Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
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Peter Friedemann Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke „Vieille Montagne“ (Altenberg): Vom französischen Bergrecht 1791/1810 zur preußischen Bergrechtsreform 1865 Sozial- und Wirtschaftshistoriker betonen auf der Suche nach ne jene Regionen gerückt, mit denen sie sich selbst besonders den Entstehungsbedingungen und Entwicklungsstufen der mo- verbunden fühlen, von denen sie selbst geprägt wurden.1 Selte- dernen Industriegesellschaft seit langem die Bedeutung der Re- ner wird ein Vergleich interregionaler Räume, unterschiedlicher gionen. In den Fokus ihrer Untersuchungen werden dabei ger- sozial- wirtschafts- und rechtsgeschichtlicher Prägungen, ange- strebt. Selten wird auch die „grenzenlose“ politische Bedeutung bestimmter Produkte wie z. B. des nicht rostenden Metalls Zink, dies zumal nicht im Kontext der europäischen Bergbaugeschich- te, herausgestellt. Das 19. Jahrhundert war europaweit, wie kürzlich in „Der Spie- The birth of the Western European zinc gel“ (22. April 2017) zu lesen war, das Jahrhundert des industri- industry – the case of the calamine mines ell herstellbaren rostfreien Produktes Zink. Die Grundlage einer technischen und von der napoleonischen Regierung patentier- ‘Vieille Montagne’ (Altenberg). ten Erfindung des Chemikers Jean-Jaques Dony (1759-1819) war From the French mining law 1791/1810 das sogenannte „Belgische Röstverfahren“. Bald entstanden neue to the Prussian ‘Bergrechtsreform’ 1865 Absatzmärkte im Haus- und Schiffsbau, im Haushaltswaren- und Hygienebereich, die nach nicht rostendem Zink und Zink- Following on from Fernand Braudel, Lucien Febvre and other pro- weiß förmlich lechzten. ponents of France’s Annales School, various processes not primarily Am Beispiel der Genese der industriellen Zinkindustrie, hier ei- linked to company history took effect at the dawn of the early indus- nes in napoleonischer Zeit in Neutral- Moresnet gestarteten, 1837 trialisation period. It is only possible fully to understand the ‘dyna- in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmens, der mics of capitalism’ and the limits thereof when we regard the tran- „Société Anonyme des Mines et Fonderie de Zinc de la Vieil- sition from pre-industrial to modern production methods as ‘histoire le Montagne“ (SVM), möchte ich einen solchen interregionalen, totale’, i.e. as complex processes in the context of historical structures räumlich begrenzt erweiterten Vergleich versuchen. Ins Blickfeld and conditions. soll der Aktionsraum der SVM vom Grenzraum zwischen Maas The paper demonstrates this with reference to the emergence of indus- und Rhein, über Lüttich/Aachen/Moresnet in die Eifel (Mayen),2 trial zinc operations and Société Anonyme des Mines et Fonderie de dann ins Bergische Land, dem Pionier der deutschen Industriali- Zinc de la Vieille Montagne (SVM), a joint stock company formed in sierung,3 bis schließlich ins Ruhrgebiet, zur Zinkfabrik Altenberg Neutral-Moresnet near Aachen during the Napoleonic era which beca- in Oberhausen gerückt werden.4 Der sich seit den 1860er Jahren me a world market leader by the end of the 19th century. One critical über Frankreich, Belgien und Deutschland hinaus internationali- factor was a technical invention for the production of pure metallic zinc sierende Aktionsraum der SVM in andere Länder (Erzbergwer- by the chemist Jean Jaques Dony; of equal importance, however, were ke in England, Schweden, Italien, Sardinien, Spanien, Tunesien, the legal provisions during the French Revolution (amended under Marokko, Französisch Guayana, USA) wird dabei nicht berück- Napoleon), the direction provided by the timeless principle of the mo- sichtigt.5 Dass die SVM im 21. Jahrhundert zum Geburtshelfer dern theory of the state and renunciation of the sovereign ‘Bergregal’ von Umicore und anderen multinationalen Unternehmen, zum (entitlement to the rights and royalties from mining). The company’s Weltmarktführer der Materialtechnologie und Recylingkonzerne expansion strategy also benefited from the special neutral status under avancierte, u. a. auch mit einem Standort im Ruhrgebiet (Umico- international law of the main plant in Neutral-Moresnet, the tariff po- re Metalle & Oberflächen GmbH mit dem Vertrieb von Metall licy of the impoverished Prussian state (indirectly) and, of course, the anoden (Kupfer, Messing, Nickel, Zinn und Zink) in Essen, wur- organisation’s strong ties with the French and Belgian financial sector. de kürzlich in einer Auftragsarbeit eindrucksvoll belegt.6 Im Mittelpunkt soll die unterschiedliche Entwicklung der fran- zösischen und preußischen Berggesetzgebung links und rechts 74 Der Anschnitt 69, 2017, H. 2
Abb. 1: Außenansicht des LVR-Industriemuseums Zinkfabrik Altenberg. Die Zinkfabrik Altenberg in Oberhausen war rund 130 Jahre in Betrieb und auf die Herstellung von Blechen für den Baubereich spezialisiert. Heute befinden sich auf dem ehemaligen Gelände das LVR-Industriemuseum Oberhausen und die Verwaltung des LVR-Industriemuseums. (© LVR-Industriemuseum) des Mittelrheins stehen, anhand derer wechselseitige sozialge- schäftigten Mitte der 1840er Jahre im Vergleich zur Jahrhundert- schichtliche Verschränkungen, Beeinflussungen und Unterschie- wende und zur räumlichen Expansionsgeschichte der SVM un- de in der westeuropäischen Zinkindustrie in der Frühindustriali- terstreichen den industriellen Aufschwung und den Stellenwert sierung am Beispiel der SVM sichtbar gemacht werden können.7 dieses Unternehmens für die westeuropäische Zinkproduktion. Kann man von einer Epoche machenden „liberalen französi- schen Berggesetzgebung“ sprechen, die seit den Berggesetzen Tab. 1: Anzahl der Beschäftigten der SVM 1840 und 1900 11 vom 28. April 1791 und vom 21. April 1810 in Frankreich zur De- batte stand, die an die Stelle des „Bergregals“, der Hoheitsrech- 1840 1900 te der Landesherren, bzw. der Staaten, treten sollte? Methodisch zu berücksichtigen ist anknüpfend an Fernand Braudel, Lucien Angleur 250 Febvre und andere Vertreter der „Annales Schule“, dass gerade zu Beginn der Industrialisierung, in der Phase der sogenannten Saint-Léonhard 300 „Proto-Industrialisierung“, vielfältige Prozesse auf unterschied- lichen, interdisziplinären Feldern (mikro- und makro-ökono- Tilff 50 misch) wirksam geworden sind. Erst wenn man den Übergang von vorindustriellen zu modernen Produktionsweisen als „his- Moresnet 500 toire totale“, aus langer Sicht (longue durée), letztlich als kom- Gesamt: 1.100 ca. 12.000 plexe Prozesse auch von historischen Strukturen und Bedingun- (10.990, 300 technische Ver- gen erfasst, kann man die „Dynamik des Kapitalismus“ und waltungsbeamte und 853 seine Grenzen besser verstehen lernen.8 Leiharbeiter) Tab. 2: Kapitalentwicklung der SVM 1837-1914 in Mio. Frs.12 Der Forschungsstand Aus unternehmens- und industriegeschichtlicher Sicht kann die 1837 5,0 Geschichte der SVM als gut erforscht gelten.9 Von kleinen und 1848 5,2 schwierigen Anfängen konnte sich diese Gesellschaft seit der 1853 7,2 Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem europäischen Marktfüh- rer der Zinkindustrie entwickeln. Ein Drittel der Zinkprodukti- 1860 9,0 on der Welt erfolgte im 19. Jahrhundert in Belgien.10 Die Tabellen 1914 12,0 zur Kapital- und Produktionsentwicklung, zur Anzahl der Be- Der Anschnitt 69, 2017, H. 2 75
