SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN - SPORTÄRZTEBUND NORDRHEIN E. V - SPORTPSYCHOLOGIE UND SARS-COV-2

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SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN - SPORTÄRZTEBUND NORDRHEIN E. V - SPORTPSYCHOLOGIE UND SARS-COV-2
Journal für Mitglieder
                                                                         Jahrgang 1/2021

                                                                         www.Sportaerztebund.de

      Sportärztebund Nordrhein e. V.
      Sportmedizin in Nordrhein
      Landesverband der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR SPORTMEDIZIN UND PRÄVENTION

Sportpsychologie und SARS-CoV-2
SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN - SPORTÄRZTEBUND NORDRHEIN E. V - SPORTPSYCHOLOGIE UND SARS-COV-2
SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN - SPORTÄRZTEBUND NORDRHEIN E. V - SPORTPSYCHOLOGIE UND SARS-COV-2
INHALT

     Editorial .................................................................... 3

     Motivation u. Coaching im Sport in Corona-
     Zeiten ....................................................................... 4    Neues aus dem Verband ........................................ 19
                                                                                          •    Ehrenmitgliedschaften
     Sportpsychologie und SARS-CoV-2 ..................... 6                              •    Sportmedizinische Weiter- und Fortbildungen

     Mal runterkommen: Sport im Weltall und in                                            •    Verstorbene
     der Pandemie .......................................................... 8
                                                                                         Buchbesprechungen .......................................... 25
     Fragen an Ulrike Wefers ....................................... 11

     COVID-Distress im Praxisalltag eines Allge-                                         Autorenverzeichnis ............................................ 29
     meinmediziners und Sportarztes .................... 14

Impressum

Herausgeber:
Sportärztebund Nordrhein
Landesverband in der Deutschen Gesellschaft
für Sportmedizin und Prävention
(DGSP) – (ehem. DSÄB)
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
                                                                                        Titelfoto: © Lothar Drechsel | Ulrike Wefers
Tel.: (0221) 49 37 85
Fax: (0221) 49 32 07
E-Mail: Info@Sportaerztebund.de
                                                                                        Alle Rechte bleiben vorbehalten.
                                                                                        Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion.
Chefredakteur:
                                                                                        Zuschriften sind erwünscht.
Dr. med. Götz Lindner
                                                                                        Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte zu kürzen
Redaktion (in alphabetischer Sortierung):                                               und redaktionell zu bearbeiten.
Helga Fischer-Nakielski                                                                 Mit Namen oder Kürzel gekennzeichnete Beiträge geben
Dr. med. Michael Fritz                                                                  nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.
Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Joisten
Gabriele Schmidt                                                                        Das Mitglieder-Journal erscheint zweimal im Jahr.
Dr. med. Claudia Velde                                                                  Der Bezug ist im Mitgliederbeitrag enthalten.
SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN - SPORTÄRZTEBUND NORDRHEIN E. V - SPORTPSYCHOLOGIE UND SARS-COV-2
EDITORIAL

              Liebe Sportärztinnen und Sportärzte,
              in bislang nie da gewesener Weise hat das „Severe acute respiratory syndrome
              coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) die gesamte Welt verändert. Nachdem im
              Dezember 2019 der erste Ausbruch öffentlich gemacht wurde, erklärte die
              Weltgesundheitsorganisation am 11.3.2020 die Erkrankung zur Pandemie. In
              Ermangelung therapeutischer Gegenmittel wie Impfung, Medikamente waren die
              einzigen Maßnahmen Abstand halten, Masken tragen, Kontaktbeschränkungen,
              Lüften etc. Betroffene bzw. deren relevante Kontaktpersonen erhielten und erhalten
              nach wie vor eine Verordnung zu Quarantäne bzw. häuslicher Isolation.
              Letztere stellt eine behördlich angeordnete Maßnahme bei CoVID-19-Erkrankten
              dar. Die Entlassung aus der Isolation erfolgt in der Regel, wenn davon ausgegangen
              werden kann, dass die Person nicht mehr ansteckend ist. Die Quarantäne wiederum ist
              eine zeitlich befristete Absonderung von Personen, bei denen der Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2
              besteht oder von Personen, die möglicherweise das Virus verbreiten können, sogenannte Kontaktpersonen.
              Aber auch Reiserückkehrer gehören beispielsweise in diese Gruppe. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird
              diese Unterscheidung nicht zwingend gemacht. Generell soll mit diesen Maßnahmen neben den o.g. Regeln
              die weitere Verbreitung von SARS COV-2 unterbunden werden.
              Insgesamt zeichnet sich diese Zeit durch einen erheblichen psychischen Druck aus, die auch den Sport
              betreffen. Eine behördlich verordnete Quarantäne bzw. Isolation, die zum Teil insbesondere in den ersten
              beiden Quartalen 2020 teils über mehrere Wochen andauern konnte, verlangt den Betroffenen viel ab.
              Auf Basis früherer Epidemien wurde frühzeitig auf die möglichen psychopathologischen Folgen dieser
              Maßnahmen hingewiesen. Eine Möglichkeit dem entgegenzuwirken, ist in Bewegung zu bleiben oder wie die
              Weltgesundheitsorganisation schreibt: „Stay physically active during self-quarantine“. Dies hängt natürlich
              von der individuellen Situation und bei Erkrankten vom jeweiligen Zustand ab; mit akuten Symptomen ist
              immer Schonung angesagt! In der Rekonvaleszenz aber oder als Kontaktpersonen ist angepasst an den
              Zustand Bewegung möglich. Als mögliche Hinweise für Ihre Patientinnen und Patienten haben wir Ihnen die
              Empfehlungen der WHO in modifizierter Form zusammengestellt.
              • Machen Sie im Laufe des Tages kurze aktive Pausen oder bringen Sie kurze Bewegungspausen in Ihren
                   (All-)Tag! Tanzen Sie, spielen Sie mit Ihren Kindern oder erledigen Sie Haus- und/oder Gartenarbeiten.
                   In Summe könnten Sie damit schon das erforderliche Minimum von 150 Minuten pro Woche erreichen!
              • Nutzen Sie Online-Kurse! Inzwischen gibt es ein vielfältiges Angebot und möglicherweise haben Sie ja
                   auch mal Lust, etwas Neues auszuprobieren. Achten Sie allerdings auf Ihre Gesundheit, wenn Sie keine
                   Erfahrung mit der Durchführung mancher Übungen haben.
              • Gehen Sie - machen Sie Schritte! Selbst in kleinen Räumen können Sie auf der Stelle gehen. Steigen
                   Sie Treppen. Setzen Sie sich beim Telefonieren nicht, wandern Sie umher. So schaffen Sie bestimmt die
                   empfohlenen 10.000 am Tag!
              • Stehen Sie auf! Idealerweise sollten Sie das Sitzen und Liegen alle 30 Minuten unterbrechen und vielleicht
                   dann doch auch sogar ein paar Schritte machen. Oder Kniebeugen!
              • Entspannen Sie sich! Bereits ein paar tiefe Atemzüge, z.B. am offenen Fenster, können Ihnen helfen,
                   ruhig zu bleiben. Nutzen Sie auch gerne das große Angebot, um Meditationsanleitungen zu finden.
              Auch wenn es sich hier nur um vorsichtige Hinweise handelt, können sie doch dazu beitragen, die
              Lebensqualität zumindest aufzuwerten. Wir hoffen, dass wir Ihnen noch weitere wertvolle Tipps in diesem
              Heft zusammengestellt haben. Bleiben Sie fit und aktiv!
              Außerdem ehren wir in diesem Heft unsere beiden Ehrenmitglieder Dr. Dieter Schnell und Prof. Hermann
              Heck, die seit Jahrzehnten den Weg des Sportärztebundes Nordrhein maßgeblich begleiten und gestalten.
              Abschließend möchte ich Sie auf die diesjährige Jahreshauptversammlung am 13. November ab 9:15 Uhr
              hinweisen und Sie herzlich hierzu einladen.
              Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!

              Sportärztliche Grüße
              Ihre

              Christine Joisten
              1. Vorsitzende
              Sportärztebund Nordrhein e.V.

SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal                                                                                 3
SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN - SPORTÄRZTEBUND NORDRHEIN E. V - SPORTPSYCHOLOGIE UND SARS-COV-2
Jahrgang 2021/1

   Motivation und Coaching im Sport in Corona-Zeiten
            von Johanna Belz, Jens Kleinert & Wiebke Dierkes

                                                        Seitdem Ende Januar 2020        gesellschaftliche Situation ist und empfiehlt pro
                                                        der erste positive COVID-19     Woche 150 Minuten bei moderater Intensität oder
                                                        Fall in Deutschland nach-       75 Minuten bei hoher Intensität körperlich aktiv
                                                        gewiesen wurde, gab es          zu sein (WHO, 2020).
                                                        hierzulande einen rasan-
                                                                                        Corona-Bedingungen erschweren Bewegungs-
                                                        ten Anstieg von Infek-
                                                                                        und Sportaktivitäten
                                                        tions- und Todeszahlen.
                                                                                        Die Lebensbedingungen in der Corona-Pandemie
                                                        Um die Verbreitung des
                                                                                        schränken bei vielen Menschen Bewegungs- und
                                                        Virus einzudämmen, kam
                                                                                        Sportaktivitäten zunehmend ein. Fitnessstudios
                                                        es zu zahlreichen Schutz-
                                                                                        sind geschlossen, das Training in Sportvereinen
                                   maßnahmen seitens der Regierung wie Kontakt-
                                                                                        ist verboten und sportliche Wettkämpfe sind ab-
                                   beschränkungen, häusliche Quarantäne, massive
                                                                                        gesagt. Homeoffice fördert das „Stubenhocken“
                                   Einschränkungen des öffentlichen Lebens und die
                                                                                        und die oft notwendige Kinderbetreuung ist eine
                                   Schließung von Schul- und Betreuungseinrichtun-
                                                                                        zusätzliche Belastung, die weitere Zeit- und Ener-
                                   gen. Diese Schutzmaßnahmen konfrontierten die
                                                                                        gieressourcen einfordert. Das Treffen mit Freun-
                                   deutsche Bevölkerung mit einer Vielzahl von be-
                                                                                        den, die das Sportreiben oft unterstützen oder die
                                   lastenden Umständen wie der sozialen Isolation
                                                                                        ein wichtiges Motiv zum Sporttreiben sind, ist ein-
                                   und Herausforderungen hinsichtlich der Verein-
                                                                                        geschränkt oder wird unterbunden. In der Summe
                                   barkeit von Kinderbetreuung und Beruf. Mehrere
                                                                                        führen diese Bedingungen dazu, dass Anreize für
                                   Literaturübersichten brachten diese belastenden
                                                                                        Bewegung und Sport wegfallen und dass die Orga-
                                   Umstände in Zusammenhang mit psychischen Ge-
                                                                                        nisation und Planung hiervon erschwert werden.
                                   sundheitsfolgen wie Schlafstörungen, Einsamkeit,
                                   Langeweile, Frustration, Angst, emotionaler Er-      Gerade bei Problemen sind Planung und soziale
                                   schöpfung und depressiven Verstimmungen.             Unterstützung wichtig
                                                                                        Die zwei Königswege, mit Problemen und Schwie-
                                   Sport als Mittel gegen coronabedingte Beein-
                                                                                        rigkeiten umzugehen, sind eine gute Planung und
                                   trächtigungen
                                                                                        soziale Unterstützung. So zeigt die Motivations-
                                   Regelmäßiger körperlicher Aktivität wird in Zeiten
                                                                                        forschung, dass Bewegung und Sport genau ge-
                                   der Corona-Pandemie eine besondere Bedeutung
                                                                                        plant werden sollten. Hilfreich ist also ein klares
                                   hinsichtlich der psychischen Gesundheit der Be-
                                                                                        Trainings- und Übungsprogramm mit eindeutigen
                                   völkerung zugeschrieben. So haben Bewegungs-
                                                                                        Zeit- und Ortsvorgaben. Wann, wo, wie oft und mit
                                   und Sportaktivitäten unmittelbare und langfris-
                                                                                        wem will ich aktiv sein? Wenn solche Pläne schrift-
                                   tige stimmungsaufhellende und stressmindernde
                                                                                        lich fixiert sind (in der To-do-Liste oder im Handy),
                                   Effekte. Zudem beeinflusst körperliche Aktivität
                                                                                        steigt zudem die Selbstverpflichtung. Aber auch
                                   auch viele Risikofaktoren für schwere COVID-19
                                                                                        die Verpflichtung anderen gegenüber kann helfen,
                                   Krankheitsverläufe, wie zum Beispiel Diabetes
                                                                                        zum Beispiel indem Bekannten und Freunden von
                                   mellitus und Bluthochdruck, und immunologi-
                                                                                        den eigenen Bewegungsplänen berichtet wird.
                                                              sche Prozesse positiv.
                                                                                        Noch besser sind das gemeinsame Planen und das
                                                              Folglich betont die
                                                                                        gemeinsame Umsetzen von Bewegung und Sport,
                                                              Weltgesundheitsor-
                                                                                        wenn nicht real, dann wenigsten virtuell. Klare
                                                              ganisation      (WHO),
                                                                                        Pläne für Bewegung und Sport helfen schließlich
                                                              dass      regelmäßige
                                                                                        vermeintlich attraktiveren Alternativhandlungen
                                                              körperliche Aktivität
                                                                                        (Fernsehen, Essen) zu widerstehen.
                                                              während der Corona-
                                                              Pandemie von höchs-       Motivation stärken durch gute Gründe und Freude
                                                              ter Relevanz für die      an der Bewegung
                                                              individuelle gesund-      Grundsätzlich ist es wichtig, eigene und gute
                                                              heitliche und gesamt-     Gründe fürs Sporttreiben zu haben oder von ande-
                                                                                        ren daran erinnert zu werden, wie gut Bewegung
© LSB NRW | Foto: A.Bowinkelmann                                                        und Sport der Gesundheit und dem Wohlbefinden

   4                                                                                                 SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
tun. Demnach hilft auch die Aufklärung über die       Online-Coaching für
Bedeutung von regelmäßiger Bewegung, gerade in        Planung und soziale
Zeiten der Corona-Pandemie. Hierdurch werden po-      Unterstützung
sitive Einstellungen gebildet („mind set“), die das   Begleitendes Online-
Bewegungs- und Sportverhalten unterstützen. Am        Coaching kann für zu-
besten motivieren jedoch unsere eigenen Gefühle,      sätzliche Motivation
zum Beispiel das körperliche oder psychische Wohl-    von außen und soziale
befinden während des Sports oder die Erinnerung        Interaktion     sorgen.
an das zufriedene Gefühl nach einer erfolgreichen     Online-Coaches stellen
Trainingseinheit. Wenn Bewegung und Sport keine       personalisierte Trai-
Freude machen, ist nachhaltiges Verhalten kaum zu     ningspläne zur Verfü-
erwarten.                                             gung und unterstützen     © LSB NRW | Foto: A.Bowinkelmann
                                                      deren Einhaltung zum
Konkrete Bewegungsmöglichkeiten empfehlen
                                                      Beispiel mit motivie-
und Umsetzung sicherstellen
                                                      renden Nachrichten, Hintergrundinformationen
Auch wenn die bereits seit der ersten Phase des
                                                      und Basiswissen über das Training sowie dem Mes-
Lockdowns im Frühjahr 2020 florierenden Angebote
                                                      sen und Auswerten des Trainingsfortschritts. Durch
von Live Online-Kursen, „on demand“-Homework-
                                                      das Online-Coaching können PatientInnen selbst
outs, Online Fitness-TrainerInnen und Fitness-Apps
                                                      in der häuslichen Umgebung (z.B. quarantänebe-
ihren anfänglichen Neuheitswert verloren haben,
                                                      dingt) aktiv bleiben.
ist das Aufzeigen von konkreten Bewegungsmög-
lichkeiten durch medizinisches Fachpersonal und       Zusammenfassung
Coaches zu Motivations- und Zielsetzungszwecken       Während der Corona-Pandemie ist es wichtiger
weiterhin zu empfehlen. In persönlichen und all-      denn je, körperliche Aktivität und Sport fest in den
tagsnahen Behandlungsgesprächen und Coachings         Alltag zu integrieren, um von den positiven Effek-
kann die Anwendung der digitalen Sport- und Be-       ten auf die Gesundheit und das Wohlbefinden zu
wegungsprogramme dann getestet, angepasst und         profitieren. Um das regelmäßige Bewegungs- und
daraufhin kontinuierlich umgesetzt werden. Bei        Sportverhalten zu bestärken, sollten individuelle
persönlichen Empfehlungen sind die individuelle       Lösungen, wie körperliche Aktivität im Freien, Trai-
Eignung, Zugriffs- und Eintrittsbarrieren (benötig-    nings-Planungs-Apps und Online-Coaching-Forma-
te Hard- und Software, Kosten) und zeitliche sowie    te, aufgezeigt werden. Zudem sollten die eigenen
räumliche Möglichkeiten zu bedenken.                  Bewegungsaktivitäten zum individuellen Alltag
                                                      und den persönlichen Vorlieben passen. Denn nur
Gegenargumenten lösungsorientiert und mit Pla-
                                                      so kann sichergestellt werden, dass die Motivati-
nung entgegnen
                                                      on für körperliche Aktivität und Sport langfristig
Joggen, Trainieren und Spazieren im Freien sind –
                                                      aufrechtgehalten und Pläne zum Sporttreiben auch
trotz weitreichender Schutzmaßnahmen während
                                                      tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Und eins
der Corona-Pandemie – auch weiterhin erlaubt.
                                                      ist sicher: auch wenn wir die mit der Corona-Pan-
Möglichen Gegenargumenten (fehlendes Tages-
                                                      demie einhergehenden weitreichenden Einschrän-
licht, schlechtes Wetter) kann mit alltagsnahen
                                                      kungen und Belastungen kaum kontrollieren kön-
Lösungen (Lauflampe, konkrete Hinweise auf be-
                                                      nen, so helfen uns regelmäßige Bewegung und
leuchtete Laufstrecken, Funktionskleidung) ent-
                                                      Sport wenigstens dabei, die aktuelle herausfor-
gegengewirkt und so Zutrittsbarrieren abgebaut
                                                      dernde Situation besser zu meistern.
werden. Eine je nach Rechtslage mögliche Verabre-
dung oder das feste Einplanen sportlicher Aktivität
helfen bei der Einhaltung sportlicher Bewegungs-
pläne. Für diese Bewegungspläne existiert eine
Vielzahl von Trainings-Planungs-Apps.                 Literatur bei den VerfasserInnen

SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal                                                                       5
Jahrgang 2021/1

Sportpsychologie und SARS-CoV-2
     von Kristin Devos

                                           Dass körperliche Bewegung      Beispielsweise erleben depressive Patienten schon
                                           als Bestandteil zu einer       krankheitsbedingt eine ausgeprägte seelische
                                           gesunden Lebensführung         Erschöpfung, die mit Antriebslosigkeit, körper-
                                           dazu gehört, gilt als allge-   lichem Schwächegefühl, Schlafstörungen, Tages-
                                           mein bekannt.                  müdigkeit und damit verbundenen erneuten Er-
                                                                          schöpfungs- und Handlungsunfähigkeitsgefühlen
                                           Sport verbessert schließ-
                                                                          einhergehen kann. Dadurch entsteht nicht selten
                                           lich nicht nur die körper-
                                                                          ein Teufelskreis: Erschöpfungsgefühle führen zu
                                           liche Konstitution und das
                                                                          Schonung und fehlender Auslastung, dadurch
                                           allgemeine Wohlbefinden,
                                                                          gegebenenfalls zu Schlafstörungen und damit
                                           sondern wirkt ebenso un-
                                                                          zu noch mehr Erschöpfungsgefühlen. Affekte und
                     terstützend in der Prophylaxe und Therapie z.B.
                                                                          Sätze wie „Ich kann einfach nicht…“ sind aufgrund
                     bestehender kardiovaskulärer Risikofaktoren oder
                                                                          dessen sehr häufig und müssen im Rahmen von
                     im Rahmen verschiedener muskuloskelettaler Er-
                                                                          psychiatrisch/psychotherapeutischen       Behand-
                     krankungen.
                                                                          lungen berücksichtigt werden, da sie nicht nur
                     Körperliches Training kann sich darüber hinaus       zur Aufrechterhaltung, sondern unter Umständen
                     auch auf direktem Weg durch Einflussnahme auf         auch zur Verschlimmerung bereits bestehender
                     verschiedene neurobiologisch-biochemische Pro-       Symptome beitragen können.
                     zesse des zentralen Nervensystems positiv aus-
                                                                          Patienten mit Angstörungen vermeiden, je nach
                     wirken und auch indirekt durch eine verbesserte
                                                                          spezifischer Problematik, bestimmte Aktivitäten
                     Selbstwahrnehmung und Selbstzufriedenheit die
                                                                          oder Kontakte. Dies geschieht im Gegensatz zu
                     seelische Gesundheit günstig beeinflussen. In
                                                                          depressiven Patienten jedoch eher aus der be-
                     mehreren Studien aus den letzten Jahren konnte
                                                                          stehenden Angst vor der Situation selbst als aus
                     zum Beispiel eine steigernde Wirkung auf die Spie-
                                                                          einer lähmenden Antriebslosigkeit heraus. Schi-
                     gel relevanter Neurotransmitter (wie Serotonin,
                                                                          zophrene Patienten benötigen hingegen eher eine
                     Noradrenalin und Dopamin) und die neuronale
                                                                          äußere Motivation, Anleitung und mitunter gut
                     Plastizität, einhergehend mit Effekten auf neuro-
                                                                          strukturierte Tagesabläufe zur Aufrechterhaltung
                     nale Wachstumsfaktoren, nachgewiesen werden.
                                                                          eines kognitiven und psychsozialen Leistungsni-
                     Darüber hinaus kann körperliche Aktivität zu ei-
                                                                          veaus. Alle drei Patientengruppen profitieren in
                     ner Absenkung des Cortisolspiegels beitragen und
                                                                          der Behandlung dabei insbesondere von übenden
                     sich damit positiv auf die Hypothalamus-Hypo-
                                                                          Maßnahmen in einem strukturierten Alltag. Das
                     physen-Nebennierenrinden-Achse auswirken. Vor
                                                                          kann beispielsweise die positiv erlebte Aktivität
                     allem Ausdauertraining wie Laufen, Schwimmen
                                                                          beim depressiven Patienten oder die zum Angstab-
                     oder Fahrradfahren, konnte nach Forschungser-
                                                                          bau und zur Gewöhnung führende Handlung beim
                     gebnissen effektiv bei psychischen Erkrankungen
                                                                          Angstpatienten sein. Gerade körperliches Training
                     eingesetzt werden und wurde in vielen Leitlinien
                                                                          ist dabei unter anderem aufgrund der oben ge-
                     mindestens als positiv unterstützendes Element
                                                                          nannten Wirkmechanismen und nicht zuletzt auch
                     benannt. In den Leitlinien zur unipolaren Depres-
                                                                          als regulierende Gegenmaßnahme mit Blick auf
                     sion oder der Schizophrenie erhält Sport bereits
                                                                          das Nebenwirkungsprofil mancher Psychopharma-
                     eine „B“-Empfehlung.
                                                                          ka (z.B. Gewichtszunahme, Anstieg von Blutgluco-
                     Eine wesentliche Aufgabe besteht darin, einen        se und Lipide) ein hilfreiches und unterstützendes
                     psychisch kranken Patienten zu einem körper-         Element.
                     lichen Training zu motivieren und mit ihm dazu
                                                                          Hierfür ist es jedoch erforderlich, dass die Patien-
                     Strategien zu erarbeiten. Sehr ausgeprägte Er-
                                                                          ten auch die Möglichkeit haben, körperlich aktiv
                     schöpfungsgefühle, Antriebslosigkeit oder Ängste
                                                                          zu sein.
                     bei Depression, antipsychotisch behandelte Pati-
                     enten oder Angstpatienten können die Motivati-       Das zeigt sich nun durch die pandemiebedingten
                     on zur Aufnahme von körperlicher Aktivität sehr      Schutzmaßnahmen deutlich erschwert. Dadurch,
                     schmälern.                                           dass nun sämtliche Sportstätten schließen muss-

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ten und damit die Möglichkeit entfällt, einige        Meiner Erfahrung nach können dazu auch konkre-
Sportarten überhaupt noch durchzuführen, benö-        te Zielfindungsverfahren, wie z.B. die „SMART“
tigt der psychisch kranke Patient nun ein erhöhtes    Methode hilfreich sein. Das heißt, dass z.B. nach
Maß an Motivation, die er krankheitsbedingt teil-     einem ersten Sammeln völlig unspezifischer Ideen
weise kaum aufbringen kann, um vielleicht auf an-     (Brainstorming) in weiteren Schritten nach und
dere Sportarten auszuweichen. Nicht selten führt      nach realistische und umsetzbare Ziele gemeinsam
das dazu, dass Patienten dadurch in ihrer Aktivität   mit dem Patienten ermittelt werden. Dabei sollte
pausieren, eine wartende Position einnehmen, die      das Ziel, in diesem Falle die körperliche Aktivität,
eigentlich erforderlichen Maßnahmen aufschie-         Spezifisch benannt, Messbar, Attraktiv, Realis-
ben und somit eine bereits bestehende Erkrankung      tisch und Terminiert sein, d.h. das Training sollte
weiterhin anhaltend bestehen bleibt oder sich         also als konkreter Bestandteil in einen festen und
sukzessive verschlechtert.                            strukturierten wöchentlichen Zeitplan eingebaut
Obwohl die Auswirkungen des aktuellen berufli-         und (ggf. schrittweise) auch durchgeführt wer-
chen und gesellschaftlichen Lockdowns bislang         den. Zu beachten sind dabei die körperliche Kon-
noch nicht hinreichend analysiert wurden, konn-       stitution, etwaige Vorerkrankungen und spezielle
ten bei 682 bislang untersuchten Dokumentatio-        Neigungen des einzelnen Patienten. Daher kann
nen erste Hinweise auf eine verstärkte psychische     ein und dasselbe Ergebnis nie für alle Patienten
Belastung (60,5%) durch die Angst vor einer mög-      gleichermaßen gelten. Einige Patienten nutzen
lichen Infektion (14,5%), durch die Schutzmaß-        die Möglichkeit eines „Personal Trainers“, persön-
nahmen an sich (25,5%) oder durch beides (4,3%)       lich unter Schutzbedingungen oder online. Einige
gefunden werden.                                      Sportvereine bieten bereits Online-Athletiktrai-
                                                      ning an. Auch wenn die oben beschriebenen posi-
Aktuell begegnen mir in meiner täglichen Arbeit       tiven Effekte körperlichen Trainings auf psychische
als ambulant tätige Ärztin für Psychiatrie und        Erkrankungen insbesondere vermehrt im Rahmen
Psychotherapie zunehmend Patienten, die unter         eines regelmäßigen Ausdauersports beobachtet
den Pandemieschutzbedingungen eine wesentlich         wurden, können auch Yoga oder Meditationskurse
intensivere Motivation zur einer Etablierung ihrer-   über Online-Angebote oder APPs genutzt werden
Tagesstruktur, insbesondere mit Einbindung von        und hilfreich sein.
körperlicher Aktivität, benötigen. Dabei handelt
es sich nicht immer nur um Patienten mit psychi-      Zur Motivation nutzen manche Patienten gern
schen Vorerkrankungen, sondern auch vermehrt          kleinere Belohnungen nach durchgeführter Sport-
um Menschen, die aufgrund der Lockdownsituati-        einheit, wie z.B. ein Bad oder einen schmackhaf-
on einer Unterstützung bedürfen.                      ten Smoothie.

