BULLETIN - die Grünen Zug
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ALTERNATIVE - DIE GRÜNEN ZUG BULLETIN NUMMER 2 | JUNI 2020 * 4 Frauen*streik – Keine (Frau*) weniger * * 8 Gemeinderat – Grüne Stärke * * 12 Kantonsrat – Steuersenkungen * * 20 Steuerreferendum – Erfolgreiche Niederlage * * 21 Steuerwettbewerb – Zuger Angola Connection *
Inhaltsverzeichnis 2 2 Inhaltsverzeichnis «Mission statement» Das BULLETIN ist eine unabhängige Kom- • Gleichwertigkeit von Geschlecht und 3 Editorial munikationsplattform des alternativen Zug Rasse Lernen aus Corona und wird von folgenden Gruppen getragen: • Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und Verantwortung der 4 Frauen*streik Alternative – die Grünen Baar Gesellschaft gegenüber dem/der Keine (Frau*) weniger Alternative – die Grünen Menzingen Einzelnen. 6 Wirtschaftslage Alternative – die Grünen Unterägeri Weltwirtschaft nach Corona Alternative – die Grünen Stadt Zug Die Redaktion recherchiert zu politischen Alternative – die Grünen Zug und gesellschaftlichen Themen nach bes- 8 Gemeinderat Forum Oberägeri tem Wissen und Gewissen. Sie nimmt Grüne Stärke Grünes Forum Hünenberg aktuelle Themen der alternativen Gruppie- Grüne Risch-Rotkreuz rungen aus den einzelnen Zuger Gemein- 11 Nationalrat Grüne Steinhausen den auf. Das BULLETIN fördert das poli- Parlament in der Epidemie Krifo Alternative Cham tische Bewusstsein der Bevölkerung und trägt zur Meinungsbildung bei. Autorinnen 12 Kantonsrat Das BULLETIN setzt sich mittels seiner und Autoren der BULLETIN-Beiträge sind Steuersenkungen Publikationen ein für die Förderung und frei in ihrer Meinungsäusserung. den Erhalt von Lebensqualität im Sinne von: 14 Flucht • Soziale Gerechtigkeit, Schutz von sozial Redaktion und Herausgeberverein Auf uns selbst gestellt Benachteiligten «Das BULLETIN» • Ökologische Nachhaltigkeit, Schutz 17 Junge Alternative von Lebensräumen und der Natur Corona anderswo 18 Initiative Verantwortung übernehmen 20 Steuerreferendum Titelbild Erfolgreiche Niederlage Das Titelbild zeigt eine Fotografie aus dem Corona-bedingten provisorischen Tagungsort des Kantonsrates. Der Filzteppich hat hoffentlich keine symbolische Bedeutung. 21 Steuerwettbewerb Foto Andreas Busslinger Zuger Angola Connection 22 Stadt Grün wäre möglich 24 Grünspecht Elend der rechten Demagogen 25 Service Gestreift Kino Veranstaltungen Adressen Impressum BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Editorial Lernen aus Corona Luzian Franzini Zug, Kantonsrat ALG Die Art und Weise, wie wir 3 Zuger*innen die Corona-Krise erlebt haben, könnte wohl kaum unterschiedlicher sein. Während sich Junge ohne Betreuungspflich- ten bereits nach wenigen Tagen mit ausgefallenen Brotback Rezep- ten zu beschäftigen versuchten, verlangte die Krise von anderen Menschen viel ab. Gerade für Alleinerziehende und Familien gestalteten sich die Wochen belastend. Mittlerweile kehrt eine gewisse Normalität zurück und es stellt sich die Frage nach den längerfris- tigen Auswirkungen dieser Pandemie. So prophezeite bei- spielsweise der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, dass das Coronavirus unsere grundlegende Einstellung zum Leben verändern werde, kein Stein bleibe auf dem anderen. Auch der Begriff der Systemrelevanz hat eine neue Bedeutung erhalten. Trotz ihrer riesigen Löhne ist es nicht der Kosten ihrer eigenen finanziellen Indem beispielsweise in den Rohstoffspekulant, der Immobi- Absicherung. Diese Care-Arbeit Quartieren öffentliche Gemein- lienverwalter oder der Kryptowäh- wurde bereits vor der Schliessung schaftsbüros eingerichtet würden rung-Fondsmanager, die essenziell von Kitas und Schulen zum und Unternehmen mehr Flexibili- für das Funktionieren unserer größten Teil von Frauen* getragen, tät zeigten, könnte auch nach Gesellschaft sind. Es ist die so leisten Frauen* jedes Jahr Covid-19 vermehrt dezentral Kassiererin in der Migros, die unbezahlte Care-Arbeit im Umfang gearbeitet werden. Die Entschleu- Pflegefachfrau im Altersheim oder von fast 100 Milliarden Franken. nigung und eine massvollere Spital oder die Kinderbetreuerin. Der Lockdown hat auch die Mobilität könnten längerfristig die Wenn diese Menschen auf einen Schwächen unserer hochgradig Pendlerströme reduzieren. Beim Schlag nicht mehr da wären, da vernetzten Welt aufgezeigt. Auf diesjährigen Sommerurlaub wird wäre unsere arbeitsteilige Gesell- Profit und Echtzeit Lieferung der einen oder anderen schaft nicht mehr überlebensfähig. getrimmte Lieferketten brechen bei Schweizer*in der massive Glet- Paradoxerweise sind genau das Lockdowns zusammen. Das scherschwund und die Verände- die Jobs, welche unter schlechten Gesundheitssystem in Ländern, rung in den Alpen bewusst. Und Arbeitsbedingungen leiden, welche in den letzten Jahren beim Entdecken von Schweizer unregelmässige Arbeitszeiten Sparpolitik betrieben haben, Städten würde sich wohl auch der aufweisen und auch überdurch- konnte die Krise viel schlechter eine oder andere autofreie Innen- schnittlich oft von Migrant*innen bewältigen, privatisierte Gesund- städte wünschen. In Zeiten des ausgeübt werden. heitswesen versagten gar total. Umbruchs wird Undenkbares Diese Krise zeigt Ungleichheiten Im direkten Gespräch bekomme ich plötzlich denkbar. Denn in den aufgrund von Herkunft oder den Eindruck, dass diese Krise für letzten Wochen und Monaten Geschlecht schonungslos auf. viele eine Zäsur darstellt. Ich bin zeigte sich auch, wie schnell und Schon vor dem Virus waren vielleicht ein unverbesserlicher grundlegend sich eine Gesellschaft diejenigen überlastet und gestresst, Optimist, aber ich glaube doch, ändern kann, wenn sie will und die sich unbezahlt um Kinder, Alte dass von dieser Krise auch etwas sich von wissenschaftlichen und Kranke kümmern, auch auf Positives zurückbleiben kann. Erkenntnissen leiten lässt. ■ BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Frauen*streik Keine (Frau*) weniger Julia Küng 4 Über 600 Demonstrant*innen auf den Strassen in Zug, die Stille wäh- rend Frauen* von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung erzählen und das fröhliche Beisammensein auf dem Landsgemeindeplatz bis spät in die Nacht. Der 14. Juni 2019 war einer der beeindruckendsten Tage in meinem Leben. Sogar Bänke aufräumen hat an diesem Abend Spass ge- macht. Mich erfüllte das Gefühl einer starken Gemeinschaft, das Gefühl, vielleicht gerade wirklich ein bisschen die Welt verändert zu haben. Unser Protest blieb nicht folgenlos: Krisen verstärken Ungleichheit Die nationalen Wahlen im Herbst Auch die Covid-19-Krise verdeutlicht 2020 waren von der violetten Welle die Ungleichheiten in unserer Ge- genauso geprägt wie von der grü- sellschaft: Frauen* tragen die Krise nen. Wir konnten für Zug erstmals als Pfleger*innen, Verkäufer*innen eine Frau* nach Bern schicken, und und Kinderbetreuer*innen auf ihren der Anteil der gewählten Frauen* Schultern. Sie sind nicht nur schlech- im Nationalrat ist von 32 Prozent ten Arbeitsbedingungen ausgesetzt, auf 42 Prozent gestiegen. Das reicht sie