SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN - SPORTÄRZTEBUND NORDRHEIN E. V - SPORTPSYCHOLOGIE UND SARS-COV-2
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Journal für Mitglieder Jahrgang 1/2021 www.Sportaerztebund.de Sportärztebund Nordrhein e. V. Sportmedizin in Nordrhein Landesverband der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR SPORTMEDIZIN UND PRÄVENTION Sportpsychologie und SARS-CoV-2
INHALT Editorial .................................................................... 3 Motivation u. Coaching im Sport in Corona- Zeiten ....................................................................... 4 Neues aus dem Verband ........................................ 19 • Ehrenmitgliedschaften Sportpsychologie und SARS-CoV-2 ..................... 6 • Sportmedizinische Weiter- und Fortbildungen Mal runterkommen: Sport im Weltall und in • Verstorbene der Pandemie .......................................................... 8 Buchbesprechungen .......................................... 25 Fragen an Ulrike Wefers ....................................... 11 COVID-Distress im Praxisalltag eines Allge- Autorenverzeichnis ............................................ 29 meinmediziners und Sportarztes .................... 14 Impressum Herausgeber: Sportärztebund Nordrhein Landesverband in der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) – (ehem. DSÄB) Am Sportpark Müngersdorf 6 50933 Köln Titelfoto: © Lothar Drechsel | Ulrike Wefers Tel.: (0221) 49 37 85 Fax: (0221) 49 32 07 E-Mail: Info@Sportaerztebund.de Alle Rechte bleiben vorbehalten. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Chefredakteur: Zuschriften sind erwünscht. Dr. med. Götz Lindner Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte zu kürzen Redaktion (in alphabetischer Sortierung): und redaktionell zu bearbeiten. Helga Fischer-Nakielski Mit Namen oder Kürzel gekennzeichnete Beiträge geben Dr. med. Michael Fritz nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Joisten Gabriele Schmidt Das Mitglieder-Journal erscheint zweimal im Jahr. Dr. med. Claudia Velde Der Bezug ist im Mitgliederbeitrag enthalten.
EDITORIAL Liebe Sportärztinnen und Sportärzte, in bislang nie da gewesener Weise hat das „Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) die gesamte Welt verändert. Nachdem im Dezember 2019 der erste Ausbruch öffentlich gemacht wurde, erklärte die Weltgesundheitsorganisation am 11.3.2020 die Erkrankung zur Pandemie. In Ermangelung therapeutischer Gegenmittel wie Impfung, Medikamente waren die einzigen Maßnahmen Abstand halten, Masken tragen, Kontaktbeschränkungen, Lüften etc. Betroffene bzw. deren relevante Kontaktpersonen erhielten und erhalten nach wie vor eine Verordnung zu Quarantäne bzw. häuslicher Isolation. Letztere stellt eine behördlich angeordnete Maßnahme bei CoVID-19-Erkrankten dar. Die Entlassung aus der Isolation erfolgt in der Regel, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Person nicht mehr ansteckend ist. Die Quarantäne wiederum ist eine zeitlich befristete Absonderung von Personen, bei denen der Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 besteht oder von Personen, die möglicherweise das Virus verbreiten können, sogenannte Kontaktpersonen. Aber auch Reiserückkehrer gehören beispielsweise in diese Gruppe. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird diese Unterscheidung nicht zwingend gemacht. Generell soll mit diesen Maßnahmen neben den o.g. Regeln die weitere Verbreitung von SARS COV-2 unterbunden werden. Insgesamt zeichnet sich diese Zeit durch einen erheblichen psychischen Druck aus, die auch den Sport betreffen. Eine behördlich verordnete Quarantäne bzw. Isolation, die zum Teil insbesondere in den ersten beiden Quartalen 2020 teils über mehrere Wochen andauern konnte, verlangt den Betroffenen viel ab. Auf Basis früherer Epidemien wurde frühzeitig auf die möglichen psychopathologischen Folgen dieser Maßnahmen hingewiesen. Eine Möglichkeit dem entgegenzuwirken, ist in Bewegung zu bleiben oder wie die Weltgesundheitsorganisation schreibt: „Stay physically active during self-quarantine“. Dies hängt natürlich von der individuellen Situation und bei Erkrankten vom jeweiligen Zustand ab; mit akuten Symptomen ist immer Schonung angesagt! In der Rekonvaleszenz aber oder als Kontaktpersonen ist angepasst an den Zustand Bewegung möglich. Als mögliche Hinweise für Ihre Patientinnen und Patienten haben wir Ihnen die Empfehlungen der WHO in modifizierter Form zusammengestellt. • Machen Sie im Laufe des Tages kurze aktive Pausen oder bringen Sie kurze Bewegungspausen in Ihren (All-)Tag! Tanzen Sie, spielen Sie mit Ihren Kindern oder erledigen Sie Haus- und/oder Gartenarbeiten. In Summe könnten Sie damit schon das erforderliche Minimum von 150 Minuten pro Woche erreichen! • Nutzen Sie Online-Kurse! Inzwischen gibt es ein vielfältiges Angebot und möglicherweise haben Sie ja auch mal Lust, etwas Neues auszuprobieren. Achten Sie allerdings auf Ihre Gesundheit, wenn Sie keine Erfahrung mit der Durchführung mancher Übungen haben. • Gehen Sie - machen Sie Schritte! Selbst in kleinen Räumen können Sie auf der Stelle gehen. Steigen Sie Treppen. Setzen Sie sich beim Telefonieren nicht, wandern Sie umher. So schaffen Sie bestimmt die empfohlenen 10.000 am Tag! • Stehen Sie auf! Idealerweise sollten Sie das Sitzen und Liegen alle 30 Minuten unterbrechen und vielleicht dann doch auch sogar ein paar Schritte machen. Oder Kniebeugen! • Entspannen Sie sich! Bereits ein paar tiefe Atemzüge, z.B. am offenen Fenster, können Ihnen helfen, ruhig zu bleiben. Nutzen Sie auch gerne das große Angebot, um Meditationsanleitungen zu finden. Auch wenn es sich hier nur um vorsichtige Hinweise handelt, können sie doch dazu beitragen, die Lebensqualität zumindest aufzuwerten. Wir hoffen, dass wir Ihnen noch weitere wertvolle Tipps in diesem Heft zusammengestellt haben. Bleiben Sie fit und aktiv! Außerdem ehren wir in diesem Heft unsere beiden Ehrenmitglieder Dr. Dieter Schnell und Prof. Hermann Heck, die seit Jahrzehnten den Weg des Sportärztebundes Nordrhein maßgeblich begleiten und gestalten. Abschließend möchte ich Sie auf die diesjährige Jahreshauptversammlung am 13. November ab 9:15 Uhr hinweisen und Sie herzlich hierzu einladen. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre! Sportärztliche Grüße Ihre Christine Joisten 1. Vorsitzende Sportärztebund Nordrhein e.V. SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal 3