Da die Möglichkeiten sportlicher Betätigung bei-      Als hilfreiche Unterstützung für den Behandler
spielsweise in Sportvereinen oder Schwimmbä-          möchte ich persönlich gerne das seit Jahren eta-
dern zur Zeit stark eingeschränkt sind, kann es       blierte Gesprächsführungskonzept „Motivational
zunächst hilfreich sein, eine Akzeptanz dafür zu      Interviewing“ benen-
schaffen, dass die bestehende Situation nicht ver-     nen, das ursprünglich
änderbar ist und vielleicht auch den einen oder       in den 90er Jahren
anderen positiven Aspekt besitzt. Ressourcen, die     durch Miller und Roll-
vor Kurzem noch hilfreich waren, sind zur Zeit zwar   nick zur Behandlung
nicht nutzbar, jedoch können stattdessen durch-       von Menschen mit
aus Alternativen gefunden werden, die vielleicht      A b h ä n g i g k e i t s e r-
vorher noch nicht bedacht wurden. Das kann das        krankungen entwi-
bereits bestehende Repertoire an Fähigkeiten er-      ckelt wurde und seit-
weitern und zu neuen Erfahrungen führen. Viel-        dem auch in vielen
leicht entdecken einige Patienten auch alte, be-      anderen Feldern ein-
reits vergessene Fähigkeiten oder Steckenpferde       gesetzt werden kann
wieder neu und können diese auffrischen.               und wird.                      © LSB NRW | Foto: A.Bowinkelmann

SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal                                                                            7
Jahrgang 2021/1

                       Insgesamt sollte der Mensch dabei in seiner Ge-      und wertschätzendes Behandler-Patientenver-
                       samtheit betrachtet und letztlich nach seinen        hältnis entwickeln kann.
                       eigenen Konzepten in der Ideenentwicklung un-
                       terstützt werden, sodass sich ein vertrauensvolles   Literatur bei der Verfasserin

Mal runterkommen: Sport im Weltall und in der Pandemie
     von Prof. Dr. theol. Dr. Sportwiss. Stefan Schneider

                                             Letztens erhielt ich die An-   alle darüber beschweren, dass Sportangebote ein-
                                             frage einer lokalen Zeitung    geschränkt sind und durch die Einschränkungen
                                             aus Süddeutschland, ob ich     der Pandemie Bewegungsmangelerkrankungen
                                             eine physiologische Ein-       noch einmal befeuert werden.
                                             schätzung zum Thema Mas-
                                             kenpflicht machen könnte.       Sport in der Isolation
                                             Relativ schnell war klar,      Wir beschäftigen uns am Zentrum für integrative
                                             in welche Richtung diese       Physiologie (ZiP) der Deutschen Sporthochschule
                                             Einschätzung gehen sollte:     Köln (DSHS) seit mehr als 30 Jahren mit den phy-
                                             Die Maske erschwert das        siologischen und psychologischen Auswirkungen
                                             Atmen, insbesondere unter      von Menschen in Extremsituationen, u.a. im Rah-
                      Belastung, und ist daher kritisch zu sehen. Da er-    men von realen oder simulierten Weltraummission.
                      innerte ich mich an einen unserer Studiernden an      Standen zu Beginn der bemannten Weltraumfahrt
                      der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS), ein        physiologische Deadaptationsprozesse (Verlust
                      recht erfolgreicher Boxer, der schon 2017 immer       von Muskelmasse und Knochendichte, Anpassung
                      mit Maske trainierte, um seine Ausdauerleistung       des Herz-Kreislauf-Systems) und deren Behand-
                      zu verbessern. Etwas vereinfacht physiologisch        lung durch geeignete Trainingsmaßnahmen im
                      ausgedrückt, funktioniert die Maske wie Höhen-        Vordergrund, rücken mit zunehmender Dauer von
                      training oder Okklusionstraining. Gerade unter        Missionen (derzeit im Schnitt sechs Monate auf der
                      Belastung erschwert die Maske mechanisch die          ISS) die positiven Effekte von Sport und Bewegung
                      Einatmung und reduziert damit die Sauerstoffver-       auch auf die mentale und emotionale Ebene in den
                      sorgung (eine mögliche, erhöhte Co2 Akkumulati-       Vordergrund. Drei Mechanismen von Sport und
                      on blenden wir kurz aus). Das Tragen der Maske,       Bewegung, die auch im aktuellen Kontext der ge-
                      insbesondere über einen längeren Zeitraum und         genwärtigen Pandemie eine Relevanz haben, sind
                      am besten unter Belastung, führt also, physio-        erkennbar.
                      logisch gesehen, zu einem Trainingseffekt. Das         1. Sport und Bewegung sind Stresskiller (wenn
                      Hauptmotiv von Menschen KEINEN Sport zu be-              sie Spaß machen, das ist wichtig aber ein an
                      treiben, ist bekanntlich Schmerzen („Beim Laufen         anderer Stelle zu vertiefendes Thema). Sport
                      tun mir immer die Beine weh“) und Unannehmlich-          und Bewegung forcieren eine kurzfristige
                      keiten („Sport ist so anstrengend“) zu vermeiden.        Umverteilung neuronaler Aktivität und
                      Und natürlich ist für die meisten auch das Tragen        erhöhen dadurch die Konzentrations- und
                      der Maske unangenehm – aber physiologisch gese-          Aufmerksamkeitsfähigkeit nach dem Sport.
                      hen, ein tolles Training. Gerade in Zeiten, wo sich

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2. Sport und Bewegung machen müde, fördern           zu bleiben…“. An diesem eröffnenden Satz ist
   damit einen gesunden Schlaf, der ebenfalls        wenig auszusetzen – außer dem Adjektiv „einsam“.
   wichtig ist, um mental fit zu sein.                Die wenigsten Astronauten und Kosmonauten
                                                     empfinden Einsamkeit an Bord der ISS. Das hängt
3. Und Sport und Bewegung halten den Körper
                                                     damit zusammen, dass es dort oben ein meist
   fit, was gerade im Alter ein selbstständiges
                                                     gut eingespieltes Team gibt und vor allen Dingen
   und unabhängiges Leben und soziale
                                                     einen straff organisierten Tagesablauf. Ganz im
   Partizipation ermöglicht und damit dem
                                                     Gegenteil ist Einsamkeit, oder um es genauer zu
   Demenzrisiko vorbeugt.
                                                     benennen, persönlicher Rückzugsraum, etwas
Viele unsere Erkenntnisse über die mentale und       was vielen fehlt. Und dies bietet der Sport. Checkt
psychoregulative Wirkung von Sport und Bewegung      man sich auf dem Laufband der ISS ein, herrscht
sind in Analogstudien nationaler (DLR) und           die nächsten 30 Minuten mentale Ruhe: Kein
internationaler Raumfahrtagenturen (ESA/NASA/        Experiment durchführen, nicht kommunizieren,
IBMP) zur Simulation von Langzeitaufenthalten        nichts tun außer laufen. Der Kopf wird frei, die
im Weltall entstanden. Ein Meilenstein war           Gedanken mäandrieren (die zugrundeliegende
die MARS500 Mission, eine Isolationsstudie           Neurophysiologie wurde erstmal 2006 in der
mit sechs Kosmonauten, die über eine Dauer           Theorie der transienten Hypofrontalität von Arne
von 520 Tagen eine Reise zum Mars simulierte.        Dietrich beschrieben). Erst mit zunehmender
Regelmäßiger Sport hat dazu beigetragen, Stress      Dauer von Weltraumissionen, das hat die MARS500
abzubauen und im Team zusammen zu halten. In         Studie gezeigt, kommt es zur Langeweile. Und
der Antarktisstation CONCORDIA haben wir über        Langeweile führt dazu, dass wir uns mehr mit uns
mehrere Jahre die Teilnehmer in der Isolation        selbst beschäftigen, ins Grübeln kommen und
der Überwinterung von Februar bis November           sensibel werden.
begleitet, Trainingspläne geschrieben und gezeigt,
                                                     In der gegenwärtigen Pandemie erlebe ich zwei
dass ein regelmäßiges Training die Motivation und
                                                     ganz unterschiedliche Probleme: Erstens, Men-
die selbstwahrgenommene Befindlichkeit positiv
                                                     schen, die wirklich isoliert sind, weil ihre un-
beeinflussen.
                                                     mittelbaren Sozialkontakte wegbrechen. Und
Relevanz in Zeiten von COVID-19                      zweitens Menschen, die als Familienteam funkti-
Immer haben wir unsere Forschung als                 onieren müssen, auf engstem
Nischenforschung wahrgenommen. Menschen,             Raum und ohne die Möglich-
die sich in extreme Situationen, wie in den          keit dieser Konstellation zu
Weltraum, in Isolation begeben, würden immer         entfliehen. Denjenigen, die zu
Exoten sein. Im besten Fall, ließen sich hier        viel Zeit mit sich selbst haben,
physiologische Mechanismen verstehen, aber           tut es gut, dass zeigen unsere
wir hielten unsere Studien nie für grundlegend       Studien, aber auch die anek-
gesellschaftlich relevant. Bis zur COVID-            dotischen Berichte von Freun-
Pandemie. Auf einmal waren weltweit Milliarden       den und Bekannten, sich zu
Menschen aufgefordert, sich zu isolieren, um         bewegen. Das ermöglicht eine
eine unkontrollierbare Ausweitung des Virus zu       gezielte Defokussierung von
verhindern. Auf einmal stand unsere Forschung        den eigenen (scheinbaren)
– nicht in der ersten aber dennoch der zweiten       Problemen, weil es auf einmal
Linie der Aufmerksamkeit. Die Anfragen häuften       ganz andere Dinge zu verar-
sich, ob Sport und Bewegung dazu beitragen           beiten gibt (Umwelteinflüsse,
können, psychisch gesund durch die Pandemie zu       die Konzentration auf die Be-
kommen. Vielfach begannen die Anfragen, ähnlich      wegung). Man kennt dieses
unreflektiert wie die oben Genannte zum Thema         Phänomen auch aus der Arbeit
Maskenpflicht, mit dem Satz: „Auch Astronauten        mit Depressionspatienten als
                                                                                       © Missionslogo
sind ja einsam und treiben Sport, um mental fit       Ausweg aus der Grübelspirale.

