BULLETIN - die Grünen Zug

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ALTERNATIVE - DIE GRÜNEN ZUG

    BULLETIN                                    NUMMER 2 | JUNI 2020

*   4 Frauen*streik – Keine (Frau*) weniger *
*   8 Gemeinderat – Grüne Stärke *
* 12 Kantonsrat – Steuersenkungen *
* 20 Steuerreferendum – Erfolgreiche Niederlage *
* 21 Steuerwettbewerb – Zuger Angola Connection *
Inhaltsverzeichnis

2   2 Inhaltsverzeichnis                    «Mission statement»
                                            Das BULLETIN ist eine unabhängige Kom-        • Gleichwertigkeit von Geschlecht und
    3 Editorial
                                            munikationsplattform des alternativen Zug       Rasse
    Lernen aus Corona
                                            und wird von folgenden Gruppen getragen:      • Verantwortung des Einzelnen gegenüber
                                                                                            der Gesellschaft und Verantwortung der
    4 Frauen*streik
                                            Alternative – die Grünen Baar                   Gesellschaft gegenüber dem/der
    Keine (Frau*) weniger
                                            Alternative – die Grünen Menzingen              Einzelnen.
    6 Wirtschaftslage                       Alternative – die Grünen Unterägeri
    Weltwirtschaft nach Corona              Alternative – die Grünen Stadt Zug            Die Redaktion recherchiert zu politischen
                                            Alternative – die Grünen Zug                  und gesellschaftlichen Themen nach bes-
    8 Gemeinderat                           Forum Oberägeri                               tem Wissen und Gewissen. Sie nimmt
    Grüne Stärke                            Grünes Forum Hünenberg                        aktuelle Themen der alternativen Gruppie-
                                            Grüne Risch-Rotkreuz                          rungen aus den einzelnen Zuger Gemein-
    11 Nationalrat                          Grüne Steinhausen                             den auf. Das BULLETIN fördert das poli-
    Parlament in der Epidemie               Krifo Alternative Cham                        tische Bewusstsein der Bevölkerung und
                                                                                          trägt zur Meinungsbildung bei. Autorinnen
    12 Kantonsrat                           Das BULLETIN setzt sich mittels seiner        und Autoren der BULLETIN-Beiträge sind
    Steuersenkungen                         Publikationen ein für die Förderung und       frei in ihrer Meinungsäusserung.
                                            den Erhalt von Lebensqualität im Sinne von:
    14 Flucht                               • Soziale Gerechtigkeit, Schutz von sozial    Redaktion und Herausgeberverein
    Auf uns selbst gestellt                      Benachteiligten                          «Das BULLETIN»
                                            • Ökologische Nachhaltigkeit, Schutz
    17 Junge Alternative
                                                 von Lebensräumen und der Natur
    Corona anderswo

    18 Initiative
    Verantwortung übernehmen

    20 Steuerreferendum                    Titelbild
    Erfolgreiche Niederlage                Das Titelbild zeigt eine Fotografie aus dem Corona-bedingten provisorischen Tagungsort
                                           des Kantonsrates. Der Filzteppich hat hoffentlich keine symbolische Bedeutung.
    21 Steuerwettbewerb                    Foto Andreas Busslinger
    Zuger Angola Connection

    22 Stadt
    Grün wäre möglich

    24 Grünspecht
    Elend der rechten Demagogen

    25 Service
    Gestreift
    Kino
    Veranstaltungen
    Adressen
    Impressum

    BULLETIN     |    NUMMER 2   |   JUNI 2020
Editorial

Lernen aus Corona

Luzian Franzini Zug, Kantonsrat ALG

Die Art und Weise, wie wir                                                                                         3
Zuger*innen die Corona-Krise
erlebt haben, könnte wohl kaum
unterschiedlicher sein. Während
sich Junge ohne Betreuungspflich-
ten bereits nach wenigen Tagen
mit ausgefallenen Brotback Rezep-
ten zu beschäftigen versuchten,
verlangte die Krise von anderen
Menschen viel ab. Gerade für
Alleinerziehende und Familien
gestalteten sich die Wochen
belastend.
Mittlerweile kehrt eine gewisse
Normalität zurück und es stellt
sich die Frage nach den längerfris-
tigen Auswirkungen dieser
Pandemie. So prophezeite bei-
spielsweise der slowenische
Philosoph Slavoj Zizek, dass das
Coronavirus unsere grundlegende
Einstellung zum Leben verändern
werde, kein Stein bleibe auf dem
anderen. Auch der Begriff der
Systemrelevanz hat eine neue
Bedeutung erhalten. Trotz ihrer
riesigen Löhne ist es nicht der        Kosten ihrer eigenen finanziellen     Indem beispielsweise in den
Rohstoffspekulant, der Immobi-         Absicherung. Diese Care-Arbeit        Quartieren öffentliche Gemein-
lienverwalter oder der Kryptowäh-      wurde bereits vor der Schliessung     schaftsbüros eingerichtet würden
rung-Fondsmanager, die essenziell      von Kitas und Schulen zum             und Unternehmen mehr Flexibili-
für das Funktionieren unserer          größten Teil von Frauen* getragen,    tät zeigten, könnte auch nach
Gesellschaft sind. Es ist die          so leisten Frauen* jedes Jahr         Covid-19 vermehrt dezentral
Kassiererin in der Migros, die         unbezahlte Care-Arbeit im Umfang      gearbeitet werden. Die Entschleu-
Pflegefachfrau im Altersheim oder      von fast 100 Milliarden Franken.      nigung und eine massvollere
Spital oder die Kinderbetreuerin.      Der Lockdown hat auch die             Mobilität könnten längerfristig die
Wenn diese Menschen auf einen          Schwächen unserer hochgradig          Pendlerströme reduzieren. Beim
Schlag nicht mehr da wären, da         vernetzten Welt aufgezeigt. Auf       diesjährigen Sommerurlaub wird
wäre unsere arbeitsteilige Gesell-     Profit und Echtzeit Lieferung         der einen oder anderen
schaft nicht mehr überlebensfähig.     getrimmte Lieferketten brechen bei    Schweizer*in der massive Glet-
Paradoxerweise sind genau das          Lockdowns zusammen. Das               scherschwund und die Verände-
die Jobs, welche unter schlechten      Gesundheitssystem in Ländern,         rung in den Alpen bewusst. Und
Arbeitsbedingungen leiden,             welche in den letzten Jahren          beim Entdecken von Schweizer
unregelmässige Arbeitszeiten           Sparpolitik betrieben haben,          Städten würde sich wohl auch der
aufweisen und auch überdurch-          konnte die Krise viel schlechter      eine oder andere autofreie Innen-
schnittlich oft von Migrant*innen      bewältigen, privatisierte Gesund-     städte wünschen. In Zeiten des
ausgeübt werden.                       heitswesen versagten gar total.       Umbruchs wird Undenkbares
Diese Krise zeigt Ungleichheiten       Im direkten Gespräch bekomme ich      plötzlich denkbar. Denn in den
aufgrund von Herkunft oder             den Eindruck, dass diese Krise für    letzten Wochen und Monaten
Geschlecht schonungslos auf.           viele eine Zäsur darstellt. Ich bin   zeigte sich auch, wie schnell und
Schon vor dem Virus waren              vielleicht ein unverbesserlicher      grundlegend sich eine Gesellschaft
diejenigen überlastet und gestresst,   Optimist, aber ich glaube doch,       ändern kann, wenn sie will und
die sich unbezahlt um Kinder, Alte     dass von dieser Krise auch etwas      sich von wissenschaftlichen
und Kranke kümmern, auch auf           Positives zurückbleiben kann.         Erkenntnissen leiten lässt. ■

                                                                      BULLETIN    |   NUMMER 2   |   JUNI 2020
Frauen*streik

    Keine (Frau*) weniger

    Julia Küng

4   Über 600 Demonstrant*innen auf den Strassen in Zug, die Stille wäh-
    rend Frauen* von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung erzählen und
    das fröhliche Beisammensein auf dem Landsgemeindeplatz bis spät in
    die Nacht. Der 14. Juni 2019 war einer der beeindruckendsten Tage in
    meinem Leben. Sogar Bänke aufräumen hat an diesem Abend Spass ge-
    macht. Mich erfüllte das Gefühl einer starken Gemeinschaft, das Gefühl,
    vielleicht gerade wirklich ein bisschen die Welt verändert zu haben.