Tab. 3: Rohzinkproduktion der SVM in Tonnen/Jahr13 1884 • Walzwerk Dangu (Frankreich) 1837 1.833 • Erwerb des Walzwerk Hautmont (Département 1847 6.156 1887 du Nord, in der Nähe von Maubeuge und der belgischen Grenze) 1857 20.840 • Mine Casa Conti (Italien) 1867 36.260 • Bau der Blenderösthütte Baelen-Wezel bei 1889 1877 43.238 Antwerpen (Canal de Campine) 1888 52.445 1890 • Konzession Quarsenis, Bergwerksagentur (Tunesien) 1898 69.351 1896 • Minen der Gesellschaft Nenthead (Großbritannien) 1908 92.330 • Inbetriebnahme der mechanischen Aufbereitungs- 1897 anlage Lüderich (Bensberg) 1913 108.60314 1899 • Bergamon (Italien) Tab. 4: Zinkhütten und Auslandsinvestitionen der SVM 1808-1900 in Bel- gien, Frankreich, Algier, Tunis, Schweden, Deutschland, England, Italien, • Kohlenkonzessionen Viviez und Auzitz Sardinien und Spanien15 1900 (Gemeinden im Departement l‘Aveyron, Occitanien, Frankreich) Jahr Investition • Zinkhütte St. Léonhard (Vorstadt von Lüttich) 1808 (erste Zinkhütte) Wirft man nun einen Blick in die Forschungslandschaft zur deut- schen Bergbaugeschichte, muss man feststellen, dass Studien zur • Walzwerke von Hom und Houx in Frankreich westeuropäischen Zinkindustrie eher stiefmütterlich vertreten 1820 • Zinkhütte in Moresnet der Berggesellschaft Dony & sind.17 Cie. Der Blick hatte sich im Zusammenhang mit der „Liberalisie- 1837 • Galmeigrube Neutral-Moresnet rung des preußischen Bergbaus“ eher nach Osten und besonders nach Oberschlesien gerichtet.18 Wenig wird davon Kenntnis ge- • Walzwerke von Bray (Département Seine-et Oise)16 nommen, dass seit einigen Jahren vor allem zahlreiche Lokal- • Walzwerke von Tilff bei Lüttich und Heimathistoriker beiderseits des Mittelrheins zwischen Aa- 1838 • Zinkhütte Angleur bei Lüttich an der Ourthe (1880 chen, Lüttich, Mayen, Köln, Königswinter, Bergisch-Gladbach, geschlossen) Oberhausen sowie der „deutschsprachigen Gemeinschaft Bel- • Fusion mit diversen Gesellschaften: Rheinpreußen, giens, de Duitstalige Gemeenschap van Belgie, la communauté Valentin Cocq, Société de la Meuse, Société Flône germanosphone de Belgique“, ein wachsendes Interesse am Erz (einschließlich der in deren Besitz befindlichen Hüt- bergbau und speziell der westeuropäischen Zinkindustrie sowie 1853 ten und Steinkohlenwerken), Schlesische Aktienge- der Geschichte und Strategie der SMV gezeigt haben.19 Dass ver- sellschaft (Schlesag) • Gruben im Bensberger Distrikt (Bergisches Land) gleichende Untersuchungen zur frühen europäischen Industri- alisierung und speziell zur Geschichte des frühen Bergbaus im • Abtretung des Gesellschaftsvermögens der Zink- nordwesteuropäischen Raum von Nord-Pas-de Calais, über Lo- weißfabriken in Brüssel an die SVM, Levallois-Perret thringen, Belgien, zwischen Maas und Rhein und dem Ruhrge- (Paris) und Colladios (Belgien.) biet noch immer ein Desiderat der Forschung sind, wurde zwar 1855 • Zinkhütte in Mühlheim erkannt,20 die überwiegend französischsprachigen, vor allem • Zinkhütte in Oberhausen • Zinkhütte in Borbeck empirischen Untersuchungen wurden bislang aber kaum rezi- piert.21 Darüber hinaus ist die Thematik der Luft- und Umwelt- • Ammeberg am Wetternsee (Schweden) verschmutzung in den Industriestaaten aus vergleichender Per- 1857 • Erweiterung des Walzwerks Oberhausen durch eine spektive ohnehin transnational (noch) allenfalls ein Randthema Rösthütte der Forschung.22 1860 • Liquidation der Werke Hom und Houx (Frankreich) 1865 • Bergwerksagentur Iglesias (Italien) Der Raum, wo alles begann: • Viviez (Département de Aveyron (errichtet 1857) Der „Zwergstaat Neutral-Moresnet“ 1871 und Penchot (Frankreich)) • Sicherung von Anteilen an Gruben in Sardinien Auf dem Wiener Kongress war hinsichtlich der im Gebiet auf dem Altenberg bei Aachen lagernden, seit Jahrhunderten als be- • Abtretung der Felder von Hammam in der algeri- sonders wertvoll angesehenen Galmeibestände (Sammelbezeich- 1872 schen Provinz Kontantine nung für oxidische Zinkerze) aus unterschiedlichen Gründen eine historisch einmalige diplomatische Lösung eines eigentlich • Ankauf der Grubenfelder der Société des Zincs zwischenstaatlichen Konfliktes getroffen worden. Da sich die 1883 Français (Départements du Gard und l’Hérault) beiden Signatarmächte, die Niederlande und Preußen, nicht da- nach deren Liquidation rüber einigen konnten, wer nun die Nachfolge der seit 1794 im 76 Der Anschnitt 69, 2017, H. 2
Abb. 2: Societe Anonyme des Mines & Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne: Usine d‘Oberhausen (Laminoirs). Lithografie von Adrien Canelle aus der Serie Belgique Industrielle, um 1854. (© LVR-Industriemuseum) französischen Besitz befindlichen Erze antreten sollte bzw. die- waren weder dienst- noch steuerpflichtig. Neutral-Moresnet zog se fördern und ausbeuten durfte, kam es im Vertrag von Aachen folglich nicht nur Dienstunwillige an, sondern begünstigte indi- (26. Juni 1816) zu einer bis 1919 geltenden, politisch einmaligen rekt auch den Schmuggel zollfreier Waren. In dem kleinen Gebiet neutralen, nichtstaatlichen Lösung. Es wurde vertraglich festge- wurden der Code Civil und sein außerordentlich strenges Straf- legt, dass das schmale Gebiet um Moresnet und Kelmis, der seit recht (Code Pénal) angewandt. In dem auch „Vierländereck“ den Römerzeiten für die Produktion von Blei und Kupfer wich- (Deutschland, Holland, Belgien, Neutral-Moresnet) genannten tige sogenannte „Altenberg“, das „établissement national de la Flecken gab es neben Spuren einer Esperantobewegung eine ei- vieille Montagne“, keinem der beiden nationalen Mächte zuge- gene Spielbank und einen eigenen Postdienst mit eigenen Brief- dacht werden, sondern vielmehr neutral verwaltet werden sollte. marken. Zu erkennen sind innovative sozialpolitische Maßnah- Zahlreiche Sonderrechte wurden für die Einwohner ersonnen. men für die Arbeiterschaft, wenngleich auf „paternalistischer“ Das kleine, nur 3,26 qkm (326 Hektar) große Gebiet von Neu Grundlage. So entbehrten diese im Verlauf der Entwicklung häu- tral-Moresnet mit gerade einmal 250 Einwohnern im Jahr 1815 fig rechtlicher Grundlagen, somit den einklagbaren Anspruch (1901 wurden 3.433 Bewohner gezählt)23 wurde fortan von zwei auf den Zugang zu den formal vorgesehen Unterstützungs-und Ländern verwaltet. Als Belgien 1830 selbstständig wurde, änder- Fürsorgekassen, die Anmietung von verbilligtem Wohnraum, die te sich an der Verwaltungsform nichts. Anstelle von Holland be- Aufnahme pensionierte Arbeiter im Altersheim u. a. m.24 stellten nunmehr Belgien und Preußen jeweils einen Kommissar. Inwieweit es sich bei dem Zwergstaat Neutral-Moresnet und sei- Beide zusammen bildeten die „oberste Behörde“. Die Einwoh- ner Geschichte eher um eine Episode ohne größere historische ner gehörten weder zu den Niederlanden noch zu Preußen und Bedeutung, um eine diplomatische Verlegenheitslösung, um ei- Der Anschnitt 69, 2017, H. 2 77