Jahrgang 2021/1 Motivation und Coaching im Sport in Corona-Zeiten von Johanna Belz, Jens Kleinert & Wiebke Dierkes Seitdem Ende Januar 2020 gesellschaftliche Situation ist und empfiehlt pro der erste positive COVID-19 Woche 150 Minuten bei moderater Intensität oder Fall in Deutschland nach- 75 Minuten bei hoher Intensität körperlich aktiv gewiesen wurde, gab es zu sein (WHO, 2020). hierzulande einen rasan- Corona-Bedingungen erschweren Bewegungs- ten Anstieg von Infek- und Sportaktivitäten tions- und Todeszahlen. Die Lebensbedingungen in der Corona-Pandemie Um die Verbreitung des schränken bei vielen Menschen Bewegungs- und Virus einzudämmen, kam Sportaktivitäten zunehmend ein. Fitnessstudios es zu zahlreichen Schutz- sind geschlossen, das Training in Sportvereinen maßnahmen seitens der Regierung wie Kontakt- ist verboten und sportliche Wettkämpfe sind ab- beschränkungen, häusliche Quarantäne, massive gesagt. Homeoffice fördert das „Stubenhocken“ Einschränkungen des öffentlichen Lebens und die und die oft notwendige Kinderbetreuung ist eine Schließung von Schul- und Betreuungseinrichtun- zusätzliche Belastung, die weitere Zeit- und Ener- gen. Diese Schutzmaßnahmen konfrontierten die gieressourcen einfordert. Das Treffen mit Freun- deutsche Bevölkerung mit einer Vielzahl von be- den, die das Sportreiben oft unterstützen oder die lastenden Umständen wie der sozialen Isolation ein wichtiges Motiv zum Sporttreiben sind, ist ein- und Herausforderungen hinsichtlich der Verein- geschränkt oder wird unterbunden. In der Summe barkeit von Kinderbetreuung und Beruf. Mehrere führen diese Bedingungen dazu, dass Anreize für Literaturübersichten brachten diese belastenden Bewegung und Sport wegfallen und dass die Orga- Umstände in Zusammenhang mit psychischen Ge- nisation und Planung hiervon erschwert werden. sundheitsfolgen wie Schlafstörungen, Einsamkeit, Langeweile, Frustration, Angst, emotionaler Er- Gerade bei Problemen sind Planung und soziale schöpfung und depressiven Verstimmungen. Unterstützung wichtig Die zwei Königswege, mit Problemen und Schwie- Sport als Mittel gegen coronabedingte Beein- rigkeiten umzugehen, sind eine gute Planung und trächtigungen soziale Unterstützung. So zeigt die Motivations- Regelmäßiger körperlicher Aktivität wird in Zeiten forschung, dass Bewegung und Sport genau ge- der Corona-Pandemie eine besondere Bedeutung plant werden sollten. Hilfreich ist also ein klares hinsichtlich der psychischen Gesundheit der Be- Trainings- und Übungsprogramm mit eindeutigen völkerung zugeschrieben. So haben Bewegungs- Zeit- und Ortsvorgaben. Wann, wo, wie oft und mit und Sportaktivitäten unmittelbare und langfris- wem will ich aktiv sein? Wenn solche Pläne schrift- tige stimmungsaufhellende und stressmindernde lich fixiert sind (in der To-do-Liste oder im Handy), Effekte. Zudem beeinflusst körperliche Aktivität steigt zudem die Selbstverpflichtung. Aber auch auch viele Risikofaktoren für schwere COVID-19 die Verpflichtung anderen gegenüber kann helfen, Krankheitsverläufe, wie zum Beispiel Diabetes zum Beispiel indem Bekannten und Freunden von mellitus und Bluthochdruck, und immunologi- den eigenen Bewegungsplänen berichtet wird. sche Prozesse positiv. Noch besser sind das gemeinsame Planen und das Folglich betont die gemeinsame Umsetzen von Bewegung und Sport, Weltgesundheitsor- wenn nicht real, dann wenigsten virtuell. Klare ganisation (WHO), Pläne für Bewegung und Sport helfen schließlich dass regelmäßige vermeintlich attraktiveren Alternativhandlungen körperliche Aktivität (Fernsehen, Essen) zu widerstehen. während der Corona- Pandemie von höchs- Motivation stärken durch gute Gründe und Freude ter Relevanz für die an der Bewegung individuelle gesund- Grundsätzlich ist es wichtig, eigene und gute heitliche und gesamt- Gründe fürs Sporttreiben zu haben oder von ande- ren daran erinnert zu werden, wie gut Bewegung © LSB NRW | Foto: A.Bowinkelmann und Sport der Gesundheit und dem Wohlbefinden 4 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
tun. Demnach hilft auch die Aufklärung über die Online-Coaching für Bedeutung von regelmäßiger Bewegung, gerade in Planung und soziale Zeiten der Corona-Pandemie. Hierdurch werden po- Unterstützung sitive Einstellungen gebildet („mind set“), die das Begleitendes Online- Bewegungs- und Sportverhalten unterstützen. Am Coaching kann für zu- besten motivieren jedoch unsere eigenen Gefühle, sätzliche Motivation zum Beispiel das körperliche oder psychische Wohl- von außen und soziale befinden während des Sports oder die Erinnerung Interaktion sorgen. an das zufriedene Gefühl nach einer erfolgreichen Online-Coaches stellen Trainingseinheit. Wenn Bewegung und Sport keine personalisierte Trai- Freude machen, ist nachhaltiges Verhalten kaum zu ningspläne zur Verfü- erwarten. gung und unterstützen © LSB NRW | Foto: A.Bowinkelmann deren Einhaltung zum Konkrete Bewegungsmöglichkeiten empfehlen Beispiel mit motivie- und Umsetzung sicherstellen renden Nachrichten, Hintergrundinformationen Auch wenn die bereits seit der ersten Phase des und Basiswissen über das Training sowie dem Mes- Lockdowns im Frühjahr 2020 florierenden Angebote sen und Auswerten des Trainingsfortschritts. Durch von Live Online-Kursen, „on demand“-Homework- das Online-Coaching können PatientInnen selbst outs, Online Fitness-TrainerInnen und Fitness-Apps in der häuslichen Umgebung (z.B. quarantänebe- ihren anfänglichen Neuheitswert verloren haben, dingt) aktiv bleiben. ist das Aufzeigen von konkreten Bewegungsmög- lichkeiten durch medizinisches Fachpersonal und Zusammenfassung Coaches zu Motivations- und Zielsetzungszwecken Während der Corona-Pandemie ist es wichtiger weiterhin zu empfehlen. In persönlichen und all- denn je, körperliche Aktivität und Sport fest in den tagsnahen Behandlungsgesprächen und Coachings Alltag zu integrieren, um von den positiven Effek- kann die Anwendung der digitalen Sport- und Be- ten auf die Gesundheit und das Wohlbefinden zu wegungsprogramme dann getestet, angepasst und profitieren. Um das regelmäßige Bewegungs- und daraufhin kontinuierlich umgesetzt werden. Bei Sportverhalten zu bestärken, sollten individuelle persönlichen Empfehlungen sind die individuelle Lösungen, wie körperliche Aktivität im Freien, Trai- Eignung, Zugriffs- und Eintrittsbarrieren (benötig- nings-Planungs-Apps und Online-Coaching-Forma- te Hard- und Software, Kosten) und zeitliche sowie te, aufgezeigt werden. Zudem sollten die eigenen räumliche Möglichkeiten zu bedenken. Bewegungsaktivitäten zum individuellen Alltag und den persönlichen Vorlieben passen. Denn nur Gegenargumenten lösungsorientiert und mit Pla- so kann sichergestellt werden, dass die Motivati- nung entgegnen on für körperliche Aktivität und Sport langfristig Joggen, Trainieren und Spazieren im Freien sind – aufrechtgehalten und Pläne zum Sporttreiben auch trotz weitreichender Schutzmaßnahmen während tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Und eins der Corona-Pandemie – auch weiterhin erlaubt. ist sicher: auch wenn wir die mit der Corona-Pan- Möglichen Gegenargumenten (fehlendes Tages- demie einhergehenden weitreichenden Einschrän- licht, schlechtes Wetter) kann mit alltagsnahen kungen und Belastungen kaum kontrollieren kön- Lösungen (Lauflampe, konkrete Hinweise auf be- nen, so helfen uns regelmäßige Bewegung und leuchtete Laufstrecken, Funktionskleidung) ent- Sport wenigstens dabei, die aktuelle herausfor- gegengewirkt und so Zutrittsbarrieren abgebaut dernde Situation besser zu meistern. werden. Eine je nach Rechtslage mögliche Verabre- dung oder das feste Einplanen sportlicher Aktivität helfen bei der Einhaltung sportlicher Bewegungs- pläne. Für diese Bewegungspläne existiert eine Vielzahl von Trainings-Planungs-Apps. Literatur bei den VerfasserInnen SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal 5