    Unser Protest blieb nicht folgenlos:      Krisen verstärken Ungleichheit
    Die nationalen Wahlen im Herbst           Auch die Covid-19-Krise verdeutlicht
    2020 waren von der violetten Welle        die Ungleichheiten in unserer Ge-
    genauso geprägt wie von der grü-          sellschaft: Frauen* tragen die Krise
    nen. Wir konnten für Zug erstmals         als Pfleger*innen, Verkäufer*innen
    eine Frau* nach Bern schicken, und        und Kinderbetreuer*innen auf ihren
    der Anteil der gewählten Frauen*          Schultern. Sie sind nicht nur schlech-
    im Nationalrat ist von 32 Prozent         ten Arbeitsbedingungen ausgesetzt,
    auf 42 Prozent gestiegen. Das reicht      sie müssen auch zuhause für Kinder-
                                              betreuung sorgen. Denn 61 Prozent
                                              der unbezahlten Care-Arbeit wird – in
                                              normalen Zeiten – immer noch von          und konnte jederzeit allein oder mit
                                              Frauen* geleistet. Es ist anzunehmen,     Freund*innen begangen werden. Die
                                              dass es während der Krise mehr war.       10 Posten behandeln verschiedene
                                              Möglichst immer zuhause zu bleiben,       feministische Themen vom Pflegeall-
                                              war und ist zudem für viele Frauen*       tag, über Frauen* der Geschichte bis
                                              gefährlich, da sie dort häuslicher Ge-    zu Gewalt an Frauen*. Wir waren alle
                                              walt ausgesetzt sind.                     Feuer und Flamme und haben fleissig
                                                                                        recherchiert, geschrieben und gestal-
                                              Immer wieder am 14. Juni                  tet. Zwei mutige Pflegefachfrauen
                                              Schon vor einem Jahr war klar: Der        mit Kindern berichteten von ihrem
                                              Frauen*streik 2019 soll kein ein-         Alltag. Bei mir wurde der Rundgang
                                              maliges Ereignis bleiben. Wir müs-        schon da sehr emotional. Der Bericht
                                              sen weiterkämpfen und weiter strei-       der einen Frau endet mit den Worten:
                                              ken, bis wir endlich Gleichstellung       «Wo jeder Tag 17 Stunden Arbeit
                                              erreicht haben. Dieses Jahr wurde         bereithält und auch die Nacht nicht
                                              wegen der Pandemie auf Gross-             ohne Unterbrüche ist – da ist es nur
                                              demonstrationen und Strassenfeste         eine Frage der Zeit, bis einem der
                                              verzichtet. Aber wir verzichteten         Atem wegbleibt.» Mir blieb der Atem
                                              nicht darauf, nach draussen zu gehen,     nur schon beim Lesen weg.
                                              unsere Forderungen kundzutun und
    noch lange nicht – aber es ist ein        uns zusammenzuschliessen. Überall         Männergewalt als häufigste Todes-
    Schritt in eine feministischere Welt.     in der Schweiz wurden Wege gesucht,       ursache der Frau
    Die letzten Monate haben jedoch           trotz der ausserordentlichen Lage für     Ich habe unter anderem für das Plakat
    mehr denn je gezeigt, dass wir noch       Gleichstellung zu kämpfen. In Zürich      zum Thema «Gewalt an Frauen*»
    lange nicht am Ziel sind. Das Pa-         zum Beispiel gab es auf einer Strei-      recherchiert. Ein ganzes Wochenen-
    triarchat ist hartnäckig. In Zug ist      kroute durch die ganze Stadt viele        de lang sass ich vor meinem Com-
    ein Gleichstellungsbüro immer noch        verschiedene Aktionen, von der Lie-       puter, hab Studie um Studie gele-
    keine Selbstverständlichkeit und laut     gestuhlblockade zum gemeinsamen           sen und war geschockt. Ich las, wie
    der Zuger Fachstelle für Statistik ver-   Singen. In Zug hat das Frauen*streik-     viele Frauen* ermordet, verstümmelt
    dienen Frauen* bei gleicher Arbeit        Kollektiv einen Frauen*rundgang           oder verschleppt werden. Allein in
    und Ausbildung bis zu 26 Prozent          durch die Stadt auf die Beine gestellt.   der Schweiz tötet alle zwei Wochen
    weniger als Männer*.                      Dieser stand vom 14. bis am 28. Juni      ein Mann* eine Frau*. Gewalt ist

    BULLETIN     |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
5

weltweit die häufigste Todesursache      Solidarität weltweit                     etwas verändern. Ich habe Hoffnung.
für Frauen* zwischen 16 und 44           Es stärkte mich, zu wissen, dass         Auch wenn ich diese Woche vier
Jahren, noch vor Krebserkrankungen       auf der anderen Seite des Atlan-         sexistische Nachrichten auf Face-
und Verkehrsunfällen. In der Schweiz     tiks Frauen* an meiner Seite stehen      book gelöscht habe – ich habe Hoff-
musste ausserdem schon jede 10.          und mit mir gegen das Patriarchat        nung. Denn ich treffe immer mehr
Frau* Sex gegen ihren Willen erleben.    kämpfen. Das Lied ist im Kontext         Frauen*, die Seite an Seite mit uns
Das sind nicht Einträge in irgendeiner   der starken «Ni una menos» (Keine        für Gleichstellung einstehen wollen.
Statistik: Hinter diesen Zahlen stehen   (Frau*) weniger)-Bewegung in La-         Ein Angriff auf eine Frau* ist ein
echte Leben, echte Erlebnisse und        teinamerika entstanden. Tausende         Angriff auf alle Frauen*. Gemeinsam
Prägungen. Mir kamen beim Recher-        Frauen* kämpfen dort gegen Femi-         stürzen wir das Patriarchat – am 14.
chieren die Tränen, ich war wütend       zide, gegen Abtreibungsverbote und       Juni 2021 wieder alle zusammen auf
und fühlte mich machtlos angesichts      den repressiven Staat. Auch über die     den Strassen! ■
dieser Ungerechtigkeiten. Gewalt an      internationale Frauen*bewegung hab
Frauen* ist nichts Neues für mich,       ich beim Gestalten des Rundgangs
ich kenne meine Geschichten und          viel gelernt. Es ist eindrücklich, wie
die meiner Freund*innen. Aber dass       wir von Mexiko über Rojava bis nach
weltweit so viele von uns dasselbe       Island für die gleiche Sache kämpfen.
erleben, war für mich kaum auszu-        Egal ob am Frauen*rundgang, hier          Genderstern *
halten. Das einzige, was mir geholfen    mit diesem Text oder auf eine ganz        Der typografische Stern (*) bezeichnet
hat, war das Lied «Canción sin mie-      andere Art: Diese Reise von Wut,          sowohl männliche und weibliche, als
do» (furchtloses Lied) der mexika-       Selbsthinterfragung bis zur Bestär-       auch Geschlechtsidentitäten aus dem
nischen Künstlerin und Feministin        kung in der Gemeinschaft ist zentral.     Transgender-Spektrum, die weder
Vivir Quintana. Ich habe es zufällig     Ich wünsche mir, dass wir sie alle im-    ausschliesslich männlich noch weiblich
auf YouTube gefunden. Während mei-       mer wieder machen – in Sachen Fe-         sind. Eingefügt wird das Zeichen
ner Recherche und danach habe ich        minismus, Antirassismus und allen         zwischen dem eigentlichen Wortstamm
es in Dauerschleife gehört und wenn      anderen Kämpfen, die wir führen. Sie      und der weiblichen Endung einer
es nicht lief, habe ich es, wie ein      ermöglicht uns, erst richtig zu sehen,    Personenbezeichnung (Kolleg*innen)
Mantra in meinem Kopf, wiederholt.       was falsch läuft, und gemeinsam die       oder am Ende einer eindeutig weib-
Die Stimme ist kraftvoll, der Song-      Kraft zu finden, uns zu wehren.           lichen oder männlichen Bezeichnung
text kämpferisch, doch was mir am        Wir sind stark, wir sind laut und wir     um die anderen Geschlechtsidentitäten
meisten geholfen hat, war das Gefühl,    sind viele. Nur wenn wir uns zusam-       einzubeziehen (Frau*).
nicht allein zu sein.                    menschliessen, können wir wirklich