Abb. 3: Werksansicht: Moresnet (Territiore neutre). Gite Nord & plan incliné. Die Grube Moresnet wurde auch schlicht „De la Vieille Montagne“ genannt. Sie war die älteste und ertragreichste Grube der SVM im 19. Jahrhundert. Der instruktive, farbige Steindruck verweist auf die Anfangsphase, er wurde zu Werbezwecken in größeren Auflagen verbreitet. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme de Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille Mon- tagne, Album de 30 Vues, 1850-1851. (© LVR-Industriemuseum) nen „lokalgeschichtlichen Treppenwitz der Geschichte“, um die Auch in diesem Fall scheinen es ausschließlich die langjährigen „absurdeste Grenze in ganz Europa“, oder sogar um „eine supra- (seit 1780) und mühseligen Experimente eines einzelnen Natur- nationale Utopie“, ein Symbol für „Völkerverständigung“ und wissenschaftlers gewesen zu sein, die letztendlich an der Wiege „Transparenz“ gegen die durchverwaltete Welt handelt, bleibt dieses neuen Industriezweigs Zink standen. Auf die Erfolgsspur in der interdisziplinären Forschung und Politik umstritten, regt des Unternehmens hatte in der Tat primär die von der napoleo- aber immer wieder zu neuen Erklärungsversuchen an.25 nischen Verwaltung patentierte technische Erfindung eines Indi- viduums geführt. Das sogenannte „Belgische Röstverfahren“ kann zurecht mit dem Namen des Chemikers Jean-Jaques Dony (1759-1819) ver- Der technikgeschichtliche Aspekt bunden werden. Er hatte jahrelang versucht, einen Ofen zu ent- Dass die Industrialisierung nicht nur auf technologische Innova- wickeln, der zur Lösung jenes technischen Problems führte, das tionen verkürzt werden sollte, wird aus heutiger Sicht bestätigt, die Mineure seit Jahrhunderten beschäftig hatte. Gab es mehr wenn man einen Blick in die älteren Studien zur Geschichte der als die sieben Metalle Gold, Kupfer, Silber, Eisen, Zinn, Blei und Metalle26 oder auch in die Firmengeschichte der SVM wirft. Wie Quecksilber? Hatte der Rohstoff „Galmei“, der seit Jahrhunder- bei so vielen Erfindungen zuvor erweist sich zwar als zutreffend, ten genutzt, mit Kupfererz vermischt wurde, um Messing für dass es bestimmter individueller Tugenden bedurft hatte (Hart- Münzen, Kerzenleuchter und Weihrauchgefäße zu gewinnen, näckigkeit, Geduld, Fleiß, Eifer und Genie), um zum Erfolg zu noch weitere Eigenschaften? Hatten nicht schon römische Natur- kommen. Zuweilen es aber auch dem Zufall und Glück zu ver- forscher (Plinius der Ältere) auf „Galmey“, ein Metall, das nicht danken war, wenn bahnbrechende Erfindungen erzielt wurden. rostet, hingewiesen? 78 Der Anschnitt 69, 2017, H. 2
Abb. 4: Werksansicht: Angleur (Belgique). Vue des Usines prise des hauteurs de Chênée. Diese Lithographie vermittelt ein Bild des fortschreitenden indus- triellen Produktionsverfahrens in Neutral-Moresnet in den 1850er Jahren. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme des Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne, Album de 30 Vues, 1850-1851, Fotograf: Melanie Kohlmeyer/LVR (Repro). (© LVR-Industriemuseum) Der Begriff „Galmei“ steht in Beziehung zu „cadmia“, im mit- dreifachen Wert. Das führt dazu, dass Zink verdampft, bevor die teldeutschen ist der Begriff dafür Kalemin. Davon leitet sich der bei ca. 1300 Grad liegende erforderliche Reduktionstemperatur Name der belgischen Gemeinde „La Calamine“ bei „Neutral-Mo- erreicht ist. Diesen Siedepunkt von 900 Grad galt es gleichsam resnet“ ab, wo seit dem frühen Mittelalter das Erz Galmei abge- auszutricksen, zu überwinden. „Sulfidische Erze“ (Zinkblen- baut wurde. Die mineralogische Bezeichnung für Galmei sind de) mussten durch „Rösten“ in feuerfestem Material mit unter- verschiedene schwefelfreie Zinkerze (Zinkkarbonat und Zinksi- schiedlichen Bezeichnungen („Muffeln“, „Röhren“, „Tigeln“, likat). Dieses seit der Antike bekannte Erz Galmei war nun in der „Creusets“) in komplizierten chemischen Verfahrensschritten in Natur reichlich, dies auch links- und rechtsrheinisch, vorhanden. „Zinkoxyd“ überführt werden, um schließlich metallisches Zink Nicht jedoch war das chemische metallische Element Zink, das gewinnen zu können. achte Metall, das in der Natur nicht wie etwa Kohle, Braunkoh- Dank der Versuche von Dony wurde dieser entscheidende le oder Basalt und andere Steine vorkommt, im Sinne einer wirt- Durchbruch erzielt. Erstmals konnte reines metallisches Zink schaftlichen Bedeutung schon von Interesse. Es konnte auf dem durch Verdampfen von Galmei hergestellt werden. So gesehen ist europäischen Kontinent bis Ende des 18. Jahrhunderts nicht pro- es verständlich und logisch, wenn die Erfindung Donys vor al- duziert werden, weil keine entsprechende Technik bekannt war, lem in der Firmengeschichte schon aus werbetechnischen Grün- die das ermöglicht hätte. den stets hervorgehoben wurde.27 In einer für die Industrie-Ge- Der technische Grund ist, dass „Sulfidische Erze“, erhitzte Gal- werbe-und Kunstausstellung in Düsseldorf 1902 geschriebenen meisteine, oder Zinkblende schnell verdampfen, weil der Siede- Werbeschrift für die SVM wird eine in der Literatur immer wie- punkt von Zink bereits bei 900 Grad liegt. Zum Vergleich liegt der rezipierte Anekdote erzählt, die erklären soll, wie es zu die- der Siedepunkt von Kupfer, Silber oder gar Gold bei einem fast ser Erfindung des Gewinns von metallischem Zink aus Galmei Der Anschnitt 69, 2017, H. 2 79
