Standard-basiertes 3-Ebenen Mentoring in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

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ATEE 29th Annual Conference – ITALIA 2004

  Standard-basiertes 3-Ebenen
Mentoring in der Lehrerinnen- und
                  Lehrerbildung

                            Alois Niggli
               Pädagogische Hochschule, Freiburg (CH)
                     Murtengasse 36, CH-1700 Freiburg
     Tel. ++41 (0) 26 305 72 55 / e-mail: nigglia@edufr.ch / www.hepfr.ch

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Abstract

Mentorpersonen fällt die Aufgabe zu, lernwirksame Förderungsbeziehungen
aufzubauen und zu gestalten. Dazu wird ein Modell unterbreitet, das drei
relevante Handlungsebenen unterscheidet: (a) Praktisches Tun, (b)
Theoretische und praktische Hintergrundtheorien, (c) Professionelles Selbst.
Mit diesen Ebenen werden drei korrespondierende Gesprächmodi verknüpft:
(aa) Feedback, (bb) Reflexives Praxisgespräch und (cc) Coaching der Person. Die
Absicht dieses Vorgehens besteht darin, auf diesen drei Wegen unterschied-
liche Entwicklungsanstösse zu fokussieren.

Ausgangslage

Wie wird man eine gute Lehrerin oder ein guter Lehrer? Es gibt zwei
Hauptgründe, weshalb diese Frage nicht eindeutig zu klären ist. Deshalb ist
gezieltes Mentoring für Lehrerinnen und Lehrer notwendig.

Ein erster Grund liegt in der Natur des erzieherischen Verhältnisses selbst. Wer
morgens sein Auto zur Reparatur bringt, kann am Abend den Erfolg sehen.
Über den Erfolg pädagogischer Massnahmen lässt sich jedoch nichts
Handfestes sagen. Jeder erzieherische Einfluss und jede Lehre geschieht in
Form einer Beziehungspraxis. Alle, die mit Kindern und Jugendlichen
umgehen, wissen, dass Unterricht und Erziehung deshalb nie sicheren Erfolg
zeitigen können. Erzieherische und sachliche Ziele lassen sich immer nur
annäherungsweise erreichen (Combe, 1997, S. 10). Man kann sogar behaupten:
je wichtiger die Zielsetzung, desto ungewisser ist der Erfolg. Darin
unterscheidet sich der Schwimmunterricht von der Moralerziehung. Deshalb
können Lehrkräfte die folgende Frage nur selten spontan beantworten: Worauf
sind Sie in ihrem Beruf besonders stolz?

Worauf man als eine gute Lehrerin oder ein guter Lehrer stolz sein kann, kann
auch die Wissenschaft nicht klar beantworten. Dies ist der Zweite Hauptgrund,
der für gezieltes Mentoring spricht. Die Praxis lässt sich durch die
wissenschaftliche Theorie nicht determinieren. Was Autoren der
deutschsprachigen Pädagogik wie Schleiermacher (1983, S. 434) oder Herbart
(1964 ) im Grunde genommen schon immer klar gewesen war, wird auch in
aktuellen Positionen zum Theorie-Praxisbezug (Bourdieu, 1992, S. 101; Schön,
1987, S. 26) weitgehend bestätigt. Das Professionswissen der Lehrerinnen und
Lehrer ist erfahrungsgebunden, handlungsorientiert und situationsspezifisch
organisiert (Carter, 1990, S. 307). Disziplinäres Wissen kann die Handlung unter
Umständen beeinflussen, nicht aber bestimmen. Der Traum von der
akademischen Herstellbarkeit professioneller Handlungskompetenz ist
endgültig ausgeträumt.

Diese beiden Gründe erschweren die Tätigkeit der Lehrkräfte. Deshalb ist es
offenkundig, dass sie darauf angewiesen sind, sich im Verbund mit anderen
Menschen über ihre Situation verständigen zu können. Deshalb sollte Lernen
wenn immer möglich reflexiv, situiert und interaktiv arrangiert werden. Interne
Regulationen müssen bedeutsam werden. Soziale Konstruktion ist dazu
notwendig. Mentoring1 ist eine Möglichkeit, sich diesen Ansprüchen anzu-
nähern.

