Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...

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Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Peter Friedemann

        Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel
        der Galmei-Bergwerke „Vieille Montagne“ (Altenberg):
        Vom französischen Bergrecht 1791/1810 zur preußischen
        Bergrechtsreform 1865

Sozial- und Wirtschaftshistoriker betonen auf der Suche nach                 ne jene Regionen gerückt, mit denen sie sich selbst besonders
den Entstehungsbedingungen und Entwicklungsstufen der mo-                    verbunden fühlen, von denen sie selbst geprägt wurden.1 Selte-
dernen Industriegesellschaft seit langem die Bedeutung der Re-               ner wird ein Vergleich interregionaler Räume, unterschiedlicher
gionen. In den Fokus ihrer Untersuchungen werden dabei ger-                  sozial- wirtschafts- und rechtsgeschichtlicher Prägungen, ange-
                                                                             strebt. Selten wird auch die „grenzenlose“ politische Bedeutung
                                                                             bestimmter Produkte wie z. B. des nicht rostenden Metalls Zink,
                                                                             dies zumal nicht im Kontext der europäischen Bergbaugeschich-
                                                                             te, herausgestellt.
                                                                             Das 19. Jahrhundert war europaweit, wie kürzlich in „Der Spie-
The birth of the Western European zinc                                       gel“ (22. April 2017) zu lesen war, das Jahrhundert des industri-
industry – the case of the calamine mines                                    ell herstellbaren rostfreien Produktes Zink. Die Grundlage einer
                                                                             technischen und von der napoleonischen Regierung patentier-
‘Vieille Montagne’ (Altenberg).                                              ten Erfindung des Chemikers Jean-Jaques Dony (1759-1819) war
From the French mining law 1791/1810                                         das sogenannte „Belgische Röstverfahren“. Bald entstanden neue
to the Prussian ‘Bergrechtsreform’ 1865                                      Absatzmärkte im Haus- und Schiffsbau, im Haushaltswaren-
                                                                             und Hygienebereich, die nach nicht rostendem Zink und Zink-
Following on from Fernand Braudel, Lucien Febvre and other pro-              weiß förmlich lechzten.
ponents of France’s Annales School, various processes not primarily          Am Beispiel der Genese der industriellen Zinkindustrie, hier ei-
linked to company history took effect at the dawn of the early indus-        nes in napoleonischer Zeit in Neutral- Moresnet gestarteten, 1837
trialisation period. It is only possible fully to understand the ‘dyna-      in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmens, der
mics of capitalism’ and the limits thereof when we regard the tran-          „Société Anonyme des Mines et Fonderie de Zinc de la Vieil-
sition from pre-industrial to modern production methods as ‘histoire         le Montagne“ (SVM), möchte ich einen solchen interregionalen,
totale’, i.e. as complex processes in the context of historical structures   räumlich begrenzt erweiterten Vergleich versuchen. Ins Blickfeld
and conditions.                                                              soll der Aktionsraum der SVM vom Grenzraum zwischen Maas
The paper demonstrates this with reference to the emergence of indus-        und Rhein, über Lüttich/Aachen/Moresnet in die Eifel (Mayen),2
trial zinc operations and Société Anonyme des Mines et Fonderie de           dann ins Bergische Land, dem Pionier der deutschen Industriali-
Zinc de la Vieille Montagne (SVM), a joint stock company formed in           sierung,3 bis schließlich ins Ruhrgebiet, zur Zinkfabrik Altenberg
Neutral-Moresnet near Aachen during the Napoleonic era which beca-           in Oberhausen gerückt werden.4 Der sich seit den 1860er Jahren
me a world market leader by the end of the 19th century. One critical        über Frankreich, Belgien und Deutschland hinaus internationali-
factor was a technical invention for the production of pure metallic zinc    sierende Aktionsraum der SVM in andere Länder (Erzbergwer-
by the chemist Jean Jaques Dony; of equal importance, however, were          ke in England, Schweden, Italien, Sardinien, Spanien, Tunesien,
the legal provisions during the French Revolution (amended under             Marokko, Französisch Guayana, USA) wird dabei nicht berück-
Napoleon), the direction provided by the timeless principle of the mo-       sichtigt.5 Dass die SVM im 21. Jahrhundert zum Geburtshelfer
dern theory of the state and renunciation of the sovereign ‘Bergregal’       von Umicore und anderen multinationalen Unternehmen, zum
(entitlement to the rights and royalties from mining). The company’s         Weltmarktführer der Materialtechnologie und Recylingkonzerne
expansion strategy also benefited from the special neutral status under      avancierte, u. a. auch mit einem Standort im Ruhrgebiet (Umico-
international law of the main plant in Neutral-Moresnet, the tariff po-      re Metalle & Oberflächen GmbH mit dem Vertrieb von Metall­
licy of the impoverished Prussian state (indirectly) and, of course, the     anoden (Kupfer, Messing, Nickel, Zinn und Zink) in Essen, wur-
organisation’s strong ties with the French and Belgian financial sector.     de kürzlich in einer Auftragsarbeit eindrucksvoll belegt.6
                                                                             Im Mittelpunkt soll die unterschiedliche Entwicklung der fran-
                                                                             zösischen und preußischen Berggesetzgebung links und rechts