Abb. 5: Werksansicht: Angleur (Belgique). Fours de réduction. Belgisches Röstverfahren am four liégoies in drei Arbeitsschritten: Bestückung, Auswechs- lung und Entnahme der Schmelztigel. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme de Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne, Al- bum de 30 Vues, 1850-1851. (© LVR-Industriemuseum) gekommen sei: „Bei einem seiner Schmelzversuche hatte Dony Naturwissenschaftlern und Gelehrten traditionell rege.30 Auf […] zur Erzielung einer höheren Temperatur Galmei mit Kohlen dem Kontinent wird neben Döllach in Kärnten (1797) Oberschle- vermischt, um den Vorgang besser beobachten zu können, einen sien genannt, wo es dem Hütteningenieur Ruberg auf der Wes- mit denselben Substanzen gefüllten Blumentopf in einer Seiten- sola Hütte gelungen sein soll, die hüttenmännische Gewinnung wand des Schmelzofens eingefügt. Groß war sein Erstaunen, als von metallischem Zink einzuleiten.31 Der chemisch-physikalisch, er durch das im Boden befindliche Loch das Zink in der kühleren technikgeschichtliche Grund für diese lange und schwierige Ent- Temperatur des Blumentopfes sich in Tropfen condensiren sah. wicklungsphase der Herstellung von reinem verwertbaren Zink Diese Beobachtung gab Dony die Grundidee zu seinem Zink war möglichweise weltweit auch weiteren Naturwissenschaft- ofensystem, auf welcher das belgische Fabrikationsverfahren üb- lern nicht entgangen. rigens gegenwärtig noch basiert.“28 Darüber hinaus sind bezogen auf das 19. Jahrhundert zwei an- In dieser Wahrnehmungsperspektive werden allerdings einige dere, bislang in der Bergbaugeschichte noch zu wenig beachtete Aspekte zu wenig beachtet, die in diesem kurzen Beitrag nicht Aspekte zu sehen. Sie orientieren sich an der Nachfrage, an den vertieft, aber wenigstens gestreift werden sollen. Auf Entwick- marktwirtschaftlichen Auswirkungen von Zink für die Absatz- lungen der „hüttenmännischen Gewinnung“ von Zink in ande- märkte und den gesellschaftspolitischen Folgen dieses technolo- ren Ländern wäre hinzuweisen. Da Galmei seit dem Altertum gischen Fortschritts aus der Sicht nicht nur des Unternehmens. zur Gewinnung von Messing bekannt war, verwundert es his- Die wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung dieser technischen torisch nicht, wenn schon früher versucht worden ist, auch me- Innovation erkennt man, wenn man einen Blick auf die angebo- tallisches Zink in anderen Regionen zu gewinnen. Außerhalb tene Produktpalette wirft. Die seit dem frühen 19. Jahrhundert Europas scheint Zink sogar in schon größeren Mengen in Indi- zu beobachtenden Anwendungsmöglichkeiten von rostfreiem en (seit dem 13. Jahrhundert) und in China (seit dem 17. Jahr- Zinkblech und Zinkdrähten z. B. für Dächer, Dachfirste, Dachrin- hundert) gewonnen worden zu sein. An Versuchen, den Rohstoff nen, Regenrohre, Haushaltsgegenstände wie Waschbretter, Gefä- Zinkerz, die in der Natur reichhaltig vorhandene Zinkblende, zu ße aller Art, Vasen, Kerzenleuchter, Gießkannen etc. erweiterten destillieren, hatte es offensichtlich weder in England noch auf sich zunehmend. Zink fand auch in der Fotografie (Druckplatten dem Kontinent gefehlt. Zahleiche entsprechende Versuche sind für die Photozinkographie, einem Vorläufer der modernen Fo- in England in den 1730er Jahren zu beobachten.29 Die internatio- tografie) frühzeitig Verwendung. Dasselbe gilt im sanitären Be- nale Kooperation war gerade unter französischen und deutschen reich und im Gesundheitswesen, bei der Herstellung pharma- 80 Der Anschnitt 69, 2017, H. 2
zeutischer und kosmetischer industrieller Produkte zum großen nehmenden industriellen Produktion seit den 1760er Jahren. Teil als Nahrungsergänzungsstoffe für Mensch und Tier. Vor al- Stichworte sind: Freihandelsideen (Adam Smith, Ricardo u. a.), lem bestand ein hoher Bedarf an Zink im Schiffbau und in der Selbstverantwortung, freie Initiative der Wirtschaftssubjekte als Verwendung neuer Farben auf Zinkbasis nicht nur im Bauwesen, Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung, Marktliberalismus, sondern auch in Kunst und Malerei.32 Parisbegeisterte können an Kapital-Akkumulierung, Abschaffung des Zunftwesens, techni- die mit Zink bedeckten Dächer aus der Epoche des Baron Haus- sche und wirtschaftliche Innovationen (Niederdruck-Dampfma- mann denken und eine Verbindungslinie zu den Anfängen der schinen, Spinnmaschinen und mechanische Webstühle, Eisen- Zinkproduktion im Zwergstaat Neutral-Moresnet ziehen: „Wenn verhüttung mit Koks u. a. m) sowie Bevölkerungsvermehrung in es in Paris regnet, tropft es aus Kelmis“, liest man zu diesem The- der Folge. ma auf dem Buchrücken einer neuen flüssig geschriebenen Ge- Auch der Bergbau strukturierte sich in England anders als auf schichtsnovelle.33 dem Kontinent: in „uneingeschränkter Freiheit ohne staatliche Diese sich erst allmählich entwickelnden, vielschichtigen Ab- Bevormundung, wo immer sich ein Gewinn anbot“.37 Das Ver- satzmärkte sind uns heute nicht unbedingt mehr als ein wichti- fügungsrecht über unterirdische Bodenschätze verblieb weitge- ger Bestandteil der frühen Bergbaugeschichte und der volkswirt- hend beim Grundeigentümer oder seinen Pächtern. Aus Sicht schaftlichen Bedeutung bewusst. Auffallend ist auch, dass die der Programmatik der europäischen Arbeiterbewegung sowie ökologischen Zusammenhänge jener technologischen Innovati- des gemäßigten Liberalismus wird die weitere Entwicklung on ebenso wie die arbeitsrechtlichen, sozialen und gesundheitli- im 19. Jahrhundert ideengeschichtlich eher negativ konnotiert chen Probleme der beschäftigten Zinkarbeiter erst allmählich Ge- (Kritik am Prinzip des „laissez faire“, Kritik am extremen wirt- genstand der wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Forschung schaftlichen Liberalismus des sogenannten Manchesterliberalis- werden. Die Herstellung von Zink, von Zinkerz zum Zinkblech, mus und der Versuch, systemkritische politische Alternativen zu war „Knochenarbeit“: „Während einer Schicht bewegte der Rös- denken (F. Engels, K. Marx). Im frühen 19. Jahrhundert verlief ter mehrere Tonnen Erz. Zwölf Stunden Schwerstarbeit, denn die Entwicklung des Bergbaus auf dem Kontinent, an die tech- außerdem belasteten das Gewicht der Röstwerkzeuge und die nischen Fertigkeiten der Engländer z. T. abknüpfend, sowohl in durch die verschieden hohen Ofenöffnungen erzwungene Kör- Frankreich als auch in Preußen, wenngleich hier mit zeitlicher perhaltung insbesondere die Rückenmuskulatur. Zusätzlich Verzögerung, eher in die Richtung einer vergleichsweise soziale- führte das Einatmen der entweichenden Gase, schweflige Säure ren Wirtschafts- und Sozialverfassung. und Kohlenoxid, die durch die enorme körperliche Anstrengung Die Ideen der Französischen Revolution, das anhaltende Rin- noch tiefer inhaliert wurden, zu gravierenden gesundheitlichen gen progressiver, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu- Störungen. Chronischer Husten, die „Hüttenkotze“, gereizte gewandter Kräfte, die Gedanken der „citoyenneté“ einer „un- Schleimhäute, angegriffene Atmungsorgane, Magenschleimhaut teilbaren Nation“, haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Sie entzündungen, Augen- und Kopfschmerzen waren an der Tages- haben auf dem europäischen Kontinent und nicht zuletzt links- ordnung“.34 rheinisch vor allem die Berggesetzgebung maßgeblich geprägt. Es sei dahingestellt, inwieweit die für Mitte des 19. Jahrhunderts Dieser Trend war im Bergbau verknüpft mit traditionellen staat- gewiss fortschrittlichen sozialpolitischen Maßnahmen, das „Pro- lichen