Jahrgang 2021/1 Sportpsychologie und SARS-CoV-2 von Kristin Devos Dass körperliche Bewegung Beispielsweise erleben depressive Patienten schon als Bestandteil zu einer krankheitsbedingt eine ausgeprägte seelische gesunden Lebensführung Erschöpfung, die mit Antriebslosigkeit, körper- dazu gehört, gilt als allge- lichem Schwächegefühl, Schlafstörungen, Tages- mein bekannt. müdigkeit und damit verbundenen erneuten Er- schöpfungs- und Handlungsunfähigkeitsgefühlen Sport verbessert schließ- einhergehen kann. Dadurch entsteht nicht selten lich nicht nur die körper- ein Teufelskreis: Erschöpfungsgefühle führen zu liche Konstitution und das Schonung und fehlender Auslastung, dadurch allgemeine Wohlbefinden, gegebenenfalls zu Schlafstörungen und damit sondern wirkt ebenso un- zu noch mehr Erschöpfungsgefühlen. Affekte und terstützend in der Prophylaxe und Therapie z.B. Sätze wie „Ich kann einfach nicht…“ sind aufgrund bestehender kardiovaskulärer Risikofaktoren oder dessen sehr häufig und müssen im Rahmen von im Rahmen verschiedener muskuloskelettaler Er- psychiatrisch/psychotherapeutischen Behand- krankungen. lungen berücksichtigt werden, da sie nicht nur Körperliches Training kann sich darüber hinaus zur Aufrechterhaltung, sondern unter Umständen auch auf direktem Weg durch Einflussnahme auf auch zur Verschlimmerung bereits bestehender verschiedene neurobiologisch-biochemische Pro- Symptome beitragen können. zesse des zentralen Nervensystems positiv aus- Patienten mit Angstörungen vermeiden, je nach wirken und auch indirekt durch eine verbesserte spezifischer Problematik, bestimmte Aktivitäten Selbstwahrnehmung und Selbstzufriedenheit die oder Kontakte. Dies geschieht im Gegensatz zu seelische Gesundheit günstig beeinflussen. In depressiven Patienten jedoch eher aus der be- mehreren Studien aus den letzten Jahren konnte stehenden Angst vor der Situation selbst als aus zum Beispiel eine steigernde Wirkung auf die Spie- einer lähmenden Antriebslosigkeit heraus. Schi- gel relevanter Neurotransmitter (wie Serotonin, zophrene Patienten benötigen hingegen eher eine Noradrenalin und Dopamin) und die neuronale äußere Motivation, Anleitung und mitunter gut Plastizität, einhergehend mit Effekten auf neuro- strukturierte Tagesabläufe zur Aufrechterhaltung nale Wachstumsfaktoren, nachgewiesen werden. eines kognitiven und psychsozialen Leistungsni- Darüber hinaus kann körperliche Aktivität zu ei- veaus. Alle drei Patientengruppen profitieren in ner Absenkung des Cortisolspiegels beitragen und der Behandlung dabei insbesondere von übenden sich damit positiv auf die Hypothalamus-Hypo- Maßnahmen in einem strukturierten Alltag. Das physen-Nebennierenrinden-Achse auswirken. Vor kann beispielsweise die positiv erlebte Aktivität allem Ausdauertraining wie Laufen, Schwimmen beim depressiven Patienten oder die zum Angstab- oder Fahrradfahren, konnte nach Forschungser- bau und zur Gewöhnung führende Handlung beim gebnissen effektiv bei psychischen Erkrankungen Angstpatienten sein. Gerade körperliches Training eingesetzt werden und wurde in vielen Leitlinien ist dabei unter anderem aufgrund der oben ge- mindestens als positiv unterstützendes Element nannten Wirkmechanismen und nicht zuletzt auch benannt. In den Leitlinien zur unipolaren Depres- als regulierende Gegenmaßnahme mit Blick auf sion oder der Schizophrenie erhält Sport bereits das Nebenwirkungsprofil mancher Psychopharma- eine „B“-Empfehlung. ka (z.B. Gewichtszunahme, Anstieg von Blutgluco- Eine wesentliche Aufgabe besteht darin, einen se und Lipide) ein hilfreiches und unterstützendes psychisch kranken Patienten zu einem körper- Element. lichen Training zu motivieren und mit ihm dazu Hierfür ist es jedoch erforderlich, dass die Patien- Strategien zu erarbeiten. Sehr ausgeprägte Er- ten auch die Möglichkeit haben, körperlich aktiv schöpfungsgefühle, Antriebslosigkeit oder Ängste zu sein. bei Depression, antipsychotisch behandelte Pati- enten oder Angstpatienten können die Motivati- Das zeigt sich nun durch die pandemiebedingten on zur Aufnahme von körperlicher Aktivität sehr Schutzmaßnahmen deutlich erschwert. Dadurch, schmälern. dass nun sämtliche Sportstätten schließen muss- 6 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
ten und damit die Möglichkeit entfällt, einige Meiner Erfahrung nach können dazu auch konkre- Sportarten überhaupt noch durchzuführen, benö- te Zielfindungsverfahren, wie z.B. die „SMART“ tigt der psychisch kranke Patient nun ein erhöhtes Methode hilfreich sein. Das heißt, dass z.B. nach Maß an Motivation, die er krankheitsbedingt teil- einem ersten Sammeln völlig unspezifischer Ideen weise kaum aufbringen kann, um vielleicht auf an- (Brainstorming) in weiteren Schritten nach und dere Sportarten auszuweichen. Nicht selten führt nach realistische und umsetzbare Ziele gemeinsam das dazu, dass Patienten dadurch in ihrer Aktivität mit dem Patienten ermittelt werden. Dabei sollte pausieren, eine wartende Position einnehmen, die das Ziel, in diesem Falle die körperliche Aktivität, eigentlich erforderlichen Maßnahmen aufschie- Spezifisch benannt, Messbar, Attraktiv, Realis- ben und somit eine bereits bestehende Erkrankung tisch und Terminiert sein, d.h. das Training sollte weiterhin anhaltend bestehen bleibt oder sich also als konkreter Bestandteil in einen festen und sukzessive verschlechtert. strukturierten wöchentlichen Zeitplan eingebaut Obwohl die Auswirkungen des aktuellen berufli- und (ggf. schrittweise) auch durchgeführt wer- chen und gesellschaftlichen Lockdowns bislang den. Zu beachten sind dabei die körperliche Kon- noch nicht hinreichend analysiert wurden, konn- stitution, etwaige Vorerkrankungen und spezielle ten bei 682 bislang untersuchten Dokumentatio- Neigungen des einzelnen Patienten. Daher kann nen erste Hinweise auf eine verstärkte psychische ein und dasselbe Ergebnis nie für alle Patienten Belastung (60,5%) durch die Angst vor einer mög- gleichermaßen gelten. Einige Patienten nutzen lichen Infektion (14,5%), durch die Schutzmaß- die Möglichkeit eines „Personal Trainers“, persön- nahmen an sich (25,5%) oder durch beides (4,3%) lich unter Schutzbedingungen oder online. Einige gefunden werden. Sportvereine bieten bereits Online-Athletiktrai- ning an. Auch wenn die oben beschriebenen posi- Aktuell begegnen mir in meiner täglichen Arbeit tiven Effekte körperlichen Trainings auf psychische als ambulant tätige Ärztin für Psychiatrie und Erkrankungen insbesondere vermehrt im Rahmen Psychotherapie zunehmend Patienten, die unter eines regelmäßigen Ausdauersports beobachtet den Pandemieschutzbedingungen eine wesentlich wurden, können auch Yoga oder Meditationskurse intensivere Motivation zur einer