müssen auch zuhause für Kinder- betreuung sorgen. Denn 61 Prozent der unbezahlten Care-Arbeit wird – in normalen Zeiten – immer noch von und konnte jederzeit allein oder mit Frauen* geleistet. Es ist anzunehmen, Freund*innen begangen werden. Die dass es während der Krise mehr war. 10 Posten behandeln verschiedene Möglichst immer zuhause zu bleiben, feministische Themen vom Pflegeall- war und ist zudem für viele Frauen* tag, über Frauen* der Geschichte bis gefährlich, da sie dort häuslicher Ge- zu Gewalt an Frauen*. Wir waren alle walt ausgesetzt sind. Feuer und Flamme und haben fleissig recherchiert, geschrieben und gestal- Immer wieder am 14. Juni tet. Zwei mutige Pflegefachfrauen Schon vor einem Jahr war klar: Der mit Kindern berichteten von ihrem Frauen*streik 2019 soll kein ein- Alltag. Bei mir wurde der Rundgang maliges Ereignis bleiben. Wir müs- schon da sehr emotional. Der Bericht sen weiterkämpfen und weiter strei- der einen Frau endet mit den Worten: ken, bis wir endlich Gleichstellung «Wo jeder Tag 17 Stunden Arbeit erreicht haben. Dieses Jahr wurde bereithält und auch die Nacht nicht wegen der Pandemie auf Gross- ohne Unterbrüche ist – da ist es nur demonstrationen und Strassenfeste eine Frage der Zeit, bis einem der verzichtet. Aber wir verzichteten Atem wegbleibt.» Mir blieb der Atem nicht darauf, nach draussen zu gehen, nur schon beim Lesen weg. unsere Forderungen kundzutun und noch lange nicht – aber es ist ein uns zusammenzuschliessen. Überall Männergewalt als häufigste Todes- Schritt in eine feministischere Welt. in der Schweiz wurden Wege gesucht, ursache der Frau Die letzten Monate haben jedoch trotz der ausserordentlichen Lage für Ich habe unter anderem für das Plakat mehr denn je gezeigt, dass wir noch Gleichstellung zu kämpfen. In Zürich zum Thema «Gewalt an Frauen*» lange nicht am Ziel sind. Das Pa- zum Beispiel gab es auf einer Strei- recherchiert. Ein ganzes Wochenen- triarchat ist hartnäckig. In Zug ist kroute durch die ganze Stadt viele de lang sass ich vor meinem Com- ein Gleichstellungsbüro immer noch verschiedene Aktionen, von der Lie- puter, hab Studie um Studie gele- keine Selbstverständlichkeit und laut gestuhlblockade zum gemeinsamen sen und war geschockt. Ich las, wie der Zuger Fachstelle für Statistik ver- Singen. In Zug hat das Frauen*streik- viele Frauen* ermordet, verstümmelt dienen Frauen* bei gleicher Arbeit Kollektiv einen Frauen*rundgang oder verschleppt werden. Allein in und Ausbildung bis zu 26 Prozent durch die Stadt auf die Beine gestellt. der Schweiz tötet alle zwei Wochen weniger als Männer*. Dieser stand vom 14. bis am 28. Juni ein Mann* eine Frau*. Gewalt ist BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
5 weltweit die häufigste Todesursache Solidarität weltweit etwas verändern. Ich habe Hoffnung. für Frauen* zwischen 16 und 44 Es stärkte mich, zu wissen, dass Auch wenn ich diese Woche vier Jahren, noch vor Krebserkrankungen auf der anderen Seite des Atlan- sexistische Nachrichten auf Face- und Verkehrsunfällen. In der Schweiz tiks Frauen* an meiner Seite stehen book gelöscht habe – ich habe Hoff- musste ausserdem schon jede 10. und mit mir gegen das Patriarchat nung. Denn ich treffe immer mehr Frau* Sex gegen ihren Willen erleben. kämpfen. Das Lied ist im Kontext Frauen*, die Seite an Seite mit uns Das sind nicht Einträge in irgendeiner der starken «Ni una menos» (Keine für Gleichstellung einstehen wollen. Statistik: Hinter diesen Zahlen stehen (Frau*) weniger)-Bewegung in La- Ein Angriff auf eine Frau* ist ein echte Leben, echte Erlebnisse und teinamerika entstanden. Tausende Angriff auf alle Frauen*. Gemeinsam Prägungen. Mir kamen beim Recher- Frauen* kämpfen dort gegen Femi- stürzen wir das Patriarchat – am 14. chieren die Tränen, ich war wütend zide, gegen Abtreibungsverbote und Juni 2021 wieder alle zusammen auf und fühlte mich machtlos angesichts den repressiven Staat. Auch über die den Strassen! ■ dieser Ungerechtigkeiten. Gewalt an internationale Frauen*bewegung hab Frauen* ist nichts Neues für mich, ich beim Gestalten des Rundgangs ich kenne meine Geschichten und viel gelernt. Es ist eindrücklich, wie die meiner Freund*innen. Aber dass wir von Mexiko über Rojava bis nach weltweit so viele von uns dasselbe Island für die gleiche Sache kämpfen. erleben, war für mich kaum auszu- Egal ob am Frauen*rundgang, hier Genderstern * halten. Das einzige, was mir geholfen mit diesem Text oder auf eine ganz Der typografische Stern (*) bezeichnet hat, war das Lied «Canción sin mie- andere Art: Diese Reise von Wut, sowohl männliche und weibliche, als do» (furchtloses Lied) der mexika- Selbsthinterfragung bis zur Bestär- auch Geschlechtsidentitäten aus dem nischen Künstlerin und Feministin kung in der Gemeinschaft ist zentral. Transgender-Spektrum, die weder Vivir Quintana. Ich habe es zufällig Ich wünsche mir, dass wir sie alle im- ausschliesslich männlich noch weiblich auf YouTube gefunden. Während mei- mer wieder machen – in Sachen Fe- sind. Eingefügt wird das Zeichen ner Recherche und danach habe ich minismus, Antirassismus und allen zwischen dem eigentlichen Wortstamm es in Dauerschleife gehört und wenn anderen Kämpfen, die wir führen. Sie und der weiblichen Endung einer es nicht lief, habe ich es, wie ein ermöglicht uns, erst richtig zu sehen, Personenbezeichnung (Kolleg*innen) Mantra in meinem Kopf, wiederholt. was falsch läuft, und gemeinsam die oder am Ende einer eindeutig weib- Die Stimme ist kraftvoll, der Song- Kraft zu finden, uns zu wehren. lichen oder männlichen Bezeichnung text kämpferisch, doch was mir am Wir sind stark, wir sind laut und wir um die anderen Geschlechtsidentitäten meisten geholfen hat, war das Gefühl, sind viele. Nur wenn wir uns zusam- einzubeziehen (Frau*). nicht allein zu sein. menschliessen, können wir wirklich BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Wirtschaftslage Weltwirtschaft nach Corona Luzian Franzini, Kantonsrat ALG 6 So kann es nicht weitergehen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Italien und Griechenland, die bereits Corona-Krise sind massiv und stürzen die Welt in die vielleicht grösste vor Ausbruch der Krise mit grossen Wirtschaftskrise seit 1930. Blinder Freihandel und Privatisierungen haben wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, werden weiter zu- die Reaktionsfähigkeit unserer Gesellschaft in Zeiten der Krise massiv rückfallen. verschlechtert. Im globalen Handel zeigen sich zwei Ökonom*innen des Internationalen ganisation schätzt, dass alleine zwi- gegenläufige und widersprüchliche Währungsfonds gehen davon aus, schen April und August dieses Jahres Entwicklungen. Die Krise beschleu- dass die Weltwirtschaft in diesem rund 200 Millionen Arbeitsplätze ver- nigte den Strukturwandel hin zu Jahr um 3 Prozent schrumpfen wird. loren gehen werden. Die Krise trifft mehr Versandhandel, viele kleine Lä- Auch wenn der Lockdown dauer- die einzelnen Weltregionen in unter- den gehen in Konkurs. Globale Wa- haft aufgehoben ist und sich keine schiedlicher