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Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Abb. 1: Außenansicht des LVR-Industriemuseums Zinkfabrik Altenberg. Die Zinkfabrik Altenberg in Oberhausen war rund 130 Jahre in Betrieb und auf die
Herstellung von Blechen für den Baubereich spezialisiert. Heute befinden sich auf dem ehemaligen Gelände das LVR-Industriemuseum Oberhausen und
die Verwaltung des LVR-Industriemuseums. (© LVR-Industriemuseum)

des Mittelrheins stehen, anhand derer wechselseitige sozialge-             schäftigten Mitte der 1840er Jahre im Vergleich zur Jahrhundert-
schichtliche Verschränkungen, Beeinflussungen und Unterschie-              wende und zur räumlichen Expansionsgeschichte der SVM un-
de in der westeuropäischen Zinkindustrie in der Frühindustriali-           terstreichen den industriellen Aufschwung und den Stellenwert
sierung am Beispiel der SVM sichtbar gemacht werden können.7               dieses Unternehmens für die westeuropäische Zinkproduktion.
Kann man von einer Epoche machenden „liberalen französi-
schen Berggesetzgebung“ sprechen, die seit den Berggesetzen                Tab. 1: Anzahl der Beschäftigten der SVM 1840 und 1900 11
vom 28. April 1791 und vom 21. April 1810 in Frankreich zur De-
batte stand, die an die Stelle des „Bergregals“, der Hoheitsrech-                                       1840                    1900
te der Landesherren, bzw. der Staaten, treten sollte? Methodisch
zu berücksichtigen ist anknüpfend an Fernand Braudel, Lucien                Angleur                     250
Febvre und andere Vertreter der „Annales Schule“, dass gerade
zu Beginn der Industrialisierung, in der Phase der sogenannten              Saint-Léonhard              300
„Proto-Industrialisierung“, vielfältige Prozesse auf unterschied-
lichen, interdisziplinären Feldern (mikro- und makro-ökono-                 Tilff                         50
misch) wirksam geworden sind. Erst wenn man den Übergang
von vorindustriellen zu modernen Produktionsweisen als „his-                Moresnet                    500
toire totale“, aus langer Sicht (longue durée), letztlich als kom-          Gesamt:                    1.100        ca. 12.000
plexe Prozesse auch von historischen Strukturen und Bedingun-                                                       (10.990, 300 technische Ver-
gen erfasst, kann man die „Dynamik des Kapitalismus“ und                                                            waltungsbeamte und 853
seine Grenzen besser verstehen lernen.8                                                                             Leiharbeiter)