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Jahrgang 2021/1

                  Für die andere Gruppe, diejenigen, die im engsten     gemacht? Gibt es hier Anknüpfungspunkte?“ Wenn
                  sozialen Kreis täglich aufeinander hocken, kann       nicht, dann rate ich zu einem wilden Ausprobieren
                  Sport und Bewegung eine Auszeit der Verantwor-        – bis die Sportart gefunden ist, die Spaß macht.
                  tung bedeuten. Eine Stunde laufen/Rad fahren/         Für den Einen ist es die ruhige Runde im Park,
                  spazieren gehen, eine Stunde Zeit für sich selbst     für die Andere das gemeinsame Sportreiben. Für
                  zu haben, rückt die Welt in ein anderes Licht.        manch einen ist es das Fitnessstudio, für andere
                                                                        der kompetitive Aspekt der Spielsportarten. Allen
                  Wie motivieren?                                       gemein ist, dass Spaß ist der motivationale Zugang
                  Entscheidend für eine anhaltende, dauerhafte          zu regelmäßiger Bewegung ist.
                  und damit erfolgreiche Investition in die eigene
                  Gesundheit durch Sport und Bewegung ist der           Kompendium
                  Faktor Spaß. Zu oft erlebe ich Menschen, denen        Auch wenn wir jetzt merken, dass die Zahl der
                  ihr Hausarzt empfohlen hat, Joggen zu gehen.          Sporttreibenden in den Vereinen und Fitnessstu-
                  Insbesondere zur Gewichtsregulation. Mit Blick        dios abnimmt, vielleicht ist die gegenwärtige Si-
                  auf die Energiebilanz ist diese Empfehlung absolut    tuation des Lockdowns und der Isolation für einige
                  korrekt, kaum eine Sportart verbraucht, ohne          tatsächlich auch der Weckruf, wieder mehr Sport
                  nennenswerte Investition in Geräte, so viel Energie   zu treiben. Weil sie merken, wie gut es dem Körper
                  wie das Laufen. Aber insbesondere Menschen,           und dem Geist tut.
                  die lange Zeit keinen Sport getrieben haben,          Aber es braucht Initiativen und Menschen, die das
                  fühlen sich mit dem Laufen schnell überfordert        kommunizieren. Es braucht nicht nur eine Verhal-
                  (insbesondere, wenn sie Gewichtsprobleme              tensänderungen des Einzelnen, sondern auch Ver-
                  haben) und hören dann schnell wieder auf.             hältnisänderungen der Gesellschaft. Sportmedizi-
                  Viel sinnvoller ist es, über eine persönliche         ner und Sportwissenschaftler sind gut beraten, an
                  Anamnese zu eruieren, wo die Vorlieben des/           beiden Polen der Veränderung mitzuwirken.
                  der Einzelnen liegen. Oft hilft ein Blick auf die
                  individuelle Sporthistorie. „Was haben Sie als
                  Kind/Jugendlicher/Erwachsener gerne für Sport         Literatur beim Verfasser

                                     © Vera Abeln

10                                                                                     SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal
6 Fragen an ..
                                        .
                                               Ulrike Wefers
                        Ich bin 1966 in Mönchen-        kungen, deren Spannbreite von kämpferischer Auf-
                        gladbach geboren und im         lehnung gegen die von mir als nicht sachgerecht
                        Alter von 6 Jahren über         erachteten Eindämmungsmaßnahmen bis hin zu er-
                        eine Klassenkameradin zum       schöpfter Resignation reicht. Ich fühle die Ohnmacht
                        Schwimmen        gekommen.      oder - wie die Psychologen es nennen - meine feh-
                        Diesen Sport habe ich 10        lende Selbstwirksamkeit. Das wiederum macht mich
                        Jahre lang leistungsorien-      traurig und aggressiv zugleich, wobei die Aggressio-
                        tiert als Mitglied der SSV      nen häufig überwiegen. Ich bin von Natur aus eher
                        Rheydt und des Mönchen-         kämpferisch, weswegen ich mit einem rebellischen
                        gladbacher SV sowie als Ka-     Grundgefühl emotional besser klar komme als mit
                        derathletin des Westdeut-       Resignation.
schen Schwimmverbandes betrieben. Von 1983 bis          Die zentralen Begriffe, um die meine Gedanken krei-
1994 habe ich zunächst als Mittelstrecklerin (über      sen, sind Hoffnung (bzw. Hoffnungslosigkeit) und
800m – 3.000m) bei der LG Mönchengladbach und           die wegen der Unberechenbarkeit der Politik fehlen-
später auf der Langstrecke (über 5.000m bis Mara-       de mittel- und langfristige Perspektive. Das macht
thon) bei Athletik Waldniel an regionalen und natio-    es so schwierig, sich immer wieder zu motivieren.
nalen Meisterschaften teilgenommen. Parallel dazu
war ich von 1984 bis Anfang der 1990’er Jahre im        Es wäre schön, wenn Sie uns erläutern würden,
(Kurz-)Triathlon für Nonstop Köln und als Mitglied      welchen Bezug Sie generell zu Sport haben und in
der Triathlon-Nationalmannschaft auf nationaler         welchen Disziplinen Sie trainieren und bei Wett-
und internationaler Ebene aktiv. Wegen der wach-        kämpfen antreten.
senden zeitlichen Belastung durch mein Jurastudi-       Ich habe im Alter von 6 Jahren mit dem Schwimmen
um entschied ich mich nach einigen Jahren, mich         begonnen, wechselte dort schon nach kurzer Zeit in
ausschließlich auf das Laufen zu konzentrieren.         die 1. Sportmannschaft und wurde auch in den NRW-
Diesen Sport habe ich nach Eintritt in mein Berufsle-   Landeskader aufgenommen. Als ich mit 16 Jahren
ben als Richterin dann mehr als zwei Jahrzehnte nur     eigentlich mit dem Leistungssport aufhören wollte,
noch „wettkampflos“, aber immer noch regelmäßig,         habe ich mich zum Abtrainieren meinem Vater an-
als reine Hobbyläuferin ausgeübt, bis ich Ende 2017     geschlossen, der zu dieser Zeit dreimal wöchentlich
zu meinen läuferischen Wurzeln als Mittelstreckle-      mit einem Nachbarn joggte. Ein Langstreckenläufer
rin zurückgekehrt bin. Seitdem trainiere ich wieder     unseres örtlichen Leichtathletikvereins sah mich
leistungsorientiert nach den Plänen meines „al-         und „überredete“ mich, mal an einem Probetraining
ten“ Jugendtrainers und gehe - wie in den 1980’er       im Stadion teilzunehmen. So kam ich zunächst zur
Jahren - über alle Distanzen zwischen 800m und          Mittelstrecke, spezialisierte mich als Jugendliche
5.000m (am liebsten über 1.500m) bei regionalen         und Juniorin auf die 1.500 m und 3.000 m und war
Wettkämpfen und nationalen Meisterschaften an           über diese Distanzen auch regional einigermaßen
den Start.                                              erfolgreich. Dann merkte ich, dass mir Straßenläu-
                                                        fe mehr Spaß machten und lief fortan überwiegend
Hallo Frau Wefers, schön, dass Sie sich Zeit neh-       die 10 km, aber auch Halbmarathon und Marathon,
men für uns.                                            letzterer meist für unsere Mannschaft, mit der wir
Micky Fritz, der 2. Vorsitzende des Sportärztebun-      dann auch 1993 Westdeutscher Meister geworden
des Nordrhein, den Sie auch gut kennen, hat den         sind. In demselben Jahr lief ich noch den Marathon
Begriff des „Covid Distress“ eingeführt und die-         in New York, bevor ich mich 1994 komplett vom Wett-
sen als einen emotionalen Zustand als Reaktion          kampfsport zurückgezogen habe.
auf einen „bestimmten negativ wahrgenommen              Parallel dazu war ich von 1984 bis 1989 als Triath-
Stressor“, in diesem Fall die Corona Pandemie,          letin in der Nationalmannschaft aktiv und über die
beschrieben. Wie ist Ihre derzeitige Gemütslage?        olympische Distanz und im Sprint in der Staffel und
Im Großen und Ganzen hat sich meine negative            in der Mannschaft international erfolgreich.
Grundstimmung auf niedrigem Niveau stabilisiert.        Ende 2017 bin ich zu meinen leichtathletischen
Allerdings durchlebe ich immer wieder Schwan-           Wurzeln zurückgekehrt und starte seitdem wieder