Intensität. Während rein renhäuser wie Amazon erwirtschaf- zweite Welle ausbreiten würde, wer- epidemiologisch Staaten mit einem teten während der Coronakrise 10 000 den viele Volkswirtschaften in eine inexistenten oder sehr schwachen Ge- Dollar pro Sekunde. Kleine lokale Lä- Rezession schlittern. Der Grund für die lange Dauer der Krise kommt jedoch nicht aus dem Nichts. Die Corona-Krise war nur der berühmte Tropfen, welcher das Fass zum Über- laufen brachte. Bereits im letzten Jahr schwächten sich die Investi- tionen und die Wirtschaftsleistung in vielen Ländern ab. Neue Inves- titionen wurden zurückhaltender ge- tätigt. Die US-Hypothekenkrise im Jahr 2008 wurde laut den offiziellen Konjunkturzahlen schon längst über- wunden. Konsum und Investitionen muss seither jedoch massiv unter die Arme gegriffen werden. Zentralban- ken versuchen, mit dem sogenannten Quantitative Easing die Geldmenge von privaten Investoren zu erhö- hen. Dabei kaufen die Zentralbanken Wertpapiere wie Staatsanleihen von privaten Investoren und pumpen so Geld in den Wirtschaftskreislauf. Die Privatisierte Gesundheitswesen hatten Probleme, alle COVID-19-Patienten Erhöhung der Geldmenge und ein zu versorgen. tiefer Zins sollen dabei den Konsum und Investitionen anlocken. Dies sundheitssystem sowieso viel stärker den und Unternehmen kämpfen um hatte jedoch negative Auswirkungen getroffen wurden, wird der globale ihr Überleben. Auf der anderen Seite auf die Finanzmärkte; Immobilien- Süden durch die lahmende Wirtschaft kamen aber auch die gravierenden spekulationen nahmen zu und bei um ein Vielfaches härter getroffen. Nachteile der Globalisierung unver- der weltweiten Privatverschuldung Alleine in Indien gibt es 40 Millionen hüllt zum Vorschein. Die auf Echtzeit jagt seither ein Rekord den andern. Tagelöhner*innen, deren Existenz getrimmten Lieferketten ohne Reser- Im März betrug sie 2,1 Billionen von der täglichen Arbeit abhängt. Ihre ven und Notlager rächten sich bei Dollar. Verarmung wird extrem zunehmen, der Verfügbarkeit von Medikamenten. Hunger und Pandemie werden die Auch in der Schweiz kam es zwi- Konsum wird schwächer Todeszahlen erhöhen. Auch die süd- schenzeitlich zu Knappheiten. Ge- Kurzarbeit und Entlassungen füh- europäischen Staaten dürften wegen wisse Wirkstoffe für Schmerzmittel, ren dazu, dass der Konsum weiter ihrer Abhängigkeit vom Tourismus Antibiotika, Blutdruck- oder Chole- geschwächt wird. Die Weltarbeitsor- grössere rezessive Einbrüche erleben. sterinsenker werden fast nur noch BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
in China hergestellt. Generell rächen Die Erfahrungen im Home-Office len Fleischproduktion, schafft ideale 7 sich neoliberale Privatisierungen könnten zur besseren Vereinbarkeit Bedingungen für die Übertragung im Gesundheitswesen von diversen von Familie und Beruf genutzt wer- von tödlichen Krankheitserregern auf Staaten. In Spanien zeigten sich die den, was Ansteckungsgefahr und Menschen. Das hat auch die Vogel- Folgen dieser Teilprivatisierung. So Pendleremissionen gleichermassen grippe gezeigt; wildlebende Enten verfügt die Region Madrid mit 80 verringern würde. Globalisierte Han- kamen in Kontakt mit Geflügel in Spitälern über nur 30 öffentliche. delsketten können zugunsten von grossen Mastbetrieben. Privatspitäler, meist in den Händen lokalen Wirtschaftskreisläufen ver- Diese Krise kann auch das Ende des von Investorengruppen, sind in ihren einfacht werden. neoliberalen Staatsabbaus, wie er seit Policen nicht verpflichtet, Leistun- Es gibt klare Anzeichen, dass die Margareth Thatcher vorherrschend ist, gen bei Pandemien zu erbringen. Der Massentierhaltung und die Abhol- bedeuten. Wenn Gesundheitsdienst- riesige Andrang auf die verbliebenen zung des Regenwaldes zur Verbrei- leistungen und andere Formen der staatlichen Krankenhäuser brachte tung von Viren beitragen. Bei der Care-Arbeit wieder als öffentliches das spanische Gesundheitswesen an Übertragung von Erregern auf den Gut verstanden werden, erhöht das den Rand des Kollapses. Menschen spielt die Zerstörung von die Krisenfähigkeit. In Spitälern und Arztpraxen soll wieder der Mensch und nicht das betriebswirtschaftliche Jahresergebnis im Zentrum stehen. Es braucht bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, einen fairen Betreuungs- schlüssel und ein Ende des Pseudo- wettbewerbs der Krankenkassen in der Grundversorgung. Wenn die richtigen Lehren aus der Covid19-Krise gezogen werden, ist diese Krise sogar eine grosse Chance für uns alle. Es liegt nun an den fort- schrittlichen Kräften, diese Verände- rung auch einzufordern. Denn was diese Krise auch gezeigt hat, ist die Reaktionsfähigkeit von Regierungen, wenn der Wille und der öffentliche Druck vorhanden sind. ■ Gemeinschaftliche Arbeitsplätze in Quartieren, wie hier in Hongkong, könnten die Pendler*innenströme vermindern. Neue Wirtschaft Lebensräumen eine zentrale Rolle. Die Wirtschaft nach Covid19 muss Ebola kam beispielsweise in Gebieten eine andere werden. Wenn schon auf häufiger vor, in denen vorher in gros- der ganzen Welt Billionen an Staats- sem Stil der Urwald gerodet wurde. finanzen zur Rettung der Wirtschaft Wenn man die Wohnbäume der Fle- mobilisiert werden, sollten diese dermäuse fällt, zwingt man die Tiere Gelder auch gleich zur Beseitigung dazu umzuziehen, vielleicht in Bäu- der ebenso existenzbedrohenden und me in der Nähe von Siedlungen. Mit globalen Klimakrise genutzt werden. den Tieren kommen die Viren mit, Bisher wurden Staatshilfen kaum an die auf den Menschen überspringen Umweltauflagen geknüpft, obwohl können. Nicht nur die Zerstörung Pandemieprävention und Umwelt- des Lebensraumes für Tiere, auch die schutz Hand in Hand gehen könnten. Massentierhaltung mit der industriel- BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Gemeinderat Grüne Stärke 8 Das Bulletin wollte wissen, wie sich der Erfolg der Grünen bei den National- Paul Iten, ratswahlen auf die Stadt- und Gemeindepolitik auswirkt. Die Gemeinde- Gemeinderat Forum Oberägeri rätInnen und die Stadträtin antworten: Vroni Straub-Müller, von der ALG/CSP mehr kommen, Stadträtin CSP, Zug zum Beispiel in der Verkehrspolitik, dem Klimasünder Nummer 1. Was ist passiert seit Anfang 2020. Die Politik beschäftigt den Stadtrat mit Vorstössen zu diesen Themen – und diese kommen beileibe nicht nur aus unserer Küche. Sogar die SVP verlangt in einem Postulat «So- larstrom für alli Zuger». Es scheint so, als wollten alle Parteien am Er- folg der Grünen partizipieren und die grünen Themen, insbesondere die Nachhaltigkeit, schon mit Blick auf die nationalen Wahlen 2023 an sich ziehen. In der Gemeindepolitik Oberägeri Wenn es aber an die konkrete Umset- hat sich schon mit den Wahlen des zung durch den Stadtrat geht, hapert Gemeinderates vieles verändert. Zum es gewaltig. So will die Mehrheit im einen ist seit diesen Wahlen die Stadtrat die 17 Ziele für eine nach- SVP nicht mehr im Rat vertreten. haltige Entwicklung (Sustainable Zum andern wurde in der CVP ein «Dank einem Plus von 13,9 Prozent- Development