                                                                           Tab. 2: Kapitalentwicklung der SVM 1837-1914 in Mio. Frs.12
Der Forschungsstand
Aus unternehmens- und industriegeschichtlicher Sicht kann die                              1837                                 5,0
Geschichte der SVM als gut erforscht gelten.9 Von kleinen und                              1848                                 5,2
schwierigen Anfängen konnte sich diese Gesellschaft seit der
                                                                                           1853                                 7,2
Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem europäischen Marktfüh-
rer der Zinkindustrie entwickeln. Ein Drittel der Zinkprodukti-                            1860                                 9,0
on der Welt erfolgte im 19. Jahrhundert in Belgien.10 Die Tabellen
                                                                                           1914                                12,0
zur Kapital- und Produktionsentwicklung, zur Anzahl der Be-

Der Anschnitt 69, 2017, H. 2                                                                                                                     75
Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Tab. 3: Rohzinkproduktion der SVM in Tonnen/Jahr13
                                                                             1884    • Walzwerk Dangu (Frankreich)
                1837                                 1.833                           • Erwerb des Walzwerk Hautmont (Département
                1847                                 6.156                   1887      du Nord, in der Nähe von Maubeuge und der
                                                                                       belgischen Grenze)
                1857                                 20.840
                                                                                     • Mine Casa Conti (Italien)
                1867                                 36.260                          • Bau der Blenderösthütte Baelen-Wezel bei
                                                                             1889
                1877                                 43.238                            Antwerpen (Canal de Campine)

                1888                                 52.445                  1890    • Konzession Quarsenis, Bergwerksagentur (Tunesien)

                1898                                 69.351                  1896    • Minen der Gesellschaft Nenthead (Großbritannien)
                1908                                 92.330                          • Inbetriebnahme der mechanischen Aufbereitungs-
                                                                             1897      anlage Lüderich (Bensberg)
                1913                              108.60314
                                                                             1899    • Bergamon (Italien)
Tab. 4: Zinkhütten und Auslandsinvestitionen der SVM 1808-1900 in Bel-
gien, Frankreich, Algier, Tunis, Schweden, Deutschland, England, Italien,            • Kohlenkonzessionen Viviez und Auzitz
Sardinien und Spanien15                                                      1900      (Gemeinden im Departement l‘Aveyron,
                                                                                       Occitanien, Frankreich)