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Jahrgang 2021/1

                                    als Mittelstrecklerin über Distanzen von 800 m bis      Sie haben bereits Änderungsvorschläge hinsicht-
                                    5.000 m und trainiere nach den Programmen mei-          lich des Umgangs mit der Corona-Pandemie im
                                    nes damaligen Jugendtrainers. Ich laufe 3 bis 4 x       Sport angesprochen. Welche konkreten Maßnah-
                                    wöchentlich; mehr lassen Knie und Sprunggelenk          men halten Sie im ambitionierten Breitensport
                                    nicht mehr zu. Zum Ausgleich gehe ich aber zusätz-      bzw. Leistungssport für angemessen, wo besteht
                                    lich 2 bis 3x in der Woche schwimmen. Während des       dringender Handlungsbedarf?
                                    Lockdowns bleiben mir nur die Einheiten auf der Rol-    Ich halte gute Hygienekonzepte, deren Einhaltung
                                    le und das Krafttraining.                               dann natürlich auch kontrolliert werden muss, für
                                                                                            unerlässlich, allein schon zum Schutz der Sportler.
                                    Sie haben für sich selbst einen Bericht geschrie-
                                                                                            Im Spätsommer 2020 haben in einer „late season“
                                    ben und diesen „Meine Corona-Story 2020“ ge-
                                                                                            einige Bahnwettkämpfe unter Corona-Bedingungen
                                    nannt. Darin schildern sie ausführlich, wie hart
                                                                                            stattgefunden, die sehr gut funktioniert haben und
                                    sie die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung
                                                                                            von den Athleten dankbar angenommen worden
                                    sowohl hinsichtlich Ihrer sportlichen Aktivitäten
                                                                                            sind. Auch der Trainingsbetrieb in Kleingruppen hat
                                    als auch beruflich treffen. Welche Punkte kritisie-
                                                                                            sich bewährt. Daher sollte zumindest eine Eins-zu-
                                    ren Sie dabei besonders?
                                                                                            Eins-Betreuung im Trainingsbetrieb wieder möglich
                                    Um es vorweg zu sagen: ich bin kein Corona-Leugner      sein. Vor allem für Kinder und Jugendliche ist es
                                    und denke, dass es grundsätzlich zwingend erforder-     wichtig, dass der Trainingsbetrieb wieder aufgenom-
                                    lich ist, der Ausdehnung der Pandemie mit - aller-      men wird. Falls dies nicht geschieht, werden dem
                                    dings verhältnismäßigen - Eindämmungsmaßnah-            Sport mittel- und langfristig viele Talente verloren
                                    men zu begegnen. Als Juristin und liberal erzogener     gehen. Unser Verein hatte zum Jahresende allein 45
                                    Mensch liegen mir aber auch die Freiheitsrechte sehr    Austritte zu verzeichnen, viele davon im Kinder- und
                                    am Herzen, die ja zurzeit gravierend eingeschränkt      Jugendbereich.
                                    werden. Meines Erachtens sind die von der Politik
                                                                                            Wer einmal weg ist, kommt häufig auch nicht zurück
                                    ergriffenen Maßnahmen in Bezug auf den Amateur-
                                                                                            zum Sport. Schon jetzt gibt es viel zu viele überge-
                                    und Freizeitsport weder geeignet, das mit ihnen ver-
                                                                                            wichtige und motorisch gestörte Kinder. Da wirkt
                                    folgte Ziel (der Kontaktreduzierung) zu erreichen,
                                                                                            das Verbot des Vereinssports wie ein Brandbeschleu-
                                    noch sind sie angemessen, also verhältnismäßig im
                                                                                            niger.
                                    engeren Sinne. Das gilt vor allem für die Schließung
                                    aller öffentlichen und privaten Außensportanlagen        Stark betroffen sind aber auch diejenigen, die ich als
                                    und Schwimmbäder, aber auch für das gänzliche Ver-      „Athleten in der zweiten Reihe“ bezeichne. Das sind
                                                      bot des Vereinssportbetriebs und      diejenigen, deren Leistungen für eine Kaderzugehö-
                                                      der Veranstaltung von Wettkämp-       rigkeit (noch) nicht ausreichen und die daher nicht
                                                      fen in jedweder Form. Nach meiner     unter die derzeitigen Ausnahmeregelungen fallen,
                                                      eigenen Wahrnehmung in den letz-      die aber trotzdem regional erfolgreich und ambiti-
                                                      ten Wochen führt die Schließung       oniert an Wettkämpfen teilnehmen. Dazu gehören
                                                      der Sportstätten lediglich zu einem   nicht zuletzt auch die vielen Senioren und Seniorin-
                                                      Verdrängungs- und Verdichtungs-       nen, die noch auf teils sehr hohem Niveau leistungs-
                                                      effekt, indem sich nun alle Men-       orientiert aktiv sind und für die es überhaupt keine
                                                      schen, d.h. „Gassigeher“, Jogger,     Kader gibt.
                                                      Radfahrer und Spaziergänger, auf
                                                                                            Gibt es denn auch positive sportliche Erlebnisse,
                                                      denselben beengten Parkwegen
                                                                                            von denen Sie uns berichten können in Corona-
                                                      knubbeln und damit zur Vermeh-
                                                                                            Zeiten?
                                                      rung eben jener Kontakte und Be-
                                                      gegnungen beitragen, die eigent-      Ja, die hat es zum Glück auch gegeben. So habe ich
                                                      lich verhindert werden sollen. Die    z.B. mit dem Speerwerfen begonnen, einer techni-
                                                      Regelung ist daher nicht nur unge-    schen Disziplin, die ich schon immer gerne im Fern-
                                                      eignet, sondern kontraproduktiv.      sehen verfolgt habe, weil sie so ästhetisch ist. Das
     © Foto: Lothar Drechsel | Ulrike Wefers
                                                                                            war für mich mal was ganz anderes und vor allem

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ein ganz neuer Trainingsreiz. Außerdem habe ich                 Zu Ihrer Information gestatten Sie mir noch einen
mich von Zeit zu Zeit mit einigen meiner auswärti-              kleinen Hinweis: Ich habe vor kurzem unter Mit-
gen Konkurrentinnen, von denen einige inzwischen                wirkung zweier Trainingskameradinnen und eines
gute Freundinnen geworden sind, zum gemeinsa-                   Leichtathletiktrainers, der gleichzeitig Geschäfts-
men Training im Grenzlandstadion getroffen. Unser                führer des Stadtsportbundes Mönchengladbach ist,
Stadion hatte - anders als viele andere Sportstät-              ein Schreiben an die Staatskanzlei NRW verfasst,
ten - schon im Mai wieder geöffnet. Uns allen ist                das die Schließung der Außensportanlagen betrifft
dabei bewusst geworden, wie wichtig der soziale                 und zusätzlich als online-Petition ins Netz gestellt
Zusammenhalt ist, den der Sport vermittelt. Da wir              worden ist. Wir wären natürlich froh, für unser Anlie-
jedenfalls in der ersten Zeit keine Wettkämpfe be-              gen, weitere - vor allem fachkundige - Unterstützer
streiten durften, uns aber trotzdem sehen wollten,              zu finden. Die Sportärzteschaft wäre eine wichtige
haben wir diese gemeinsamen Trainingseinheiten                  Zielgruppe, da sich unsere Petition bzw. die schrift-
durchgeführt.                                                   liche Eingabe an Herrn Laschet und Frau Milz ganz
                                                                wesentlich auch mit der gesundheitsfördernden Wir-
Es wird aus dem Gespräch deutlich, dass Sie Trai-               kung des Sports beschäftigt.
ning als ein Therapiemittel einsetzen, um im
Sinne einer Bewältigungsstrategie Struktur und                  Frau Wefers, für die kommenden Monate wünsche
Kontrolle wieder zu gewinnen von den Folgen der                 ich Ihnen nicht nur Durchhaltevermögen und
ergriffenen Maßnahmen, um die Pandemie einzu-                    eine weitestgehend planbare Trainingsperiodi-
dämmen. Können Sie sich andere „Therapiemit-                    sierung sondern auch hoffentlich ein paar schöne
tel“ vorstellen, die ähnlich gut funktionieren wie              und erfolgreiche Wettkämpfe.
Sport?                                                          Herzlichen Dank für das Interview!
Ähnlich gut ja, genauso gut nein. Ich kann mich
ganz gut abreagieren, wenn ich male oder fotogra-               Das Interview führte Dr. Götz Lindner
fiere. Auch ein interessantes Buch, gerne mit philo-
sophischem Inhalt, kann zur Stressbewältigung bei-
tragen. Und seine Gedanken aufzuschreiben kann
ebenfalls helfen. So ist schließlich die Corona-Story
entstanden….