Etablierung ihrer- über Online-Angebote oder APPs genutzt werden Tagesstruktur, insbesondere mit Einbindung von und hilfreich sein. körperlicher Aktivität, benötigen. Dabei handelt es sich nicht immer nur um Patienten mit psychi- Zur Motivation nutzen manche Patienten gern schen Vorerkrankungen, sondern auch vermehrt kleinere Belohnungen nach durchgeführter Sport- um Menschen, die aufgrund der Lockdownsituati- einheit, wie z.B. ein Bad oder einen schmackhaf- on einer Unterstützung bedürfen. ten Smoothie. Da die Möglichkeiten sportlicher Betätigung bei- Als hilfreiche Unterstützung für den Behandler spielsweise in Sportvereinen oder Schwimmbä- möchte ich persönlich gerne das seit Jahren eta- dern zur Zeit stark eingeschränkt sind, kann es blierte Gesprächsführungskonzept „Motivational zunächst hilfreich sein, eine Akzeptanz dafür zu Interviewing“ benen- schaffen, dass die bestehende Situation nicht ver- nen, das ursprünglich änderbar ist und vielleicht auch den einen oder in den 90er Jahren anderen positiven Aspekt besitzt. Ressourcen, die durch Miller und Roll- vor Kurzem noch hilfreich waren, sind zur Zeit zwar nick zur Behandlung nicht nutzbar, jedoch können stattdessen durch- von Menschen mit aus Alternativen gefunden werden, die vielleicht A b h ä n g i g k e i t s e r- vorher noch nicht bedacht wurden. Das kann das krankungen entwi- bereits bestehende Repertoire an Fähigkeiten er- ckelt wurde und seit- weitern und zu neuen Erfahrungen führen. Viel- dem auch in vielen leicht entdecken einige Patienten auch alte, be- anderen Feldern ein- reits vergessene Fähigkeiten oder Steckenpferde gesetzt werden kann wieder neu und können diese auffrischen. und wird. © LSB NRW | Foto: A.Bowinkelmann SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal 7
Jahrgang 2021/1 Insgesamt sollte der Mensch dabei in seiner Ge- und wertschätzendes Behandler-Patientenver- samtheit betrachtet und letztlich nach seinen hältnis entwickeln kann. eigenen Konzepten in der Ideenentwicklung un- terstützt werden, sodass sich ein vertrauensvolles Literatur bei der Verfasserin Mal runterkommen: Sport im Weltall und in der Pandemie von Prof. Dr. theol. Dr. Sportwiss. Stefan Schneider Letztens erhielt ich die An- alle darüber beschweren, dass Sportangebote ein- frage einer lokalen Zeitung geschränkt sind und durch die Einschränkungen aus Süddeutschland, ob ich der Pandemie Bewegungsmangelerkrankungen eine physiologische Ein- noch einmal befeuert werden. schätzung zum Thema Mas- kenpflicht machen könnte. Sport in der Isolation Relativ schnell war klar, Wir beschäftigen uns am Zentrum für integrative in welche Richtung diese Physiologie (ZiP) der Deutschen Sporthochschule Einschätzung gehen sollte: Köln (DSHS) seit mehr als 30 Jahren mit den phy- Die Maske erschwert das siologischen und psychologischen Auswirkungen Atmen, insbesondere unter von Menschen in Extremsituationen, u.a. im Rah- Belastung, und ist daher kritisch zu sehen. Da er- men von realen oder simulierten Weltraummission. innerte ich mich an einen unserer Studiernden an Standen zu Beginn der bemannten Weltraumfahrt der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS), ein physiologische Deadaptationsprozesse (Verlust recht erfolgreicher Boxer, der schon 2017 immer von Muskelmasse und Knochendichte, Anpassung mit Maske trainierte, um seine Ausdauerleistung des Herz-Kreislauf-Systems) und deren Behand- zu verbessern. Etwas vereinfacht physiologisch lung durch geeignete Trainingsmaßnahmen im ausgedrückt, funktioniert die Maske wie Höhen- Vordergrund, rücken mit zunehmender Dauer von training oder Okklusionstraining. Gerade unter Missionen (derzeit im Schnitt sechs Monate auf der Belastung erschwert die Maske mechanisch die ISS) die positiven Effekte von Sport und Bewegung Einatmung und reduziert damit die Sauerstoffver- auch auf die mentale und emotionale Ebene in den sorgung (eine mögliche, erhöhte Co2 Akkumulati- Vordergrund. Drei Mechanismen von Sport und on blenden wir kurz aus). Das Tragen der Maske, Bewegung, die auch im aktuellen Kontext der ge- insbesondere über einen längeren Zeitraum und genwärtigen Pandemie eine Relevanz haben, sind am besten unter Belastung, führt also, physio- erkennbar. logisch gesehen, zu einem Trainingseffekt. Das 1. Sport und Bewegung sind Stresskiller (wenn Hauptmotiv von Menschen KEINEN Sport zu be- sie Spaß machen, das ist wichtig aber ein an treiben, ist bekanntlich Schmerzen („Beim Laufen anderer Stelle zu vertiefendes Thema). Sport tun mir immer die Beine weh“) und Unannehmlich- und Bewegung forcieren eine kurzfristige keiten („Sport ist so anstrengend“) zu vermeiden. Umverteilung neuronaler Aktivität und Und natürlich ist für die meisten auch das Tragen erhöhen dadurch die Konzentrations- und der Maske unangenehm – aber physiologisch gese- Aufmerksamkeitsfähigkeit nach dem Sport. hen, ein tolles Training. Gerade in Zeiten, wo sich 8 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
2. Sport und Bewegung machen müde, fördern zu bleiben…“. An diesem eröffnenden Satz ist damit einen gesunden Schlaf, der ebenfalls wenig auszusetzen – außer dem Adjektiv „einsam“. wichtig ist, um mental fit zu sein. Die wenigsten Astronauten und Kosmonauten empfinden Einsamkeit an Bord der ISS. Das hängt 3. Und Sport und Bewegung halten den Körper damit zusammen, dass es dort oben ein meist fit, was gerade im Alter ein selbstständiges gut eingespieltes Team gibt und vor allen Dingen und unabhängiges Leben und soziale einen straff organisierten Tagesablauf. Ganz im Partizipation ermöglicht und damit dem Gegenteil ist Einsamkeit, oder um es genauer zu Demenzrisiko vorbeugt. benennen, persönlicher Rückzugsraum, etwas Viele unsere Erkenntnisse über die mentale und was vielen fehlt. Und dies bietet der Sport. Checkt psychoregulative Wirkung von Sport und Bewegung man sich auf dem Laufband der ISS ein, herrscht sind in Analogstudien nationaler (DLR) und die nächsten 30 Minuten mentale Ruhe: Kein internationaler Raumfahrtagenturen (ESA/NASA/ Experiment durchführen, nicht kommunizieren, IBMP) zur Simulation von Langzeitaufenthalten nichts tun außer laufen. Der Kopf wird frei, die im Weltall entstanden. Ein Meilenstein war Gedanken mäandrieren (die zugrundeliegende die MARS500 Mission, eine Isolationsstudie Neurophysiologie wurde erstmal 2006 in der mit sechs Kosmonauten, die über eine Dauer Theorie der transienten Hypofrontalität von Arne von 520 Tagen eine Reise zum Mars simulierte. Dietrich beschrieben). Erst mit zunehmender Regelmäßiger Sport hat dazu beigetragen, Stress Dauer von Weltraumissionen, das hat die MARS500 abzubauen und im Team zusammen zu halten. In Studie gezeigt, kommt es zur Langeweile. Und der Antarktisstation CONCORDIA haben wir über Langeweile führt dazu, dass wir uns mehr mit uns mehrere Jahre die Teilnehmer in der Isolation selbst beschäftigen, ins Grübeln kommen und der Überwinterung von Februar bis November sensibel werden. begleitet, Trainingspläne geschrieben und gezeigt, In der gegenwärtigen