1
  Mentor (oder Mentes) ist in der griechischen Mythologie der Freund des Odysseus. Er
kümmert sich während der Irrfahrten des Königs um seinen Sohn Telemach und wird zur
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Beschreibung eines Modells zum differenzierten Mentoring

Ein entsprechendes Modell sollte zum einen der aufgezeigten strukturellen
Offenheit des pädagogischen Handelns Rechnung tragen. Gleichzeitig müssen
in einer Ausbildung auch Möglichkeiten geschaffen werden, Ausbildungs-
standards in eine Problemlösesituation einzubinden. In untenstehender Abb. 1
wird ein sogenanntes 3-Ebenen-Modell zum Mentoring vorgestellt, das sich an
diesen Grundvoraussetzungen orientiert.

Zuerst werden drei Ebenen für Mentoring vorgeschlagen. Diese Ebenen
beziehen sich auf drei Perspektiven, nach denen eine Handlung betrachtet
werden kann (vgl. Handal, G; Lauvas P, 1987, S. 28).

Die erste Ebene betrifft den konkret sichtbaren Handlungsvollzug. Auf dieser
Ebene wird "Können" manifest (Ryle, 1969), weil es der Beobachtung hier direkt
zugänglich ist. Können ist die Vorstufe des praktischen Tuns. Es ist mit ihm
verbunden, beruht aber zusätzlich auch auf einer multiplen Basis an
Hintergrundwissen (vgl. Herzog 1995, S. 261).

Die zweite Ebene betrifft dieses Hintergrundwissen. Dieses Wissen integriert
verschiedene Wissensformen. Es ist in propositionaler Form, beispielsweise als
erziehungswissenschaftliches Wissen oder auch als subjektive Theorie (Wahl,
1991, S. 188f.) nur zum Teil verfügbar. Ein Grossteil dieses Wissens ist eher im
Handeln und nicht im Bewusstsein zugänglich (Herzog, 1995, S. 262). Es ist Teil
des Könnens und von diesem nur analytisch zu trennen. Ryle (1969, S. 26 ff.)
unterscheidet in vergleichbarer Weise „Können“ ("knowing how") und „Wissen“
("knowing that"). Beobachtungen auf diesen zwei Ebenen können sich an
vereinbarten Beobachtungsstandards, die Wissen und praktisches Tun
gemeinsam beinhalten, orientieren (Oser, 1997).

Die dritte Ebene betrifft das berufliche Selbstverständnis von Lehrern. Weil ihr
Handeln nie sicheren Erfolg zeitigen kann, erleben Lehrkräfte häufig
Enttäuschungen. Deshalb sind sie als Person ständig herausgefordert. Auf
dieser Ebene setzen Lehrkräfte Ziele deshalb nicht in erster Linie für die
Schülerinnen und Schüler, sondern für sich selbst. Sie sind damit Gegenstand
der Selbstwahrnehmung. Darunter wird in Anlehnung an Bauer (1998, S. 344)
ein Bewusstsein verstanden, das die persönlichen Entwicklungsaufgaben
steuert, die jedem künftigen Pädagogen gestellt sind. Lehrkräfte sind
herausgefordert, l ihre Entwicklung zur Profession zu planen. Diese persönliche
Ebene ist, wie das folgende Beispiel zeigt, vom beruflichen Handeln nicht zu
trennen.

Ein Student hat versucht, seine Klasse zu vermehrtem kooperativem Lernen anzuregen. Er ist
damit weitgehend gescheitert und eröffnet dem Ausbildner, dass er auf derartige Versuche
künftig eher verzichten wolle. Diese Erfahrung kann nun grundsätzlich auf den drei
Handlungsebenen besprochen werden.