                                                                          BULLETIN     |   NUMMER 2       |   JUNI 2020
Wirtschaftslage

    Weltwirtschaft nach Corona

    Luzian Franzini, Kantonsrat ALG

6   So kann es nicht weitergehen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der               Italien und Griechenland, die bereits
    Corona-Krise sind massiv und stürzen die Welt in die vielleicht grösste           vor Ausbruch der Krise mit grossen
    Wirtschaftskrise seit 1930. Blinder Freihandel und Privatisierungen haben         wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu
                                                                                      kämpfen hatten, werden weiter zu-
    die Reaktionsfähigkeit unserer Gesellschaft in Zeiten der Krise massiv
                                                                                      rückfallen.
    verschlechtert.
                                                                                      Im globalen Handel zeigen sich zwei
    Ökonom*innen des Internationalen        ganisation schätzt, dass alleine zwi-     gegenläufige und widersprüchliche
    Währungsfonds gehen davon aus,          schen April und August dieses Jahres      Entwicklungen. Die Krise beschleu-
    dass die Weltwirtschaft in diesem       rund 200 Millionen Arbeitsplätze ver-     nigte den Strukturwandel hin zu
    Jahr um 3 Prozent schrumpfen wird.      loren gehen werden. Die Krise trifft      mehr Versandhandel, viele kleine Lä-
    Auch wenn der Lockdown dauer-           die einzelnen Weltregionen in unter-      den gehen in Konkurs. Globale Wa-
    haft aufgehoben ist und sich keine      schiedlicher Intensität. Während rein     renhäuser wie Amazon erwirtschaf-
    zweite Welle ausbreiten würde, wer-     epidemiologisch Staaten mit einem         teten während der Coronakrise 10 000
    den viele Volkswirtschaften in eine     inexistenten oder sehr schwachen Ge-      Dollar pro Sekunde. Kleine lokale Lä-
    Rezession schlittern. Der Grund für
    die lange Dauer der Krise kommt
    jedoch nicht aus dem Nichts. Die
    Corona-Krise war nur der berühmte
    Tropfen, welcher das Fass zum Über-
    laufen brachte. Bereits im letzten
    Jahr schwächten sich die Investi-
    tionen und die Wirtschaftsleistung
    in vielen Ländern ab. Neue Inves-
    titionen wurden zurückhaltender ge-
    tätigt. Die US-Hypothekenkrise im
    Jahr 2008 wurde laut den offiziellen
    Konjunkturzahlen schon längst über-
    wunden. Konsum und Investitionen
    muss seither jedoch massiv unter die
    Arme gegriffen werden. Zentralban-
    ken versuchen, mit dem sogenannten
    Quantitative Easing die Geldmenge
    von privaten Investoren zu erhö-
    hen. Dabei kaufen die Zentralbanken
    Wertpapiere wie Staatsanleihen von
    privaten Investoren und pumpen so
    Geld in den Wirtschaftskreislauf. Die   Privatisierte Gesundheitswesen hatten Probleme, alle COVID-19-Patienten
    Erhöhung der Geldmenge und ein          zu versorgen.
    tiefer Zins sollen dabei den Konsum
    und Investitionen anlocken. Dies        sundheitssystem sowieso viel stärker      den und Unternehmen kämpfen um
    hatte jedoch negative Auswirkungen      getroffen wurden, wird der globale        ihr Überleben. Auf der anderen Seite
    auf die Finanzmärkte; Immobilien-       Süden durch die lahmende Wirtschaft       kamen aber auch die gravierenden
    spekulationen nahmen zu und bei         um ein Vielfaches härter getroffen.       Nachteile der Globalisierung unver-
    der weltweiten Privatverschuldung       Alleine in Indien gibt es 40 Millionen    hüllt zum Vorschein. Die auf Echtzeit
    jagt seither ein Rekord den andern.     Tagelöhner*innen, deren Existenz          getrimmten Lieferketten ohne Reser-
    Im März betrug sie 2,1 Billionen        von der täglichen Arbeit abhängt. Ihre    ven und Notlager rächten sich bei
    Dollar.                                 Verarmung wird extrem zunehmen,           der Verfügbarkeit von Medikamenten.
                                            Hunger und Pandemie werden die            Auch in der Schweiz kam es zwi-
    Konsum wird schwächer                   Todeszahlen erhöhen. Auch die süd-        schenzeitlich zu Knappheiten. Ge-
    Kurzarbeit und Entlassungen füh-        europäischen Staaten dürften wegen        wisse Wirkstoffe für Schmerzmittel,
    ren dazu, dass der Konsum weiter        ihrer Abhängigkeit vom Tourismus          Antibiotika, Blutdruck- oder Chole-
    geschwächt wird. Die Weltarbeitsor-     grössere rezessive Einbrüche erleben.     sterinsenker werden fast nur noch

    BULLETIN    |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
in China hergestellt. Generell rächen      Die Erfahrungen im Home-Office           len Fleischproduktion, schafft ideale     7
sich neoliberale Privatisierungen          könnten zur besseren Vereinbarkeit       Bedingungen für die Übertragung
im Gesundheitswesen von diversen           von Familie und Beruf genutzt wer-       von tödlichen Krankheitserregern auf
Staaten. In Spanien zeigten sich die       den, was Ansteckungsgefahr und           Menschen. Das hat auch die Vogel-
Folgen dieser Teilprivatisierung. So       Pendleremissionen gleichermassen         grippe gezeigt; wildlebende Enten
verfügt die Region Madrid mit 80           verringern würde. Globalisierte Han-     kamen in Kontakt mit Geflügel in
Spitälern über nur 30 öffentliche.         delsketten können zugunsten von          grossen Mastbetrieben.
Privatspitäler, meist in den Händen        lokalen Wirtschaftskreisläufen ver-      Diese Krise kann auch das Ende des
von Investorengruppen, sind in ihren       einfacht werden.                         neoliberalen Staatsabbaus, wie er seit
Policen nicht verpflichtet, Leistun-       Es gibt klare Anzeichen, dass die        Margareth Thatcher vorherrschend ist,
gen bei Pandemien zu erbringen. Der        Massentierhaltung und die Abhol-         bedeuten. Wenn Gesundheitsdienst-
riesige Andrang auf die verbliebenen       zung des Regenwaldes zur Verbrei-        leistungen und andere Formen der
staatlichen Krankenhäuser brachte          tung von Viren beitragen. Bei der        Care-Arbeit wieder als öffentliches
das spanische Gesundheitswesen an          Übertragung von Erregern auf den         Gut verstanden werden, erhöht das
den Rand des Kollapses.                    Menschen spielt die Zerstörung von       die Krisenfähigkeit. In Spitälern und
                                                                                    Arztpraxen soll wieder der Mensch
                                                                                    und nicht das betriebswirtschaftliche
                                                                                    Jahresergebnis im Zentrum stehen. Es
                                                                                    braucht bessere Arbeitsbedingungen
                                                                                    in der Pflege, einen fairen Betreuungs-
                                                                                    schlüssel und ein Ende des Pseudo-
                                                                                    wettbewerbs der Krankenkassen in
                                                                                    der Grundversorgung.
                                                                                    Wenn die richtigen Lehren aus der
                                                                                    Covid19-Krise gezogen werden, ist
                                                                                    diese Krise sogar eine grosse Chance
                                                                                    für uns alle. Es liegt nun an den fort-
                                                                                    schrittlichen Kräften, diese Verände-
                                                                                    rung auch einzufordern. Denn was
                                                                                    diese Krise auch gezeigt hat, ist die
                                                                                    Reaktionsfähigkeit von Regierungen,
                                                                                    wenn der Wille und der öffentliche
                                                                                    Druck vorhanden sind. ■

Gemeinschaftliche Arbeitsplätze in Quartieren, wie hier in Hongkong, könnten die
Pendler*innenströme vermindern.

Neue Wirtschaft                            Lebensräumen eine zentrale Rolle.
Die Wirtschaft nach Covid19 muss           Ebola kam beispielsweise in Gebieten
eine andere werden. Wenn schon auf         häufiger vor, in denen vorher in gros-
der ganzen Welt Billionen an Staats-       sem Stil der Urwald gerodet wurde.
finanzen zur Rettung der Wirtschaft        Wenn man die Wohnbäume der Fle-
mobilisiert werden, sollten diese          dermäuse fällt, zwingt man die Tiere
Gelder auch gleich zur Beseitigung         dazu umzuziehen, vielleicht in Bäu-
der ebenso existenzbedrohenden und         me in der Nähe von Siedlungen. Mit
globalen Klimakrise genutzt werden.        den Tieren kommen die Viren mit,
Bisher wurden Staatshilfen kaum an         die auf den Menschen überspringen
Umweltauflagen geknüpft, obwohl            können. Nicht nur die Zerstörung
Pandemieprävention und Umwelt-             des Lebensraumes für Tiere, auch die
schutz Hand in Hand gehen könnten.         Massentierhaltung mit der industriel-

                                                                              BULLETIN   |   NUMMER 2      |   JUNI 2020
Gemeinderat

    Grüne Stärke

8   Das Bulletin wollte wissen, wie sich der Erfolg der Grünen bei den National-     Paul Iten,
    ratswahlen auf die Stadt- und Gemeindepolitik auswirkt. Die Gemeinde-            Gemeinderat Forum Oberägeri
    rätInnen und die Stadträtin antworten:

    Vroni Straub-Müller,                     von der ALG/CSP mehr kommen,
    Stadträtin CSP, Zug                      zum Beispiel in der Verkehrspolitik,
                                             dem Klimasünder Nummer 1.
                                             Was ist passiert seit Anfang 2020.
                                             Die Politik beschäftigt den Stadtrat
                                             mit Vorstössen zu diesen Themen –
                                             und diese kommen beileibe nicht
                                             nur aus unserer Küche. Sogar die
                                             SVP verlangt in einem Postulat «So-
                                             larstrom für alli Zuger». Es scheint
                                             so, als wollten alle Parteien am Er-
                                             folg der Grünen partizipieren und
                                             die grünen Themen, insbesondere
                                             die Nachhaltigkeit, schon mit Blick
                                             auf die nationalen Wahlen 2023 an
                                             sich ziehen.                            In der Gemeindepolitik Oberägeri
                                             Wenn es aber an die konkrete Umset-     hat sich schon mit den Wahlen des
                                             zung durch den Stadtrat geht, hapert    Gemeinderates vieles verändert. Zum
                                             es gewaltig. So will die Mehrheit im    einen ist seit diesen Wahlen die
                                             Stadtrat die 17 Ziele für eine nach-    SVP nicht mehr im Rat vertreten.
                                             haltige Entwicklung (Sustainable        Zum andern wurde in der CVP ein
    «Dank einem Plus von 13,9 Prozent-       Development Goals, SDGs) der UNO        eher rechts politisierender Kollege
    punkten steht die Grüne Partei neu       für Zug nicht unterzeichnen. Sie ist    ersetzt. Neu setzt sich der Gemeinde-
    auf dem ersten Platz in der Stadt Zug.   auch nicht bereit, die Energiestrate-   rat Oberägeri durch zwei CVP, zwei
    Ihre Parteistärke beträgt 23,5 Pro-      gie aus dem Jahre 2010 verbindlich      FDP und einen Forum-Vertreter zu-
    zent.» Dies schreibt die Infoplattform   anzupassen. Und was das Velo an-        sammen. Neu arbeitet jetzt auch eine
    Watson am 21. Oktober 2019. Das          geht – die Stadt Zug ist von einer      junge Frau in unserem Gremium sehr
    ist ein historisches Resultat. Diese     fahrradfreundlichen Infrastruktur       aktiv mit. Und plötzlich diskutieren
    gewonnene Stärke und das damit           weit entfernt. Im Gegenteil – es wer-   wir im Gemeinderat über den Rech-
    verbundene gewachsene Selbstver-         den für den Veloverkehr noch Schi-      nungsüberschuss, über Kinderbetreu-
    trauen muss sich auf die Politik in      kanen eingebaut, wie zum Beispiel im    ung und Biodiversität. Ich denke, das
    dieser Legislatur auswirken. Wenn        Brüggli. Hier hoffe ich auf die Zuger   Stimmvolk dieses Dorfes am See hat
    das nicht geschieht, haben wir etwas     Velonetz-Initiative.                    schon durch die Neuwahlen das Gre-
    falsch gemacht.                          Und zu guter Letzt: Nach der vierten    mium so zusammengesetzt, dass der
    Die Legislaturziele 2019 – 2022 der      grossen Krise in Folge nach Finan-      ganze Rat grüner politisiert.
    Stadt Zug lesen sich für unsere Oh-      zen, Flüchtlinge und Klima kann         Ich glaube aber auch, dass die «Jun-
    ren immerhin erfreulich: «Zug bietet     ich persönlich noch nicht abschät-      gen, Wilden» der CVP auch durch
    eine hohe Lebensqualität für alle        zen, welche Folgen die Corona-Krise     den allgemeinen Trend eher auch
    Generationen, auch für die kommen-       auf die Nachhaltigkeitspolitik in der   ihre Ziele so setzen, dass sie sich
    den. Zug ist eine umweltbewusste         Stadt Zug hat.                          für grüne und soziale Themen ein-
    Stadt (Nachhaltigkeitsstrategie, Mi-                                             setzen. Das Forum war noch nie so
    kroklimaanalyse, Lärmreglement,                                                  erfolgreich an einer Gemeindever-
    Gebäudestandard etc.). Und Zug ist                                               sammlung wir letztes Jahr. Das hat
    ein Wirtschaftsstandort … mit einem                                              es seit unserem Bestehen, 34 Jahre,
    intakten Lebensraum.» Wir müssen                                                 nie gegeben, dass wir an einer Ge-
    den Stadtrat beim Wort nehmen und                                                meindeversammlung zwei Anträge
    die Massnahmen zur Zielerreichung                                                durchbrachten. Viele Mitbürger an
    aufzeigen und einfordern. Hier muss                                              der Gemeindeversammlung stimmen

    BULLETIN    |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
nun auch für unsere Vorschläge,         meindlicher Ebene gestärkt. Das ist       Barbara Beck-Iselin,                    9
obwohl wir eigentlich die «falsche      im neuen Feuer spürbar, das die Al-       Gemeinderätin Menzingen
Partei» sind. Vorher waren wir glück-   ternative – die Grünen Baar gepackt
lich, wenn wir in vier Jahren einen     hat. In einer zweiteiligen Retraite
Antrag durchbrachten.                   hat der Vorstand begonnen, sich
Gegenwärtig diskutieren verschie-       noch bewusster nach vorne, auf die
dene Arbeitsgruppen über die Orts-      Zukunft auszurichten, jene Themen
planung. Auch in diesen Arbeits-        aktiv mitzugestalten, die sich in letz-
gruppen keimen zurzeit viele grüne      ter Zeit stärker gezeigt haben.
und soziale Themen. Diese Diskus-       Auch wenn in der Gemeindepolitik
sionen wären noch vor fünf Jah-         die kurzsichtigen Ängste dominie-
ren ganz anders gelaufen. Auch hier     ren, dass sich «grüne Massnahmen»
spürt man, dass die Mitglieder der      wirtschaftlich nicht lohnen, zeigen
Arbeitsgruppen viele Massnahmen         sich doch kleine Fortschritte. Er-
einbringen, die mit den Diskussionen    freulicherweise gibt es bei den neu
um den Klimawandel gekeimt sind.        überarbeiteten Mehrjahreszielen der
Es werden auch immer wieder soziale     Gemeinde Baar ein Ziel, dessen Titel
Themen eingebracht. Man diskutiert      von «Treibhausgasemissionen» in
nicht mehr nur übers Zubetonieren.      «Klimawandel» abgeändert und mit
Im Gegenteil: Vor dem Rathaus ist als   der Formulierung erweitert wurde:
Beispiel schon eine Mauer weg und       «Die Gemeinde ergreift Massnahmen
dort blühen nun Blumen.                 zur Anpassung an die lokal spür-          Im Herbst 2019 hat es bei den na-
Ich glaube, dass die neue Dorfpolitik   baren oder erwarteten Auswirkungen        tionalen Wahlen mehr grüne Sitze
in Oberägeri mehr lösungsorientiert     des Klimawandels.» Der Gemeinde-          gegeben, einen Grünrutsch. Auch
und nicht bewahrend agieren wird.       rat ist auch bereit, unter gewissen       in meiner Arbeit als Gemeinderätin
Die Prioritäten sind nicht mehr nur     Bedingungen Photovoltaikanlagen           ist das spürbar geworden. Ich mache
wirtschaftlich, sondern grüner und      zu fördern.                               da vier Faktoren aus, die eine Rolle
sozialer.                               Ich bin zuversichtlich, dass sich auf     spielen.
                                        längere Sicht Wesentliches verändern      Zusammensetzung des Gremiums
Berty Zeiter,                           wird. Verstärkt durch die Corona-         und Haltungen der Mitglieder: Bei
Gemeinderätin Baar                      Krise wird Schritt für Schritt – oft im   uns hat sich die Arbeit zum Teil ver-
                                        Moment fast unmerklich – Neues kei-       ändert, weil wir im Gemeinderat seit
                                        men, ein neues Bewusstsein entste-        2019 eine andere Zusammensetzung
                                        hen für die Einmaligkeit unseres Le-      haben. Das ist eine Veränderung bei
                                        bens und für die absolute Notwendig-      den Parteizugehörigkeit und zwei
                                        keit, es durch konkrete Massnahmen        neue Personen. Die Werthaltung ist
                                        zu schützen. Und dies hat wiederum        doch vor allem von den Personen
                                        Auswirkungen auf die Prioritätenset-      abhängig. Die lokalen Parteien ha-
                                        zung, weg vom rein wirtschaftlichen       ben sich in ihren Haltungen verän-
                                        Denken, hin zu ganzheitlicherem,          dert. Das Schweizerische wurde in
                                        gemeinschaftlichem Handeln.               der Sommersession der Bundesver-
                                                                                  sammlung sichtbar. Nicht nur die
                                                                                  FDP hat ein grünes Mäntelchen.
                                                                                  Grüne Themen sind von allen mehr
                                                                                  beachtet: Im Rat haben meine Inputs,
                                                                                  die Themen ökologisch anzuschauen,
                                                                                  mehr Chancen als früher. Sie werden
                                                                                  nun angehört. Es gibt Sendungen
                                                                                  am Fernsehen und Beiträge in den
                                                                                  Zeitungen zu Biodiversität, Insek-
Der Aufschwung der grünen Politik                                                 tensterben und vielem mehr. Dass
auf nationaler Ebene hat sicher das                                               die Ökologie in unserer Gesellschaft
Selbstbewusstsein der Partei auf ge-                                              einen so hohen Stellenwert erreicht,

