe sie letztlich recycelt Zukunft dienlich sein? Unter der Leitung von Martin werden müssen. Da sind sich die drei einig. Allerdings Kucera, Professor für Elektrotechnik und Informations- sehen sie die Marktchancen für ausgediente E-Auto- technologie, und vier weiteren Dozierenden haben die Batterien hauptsächlich als Energiespeicher für Solar- Studierenden sich dieser Frage gewidmet. Ihre Aufga- strom. «Ausrangierte Autobatteriezellen kann man im ben umfassten unter anderem die Beschaffung der Keller eines Hauses wunderbar als Speicher für Son- Komponenten oder die Programmierung des Kontrol- nenenergie nutzen, sodass man den Strom nachts von lers und der Hardware. dort beziehen kann», sagt Horn. Das Wissen um diese Zusammenhänge gehört denn auch zu den Pluspunk- Batteriezellen im Labortest ten, die er und seine Kollegen in ihrer beruflichen Lauf- Drei der Elektrotechnikabsolventen berichten über bahn brauchen können. ihre Erfahrungen: Luca Horn, Theo Meer und Lars Mei- Was das Retrofitting von Autos mit Verbrennungs- er. Ihr Team kümmerte sich um die Batterien und die motoren zu E-Fahrzeugen angeht, sind die Elektrotech- Ansteuerung des Motors, während die Kollegen der an- nikabgänger skeptisch. «Selbst wenn man grössere deren Fachbereiche den Motor einpassten und am Chas- Stückzahlen von Autos des gleichen Typs umrüstet, ist sis verankerten. Hinzu kam für die Elektrotechniker das vermutlich zu teuer, um wirtschaftlich zu sein», das Batteriemanagementsystem, das die einzelnen sagt Meier. Potenzial sieht er höchstens bei Oldtimern März 2022 | spirit
15 Focus: Kreisläufe Batterie im Heck: Elektrotechnik und Informationstechnologie im Kofferraum des Audi A2. Die dicken Kabel dienen der Stromversor gung des Motors, während mit dem Laptop jede einzeln Zelle der Batterie überwacht werden kann. im oberen Preissegment. Hier könne die Ausrüstung ren. Es sei jedenfalls nie so weit gekommen, dass man mit einem gebrauchten E-Antrieb aus Imagegründen sich die Arbeit aus der Hand genommen habe. «Da ist zur Nische für Liebhaber und Liebhaberinnen werden. es treffender zu sagen, dass wir uns zwischen den Grup- Meer gibt grundsätzlich zu bedenken, dass die Auto- pen die Arbeit zugeschoben haben. Zeitlich wurde es industrie für die Umrüstung von Benzin- und Diesel- knapp, aber schliesslich kam der grosse Tag, an dem wir flotten kein Musikgehör habe. Supportanfragen im Ende Juni mit einer Garagennummer zur ersten Test- Projekt zu Markenkomponenten seien von den Herstel- fahrt aufgebrochen sind. Das war der Morgen vor dem lern gar nicht erst beantwortet worden. Hagelunwetter, aber wir sind trocken geblieben», sagt Horn. Montage im Schaufenster Und selbst wenn nicht, dem Audi A2 sehe man es an, Nach umfangreichen Vorarbeiten zur Beschaffung dass er ein bewegtes Vorleben hatte. «Der hat einige der Komponenten zu Beginn des Jahres startete die Ba- ‹Näggi›, aber darin besteht ja gerade der Reiz des Retro- chelorarbeit im April, teils im Labor in Biel für die Bat- fittings: die Ausrüstung einer alten Autokarosserie mit terietests, teils direkt am Auto auf dem Campus in Burg- einem – womöglich noch älteren, da nahezu wartungs- dorf. Der ausgeweidete Audi A2 stand nicht etwa auf freien – Elektromotor und Batteriezellen aus einem dem Parkplatz, sondern in der Eingangshalle des Fach- E-Neuwagen.» hochschulgebäudes. «Das war der einzige Ort, wo das Auto geschützt vor dem Wetter über Wochen bleiben Kontakt – martin.kucera@bfh.ch konnte», erinnert sich Meer. Obwohl nicht als Schaufenster-Lehrstück geplant, Infos sei die Arbeit schnell zum Publikumsmagneten gewor- – Berner Fachhochschule: bfh.ch/ev-retrofit den. «Zeitweise mussten wir alle fünf Minuten jeman- dem erklären, was wir da machen», sagt Meer. «Da hät- ten wir schon fast einen Marketingmanager gebraucht.» Zwei Videos zum Projekt auf spirit.bfh.ch > Was die Zusammenarbeit der vier Fachbereiche an- E-Auto aus gebrauchten Komponenten geht, so sei diese interessant, aber aufwendig gewesen. Es habe über SharePoint und WhatsApp viele Abspra- chen gegeben, weil selten alle gleichzeitig vor Ort wa- März 2022 | spirit
