ÖSTERREICH REAL - KINO KULTUR HAUS 10-11/2022 - Filmarchiv Austria
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10–11/2022 S ULTUR HAU KINO K ÖSTERREICH REAL DOKUMENTARFILM IN KRISENZEITEN PETER SCHREINER | 100 JAHRE OSKAR WERNER
INHALT AUSSTELLUNG 100 JAHRE OSKAR WERNER | BIS 29.1.2023 04 FILMPROGRAMM OSKAR WERNER | 5.11.–30.11. 09 OSKAR-WERNER-SPECIAL: GYMNASIUM MARCHETTIGASSE | 8.11. 14 SPECIAL ZUM 100. GEBURTSTAG: EIN TAG MIT OSKAR WERNER | 13.11. 16 RETROSPEKTIVEN V’22: ÖSTERREICH REAL | 22.10.–29.11. 18 PETER SCHREINER | 10.11.–30.11. 36 KINOSTARTS IT WORKS II | 2.11.–16.11. 55 DIE SCHRIFTSTELLERIN, IHR FILM UND EIN GLÜCKLICHER ZUFALL | 5.11.–17.11. 56 A LITTLE LOVE PACKAGE | 18.11.–28.11. 57 MUTZENBACHER | 19.11.–28.11. 58 FILM | UNIVERSITÄT DIE »NEO-UFA« | 7.11.–21.11. 60 FILM NOIR MEETS JAZZ | 8.11.–22.11. 62 REIHEN SECOND LIFE | 3.11.–29.11. 64 KINDER KINO KLASSIKER | 5.11.–27.11. 66 WILD FRIDAY NIGHT | 11.11. 68 JÜDISCHER FILMCLUB WIEN | 16.11. 70 EIN ABEND MIT | 30.11. 72 SPECIAL DER NABEL DES TRAUMS | 12.11. 74 FESTIVAL XIV. MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL | 20.11.–25.11. 76 SATYR FILMWELT 78 CLUB 82 SPIELPLAN 84
EDITORIAL K risen, wohin man sieht. Noch nie wurde Realität so perma- nent und intensiv abgebildet wie in diesen Zeiten. Die enorme Bandbreite an filmischen Formen, Zugängen und Verarbeitungen, wie sie heute auch im heimischen Dokumen- tarfilm zu finden ist, ist dabei keineswegs selbstverständlich. Die diesjährige Viennale-Retrospektive Österreich real und die gleichnamige Publikation bilden den Auftakt zu einer weiterführenden spannenden Auseinandersetzung mit der 40-jährigen Geschichte österreichischer Dokumentation. Er bewegt sich gekonnt jenseits aller Kategorisierungen und in der Regel gegen den Strom: Peter Schreiner, Menschen liebender Solitär und sensibler Grenzgänger. In der bislang umfassendsten Werkschau des Wiener Kameramanns und Regisseurs präsentieren wir brandneue Restaurierungen des Filmarchiv Austria sowie den neuen Band der Edition »Film Geschichte Österreich«. Krisen spielten eine wohl prägende und auch treibende Rolle im Leben von Oskar Werner, dem heuer die große Ausstellung im METRO Kinokulturhaus ge widmet ist. Hier trat er mit 19 Jahren als Schauspieler auf, hielt die erste seiner berühmten Lesungen. Anlässlich seines Geburtstages am 13. November feiern wir den Jahrhundert- künstler mit einem speziellen Jubiläumsprogramm: Großes Kino für Oskar Werner! Ernst Kieninger und das Filmarchiv-Team 3
AUSSTELLUNG BIS 29. JÄNNER 2023 O skar Werner im METRO Kinokulturhaus: Hier absolvierte er im Alter von 19 Jah- ren einen seiner ersten Auftritte als Schauspieler und hielt als »Stimmspieler« kurze Zeit später die erste seiner berühmten Lesungen. Seit März ist der in Wien geborene Weltstar wieder präsent mit der ihm gewidmeten großen Ausstellung, die auch anhand von bislang unveröffentlichtem Material aus dem vom Filmarchiv Austria aufgearbeiteten Nachlass neue Einblicke liefert in ein grenzgängerisch- geniales Leben und Werk. Anlässlich seines 100. Geburtstages am 13. November feiern wir den Jahrhundertkünstler mit einem speziellen Jubiläumsprogramm: Großes Kino für Oskar Werner! Der 13. November startet mit einem Filmfrühstück (S. 12), weiters finden Führungen durch die Ausstellung statt sowie spezielle Bühnen- und Filmprogramme (S. 17). Ein Oskar-Werner-Special (S. 15) führt am 8. November an das Bundesrealgymnasium Marchettigasse, wo Werner einen Teil seiner Schulzeit verbrachte. V'22-Aktion: Ermäßigter Eintritt in die Ausstellung mit einem Viennale-Ticket! 5
FILMARCHIV AUSTRIA ONLINE Weitere Digitorials: DIGITORIAL »100 JAHRE OSKAR WERNER« KOSTENLOSE ONLINE-AUSSTELLUNG DAS METRO 125 JAHRE KINO Oskar Werner mit seiner Großmutter Karoline Zelta, HANS MOSER Ende 1930er-Jahre Begleitend zur aktuellen Ausstellung im METRO Kino kulturhaus gibt das Digitorial »100 Jahre Oskar Werner« vertiefende Einblicke und beleuchtet auch bislang unbekannte Seiten des Schauspielers und Privatmenschen. KINO WELT WIEN Seit 2018 präsentieren interaktive Online-Ausstellungen Hintergründe zur österreichischen Film- und Kino geschichte und ergänzen so ausgewählte Programm- und Sammlungsschwerpunkte des Filmarchiv Austria in kurzweiliger, digitaler Form. DIE STADT OHNE
OSKAR WERNER | AUSSTELLUNG AKTUELLE VERMITTLUNGANGEBOTE »To preserve and to show«: Als »aktives Archiv«, das die intensive Sammlungsarbeit auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich und buchstäblich anschaulich machen möchte, bietet das Filmarchiv Austria ein zielgruppenorientiertes Vermittlungs programm für Schüler- und Studentengruppen sowie Individualpersonen an. Für Gruppen sind Führungen auch außerhalb der Öffnungszeiten buchbar. Bitte richten Sie Ihre Anfrage an ausstellungen@filmarchiv.at. Unsere Vermittlungsangebote können mit dem Kombiticket auch mit einem Kinobesuch verbunden werden. Weitere Informationen auf www.filmarchiv.at/education SA 29.10., 15:00 | SA 5.11., 15:00 | SO 13.11., 15:00 (L) SO 13.11., 17:00 (L) | SA 19.11., 15:00 FÜHRUNG Eine spannende Tour durch Oskar Werners künstlerisches Universum und seinen privaten Mikrokosmos. Dauer: ca. 90 min Kosten: 9,– | ermäßigt 7,– MI 2.11., 14:30 (K) | MI 9.11., 14:30 (L) | SO 13.11., 14:00 (K) | SO 13.11., 16:00 (K) MI 16.11., 14:30 (K) | MI 23.11., 14:30 (L) | MI 30.11., 14:30 (K) KURATORENFÜHRUNG Raimund Fritz gibt detaillierte Einblicke und widmet sich abwechselnd Oskar Werners Leben (L) und Kunst (K). Dauer: ca. 100 min Kosten: 9,– | ermäßigt 7,– Anmeldung erbeten unter ausstellungen@filmarchiv.at (beschränkte TeilnehmerInnenzahl) 7
BÜCHER | DVD/BLU-RAY | KALENDER | POSTER KATALOG ZUR AUSSTELLUNG KALENDER 2023 DVD/BLU-RAY 100 JAHRE OSKAR WERNER OSKAR WERNER DER ENGEL MIT Raimund Fritz/ Raimund Fritz (Hg.) DER POSAUNE Martina Zerovnik (Hg.) Wandkalender mit Karl Hartl Mit zahlreichen bislang unveröf- 13 Abbildungen Neu restaurierte Fassung mit fentlichten Abbildungen Booklet und Bonusmaterial POSTEREDITION BUCH OSKAR WERNER Weitere Produkte im Webshop OSKAR WERNER – Set mit drei exklusiven auf www.filmarchiv.at oder direkt SEINE FILME Poster- Porträts im METRO Kinokulturhaus Raimund Fritz (Hg.) Umfassende Filmografie und unbekannte Hintergründe