Goals, SDGs) der UNO eher rechts politisierender Kollege punkten steht die Grüne Partei neu für Zug nicht unterzeichnen. Sie ist ersetzt. Neu setzt sich der Gemeinde- auf dem ersten Platz in der Stadt Zug. auch nicht bereit, die Energiestrate- rat Oberägeri durch zwei CVP, zwei Ihre Parteistärke beträgt 23,5 Pro- gie aus dem Jahre 2010 verbindlich FDP und einen Forum-Vertreter zu- zent.» Dies schreibt die Infoplattform anzupassen. Und was das Velo an- sammen. Neu arbeitet jetzt auch eine Watson am 21. Oktober 2019. Das geht – die Stadt Zug ist von einer junge Frau in unserem Gremium sehr ist ein historisches Resultat. Diese fahrradfreundlichen Infrastruktur aktiv mit. Und plötzlich diskutieren gewonnene Stärke und das damit weit entfernt. Im Gegenteil – es wer- wir im Gemeinderat über den Rech- verbundene gewachsene Selbstver- den für den Veloverkehr noch Schi- nungsüberschuss, über Kinderbetreu- trauen muss sich auf die Politik in kanen eingebaut, wie zum Beispiel im ung und Biodiversität. Ich denke, das dieser Legislatur auswirken. Wenn Brüggli. Hier hoffe ich auf die Zuger Stimmvolk dieses Dorfes am See hat das nicht geschieht, haben wir etwas Velonetz-Initiative. schon durch die Neuwahlen das Gre- falsch gemacht. Und zu guter Letzt: Nach der vierten mium so zusammengesetzt, dass der Die Legislaturziele 2019 – 2022 der grossen Krise in Folge nach Finan- ganze Rat grüner politisiert. Stadt Zug lesen sich für unsere Oh- zen, Flüchtlinge und Klima kann Ich glaube aber auch, dass die «Jun- ren immerhin erfreulich: «Zug bietet ich persönlich noch nicht abschät- gen, Wilden» der CVP auch durch eine hohe Lebensqualität für alle zen, welche Folgen die Corona-Krise den allgemeinen Trend eher auch Generationen, auch für die kommen- auf die Nachhaltigkeitspolitik in der ihre Ziele so setzen, dass sie sich den. Zug ist eine umweltbewusste Stadt Zug hat. für grüne und soziale Themen ein- Stadt (Nachhaltigkeitsstrategie, Mi- setzen. Das Forum war noch nie so kroklimaanalyse, Lärmreglement, erfolgreich an einer Gemeindever- Gebäudestandard etc.). Und Zug ist sammlung wir letztes Jahr. Das hat ein Wirtschaftsstandort … mit einem es seit unserem Bestehen, 34 Jahre, intakten Lebensraum.» Wir müssen nie gegeben, dass wir an einer Ge- den Stadtrat beim Wort nehmen und meindeversammlung zwei Anträge die Massnahmen zur Zielerreichung durchbrachten. Viele Mitbürger an aufzeigen und einfordern. Hier muss der Gemeindeversammlung stimmen BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
nun auch für unsere Vorschläge, meindlicher Ebene gestärkt. Das ist Barbara Beck-Iselin, 9 obwohl wir eigentlich die «falsche im neuen Feuer spürbar, das die Al- Gemeinderätin Menzingen Partei» sind. Vorher waren wir glück- ternative – die Grünen Baar gepackt lich, wenn wir in vier Jahren einen hat. In einer zweiteiligen Retraite Antrag durchbrachten. hat der Vorstand begonnen, sich Gegenwärtig diskutieren verschie- noch bewusster nach vorne, auf die dene Arbeitsgruppen über die Orts- Zukunft auszurichten, jene Themen planung. Auch in diesen Arbeits- aktiv mitzugestalten, die sich in letz- gruppen keimen zurzeit viele grüne ter Zeit stärker gezeigt haben. und soziale Themen. Diese Diskus- Auch wenn in der Gemeindepolitik sionen wären noch vor fünf Jah- die kurzsichtigen Ängste dominie- ren ganz anders gelaufen. Auch hier ren, dass sich «grüne Massnahmen» spürt man, dass die Mitglieder der wirtschaftlich nicht lohnen, zeigen Arbeitsgruppen viele Massnahmen sich doch kleine Fortschritte. Er- einbringen, die mit den Diskussionen freulicherweise gibt es bei den neu um den Klimawandel gekeimt sind. überarbeiteten Mehrjahreszielen der Es werden auch immer wieder soziale Gemeinde Baar ein Ziel, dessen Titel Themen eingebracht. Man diskutiert von «Treibhausgasemissionen» in nicht mehr nur übers Zubetonieren. «Klimawandel» abgeändert und mit Im Gegenteil: Vor dem Rathaus ist als der Formulierung erweitert wurde: Beispiel schon eine Mauer weg und «Die Gemeinde ergreift Massnahmen dort blühen nun Blumen. zur Anpassung an die lokal spür- Im Herbst 2019 hat es bei den na- Ich glaube, dass die neue Dorfpolitik baren oder erwarteten Auswirkungen tionalen Wahlen mehr grüne Sitze in Oberägeri mehr lösungsorientiert des Klimawandels.» Der Gemeinde- gegeben, einen Grünrutsch. Auch und nicht bewahrend agieren wird. rat ist auch bereit, unter gewissen in meiner Arbeit als Gemeinderätin Die Prioritäten sind nicht mehr nur Bedingungen Photovoltaikanlagen ist das spürbar geworden. Ich mache wirtschaftlich, sondern grüner und zu fördern. da vier Faktoren aus, die eine Rolle sozialer. Ich bin zuversichtlich, dass sich auf spielen. längere Sicht Wesentliches verändern Zusammensetzung des Gremiums Berty Zeiter, wird. Verstärkt durch die Corona- und Haltungen der Mitglieder: Bei Gemeinderätin Baar Krise wird Schritt für Schritt – oft im uns hat sich die Arbeit zum Teil ver- Moment fast unmerklich – Neues kei- ändert, weil wir im Gemeinderat seit men, ein neues Bewusstsein entste- 2019 eine andere Zusammensetzung hen für die Einmaligkeit unseres Le- haben. Das ist eine Veränderung bei bens und für die absolute Notwendig- den Parteizugehörigkeit und zwei keit, es durch konkrete Massnahmen neue Personen. Die Werthaltung ist zu schützen. Und dies hat wiederum doch vor allem von den Personen Auswirkungen auf die Prioritätenset- abhängig. Die lokalen Parteien ha- zung, weg vom rein wirtschaftlichen ben sich in ihren Haltungen verän- Denken, hin zu ganzheitlicherem, dert. Das Schweizerische wurde in gemeinschaftlichem Handeln. der Sommersession der Bundesver- sammlung sichtbar. Nicht nur die FDP hat ein grünes Mäntelchen. Grüne Themen sind von allen mehr beachtet: Im Rat haben meine Inputs, die Themen ökologisch anzuschauen, mehr Chancen als früher. Sie werden nun angehört. Es gibt Sendungen am Fernsehen und Beiträge in den Zeitungen zu Biodiversität, Insek- Der Aufschwung der grünen Politik tensterben und vielem mehr. Dass auf nationaler Ebene hat sicher das die Ökologie in unserer Gesellschaft Selbstbewusstsein der Partei auf ge- einen so hohen Stellenwert erreicht, BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Gemeinderat 10 hat mir vor 4 Jahren im Rat niemand Christoph Zumbach, in der Mehrheit Weichen stellen geglaubt – und nun ist es eingetrof- Gemeinderat Steinhausen können. Ich sehe das regelmässig fen. Bei gewissen Vorstössen oder im Gemeinderat, in welchem viele Projekten kommen KollegInnen oder meiner Vorstösse belächelt werden. die Verwaltung auf die Idee, dass wir Falls nicht, diskutieren wir zwar diese Projekte auch anders als bisher darüber und finden teils sogar kon- anpacken könnten. Dann braucht es struktive Ansätze. Wenn es dann meine Inputs weniger, aber eine klare jedoch um konkrete Entscheidungen ökologische Haltung und persönliche geht, sind meine Kolleginnen und Unterstützung sind wichtig. Kollegen nicht bereit, den Schritt Meine Haltung, mein Verhalten: Die- zu tun. Und diese Schritte werden se haben sich geändert. Ich habe