1. Ebene der konkreten Massnahmen: Hier könnte untersucht werden, ob vereinbarte
Durchführungsstandards tatsächlich eingehalten worden sind (Bsp. Klarheit der
Aufgabenstellung, Eignung der Aufgaben für kooperatives Lernen, etc.).

emotionalen und intellektuellen Leitfigur des Jünglings. In dieser Eigenschaft wird er ein
Vorbild für Erzieher und zum "Vater" des modernen Mentoring in Wirtschaft und Wissenschaft
(Strasser & Schliesselberger, 2000, S. 13).
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2. Ebene des Hintergrundwissens: Hier wäre beispielsweise zu klären, über welche
Voraussetzungen für kooperatives Lernen die Schülerinnen und Schüler dieser Klasse verfügen,
bzw. nicht verfügen und welche Gesichtspunkte kooperativen Lernens damit kompatibel sind
und welche allenfalls nicht.

3. Ebene des beruflichen Selbst2: Hier wäre auf die möglichen Enttäuschungen des Studenten
einzugehen, ihn über seine Wertvorstellungen und Ziele zu befragen und nach Strategien zu
suchen, die dienlich sein könnten, sich mit kurz- oder mittelfristig ausbleibenden Erfolgen zu
arrangieren.

Insgesamt lassen sich die drei Ebenen als zunehmend verallgemeinertes
Kompetenzvermögen (s. Treml, 2000, S. 115) auffassen. Auf Ebene 1, in der Welt
des Tuns, werden konkrete Skills bearbeitet. Auf Ebene 2 geraten nicht
beobachtbare regelhafte Handlungsvoraussetzungen, die losgelöst von der
konkreten Situation existieren können, ins Blickfeld. Schliesslich wird auf Ebene
3 das allgemeine Kompetenzvermögen in Form von Haltungen (beliefs),
übergeordneten Zielsetzungen, Fähigkeiten angesprochen, die sich individuell
längerfristig stabilisieren.

Zur Wahl der Gesprächsebenen beim Mentoring

Mentorpersonen müssen sich jeweils Klarheit verschaffen, welche
Handlungsebene sie im Gespräch fokussieren möchten. Dazu werden den
Handlungsebenen drei korrespondierende Gesprächstypen (verstanden als
spezifische Förderungsmodi) zugeordnet, nämlich der ersten Ebene das
"Feedback erweiternde Praxisgespräch" und der zweiten Ebene das "reflexive
Praxisgespräch". Entwicklungsaufgaben auf der dritten Ebene werden durch
"Coaching" begleitet.

Ebene 1 und 2 bedingen jeweils eine andere Behandlung, weil Erklärungs- oder
Regelwissen im Gegensatz zum praktischen Tun erst in Können transformiert
werden muss. Auf Ebene 3 geht es um die Person des Lehrers selbst. Es leuchtet
deshalb ein, dass auf dieser Ebene wiederum eine andere Gesprächslogik
geboten ist als im Diskurs über standardbezogenes Berufswissen.

Welcher Gesprächstyp jeweils dominiert, ist a priori nicht zu entscheiden.
Mentorpersonen sind gefordert, ihre Beobachtungen zu prüfen, inwieweit sie
für die einzelnen Ebenen relevant sind. Bevor sie ein Gespräch beginnen,
ordnen sie wichtige Beobachtungsdaten den drei Ebenen zu. Ihre
Gesprächsführung richtet sich dann nach dieser Klassifikation. Das bedeutet:
eine Klasse von Ereignissen wird über Feedback rückgemeldet und in der Regel
nicht weiter besprochen. Andere Ereignisse werden gemeinsam reflexiv zu
klären versucht. Unter Umständen muss auch die persönliche Steuerungs-
ebene durch ein Coaching angesprochen werden. Die durch die verschiedenen
Gesprächstypen beabsichtigten Ebenen der Problembehandlung im
Mentoringprozess sollten sich nacheinander ablösen und nicht unspezifisch
vermischt werden. Nur so ist gewährleistet, dass unterschiedliche Ent-
wicklungsebenen gezielt angegangen werden können.

2
  Dieser von Bauer (1998) verwendete Begriff mag zwar wenig präzise sein. Allerdings eröffnet
er Anschluss an Entwicklungsaufgaben, die die Person in ihrem So-Sein betreffen und nicht
lediglich einzelne berufliche Kompetenzen kennzeichnen.