     Jahr                           Investition

            • Zinkhütte St. Léonhard (Vorstadt von Lüttich)
     1808     (erste Zinkhütte)                                             Wirft man nun einen Blick in die Forschungslandschaft zur deut-
                                                                            schen Bergbaugeschichte, muss man feststellen, dass Studien zur
            • Walzwerke von Hom und Houx in Frankreich                      westeuropäischen Zinkindustrie eher stiefmütterlich vertreten
     1820   • Zinkhütte in Moresnet der Berggesellschaft Dony &
                                                                            sind.17
              Cie.
                                                                            Der Blick hatte sich im Zusammenhang mit der „Liberalisie-
     1837   • Galmeigrube Neutral-Moresnet                                  rung des preußischen Bergbaus“ eher nach Osten und besonders
                                                                            nach Oberschlesien gerichtet.18 Wenig wird davon Kenntnis ge-
            • Walzwerke von Bray (Département Seine-et Oise)16              nommen, dass seit einigen Jahren vor allem zahlreiche Lokal-
            • Walzwerke von Tilff bei Lüttich                               und Heimathistoriker beiderseits des Mittelrheins zwischen Aa-
     1838   • Zinkhütte Angleur bei Lüttich an der Ourthe (1880
                                                                            chen, Lüttich, Mayen, Köln, Königswinter, Bergisch-Gladbach,
              geschlossen)
                                                                            Oberhausen sowie der „deutschsprachigen Gemeinschaft Bel-
            • Fusion mit diversen Gesellschaften: Rheinpreußen,             giens, de Duitstalige Gemeenschap van Belgie, la communauté
              Valentin Cocq, Société de la Meuse, Société Flône             germanosphone de Belgique“, ein wachsendes Interesse am Erz­
              (einschließlich der in deren Besitz befindlichen Hüt-         bergbau und speziell der westeuropäischen Zinkindustrie sowie
     1853     ten und Steinkohlenwerken), Schlesische Aktienge-             der Geschichte und Strategie der SMV gezeigt haben.19 Dass ver-
              sellschaft (Schlesag)
            • Gruben im Bensberger Distrikt (Bergisches Land)               gleichende Untersuchungen zur frühen europäischen Industri-
                                                                            alisierung und speziell zur Geschichte des frühen Bergbaus im
            • Abtretung des Gesellschaftsvermögens der Zink-                nordwesteuropäischen Raum von Nord-Pas-de Calais, über Lo-
              weißfabriken in Brüssel an die SVM, Levallois-Perret          thringen, Belgien, zwischen Maas und Rhein und dem Ruhrge-
              (Paris) und Colladios (Belgien.)                              biet noch immer ein Desiderat der Forschung sind, wurde zwar
     1855   • Zinkhütte in Mühlheim                                         erkannt,20 die überwiegend französischsprachigen, vor allem
            • Zinkhütte in Oberhausen
            • Zinkhütte in Borbeck                                          empirischen Untersuchungen wurden bislang aber kaum rezi-
                                                                            piert.21 Darüber hinaus ist die Thematik der Luft- und Umwelt-
            • Ammeberg am Wetternsee (Schweden)                             verschmutzung in den Industriestaaten aus vergleichender Per-
     1857   • Erweiterung des Walzwerks Oberhausen durch eine               spektive ohnehin transnational (noch) allenfalls ein Randthema
              Rösthütte                                                     der Forschung.22
     1860   • Liquidation der Werke Hom und Houx (Frankreich)

     1865   • Bergwerksagentur Iglesias (Italien)                           Der Raum, wo alles begann:
            • Viviez (Département de Aveyron (errichtet 1857)               Der „Zwergstaat Neutral-Moresnet“
     1871     und Penchot (Frankreich))
            • Sicherung von Anteilen an Gruben in Sardinien                 Auf dem Wiener Kongress war hinsichtlich der im Gebiet auf
                                                                            dem Altenberg bei Aachen lagernden, seit Jahrhunderten als be-
            • Abtretung der Felder von Hammam in der algeri-                sonders wertvoll angesehenen Galmeibestände (Sammelbezeich-
     1872     schen Provinz Kontantine                                      nung für oxidische Zinkerze) aus unterschiedlichen Gründen
                                                                            eine historisch einmalige diplomatische Lösung eines eigentlich
            • Ankauf der Grubenfelder der Société des Zincs
                                                                            zwischenstaatlichen Konfliktes getroffen worden. Da sich die
     1883     Français (Départements du Gard und l’Hérault)
                                                                            beiden Signatarmächte, die Niederlande und Preußen, nicht da-
              nach deren Liquidation
                                                                            rüber einigen konnten, wer nun die Nachfolge der seit 1794 im

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Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Abb. 2: Societe Anonyme des Mines & Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne: Usine d‘Oberhausen (Laminoirs). Lithografie von Adrien Canelle aus der
Serie Belgique Industrielle, um 1854. (© LVR-Industriemuseum)