inzwischen immer mehr von den heute mehr Kraft, mehr Freude und Wählerinnen und Wählern gefordert. Zuversicht, mit meinen Inputs etwas Lippenbekenntnisse reichen ihnen zu erreichen. Das hilft natürlich in nicht mehr, sie wollen die Verspre- der Argumentation. In einem Fünfer- chungen umgesetzt sehen. gremium musste ich doch überlegen, Auch werden die grossen Parteien soll ich nun eine Idee, einen Vor- langsam, aber sicher einsehen müs- schlag noch einbringen oder nicht. sen, dass ihr bisheriges System von Ich schätzte meine Chancen ab und Ämter- und Pfrundverteilung in Zu- lotete aus, auf wie viel Widerstand kunft nicht mehr funktionieren wird. ich treffen würde. Da hat sich defi- In Steinhausen merke ich vor allem, Die Zeiten sind vorbei, in denen nitiv etwas verändert und das macht dass wir als Grüne inzwischen an- die CVP damit rechnen kann, dass wirklich Freude. Ganz wichtig sind ders wahrgenommen werden. Von ganze Clans über Generationen bei die fachlichen Kenntnisse aus den der Randpartei, die belächelt wird, ihnen mitmachen und Parteiwechsel verschiedenen Gebieten, die ich ein- hin zu einer, die ernst genommen nicht mal gedacht werden können. bringen kann sowie die Vernetzung werden muss. Und dass wir wählbar Auch die FDP kann nicht mehr da- mit anderen Grünen. geworden sind. Es ist nicht mehr rauf zählen, dass jeder Unternehmer Die Bevölkerung denkt mit und die Partei von ein paar Freaks mit automatisch bei ihnen mitmachen spornt mich an: Im Dorf werde ich verqueren Ideen, sondern eine, die wird. Eventuell müssen wir auch angesprochen. Leute kommen auf Themen bedient, die viele bewegen. grundsätzlich überdenken, wie wir mich zu, bringen Ideen ein und Bei uns waren die Gemeinderatssitze in Zukunft organisiert sein wollen fragen nach. Das spornt mich an. So seit Urzeiten bei den Bürgerlichen, und können? Viele Leute haben ein ist das Projekt Landschaftsentwick- dann konnte sich die Linke einen Problem damit, klar Stellung zu be- lungskonzept auf fruchtbaren Boden Sitz erstreiten und dabei ist es dann ziehen. Bei Werbeanlässen konnte gefallen. Viele Leute denken mit, geblieben. Mit Andreas Hürlimann ich bisher kein einziges neues Mit- so wird etwas Gutes entstehen. In lösten die Grünen die SP ab, aber glied gewinnen. Vielleicht sind die meinem Alter bin ich auch mit vielen linke Sitze konnten nicht dazuge- Zeiten der festen Mitgliedschaften ja kleinen Schritten zufrieden. Nach wonnen werden. vorbei und wir brauchen ein neues den Sternen greife ich nicht mehr Wir sind es uns gewohnt, klein zu Modell der politischen Teilnahme. so oft, aber Hartnäckigkeit, das hilft sein, und haben uns bisher von die- Ich könnte damit leben, solange wir sehr und darin bin ich gut. Neben sem Denken noch nicht lösen kön- neue Leute für unsere Sache begeis- den grünen Anliegen sind mir auch nen. Wir diskutieren über Wahlmög- tern können. Nicht nur mit ihrer die sozialen Werte sehr wichtig. Da lichkeiten in gewissen Kombinatio- Stimme, sondern auch mit Gesicht habe ich eine Veränderung nach dem nen und das Risiko nicht (wieder-) und Namen. Grünrutsch weniger festgestellt. Da gewählt zu werden. Dabei wäre die muss ich weiter dranbleiben und die Devise der Stunde: Frech sein, wir Geschäfte genau anschauen. versuchen es! Wieso das nächste Ich habe nach wie vor Freude an der Mal nicht mit einem Dreierteam für Arbeit und nutze die Gunst der Zeit die Wahlen und auch das Präsi- sehr gerne. dium antreten und versuchen, eine grüne Mehrheit zu erringen? Ich finde, das müssen wir! Weil wir nur BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Nationalrat Parlament in der Epidemie Manuela Weichelt-Picard, Nationalrätin Kanton Zug Corona mit Schockstarre des Parlamentes, ausserordentliche Session und den Willen des Parlaments beim 11 Sommersession ausserhalb des Bundeshauses sowie die Corona-Beschlüsse Teilmieterlass für zwangsgeschlos- dominierten die Themen der Session. Daneben ging es aber auch noch um sene Betriebe während der COVID19- Krise umsetzt. Eine erste Vertröstung vieles mehr. des Bundesrates auf Dezember ist für mich nicht akzeptabel. Zusammen Aus den Medien haben die Parla- teuren Spielzeug für 6 Millionen mit meinem NR-Kollegen Oliver Fel- mentarier*innen erfahren, dass die Franken. Um 22 Uhr gönnte uns die ler (FDP/VD) will ich wissen, auf dritte Frühlingssessionswoche abge- Präsidentin Nachtruhe. welcher gesetzlichen Grundlage be- brochen wird. Ein Entscheid der Büros schlossen wurde, die Anwaltskosten der beiden Räte – ohne gesetzliche Dienstag, 9. Juni des strittigen Bundesanwalts Lauber Grundlage. Die Kompetenz für eine Heute und morgen steht das CO2- durch die Steuerzahler*innen bezah- solche Entscheidung liegt beim Par- Gesetz auf der Traktandenliste. Die len zu lassen. lament. Dieses ist eine tiefe Schock- Fortschritte sind: Emissionsbegren- starre verfallen und die Demokratie zungen für Fahrzeuge, Flugticketab- Donnerstag, 11. Juni hat während vieler Wochen gelitten. gabe, Schaffung Klimafonds, Emis- Das Parlament kennt Fronleichnam Nicht einmal die Gesundheitskommis- sionsbegrenzungen für fossile Hei- nicht. So durfte ich als Präsiden- sion durfte während den ersten fünf zungen. Die breite Zustimmung für tin der Subkommission Gerichte/ Wochen der Gesundheitskrise tagen! das CO2-Gesetz zeigt, dass die Kli- Bundesanwaltschaft gegenüber dem Für mich aus staatsrechtlichen und demokratischen Überlegungen eine schwierige Zeit. Montag, 8. Juni In der BernExpo beginnen wir mit der Fragestunde an den Bundesrat. Mei- ne Frage, warum in der Schule zwei Meter Abstand gewahrt sein müssen, gleichzeitig aber Erotikbetriebe ihre Dienstleistungen feilbieten dürfen, wird nicht wirklich zufriedenstel- lend beantwortet. Während im «Puff» wieder Betrieb herrscht, bleiben die Gymnasiast*innen immer noch zu Hause – seit 13 Wochen. Als Subkommissionspräsidentin im Einsatz. Nach drei Jahren Diskussion hat der Nationalrat bei der Konzernverant- mawahl im letzten Herbst die Unter- Nationalrat über die Arbeit der Ge- wortungsinitiative eine Maus geboren stützung für einen wirksamen Kli- schäftsprüfungskommission Bericht und dem zahnlosen indirekten Gegen- maschutz gestärkt hat. Das neue CO2- erstatten. Die negativen Schlagzeilen vorschlag des Ständerates knapp zu- Gesetz ist ein wichtiger erster Schritt, über die Schweizer Justiz häufen gestimmt. Anschliessend spreche ich um endlich die Pariser Klimaziele zu sich. Einerseits beschäftigt uns als im Namen der Fraktion für das CO- erreichen. Weitere müssen sehr rasch Oberaufsicht die Bundesanwaltschaft VID-19 Tracing-App. Sie soll helfen, folgen. Am Abend ziehe ich mich ins stark und seit diesem Jahr auch noch dass trotz den beschlossenen Locke- Bundeshaus zum Arbeiten zurück. das Bundesgericht und das Bundes- rungen für das öffentliche Leben die Zu später Stunde habe ich dieses strafgericht in Bellinzona. Ein echter Infektionen nicht wieder ansteigen. altehrwürdige, wunderschöne Haus Aufsteller hingegen ist das deutliche Die Politik möchte eine «freiwillige für mich alleine. Was