OSKAR WERNER | FILMPROGRAMM SA 5.11., 17:00 | MI 16.11., 16:45 DER LETZTE AKT G. W. Pabst, A 1954/55 BUCH Fritz Habeck, nach dem Roman Ten Days To Die von Michael A. Musmanno | KAMERA Günther Anders, Hannes Staudinger | MUSIK Erwin Halletz | MIT Albin Skoda, Oskar Werner, Lotte Tobisch, Erik Frey, Curt Eilers 115 min | s/w, dt. OF, 35mm Der Film spielt fast zur Gänze im Bunker der Reichskanzlei im April 1945 und zeigt die letzten zehn Tage im Leben von Adolf Hitler. Basierend auf einen Sachroman ist Werners Figur des Hauptmann Wüst die einzige, die nicht historisch verbürgt ist, wodurch es dem Schauspieler möglich ist, seine persönlichen Erlebnisse – Werner war einst Soldat der Wehrmacht – in die Rolle einzubringen. Damit die Produktion – es ist der erste Film nach 1945, der sich mit Hitler beschäftigt – umgesetzt werden kann, verzichtet er sogar auf einen Teil seiner Gage. Sprichwörtliche Popularität erlangen Werners letzte Worte: »Sag nie wieder ›Jawohl‹, denn damit hat der ganze Mist angefangen ... Seid wachsam!« Marlon Brando war so beeindruckt von seiner Darstellung, dass er sich die Todesszene mehrmals vorführen ließ. (rf) DI 8.11.: Oskar-Werner-Special im Gymnasium Marchettigasse mit Filmvorführung, Eintritt frei (S. 15) 9
OSKAR WERNER | FILMPROGRAMM MI 9.11., 17:00 | MO 14.11., 18:00 EROICA Walter Kolm-Veltée, A 1947/49 BUCH Walter Kolm-Veltée, Norbert Kunze KAMERA Günther Anders | MUSIK Alois Melichar MIT Ewald Balser, Marianne Schönauer, Judith Holzmeister, Oskar Werner, Dagny Servaes 98 min | s/w, dt. OF, 35mm Ein Biopic über Ludwig van Beethoven mit einem genialen Ewald Balser als Musikgenie. Oskar Werner spielt dessen labilen Neffen Karl. Es ist die erste Zusammenarbeit der beiden Burgschauspieler vor der Kamera, die mit ihrem Können dem Film den Stempel aufdrücken. EROICA ist ein österreichischer Prestigefilm, der auf den Filmfestspielen von Cannes und São Paulo gezeigt wird. (rf) FR 11.11., 20:00 | MI 23.11., 18:00 ZWISCHENSPIEL Kevin Billington, US 1967 INTERLUDE | BUCH Lee Langley, Hugh Leonard KAMERA Gerry Fisher | MUSIK Georges Delerue MIT Oskar Werner, Barbara Ferris, Virginia Maskell, Donald Sutherland, John Cleese 113 min | Farbe, dF, 35mm Der verheiratete Stardirigent Zelter ist ständig auf Tournee und beginnt eine leiden- schaftliche Affäre mit einer Reporterin. Als seine Ehefrau dahinterkommt, verlangt sie von ihm, sich für eine der beiden zu entscheiden. Auf seiner künstlerischen Suche nach der inneren Wahrheit bringt Oskar Werner nach MOZART auch hier viel von sich in die Rolle ein (Kostüm, Musikauswahl), weshalb INTERLUDE zu seinen persönlichsten Filmen zählt. (rf) 10
OSKAR WERNER | FILMPROGRAMM SA 12.11., 19:30 EIN GEWISSER JUDAS Oskar Werner, BRD 1958 BUCH Harald Zusanek, nach dem Stück Un nommé Judas von Claude-André Puget und Pierre Bost KAMERA Hannes Staudinger | MIT Oskar Werner, Gertrud Kückelmann, Karl Lieffen, Josef Sieber 73 min | s/w, dt. OF, DCP Passionsspiel basierend auf einem Theaterstück, das den Verrat an Jesus Christus aus der Sicht von Judas Ischariot zeigt – Ende der 1950er-Jahre ein gewagtes Unterfangen und von etlichen Rezensenten entsprechend kritisiert. Es ist Werners erster TV-Film und gleichzeitig seine einzige Regiearbeit, für die er zahlreiche Freunde aus seiner Theaterzeit engagiert. Ein absolut seltenes Filmerlebnis! (rf) SA 12.11., 21:00 | SO 20.11., 16:30 JULES ET JIM François Truffaut, F 1961 BUCH François Truffaut, Jean Gruault, nach dem Roman von Henri-Pierre Roché | KAMERA Raoul Coutard | MUSIK Georges Delerue | MIT Jeanne Moreau, Oskar Werner, Henri Serre, Marie Dubois 106 min | s/w, franz. OmeU, DCP Die Geschichte zweier Freunde, die sich in dieselbe Frau verlieben, zählt bei Publikum und Kritik gleichermaßen zu den größten Erfolgen der Nouvelle Vague und beeinflusst das Lebensgefühl einer ganzen Kinogeneration. Truffaut einige Jahre später über ihre erste Zusammenarbeit: »Werner, von dem sich das Publikum bewegt fühlte, verstand nicht ein Viertel seines Textes […]. Was er jedoch in den Film hineinlegte, beweist den großen Burgschauspieler.« (rf) 11
OSKAR WERNER | FILMPROGRAMM SO 13.11., 13:00 (OF) | SO 27.11., 16:30 (DF) SHIP OF FOOLS Stanley Kramer, US 1964 DAS NARRENSCHIFF | BUCH Abby Mann | KAMERA Ernest Lazlo | MUSIK Ernest Gold | MIT Vivien Leigh, Simone Signoret, José Ferrer, Lee Marvin, Oskar Werner, Elizabeth Ashley, George Segal, José Greco, Heinz Rühmann 145 min | s/w, engl. OF/dF, 35mm/16mm 1933 – ein deutsches Passagierschiff steuert von Veracruz nach Bremerhaven. An Bord Menschen unterschiedlichster Charaktere und Nationen, darunter eine drogensüchtige Komtessa, in die sich der herzkranke Schiffsarzt Schumann verliebt. Mit diesem star- besetzten Drama beginnt Werners zweite Karriere in Hollywood. SHIP OF FOOLS wird sein erfolgreichster Film und macht ihn international bekannt. Für seine schauspiele- rische Leistung erhält er mehrere Auszeichnungen, wird für den Oscar und Golden Globe nominiert. Jahre später resümiert er: »SHIP OF FOOLS […] belongs to my most treasured experiences I was allowed to have.« Großen Anteil daran hat auch Regisseur Stanley Kramer, für den Oskar Werner ein »exceptional artist« ist. (rf/red) SO 13.11., ab 11:00 Filmfrühstück (inkl. Kinoticket: 20,–, keine Ermäßigungen) Anmeldung unter reservierung@filmarchiv.at In Kooperation mit der Wiener Psychoanalytischen Akademie (siehe S. 74) 12
OSKAR WERNER | FILMPROGRAMM SA 19.11., 16:45 | MI 30.11., 17:00 FAHRENHEIT 451 François Truffaut, US/GB 1966 BUCH François Truffaut, Jean-Louis Richard, nach dem Roman von Ray Bradbury | KAMERA Nicolas Roeg MUSIK Bernard Hermann | MIT Oskar Werner, Julie Christie, Cyril Cusack, Anton Diffring, Jeremy Spenser 113 min | Farbe, engl. OF, DCP Irgendwo in naher Zukunft ist die Feuerwehr nicht mehr dazu bestimmt, Brände zu löschen, sondern Bücher zu verbrennen, denn Bücher zu lesen und zu besitzen ist verboten. Der in dieser Gesellschaft lebende Feuerwehrmann Montag steht kurz vor einer Beförderung. Doch als er die Bekanntschaft einer Lehrerin macht, hinterfragt er allmählich den Sinn seiner Arbeit. Truffaut und Werner – für den es die erste inter- nationale Produktion mit einem Geldgeber aus Hollywood ist – freuen sich nach JULES ET JIM auf ihre zweite Zusammenarbeit, doch Harmonie stellt sich diesmal bei den Dreharbeiten nicht ein. Zum Knackpunkt wird die Rolleninterpretation des Montag. Truffaut will einen gefühllosen Menschen, Werner das genaue Gegenteil. Ein Kompromiss ist für beide nicht möglich. Als der Film in die Kinos kommt, bleibt der große Erfolg aus. Heute Kult. (rf) 13
Oskar Werners Zeugnis an der Staatlichen Oberschule in der Marchettigasse offenbart die Nazi-Ideologie in einem speziellen Vermerk: »Obwohl mäßig entwickelt, könnte der Junge mehr leisten. Er hat keinen Kampfgeist, ist oberflächlich, hat wenig Ausdauer und zeigt in den meisten Gegenständen infolge geringen Pflichtbewußtseins wenig Interesse. Unliebsamer Störer.« Schon im alter von 11 Jahren verfasst Oskar Werner Gedichte 14