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Ebenen                                  Ebenen                Entwicklungsanstösse
                    der Handlung                          der Besprechung                 im Können
                    Professionelles
                                                            Persönliches                     Wissen über
                         Selbst:         Gesprächsebene
                                                             Coaching                        sich selbst
                     Werte / Ziele /            3
  Standards              Motive                                                                 klären
  vereinbaren         Theoretische
                                         Gesprächsebene      Reflexives
                                                                                            Professionelles          T
                     und praktische                                                          Hintergrund-
                                                           Praxisgespräch
                      "Hintergrund-             2
                                                                                                  wissen                      K
                        theorien"                                                            differenzieren
                    Praktisches Tun                          Feedback                         Unterrichts-
  Handlungen            (Vollzug)        Gesprächsebene     erweiterndes                        verhalten
  beobachten                                    1
                                                           Praxisgespräch                        ("skills")
                                                                                               optimieren

                       Resultat:
                      Handlung            Mentoring                                                        T: Theorie der Praxis
                      gelingt nie                                             Optionen:
                        perfekt                                                Neue                        K: Praktisches Können
                                                                             Handlungs-                        (Standards)
                                                                            möglichkeiten

Abb. 1: Modell des 3-Ebenen-Mentoring (3EM)

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Erläuterungen zu den Gesprächsebenen im 3-Ebenen-Mentoring (3EM)

Die Begleitung durch Mentorpersonen hat auf allen drei Gesprächsebenen das Ziel, die
Entwicklung professioneller Kompetenz zu fördern. Ihr Einfluss unterscheidet sich auf den
drei Ebenen wie folgt:

Ebene 1: Rückmeldungen auf das konkret wahrnehmbare Unterrichtsverhalten durch das
Feedback erweiternde Praxisgespräch

Als Gütemassstab gelten praxiswirksame (im weiteren Sinne technische) Regeln. Das
Handeln wird somit unter instrumentellen Perspektiven beobachtet. Was ist erfolgreich,
was nicht? Wegleitend ist eine Zweck-Mittel-Rationalität. Je nach Kontext lassen sich die
wahrnehmbaren Basisskills eher als geschlossen oder offen unterscheiden (Tomlinson,
1998, S. 15). Geschlossene Skills haben wenig Kontext. Sie sind algorithmisch beschreib-
und lernbar (z. B.: „Einen verständlichen Kurzvortrag halten“). Offene, komplexe Skills
haben mehr Kontext (z. B.: Kooperativen Unterricht adäquat einsetzen). Die zugeordnete
Gesprächsform orientiert sich an üblichen, für Ausbildungszwecke adaptierbaren
Feedbackregeln (s. Antons, 1996). Die Einstiegsformulierungen, die für das Gespräch
gewählt werden, erinnern an das zentrale Anliegen der Praxiswirksamkeit. Eingespielt
haben sich beispielsweise die folgenden Aussagen:

"Ihre folgenden Massnahmen habe ich als sehr lernwirksam empfunden .. "

"Die Schülerinnen und Schüler hätten vermutlich noch besser lernen können, wenn Sie..."

Positive Rückmeldungen sind im Normalfall zahlreicher als Hinweise zur Optimierung des
Lehrerverhaltens. Aufgrund der unsicheren Resultate erzieherischen Handelns sind
angehende Lehrkräfte auf stützende Hinweise über die Wirkung ihrer Massnahmen
angewiesen. Bestätigende Aussagen sind für ihre Selbsteinschätzung und vor allem für
ihre Selbstwirksamkeit (Hertramp & Herrmann, 1999) möglicherweise entscheidend.