Pandemie erlebe ich zwei dass ein regelmäßiges Training die Motivation und ganz unterschiedliche Probleme: Erstens, Men- die selbstwahrgenommene Befindlichkeit positiv schen, die wirklich isoliert sind, weil ihre un- beeinflussen. mittelbaren Sozialkontakte wegbrechen. Und Relevanz in Zeiten von COVID-19 zweitens Menschen, die als Familienteam funkti- Immer haben wir unsere Forschung als onieren müssen, auf engstem Nischenforschung wahrgenommen. Menschen, Raum und ohne die Möglich- die sich in extreme Situationen, wie in den keit dieser Konstellation zu Weltraum, in Isolation begeben, würden immer entfliehen. Denjenigen, die zu Exoten sein. Im besten Fall, ließen sich hier viel Zeit mit sich selbst haben, physiologische Mechanismen verstehen, aber tut es gut, dass zeigen unsere wir hielten unsere Studien nie für grundlegend Studien, aber auch die anek- gesellschaftlich relevant. Bis zur COVID- dotischen Berichte von Freun- Pandemie. Auf einmal waren weltweit Milliarden den und Bekannten, sich zu Menschen aufgefordert, sich zu isolieren, um bewegen. Das ermöglicht eine eine unkontrollierbare Ausweitung des Virus zu gezielte Defokussierung von verhindern. Auf einmal stand unsere Forschung den eigenen (scheinbaren) – nicht in der ersten aber dennoch der zweiten Problemen, weil es auf einmal Linie der Aufmerksamkeit. Die Anfragen häuften ganz andere Dinge zu verar- sich, ob Sport und Bewegung dazu beitragen beiten gibt (Umwelteinflüsse, können, psychisch gesund durch die Pandemie zu die Konzentration auf die Be- kommen. Vielfach begannen die Anfragen, ähnlich wegung). Man kennt dieses unreflektiert wie die oben Genannte zum Thema Phänomen auch aus der Arbeit Maskenpflicht, mit dem Satz: „Auch Astronauten mit Depressionspatienten als © Missionslogo sind ja einsam und treiben Sport, um mental fit Ausweg aus der Grübelspirale. SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal 9
Jahrgang 2021/1 Für die andere Gruppe, diejenigen, die im engsten gemacht? Gibt es hier Anknüpfungspunkte?“ Wenn sozialen Kreis täglich aufeinander hocken, kann nicht, dann rate ich zu einem wilden Ausprobieren Sport und Bewegung eine Auszeit der Verantwor- – bis die Sportart gefunden ist, die Spaß macht. tung bedeuten. Eine Stunde laufen/Rad fahren/ Für den Einen ist es die ruhige Runde im Park, spazieren gehen, eine Stunde Zeit für sich selbst für die Andere das gemeinsame Sportreiben. Für zu haben, rückt die Welt in ein anderes Licht. manch einen ist es das Fitnessstudio, für andere der kompetitive Aspekt der Spielsportarten. Allen Wie motivieren? gemein ist, dass Spaß ist der motivationale Zugang Entscheidend für eine anhaltende, dauerhafte zu regelmäßiger Bewegung ist. und damit erfolgreiche Investition in die eigene Gesundheit durch Sport und Bewegung ist der Kompendium Faktor Spaß. Zu oft erlebe ich Menschen, denen Auch wenn wir jetzt merken, dass die Zahl der ihr Hausarzt empfohlen hat, Joggen zu gehen. Sporttreibenden in den Vereinen und Fitnessstu- Insbesondere zur Gewichtsregulation. Mit Blick dios abnimmt, vielleicht ist die gegenwärtige Si- auf die Energiebilanz ist diese Empfehlung absolut tuation des Lockdowns und der Isolation für einige korrekt, kaum eine Sportart verbraucht, ohne tatsächlich auch der Weckruf, wieder mehr Sport nennenswerte Investition in Geräte, so viel Energie zu treiben. Weil sie merken, wie gut es dem Körper wie das Laufen. Aber insbesondere Menschen, und dem Geist tut. die lange Zeit keinen Sport getrieben haben, Aber es braucht Initiativen und Menschen, die das fühlen sich mit dem Laufen schnell überfordert kommunizieren. Es braucht nicht nur eine Verhal- (insbesondere, wenn sie Gewichtsprobleme tensänderungen des Einzelnen, sondern auch Ver- haben) und hören dann schnell wieder auf. hältnisänderungen der Gesellschaft. Sportmedizi- Viel sinnvoller ist es, über eine persönliche ner und Sportwissenschaftler sind gut beraten, an Anamnese zu eruieren, wo die Vorlieben des/ beiden Polen der Veränderung mitzuwirken. der Einzelnen liegen. Oft hilft ein Blick auf die individuelle Sporthistorie. „Was haben Sie als Kind/Jugendlicher/Erwachsener gerne für Sport Literatur beim Verfasser © Vera Abeln 10 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
6 Fragen an .. . Ulrike Wefers Ich bin 1966 in Mönchen- kungen, deren Spannbreite von kämpferischer Auf- gladbach geboren und im lehnung gegen die von mir als nicht sachgerecht Alter von 6 Jahren über erachteten Eindämmungsmaßnahmen bis hin zu er- eine Klassenkameradin zum schöpfter Resignation reicht. Ich fühle die Ohnmacht Schwimmen gekommen. oder - wie die Psychologen es nennen - meine feh- Diesen Sport habe ich 10 lende Selbstwirksamkeit. Das wiederum macht mich Jahre lang leistungsorien- traurig und aggressiv zugleich, wobei die Aggressio- tiert als Mitglied der SSV nen häufig überwiegen. Ich bin von Natur aus eher Rheydt und des Mönchen- kämpferisch, weswegen ich mit einem rebellischen gladbacher SV sowie als Ka- Grundgefühl emotional besser klar komme als mit derathletin des Westdeut- Resignation. schen Schwimmverbandes betrieben. Von 1983 bis Die zentralen Begriffe, um die meine Gedanken krei- 1994 habe ich zunächst als Mittelstrecklerin (über sen, sind Hoffnung (bzw. Hoffnungslosigkeit) und 800m – 3.000m) bei der LG Mönchengladbach und die wegen der Unberechenbarkeit der Politik fehlen- später auf der Langstrecke (über 5.000m bis Mara- de mittel- und langfristige Perspektive. Das macht thon) bei Athletik Waldniel an regionalen und natio- es so schwierig, sich immer wieder zu motivieren. nalen Meisterschaften teilgenommen. Parallel dazu war ich von 1984 bis Anfang der 1990’er Jahre im Es wäre schön, wenn Sie uns erläutern würden, (Kurz-)Triathlon für Nonstop Köln und als Mitglied welchen Bezug Sie generell zu Sport haben und in der Triathlon-Nationalmannschaft auf nationaler welchen Disziplinen Sie trainieren und bei Wett- und internationaler Ebene aktiv. Wegen der wach- kämpfen antreten. senden zeitlichen Belastung durch mein Jurastudi- Ich habe im Alter von 6 Jahren mit dem Schwimmen um entschied ich mich nach einigen Jahren, mich begonnen, wechselte dort schon nach kurzer Zeit in ausschließlich auf das Laufen zu konzentrieren. die 1. Sportmannschaft und wurde auch in den NRW- Diesen Sport habe ich nach Eintritt in mein Berufsle- Landeskader aufgenommen. Als ich mit 16 Jahren ben als Richterin dann mehr als zwei Jahrzehnte nur eigentlich mit dem Leistungssport aufhören wollte, noch „wettkampflos“, aber immer noch regelmäßig, habe ich mich zum Abtrainieren meinem Vater an- als reine Hobbyläuferin ausgeübt, bis ich Ende 2017 geschlossen, der zu dieser Zeit dreimal wöchentlich zu meinen läuferischen Wurzeln als Mittelstreckle- mit einem Nachbarn joggte. Ein Langstreckenläufer rin zurückgekehrt bin. Seitdem trainiere ich wieder unseres örtlichen Leichtathletikvereins sah mich leistungsorientiert nach den Plänen meines „al- und „überredete“ mich, mal an einem Probetraining ten“ Jugendtrainers und gehe - wie