OSKAR-WERNER-SPECIAL EINTRITT FREI GYMNASIUM MARCHETTIGASSE FESTAKT AM 8. NOVEMBER 2022 IM BRG6 MARCHETTIGASSE A m 13. November 1922 kommt Oskar Josef Bschliessmayer in Wien-Gumpendorf zur Welt und wächst in der Marchettigasse 1 A auf – in unmittelbarer Nähe jener Realschule, die er ab 1939 besucht. Das Jubiläum ist auch für das heutige BRG ein Anlass, gemeinsam mit dem Filmarchiv Austria diese besondere Verbindung zum späteren Weltstar mit einem eigens gestalteten Programm zu feiern. Anhand von Materialien aus dem Nachlass widmen sich die SchülerInnen in szenischen Lesungen und Vorträgen insbesondere dem unbekannten Frühwerk Werners. Das Filmarchiv Austria präsentiert mit DER LETZTE AKT einen Film, der dem Pazifisten Oskar Werner die Gelegenheit bot, seine persönliche Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus in seine Rolle einzubringen. 18:00 Programm der SchülerInnen BRG6 Marchettigasse 20:00 Filmvorführung DER LETZTE AKT (S. 9) Ort: Bundesrealgymnasium Marchettigasse 3, 1060 Wien | www.marchettigasse.at Zählkarten erhältlich unter post@bv06.wien.gv.at bzw. Tel. +43 1 4000 06 110 In Kooperation mit 15
Oskar Werner mit seinem Sohn Felix, Los Angeles, 1967 »Oft hat man mich gefragt, wo ich den Herzanfall studiert habe … Ich habe ihn nicht studiert. Ich habe keinen Arzt konsultiert. So habe ich gefühlt, müsste es sein. Das ist dann innere Wahrheit.« Oskar Werner über seinen Filmtod in SHIP OF FOOLS 16
EIN TAG MIT OSKAR WERNER SPECIAL ZUM 100. GEBURTSTAG AM 13. NOVEMBER D er 13. November ist im METRO Kinokulturhaus natürlich ganz und gar Oskar Werner gewidmet: Auf ein ausgedehntes Filmfrühstück folgen Führungen durch die Ausstellung, die in seine Kunst und sein Leben spannende und neue Einblicke liefern. Im Pleskow-Saal ist Werner durchgehend in seinen legendären Lesungen zu sehen – und vor allem zu hören: TV-Aufzeichnungen aus dem Theater an der Wien zeigen den großen Stimmspieler und seine Interpretationen von Goethe, Schiller und Weinheber. Nikolaus Habjan findet in seinem sublimen Puppenspiel einen ganz eigenen, faszinierenden Zugang zu Werner: eine Hommage basierend auf einer Tonaufnahme von Rilkes Cornet. Der Jubiläumstag endet schließlich mit einem ganz besonderen Highlight: der neuen, sehr persönlichen Dokumentation von Oskar Werners Sohn Felix, die im METRO Kinokulturhaus ihre Premiere feiert. PROGRAMM Ab 11:00 Filmfrühstück SHIP OF FOOLS (S. 12) Ab 14:00 Führungen durch die Ausstellung (S. 7) Nonstop-Kino: OSKAR WERNER SPRICHT GOETHE UND SCHILLER (A 1979) OSKAR WERNER LIEST JOSEF WEINHEBER (A 1979) 19:00 Puppenspiel von Nikolaus Habjan: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke 20:00 WHO IS OSKAR WERNER? (Felix Werner, CH/US 2022) Eintritt frei für FAA-Clubmitglieder (ausgenommen Filmfrühstück) 17
ÖSTERREICH REAL DOKUMENTARFILM IN KRISENZEITEN 18
RETROSPEKTIVE VOM 22. OKTOBER BIS 29. NOVEMBER 2022 »H ierzulande hat man den Dokumentarfilm lange verdrängt, obwohl und gerade weil dieser besonders zur Reflexion der gesellschaftlichen Realität und nationa- len Identität in der Lage wäre.« Dem spezifischen österreichischen Verhältnis zu dieser Gattung, das Christa Blümlinger 1986 beschreibt, steht heute eine Vielfalt an filmischen Formen und Zugängen zur Realität gegenüber, die in Krisenzeiten besonders sichtbar wird und wiederum selbst Krisen der Repräsentation zeitigt. Fünf Programme im Rah- men der Viennale, im Anschluss gefolgt von weiteren Arbeiten, sind der Versuch, in genau dieser Vielheit und im Dialog der Filme mit- und untereinander die produktiven Krisen zu kartografieren, die der Dokumentarfilm in Österreich hervorgebracht hat. Der von den KuratorInnen herausgegebene Sammelband Österreich real: Dokumentarfilm 1981–2021 wird im Rahmen der Eröffnung präsentiert. Das Programm bildet den Auftakt zu einer mehrteiligen, die Publikation begleitenden Retrospektive im METRO Kinokulturhaus. Bis einschließlich 1. November erfolgt der Ticketverkauf ausschließlich über die Viennale. 19
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE »TREIBHÄUSER DES DOKUMENTARFILMS« ALEJANDRO BACHMANN | MICHELLE KOCH S o beschreibt Klaus Kreimeier einmal Krisenzeiten. Sie bringen Konflikte mit sich, Konflikte erzeugen Reibung und versammeln unterschiedliche Perspektiven zu einem Dialog oder Streit. In Krisen wird etwas sichtbar – der Charakter eines Men- schen, die Strukturen des Gesellschaftlichen und deren Verhältnis zueinander. Das das Auge mit dem Denken und Fühlen verschaltende Medium Film trifft in Krisen auf eine potenzierte Sichtbarkeit, in der die Struktur, die das Wahrnehmbare auf einer tieferen Ebene zusammenhält, mit hervortritt. Es verhält sich mit der Realität im Dokumentarfilm wie mit der filmischen Apparatur im Kino: Sie wird immer dann sichtbar, wenn sie ins Stottern gerät, unrund läuft, Risse entstehen. »In einem Land, das seine kulturelle Identität immer noch aus ›mundgerechten‹ Darbietungen des barocken Theaters und der Operette herleitet, scheint es besonders schwierig zu sein, die Sensibilität für ein Medium, das die Wirklichkeit hinterfragt, zu wecken«, schreibt Christa Blümlinger 1986 über das spezifische österreichische Verhältnis zum Dokumentarfilm, den man lange verdrängt habe, trotz oder gerade 20
aufgrund seiner Möglichkeit zur Reflexion. Er floriert also nicht nur in der Krise, er ist selbst die Krise einer bestimmten Form der Repräsentation, die die zu einfachen, glatten Bilder und Selbstbilder, in denen Einzelne, die Gesellschaft, ein Nationalstaat sich selbst begegnen, aufbricht und zum Straucheln bringt. Die Breite der Produk- tions-, Rezeptions- und Diskursstrukturen und nicht zuletzt der filmischen Formen der dokumentarischen Gegenwart in Österreich war damals noch nicht abzusehen. Ohne die Einführung des Filmförderungsgesetzes 1981 wäre sie auch in dieser Form nicht entstanden. Das hier präsentierte Programm mit Kurz- und Langdokumentarfilmen aus der Zeit zwischen 1973 und 2022 kann kein Bild des Dokumentarfilms in Österreich in den letzten vierzig bis fünfzig Jahren vermitteln. In Andeutungen und filmischen Kombi- nationen kann es aber von einer Vielheit erzählen – der Formen, der Zugänge, der Situiertheiten und Anlässe –, die extrapoliert eines der zentralen Merkmale des Dokumentarfilms in Österreich ist. Aus dieser Beobachtung wiederum ließe sich der Dokumentarfilm gerade in seiner Formenvielfalt als durchgehende, in tausend For- men schillernde Krise der zu einfachen Erzählungen, der zu glatten Bilder, der zu reinen Identitäten beschreiben. So vielleicht wäre wirklich einmal von einer »Krise als Chance« zu sprechen. 21