                                                                          BULLETIN     |   NUMMER 2    |   JUNI 2020
Gemeinderat

10   hat mir vor 4 Jahren im Rat niemand      Christoph Zumbach,                      in der Mehrheit Weichen stellen
     geglaubt – und nun ist es eingetrof-     Gemeinderat Steinhausen                 können. Ich sehe das regelmässig
     fen. Bei gewissen Vorstössen oder                                                im Gemeinderat, in welchem viele
     Projekten kommen KollegInnen oder                                                meiner Vorstösse belächelt werden.
     die Verwaltung auf die Idee, dass wir                                            Falls nicht, diskutieren wir zwar
     diese Projekte auch anders als bisher                                            darüber und finden teils sogar kon-
     anpacken könnten. Dann braucht es                                                struktive Ansätze. Wenn es dann
     meine Inputs weniger, aber eine klare                                            jedoch um konkrete Entscheidungen
     ökologische Haltung und persönliche                                              geht, sind meine Kolleginnen und
     Unterstützung sind wichtig.                                                      Kollegen nicht bereit, den Schritt
     Meine Haltung, mein Verhalten: Die-                                              zu tun. Und diese Schritte werden
     se haben sich geändert. Ich habe                                                 inzwischen immer mehr von den
     heute mehr Kraft, mehr Freude und                                                Wählerinnen und Wählern gefordert.
     Zuversicht, mit meinen Inputs etwas                                              Lippenbekenntnisse reichen ihnen
     zu erreichen. Das hilft natürlich in                                             nicht mehr, sie wollen die Verspre-
     der Argumentation. In einem Fünfer-                                              chungen umgesetzt sehen.
     gremium musste ich doch überlegen,                                               Auch werden die grossen Parteien
     soll ich nun eine Idee, einen Vor-                                               langsam, aber sicher einsehen müs-
     schlag noch einbringen oder nicht.                                               sen, dass ihr bisheriges System von
     Ich schätzte meine Chancen ab und                                                Ämter- und Pfrundverteilung in Zu-
     lotete aus, auf wie viel Widerstand                                              kunft nicht mehr funktionieren wird.
     ich treffen würde. Da hat sich defi-     In Steinhausen merke ich vor allem,     Die Zeiten sind vorbei, in denen
     nitiv etwas verändert und das macht      dass wir als Grüne inzwischen an-       die CVP damit rechnen kann, dass
     wirklich Freude. Ganz wichtig sind       ders wahrgenommen werden. Von           ganze Clans über Generationen bei
     die fachlichen Kenntnisse aus den        der Randpartei, die belächelt wird,     ihnen mitmachen und Parteiwechsel
     verschiedenen Gebieten, die ich ein-     hin zu einer, die ernst genommen        nicht mal gedacht werden können.
     bringen kann sowie die Vernetzung        werden muss. Und dass wir wählbar       Auch die FDP kann nicht mehr da-
     mit anderen Grünen.                      geworden sind. Es ist nicht mehr        rauf zählen, dass jeder Unternehmer
     Die Bevölkerung denkt mit und            die Partei von ein paar Freaks mit      automatisch bei ihnen mitmachen
     spornt mich an: Im Dorf werde ich        verqueren Ideen, sondern eine, die      wird. Eventuell müssen wir auch
     angesprochen. Leute kommen auf           Themen bedient, die viele bewegen.      grundsätzlich überdenken, wie wir
     mich zu, bringen Ideen ein und           Bei uns waren die Gemeinderatssitze     in Zukunft organisiert sein wollen
     fragen nach. Das spornt mich an. So      seit Urzeiten bei den Bürgerlichen,     und können? Viele Leute haben ein
     ist das Projekt Landschaftsentwick-      dann konnte sich die Linke einen        Problem damit, klar Stellung zu be-
     lungskonzept auf fruchtbaren Boden       Sitz erstreiten und dabei ist es dann   ziehen. Bei Werbeanlässen konnte
     gefallen. Viele Leute denken mit,        geblieben. Mit Andreas Hürlimann        ich bisher kein einziges neues Mit-
     so wird etwas Gutes entstehen. In        lösten die Grünen die SP ab, aber       glied gewinnen. Vielleicht sind die
     meinem Alter bin ich auch mit vielen     linke Sitze konnten nicht dazuge-       Zeiten der festen Mitgliedschaften ja
     kleinen Schritten zufrieden. Nach        wonnen werden.                          vorbei und wir brauchen ein neues
     den Sternen greife ich nicht mehr        Wir sind es uns gewohnt, klein zu       Modell der politischen Teilnahme.
     so oft, aber Hartnäckigkeit, das hilft   sein, und haben uns bisher von die-     Ich könnte damit leben, solange wir
     sehr und darin bin ich gut. Neben        sem Denken noch nicht lösen kön-        neue Leute für unsere Sache begeis-
     den grünen Anliegen sind mir auch        nen. Wir diskutieren über Wahlmög-      tern können. Nicht nur mit ihrer
     die sozialen Werte sehr wichtig. Da      lichkeiten in gewissen Kombinatio-      Stimme, sondern auch mit Gesicht
     habe ich eine Veränderung nach dem       nen und das Risiko nicht (wieder-)      und Namen.
     Grünrutsch weniger festgestellt. Da      gewählt zu werden. Dabei wäre die
     muss ich weiter dranbleiben und die      Devise der Stunde: Frech sein, wir
     Geschäfte genau anschauen.               versuchen es! Wieso das nächste
     Ich habe nach wie vor Freude an der      Mal nicht mit einem Dreierteam für
     Arbeit und nutze die Gunst der Zeit      die Wahlen und auch das Präsi-
     sehr gerne.                              dium antreten und versuchen, eine
                                              grüne Mehrheit zu erringen? Ich
                                              finde, das müssen wir! Weil wir nur

     BULLETIN    |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
Nationalrat

Parlament in der Epidemie

Manuela Weichelt-Picard, Nationalrätin Kanton Zug

Corona mit Schockstarre des Parlamentes, ausserordentliche Session und              den Willen des Parlaments beim            11
Sommersession ausserhalb des Bundeshauses sowie die Corona-Beschlüsse               Teilmieterlass für zwangsgeschlos-
dominierten die Themen der Session. Daneben ging es aber auch noch um               sene Betriebe während der COVID19-
                                                                                    Krise umsetzt. Eine erste Vertröstung
vieles mehr.
                                                                                    des Bundesrates auf Dezember ist für
                                                                                    mich nicht akzeptabel. Zusammen
Aus den Medien haben die Parla-         teuren Spielzeug für 6 Millionen            mit meinem NR-Kollegen Oliver Fel-
mentarier*innen erfahren, dass die      Franken. Um 22 Uhr gönnte uns die           ler (FDP/VD) will ich wissen, auf
dritte Frühlingssessionswoche abge-     Präsidentin Nachtruhe.                      welcher gesetzlichen Grundlage be-
brochen wird. Ein Entscheid der Büros                                               schlossen wurde, die Anwaltskosten
der beiden Räte – ohne gesetzliche      Dienstag, 9. Juni                           des strittigen Bundesanwalts Lauber
Grundlage. Die Kompetenz für eine       Heute und morgen steht das CO2-             durch die Steuerzahler*innen bezah-
solche Entscheidung liegt beim Par-     Gesetz auf der Traktandenliste. Die         len zu lassen.
lament. Dieses ist eine tiefe Schock-   Fortschritte sind: Emissionsbegren-
starre verfallen und die Demokratie     zungen für Fahrzeuge, Flugticketab-         Donnerstag, 11. Juni
hat während vieler Wochen gelitten.     gabe, Schaffung Klimafonds, Emis-           Das Parlament kennt Fronleichnam
Nicht einmal die Gesundheitskommis-     sionsbegrenzungen für fossile Hei-          nicht. So durfte ich als Präsiden-
sion durfte während den ersten fünf     zungen. Die breite Zustimmung für           tin der Subkommission Gerichte/
Wochen der Gesundheitskrise tagen!      das CO2-Gesetz zeigt, dass die Kli-         Bundesanwaltschaft gegenüber dem
Für mich aus staatsrechtlichen und
demokratischen Überlegungen eine
schwierige Zeit.

Montag, 8. Juni
In der BernExpo beginnen wir mit der
Fragestunde an den Bundesrat. Mei-
ne Frage, warum in der Schule zwei
Meter Abstand gewahrt sein müssen,
gleichzeitig aber Erotikbetriebe ihre
Dienstleistungen feilbieten dürfen,
wird nicht wirklich zufriedenstel-
lend beantwortet. Während im «Puff»
wieder Betrieb herrscht, bleiben die
Gymnasiast*innen immer noch zu
Hause – seit 13 Wochen.                 Als Subkommissionspräsidentin im Einsatz.
Nach drei Jahren Diskussion hat der
Nationalrat bei der Konzernverant-      mawahl im letzten Herbst die Unter-         Nationalrat über die Arbeit der Ge-
wortungsinitiative eine Maus geboren    stützung für einen wirksamen Kli-           schäftsprüfungskommission Bericht
und dem zahnlosen indirekten Gegen-     maschutz gestärkt hat. Das neue CO2-        erstatten. Die negativen Schlagzeilen
vorschlag des Ständerates knapp zu-     Gesetz ist ein wichtiger erster Schritt,    über die Schweizer Justiz häufen
gestimmt. Anschliessend spreche ich     um endlich die Pariser Klimaziele zu        sich. Einerseits beschäftigt uns als
im Namen der Fraktion für das CO-       erreichen. Weitere müssen sehr rasch        Oberaufsicht die Bundesanwaltschaft
VID-19 Tracing-App. Sie soll helfen,    folgen. Am Abend ziehe ich mich ins         stark und seit diesem Jahr auch noch
dass trotz den beschlossenen Locke-     Bundeshaus zum Arbeiten zurück.             das Bundesgericht und das Bundes-
rungen für das öffentliche Leben die    Zu später Stunde habe ich dieses            strafgericht in Bellinzona. Ein echter
Infektionen nicht wieder ansteigen.     altehrwürdige, wunderschöne Haus            Aufsteller hingegen ist das deutliche
Die Politik möchte eine «freiwillige    für mich alleine. Was für ein Privileg!     Ja des Nationalrats zur «Ehe für alle»:
Quarantäne», garantiert aber keinen                                                 132 von 200 stimmten für die Vor-
Erwerbsersatz. Wenn wir in den kom-     Mittwoch, 10. Juni                          lage. Nun ist der Ständerat am Zug.
menden Wochen nicht 60 Prozent der      Bis Mittag müssen die Fragen für den        Kurz vor 13 Uhr beendet die Prä-
in der Schweiz lebenden Personen        Bundesrat eingereicht sein, die am          sidentin die zweite Sessionswoche
von der App überzeugen können,          Montag beantwortet werden. Mich             und der Zug bringt mich zurück nach
dann verkommt die App zu einem          interessiert, wann der Bundesrat            Zug. ■