und sozialen Strukturen und Rahmenbedingungen, die gramme Social de Charles Brouckère“ (Leistungsprämien, Un- sich in ständisch konzipierten Bergordnungen manifestierten. fallentschädigungen, Mietzulagen für verdienstvolle Arbeiter u. Agrarische Traditionen und Gewohnheiten, in engen Räumen a.m.),35 aus der Sicht der Zinkarbeiter hinreichende Anreize bo- verharrende Kräfte, dominierten zu Lasten einer Minderheit, ten, den drängenden Bitten des Unternehmens, sich für diese des aufstrebenden wirtschaftlichen Bürgertums. Die Übergangs- Knochenarbeit zu bewerben, nachhaltigen Erfolg hatten. Häufig phase von der vorindustriellen zur industriellen Produktion verschwanden die Arbeiter schon nach dem ersten Arbeitstag.36 hatte auf dem Kontinent einen die Zeiten überlappenden Cha- Das verweist auf einen weiteren zu Beginn des 19. Jahrhunderts rakter. Vergangene und moderne, in die Zukunft weisende As- mit dem Wandel ökonomischer Prinzipien und der Kritik an den pekte waren vermischt. Sie wurden in den zahlreichen absolu- alten Wirtschaftsformen (Merkantilismus, Gemeinschaftsgüter- tistischen „Fürstentümern von Gottes Gnaden“ und auch in den lehre) sichtbar gewordenen allgemeineren Aspekt und histori- konstitutionellen Monarchien von rückwärtsgewandten, traditi- schen Kontext. onsorientierten, noch nicht primär wie später an Gewinnmaxi- mierung und Kostenminimierung ausgerichteten Faktoren be- gleitet. Sozial- und ideenpolitische Rahmenbedingungen Es fehlte nach den Wirren der napoleonischen Kriege linksrhei- nisch eben nicht nur, wie bekannt, am Kapital, sondern auch Versucht man den Aufbruch aus der agrarischen Produktions- am Unternehmergeist freier Konkurrenten. Der rheinische Ban- weise in die sogenannte „Moderne“ im Rückspiegel der Ge- kier Schaaffhausen brachte das nach der widerwilligen „Verset- schichte zu verstehen, verkürzt und vereinfachend nachzuzeich- zung Preußens an den Rhein“ 1815 süffisant mit dem Bonmot nen, erkennt man im frühen 19. Jahrhundert zwei besonders zum Ausdruck, sie hätten eben in eine arme rheinische Familie nachwirkende, gegensätzliche Entwicklungslinien. Sie sind mit eingeheiratet.38 In mehrfacher Hinsicht kann die Frühindustria- der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England be- lisierung des 19. Jahrhunderts in der Rheinprovinz auch deshalb ginnenden „Industriellen Revolution“ und der „Französischen im Sinn eines in Richtung einer „schleichenden Wende zur In- Revolution“ von 1789 verknüpft. Gelegentlich wird hierfür der dustrialisierung“ führenden Pfades charakterisiert werden.39 Das Begriff „Doppelrevolution“ verwendet. Im 18. Jahrhundert wur- spiegelt sich anschaulich in Quellen der Kunstgeschichte, in der den in England letztendlich die Grundlagen und Voraussetzun- Literatur (Victor Hugo), ebenso wie der Rechts-und Wirtschafts- gen der beginnenden Industriellen Revolution gelegt. Hier der geschichte wider. Ein Beispiel sind die Lithografien des Künst- Aufbruch in die Moderne, auf der Grundlage einer rapide zu- lers Adolphe Maugendre (1809-1895). Erkennbar wird noch Der Anschnitt 69, 2017, H. 2 81
Abb. 6: Werksansicht: Angleur (Belgique). Vue des Usines prise des hauteurs de Chênée. Eine enge Verknüpfung von Landschaft, Transportmitteln und In- dustrieanlagen ist erkennbar. Arbeitende Personen werden „verlandschaftet“. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme des Mines et Fo nderies de Zinc de la Vieille Montagne, Album de 30 Vues, 1850-1851, Fotograf: Melanie Kohlmeyer/LVR (Repro). (© LVR-Industriemuseum) Mitte des 19. Jahrhunderts eine äußerst enge Verknüpfung von nerschaft,43 hat schon 1838 in seiner berühmten Reisebeschrei- Landschaft und Industrieanlagen, auch arbeitende Personen bung von der Maas an den Rhein einen bedingt hellsichtige- werden zuweilen gleichsam „verlandschaftet“. Ihre Tätigkeiten ren, kritischeren, die Belange von Menschen und Umwelt nicht sind in einen erzählerischen, anekdotischen oder stimmungsvol- vernachlässigenden Eindruck von der schleichenden Verwand- len landschaftlichen Kontext eingebettet, Arbeitsprozesse blei- lung der Landschaft am Beispiel der frühen Zinkwerke der SVM ben meistens unklar, Innenraumdarstellungen mit arbeitenden formuliert: „De temps en temps on rencontre tout au bord du Menschen kommen nur äußerst selten vor. Die Landschaft wird fleuve, dans quelques ravin au-dessus passe la route, une fa wahrgenommen wie unsere Haut, die Spuren alter und neuer brique de zinc dont l’aspect délabré et les toits crevassés, d’ou Verletzungen bewahrt, die nicht verblassen werden.40 la fumée s’échappe de toutes les tuiles, simulent un incendie qui Markant wird dieser Gedanke auf der Titelseine des neuen Bu- commencent ou qui s’éteint; ou c’est une alunière avec ces vas- ches von Arnaud Péters zur Geltung gebracht.41 Am Horizont, tes monceaux de terre rougeâtre; ou bien encore, derrière une etwas entrückt die Zinkfabrik von Angleur in Belgien und eine houblonnière , à côté d’un champs de grosses fèves, au milieu dampfende Lokomotive, die Zinkblech an nicht bestimmba- des parfums d’un petit jardin qui regorge de fleurs et qu‘entou- re Absatzmärkte transportiert. Im Vordergrund eine idyllische re une haie rapiécée ça et là avec un treilleis vermoulu, parmi Landschaft mit klarer Aufgabenzuteilung an deutlich erkennba- les caquets assourdissants d’une populace de poules d’oies de re Personen in agrarischer Zeiten im Duktus einer Schäferidyl- canards.“44 le.42 Viktor Hugo (1802-1885), im Übrigen ein früher Befürworter Aus gegenwärtiger Perspektive lassen sich in dieser schleichen- einer Einigung Europas und einer deutsch-französischen Part- den Wende der Industrialisierung weitere, diese begleitenden 82 Der Anschnitt 69, 2017, H. 2
Denkrichtungen beobachten. Sie überschreiten die engen Gren- licher Sicht. Es spiegelt sich jedenfalls trotzdem um die Jahrhun- zen des von England und Frankreich geprägten eurozentrischen dertmitte, aus Unternehmersicht und unabhängig von „sozia- Weltbildes. len und ökologischen Fragen“, in dieser Branche eine offenbar selbstverständlich transnationale Kooperationsbereitschaft auf der Seite des Kapitals wider. Industrieller Kosmopolitismus Von heute aus gesehen und mit aktualisierendem Impetus wird Rechtspolitische Aspekte der französischen jedenfalls gelegentlich gerne betont, dass parallel zu dieser Berggesetzgebung „Doppelrevolution“ ein universal ausgerichteter, globaler As- pekt im normativen Sinn sichtbar geworden sei und erinnert Das weckt nun das eigentliche Interesse an den zu fokussieren- werden könne.45 Wenn damit nicht nur die Frage der Menschen- den rechtsgeschichtlichen Fragen, auf die nunmehr einzuge- rechte in der Französischen Revolution gemeint sein sollte, son- hen ist. Zu prüfen ist, ob dafür das französische Bergrecht, das dern auch soziale