AB OKTOBER IM SHOP Alejandro Bachmann/Michelle Koch (Hg.) ÖSTERREICH REAL DOKUMENTARFILM 1981–2021 Ca. 600 Seiten, zahlreiche Abbildungen Das Bild des österreichischen Kinos bezieht sich – national wie international – zu einem nicht unerheblichen Anteil auf den Dokumentarfilm. Der Sammelband geht dem kreativen Feld, aus dem diese Filme in den letzten 40 Jahren entstanden sind, in 25 Beiträgen, über 50 Vignetten und rund 250 Filmstills nach. Ab Oktober erhältlich in der Satyr Filmwelt und auf filmarchiv.at/shop
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE SA 22.10., 21:00 | FR 4.11., 20:00 DIE KRISE IST DER MARKT AUF AMOL A STREIK Josef Aichholzer/Ruth Beckermann, A 1978 KAMERA / SCHNITT Josef Aichholzer, Ruth Beckermann 24 min | s/w, dt. OmeU, DCP EINE MILLION KREDIT IST NORMAL, SAGT MEIN GROSSVATER Gabriele Mathes, A 2006 SCHNITT Gabriele Mathes, Hermann Lewetz | MUSIK Andrea Sodomka 22 min | Farbe, eF, 35mm MICHAEL BERGER. EINE HYSTERIE Thomas Fürhapter, A 2010 KAMERA Chris Weiß, Manuel Zauner | SCHNITT Thomas Fürhapter 50 min | Farbe, dt. OmeU, DCP Ein Streik, ein Konkurs, ein groß angelegter Investitionsbetrug – egal ob als Krisen des Marktes oder ohnehin mitkalkulierte Kollateralschäden, der Dokumentarfilm in Österreich schaut dem Markt auf die Finger: Josef Aichholzer und Ruth Beckermann beschreiben in AUF AMOL A STREIK den Kampf der ArbeiterInnen im Semperit-Werk, Gabriele Mathes spürt in EINE MILLION KREDIT IST NORMAL, SAGT MEIN GROSSVATER in Super-8-Aufnahmen den Folgen des Niedergangs der familiären Möbelfabrik nach, und Thomas Fürhapter berichtet mit MICHAEL BERGER. EINE HYSTERIE von der raum- zeitlichen Auflösung des globalen Marktes hin zu einem allumfassenden Netz. (ab/mk) SA 22.10.: Buchpräsentation Österreich real. Dokumentarfilm 1981–2021 in Anwesenheit der HerausgeberInnen und FilmemacherInnen 23
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE MO 24.10., 11:00 | DO 3.11., 21:00 NACH DEM KRIEG IST VOR DEM KRIEG DURING THE MANY YEARS Goran Rebić, A 1991 SCHNITT Goran Rebić 40 min | Farbe, engl./dt./georg. OF, DigiBeta SOMEWHERE ELSE Barbara Albert, A 1997 KAMERA Christine A. Maier | SCHNITT Torsten Heinemann 60 min | Farbe, engl./dt./bosn. OmeU, DCP Tiflis im Jahr eins nach der Unabhängigkeit und kurz vor dem Bürgerkrieg, Sarajevo am Ende des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien. Der Dokumentarfilm in Österreich blickt wiederkehrend und mit dem Ende des Eisernen Vorhangs vermehrt nach Osten, nicht selten auf die Spuren der Kriege. In Goran Rebićs DURING THE MANY YEARS erzählen Menschen von den Veränderungen seit der Lösung von der Sowjetunion; in Barbara Alberts SOMEWHERE ELSE (der parallel zu Nikolaus Geyrhalters DAS JAHR NACH DAYTON entstand) berichten Jugendliche von der Belagerung der Stadt und von dem Versuch, eine Zukunft zu denken. Dieser Horizont gehört den Menschen vor der Kamera, die FilmemacherInnen sind dort, um sich von jenem erzählen zu lassen, das sie nicht kennen und das sie doch betrifft. (ab/mk) MO 24.10.: In Anwesenheit der FilmemacherInnen 24 *Kopie: Österreichisches Filmmuseum
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE DI 25.10., 11:00 | MO 7.11., 18:00 KRISE: LEBEN ICH SCHAFF’S EINFACH NIMMER John Cook, A 1973 BUCH / KAMERA John Cook | SCHNITT Stefanie Schulz | MIT Elfie Semotan 50 min | s/w, dt. OF, 16mm* KNITTELFELD – STADT OHNE GESCHICHTE Gerhard Benedikt Friedl, A/D 1997 BUCH Gerhard Benedikt Friedl | KAMERA Rudolf Barmettler | SCHNITT Gerhard Benedikt Friedl 35 min | Farbe, dt. OmeU, DCP DOPPELGÄNGER Michaela Taschek, A 2018 BUCH / KAMERA Michaela Taschek | SCHNITT Sandra Wollner | MUSIK Anna Kohlweis 20 min | Farbe, dt. OF, DCP »Ich schaff's einfach nimmer«, der Titel des gleichnamigen Films von John Cook aus dem Jahr 1973, könnte der Ausspruch eines jeden Menschen sein, um den es in den Filmen dieses Programms geht: Das Leben stellt sich gegen einen – wenn man Roma in Wien in den 1970er-Jahren ist, wenn man der Familie Pritz aus Knittelfeld ange- hört, wenn man als Vater der Regisseurin von DOPPELGÄNGER irgendwie nicht mehr so recht anwesend ist, an den Dingen kaum teilhat, wie ausgewechselt erscheint. Alle drei Filme beobachten Alltägliches, um in der scheinbaren Gleichförmigkeit des Lebens die spezifischen Krisen zu beschreiben, die das Dasein jedes Einzelnen ins Verhältnis zu gesellschaftlichen Zusammenhängen stellt. (ab/mk) DI 25.10.: In Anwesenheit von Michaela Taschek 25
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE DO 27.10., 11:00 KRIEG UND LIEBE IN WIEN CARMEN Anja Salomonowitz, A 1999 KAMERA Hannes Anderwald | SCHNITT Gregor Wille, Anja Salomonowitz | MUSIK Samir Zeciri, Helmut Kahlert 23 min | Farbe, dt. OmeU, DCP KRIEG IN WIEN Michael Glawogger/Ulrich Seidl, A 1989 BUCH Michael Glawogger, Ulrich Seidl, Ortrun Bauer, Andrea Wagner, Barbara Zuber | KAMERA Ortrun Bauer, Hans Selikovsky, Wolfgang Thaler | SCHNITT Andrea Wagner, Ortrun Bauer | MUSIK Armin Pokorn, Günter Kiffmann 84 min | Farbe, dt. OF, 16mm* Die Allgegenwart der technischen Bilder führt auch zu einer permanenten Anwesen- heit globaler Krisen vor Ort: Michael Glawoggers und Ulrich Seidls KRIEG IN WIEN macht sich diese Medien-Realität zum Grundprinzip und verschaltet Nachrichten bilder aus der ganzen Welt mit Alltagsszenen in Wien. Wo und wann die Krise beginnt und aufhört, wird zunehmend schwerer zu unterscheiden, ist mehr eine Frage der Montagefolge und weniger die tatsächlicher raumzeitlicher Gegebenheiten. Zehn Jahre später porträtiert Anja Salomonowitz an einem anderen Ort der Bilder Carmen Martinek, die ein libidinöses Verhältnis zu Kinosälen unterhält. Doch das Kino gehört nicht nur ihr und ist zudem am Aussterben – und damit auch diese Liebe schon auf dem Weg in die Krise. (ab/mk) 26 *Kopie: Österreichisches Filmmuseum
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE SO 30.10., 21:00 | DI 8.11., 18:00 KUNST UND KRISE SEMRA ERTAN Cana Bilir-Meier, A/D 2013 BUCH / KAMERA / SCHNITT Cana Bilir-Meier | MUSIK Enjott Schneider 8 min | Farbe, dt. OmeU, DCP JAMES ELLROY: DEMON DOG OF AMERICAN CRIME FICTION Reinhard Jud, A 1993 BUCH Reinhard Jud, Wolfgang Lehner | KAMERA Wolfgang Lehner | SCHNITT Karina Ressler 90 min | Farbe, engl. OF, 16mm Zwei vollkommen unterschiedliche Filme über das Verhältnis von künstlerischer Arbeit und einer Sensibilität für das Krisenhafte der Gegenwart, in der man lebt: Aus Bruchstücken von Gedichten, Fernseh- und Tonbeiträgen montiert Cana Bilir-Meier ein filmisches Erinnern an die Dichterin und Bauzeichnerin Semra Ertan, die sich 1982 aus Protest gegen Rassismus in Deutschland selbst anzündet. Auch James Ellroy, den Reinhard Jud mit der Kamera auf einem Round Trip durch L. A. begleitet, begreift die Stadt um sich herum als dunkle, gewaltdurchtränkte Seite des amerikanischen Traums. Wo Bilir-Meier die visuelle Form für das Erinnern an die Künstlerin erst finden muss, zitiert Jud gemeinsam mit Ellroy einen Kanon der Bilder der Stadt, des Künst- lers, des Kinos. (ab/mk) SO 30.10.: In Anwesenheit von Reinhard Jud 27