französischen Besitz befindlichen Erze antreten sollte bzw. die-            waren weder dienst- noch steuerpflichtig. Neutral-Moresnet zog
se fördern und ausbeuten durfte, kam es im Vertrag von Aachen               folglich nicht nur Dienstunwillige an, sondern begünstigte indi-
(26. Juni 1816) zu einer bis 1919 geltenden, politisch einmaligen           rekt auch den Schmuggel zollfreier Waren. In dem kleinen Gebiet
neutralen, nichtstaatlichen Lösung. Es wurde vertraglich festge-            wurden der Code Civil und sein außerordentlich strenges Straf-
legt, dass das schmale Gebiet um Moresnet und Kelmis, der seit              recht (Code Pénal) angewandt. In dem auch „Vierländereck“
den Römerzeiten für die Produktion von Blei und Kupfer wich-                (Deutschland, Holland, Belgien, Neutral-Moresnet) genannten
tige sogenannte „Altenberg“, das „établissement national de la              Flecken gab es neben Spuren einer Esperantobewegung eine ei-
vieille Montagne“, keinem der beiden nationalen Mächte zuge-                gene Spielbank und einen eigenen Postdienst mit eigenen Brief-
dacht werden, sondern vielmehr neutral verwaltet werden sollte.             marken. Zu erkennen sind innovative sozialpolitische Maßnah-
Zahlreiche Sonderrechte wurden für die Einwohner ersonnen.                  men für die Arbeiterschaft, wenngleich auf „paternalistischer“
Das kleine, nur 3,26 qkm (326 Hektar) große Gebiet von Neu­                 Grundlage. So entbehrten diese im Verlauf der Entwicklung häu-
tral-Moresnet mit gerade einmal 250 Einwohnern im Jahr 1815                 fig rechtlicher Grundlagen, somit den einklagbaren Anspruch
(1901 wurden 3.433 Bewohner gezählt)23 wurde fortan von zwei                auf den Zugang zu den formal vorgesehen Unterstützungs-und
Ländern verwaltet. Als Belgien 1830 selbstständig wurde, änder-             Fürsorgekassen, die Anmietung von verbilligtem Wohnraum, die
te sich an der Verwaltungsform nichts. Anstelle von Holland be-             Aufnahme pensionierte Arbeiter im Altersheim u. a. m.24
stellten nunmehr Belgien und Preußen jeweils einen Kommissar.               Inwieweit es sich bei dem Zwergstaat Neutral-Moresnet und sei-
Beide zusammen bildeten die „oberste Behörde“. Die Einwoh-                  ner Geschichte eher um eine Episode ohne größere historische
ner gehörten weder zu den Niederlanden noch zu Preußen und                  Bedeutung, um eine diplomatische Verlegenheitslösung, um ei-

Der Anschnitt 69, 2017, H. 2                                                                                                                     77
Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Abb. 3: Werksansicht: Moresnet (Territiore neutre). Gite Nord & plan incliné. Die Grube Moresnet wurde auch schlicht „De la Vieille Montagne“ genannt.
Sie war die älteste und ertragreichste Grube der SVM im 19. Jahrhundert. Der instruktive, farbige Steindruck verweist auf die Anfangsphase, er wurde zu
Werbezwecken in größeren Auflagen verbreitet. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme de Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille Mon-
tagne, Album de 30 Vues, 1850-1851. (© LVR-Industriemuseum)