Ebene 2: Klärung des Hintergrundwissens durch das reflexive Praxisgespräch

Referenzpunkt auf Weg 2 ist das Wissen, das mehr oder weniger losgelöst von der
konkreten Tätigkeit existiert. Dieses Regelwissen kann aus unterschiedlichen Quellen
stammen (vgl. Shulman, 1986, 1987). Es umfasst u. a. sowohl nomologisches Wissen der
wissenschaftlichen Disziplinen wie auch das professionelle Wissen kompetenter
Lehrpersonen. Das zugeordnete reflexive Praxisgespräch zielt auf Verständigung über das
Erklärungswissen. Reflexion soll zu einer Ausdifferenzierung des Hintergrundwissens
beitragen. Es hat sich als praktikabel erwiesen, entsprechende Gespräche wie folgt zu
strukturieren:

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Selektion relevanter Ereignissse        Für jedes relevante Ereignis

  1. Beschreibung                       2. Analyse                        3. Synthese
Beschreibung der            Informieren      Konfrontieren            Rekonstruieren
relevanten                  Hintergrund-     Zusätzliche              Ist das Hinter-
Ereignisse, auf die         wissen klären    Perspektiven             grundwissen zu
man sich bezieht                             einbringen               modifizieren?
Mentor/in und               Studierende      Mentor/in                Mentor/in und
Studierende                                                           Studierende

Abb. 2: Phasen im reflexiven Praxisgespräch

Vorerst wird die wahrgenommene Realität von beiden Partnern deskriptiv dargestellt. Die
Mentorin/der Mentor gibt anschliessend Anstösse zur persönlichen Klärung des
Hintergrundwissens (z. B. "Welche Vorannahmen haben Sie zum Vorwissen der Lernenden
getroffen?"). Inspirationen der Mentorperson beim Konfrontieren sind Offerten, die von
den Handelnden angenommen oder auch verworfen werden können. Ein entsprechendes
System von Gesprächskategorien ist erarbeitet worden (s. Niggli, 2001). Wegleitend ist
dabei das theoretische Paradigma des „concptual change“ (Posner et al., 1982). Je nach
situationalen Voraussetzungen weisen sie der Mentorperson auf einer Direktivitätsskala
zunehmenden Einfluss zu: "Emotionale Akzeptanz" - "Ermutigung" - "Anerkennung von
Hintergrundwissen" - "Veranlassung von Erkundigungen" - "Offerieren von Informationen"
- "Anweisungen geben" - "Problemsituation bewältigen". Die Realität wird dabei unter dem
Anspruch untersucht, gemeinsam neues Hintergrundwissen zu generieren. In der
Synthesephase wird das Hintergrundwissen deshalb allenfalls neu strukturiert (z. B. "Gibt
es Dinge, die Sie anders sehen als zu Beginn des Gesprächs?"). Conceptual change hat
stattgefunden.

Ebene 3: Eingehen auf das berufliche Selbst durch personenbezogenes Coaching

Das Coaching-Gespräch fördert das Verständnis „über mich selbst". Diese
Selbstbeobachtung hat überprüfende Funktion. Sie sollte nicht dazu führen, sich auf
Unzulänglichkeiten zu fixieren. Es geht dabei nicht primär um Qualifizierung, sondern um
Subjektwerdung. Konkret bedeutet dies u. a.:

-   sich als Veränderungsprojekt zu verstehen und entsprechend zu handeln,

-   eigenes Lernen und Handeln reflektiert zu begleiten.

Dieser Prozess kann nicht gelingen, wenn man nur um sich selbst kreist, sondern er setzt
die Auseinandersetzung mit dem anderen voraus (Geissler, 1996, S. 259f.). Deshalb haben
Mentoren hier eine zentrale Bedeutung. Dieser Erkenntnisprozess wird in zwei Schleifen
strukturiert (Furter, 2000). Er geht von einer aktuellen Frage-/Problemstellung in der
Gegenwart aus. Dann bildet er in einer „Schleife“ in die Vergangenheit, um die gewordene
Situation und deren Ursachen zu verstehen. Der Weg kehrt zur Coacheeperson zurück. Sie
ist Entscheidungsinstanz.

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Ausgangslage/
  Tatsachen                                      Ziele, Prinzipien           Alternativen
                          Problem

                                Coachee, der/die mit der
        Situations-             notwendigen Bewusstheit
                                                                     Entscheidungs-
                                und Erkenntnis für
        analyse                 seine/ihre Situation einen           findung
                                "guten" Entscheid treffen
                                kann.