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE DO 3.11., 19:00 | FR 18.11., 18:00 UNCOMFORTABLY COMFORTABLE Maria Petschnig, A/US 2022 BUCH Maria Petschnig | KAMERA Maria Petschnig | MIT Marc Thompson 72 min | Farbe, engl. OmdU, DCP Marc Thompson ist Ende 50, wuchs in New York auf, war insgesamt 17 Jahre lang im Gefängnis und lebt seit bereits über einem Jahr in einem Auto, als ihn die Filme- macherin Maria Petschnig im Frühling 2018 kennenlernt. Seine freiwillige Obdach losigkeit hat sowohl psychologische wie ökonomische Gründe. Sie beginnt, ihn über den Zeitraum eines ganzen Jahres mit der Kamera zu begleiten und sein Leben, seinen Alltag und seinen Existenzkampf aufzuzeichnen, seine Ängste und Gedanken festzuhalten. UNCOMFORTABLY COMFORTABLE ist ein experimentelles Videoporträt, das Fragen zu Wohnungslosigkeit und den Auswirkungen von Inhaftierung und Trauma stellt, darüber hinaus aber auch Freundschaft, Rassismus und ein Leben am Rande der Gesellschaft thematisiert. (red) DO 3.11.: In Anwesenheit von Maria Petschnig Freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder (mit Begleitung) 28
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE FR 4.11., 18:30 NO NAME CITY Florian Flicker, A 2006 BUCH Florian Flicker | KAMERA Birgit Guðjónsdóttir MIT Anita Braun, Fritz Csar, Sepp Krassnitzer, Hans Kreuzmayr, Brigitte Danninger 86 min | Farbe, dt. OF, 35mm Ein Western-Erlebnispark, 30 Kilometer vor Wien. Eine Handvoll Menschen arbeitet am Traum von einem selbstbestimmten Leben. Doch hinter den Kulissen spielt sich ein bitterer Machtkampf ab. Während der Dreharbeiten spitzt sich die Lage zu, der große Showdown steht bevor. Träume zerbrechen, Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen immer mehr. Die Lage scheint aussichtslos, bis ein möglicher Retter erscheint ... (red) SA 5.11., 20:00 ZERO CROSSING Johannes Holzhausen, A 2000 40 min | Farbe, dt. OF, DCP HELDENPLATZ, 19. FEBRUAR 2000 Constantin Wulff, A 2000 56 min | Farbe, dt. OF, DCP Das Kino als unmittelbarer Resonanzraum: Als das Kabinett Schwarz-Blau I im Februar 2000 unterirdisch zur Angelobung schreitet, schwärmen Tausende auf die Straßen, um ihren Protest kundzutun. Unter dem Motto »Die Kunst der Stunde ist Widerstand« entsteht eine Fülle an Arbeiten, die die Stimmung jener Tage einfangen. Beide Filme zeigen Menschen, die ihre Ablehnung, ihre Ratlosigkeit und ihr Ohnmachts gefühl gegenüber der neuen Regierung zum Ausdruck bringen. (fw) 29
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE SO 6.11., 17:30 TEIL 1: DIE ORDNUNG DER DINGE SO 6.11., 20:30 TEIL 2: DER LAUF DER DINGE HIMMEL UND ERDE Michael Pilz, A 1979–1982 KAMERA Michael Pilz, Helmut Pirnat, Moritz Gieselmann, Wolfgang Simon MUSIK Ensemble Blümchen Blau, Kirchenchor St. Anna 141 min (Teil 1), 154 min (Teil 2) | Farbe, dt. OF, 35mm* Ein ganzes Jahr lang begleitet Michael Pilz die Einwohner eines steirischen Berg dorfes bei ihrer Arbeit, ihrem Alltag, ihrem Tun. In die Abgeschiedenheit hinein tönt langsam die »moderne« Außenwelt, der bäuerliche Lebensalltag verschwindet zu- nehmend. Pilz begreift sich nicht bloß als Beobachter, sondern als Teil dieser Gemein- schaft, deren Gepflogenheiten er mit seiner Kamera registriert und reflektiert. Dieser Ansatz macht den in zwei Teile gegliederten Fünfstünder zu einem in vielerlei Hin- sicht monumentalen Werk – eine Zäsur, nicht nur für den österreichischen Dokumen- tarfilm. Ulrich Gregor: »Wenn man sich ein bisschen auf diesen Film einlässt, zieht er einen bald in einen eigenen Kosmos hinein; man kann ihn zu jenen Werken rechnen, die einen wieder neu sehen und hören lehren.« (fw) In Anwesenheit von Michael Pilz 30
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE MO 7.11., 20:00 VORWÄRTS Susanne Freund, A 1995 BUCH Susanne Freund | KAMERA Jerzy Palacz | MIT MitarbeiterInnen der SPÖ-Sektion 22, Wien Leopoldstadt 80 min | Farbe, dt. OF, 35mm* Im Wahljahr 1994 dokumentiert Susanne Freund die Tätigkeiten einer SPÖ-Sektion in der Leopoldstadt. Für die Genossinnen und Genossen und ihre neu gewählte Vorsit- zende Brigitte Ederer heißt es vor allem laufen und Klinken putzen, auch wenn sie langsam merken, dass man ihnen immer seltener die Türe öffnet. Allen Bemühungen, sich für die Menschen im Grätzel einzusetzen, zum Trotz, sinken die Mitgliederzahlen, fehlt es an neuen, jungen Mitarbeitern. Zwischen Kinderdisco und Pensionistenfeiern, beim Maiaufmarsch oder Muttertag begleitet VORWÄRTS seine ProtagonistInnen und ist inzwischen ein historisches Dokument des politischen Wandels: Er zeigt, was an politischer Kultur innerhalb eines Vierteljahrhunderts verloren gegangen ist. Ein ganz und gar bemerkenswerter Film! (fw) In Anwesenheit von Susanne Freund *Kopie: Österreichisches Filmmuseum 31
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE MI 9.11., 19:30 NICHTS NEUES Lennart Hüper, D/A 2021 BUCH Lennart Hüper | KAMERA Lennart Hüper 81 min | Farbe, dt. OmeU, DCP »Ich kann Ihnen sagen, was morgen passiert: nix.« Seit Monaten sitzt die Crew des zivilen Seenotrettungsschiffes Lifeline in Malta fest. Nach der Rettung von über 450 Geflüchteten muss sich Kapitän Claus-Peter Reisch wegen angeblich falscher Papiere vor Gericht verantworten. Solange das Verfahren läuft, bleibt das Schiff beschlag- nahmt. Und die Hoffnung auf ein rasches Urteil schwindet täglich. Während Luxus- dampfer den Hafen verlassen, wird auf der Lifeline gewaschen, gekocht, das Deck ge- schrubbt. In seinem Langfilmdebüt begleitet Lennart Hüper die Besatzung in einem Alltag des Wartens, während das Ertrinken auf der tödlichsten Fluchtroute zwischen Libyen und Italien weitergeht. Er zeigt Menschen, die im Kampf gegen die kafkaesken Mühlen der europäischen Migrationspolitik zur Untätigkeit verurteilt sind. Wieder ein Prozesstag – nichts Neues. (red) In Anwesenheit von Lennart Hüper und weiteren Filmgästen 32