Fragen im Sinne vormarxistischer und sozia- linksrheinisch auch nach dem Wiener Kongress noch bis 1865 ler Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien bei einer Minorität Gültigkeit hatte, eine legitimatorische Grundlage für eine libe- der Intellektuellen, der „philosophes“ (Rousseau, Mably, Babeuf, rale Wirtschafts- und Sozialverfassung „avant la lettre“ bietet. Saint-Simon, bis zu Robert Owen), wenn, gewendet in Richtung Erfolgte eine reformerische Debatte, die zur Preußischen Berg der Frühindustrialisierung, ein hoffender Blick auf empirische rechtsreform führte, nicht erst sehr viel später in den 1850er transnationale Kooperationen nicht zuletzt am Rhein avisiert Jahren? „Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Einführung worden sein sollten,46 dann ist interessant zu lesen, dass just in der Gewerbefreiheit in Preußen durch die Stein-Hardenbergi- einem solchen Kontext auch die Geschichte der „Société Anony- schen Reformen wurde nun auch für den Bergbau eine liberale me des Mines et Fonderie de Zinc de la Vieille Montagne“, der Wirtschafts- und Sozialverfassung etabliert“, unterstrichen dies Vieille Montagne (SVM), erwähnt wurde. Sie könne als Beispiel kürzlich Farrenkopf/Przigoda.52 einer sich auf die universelle Phase der Französischen Revoluti- Waren das Interesse an und die Suche nach liberalen- und de- on stützenden, kosmopolitischen industriellen Phase („cosmopo- mokratischen Traditionen im westeuropäischen Verfassungs- litisme industriel“) charakterisiert werden. 47 denken ein oder gar das eigentliche Motiv dafür, dass sich Hein- Sind mit der Entwicklungsgeschichte der SVM tatsächlich etwa rich Achenbach53 (1829-1890) in den 1860er Jahren in der neuen nachhaltige kosmopolitische, demokratische Ideen der poli- „Zeitschrift für Bergrecht“ fortgesetzt über neun Jahre wissen- tischen Aufklärung gemeint, die erst schrittweise von den sich schaftlich so intensiv mit dem französischen Bergrecht ausein- steigernden nationalen Strömungen seit Sieg und Niederlage andersetzte?54 Kann man den Versuch von Achenbach, die Vo- Napoleons abgelöst wurden? Könnte es sein, dass die Anfänge raussetzungen des Preußischen Bergrechts von 1865 und deren der industriellen Zinkindustrie, gerade im Bergbau und speziell Verschränkungen, speziell auf der linksrheinischen Seite, mit wegen der nachweisbar letztlich konfliktlosen Zusammenarbeit der französischen Tradition zu vergleichen, im weiteren Sinn der deutschen und französischen Bergbeamten in der Frühindus- auch so deuten, dass auch für Preußen ein anderer Weg in die trialisierung in diesem „kosmopolitischen“, noch nicht von nati- Moderne gesucht werden sollte, als das sich im sogenannten onalen Spannungen bedrohten Geist erfolgten? Auch wenn die- Direktionsprinzip spiegelnde weniger liberale Verfassungsver- se Hypothesen historisch und semantisch spekulativ konnotiert ständnis? Ist das aber wiederum nicht zu spekulativ, eine nor- sein mögen, man aus begriffsgeschichtlicher Perspektive zu einer mative Annahme, geprägt von der Hoffnung, in der politischen anderen Interpretation neigen muss, legitim ist es allemal, wenn Landschaft des Rheins und linksrheinisch andere Wege der Historiker auf Umbrüche der eigenen Gegenwart anhand von deutsch-französischen Beziehungen zu finden als die schritt- Quellen durch Rekonstruktion und Konstruktion von Vergan- weise zunehmende Ideologie der Feindschaft, die nach Verdun genheit aus verändertem Erkenntnisinteresse reagieren.48 Das da- führte? Lassen die so unterschiedlichen Legitimitätsgrundlagen mit verbundene, geschichtstheoretische Problem kann hier nicht der französischen und deutschen Tradition der Bergrechtsge- behandelt werden. setzgebung – hier die Bergwerke und Gräbereien zur „Disposi- Festhalten ließe sich, dass es auf der praktischen, operationalen tion der Nation“,55 dort das von „Wir Wilhelm, von Gottes Gna- Ebene zwischen deutschen und französischen Ingenieuren nicht den König von Preußen“ verordnete Allgemeine Berggesetz für zuletzt im Zinkhüttenbetrieb und speziell bei der SVM lange kei- die preußischen Staaten von 1865 (ABG) – die Möglichkeit alter- ne Berührungs- und Kontaktprobleme, auch unter den Ingeni- nativ zu beschreitender Pfade erkennen?56 euren kaum sprachliche Verständigungsschwierigkeiten erge- Die 1869 unwesentlich ergänzte revidierte Monographie jener ben haben.49 Ein zeitlich etwas versetztes, späteres Beispiel dafür Abhandlungen Achenbachs ist zunächst einmal vor dem Hin- findet sich in der Berg- und Hüttenmännischen Zeitung. Der In- tergrund der politischen Spannungen kurz vor Ausbruch des genieur Fr. A. Thum berichtet in mehreren Beiträgen über seine deutsch-französischen Krieges zu sehen. Die Verschränkungen mehrjährige Tätigkeit und seine Erfahrungen im „Zinkhütten- der beiden Bergrechtstraditionen fallen auf den ersten Blick des- betrieb der Altenberger Gesellschaft“ und anderen belgischen halb bereits weniger ins Gewicht, etwa wenn schon im Titel von Zinkhütten in den Jahren 1857 bis 1859. Seine vergleichende, der „Fortbildung“ des französischen Bergrechts durch das preu- kenntnisreiche und nüchterne Analyse der Verhüttungsmetho- ßische Bergrecht, und nicht umgekehrt, die Rede ist. In diesem den und Zinkgewinnung mit den belgischen und schlesischen Kontext, zumal die Anfänge der westeuropäischen Zinkindus Verfahren, ihrer Vor-und Nachteile, ist objektiv, wenngleich zeit- trie im Focus stehen sollen, ist es ratsam, in diesem Beitrag we- gemäß an Interessen des Unternehmens50 und nicht gerade am niger auf solche politischen Aspekte einzugehen und diese nicht Wohl der Arbeiterschaft orientiert.51 Qualifikation war eben ein zu vertiefen. Vielmehr gilt es, die rechtsgeschichtlichen Passa- nicht unbedingt profitabler Kostenfaktor aus betriebswirtschaft- gen in Verbindung mit der SVM hervorzuheben. Der Anschnitt 69, 2017, H. 2 83