nen „lokalgeschichtlichen Treppenwitz der Geschichte“, um die                Auch in diesem Fall scheinen es ausschließlich die langjährigen
„absurdeste Grenze in ganz Europa“, oder sogar um „eine supra-               (seit 1780) und mühseligen Experimente eines einzelnen Natur-
nationale Utopie“, ein Symbol für „Völkerverständigung“ und                  wissenschaftlers gewesen zu sein, die letztendlich an der Wiege
„Transparenz“ gegen die durchverwaltete Welt handelt, bleibt                 dieses neuen Industriezweigs Zink standen. Auf die Erfolgsspur
in der interdisziplinären Forschung und Politik umstritten, regt             des Unternehmens hatte in der Tat primär die von der napoleo-
aber immer wieder zu neuen Erklärungsversuchen an.25                         nischen Verwaltung patentierte technische Erfindung eines Indi-
                                                                             viduums geführt.
                                                                             Das sogenannte „Belgische Röstverfahren“ kann zurecht mit
                                                                             dem Namen des Chemikers Jean-Jaques Dony (1759-1819) ver-
Der technikgeschichtliche Aspekt                                             bunden werden. Er hatte jahrelang versucht, einen Ofen zu ent-
Dass die Industrialisierung nicht nur auf technologische Innova-             wickeln, der zur Lösung jenes technischen Problems führte, das
tionen verkürzt werden sollte, wird aus heutiger Sicht bestätigt,            die Mineure seit Jahrhunderten beschäftig hatte. Gab es mehr
wenn man einen Blick in die älteren Studien zur Geschichte der               als die sieben Metalle Gold, Kupfer, Silber, Eisen, Zinn, Blei und
Metalle26 oder auch in die Firmengeschichte der SVM wirft. Wie               Quecksilber? Hatte der Rohstoff „Galmei“, der seit Jahrhunder-
bei so vielen Erfindungen zuvor erweist sich zwar als zutreffend,            ten genutzt, mit Kupfererz vermischt wurde, um Messing für
dass es bestimmter individueller Tugenden bedurft hatte (Hart-               Münzen, Kerzenleuchter und Weihrauchgefäße zu gewinnen,
näckigkeit, Geduld, Fleiß, Eifer und Genie), um zum Erfolg zu                noch weitere Eigenschaften? Hatten nicht schon römische Natur-
kommen. Zuweilen es aber auch dem Zufall und Glück zu ver-                   forscher (Plinius der Ältere) auf „Galmey“, ein Metall, das nicht
danken war, wenn bahnbrechende Erfindungen erzielt wurden.                   rostet, hingewiesen?

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Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Abb. 4: Werksansicht: Angleur (Belgique). Vue des Usines prise des hauteurs de Chênée. Diese Lithographie vermittelt ein Bild des fortschreitenden indus-
triellen Produktionsverfahrens in Neutral-Moresnet in den 1850er Jahren. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme des Mines et Fonderies
de Zinc de la Vieille Montagne, Album de 30 Vues, 1850-1851, Fotograf: Melanie Kohlmeyer/LVR (Repro). (© LVR-Industriemuseum)

Der Begriff „Galmei“ steht in Beziehung zu „cadmia“, im mit-                  dreifachen Wert. Das führt dazu, dass Zink verdampft, bevor die
teldeutschen ist der Begriff dafür Kalemin. Davon leitet sich der             bei ca. 1300 Grad liegende erforderliche Reduktionstemperatur
Name der belgischen Gemeinde „La Calamine“ bei „Neutral-Mo-                   erreicht ist. Diesen Siedepunkt von 900 Grad galt es gleichsam
resnet“ ab, wo seit dem frühen Mittelalter das Erz Galmei abge-               auszutricksen, zu überwinden. „Sulfidische Erze“ (Zinkblen-
baut wurde. Die mineralogische Bezeichnung für Galmei sind                    de) mussten durch „Rösten“ in feuerfestem Material mit unter-
verschiedene schwefelfreie Zinkerze (Zinkkarbonat und Zinksi-                 schiedlichen Bezeichnungen („Muffeln“, „Röhren“, „Tigeln“,
likat). Dieses seit der Antike bekannte Erz Galmei war nun in der             „Creusets“) in komplizierten chemischen Verfahrensschritten in
Natur reichlich, dies auch links- und rechtsrheinisch, vorhanden.             „Zinkoxyd“ überführt werden, um schließlich metallisches Zink
Nicht jedoch war das chemische metallische Element Zink, das                  gewinnen zu können.
achte Metall, das in der Natur nicht wie etwa Kohle, Braunkoh-                Dank der Versuche von Dony wurde dieser entscheidende
le oder Basalt und andere Steine vorkommt, im Sinne einer wirt-               Durchbruch erzielt. Erstmals konnte reines metallisches Zink
schaftlichen Bedeutung schon von Interesse. Es konnte auf dem                 durch Verdampfen von Galmei hergestellt werden. So gesehen ist
europäischen Kontinent bis Ende des 18. Jahrhunderts nicht pro-               es verständlich und logisch, wenn die Erfindung Donys vor al-
duziert werden, weil keine entsprechende Technik bekannt war,                 lem in der Firmengeschichte schon aus werbetechnischen Grün-
die das ermöglicht hätte.                                                     den stets hervorgehoben wurde.27 In einer für die Industrie-Ge-
Der technische Grund ist, dass „Sulfidische Erze“, erhitzte Gal-              werbe-und Kunstausstellung in Düsseldorf 1902 geschriebenen
meisteine, oder Zinkblende schnell verdampfen, weil der Siede-                Werbeschrift für die SVM wird eine in der Literatur immer wie-
punkt von Zink bereits bei 900 Grad liegt. Zum Vergleich liegt                der rezipierte Anekdote erzählt, die erklären soll, wie es zu die-
der Siedepunkt von Kupfer, Silber oder gar Gold bei einem fast                ser Erfindung des Gewinns von metallischem Zink aus Galmei