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE MO 14.11., 21:00 AUSLÄNDER RAUS! SCHLINGENSIEFS CONTAINER Paul Poet, A 2002 BUCH Paul Poet | KAMERA Robert Winkler, Mario Sternisa | MIT Luc Bondy, Daniel Cohn-Bendit, Einstürzende Neubauten, Elfriede Jelinek u. a. 90 min | Farbe, dt. OF, DCP »Bitte liebt Österreich!« lautet die Parole, die Christoph Schlingensief im Rahmen der Wiener Festwochen 2000 ausgibt. Vor der Staatsoper lässt er ein Containerdorf im Big-Brother-Stil errichten und zwölf AsylwerberInnen einziehen, über die täglich telefo- nisch abgestimmt wird. Paul Poet dokumentiert, wie Rechts und Links gleichermaßen aus der Fassung geraten und entblößt den »Österreicher« in all seinen Facetten. (fw) In Anwesenheit von Paul Poet DO 17.11., 19:00 EINE VON 8 Sabine Derflinger, A 2008 BUCH Sabine Derflinger | KAMERA Astrid Heubrandtner, Frederike von Stechow, Marijana Gavrič, Sabine Derflinger | MIT Frederike von Stechow, Marijana Gavrič 90 min | Farbe, dt. OF, 35mm Eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Bei der Chemo- therapie lernen sich Frederike und Marijana kennen. Sie teilen ihre Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte und beflügeln einander mit ihrem Sinn für Humor, während ihnen der Kampf gegen die Krankheit schwere Entscheidungen abverlangt. EINE VON 8 ist das faszinierende Porträt zweier Frauen, die gemeinsam versuchen, sich von der Diagnose Brustkrebs nicht aus der Bahn werfen zu lassen. (red) 33
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE DO 17.11., 21:00 MEIN HALBES LEBEN Marko Doringer, A 2008 BUCH Marko Doringer | KAMERA Marko Doringer MUSIK Les Hommes Sauvages | MIT Katha Harrer, Martin Obermayr, Thomas Berger 92 min | Farbe, dt. OF, 35mm Marko hat eine Krise, aber sonst nicht viel: Er ist 30, hat nichts erreicht und soeben den ersten Backenzahn verloren. Der Verfall hat begonnen. Was kann jetzt noch kom- men, bevor es vorbei ist? Er bricht zu einer sehr persönlichen Forschungsreise auf, besucht Freunde und befragt seine Eltern. Geht es ihnen besser als ihm? Warum ist es so schwer, 30 zu sein? Das ironische Selbstporträt einer ganzen Generation. (red) In Anwesenheit von Marko Doringer, freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder MO 28.11., 18:30 UNA PRIMAVERA Valentina Primavera, D/I/A 2018 BUCH Valentina Primavera, Federico Neri KAMERA Valentina Primavera | MIT Fiorella di Gregorio, Alessia Camilletti, Chiara Primavera 81 min | Farbe, ital. OmdU, DCP Nach 40 Ehejahren und unzähligen Episoden häuslicher Gewalt hat Fiorella von ihrem Mann genug. Sie verlässt ihn, um ihr eigenes Leben zu leben. Ihre jüngste Tochter Valentina folgt ihren ersten Schritten in eine unbekannte Zukunft mit der Kamera. Eine komplexe Reise beginnt, die sie mit tief verankerten patriarchalen Strukturen konfron- tiert und deren verheerende Auswirkungen auf Familie und Gesellschaft aufzeigt. (red) Buchpräsentation Gewohnte Gewalt von Drehli Robnik und Joachim Schätz in Anwesenheit der Herausgeber und AutorInnen 34
ÖSTERREICH REAL | RETROSPEKTIVE DI 29.11., 19:00 HOW TO PARTY IN SUBURBIA FILME ZWISCHEN KUNST & KLIMAAKTIVISMUS IM STADTERWEITERUNGSGEBIET Videokunst, Aktivismus, Mobilclips – die Grenzen verlaufen fließend in den Arbeiten von Christoph Schwarz. Den Ausgangspunkt zahlreicher Filme bildet die »Notgalerie« in Aspern, ein Zwischennutzungsprojekt, das als niederschwellige Abspielfläche für die alternative Wiener Kunstszene konzipiert war, im Stadterweiterungsgebiet allerdings den Baggern zum Opfer fiel. 2021 formiert sich dort unter dem Hashtag #Lobaubleibt eine große Protestbewegung, die ein Umdenken in der Wiener Verkehrs politik fordert und der sich Schwarz mit seiner Kamera anschließt, um ihre Aktionen zu dokumentieren. Wir präsentieren an diesem Abend eine Auswahl seiner Werke, darunter auch die Premiere seines neuen Films ICH WERDE NICHT DULDEN, DASS IHR MICH ALLEINE LASST. (fw) Im Anschluss an das Kurzfilmprogramm Diskussion mit ProtagonistInnen und AktivistInnen 35
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PETER SCHREINER RETROSPEKTIVE VOM 10. BIS 30. NOVEMBER 2022 W enig im österreichischen Kino ist so formal reich und menschenliebend wie das Schaffen von Peter Schreiner. Seit 1982 entstanden mehr als ein Dutzend abendfüllende Filme, die sich allen üblichen Genrezuschreibungen verweigern: Sie sind Spiele mit den Leben von Freunden und Verwandten, Erkundungsreisen durch die Welt und die Möglichkeiten des Kinos, Versuche, den Mitmenschen näherzukommen. Schreiners Werke sind Einladungen, das utopische Potenzial unserer aller Leben zu entdecken – was sie zu den sicher nötigsten und wichtigsten dieser Jahre macht. Die ersten drei Langfilme von Peter Schreiner werden in brandneuen Restaurierungen gezeigt, die in enger Zusammenarbeit des Filmarchiv Austria mit dem Regisseur entstanden. Peter Schreiner und Kurator Olaf Möller werden bei den Vorstellungen anwesend sein. Weiters wird im Rahmen der Eröffnung der neue, Schreiner gewidmete Band der Edition »Film Geschichte Österreich« vorgestellt. 37
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE GEGEN DEN STROM RICHTUNG MENSCH OLAF MÖLLER P eter Schreiner ist eine der außerordentlichen Gestalten des österreichischen Kinos seit den 1980er-Jahren: ein sensibler Grenzgänger zwischen Spiel-, Dokumentar- und Avantgardefilm, dessen Schaffen lange Zeit abseits der ausgetretenen Verleih- und Festivalpfade zu Hause war. Nicht, dass Schreiner es darauf angelegt hätte, ein Solitär zu sein. Wenig beseelt sein Kino so tief wie die Sehnsucht nach Begegnungen mit anderen Menschen. Entspre- chend erzählen seine Werke immer wieder von Gruppen und deren Verhältnissen. Jeder Schreiner-Film ist ein Versuch in Entwicklung: Wie reagieren die Menschen auf- einander, welche Erinnerungen oder Wünsche provozieren diese arrangierten Begeg- nungen? Wie reagieren Menschen aufeinander, die sich schon lange kennen, wenn man sie vor eine Kamera stellt und bittet, etwas zu sagen oder tun? Während sich seine erste Schaffensphase (GRELLES LICHT bis BLAUE FERNE) vor allem um sein heimisches Umfeld dreht, wird mit BELLAVISTA die seelenverwandte Norditalienerin Giuliana Pachner zum Zentrum seiner Arbeit. Und dennoch: Die zentrale Erfahrung seines Lebens war wohl, dass er anders ist als viele. Die Zeit an der Wiener Filmakademie, dominiert von brachialen Edelnormierern, war entsprechend furchtbar. Viel wichtiger für seine Entwicklung als Filmemacher war 38
parallel dazu das Kollektiv »Rettet die Flieger«, wo er sich gemeinsam mit Bärbel Neubauer, Eva Beauvale und Niki List in einem erwartungs- wie druckfreien Raum kreativ erproben konnte. Seine Langfilme von GRELLES LICHT (1982) bis AUF DEM WEG (1990) wurden kaum zur Kenntnis genommen. Mit der ethnografischen Studie I CIMBRI (1991) gelang ihm ein erster internationaler Erfolg, dem mit BLAUE FERNE (1995) eine Art Kollaps folgte – die indifferente Aufnahme bei seiner Welturauffüh- rung stürzte Schreiner in derartig tiefe Selbstzweifel, dass er mit dem Filmemachen aufhörte. Erst eine Dekade später präsentierte Schreiner mit BELLAVISTA (2006) einen neuen Film. Mit dessen Nachfolger TOTÓ (2009) wurde er in das offizielle Programm der Filmfestspiele von Venedig eingeladen – sein endgültiger Durchbruch. Schreiners Zeit war gekommen. Sein formal festes, so asketisches wie visuell prachtvolles, intimes wie welthaltiges Kino dauernder Selbstbefragung und Fortentwicklung gehört seither zum fixen Pro- gramm vieler Festivals. Das Filmarchiv Austria präsentiert die bislang umfangreichste Peter Schreiner gewidmete Retrospektive, im Rahmen derer erstmals – als Teil eines großen Restaurierungsprojekts – die neuen Fassungen von GRELLES LICHT, ERSTE LIEBE und KINDERFILM zu sehen sind. Begleitet wird die Schau darüber hinaus von der ersten monografischen Veröffentlichung zu seinem Werk. 39