16 Focus: Kreisläufe E-LKW – Lebensdauerverlängerung statt Elektroschrott Die Berner Fachhochschule BFH hat im Frühjahr 2021 von Lidl Schweiz zwei Elektro-LKW der ersten Genera- tion zu Forschungszwecken erhalten. Normalerweise hätten die LKW verschrottet werden müssen, da die Batterien altersschwach waren und der Aufwand eines Retrofits, wie es die BFH nun ausgeführt hat, unter rein ökonomischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll Prof. Dr. Andrea Vezzini Prof. Peter Affolter gewesen wäre. Leiter BFH-Zentrum Energie- Leiter Institut für Energie- und speicherung Mobilitätsforschung IEM, BFH Für die BFH sind die beiden E-LKW ein Glücksfall, da dadurch ebenfalls unterschiedlich stark ausfiel. Des- es sonst sehr schwierig ist, gealterte Batterien und ein halb wurden alle Zellen auf den gleichen Zustand auf- geeignetes Versuchsfahrzeug zu erhalten. Die beiden geladen (Individualladung der Zellen), und anschlie- Fahrzeuge des E-LKW-Pioniers E-Force One AG stam- ssend wurde die Restkapazität der Gesamtbatterie men aus dem Jahr 2014 und haben 335 000 Kilometer mittels Entladung über 10 Stunden ermittelt (siehe bzw. 288 000 Kilometer auf dem Tacho. Für einen LKW Abbildung 1). sind dies eher moderate Fahrleistungen, da Verbren- Aufgrund der Grösse und des Gewichts der Batterien nungsmotorfahrzeuge für den Nah- und Regionalver- ergaben sich einige Herausforderungen in der Handha- kehr für bis zu 500 000 Kilometer bzw. 8000 Betriebs- bung. Wegen der hohen Spannung von über 400 Volt stunden eingesetzt werden. mussten zudem entsprechende Sicherheitsvorschriften Technologisch gesehen ist die Entwicklung des rein (Handschuhe, Visier) eingehalten werden. Einzelne batterieelektrischen Antriebs unter den schweren besonders schlechte Zellen wurden ersetzt durch Zellen Nutzfahrzeugen mit Elektromotor derzeit jedoch am aus einer Reservebatterie, welche die E-Force One AG weitesten fortgeschritten. Es wird damit gerechnet, gratis zur Verfügung stellte. Damit verfügt die BFH nun dass selbst ohne Steuerbefreiung schon ab 2025 ein über einen E-LKW mit durchschnittlichen 85% der An- potenzieller Kostenvorteil für ein schweres Nutzfahr- fangskapazität und einen zweiten E-LKW mit einer Ka- zeug mit einer Batteriekapazität für 400 Kilometer pazität von knapp über 60%, der so allerdings nur noch Reichweite bestehen wird. für Kurzstrecken tauglich sein dürfte. Nach der erfolgreichen Wiederaufbereitung der Bat- terien soll deshalb das Alterungsverhalten von Batteri- en nach dem Ende ihres «ersten Lebens» untersucht und mit den mittels maschinellen Lernens erstellten Modellen des BFH-Zentrums Energiespeicherung ver- glichen werden. Dies dient dem verlängerten Einsatz wertvoller Ressourcen, was den Grundsätzen der Kreis- laufwirtschaft entspricht, die den Ressourceneinsatz und die Energieverschwendung durch das Verlangsa- men, Verringern und Schliessen von Energie- und Ma- terialkreisläufen minimiert. Wiederaufbereitung der LKW-Batterien Als erster Schritt wurden die beiden LKW-Batterien zerlegt und jede einzelne Zelle analysiert. Dabei wurde die Verteilung der Alterung innerhalb einer Batterie untersucht, das heisst, ob einzelne Zellen schneller ge- altert sind als andere. Bei einer ersten Analyse wurde dann auch tatsächlich festgestellt, dass die individuel- len Zellen über die gesamte Nutzungszeit unterschied- Abbildung 1: Aufbau, um den Ladezustand der einzelnen Zellen lich stark gealtert sind und deren Selbstentladungsrate eines Teilblocks der E-LKW-Batterie auszugleichen März 2022 | spirit
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