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Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Abb. 5: Werksansicht: Angleur (Belgique). Fours de réduction. Belgisches Röstverfahren am four liégoies in drei Arbeitsschritten: Bestückung, Auswechs-
lung und Entnahme der Schmelztigel. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme de Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne, Al-
bum de 30 Vues, 1850-1851. (© LVR-Industriemuseum)

gekommen sei: „Bei einem seiner Schmelzversuche hatte Dony                   Naturwissenschaftlern und Gelehrten traditionell rege.30 Auf
[…] zur Erzielung einer höheren Temperatur Galmei mit Kohlen                 dem Kontinent wird neben Döllach in Kärnten (1797) Oberschle-
vermischt, um den Vorgang besser beobachten zu können, einen                 sien genannt, wo es dem Hütteningenieur Ruberg auf der Wes-
mit denselben Substanzen gefüllten Blumentopf in einer Seiten-               sola Hütte gelungen sein soll, die hüttenmännische Gewinnung
wand des Schmelzofens eingefügt. Groß war sein Erstaunen, als                von metallischem Zink einzuleiten.31 Der chemisch-physikalisch,
er durch das im Boden befindliche Loch das Zink in der kühleren              technikgeschichtliche Grund für diese lange und schwierige Ent-
Temperatur des Blumentopfes sich in Tropfen condensiren sah.                 wicklungsphase der Herstellung von reinem verwertbaren Zink
Diese Beobachtung gab Dony die Grundidee zu seinem Zink­                     war möglichweise weltweit auch weiteren Naturwissenschaft-
ofensystem, auf welcher das belgische Fabrikationsverfahren üb-              lern nicht entgangen.
rigens gegenwärtig noch basiert.“28                                          Darüber hinaus sind bezogen auf das 19. Jahrhundert zwei an-
In dieser Wahrnehmungsperspektive werden allerdings einige                   dere, bislang in der Bergbaugeschichte noch zu wenig beachtete
Aspekte zu wenig beachtet, die in diesem kurzen Beitrag nicht                Aspekte zu sehen. Sie orientieren sich an der Nachfrage, an den
vertieft, aber wenigstens gestreift werden sollen. Auf Entwick-              marktwirtschaftlichen Auswirkungen von Zink für die Absatz-
lungen der „hüttenmännischen Gewinnung“ von Zink in ande-                    märkte und den gesellschaftspolitischen Folgen dieses technolo-
ren Ländern wäre hinzuweisen. Da Galmei seit dem Altertum                    gischen Fortschritts aus der Sicht nicht nur des Unternehmens.
zur Gewinnung von Messing bekannt war, verwundert es his-                    Die wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung dieser technischen
torisch nicht, wenn schon früher versucht worden ist, auch me-               Inno­vation erkennt man, wenn man einen Blick auf die angebo-
tallisches Zink in anderen Regionen zu gewinnen. Außerhalb                   tene Produktpalette wirft. Die seit dem frühen 19. Jahrhundert
Europas scheint Zink sogar in schon größeren Mengen in Indi-                 zu beobachtenden Anwendungsmöglichkeiten von rostfreiem
en (seit dem 13. Jahrhundert) und in China (seit dem 17. Jahr-               Zinkblech und Zinkdrähten z. B. für Dächer, Dachfirste, Dachrin-
hundert) gewonnen worden zu sein. An Versuchen, den Rohstoff                 nen, Regenrohre, Haushaltsgegenstände wie Waschbretter, Gefä-
Zinkerz, die in der Natur reichhaltig vorhandene Zinkblende, zu              ße aller Art, Vasen, Kerzenleuchter, Gießkannen etc. erweiterten
destillieren, hatte es offensichtlich weder in England noch auf              sich zunehmend. Zink fand auch in der Fotografie (Druckplatten
dem Kontinent gefehlt. Zahleiche entsprechende Versuche sind                 für die Photozinkographie, einem Vorläufer der modernen Fo-
in England in den 1730er Jahren zu beobachten.29 Die internatio-             tografie) frühzeitig Verwendung. Dasselbe gilt im sanitären Be-
nale Kooperation war gerade unter französischen und deutschen                reich und im Gesundheitswesen, bei der Herstellung pharma-