                                                                            BULLETIN     |   NUMMER 2      |   JUNI 2020
Kantonsrat

     Steuersenkungen

     Andreas Hürlimann, Steinhausen, Kantonsrat

12   Unser Kanton Zug: rasante Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten;                   menpaketen zur Eindämmung der
     starker Wirtschaftsstandort im Einzugsgebiet des Metropolitanraums                    Coronapandemie. Auch der Kanton
     Zürich, tiefe Steuerbelastung (national wie international!) und sehr gute             Zug hat diverse Massnahmenpakete
                                                                                           geschnürt und auch die Forderungen
     Verfügbarkeit von Fachkräften. Die öffentliche Hand kommt dieser ra-
                                                                                           der Alternativen – die Grünen teil-
     santen Entwicklung nicht immer nach. Oft reagiert die Politik – aber auch
                                                                                           weise aufgenommen. Es zeigt sich,
     die Verwaltung (wohl aufgrund von knappen Personalressourcen) – erst                  dass die ganze Lage nach wie vor sehr
     verzögert auf Veränderungen in unserer Gesellschaft.                                  volatil ist und gewisse Massnahmen-
                                                                                           pakete bereits bei der Beratung in
                                                                                           der Staatswirtschaftskommission (als
     Ab 2014 zeigte sich eine Delle in        Gewinne bei Unternehmen) erklären            vorberatende Kommission) überholt
     der finanzpolitischen Entwicklung        drei Viertel der Abweichung. Ein             waren.
     der Staatsrechnung, die Ausgaben         Viertel ist auf das allgemeine Wachs-        Medienwirksam wurde vom Finanz-
     überstiegen die Einnahmen. Die bür-      tum zurückzuführen, also auf Zuzüge          direktor auch eine Steuersenkung
     gerliche Regierung und mit ihr der       zahlungskräftiger Personen und das           als Stützungsmassnahme präsen-
     bürgerliche Kantonsrat nahmen dies       Wirtschaftswachstum.                         tiert. Eine Senkung des Steuerfusses
     dankend zum Anlass, um Sparan-           Der Kanton Zug hat aktuell keine             hat aus unserer Sicht jedoch nicht
     strengungen umzusetzen. Alle Frak-       verzinslichen Fremdschulden. Das             oder nur bedingt einen Zusammen-
     tionen – inklusive unserer – waren       Nettovermögen pro Einwohnerin/               hang mit Corona. Es fehlt zudem
     ob der Entwicklungen verunsichert.
     Es gelang uns jedoch gemeinsam mit
     unseren Partnern, die schlimmsten
     Sparanstrengungen der bürgerlich
     dominierten Räte an der Urne zu
     bodigen. Ein grosser Erfolg für unsere
     politische Allianz.

     Rasch aufhellende Prognosen und
     Finanzzahlen
     Nicht einmal vier Jahre später, also
     in einer normalen Periode von Kon-
     junkturschwankungen, zeigen sich
     die Finanzzahlen des Kantons Zug
     so robust und tiefschwarz wie zu
     allerbesten Zeiten. Bereits die Rech-
     nung 2018 konnte mit 150 Millionen
     Ertragsüberschuss abschliessen. Die      Der Kantonsrat tagt in einer Halle, die der Regierungsrat gar nie so gross wollte! Die
     Rechnung 2019 gar mit einem Plus         Regierung wollte damals nur eine Zweifachturnhalle, der Kantonsrat bewilligte eine
     von über 175 Millionen. Die trotzdem     Dreifachhalle. (Foto Andreas Busslinger)
     vollzogenen Sparpakete sind unter
     diesen Zeichen mehr als fragwür-         Einwohner ist von 2622 Franken               die Evidenz, dass in der Vergangen-
     dig. Gerade für soziale Institutionen,   im letzten Jahr auf 4015 Franken             heit Steuersenkungen tatsächlich zur
     welche mit neuen Leistungsvereinba-      angestiegen. Die Bilanzstruktur prä-         Überwindung von negativen finanzi-
     rungen grosse Einbussen hinnehmen        sentiert sich überaus solide: Das Fi-        ellen Folgen bei Krisen führten. Un-
     mussten, oder für Angebote, welche       nanzvermögen beträgt am Jahresende           tersuchungen zur Finanzkrise 2008
     eingestellt wurden.                      rund 1,7 Milliarden Franken und das          und den darauf getroffenen Fiskal-
     Die Fiskal- und Bundessteuererträ-       Eigenkapital ist auf über 1 Milliarde        massnahmen zeigen keine entspre-
     ge lagen 2019 um insgesamt 157,8         Franken angewachsen.                         chende Wirkung. Vielmehr handelt
     Millionen Franken über dem Budget.                                                    es sich um theoretische, dogmatisch
     Dafür sind vor allem zwei Faktoren       Bürgerliche planen weitere                   wiederholte Argumente im Rahmen
     verantwortlich: Ausserordentliche Ef-    Steuersenkung                                einer «normalen» Steuergesetzdis-
     fekte (überdurchschnittliche Börsen-     Das aktuelle Jahr ist geprägt von viel       kussion. Im Weiteren ist es nicht
     gewinne oder aussergewöhnlich hohe       Hektik und turbulenten Massnah-              nachvollziehbar, wieso einerseits

     BULLETIN    |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
die nun angedachte Senkung des          Übersicht über die Erfolgsrechnung                                                        13
Steuerfusses für drei Jahre befris-
tet sei, die Erhöhung der persön-                                        Rechnung     Budget Rechnung        Abw.         Abw.
                                         ln Mio. Franken
lichen Abzüge sowie der Ausbau                                               2018       2019     2019      in Mio.   in Prozent
und die Vereinfachung des Mie-           Total Aufwand                    -1441,3    -1514,9    -1480,4     34,5         -2,3
terabzugs jedoch dauerhaft gelten        Total Ertrag                      1590,5     1485,4     1655,8    170,4         11,5
sollen. Und dies ohne ordentliche
                                         Ertrags-/Aufwandüberschuss         149,2      -29,5      175,4    204,9
Vernehmlassung und sauber ver-
fassten Bericht zu den Massnah-         Die in den Tabellen aufgeführten Beträge sind gerundet. Totalisierungen können
men und Auswirkungen seitens            deshalb von der Summe der einzelnen Werte abweichen.
des Regierungsrates. COVID-19 ist
ein singuläres Ereignis, das nicht
als Grund für eine strukturelle und     Bereits in dieser Argumentation zeigt       nicht einmal alle Kantone in der
dauerhafte Änderung der geltenden       sich, dass es primär darum geht, ein        finanziellen Lage sind, eigene Unter-
Steuerbestimmungen vorgeschoben         Zeichen zu setzten und bereits heute        stützungspakete zu schnüren – aber
werden darf. Es ist klar, dass jede     privilegierte Firmen und Personen           auch international gesehen absurd.
einzelne vorgeschlagene Änderung        zu entlasten, welche aufgrund ihrer         Die Wirtschaft muss jetzt vom Staat
je nach individueller Situation für     wirtschaftlichen Potenz schon heute         gestützt und Privatpersonen müs-
einzelne Steuersubjekte eine ande-      ein gutes Leben haben. Dies alles           sen sinnvoll unterstützt werden, nie-
re Wirkung hat. Die Entlastungen        unter dem Deckmantel einer Corona-          mand bezweifelt das. Doch es wird
sind sehr unterschiedlich. In der       massnahme. Aufgrund des Druckes,            teuer und sollte all jenen eine Lehre
Debatte wird hier entgegengehalten,     welcher auch von uns Alternativen –         sein, die immer nur plump Steuer-
dass die Vorlage des Regierungsrates    die Grünen nach Bekanntwerden der           senkungen und weiteren Staatsab-
ein ausgewogenes Paket darstelle:       Pläne einer Steuersenkung aufgebaut         bau fordern. Kluge Investitionen in
Die Senkung des Steuerfusses ent-       wurde, hat der Regierungsrat die            Wachstumsbereiche sind jetzt gefor-
laste im Wesentlichen gut situierte     einseitige Steuerfusssenkung gemäss         dert! Steuersenkungspläne sind in
Personen und Firmen, aber natür-        Vorschlag Finanzdirektor korrigiert         Krisenzeiten doppelt falsch: Entla-
lich auch viele kleine und mittle-      und ein etwas ausgewogeneres Paket          stet werden nur jene, die noch Ge-
re Unternehmen, die während der         zuhanden des Kantonsrates verab-            winne machen können. Nicht ent-
Coronapandemie finanzielle Einbus-      schiedet. Prämienverbilligungsmass-         lastet werden jene KMU und andere
sen erleiden mussten. Die Erhöhung      nahmen, höhere Abzüge bei Mieten            Unternehmen, denen die Einnahmen
der beiden Abzüge sei als soziale       und persönlichen Abzügen zeigen             grösstenteils oder sogar ganz wegen
Abfederung zu verstehen, die vor        hier eine gewisse Wirkung. Entlastet        der Coronakrise weggebrochen sind.
allem die mittleren und tieferen        werden aber primär hohe Einkom-             Es gibt noch viel zu tun im Kanton
Einkommen entlaste, die von der         men. Die Rechenbeispiele gemäss             Zug. Gerade in Zeiten, wo die Jahres-
Senkung des Steuerfusses nicht oder     Stawiko-Bericht zeigen dies deutlich.       rechnung des Kantons mit 205 Mil-
nicht besonders stark profitieren.      Zudem ist vor allem der Hebel des           lionen besser abschneidet als budge-
Mehrfach wurde in der Debatte be-       Steuerfusses relevant für Gutverdie-        tiert, besteht genügend Handlungs-
tont, dass der Kanton im letzten Jahr   nende. Bei einem Steuerfuss von             spielraum, um hier sinnvoll, klima-
einen hohen Überschuss ausweisen        80 Prozent führt die vorgesehene            schonend und zukunftsweisend zu
konnte, dass im Jahr 2020 sogar ein     Reduktion des Steuerfusses bei einer        investieren. Davon profitieren lang-
Rekordergebnis zu erwarten sei und      Familie mit zwei Kindern und einem          fristig alle, nicht nur die bereits heute
dass auch die nahen Zukunftsaus-        Reineinkommen von 90 000 Franken            Privilegierten. Profitieren müssten
sichten nicht schlecht seien. So-       zu einer jährlichen Ersparnis von gut       vor allem diejenigen, welche mit
mit – so die Logik der bürgerlichen     330 Franken. Liegt das Reineinkom-          den Sparpaketen der jüngeren Ver-
Räte – sei die befristete Senkung des   men bei 180 000 Franken, wird die           gangenheit die Abbaumassnahmen
Kantonssteuerfusses eine richtige       Ersparnis mehr als 930 Franken.             der öffentlichen Hand am meisten zu
Massnahme, denjenigen Steuersub-                                                    spüren bekamen. ■
jekten etwas zurückzugeben, die we-     Überschuss muss in Bewältigung
sentlich zu den Ertragsüberschüssen     der Corona- und Klimakrise fliessen
beitragen und mithelfen, dass der       Jede Gelegenheit scheint richtig zu
Kanton Zug finanziell gesund und        sein, die Steuern noch mehr zu sen-
stabil aufgestellt ist.                 ken. Das ist national – wo noch