                      © Foto: Lothar Drechsel | Ulrike Wefers

SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal                                                                             13
Jahrgang 2021/1

COVID-Distress im Praxisalltag eines Allgemeinmediziners und Sportarztes
      von Dr. med. Michael Fritz

                                                     Die Corona-Pandemie stell-      zuerst geimpft wurden, die es am nötigsten hat-
                                                     te im Herbst und Winter         ten. Nichtsdestotrotz wünschen wir uns alle sehn-
                                                     2020 in der Arztpraxis eine     süchtig unser normales Leben zurück.
                                                     bis dahin nie gekannte
                                                                                     Diese Stimmung erfasste die ganze Breite der Ge-
                                                     administrative Herausfor-
                                                                                     sellschaft. Ich taufte sie „Covid-Distress“. Unter
                                                     derung dar. Aber COVID
                                                                                     Distress versteht man einen emotionalen Zustand
                                                     war und ist nach wie vor
                                                                                     als Reaktion auf einen bestimmten negativ wahr-
                                                     mehr als ein bürokrati-
                                                                                     genommen Stressor. Er umfasst Emotionen wie
                                                     sches Monstrum. In mei-
                                                                                     Angst, Erregbarkeit, Reizbarkeit und Traurigkeit.
                                                     ner Sprechstunde schlug
                                                                                     Das ist per se nicht pathologisch, aber die Über-
                               mir täglich das konkrete Leid meiner Patienten
                                                                                     gänge zu einer Anpassungsstörung sind fließend.
                               entgegen. Schwer geprüft zeigten sich dabei aber
                               nicht nur die an COVID Erkrankten, sondern auch       Corona-Schutzmaßnahmen können einsam ma-
                               Nichtinfizierte aus allen Schichten der Bevölke-       chen, schärfen aber auch die Sensibilität für ein
                               rung.                                                 Thema, das nicht nur alte Menschen betrifft. Über-
                                                                                     raschenderweise leiden besonders junge Leute
                               Ich habe diese persönlichen Eindrücke im Advent
                                                                                     darunter, sozial isoliert zu sein. Eine Befragung
                               2020 niedergeschrieben, als Inzidenzwerte, Ster-
                                                                                     der Ruhruniversität Bochum von fast 5000 Teil-
                               beraten, Neuinfektionen, erneuter Lockdown, Pla-
                                                                                     nehmern ergab, dass junge Erwachsene während
                               nung von Massenimpfungen und Virusmutationen
                                                                                     der ersten Corona-Hochphase stärker von Einsam-
                               unseren Alltag bestimmten. Zu diesem Zeitpunkt
                                                                                     keitsgefühlen betroffen waren als etwa ältere Men-
                               spiegelte sich die Unerbittlichkeit der Pandemie in
                                                                                     schen, die oft in langjähriger Partnerschaft mit
                               einem Bild wider, das von Verunsicherung, Angst,
                                                                                     gefestigtem Freundeskreis leben. Junge Menschen
                               Erschöpfung, Ohnmacht und Einsamkeit der Men-
                                                                                     suchen noch nach sozialer Einbindung und benöti-
                               schen geprägt war. Trotz der vielen Toten, die zah-
                                                                                     gen dazu mehr Kontakte als ältere Menschen. Auch
                               lenmäßig dem täglichen Absturz mehrerer vollbe-
                                                                                     die Langzeitstudie „Sozioökonomisches Panel“
                               setzter Jumbojets gleichkamen, blieb Corona für
                                                                                     des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
                               viele Menschen dieses „seltsame bürokratische
                                                                                     Berlin ergab, dass sich seit der COVID-Pandemie
                               Etwas“. Die Medien überschütteten uns stündlich
                                                                                     das Einsamkeitsgefühl fast verdoppelt hat und
                               mit immer wieder neuen Regeln, Maßnahmen,
                                                                                     besonders stark von Frauen und jungen Menschen
                               Statistiken, Prognosen, Test- und Impfstrategien
                                                                                     unter 30 Jahren empfunden wurde.
                               und Zuständigkeitsgerangel zwischen Bund und
                               Ländern.                                              Für Menschen, die sich schon unter „normalen
                                                                                     Umständen“ bereits einsam fühlen, kann das „So-
                               Alles war und ist sehr verwirrend. Am Ende wuss-
                                                                                     cial Distancing“ das Gefühl der Einsamkeit und
                               ten viele nicht mehr, welche Beschränkungen wa-
                                                                                     den Leidensdruck nochmal zusätzlich verstärken.
                               rum, ab wann und wo galten. Der Bevölkerung fiel
                                                                                     Ein Team vom University College London hat die
                               es schwer, schwer verständlichen alltagsfremden
                                                                                     gesundheitlichen Folgen von Einsamkeitsemp-
                               Regelungen wie der Ein-Freund Regel für die Kin-
                                                                                     findungen bei annähernd 6000 Personen, die im
                               der oder der „Schnupfenquarantäne“ zu folgen.
                                                                                     Schnitt 64 Jahre alt waren, untersucht. Die Aus-
                                             Wir erlebten, wie hilflos einige Men-   wertung ergab, dass Einsamkeit unabhängig von
                                             schen dem Virus ausgeliefert wa-        potenziellen Stör- und Risikofaktoren deutlich mit
                                             ren, weil zu viele nicht achtgaben      kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert ist. Die
                                             und rücksichtslos ohne Gespür für       Einsamkeit wurde mit Hilfe der Likert-Skala von 3
                                             Mitmenschlichkeit auf ihre eigenen      bis 9 quantifiziert. Sie beschreibt mit steigendem
                                             Interessen beharrten. Wir erfuhren      Wert ein zunehmendes Einsamkeitsgefühl. Mit
                                             aber auch Solidarität durch Distanz,    jedem höheren Punkt auf dieser Skala stieg das
                                             um diejenigen zu schützen, die ge-      Risiko einer stationären Versorgung wegen einer
                                             fährdet waren. Wir sahen Solidarität    kardiovaskulären Erkrankung (CVD). Personen die
© Foto: LSB NRW | A.Bowinkelmann
                                             durch Verständnis, dass diejenigen      einen Score von 9 aufwiesen, wurden mit einer um