Achenbach erwähnt in seiner Betrachtung des französischen spricht, wie gesagt, viel dagegen. In der Interpretation Achen- Bergrechts und speziell der französischen Berggesetze vom 28. bachs überwiegen polarisierende Aspekte, die Gegensätze zwi- April 1791 und 21. April 1810 als Beispiel für die Einführung der schen französischen und preußischen Standpunkten. Aus einer französischen Gesetzgebung auf der linken Rheinseite eine Kon- politikwissenschaftlichen und rechtsgeschichtlichen Perspektive zession, die Jahre später (1837) Ausgangspunkt jener Aktienge- kann man das aber auch noch anders sehen. sellschaft werden sollte, die sich zum europäischen Marktführer der Zinkindustrie entwickeln sollte: „Eine zweite sehr wich- tige Concession auf Grund des Gesetzes vom 28. Juli 1791 war Die Relevanz des „Pouvoir constituant“ durch kaiserliches Decret vom 24. März 1806 an Jacques Dani- el Dony zu Lüttich in Betreff der Galmei-Bergwerke am Alten- Dazu ist es ratsam den historischen Hintergrund der verfas- berge erteilt worden. Die Galmei-Bergwerke am Altenberge, im sungspolitischen Entwicklung als Voraussetzung für die Refor- ehemals österreichischen Herzogthume Limburg gelegen, bilde- mierung des französischen Bergrechts zu rekapitulieren. Der ten vor der französischen Occupation ein österreichisches Be- Standort „Vieille Montagne“ oder „Altenberg“ bei Aachen war sitztum und wurden vom Staate teils auf eigene Rechnung, teils seit Jahrhunderten wegen des hohen Zinkgehalts bekannt und durch Vergebung an Private unter Vorbehalt des Ankaufsrechts unter allen wechselnden Regierungsformen, zuletzt im ehemali- des gewonnenen Galmeis zu einem festen Preise ausgebeutet“.57 gen österreichischen Herzogtum Limburg, immer wieder Anlass Das Dekret, abgedruckt in einem 40 Jahre später erschienenen und Gegenstand rechtstaatlicher Auseinandersetzungen. Erst Verwaltungsbericht der SVM, auf den noch ausführlicher ein- nach der Französischen Revolution 1789 und der schrittweisen zugehen ist,58 war mit Auflagen erteilt worden, die Achenbach Besetzung des linken Rheinufers durch Frankreich sowie nach rezipierte. Die Konzession sollte 50 Jahre dauern, eine jährliche der Vereinigung mit der Französischen Republik 1794 konn- Steuer von 40.000 Frs. war gefordert worden, die Dony um 500 ten die linksrheinisch komplizierten und unübersichtlichen ber- Frs. überboten hatte, weshalb er den Zuschlag vor der Konkur- grechtlichen Zuständigkeiten geändert werden.61 Vor allem wur- renz erhalten hatte. Die Akzentuierung des staatlichen Einflus- de das unter den Bourbonenkönigen Ludwig XIII. bis Ludwig ses in Achenbachs Text, die Unterwerfung „mehrerer Betriebs- XVI. missbrauchte „Bergregal“ abgeschafft. Der Staat sollte ge- und Haushaltsangelegenheiten“, die strenge Überwachung genüber dem Bergbau mehr oder weniger keine Rechte privater durch staatliche Behörden59, dürfte allerdings weniger dem Natur mehr haben. Bergwerke sollten naturrechtlich begründet „Geist“ des Gesetzes vom 28. Juli 1791 und auch nicht den In- werden, zum Gegenstand unverletzlichen Eigentums werden, so tentionen Napoleons entsprochen haben. wie dies der Code Napoléon im Artikel 552 vom 21. März 1804 Ich benutze die Bemerkungen Achenbachs für die bereits ange- kodifiziert hatte. Rechtsgeschichtlich wirkte die maßgebliche deutete Frage, warum im Kontext einer Untersuchung zur Ge- Lehre der Französischen Revolution nach, die vom Abbé Siéyès nese eines preußischen Berggesetzes überhaupt auf ein franzö- formulierte und ideengeschichtlich begründete Unterscheidung sisches Gesetz, das im Kontext der Französischen Revolution zwischen verfassungsgebender (pouvoir constituant) und ver- von 1789 steht, eingegangen werden sollte. Welche objektiven fassungsgegebener (pouvoir constitué) Gewalt, das zeitlose Prin- Interessen verband damit ein deutscher Oberbergrat und preu- zip der modernen Staatstheorie.62 Auch der Empereur, der Kai- ßischer Ministerialrat im engeren Sinn? In einer Rezension zu ser Napoleon, hatte dies für rechtens befunden: „Napoleon selbst der zitierten Studie Achenbachs hat der Mitherausgeber Hein- mit seinen zahlreichen Armeen kann sich nicht eines Ackers be- rich Brassert im selben Jahrgang der Zeitschrift für Bergrecht er- mächtigen, denn, das Eigentum eines einzigen verletzen, heißt wähnt, dass in den ersten zehn Jahrgängen seit 1860 aus einem das Aller zu verletzen“, kommentierte Napoleon bereits den Ent- doppelten Grund immer wieder Beiträge Achenbachs zum fran- wurf einer von ihm geleiteten Staatsratssitzung vom 18. Novem- zösischen Bergrecht erschienen sind: Zum einen, weil beide Ge- ber 1809.63 setze, das erwähnte Gesetz vom 28. Juli 1791 und das Gesetz Auch Bergwerke und Gräbereien standen letztendlich dem vom 21. April 1810, im Gegensatz zu den Grundanschauungen Souverän, der Nation, und nicht der monarchischen und stän- älterer bergrechtlicher Vorgaben eine „totale Umwälzung im li- destaatlich konstituierten Obrigkeit zu. Nur mit Zustimmung beralen Sinn zu Wege gebracht […] und einen langsamen, aber der Nation sollte Bergbau betrieben werden können. Problema- sicher wirkenden Einfluss auf die Fortbildung der deutschen tisch war die Position der Grundeigentümer. Einerseits sollte Bergwerksgesetzgebung erlangt haben“. Zum anderen habe das ihre Vorrangstellung bei der Nutzung der Bodenschätze sicher- unter Federführung von Napoleon erarbeitete, 1810 eingeführte gestellt werden. Für Achenbach war das französische Berggesetz französische, 50 Jahre lang in den linksrheinischen Landesteilen vom 21. April 1810 „epochemachend“, weil das Bergbaurecht Preußens, Bayerns und Hessens „erprobte Bergrecht, ohne die wie ein Sacheigentum nach den allgemeinen Regeln des Civil- Vorzüge des einheimischen Rechts aufzugeben“, gewirkt.60 Be- rechts“ beurteilt wurde, weil Grundeigentümer ein Vorzugsrecht stätigt Brassert die Hypothese, dass die Beschäftigung mit der bei Erteilung einer Konzession haben sollten, weil Eigentum un- französischen Tradition des Bergrechts seit der Französischen verletzlich sein sollte. Deshalb sollten Ingenieure nur ein Inspek- Revolution und die zusammenfassende Synopse 1869, vier Jah- tionsrecht als Sachverständige haben undch nicht in die Rechte re nach Einführung der Bergrechtsreform und des Allgemeinen der Grundeigentümer engreifen: „[…] Es ist besser, das persön- Preußischen Berggesetzes (ABG) auch erfolgt sind, um liberale liche Interesse wirken zu lassen, als die Überwachung durch In- Wurzeln, liberale europäische Traditionen zu unterstreichen, die genieure einzuführen. Es ist ein großer Fehler, wenn die Regie- in der preußischen Tradition mit ihren zahlreichen, divergieren- rung zu väterlich sein will“.64 Aus preußischer Sicht und auch für den Bergordnungen keine Wirkkraft hatten? Sollten tatsächlich, Achenbach selbst, von Amts wegen eingebunden in eine monar- auch kurz vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges, chisch-ständische Verfassung, war es vor dem Hintergrund sol- im Bergbau nach Wegen der transnationalen wissenschaftli- cher Prämissen schwierig, die Rolle des Staats und seiner ver- chen Kooperation gesucht worden sein? Auf den ersten Blick bliebenen Hoheitsrechte zu bestimmen. Eindeutig waren die 84 Der Anschnitt 69, 2017, H. 2