für ein Privileg! Ja des Nationalrats zur «Ehe für alle»: Quarantäne», garantiert aber keinen 132 von 200 stimmten für die Vor- Erwerbsersatz. Wenn wir in den kom- Mittwoch, 10. Juni lage. Nun ist der Ständerat am Zug. menden Wochen nicht 60 Prozent der Bis Mittag müssen die Fragen für den Kurz vor 13 Uhr beendet die Prä- in der Schweiz lebenden Personen Bundesrat eingereicht sein, die am sidentin die zweite Sessionswoche von der App überzeugen können, Montag beantwortet werden. Mich und der Zug bringt mich zurück nach dann verkommt die App zu einem interessiert, wann der Bundesrat Zug. ■ BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Kantonsrat Steuersenkungen Andreas Hürlimann, Steinhausen, Kantonsrat 12 Unser Kanton Zug: rasante Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten; menpaketen zur Eindämmung der starker Wirtschaftsstandort im Einzugsgebiet des Metropolitanraums Coronapandemie. Auch der Kanton Zürich, tiefe Steuerbelastung (national wie international!) und sehr gute Zug hat diverse Massnahmenpakete geschnürt und auch die Forderungen Verfügbarkeit von Fachkräften. Die öffentliche Hand kommt dieser ra- der Alternativen – die Grünen teil- santen Entwicklung nicht immer nach. Oft reagiert die Politik – aber auch weise aufgenommen. Es zeigt sich, die Verwaltung (wohl aufgrund von knappen Personalressourcen) – erst dass die ganze Lage nach wie vor sehr verzögert auf Veränderungen in unserer Gesellschaft. volatil ist und gewisse Massnahmen- pakete bereits bei der Beratung in der Staatswirtschaftskommission (als Ab 2014 zeigte sich eine Delle in Gewinne bei Unternehmen) erklären vorberatende Kommission) überholt der finanzpolitischen Entwicklung drei Viertel der Abweichung. Ein waren. der Staatsrechnung, die Ausgaben Viertel ist auf das allgemeine Wachs- Medienwirksam wurde vom Finanz- überstiegen die Einnahmen. Die bür- tum zurückzuführen, also auf Zuzüge direktor auch eine Steuersenkung gerliche Regierung und mit ihr der zahlungskräftiger Personen und das als Stützungsmassnahme präsen- bürgerliche Kantonsrat nahmen dies Wirtschaftswachstum. tiert. Eine Senkung des Steuerfusses dankend zum Anlass, um Sparan- Der Kanton Zug hat aktuell keine hat aus unserer Sicht jedoch nicht strengungen umzusetzen. Alle Frak- verzinslichen Fremdschulden. Das oder nur bedingt einen Zusammen- tionen – inklusive unserer – waren Nettovermögen pro Einwohnerin/ hang mit Corona. Es fehlt zudem ob der Entwicklungen verunsichert. Es gelang uns jedoch gemeinsam mit unseren Partnern, die schlimmsten Sparanstrengungen der bürgerlich dominierten Räte an der Urne zu bodigen. Ein grosser Erfolg für unsere politische Allianz. Rasch aufhellende Prognosen und Finanzzahlen Nicht einmal vier Jahre später, also in einer normalen Periode von Kon- junkturschwankungen, zeigen sich die Finanzzahlen des Kantons Zug so robust und tiefschwarz wie zu allerbesten Zeiten. Bereits die Rech- nung 2018 konnte mit 150 Millionen Ertragsüberschuss abschliessen. Die Der Kantonsrat tagt in einer Halle, die der Regierungsrat gar nie so gross wollte! Die Rechnung 2019 gar mit einem Plus Regierung wollte damals nur eine Zweifachturnhalle, der Kantonsrat bewilligte eine von über 175 Millionen. Die trotzdem Dreifachhalle. (Foto Andreas Busslinger) vollzogenen Sparpakete sind unter diesen Zeichen mehr als fragwür- Einwohner ist von 2622 Franken die Evidenz, dass in der Vergangen- dig. Gerade für soziale Institutionen, im letzten Jahr auf 4015 Franken heit Steuersenkungen tatsächlich zur welche mit neuen Leistungsvereinba- angestiegen. Die Bilanzstruktur prä- Überwindung von negativen finanzi- rungen grosse Einbussen hinnehmen sentiert sich überaus solide: Das Fi- ellen Folgen bei Krisen führten. Un- mussten, oder für Angebote, welche nanzvermögen beträgt am Jahresende tersuchungen zur Finanzkrise 2008 eingestellt wurden. rund 1,7 Milliarden Franken und das und den darauf getroffenen Fiskal- Die Fiskal- und Bundessteuererträ- Eigenkapital ist auf über 1 Milliarde massnahmen zeigen keine entspre- ge lagen 2019 um insgesamt 157,8 Franken angewachsen. chende Wirkung. Vielmehr handelt Millionen Franken über dem Budget. es sich um theoretische, dogmatisch Dafür sind vor allem zwei Faktoren Bürgerliche planen weitere wiederholte Argumente im Rahmen verantwortlich: Ausserordentliche Ef- Steuersenkung einer «normalen» Steuergesetzdis- fekte (überdurchschnittliche Börsen- Das aktuelle Jahr ist geprägt von viel kussion. Im Weiteren ist es nicht gewinne oder aussergewöhnlich hohe Hektik und turbulenten Massnah- nachvollziehbar, wieso einerseits BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
die nun angedachte Senkung des Übersicht über die Erfolgsrechnung 13 Steuerfusses für drei Jahre befris- tet sei, die Erhöhung der persön- Rechnung Budget Rechnung Abw. Abw. ln Mio. Franken lichen Abzüge sowie der Ausbau 2018 2019 2019 in Mio. in Prozent und die Vereinfachung des Mie- Total Aufwand -1441,3 -1514,9 -1480,4 34,5 -2,3 terabzugs jedoch dauerhaft gelten Total Ertrag 1590,5 1485,4 1655,8 170,4 11,5 sollen. Und dies ohne ordentliche Ertrags-/Aufwandüberschuss 149,2 -29,5 175,4 204,9 Vernehmlassung und sauber ver- fassten Bericht zu den Massnah- Die in den Tabellen aufgeführten Beträge sind gerundet. Totalisierungen können men und Auswirkungen seitens deshalb von der Summe der einzelnen Werte abweichen. des Regierungsrates. COVID-19 ist ein singuläres Ereignis, das nicht als Grund für eine strukturelle und Bereits in dieser Argumentation zeigt nicht einmal alle Kantone in der dauerhafte Änderung der geltenden sich, dass es primär darum geht, ein finanziellen Lage sind, eigene Unter- Steuerbestimmungen vorgeschoben Zeichen zu setzten und bereits heute stützungspakete zu schnüren – aber werden darf. Es ist klar, dass jede privilegierte Firmen und Personen auch international gesehen absurd. einzelne vorgeschlagene Änderung zu entlasten, welche aufgrund ihrer Die Wirtschaft muss jetzt vom Staat je nach individueller Situation für wirtschaftlichen Potenz schon heute gestützt und Privatpersonen müs- einzelne Steuersubjekte eine ande- ein gutes Leben haben. Dies alles sen sinnvoll unterstützt werden, nie- re Wirkung hat. Die Entlastungen unter dem Deckmantel einer Corona- mand bezweifelt das. Doch es wird sind sehr unterschiedlich. In der massnahme. Aufgrund des Druckes, teuer und sollte all jenen eine Lehre Debatte wird hier entgegengehalten, welcher auch von uns Alternativen – sein, die immer nur plump Steuer- dass die Vorlage des Regierungsrates die Grünen nach Bekanntwerden der senkungen und weiteren Staatsab- ein ausgewogenes Paket darstelle: Pläne einer Steuersenkung aufgebaut bau fordern. Kluge Investitionen in Die Senkung des Steuerfusses ent- wurde, hat der Regierungsrat die Wachstumsbereiche sind jetzt gefor- laste im Wesentlichen gut situierte einseitige Steuerfusssenkung gemäss dert! Steuersenkungspläne sind in Personen und Firmen, aber natür- Vorschlag Finanzdirektor korrigiert Krisenzeiten doppelt falsch: Entla- lich auch viele