in den 1980’er im Stadion teilzunehmen. So kam ich zunächst zur Jahren - über alle Distanzen zwischen 800m und Mittelstrecke, spezialisierte mich als Jugendliche 5.000m (am liebsten über 1.500m) bei regionalen und Juniorin auf die 1.500 m und 3.000 m und war Wettkämpfen und nationalen Meisterschaften an über diese Distanzen auch regional einigermaßen den Start. erfolgreich. Dann merkte ich, dass mir Straßenläu- fe mehr Spaß machten und lief fortan überwiegend Hallo Frau Wefers, schön, dass Sie sich Zeit neh- die 10 km, aber auch Halbmarathon und Marathon, men für uns. letzterer meist für unsere Mannschaft, mit der wir Micky Fritz, der 2. Vorsitzende des Sportärztebun- dann auch 1993 Westdeutscher Meister geworden des Nordrhein, den Sie auch gut kennen, hat den sind. In demselben Jahr lief ich noch den Marathon Begriff des „Covid Distress“ eingeführt und die- in New York, bevor ich mich 1994 komplett vom Wett- sen als einen emotionalen Zustand als Reaktion kampfsport zurückgezogen habe. auf einen „bestimmten negativ wahrgenommen Parallel dazu war ich von 1984 bis 1989 als Triath- Stressor“, in diesem Fall die Corona Pandemie, letin in der Nationalmannschaft aktiv und über die beschrieben. Wie ist Ihre derzeitige Gemütslage? olympische Distanz und im Sprint in der Staffel und Im Großen und Ganzen hat sich meine negative in der Mannschaft international erfolgreich. Grundstimmung auf niedrigem Niveau stabilisiert. Ende 2017 bin ich zu meinen leichtathletischen Allerdings durchlebe ich immer wieder Schwan- Wurzeln zurückgekehrt und starte seitdem wieder SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal 11
Jahrgang 2021/1 als Mittelstrecklerin über Distanzen von 800 m bis Sie haben bereits Änderungsvorschläge hinsicht- 5.000 m und trainiere nach den Programmen mei- lich des Umgangs mit der Corona-Pandemie im nes damaligen Jugendtrainers. Ich laufe 3 bis 4 x Sport angesprochen. Welche konkreten Maßnah- wöchentlich; mehr lassen Knie und Sprunggelenk men halten Sie im ambitionierten Breitensport nicht mehr zu. Zum Ausgleich gehe ich aber zusätz- bzw. Leistungssport für angemessen, wo besteht lich 2 bis 3x in der Woche schwimmen. Während des dringender Handlungsbedarf? Lockdowns bleiben mir nur die Einheiten auf der Rol- Ich halte gute Hygienekonzepte, deren Einhaltung le und das Krafttraining. dann natürlich auch kontrolliert werden muss, für unerlässlich, allein schon zum Schutz der Sportler. Sie haben für sich selbst einen Bericht geschrie- Im Spätsommer 2020 haben in einer „late season“ ben und diesen „Meine Corona-Story 2020“ ge- einige Bahnwettkämpfe unter Corona-Bedingungen nannt. Darin schildern sie ausführlich, wie hart stattgefunden, die sehr gut funktioniert haben und sie die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung von den Athleten dankbar angenommen worden sowohl hinsichtlich Ihrer sportlichen Aktivitäten sind. Auch der Trainingsbetrieb in Kleingruppen hat als auch beruflich treffen. Welche Punkte kritisie- sich bewährt. Daher sollte zumindest eine Eins-zu- ren Sie dabei besonders? Eins-Betreuung im Trainingsbetrieb wieder möglich Um es vorweg zu sagen: ich bin kein Corona-Leugner sein. Vor allem für Kinder und Jugendliche ist es und denke, dass es grundsätzlich zwingend erforder- wichtig, dass der Trainingsbetrieb wieder aufgenom- lich ist, der Ausdehnung der Pandemie mit - aller- men wird. Falls dies nicht geschieht, werden dem dings verhältnismäßigen - Eindämmungsmaßnah- Sport mittel- und langfristig viele Talente verloren men zu begegnen. Als Juristin und liberal erzogener gehen. Unser Verein hatte zum Jahresende allein 45 Mensch liegen mir aber auch die Freiheitsrechte sehr Austritte zu verzeichnen, viele davon im Kinder- und am Herzen, die ja zurzeit gravierend eingeschränkt Jugendbereich. werden. Meines Erachtens sind die von der Politik Wer einmal weg ist, kommt häufig auch nicht zurück ergriffenen Maßnahmen in Bezug auf den Amateur- zum Sport. Schon jetzt gibt es viel zu viele überge- und Freizeitsport weder geeignet, das mit ihnen ver- wichtige und motorisch gestörte Kinder. Da wirkt folgte Ziel (der Kontaktreduzierung) zu erreichen, das Verbot des Vereinssports wie ein Brandbeschleu- noch sind sie angemessen, also verhältnismäßig im niger. engeren Sinne. Das gilt vor allem für die Schließung aller öffentlichen und privaten Außensportanlagen Stark betroffen sind aber auch diejenigen, die ich als und Schwimmbäder, aber auch für das gänzliche Ver- „Athleten in der zweiten Reihe“ bezeichne. Das sind bot des Vereinssportbetriebs und diejenigen, deren Leistungen für eine Kaderzugehö- der Veranstaltung von Wettkämp- rigkeit (noch) nicht ausreichen und die daher nicht fen in jedweder Form. Nach meiner unter die derzeitigen Ausnahmeregelungen fallen, eigenen Wahrnehmung in den letz- die aber trotzdem regional erfolgreich und ambiti- ten Wochen führt die Schließung oniert an Wettkämpfen teilnehmen. Dazu gehören der Sportstätten lediglich zu einem nicht zuletzt auch die vielen Senioren und Seniorin- Verdrängungs- und Verdichtungs- nen, die noch auf teils sehr hohem Niveau leistungs- effekt, indem sich nun alle Men- orientiert aktiv sind und für die es überhaupt keine schen, d.h. „Gassigeher“, Jogger, Kader gibt. Radfahrer und Spaziergänger, auf Gibt es denn auch positive sportliche Erlebnisse, denselben beengten Parkwegen von denen Sie uns berichten können in Corona- knubbeln und damit zur Vermeh- Zeiten? rung eben jener Kontakte und Be- gegnungen beitragen, die eigent- Ja, die hat es zum Glück auch gegeben. So habe ich lich verhindert werden sollen. Die z.B. mit dem Speerwerfen begonnen, einer techni- Regelung ist daher nicht nur unge- schen Disziplin, die ich schon immer gerne im Fern- eignet, sondern kontraproduktiv. sehen verfolgt habe, weil sie so ästhetisch ist. Das © Foto: Lothar Drechsel | Ulrike Wefers war für mich mal was ganz anderes und vor allem 12 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