Bestimmungen auch im französischen Bergrecht nicht geregelt. und Des Arts vermittelt einen Eindruck der sozialen Macht- und Die Rechte der Grundeigentümer waren nur bis zu einer Tiefe Interessenstrukturen. Charles Amé Joseph Le Hon (1792-1868) von 30 Fuß gewährleistet. Tiefer liegende Schätze verblieben im war von 1831 bis 1842 Gesandter und erster belgischer Botschaf- Besitz des Staates. ter in Paris. 1836 wurde er in den belgischen Grafenstand erho- Auch wenn darauf an dieser Stelle nicht eingegangen werden ben, von 1847-1857 war er Mitglied der Zweiten Kammer. Sein soll, lässt sich aber dennoch bereits ein klarer Gegensatz zur Sohn Louis Xavier Léopold Le Hon war 1851-1856 Kabinettschef deutschen Tradition erkennen. Im Gegensatz zum Bergbau der des Grafen Charles Auguste Louis de Morny (1811-1865) in Pa- deutschen Staaten, in denen das Bergregal, die alten Bergordnun- ris. Dieser wiederum ist der Sohn von Hortense de Beauharnais, gen und das Direktionsprinzip, das ständisch-korporative Sys- verheiratet mit Louis-Napoléon Bonarparte, somit ein Halbbru- tem des monarchischen Obrigkeitsstaates weiterhin Gültigkeit der Napoleons III. Er war ein erfolgreicher Rübenzuckerfabri- besaßen, hatte das bereits im Ancien Régime und anderen Län- kant mit besten Beziehungen zur bürgerlich belgischen Elite und dern diskutierte demokratische Legitimationsprinzip des moder- der Finanzwelt. Alfred Mosselmann ist der Sohn des wohlhaben- nen Verfassungsstaates offensichtlich auch im Bergbau der napo- den Pariser Kaufmanns François Mosselmann, der sein Kapital leonischen Regierung noch Bestand. Auch der Empereur, der durch Verbindungen zur Waffenindustrie in napoleonischer Zeit Kaiser Napoleon, hatte es, wie gesagt, für rechtens befunden. und im Rahmen der Säkularisierung kirchlichen Besitztums er- Das französische Berggesetz vom 21. April 1810 eröffnete in Ver- heblich erweitern konnte. Ihm ist es zu verdanken, dass der früh- bindung mit dem in der Nationalversammlung am 28. Juli 1791 zeitig in finanzielle Schwierigkeiten geratene Konzessionär des beschlossenen Bergbaugesetz, jedenfalls die Möglichkeit, vie- Altenbergs, der Chemiker Dony, bis zu seinem frühen Tod (1819) le kleinere „Gerechtsame“ im Namen der Nation, dem „pouvoir noch weiter arbeiten konnte. Alfred Mosselmann und seine elf constituant“, zu konzentrieren und zu einer Konzession zusam- Geschwister wuchsen in einer Villa in Paris in der Chaussé d’An- menzufassen. Inwieweit dieses Gesetz, das zu Zeiten der DDR tin auf. Seine Schwester Fanny68 war verheiratet mit Charles Amé gelegentlich sogar schon als „Epochengesetz des Kapitalismus Joseph Le Hon, der dieses Gutachten erstellte. Die privaten Net- der freien Konkurrenz“ bezeichnet wurde,65 im Sinne Achen- ze dieser weltoffenen Frau etwa zu Graf Charles Morny, eben- bachs eine „liberale Umwälzung“ inkludierte, ist in der franzö- falls Mitglied des Verwaltungsrates, sind häufig beschrieben sischen Literatur umstritten.66 Es ist ratsam, diesen Komplex aus worden.69 Der Aufstieg der SVM zu einem weltweit operieren- einer zeitlich verschobenen Perspektive der späten 1840er Jah- den Unternehmen gelang sicherlich auch deshalb, weil, theore- re, mehr als 40 Jahre nach der Übertragung des Altenbergs durch tisch gewendet, es gelungen war, frühzeitig ökonomisches Kapi- kaiserliches Dekret am 17. Dezember 1805 an den Chemiker Jean tal geschickt durch kulturelles und soziales Kapital im Sinne der Jacques Daniel Dony (Lüttich) und der Bestätigung der Konzes- Definition von Pierre Bourdieu zu ergänzen. sion am 24. März 1806 durch Napoleon, noch einmal aufzugrei- Beschränken möchte ich mich auf die juristischen Argumentation fen. Letztlich wurden nämlich erst zu diesem Zeitpunkt die we- und die Intention des Gutachtens. 40 Jahre nach der Debatte zum sentlichen rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Stellenwert demokratischer Legitimationsprinzipien im Bergbau die ewigen Auseinandersetzungen um den „Altenberg“ ruhig im Sinne des „pouvoir constituant“, der These vom grundsätz- gestellt werden konnten, denn die Erfolgsgeschichte des Unter- lichen Verfügungsrecht der „Nation“ über die Bergwerke, soll- nehmens zum führenden westeuropäischen Zinkproduzenten te offensichtlich nachgewiesen werden, dass jene im Kontext der nahm erst nach der Niederlage der freiheitlichen demokratischen Französischen Revolution geführten Argumente letztlich inzwi- Bewegungen 1848 ihren Lauf, zunächst bis ins Rheinisch-Westfä- schen obsolet waren. Das scharf- und spitzfindige Gutachten des lische Industriegebiet. Vor diesem historisch-politischen Hinter- Grafen Le Hon sollte belegen, dass die 1837 gegründete Aktien- grund könnte das nachfolgende Gutachten des Grafen Le Hon gesellschaft SVM nunmehr der alleinige rechtmäßige und legiti- durchaus auch kritisch gesehen werden. me Erbe des „Altenbergs“ war. Die SVM könne aus historischen und rechtsgeschichtlichen Gründen diese Konzession für sich be- anspruchen. Die Legitimation sei nicht befristet, nicht temporär Die Legitimitätsgrundlagen der SVM aus unterneh- gewährt worden. Die ursprünglich an Dony erteilte Konzessi- on sei inzwischen sowohl durch den belgischen Staat als zuletzt menshistorischer Sicht durch den Königlichen Gerichtshof Paris sanktioniert worden Der zweisprachige Bericht einer Sitzung der SVM vom 16. April und daher auf „immerwährende Dauer“ an die SVM übergegan- 1849 unter dem Vorsitz des Direktors der Gesellschaft Saint-Paul gen. Diese Gesellschaft habe somit das Recht und das Monopol, de Sinçay wurde 1853, in „Anbetracht der Wichtigkeit der ent- diesen wertvollen Berg nach ihren Vorstellungen ausbeuten. Er haltenen Tatsachen“ auf Beschluss des Verwaltungsrates in einer sei ihr unantastbares Eigentum. […] „keine auf das Recht und Aachener Druckerei (C. H. Müller) veröffentlicht.67 Der 110 Sei- nicht auf die Gewalt gestützte, regelmäßige Macht kann das in ten umfassende Bericht in deutscher und französischer Sprache Frage stellen“, so das Résumé des Gutachtens.70 wurde ergänzt durch einen Anhang „offizieller Urkunden“ und Der industrielle Aufschwung des Unternehmens hatte von nun Schriftstücke zur Vorgeschichte der Vieille Montage sowie Doku- an eine neue, in der Tat nicht mehr umstrittene legitime Grund- mente von 127 Seiten zu juristischen Auseinandersetzungen auf lage, erst jetzt konnte ohne Bedenken juristischer Natur der Auf- unterschiedlichen Ebenen seit der Französischen Revolution bis schwung der Firma dynamisiert werden. Das mit zahlreichen Be- in die 1840er Jahre. Diese in der Literatur wenig beachtete Quelle legen unterfütterte Gutachten fasste gleichsam alle juristischen ist für unseren Zusammenhang aus soziopolitischer und juristi- Argumente noch einmal zusammen, die in der Vergangenheit scher Perspektive von Interesse. in zahlreichen Prozessen gegen die SVM und seine Vertreter auf Allein schon die Zusammensetzung des Verwaltungsrates, die öffentlich rechtlicher und privater Ebene ausgefochten worden Grafen Le Hon, Vilain XIII, de Morny und die Herren Alfred waren. Das Gutachten ließ auch für Dritte keinen Zweifel dar- Mosselmann, Julius Nagelmackers, Joseph Périer, Ernst André an aufkommen, dass es legitim war, weiterhin aus einer Position Der Anschnitt 69, 2017, H. 2 85
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