                                                                           BULLETIN      |     NUMMER 2     |   JUNI 2020
Flucht

     Auf uns selbst gestellt

     Interview von Marianne Aepli mit Helmet Maroufi

14   «Die Berge sind so ähnlich, in Kurdistan und in der Schweiz, das ist auch        stützt, dafür ziemlich genau kon-
     etwas Heimat. Aber in Kurdistan sind Berge mit Gold und anderen Roh-             trolliert. Wir haben zum Teil mit
     stoffen Bürde des Landes und für die Menschen.»                                  eigenem Namen, je nach Inhalt aber
                                                                                      auch unter falschem Namen ge-
                                                                                      schrieben. In Iran ist es gefährlich,
     Marianne Aepli: Helmet Maroufi,         gen des kurdischen Volkes einsetze.      in Kurdisch zu schreiben. Wir sehen
     Sie sind wegen ihres Berufes und        Zum Beispiel, dass die Sprache an        es aber als internationales Recht, in
     ihrer Berufung aus ihrer Heimat         den Schulen gesprochen und ge-           unserer Muttersprache zu schrei-
     Kurdistan geflohen und haben die-       lernt werden darf. Dies war mir als      ben. Genau über solche Missstände
     ses Herzstück quasi hierhin mitge-      Lehrer im Iran verwehrt, auch in         und Ungerechtigkeiten haben wir
     bracht. Seit ungefähr einem Jahr        kurdischen Gebieten. Es gibt Min-        auch geschrieben. Wir haben Web-
     wohnen Sie in Menzingen und kön-        derheitenrechte, die nicht eingehal-     seiten mit Online-Zeitungen erstellt,
     nen sich auch von hier aus für die      ten werden, die unterdrückt werden.      und konnten auch Artikel schrei-
                                                                                      ben, die unsere Freunde anderswo
                                                                                      veröffentlichten. Obwohl wir mit
                                                                                      fremden Namen journalistisch tätig
                                                                                      waren, wurden unsere Aktivitäten
                                                                                      vom Staat trotzdem registriert. Dabei
                                                                                      hatte unsere Arbeit nichts mit Sepa-
                                                                                      ratismus oder Terrorismus zu tun. Es
                                                                                      ging um Menschenrechte.

                                                                                      Marianne Aepli: Warum dürfen Kur-
                                                                                      den ihre eigene Sprache nicht frei
                                                                                      anwenden?
                                                                                      Helmet Maroufi: Einige denken, wir
                                                                                      seien Separatisten, weil wir uns
                                                                                      für die Rechte Kurdistans einset-
                                                                                      zen. Kurdistan ist ein Opfer der Ge-
                                                                                      schichte. Nach dem ersten Weltkrieg
                                                                                      wurden in der Region die Grenzen
                                                                                      auf dem Reissbrett neu gezogen und
                                                                                      so entstanden die Länder Iran, Irak
                                                                                      und Syrien. Wir haben bis jetzt in
                                                                                      der Geschichte immer verloren. In
                                                                                      Kurdistan gibt es Öl, aber auch ande-
                                                                                      re Ressourcen. Wir haben Berge mit
                                                                                      Gold. Aber diejenigen, die dort Arbeit
     Marianne Aepli und Helmet Maroufi (Bild Thomas Strübel)                          haben, sind keine Kurden. Die Men-
                                                                                      schen, die dort wohnen, gehören zu
     Anliegen der Kurden und Kurdinnen       Für solche habe ich mich öffentlich      den Ärmsten der Welt. Sie tragen die
     einsetzen. Sie nennen sich Jour-        und gewaltfrei eingesetzt und da-        Bürde des Goldes. Wenn in kriege-
     nalist und Menschenrechtsaktivist.      mit lebte ich gefährlich, irgendwann     rischen Auseinandersetzungen Ab-
     Wie muss ich mir das vorstellen?        dann sehr gefährlich.                    bau und Transport von Ressourcen,
     Arbeiten Sie nun als kurdischer Se-     Ich komme aus Ostkurdistan. Ich          wie zum Beispiel Erdöl, gefährdet
     paratist im Status des politischen      war dort Lehrer und auch kurdischer      sind, geht sehr viel Aufmerksamkeit
     Flüchtlings aus der Schweiz heraus?     Journalist mit Themenschwerpunk-         und Schutz dorthin. Dann sind Pipe-
     Helmet Maroufi: Das ist eine Fra-       ten Bildung, Film und Politik. Es gibt   lines wiederhergestellt lange bevor
     ge der Perspektive, die Machthaber      keine kurdischen Tageszeitungen.         eine Versorgung der Menschen mit
     im Mittleren Osten würden dies          Wir haben Zeitungen in kurdischer        Grundnahrungsmitteln gesichert ist.
     vermutlich ziemlich genau so be-        Sprache gemacht, die monatlich er-       Kurden müssen sich als Söldner ver-
     schreiben. Fakt ist, dass ich mich      schienen. Diese Zeitungen werden         dingen, so wie die Schweizer es frü-
     seit jungen Jahren für die Anlie-       finanziell nicht vom Staat unter-        her auch gemacht haben (lacht). Sie