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48 % größeren Wahrscheinlichkeit wegen einer          stark ein. Die Belastung war hierbei aber keines-
CVD hospitalisiert als jene mit dem niedrigsten       wegs finanziell ausgelöst, denn 72% erklärten,
Wert.                                                 durch Corona habe sich ihre finanzielle Lage gar
                                                      nicht verschlechtert. Lediglich 8% stuften ihre fi-
Dennoch war das gesellschaftliche Bild nicht ein-
                                                      nanzielle Verschlechterung als stark bis sehr stark
heitlich. Während sich die Arbeitsbedingungen
                                                      ein.
beispielsweise im Gesundheitswesen oder in Su-
permärkten spürbar verschlechterten, erhielten        Ich konnte in meiner Praxis über 450 Patienten be-
andere Bevölkerungsgruppen zusätzliche Freiräu-       fragen. Darunter 169 ambitionierte Sportler, 159
me, erlebten eine Entschleunigung des Alltags,        Nichtsportler und 139 chronisch Erkrankte.
ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein und die
                                                      Demnach belastete der zweite Lockdown die be-
Unterstützung durch ihr soziales Umfeld bzw. ihre
                                                      fragten Sportler durch negative Auswirkungen auf
Nachbarschaft.
                                                      ihre
Auch viele Sportler verloren in der COVID-Krise       • berufliche Situation            in 64 % der Fälle.
ihre Zugehörigkeit, die Bezugspunkte in ihrem         • Sozialkontakte, Vereinszugehörigkeit
Verein, ihrer Trainingsgruppe oder Fitnessstudio.                                      in 99 % der Fälle.
Die Community, also das Vereinsleben und das          • Familiäre Situation            in 84 % der Fälle.
gemeinsame Training gingen verloren. Leistungs-       • Partnerschaft                  in 40 % der Fälle.
sportler sahen sich gezwungen ihre Trainingsin-       • Stimmungslage                  in 87 % der Fälle.
halte umzustrukturieren. Dies betraf insbesondere     • Schlafqualität                 in 46 % der Fälle.
Athleten aus Schwimm- und Hallensportarten. Die       • Alkoholkonsum                  in 35 % der Fälle.
                                                      • Körpergewicht                  in 51 % der Fälle.
fehlende Planbarkeit von Wettkämpfen, Meister-
                                                      • Bewegungsgewohnheiten          in 68 % der Fälle.
schaften und Events im darauffolgenden Jahr emp-
                                                      • Trainingsmotivation            in 69 % der Fälle.
fanden viele Athleten als Unsicherheit, fehlende
                                                      • Sportliche Leistungsfähigkeit in 63 % der Fälle.
Verlässlichkeit, Perspektivlosigkeit bis hin zur
Hoffnungslosigkeit. Darunter litt auch die intrin-     Die Vergleichsgruppe von 159 Nichtsportler gab
sische Trainingsmotivation.                           an, der zweite Lockdown zeige negative Auswir-
Die repräsentative YouGov Befragung von über          kungen auf ihre
2000 Personen im ersten Lockdown ergab, dass 38       • berufliche Situation          in 64 % der Fälle.
% der Erwachsenen sich weniger bewegten und 19        • Sozialkontakte, Vereinszugehörigkeit
                                                                                     in 97 % der Fälle.
% an Gewicht zugenommen hatten. Bei den 35- bis
                                                      • Familiäre Situation          in 90 % der Fälle.
44-Jährigen gaben sogar 25% eine Gewichtszu-
                                                      • Partnerschaft                in 47 % der Fälle.
nahme an. Nur 12% der Befragten sagten, sie be-       • Stimmungslage                in 89 % der Fälle.
wegten sich seit den Corona-Maßnahmen mehr als        • Schlafqualität               in 51 % der Fälle.
zuvor und nur 8% hatten abgenommen.                   • Alkoholkonsum                in 41 % der Fälle.
Im Gegensatz zum Frühjahrs-Lockdown, der in eine      • Körpergewicht                in 51 % der Fälle.
stabile Schönwetterperiode fiel, gestaltete sich       • Bewegungsgewohnheiten        in 74 % der Fälle.
der zweite Lockdown im Dezember 2020 deutlich         • Aktive Freizeitgestaltung    in 86 % der Fälle.
trübsinniger. Der COVID- Distress fiel auf fruchtba-   • Leistungsfähigkeit           in 75 % der Fälle.
ren Boden. Statt Frühling und Sonnenschein führ-      Deutliche Abweichungen zwischen den Grup-
ten Off Season, Wintertrainingspause, Winterblues      pen zeigten sich insbesondere bei den negativen
und vorweihnachtliche Emotionalität in der Be-        Auswirkungen auf die familiäre Situation, Part-
völkerung zu Ängsten, allgemeinem Stressgefühl,       nerschaft, Schlafqualität, Alkoholkonsum, Bewe-
Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit.           gungsgewohnheiten, Trainingsmotivation bzw.
Das ZDF-Politbarometer vom 13.11.2020 bestätig-       Motivation zur aktiven Freizeitgestaltung und
te diesen Eindruck. 90% der Befragten gaben an,       Leistungsfähigkeit. Demnach scheinen den Sport-
die Corona-Krise belaste sie persönlich. 47% da-      lern in diesen Aspekten günstigere Bewältigungs-
von stuften die Belastung sogar als stark bis sehr    strategien zur Verfügung zu stehen.

SPORTMEDIZIN IN NORDRHEIN | Mitgliederjounal                                                                15
Jahrgang 2021/1

                                 Während die Sportler durch die Corona-Lockdown-       mehr Menschen zögernd vor ihrer Entscheidung
                                 Maßnahmen in 60 % d. F. weniger und in 67 % d.        standen, die angebotene Impfung tatsächlich
                                 F. ineffektiver trainierten, gaben 72% der Nicht-      wahrzunehmen.
                                 sportler an, sich weniger bewegt zu haben. Nicht-
                                                                                       Der COVID-Distress zeigt sich aber nicht nur durch
                                 sportler beschrieben ihre körperliche Bewegung
                                                                                       depressive Symptomatik unter erhöhter emotiona-
                                 im Lockdown-Alltag als überwiegend eintönig und
                                                                                       ler Belastung und Verminderung der Lebensquali-
                                 langweilig. Wohingegen 41% der Sportler die Frei-
                                                                                       tät. Distress hat auch einen negativen Effekt auf
                                 heiten des Homeoffice zu einer flexibleren Trai-
                                                                                       das Selbstmanagement im Sinne eines reduzier-
                                 ningsgestaltung nutzten, konnten nur 33% der
                                                                                       ten Selbstbehandlungsverhaltens. In der Sprech-
                                 Nichtsportler das Homeoffice zu einer körperlich
                                                                                       stunde sah man vermehrt Patienten, bei denen
                                 aktiveren Alltagsgestaltung wahrnehmen.
                                                                                       eine Erhöhung der HBA1c Werte, des Blutdrucks
                                 Der Lockdown wirkte sich demnach bei beiden           und des Bauchumfanges in den DMP Kontrollen
                                 Gruppen negativ auf den Umfang der körperlichen       auffiel. Eine britische Studie untersuchte 52 Pati-
                                 Aktivität aus, aber Sportler konnten ihre Möglich-    enten mit Diabetes mellitus Typ 1. 36,5% wiesen
                                 keiten und Befähigungen zur körperlichen Bewe-        hyperglykämische und 15,3% hypoglykämische
                                 gung auch unter den erschwerten Bedingungen           Episoden auf. Die Insulindosis wurde bei 26,9%
                                 besser nutzen: 30% der Sportler trainierten im        verfehlt, die Glukoseüberwachung bei 36,5% nicht
                                 Lockdown sogar mehr und in 38% d. F. effektiver.       routinemäßig durchgeführt und 17,4% ernährten
                                                                                       sich während des Lockdown nicht diätkonform.
                                 70 % der Nichtsportler fühlten sich im zweiten
                                                                                       Der durchschnittliche Blutzucker während der
                                 Lockdown tendenziell freudlos, niedergeschlagen
                                                                                       Lockdown-Phase betrug 276,9 ± 64,7 mg / dl im
                                 und antrieblos und in 55% d. F. mit einer Neigung
                                                                                       Vergleich zu 212,3 ± 57,9 mg / dl während der
                                 zur Hoffnungslosigkeit, Überforderung und Angst.
                                                                                       Prelockdown-Phase. Der mittlere HbA1c-Wert der
                                 Die Sportler unterschieden sich in diesen Punkten
                                                                                       Lockdown-Phase (10 ± 1,5%) war viel höher als vor
                                 nicht von den Nichtsportlern. Ihre besseren Kom-
                                                                                       dem Lockdown (8,8 ± 1,3%).
                                 pensationsmöglichkeiten durch den Sport schie-
                                 nen den vermehrten Leidensdruck der verordne-         In der Gruppe der befragten 139 Chroniker gaben
                                 ten Inaktivität nicht aufwiegen zu können.            über 70% an, im 2. Lockdown unter negativen Aus-
                                                                                       wirkungen in Bezug auf die Bewegung, Aktivität
                                 Die Wechsel von Verschärfung und Lockerung der
                                                                                       und Sozialkontakte gelitten zu haben.
                                 Corona Maßnahmen lösten sowohl unter Sport-
                                 lern als auch unter Nichtsportlern bei 60-70% der     60% gaben an, mehr Süßes und Fettes gegessen
                                 Befragten Verunsicherung, Unverständnis und           zu haben, wodurch auch ihr Körpergewicht und
                                                Ratlosigkeit aus. Die depressive       ihr Bauchumfang zunahmen. Dadurch seien bei
                                                Verstimmung unter den Chronikern       45% Blutdruck- und Blutzuckerwerte angestigen
                                                fiel dahingegen mit 40-60 etwas         und bei 25% der Befragten sei eine Eskalation der
                                                geringer aus.                          medikamentösen Therapie erforderlich geworden.
                                                                                       Dass sich während des 2. Lockdowns ihr Krank-
                                                 Es fand sich kein Unterschied zwi-
                                                                                       heitsverlauf verschlechtern habe, gaben 38% der
                                                 schen den Gruppen bei der Be-
                                                                                       befragten Chroniker an.
                                                 wertung, dass der erste Lockdown
                                                 weniger belastend empfunden wur-      Zusammenfassend erscheint es dringend notwen-
                                                 de als der zweite. Auch die Bereit-   dig, den Distress rechtzeitig zu erfassen, um ver-
                                                 schaft sich gegen COVID 19 impfen     meidbar schweren Verläufen und seinen Folgen
                                                 zu lassen, wurde vor Weihnachten      entgegen zu wirken, bevor sich die vielfältigen
                                                 von beiden gleich beantwortet. Nur    negativen Auswirkungen auf den Gesundheitszu-
                                                 13,5 % der Befragten standen der      stand der Gesamtbevölkerung manifest auswirken.
                                                 Impfung völlig ablehnend gegen-
                                                 über. Erst zum Jahreswechsel konn-
© LSB NRW | A. Bowinkelmann: Dr. Michael Fritz   te man beobachten, dass immer

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