ein ganz neuer Trainingsreiz. Außerdem habe ich Zu Ihrer Information gestatten Sie mir noch einen mich von Zeit zu Zeit mit einigen meiner auswärti- kleinen Hinweis: Ich habe vor kurzem unter Mit- gen Konkurrentinnen, von denen einige inzwischen wirkung zweier Trainingskameradinnen und eines gute Freundinnen geworden sind, zum gemeinsa- Leichtathletiktrainers, der gleichzeitig Geschäfts- men Training im Grenzlandstadion getroffen. Unser führer des Stadtsportbundes Mönchengladbach ist, Stadion hatte - anders als viele andere Sportstät- ein Schreiben an die Staatskanzlei NRW verfasst, ten - schon im Mai wieder geöffnet. Uns allen ist das die Schließung der Außensportanlagen betrifft dabei bewusst geworden, wie wichtig der soziale und zusätzlich als online-Petition ins Netz gestellt Zusammenhalt ist, den der Sport vermittelt. Da wir worden ist. Wir wären natürlich froh, für unser Anlie- jedenfalls in der ersten Zeit keine Wettkämpfe be- gen, weitere - vor allem fachkundige - Unterstützer streiten durften, uns aber trotzdem sehen wollten, zu finden. Die Sportärzteschaft wäre eine wichtige haben wir diese gemeinsamen Trainingseinheiten Zielgruppe, da sich unsere Petition bzw. die schrift- durchgeführt. liche Eingabe an Herrn Laschet und Frau Milz ganz wesentlich auch mit der gesundheitsfördernden Wir- Es wird aus dem Gespräch deutlich, dass Sie Trai- kung des Sports beschäftigt. ning als ein Therapiemittel einsetzen, um im Sinne einer Bewältigungsstrategie Struktur und Frau Wefers, für die kommenden Monate wünsche Kontrolle wieder zu gewinnen von den Folgen der ich Ihnen nicht nur Durchhaltevermögen und ergriffenen Maßnahmen, um die Pandemie einzu- eine weitestgehend planbare Trainingsperiodi- dämmen. Können Sie sich andere „Therapiemit- sierung sondern auch hoffentlich ein paar schöne tel“ vorstellen, die ähnlich gut funktionieren wie und erfolgreiche Wettkämpfe. Sport? Herzlichen Dank für das Interview! Ähnlich gut ja, genauso gut nein. Ich kann mich ganz gut abreagieren, wenn ich male oder fotogra- Das Interview führte Dr. Götz Lindner fiere. Auch ein interessantes Buch, gerne mit philo- sophischem Inhalt, kann zur Stressbewältigung bei- tragen. Und seine Gedanken aufzuschreiben kann ebenfalls helfen. So ist schließlich die Corona-Story entstanden…. © Foto: Lothar Drechsel | Ulrike Wefers SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal 13
Jahrgang 2021/1 COVID-Distress im Praxisalltag eines Allgemeinmediziners und Sportarztes von Dr. med. Michael Fritz Die Corona-Pandemie stell- zuerst geimpft wurden, die es am nötigsten hat- te im Herbst und Winter ten. Nichtsdestotrotz wünschen wir uns alle sehn- 2020 in der Arztpraxis eine süchtig unser normales Leben zurück. bis dahin nie gekannte Diese Stimmung erfasste die ganze Breite der Ge- administrative Herausfor- sellschaft. Ich taufte sie „Covid-Distress“. Unter derung dar. Aber COVID Distress versteht man einen emotionalen Zustand war und ist nach wie vor als Reaktion auf einen bestimmten negativ wahr- mehr als ein bürokrati- genommen Stressor. Er umfasst Emotionen wie sches Monstrum. In mei- Angst, Erregbarkeit, Reizbarkeit und Traurigkeit. ner Sprechstunde schlug Das ist per se nicht pathologisch, aber die Über- mir täglich das konkrete Leid meiner Patienten gänge zu einer Anpassungsstörung sind fließend. entgegen. Schwer geprüft zeigten sich dabei aber nicht nur die an COVID Erkrankten, sondern auch Corona-Schutzmaßnahmen können einsam ma- Nichtinfizierte aus allen Schichten der Bevölke- chen, schärfen aber auch die Sensibilität für ein rung. Thema, das nicht nur alte Menschen betrifft. Über- raschenderweise leiden besonders junge Leute Ich habe diese persönlichen Eindrücke im Advent darunter, sozial isoliert zu sein. Eine Befragung 2020 niedergeschrieben, als Inzidenzwerte, Ster- der Ruhruniversität Bochum von fast 5000 Teil- beraten, Neuinfektionen, erneuter Lockdown, Pla- nehmern ergab, dass junge Erwachsene während nung von Massenimpfungen und Virusmutationen der ersten Corona-Hochphase stärker von Einsam- unseren Alltag bestimmten. Zu diesem Zeitpunkt keitsgefühlen betroffen waren als etwa ältere Men- spiegelte sich die Unerbittlichkeit der Pandemie in schen, die oft in langjähriger Partnerschaft mit einem Bild wider, das von Verunsicherung, Angst, gefestigtem Freundeskreis leben. Junge Menschen Erschöpfung, Ohnmacht und Einsamkeit der Men- suchen noch nach sozialer Einbindung und benöti- schen geprägt war. Trotz der vielen Toten, die zah- gen dazu mehr Kontakte als ältere Menschen. Auch lenmäßig dem täglichen Absturz mehrerer vollbe- die Langzeitstudie „Sozioökonomisches Panel“ setzter Jumbojets gleichkamen, blieb Corona für des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung viele Menschen dieses „seltsame bürokratische Berlin ergab, dass sich seit der COVID-Pandemie Etwas“. Die Medien überschütteten uns stündlich das Einsamkeitsgefühl fast verdoppelt hat und mit immer wieder neuen Regeln, Maßnahmen, besonders stark von Frauen und jungen Menschen Statistiken, Prognosen, Test- und Impfstrategien unter 30 Jahren empfunden wurde. und Zuständigkeitsgerangel zwischen Bund und Ländern. Für Menschen, die sich schon unter „normalen Umständen“ bereits einsam fühlen, kann das „So- Alles war und ist sehr verwirrend. Am Ende wuss- cial Distancing“ das Gefühl der Einsamkeit und ten viele nicht mehr, welche Beschränkungen wa- den Leidensdruck nochmal zusätzlich verstärken. rum, ab wann und wo galten. Der Bevölkerung fiel Ein Team vom University College London hat die es schwer, schwer verständlichen alltagsfremden gesundheitlichen Folgen von Einsamkeitsemp- Regelungen wie der Ein-Freund Regel für die Kin- findungen bei annähernd 6000 Personen, die im der oder der „Schnupfenquarantäne“ zu folgen. Schnitt 64 Jahre alt waren, untersucht. Die Aus- Wir erlebten, wie hilflos einige Men- wertung ergab, dass Einsamkeit unabhängig von schen dem Virus ausgeliefert wa- potenziellen Stör- und Risikofaktoren deutlich mit ren, weil zu viele nicht achtgaben kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert ist. Die und rücksichtslos ohne Gespür für Einsamkeit wurde mit Hilfe der Likert-Skala von 3 Mitmenschlichkeit auf ihre eigenen bis 9 quantifiziert. Sie beschreibt mit steigendem Interessen beharrten. Wir erfuhren Wert ein zunehmendes Einsamkeitsgefühl. Mit aber auch Solidarität durch Distanz, jedem höheren Punkt auf dieser Skala stieg das um diejenigen zu schützen, die ge- Risiko einer stationären Versorgung wegen einer fährdet waren. Wir sahen Solidarität kardiovaskulären Erkrankung (CVD). Personen die © Foto: LSB NRW | A.Bowinkelmann durch Verständnis, dass diejenigen einen Score von 9 aufwiesen, wurden mit einer um 14 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
48 % größeren Wahrscheinlichkeit wegen einer stark ein. Die Belastung war hierbei aber keines- CVD hospitalisiert als jene mit dem niedrigsten wegs finanziell ausgelöst, denn 72% erklärten, Wert. durch Corona habe sich ihre finanzielle Lage gar nicht verschlechtert. Lediglich 8% stuften ihre fi- Dennoch war das gesellschaftliche Bild nicht ein- nanzielle Verschlechterung als stark bis sehr stark heitlich. Während sich die Arbeitsbedingungen ein. beispielsweise im Gesundheitswesen oder in Su- permärkten spürbar verschlechterten, erhielten Ich konnte in meiner Praxis über 450 Patienten be- andere Bevölkerungsgruppen zusätzliche Freiräu- fragen. Darunter 169 ambitionierte Sportler, 159 me, erlebten eine Entschleunigung des Alltags, Nichtsportler und 139 chronisch Erkrankte. ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein und die Demnach belastete der zweite Lockdown die be- Unterstützung durch ihr soziales Umfeld bzw. ihre fragten Sportler durch negative Auswirkungen auf Nachbarschaft. ihre Auch viele Sportler verloren in der COVID-Krise • berufliche Situation in 64 % der Fälle. ihre Zugehörigkeit, die Bezugspunkte in ihrem • Sozialkontakte, Vereinszugehörigkeit Verein, ihrer Trainingsgruppe oder Fitnessstudio. in 99 % der Fälle. Die Community, also das Vereinsleben und das • Familiäre Situation in 84 % der Fälle. gemeinsame Training gingen verloren. Leistungs- • Partnerschaft in 40 % der Fälle. sportler sahen sich gezwungen ihre Trainingsin- • Stimmungslage in 87 % der Fälle. halte umzustrukturieren. Dies betraf insbesondere • Schlafqualität in 46 % der Fälle. Athleten aus Schwimm- und Hallensportarten. Die • Alkoholkonsum in 35 % der Fälle. • Körpergewicht in 51 % der Fälle. fehlende Planbarkeit von Wettkämpfen, Meister- • Bewegungsgewohnheiten in 68 % der Fälle. schaften und Events im darauffolgenden Jahr emp- • Trainingsmotivation in 69 % der Fälle. fanden viele Athleten als Unsicherheit, fehlende • Sportliche Leistungsfähigkeit in 63 % der Fälle. Verlässlichkeit, Perspektivlosigkeit bis hin zur Hoffnungslosigkeit. Darunter litt auch die intrin- Die Vergleichsgruppe von 159 Nichtsportler gab sische Trainingsmotivation. an, der zweite Lockdown zeige negative Auswir- Die repräsentative YouGov Befragung von über kungen auf ihre 2000 Personen im ersten Lockdown ergab, dass 38 • berufliche Situation in 64 % der Fälle. % der Erwachsenen sich weniger bewegten und 19 • Sozialkontakte, Vereinszugehörigkeit in 97 % der Fälle. % an Gewicht zugenommen hatten. Bei den 35- bis • Familiäre Situation in 90 % der Fälle. 44-Jährigen gaben sogar 25% eine Gewichtszu- • Partnerschaft in 47 % der Fälle. nahme an. Nur 12% der Befragten sagten, sie be- • Stimmungslage in 89 % der Fälle. wegten sich seit den Corona-Maßnahmen mehr als • Schlafqualität in 51 % der Fälle. zuvor und nur 8% hatten abgenommen. • Alkoholkonsum in 41 % der Fälle. Im Gegensatz zum Frühjahrs-Lockdown, der in eine • Körpergewicht in 51 % der Fälle. stabile Schönwetterperiode fiel, gestaltete sich • Bewegungsgewohnheiten in 74 % der Fälle. der zweite Lockdown im Dezember 2020 deutlich • Aktive Freizeitgestaltung in 86 % der Fälle. trübsinniger. Der COVID- Distress fiel auf fruchtba- • Leistungsfähigkeit in 75 % der Fälle. ren Boden. Statt Frühling und Sonnenschein führ- Deutliche Abweichungen zwischen den Grup- ten Off Season, Wintertrainingspause, Winterblues pen zeigten sich insbesondere bei den negativen und vorweihnachtliche Emotionalität in der Be- Auswirkungen auf die familiäre Situation, Part- völkerung zu Ängsten, allgemeinem Stressgefühl, nerschaft, Schlafqualität, Alkoholkonsum, Bewe- Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit. gungsgewohnheiten, Trainingsmotivation bzw. Das ZDF-Politbarometer vom 13.11.2020 bestätig- Motivation zur aktiven Freizeitgestaltung und te diesen Eindruck. 90% der Befragten gaben an, Leistungsfähigkeit. Demnach scheinen den Sport- die Corona-Krise belaste sie persönlich. 47% da- lern in diesen Aspekten günstigere Bewältigungs- von stuften die Belastung sogar als stark bis sehr strategien zur Verfügung zu stehen. SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal 15
Jahrgang 2021/1 Während die Sportler durch die Corona-Lockdown- mehr Menschen zögernd vor ihrer Entscheidung Maßnahmen in 60 % d. F. weniger und in 67 % d. standen, die angebotene Impfung tatsächlich F. ineffektiver trainierten, gaben 72% der Nicht- wahrzunehmen. sportler an, sich weniger bewegt zu haben. Nicht- Der COVID-Distress zeigt sich aber nicht nur durch sportler beschrieben ihre körperliche Bewegung depressive Symptomatik unter erhöhter emotiona- im Lockdown-Alltag als überwiegend eintönig und ler Belastung und Verminderung der Lebensquali- langweilig. Wohingegen 41% der Sportler die Frei- tät. Distress hat auch einen negativen Effekt auf heiten des Homeoffice zu einer flexibleren Trai- das Selbstmanagement im Sinne eines reduzier- ningsgestaltung nutzten, konnten nur 33% der ten Selbstbehandlungsverhaltens. In der Sprech- Nichtsportler das Homeoffice zu einer körperlich stunde sah man vermehrt Patienten, bei denen aktiveren Alltagsgestaltung wahrnehmen. eine Erhöhung der HBA1c Werte, des Blutdrucks Der Lockdown wirkte sich demnach bei beiden und des Bauchumfanges in den DMP Kontrollen Gruppen negativ auf den Umfang der körperlichen auffiel. Eine britische Studie untersuchte 52 Pati- Aktivität aus, aber Sportler konnten ihre Möglich- enten mit Diabetes mellitus Typ 1. 36,5% wiesen keiten und Befähigungen zur körperlichen Bewe- hyperglykämische und 15,3% hypoglykämische gung auch unter den erschwerten Bedingungen Episoden auf. Die Insulindosis wurde bei 26,9% besser nutzen: 30% der Sportler trainierten im verfehlt, die Glukoseüberwachung bei 36,5% nicht Lockdown sogar mehr und in 38% d. F. effektiver. routinemäßig durchgeführt und 17,4% ernährten sich während des Lockdown nicht diätkonform. 70 % der Nichtsportler fühlten sich im zweiten Der durchschnittliche Blutzucker während der Lockdown tendenziell freudlos, niedergeschlagen Lockdown-Phase betrug 276,9 ± 64,7 mg / dl im und antrieblos und in 55% d. F. mit einer Neigung Vergleich zu 212,3 ± 57,9 mg / dl während der zur Hoffnungslosigkeit, Überforderung und Angst. Prelockdown-Phase. Der mittlere HbA1c-Wert der Die Sportler unterschieden sich in diesen Punkten Lockdown-Phase (10 ± 1,5%) war viel höher als vor nicht von den Nichtsportlern. Ihre besseren Kom- dem Lockdown (8,8 ± 1,3%). pensationsmöglichkeiten durch den Sport schie- nen den vermehrten Leidensdruck der verordne- In der Gruppe der befragten 139 Chroniker gaben ten Inaktivität nicht aufwiegen zu können. über 70% an, im 2. Lockdown unter negativen Aus- wirkungen in Bezug auf die Bewegung, Aktivität Die Wechsel von Verschärfung und Lockerung der und Sozialkontakte gelitten zu haben. Corona Maßnahmen lösten sowohl unter Sport- lern als auch unter Nichtsportlern bei 60-70% der 60% gaben an, mehr Süßes und Fettes gegessen Befragten Verunsicherung, Unverständnis und zu haben, wodurch auch ihr Körpergewicht und Ratlosigkeit aus. Die depressive ihr Bauchumfang zunahmen. Dadurch seien bei Verstimmung unter den Chronikern 45% Blutdruck- und Blutzuckerwerte angestigen fiel dahingegen mit 40-60 etwas und bei 25% der Befragten sei eine Eskalation der geringer aus. medikamentösen Therapie erforderlich geworden. Dass sich während des 2. Lockdowns ihr Krank- Es fand sich kein Unterschied zwi- heitsverlauf verschlechtern habe, gaben 38% der schen den Gruppen bei der Be- befragten Chroniker an. wertung, dass der erste Lockdown weniger belastend empfunden wur- Zusammenfassend erscheint es dringend notwen- de als der zweite. Auch die Bereit- dig, den Distress rechtzeitig zu erfassen, um ver- schaft sich gegen COVID 19 impfen meidbar schweren Verläufen und seinen Folgen zu lassen, wurde vor Weihnachten entgegen zu wirken, bevor sich die vielfältigen von beiden gleich beantwortet. Nur negativen Auswirkungen auf den Gesundheitszu- 13,5 % der Befragten standen der stand der Gesamtbevölkerung manifest auswirken. Impfung völlig ablehnend gegen- über. Erst zum Jahreswechsel konn- © LSB NRW | A. Bowinkelmann: Dr. Michael Fritz te man beobachten, dass immer 16 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
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