     BULLETIN    |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
Marianne Aepli: Sie haben nebst            15
                                                                                    dem Primarschuldiplom auch eine
                                                                                    separate Ausbildung zum Unterrich-
                                                                                    ten in Informatik?
                                                                                    Helmet Maroufi: Ich war schon im-
                                                                                    mer computeraffin. Vor über 20 Jah-
                                                                                    ren habe ich meinen ersten Computer
                                                                                    gekauft, das war damals sehr teuer.
                                                                                    Wenn ich so überlege, hätte ich mir
                                                                                    zu diesem Preis auch ein Haus kau-
                                                                                    fen können (lacht). Ja, ich wusste
                                                                                    einfach, ich muss den Computer kau-
                                                                                    fen, das war damals mit einer frühen
                                                                                    Windows-Version.
                                                                                    In dieser Zeit habe ich nebst dem
                                                                                    Unterrichten, also privat, vor allem
                                                                                    studierenden Kurden und Kurdinnen
                                                                                    geholfen, für sie Unterlagen und Ar-
                                                                                    tikel zusammengesucht. Sie konnten
                                                                                    auch meine Büroinfrastruktur benut-
                                                                                    zen. Ich hatte Computer, Drucker,
Helmet Maroufi mit seiner Schulklasse im Ostkurdistan. (Bild Helmet Maroufi)        Internet. Studierende müssen sich
                                                                                    für viele Sachen über das Internet
beteiligen sich so an Stellvertreter-    Ethnien, Ländern aufeinandertreffen,       melden, Prüfungsinhalte und Sons-
kriegen in der Region, wo der Iran die   sind sie in der Kurdenfrage heute          tiges abfragen. Es ist mir wichtig,
Drehscheibe ist. Solange das Land        recht einig. Die Kurdenkrise eint sie      dass auch Kurden und Kurdinnen ei-
unter der Führung der Ayatollas sein     gegen eine unabhängige Republik            nen guten Zugang zur Bildung haben.
wird, wird sich nichts daran ändern.     Kurdistan, die länderübergreifend
                                         wäre. Wir sind auf uns selbst gestellt.    Marianne Aepli: Dann haben Sie ein
Marianne Aepli: Träumen Sie vom                                                     gutes Leben geführt im Iran?
Kurdistan als unabhängige Republik?      Marianne Aepli: Sie waren nicht            Helmet Maroufi: Ja, ich hatte eine
Helmet Maroufi: Seit hundert Jahren      nur als Journalist, sondern auch im        schöne Wohnung und auch sonst ein
setzten wir uns für unsere Rechte        Bildungsbereich aktiv.                     herrliches Leben. Aber ich komme
ein. Kurdistan soll ein unabhängiges     Helmet Maroufi: Wir hatten eine            aus Mahabad, das ist eine alte kur-
Land sein. Die grossen Länder haben      Organisation für kurdische Lehrer          dische Stadt, die Hauptstadt der kur-
uns immer wieder verraten, wenn es       und Lehrerinnen gegründet. Aber            dischen Republik. Da kommst du
darauf ankam. Amerika, Frankreich,       eigentlich unterrichtest du ja nicht       quasi als Kurdenpolitiker auf die
Russland, England. Wir hatten auch       als kurdische Lehrperson. Der Un-          Welt. Das ist die Muttermilch. Seit
Chancen und dann wieder verloren.        terricht ist in Farsi. Offiziell wa-       ich siebzehn bin, bin ich für die kur-
5 Millionen Kurden sind ausgewan-        ren wir iranische Lehrer und Leh-          dische Republik aktiv.
dert, geflohen vor Armut und Krieg.      rerinnen. Grundsätzlich setzten wir        Wenn du demonstrierst, wirst du
Solange das iranische Regime be-         uns für bessere Lohnbedingungen            natürlich registriert. Ich wusste jeder-
stehen bleibt, wie es heute ist, wird    ein. Lehrpersonen im Iran können           zeit, dass ich für meine Arbeit nach
es dauern. Zuerst müsste dieses Re-      zwar von dem Gehalt leben, aber            iranischem Recht verurteilt wer-
gime zusammenbrechen. Die Regie-         nicht besonders gut. Die meisten ha-       den kann. Von unserer kurdischen
rungen der Länder im Mittleren Os-       ben eine zweite oder noch eine drit-       Lehrerorganisation leben bis auf ei-
ten haben sich in den letzten Jahren     te Lohnarbeit. Ich unterrichtete am        nige wenige alle im Ausland. Die
eher gemeinsam gegen die Kurden          Morgen in der Primarschule, dann           wenigen, die noch im Iran leben, kön-
verschworen. Zum Teil passiert das       nachmittags zum Beispiel Englisch          nen kaum etwas für die kurdischen
nicht offensichtlich. Auch wenn Irak,    am Gymnasium. Zusätzlich schloss           Anliegen tun. Sie leben in Angst und
Iran, Türkei und Syrien unterschied-     ich ein Studium im Fach Informatik         Gefahr. Einige stecken im Gefängnis,
lich zueinander stehen, dort Interes-    ab, machte den Master in Soziologie        andere sind dort umgekommen.
sen von verschiedenen Religionen,        und Bildungsplanung.                       Bereits der Einsatz für Kurdistan ist

                                                                               BULLETIN   |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
Flucht

16   ein strafbarer Verstoss gegen den ira-
     nischen Staat. Natürlich war schon
     einiges über mich bekannt und es
     war immer wieder auch kritisch, ob
     ich unterrichten durfte. Ich wusste
     seit Beginn der Aktivitäten, dass ich
     dafür vielleicht ins Gefängnis oder
     sogar sterben muss. Aber ich dachte
     niemals, dass ich deswegen wegge-
     hen, ins Ausland gehen würde.

     Marianne Aepli: Und dann doch.
     Welche waren die Beweggründe für
     Ihren Weg vom Iran in die Schweiz?
     Helmet Maroufi: Irgendwann ver-
     dichteten sich die Anzeichen, dass
     eine Festnahme möglich, also sehr
     wahrscheinlich war, und ich ging         Helmet Maroufi in seiner Funktion als Leiter von Rojhelat bei einer Videoeinschaltung
     nochmals komplett über die Bücher:       während einer von Rojikurd übertragenen Konferenz. (Bild Rojikurd)
     Ich werde verhaftet, werde vielleicht
     sterben, oder ich kann weitergehen.      in Steinhausen. Das war eine gute           Helmet Maroufi: Für die Arbeit im
     Ich habe intensiv mit meinem Vater       Zeit, denn ich konnte viel überset-         Bildungsbereich muss mein Deutsch
     gesprochen. Dann bin ich geflohen,       zen, einfach freiwillig. Ich konnte auf     besser werden. Für die Anliegen der
     zu Fuss, über die Berge Richtung         Türkisch, Farsi, Arabisch, Kurdisch         Kurden kann ich mich auch hier ein-
     Türkei. Das war gefährlich. Aber wir     vermitteln, da gab es Tag und Nacht         setzen, da war ich auf Einladung auch
     hatten Begleiter mit guten Ortskennt-    Themen. Und ich hatte eine Aufgabe,         schon bei der UNO in Genf oder auf
     nissen, die sagten, welche Wege wann     die mich erfüllte. Dann, während            einem Kongress in Stockholm. Das ist
     zu gehen waren und wann du dich          meiner Zeit in Holzhäusern, kam             wichtig, aber nicht tagfüllend.
     verstecken solltest. Dann war ich ein    der Entscheid, dass ich als politisch
     Jahr lang in der Türkei.                 Verfolgter Schutz bekomme. Das war          Marianne Aepli: Vielen Dank, Herr
     Ich habe dort gearbeitet, einfache       eine Art Rettung, denn häufig ist mir       Maroufi, für das spannende Inter-
     Lohnarbeit zum Überleben. Gleich-        die Decke so ziemlich auf den Kopf          view. Über Kurdistan und die aktuelle
     zeitig war ich immer noch im poli-       gefallen, da ich in dieser Zeit nicht       Lage im Mittleren Osten, über Ihre
     tischen Einsatz für die Rechte der       arbeiten durfte. Das war eine lange         Einschätzungen und Visionen haben
     Kurden. Da die UNCHR nicht mehr          Zeit. Jetzt habe ich eine B-Bewilligung     wir ebenfalls viel aufgenommen, was
     in der Türkei arbeitet, drohte dort      und intensiv Deutsch gelernt.               hier im BULLETIN nun nicht Platz
     ebenfalls eine Verhaftung, mit den       Seit einem knappen Jahr wohne ich           hat. Vielleicht ein späteres Mal. Wir
     gleichen Konsequenzen wie im Iran.       in einer Einzimmerwohnung in Men-           wünschen Ihnen auf dem weiteren
     Zu sechst haben wir uns dann auf den     zingen. Ich suche Arbeit. Da bin            Weg viel Erfolg!
     Weg gemacht. Zu Fuss, mit Bus oder       ich in einer Zwickmühle. Ich habe
     Bahn, mit dem Schiff von der Türkei      mehrfach Lohnarbeit in der Gastro-
     nach Griechenland, von dort weiter       nomie gemacht, vier Monate in ei-
     über die Balkanroute bis Österreich.     ner Pizzeria gearbeitet. Dort musste
     Auf der Flucht war alles mit da-         ich enorm durchbeissen und wollte
     bei, Hunger, Kälte, Erschöpfung und      bleiben, aber ich konnte nicht mehr.          Rojikurd
     gute Tage und hilfsbereite Menschen.     Das Arbeitsklima und der Ton unter-          Helmet Maroufi ist unter anderem als
     Ein Freund hatte mir geraten, in die     einander waren schlimm für mich.             Leiter der Kurdistan Human Right Orga-
     Schweiz zu gehen. Ich hatte keine Ah-    In meinen bisherigen Berufsfeldern           nization Rojhelat und für die Website
     nung, was die Schweiz für ein Land       konnte ich bis anhin nicht arbeiten.         «Rojikurd» tätig und deckt dort fünf der
     ist, ich hatte ja früher niemals an                                                   elf Sprachen ab. Weitere Informationen:
     Flucht gedacht. Nach meiner Ankunft      Marianne Aepli: Suchen Sie Arbeit            • rojhelat.info
     war ich einige Wochen in einem Bun-      als Klassenassistenz oder im Infor-          • rojikurd.net/de/
     desasylzentrum, danach drei Monate       matikbereich?

     BULLETIN    |   NUMMER 2     |   JUNI 2020
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