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE DO 10.11., 19:00 | DO 24.11., 20:00 GARTEN Peter Schreiner, A 2018 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner | MIT Giuliana Pachner, Awad Elkish, Hermann Krejcar, Sandu Petre Boitan, Omar Taha, Clementine Gasser, Michael Pilz, Judith Zdesar, Luise Zdesar, Annemarie Zottl, Michael Mills, Maja Okeke 136 min | s/w, dt. OmeU, DCP Mit GARTEN ist der selbstbewusst alle Kategorisierungen überwindende Filmemacher Peter Schreiner bei der Fiktion angelangt: Die zum Teil seit GRELLES LICHT bekann- ten Freunde werden zu Darstellern; es gibt ein Drehbuch und Dialoge, die es zu lernen gilt; Haus und Garten der Familie Schreiner werden in eine Art Studio verwandelt, wo von Decken und Ästen Scheinwerfer hängen und auf dem Boden auch schon mal Schienen gelegt werden. Dass dieses riesige Konstrukt als eine Art Therapieprojekt gedacht war, ist eine andere Sache – die einzige, welche scheiterte, zerbrach doch hier mindestens eine Freundschaft ... GARTEN ist ein Triumph des modernen Kinos: eine veritable Inkunabel, ein Erzählstück zwischen Geschichte und Collage, visuell fest und strahlend, montiert in verblüffenden Rhythmen und Raumstrukturen. (om) DO 10.11.: Präsentation des Peter Schreiner gewidmeten Bandes der Edition »Film Geschichte Österreich«, freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder (mit Begleitung) 40
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE FR 11.11., 18:30 GRELLES LICHT NEURESTAURIERUNG Peter Schreiner, A 1982 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner | MIT Hermann Krejcar, Leopold Schreiner, Bärbel Neubauer, Christian Polster, Niki List, Christa Polster, Franz Franke, Hermine Schreiner, Daniela Duffek u. a. 88 min | s/w, dt. OF, DCP Peter und Hermann machen sich von Wien auf zur Documenta nach Kassel. Das Ehepaar Schreiner versucht, den Sohn zu verstehen, und gibt sich ernsthaft Mühe. Christian, geboren mit Down-Syndrom, macht Musik und wundert sich. Niki macht Theater. Bärbel zieht um und amüsiert sich über die Buben. Und Herr Franke erklärt das Leben ... Peter Schreiners Langfilmdebüt inszeniert einen Weg hinaus in die eigene Existenz – weg von den Eltern und hin zu den Freunden, weg aus Wien und hinein in die Welt. Gestaltet ist das Ganze als Rundgesang, in dem alle Personen halb- wegs regelmäßig wieder auftauchen. Das vielleicht wichtigste Dokument des Kollek- tivs »Rettet die Flieger«, dessen Kernmitglieder Peter Schreiner, Niki List und Bärbel Neubauer sich bald künstlerisch auseinanderentwickeln sollten. (om) 41
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE MO 14.11., 19:00 ERSTE LIEBE NEURESTAURIERUNG Peter Schreiner, A 1983 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner, Konrad Spindler, Bärbel Neubauer | MIT Peter Schreiner, Ali Kielmansegg, Andi Stern, Konrad Spindler, Harald Habiger, Arja Alkanen u. a. 92 min | s/w, dt. OF, DCP Wo besser sich in Liebesweh ergehen als in Finnland zu einer Zeit, in der es dort wirklich kalt und düster ist? Dahin ziehts Schreiner in seinem zweiten Werk, das formal wie die Antithese zu seinem Debüt wirkt: Aus der Hand gefilmt, eher assoziativ in der Montage und so fragil, wie der zart-verwundbar ausschauende Schreiner den Film hindurch wirkt. Das vielleicht schönste Werk des gesamten Kinos über die Sehnsucht, lieben zu dürfen und begehrt zu werden. (om) DI 15.11., 18:30 GEGEN DIE STRÖME LECTURE EINTRITT FREI Wie entstehen Filme, die kaum etwas gemein haben mit den handelsüblichen Regeln der Produktion und des Erzählens? Wie macht man Filme aus dem eigenen Leben, die allgemeingültig sind? Im Rahmen eines Gesprächs mit Olaf Möller wird Peter Schreiner anhand seines aktuell entstehenden Werks TAGE seine Methode erläutern und eine Ahnung davon vermitteln, wie Film und Leben unentfremdet ineinander übergehen können. (red) 42
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE DI 15.11., 20:30 KINDERFILM NEURESTAURIERUNG Peter Schreiner, A 1985 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner, Susanne Schreiner, Michael Kreihsl, Christian Schmidt MUSIK Johann Sebastian Bach, Maria Schreiner (Klavier) | MIT Peter Schreiner, Andi Stern, Andrea Schlechta, Anna Gasser, Annemarie Zottl, Bärbel Neubauer, Bärbel Ramharter u. a. 107 min | s/w, dt. OF, DCP Da ist sie: Maria! Peter hat die Frau gefunden, die ihn liebt. Ja, Schreiner teilt das Glück seines Lebens (fast) von Anfang an mit dem Publikum, zeigt, wie Maria und er zu einem gemeinsamen Leben finden. Auch hier wird wieder gereist, ins sonnige Italien, wo Maria unter Pinien Dantes Commedia prima vista übersetzt. Allerdings: Diesmal spielt die Ferne eine nebengeordnete Rolle. Im Zentrum stehen die Kindernachmittage, welche das junge Paar für den Nachwuchs ihrer Freunde eingerichtet hat, sowie ein Maturatreffen Peters; Ersteres wirkt, um bei Dante zu bleiben, wie das Paradies, Letzteres wie das Inferno. Womit man beim Kernthema von KINDERFILM wäre: Wie viel Utopie ist im bürgerlichen Mittelbau möglich – welche Kompromisse, wenn nicht gleich Verluste, sind letztlich inakzeptabel? (om) 43
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE DO 17.11., 20:00 AUF DEM WEG Peter Schreiner, A 1990 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner, Sandro Decleva | MIT Peter Schreiner, Antonio Cotroneo, Christian Schmidt, Daniela Ramharter, Leo Schreiner, Maria Schreiner, Michael Kreihsl u. a. 120 min | s/w, dt. OF, 16mm* Ein Wendepunkt in Schreiners Schaffen, ändert sich doch hier sein Verhältnis zum Erzählen: Zum ersten Mal experimentiert er mit Inszenierungen, was von Zirkusartis- tenbeobachtungen bis zur theatralen Erarbeitung einiger Zeilen Elio Vittorinis reicht. Und er vermeidet Zuspitzungen, Kristallisationsmomente im Lauf der Dinge – statt- dessen können die unterschiedlichen Szenengruppen einander gegenseitig mit Ideen und Assoziationen aufladen. (om) FR 18.11., 20:00 I CIMBRI Peter Schreiner, A 1991 DIE ZIMBERN | BUCH Peter Schreiner KAMERA Peter Schreiner | MIT Fortunato Dal Bosco, Adele Dal Bosco, Germano Dal Bosco, Corinna Pernigotti, Romano Nordera, Carla Dal Bosco u. a. 116 min | s/w, ital./zimbr. OmdU, 16mm* Mit I CIMBRI – seinem noch am ehesten als »konventionell« beschreibbaren Werk – gelingt Schreiner der internationale Durchbruch. Im Prinzip ist der Film die ethno grafische Vermessung von Giazza, einer Ortschaft im Illasital, die zu den Dreizehn Gemeinden zählt, der zimbrischen Sprachinsel der Venetischen Provinz Verona. Letzte Reste werden hier audiovisuell gesichert – bevor es zu spät, die Sprache tot, die Kultur vergessen ist. (om) 44