 Hintergründe           Diagnose                     Entscheidung           Konsequenzen

Abb. 3: Erkenntnisprozess im Coaching (Furter 2000)

Die folgende Schleife der Entscheidungsfindung nimmt ihren Ausgang bei Zielen und
Prinzipien, die die Coacheeperson festlegt. Sie reicht dann in die Zukunft und beantwortet
die Frage: wie könnten die künftige(n) Situation(en) aussehen, und welches wären die
Konsequenzen? Der Weg kehrt dann wiederum zur Coacheeperson zurück, die schliesslich
eine Entscheidung zu treffen hat. Die Aufgabe des Coachs besteht nun darin, die
Coacheeperson durch diese Schlaufen zu begleiten und dabei die verschiedenen Phasen
zu strukturieren. Sein wichtigstes Arbeitsinstrument findet der Coach in der Fragetechnik
der offenen Frage. Seine Strategie ist somit eher nicht-direktiv.

Trotz dieser Grundhaltung ist ein Unterschied zu Beratungssituationen, die in der Regel
Parallelen zu therapeutischen Prozessen haben, grundlegend. In einer professionellen
Ausbildungskultur ist die Autonomie der Klienten begrenzt. Eine öffentlich finanzierte
Ausbildung hat sich auch an bestimmten professionellen Ausbildungsstandards und ihren
Qualitätsnormen zu orientieren, die sie nicht gefährdet sehen möchte.

Voraussetzungen für notwendige Entwicklungsanstösse

Reflexion zielt primär auf die beiden "T "- Ebenen der Handlung (s. Abb. 1, verstanden als
Theorie der Praxis über mich selbst und über das professionelle Wissen). Eine vorrangige
Betonung der analytischen Reflexion wäre für die berufliche Entwicklung jedoch nicht
hinreichend. Können "K" umfasst alle drei Handlungsebenen, d. h.: Aktion und Reflexion.
Mentoring muss auch Handlungssicherheit erzeugen. Deshalb ist auch die positive
Rückmeldung auf gelungene Aktionen fundamental. Aktion und Reflexion sollten im
Mentoring-Prozess deshalb zusammenspielen. An Schluss werden Optionen formuliert, die
sowohl das Hintergrundwissen als auch das praktische Tun auf Skillebene verändern.
Gestützt auf die bearbeiteten Erfahrungen werden neue, realistische Zielsetzungen
vereinbart und in die Tat umgesetzt. Praxiswirksam wird neu erzeugtes Wissen erst im
Kontext der konkreten Unterrichtstätigkeit.

Eine professionelle Entwicklung entsteht dann zwar aus der Auseinandersetzung mit der
eigenen Unvollkommenheit. Wenn diese nicht nur wahrgenommen, sondern auch als
bearbeitbar erlebt wird, dann kann Zuversicht wachsen. Diese Zuversicht motiviert dazu,
eigenes Leben auch als Veränderungsprojekt zu gestalten und zu verantworten.
Mentorinnen und Mentoren können diesen Prozess beeinflussen, indem sie ihn durch
Feedback konkretisieren, durch Reflexion ausdifferenzieren und durch Coaching begleiten.
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Literatur:
Antons, K. (1996): Praxis der Gruppendynamik. Göttingen: Hogrefe.
Bauer, K.-O. (1998): Pädagogisches Handlungsrepertoire und professionelles Selbst von
Lehrerinnen und Lehrern. In: Zeitschrift für Pädagogik. 3, S. 343 – 359.
Bourdieu, P. (1992): Rede und Antwort. Frankfurt: Suhrkamp.
Carter, K. (1990): Teachers knowledge and learnig to teach. In: Houston, W. R.; Habermann,
M.; Sikula, M. (Ed.): Handbook of research in teacher education. New York (Macmillan), S.
291 - 310.
Combe, A. ( 1997): Der Lehrer als Sisyphus. In: Pädagogik. 4, S. 10 – 14.
Furter, R. (2000): Das Coachinggespräch als Bewusstseins-, Erkenntnis- und
Entscheidungshilfe. Internes Papier. Universität Freiburg. Departement
Erziehungswissenschaften.
Geissler, H. (1996): Arbeit, Lernen und Organisation. Weinheim. Beltz.
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