kleine und mittle- und ein etwas ausgewogeneres Paket stet werden nur jene, die noch Ge- re Unternehmen, die während der zuhanden des Kantonsrates verab- winne machen können. Nicht ent- Coronapandemie finanzielle Einbus- schiedet. Prämienverbilligungsmass- lastet werden jene KMU und andere sen erleiden mussten. Die Erhöhung nahmen, höhere Abzüge bei Mieten Unternehmen, denen die Einnahmen der beiden Abzüge sei als soziale und persönlichen Abzügen zeigen grösstenteils oder sogar ganz wegen Abfederung zu verstehen, die vor hier eine gewisse Wirkung. Entlastet der Coronakrise weggebrochen sind. allem die mittleren und tieferen werden aber primär hohe Einkom- Es gibt noch viel zu tun im Kanton Einkommen entlaste, die von der men. Die Rechenbeispiele gemäss Zug. Gerade in Zeiten, wo die Jahres- Senkung des Steuerfusses nicht oder Stawiko-Bericht zeigen dies deutlich. rechnung des Kantons mit 205 Mil- nicht besonders stark profitieren. Zudem ist vor allem der Hebel des lionen besser abschneidet als budge- Mehrfach wurde in der Debatte be- Steuerfusses relevant für Gutverdie- tiert, besteht genügend Handlungs- tont, dass der Kanton im letzten Jahr nende. Bei einem Steuerfuss von spielraum, um hier sinnvoll, klima- einen hohen Überschuss ausweisen 80 Prozent führt die vorgesehene schonend und zukunftsweisend zu konnte, dass im Jahr 2020 sogar ein Reduktion des Steuerfusses bei einer investieren. Davon profitieren lang- Rekordergebnis zu erwarten sei und Familie mit zwei Kindern und einem fristig alle, nicht nur die bereits heute dass auch die nahen Zukunftsaus- Reineinkommen von 90 000 Franken Privilegierten. Profitieren müssten sichten nicht schlecht seien. So- zu einer jährlichen Ersparnis von gut vor allem diejenigen, welche mit mit – so die Logik der bürgerlichen 330 Franken. Liegt das Reineinkom- den Sparpaketen der jüngeren Ver- Räte – sei die befristete Senkung des men bei 180 000 Franken, wird die gangenheit die Abbaumassnahmen Kantonssteuerfusses eine richtige Ersparnis mehr als 930 Franken. der öffentlichen Hand am meisten zu Massnahme, denjenigen Steuersub- spüren bekamen. ■ jekten etwas zurückzugeben, die we- Überschuss muss in Bewältigung sentlich zu den Ertragsüberschüssen der Corona- und Klimakrise fliessen beitragen und mithelfen, dass der Jede Gelegenheit scheint richtig zu Kanton Zug finanziell gesund und sein, die Steuern noch mehr zu sen- stabil aufgestellt ist. ken. Das ist national – wo noch BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Flucht Auf uns selbst gestellt Interview von Marianne Aepli mit Helmet Maroufi 14 «Die Berge sind so ähnlich, in Kurdistan und in der Schweiz, das ist auch stützt, dafür ziemlich genau kon- etwas Heimat. Aber in Kurdistan sind Berge mit Gold und anderen Roh- trolliert. Wir haben zum Teil mit stoffen Bürde des Landes und für die Menschen.» eigenem Namen, je nach Inhalt aber auch unter falschem Namen ge- schrieben. In Iran ist es gefährlich, Marianne Aepli: Helmet Maroufi, gen des kurdischen Volkes einsetze. in Kurdisch zu schreiben. Wir sehen Sie sind wegen ihres Berufes und Zum Beispiel, dass die Sprache an es aber als internationales Recht, in ihrer Berufung aus ihrer Heimat den Schulen gesprochen und ge- unserer Muttersprache zu schrei- Kurdistan geflohen und haben die- lernt werden darf. Dies war mir als ben. Genau über solche Missstände ses Herzstück quasi hierhin mitge- Lehrer im Iran verwehrt, auch in und Ungerechtigkeiten haben wir bracht. Seit ungefähr einem Jahr kurdischen Gebieten. Es gibt Min- auch geschrieben. Wir haben Web- wohnen Sie in Menzingen und kön- derheitenrechte, die nicht eingehal- seiten mit Online-Zeitungen erstellt, nen sich auch von hier aus für die ten werden, die unterdrückt werden. und konnten auch Artikel schrei- ben, die unsere Freunde anderswo veröffentlichten. Obwohl wir mit fremden Namen journalistisch tätig waren, wurden unsere Aktivitäten vom Staat trotzdem registriert. Dabei hatte unsere Arbeit nichts mit Sepa- ratismus oder Terrorismus zu tun. Es ging um Menschenrechte. Marianne Aepli: Warum dürfen Kur- den ihre eigene Sprache nicht frei anwenden? Helmet Maroufi: Einige denken, wir seien Separatisten, weil wir uns für die Rechte Kurdistans einset- zen. Kurdistan ist ein Opfer der Ge- schichte. Nach dem ersten Weltkrieg wurden in der Region die Grenzen auf dem Reissbrett neu gezogen und so entstanden die Länder Iran, Irak und Syrien. Wir haben bis jetzt in der Geschichte immer verloren. In Kurdistan gibt es Öl, aber auch ande- re Ressourcen. Wir haben Berge mit Gold. Aber diejenigen, die dort Arbeit Marianne Aepli und Helmet Maroufi (Bild Thomas Strübel) haben, sind keine Kurden. Die Men- schen, die dort wohnen, gehören zu Anliegen der Kurden und Kurdinnen Für solche habe ich mich öffentlich den Ärmsten der Welt. Sie tragen die einsetzen. Sie nennen sich Jour- und gewaltfrei eingesetzt und da- Bürde des Goldes. Wenn in kriege- nalist und Menschenrechtsaktivist. mit lebte ich gefährlich, irgendwann rischen Auseinandersetzungen Ab- Wie muss ich mir das vorstellen? dann sehr gefährlich. bau und Transport von Ressourcen, Arbeiten Sie nun als kurdischer Se- Ich komme aus Ostkurdistan. Ich wie zum Beispiel Erdöl, gefährdet paratist im Status des politischen war dort Lehrer und auch kurdischer sind, geht sehr viel Aufmerksamkeit Flüchtlings aus der Schweiz heraus? Journalist mit Themenschwerpunk- und Schutz dorthin. Dann sind Pipe- Helmet Maroufi: Das ist eine Fra- ten Bildung, Film und Politik. Es gibt lines wiederhergestellt lange bevor ge der Perspektive, die Machthaber keine kurdischen Tageszeitungen. eine Versorgung der Menschen mit im Mittleren Osten würden dies Wir haben Zeitungen in kurdischer Grundnahrungsmitteln gesichert ist. vermutlich ziemlich genau so be- Sprache gemacht, die monatlich er- Kurden müssen sich als Söldner ver- schreiben. Fakt ist, dass ich mich schienen. Diese Zeitungen werden dingen, so wie die Schweizer es frü- seit jungen Jahren für die Anlie- finanziell nicht vom Staat unter- her auch gemacht haben (lacht). Sie BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Marianne Aepli: Sie haben nebst 15 dem Primarschuldiplom auch eine separate Ausbildung zum Unterrich- ten in Informatik? Helmet Maroufi: Ich war schon im- mer computeraffin. Vor über 20 Jah- ren habe ich meinen ersten Computer gekauft, das war damals sehr teuer. Wenn ich so überlege, hätte ich mir zu diesem Preis auch ein Haus kau- fen können (lacht). Ja, ich wusste einfach, ich muss den Computer kau- fen, das war damals mit einer frühen Windows-Version. In dieser Zeit habe ich nebst dem Unterrichten, also privat, vor allem studierenden Kurden und Kurdinnen geholfen, für sie Unterlagen und Ar- tikel zusammengesucht. Sie konnten auch meine Büroinfrastruktur benut- zen. Ich hatte Computer, Drucker, Helmet Maroufi mit seiner Schulklasse im Ostkurdistan. (Bild Helmet Maroufi) Internet. Studierende müssen sich für viele Sachen über das Internet beteiligen sich so an Stellvertreter- Ethnien, Ländern