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE SA 19.11., 20:00 BLAUE FERNE Peter Schreiner, A 1995 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Elke Harder, Hubert Sauper | MIT Hubert Sauper, Dita Lakota, Erica De Grassi, Giacomo Verginella, Leo Schreiner, Mario Tesseri, Maria Schreiner 95 min | s/w, dt. OmeU, 16mm* Schreiners Schicksalswerk: Als er nach dessen Welturaufführung in ein fast leeres Kino tritt und dort von einem verwirrt-müd-matten Schweigen begrüßt wird, verfällt er in so heftige Selbstzweifel, dass er für Jahre das Filmemachen aufgibt. BLAUE FERNE ist allerdings auch ein Brocken! Schreiners erster Spielfilm im etwas engeren Sinne zeigt Szenen aus dem vorsichtigen Aufeinanderzuleben zweier melancholi- scher Männer, denen an einem runtergerockten italienischen Strand die Worte wie Felsen aus dem Mund fallen. Dank dieses hypnotisch-suchenden Sprechens entwi- ckelt BLAUE FERNE einen einzigartigen Sog, in dem man sich treiben, durchwirbeln lassen kann. Keine Handlung also, eher ein tastendes Durchschreiten des Daseins hin zum vielleicht größten aller Ereignisse: der Begegnung mit einem Fremden. (om) *Kopie: Österreichisches Filmmuseum 45
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE SO 20.11., 20:00 VORFILM: RAINBERG | Peter Schreiner, A 2006 | 13 min | s/w, dt. OF, DCP KARL STARK – MOMENTE. 1988–2008 Peter Schreiner, A 2013 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner | MUSIK Leo Schreiner MIT Karl Stark, Elfriede Stark-Petrasch u. a. 92 min | s/w & Farbe, dt. OF, DCP Zwei Werke, die Peter Schreiner bislang nie öffentlich gezeigt hat! In RAINBERG wer- den Bewegungsstudien des Zeichners Walter Strobl von Tänzern in einen Bühnen- raum übertragen – Bewegungsphasenpoesie zwischen Choreografie und Animations- anmutungen. KARL STARK – MOMENTE. 1988–2008 wiederum ist ein Versuch, sich einem Eigensinnigen der modernen österreichischen Malerei zu nähern. Stark blieb stets dem Expressionismus treu, was Schreiner bei der Erforschung seiner Gemälde die Möglichkeit bot, zum ersten Mal ausgiebig und nicht allein punktuell in Farbe zu arbeiten; die Szenen mit dem wortkargen älteren Herrn entstanden in Schwarz-Weiß; integriert wurden ebenfalls Drittmaterialien. Ein Unikum im Schaffen Schreiners, das seine formale Vielfältigkeit und Experimentierfreudigkeit demonstriert. (om) 46
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE FR 25.11., 20:00 BELLAVISTA Peter Schreiner, A 2006 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner | MIT Giuliana Pachner, Bernardina Piller-Puicher, Erminia Colle-Tiz, Barbara Pachner, Diana Pachner, Gino Sacco Comis, Luigi Kratter, Marina Casanova Borca, Kaur Jasvir, Nadejda Khrolenko, Alexander Khrolenko, Cecilia Piller Rosina u. a. 117 min | s/w, dt./ital./plodar. OmdU, 35mm* Zehn Jahre vergehen nach BLAUE FERNE, bis Peter Schreiner mit BELLAVISTA einen neuen Film präsentiert – ein Werk, das sich genauso sehr der Begegnung mit Giuliana Pachner verdankt wie den immer leistungsstärkeren wie günstigeren Digitalkameras (Schreiner weint dem Analogen keine Träne nach). BELLAVISTA ist die ellipsenschwer- assoziative Erkundung eines Ortes: Sappada, durch die Erinnerungen Giulianas, die dort im titelgebenden Hotel aufwuchs und in dessen Nischen und Hallen innere wie äußere Verletzungen erlitt, von denen viele bis zu ihrem Tod nie wirklich verheilten, nur verschorften. Sie sagt am Anfang in diesem für das Schreinersche Kino nun so zentralen zerrissenen Sprechen: »Was ich auch … ich glaube hier so … dieses Bewusstsein geprägt, anders zu sein … so zur Einsamkeit, zur ewigen Einsamkeit verurteilt worden bist.« (om) *Kopie: Österreichisches Filmmuseum 47
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE SA 26.11., 20:00 TOTÓ Peter Schreiner, A 2009 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner | MIT Antonio Cotroneo, Angela Simonelli, Gaetano Dimarzo, Melo De Benedetto, Annibale Pirro, Antonio Blasa, Antonio Dicosta, Antonio Pisera, Billy Buttafuoco, Ciccio Il Grande, Franco Fazzari, Giuseppe Pandullo u. a. 128 min | s/w, dt./ital. OmdU, 35mm* Antonio Cotroneo floh als junger Mann aus Tropea nach Wien, wo er als Billeteur im Konzerthaus arbeitet. Schreiner begleitet ihn auf einer Reise in seine kalabrische Heimatstadt, wo die Entfremdung so zum Schneiden ist wie die Drogenabhängigkeit Alltag. Cotroneo sagt einmal in einem Gedicht: Angst vor einer Begegnung / einer Annäherung / vor einfachen Gefühlen / Furcht vor Veränderung / Angst zu sprechen / zu entgegnen, zu träumen / Angst vor Widerspruch und Ungehorsam / dem gegen- über, der dich nur unterdrücken kann. / Angst, dich zu zeigen / leiden, um zu ver ändern / die alte Welt zu fällen. Schärfer noch als BELLAVISTA ist TOTÓ eine Studie in Detailblicken, Fragmentierungen – eine Verweigerung der Idee, man könnte die Welt als ein Ganzes sehen. (om) 48 *Kopie: Österreichisches Filmmuseum
PETER SCHREINER | RETROSPEKTIVE SO 27.11., 19:30 FATA MORGANA Peter Schreiner, A 2013 BUCH Peter Schreiner | KAMERA Peter Schreiner | MUSIK Johannes Schmelzer-Zieringer MIT Giuliana Pachner, Christian Schmidt, Awad Elkish 140 min | s/w, dt. OF, DCP Situiert zwischen den Sand- und Steinwüsten Libyens und der Industriewüste der Lausitz, markiert FATA MORGANA Schreiners neuerliche Hinwendung zum poetischen Erzählen. Man möchte eigentlich sagen: zur Fiktion, doch die beiden Hauptfiguren sind geprägt von ihren Darstellern, die ihre Charaktere konkret unentfremdet aus den eigenen Erinnerungen und Neurosen heraus entwickeln. Ausgebreitet wird hier in den Resten einer Fabrik aus DDR-Zeiten der Versuch einer Frau und eines Mannes, sich einander (wieder?) anzunähern. Sie sprechen vorsichtig neben-, manchmal auch miteinander. Die Natur um sie herum wirkt erfüllt von Abschied. Am Ende findet das Paar fast wider alle Vernunft in der Ahnung eines Kusses zusammen, die Stirne anei- nander, die Hände im Gesicht des Anderen, dessen Gegenwart eingeatmet wird. (om) 49
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