aufeinandertreffen, melden, Prüfungsinhalte und Sons- kriegen in der Region, wo der Iran die sind sie in der Kurdenfrage heute tiges abfragen. Es ist mir wichtig, Drehscheibe ist. Solange das Land recht einig. Die Kurdenkrise eint sie dass auch Kurden und Kurdinnen ei- unter der Führung der Ayatollas sein gegen eine unabhängige Republik nen guten Zugang zur Bildung haben. wird, wird sich nichts daran ändern. Kurdistan, die länderübergreifend wäre. Wir sind auf uns selbst gestellt. Marianne Aepli: Dann haben Sie ein Marianne Aepli: Träumen Sie vom gutes Leben geführt im Iran? Kurdistan als unabhängige Republik? Marianne Aepli: Sie waren nicht Helmet Maroufi: Ja, ich hatte eine Helmet Maroufi: Seit hundert Jahren nur als Journalist, sondern auch im schöne Wohnung und auch sonst ein setzten wir uns für unsere Rechte Bildungsbereich aktiv. herrliches Leben. Aber ich komme ein. Kurdistan soll ein unabhängiges Helmet Maroufi: Wir hatten eine aus Mahabad, das ist eine alte kur- Land sein. Die grossen Länder haben Organisation für kurdische Lehrer dische Stadt, die Hauptstadt der kur- uns immer wieder verraten, wenn es und Lehrerinnen gegründet. Aber dischen Republik. Da kommst du darauf ankam. Amerika, Frankreich, eigentlich unterrichtest du ja nicht quasi als Kurdenpolitiker auf die Russland, England. Wir hatten auch als kurdische Lehrperson. Der Un- Welt. Das ist die Muttermilch. Seit Chancen und dann wieder verloren. terricht ist in Farsi. Offiziell wa- ich siebzehn bin, bin ich für die kur- 5 Millionen Kurden sind ausgewan- ren wir iranische Lehrer und Leh- dische Republik aktiv. dert, geflohen vor Armut und Krieg. rerinnen. Grundsätzlich setzten wir Wenn du demonstrierst, wirst du Solange das iranische Regime be- uns für bessere Lohnbedingungen natürlich registriert. Ich wusste jeder- stehen bleibt, wie es heute ist, wird ein. Lehrpersonen im Iran können zeit, dass ich für meine Arbeit nach es dauern. Zuerst müsste dieses Re- zwar von dem Gehalt leben, aber iranischem Recht verurteilt wer- gime zusammenbrechen. Die Regie- nicht besonders gut. Die meisten ha- den kann. Von unserer kurdischen rungen der Länder im Mittleren Os- ben eine zweite oder noch eine drit- Lehrerorganisation leben bis auf ei- ten haben sich in den letzten Jahren te Lohnarbeit. Ich unterrichtete am nige wenige alle im Ausland. Die eher gemeinsam gegen die Kurden Morgen in der Primarschule, dann wenigen, die noch im Iran leben, kön- verschworen. Zum Teil passiert das nachmittags zum Beispiel Englisch nen kaum etwas für die kurdischen nicht offensichtlich. Auch wenn Irak, am Gymnasium. Zusätzlich schloss Anliegen tun. Sie leben in Angst und Iran, Türkei und Syrien unterschied- ich ein Studium im Fach Informatik Gefahr. Einige stecken im Gefängnis, lich zueinander stehen, dort Interes- ab, machte den Master in Soziologie andere sind dort umgekommen. sen von verschiedenen Religionen, und Bildungsplanung. Bereits der Einsatz für Kurdistan ist BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
Flucht 16 ein strafbarer Verstoss gegen den ira- nischen Staat. Natürlich war schon einiges über mich bekannt und es war immer wieder auch kritisch, ob ich unterrichten durfte. Ich wusste seit Beginn der Aktivitäten, dass ich dafür vielleicht ins Gefängnis oder sogar sterben muss. Aber ich dachte niemals, dass ich deswegen wegge- hen, ins Ausland gehen würde. Marianne Aepli: Und dann doch. Welche waren die Beweggründe für Ihren Weg vom Iran in die Schweiz? Helmet Maroufi: Irgendwann ver- dichteten sich die Anzeichen, dass eine Festnahme möglich, also sehr wahrscheinlich war, und ich ging Helmet Maroufi in seiner Funktion als Leiter von Rojhelat bei einer Videoeinschaltung nochmals komplett über die Bücher: während einer von Rojikurd übertragenen Konferenz. (Bild Rojikurd) Ich werde verhaftet, werde vielleicht sterben, oder ich kann weitergehen. in Steinhausen. Das war eine gute Helmet Maroufi: Für die Arbeit im Ich habe intensiv mit meinem Vater Zeit, denn ich konnte viel überset- Bildungsbereich muss mein Deutsch gesprochen. Dann bin ich geflohen, zen, einfach freiwillig. Ich konnte auf besser werden. Für die Anliegen der zu Fuss, über die Berge Richtung Türkisch, Farsi, Arabisch, Kurdisch Kurden kann ich mich auch hier ein- Türkei. Das war gefährlich. Aber wir vermitteln, da gab es Tag und Nacht setzen, da war ich auf Einladung auch hatten Begleiter mit guten Ortskennt- Themen. Und ich hatte eine Aufgabe, schon bei der UNO in Genf oder auf nissen, die sagten, welche Wege wann die mich erfüllte. Dann, während einem Kongress in Stockholm. Das ist zu gehen waren und wann du dich meiner Zeit in Holzhäusern, kam wichtig, aber nicht tagfüllend. verstecken solltest. Dann war ich ein der Entscheid, dass ich als politisch Jahr lang in der Türkei. Verfolgter Schutz bekomme. Das war Marianne Aepli: Vielen Dank, Herr Ich habe dort gearbeitet, einfache eine Art Rettung, denn häufig ist mir Maroufi, für das spannende Inter- Lohnarbeit zum Überleben. Gleich- die Decke so ziemlich auf den Kopf view. Über Kurdistan und die aktuelle zeitig war ich immer noch im poli- gefallen, da ich in dieser Zeit nicht Lage im Mittleren Osten, über Ihre tischen Einsatz für die Rechte der arbeiten durfte. Das war eine lange Einschätzungen und Visionen haben Kurden. Da die UNCHR nicht mehr Zeit. Jetzt habe ich eine B-Bewilligung wir ebenfalls viel aufgenommen, was in der Türkei arbeitet, drohte dort und intensiv Deutsch gelernt. hier im BULLETIN nun nicht Platz ebenfalls eine Verhaftung, mit den Seit einem knappen Jahr wohne ich hat. Vielleicht ein späteres Mal. Wir gleichen Konsequenzen wie im Iran. in einer Einzimmerwohnung in Men- wünschen Ihnen auf dem weiteren Zu sechst haben wir uns dann auf den zingen. Ich suche Arbeit. Da bin Weg viel Erfolg! Weg gemacht. Zu Fuss, mit Bus oder ich in einer Zwickmühle. Ich habe Bahn, mit dem Schiff von der Türkei mehrfach Lohnarbeit in der Gastro- nach Griechenland, von dort weiter nomie gemacht, vier Monate in ei- über die Balkanroute bis Österreich. ner Pizzeria gearbeitet. Dort musste Auf der Flucht war alles mit da- ich enorm durchbeissen und wollte bei, Hunger, Kälte, Erschöpfung und bleiben, aber ich konnte nicht mehr. Rojikurd gute Tage und hilfsbereite Menschen. Das Arbeitsklima und der Ton unter- Helmet Maroufi ist unter anderem als Ein Freund hatte mir geraten, in die einander waren schlimm für mich. Leiter der Kurdistan Human Right Orga- Schweiz zu gehen. Ich hatte keine Ah- In meinen bisherigen Berufsfeldern nization Rojhelat und für die Website nung, was die Schweiz für ein Land konnte ich bis anhin nicht arbeiten. «Rojikurd» tätig und deckt dort fünf der ist, ich hatte ja früher niemals an elf Sprachen ab. Weitere Informationen: Flucht gedacht. Nach meiner Ankunft Marianne Aepli: Suchen Sie Arbeit • rojhelat.info war ich einige Wochen in einem Bun- als Klassenassistenz oder im Infor- • rojikurd.net/de/ desasylzentrum, danach drei Monate matikbereich? BULLETIN | NUMMER 2 | JUNI 2020
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