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Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
zeutischer und kosmetischer industrieller Produkte zum großen         nehmenden industriellen Produktion seit den 1760er Jahren.
Teil als Nahrungsergänzungsstoffe für Mensch und Tier. Vor al-        Stichworte sind: Freihandelsideen (Adam Smith, Ricardo u. a.),
lem bestand ein hoher Bedarf an Zink im Schiffbau und in der          Selbstverantwortung, freie Initiative der Wirtschaftssubjekte als
Verwendung neuer Farben auf Zinkbasis nicht nur im Bauwesen,          Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung, Marktliberalismus,
sondern auch in Kunst und Malerei.32 Parisbegeisterte können an       Kapital-Akkumulierung, Abschaffung des Zunftwesens, techni-
die mit Zink bedeckten Dächer aus der Epoche des Baron Haus-          sche und wirtschaftliche Innovationen (Niederdruck-Dampfma-
mann denken und eine Verbindungslinie zu den Anfängen der             schinen, Spinnmaschinen und mechanische Webstühle, Eisen-
Zinkproduktion im Zwergstaat Neutral-Moresnet ziehen: „Wenn           verhüttung mit Koks u. a. m) sowie Bevölkerungsvermehrung in
es in Paris regnet, tropft es aus Kelmis“, liest man zu diesem The-   der Folge.
ma auf dem Buchrücken einer neuen flüssig geschriebenen Ge-           Auch der Bergbau strukturierte sich in England anders als auf
schichtsnovelle.33                                                    dem Kontinent: in „uneingeschränkter Freiheit ohne staatliche
Diese sich erst allmählich entwickelnden, vielschichtigen Ab-         Bevormundung, wo immer sich ein Gewinn anbot“.37 Das Ver-
satzmärkte sind uns heute nicht unbedingt mehr als ein wichti-        fügungsrecht über unterirdische Bodenschätze verblieb weitge-
ger Bestandteil der frühen Bergbaugeschichte und der volkswirt-       hend beim Grundeigentümer oder seinen Pächtern. Aus Sicht
schaftlichen Bedeutung bewusst. Auffallend ist auch, dass die         der Programmatik der europäischen Arbeiterbewegung sowie
ökologischen Zusammenhänge jener technologischen Innovati-            des gemäßigten Liberalismus wird die weitere Entwicklung
on ebenso wie die arbeitsrechtlichen, sozialen und gesundheitli-      im 19. Jahrhundert ideengeschichtlich eher negativ konnotiert
chen Probleme der beschäftigten Zinkarbeiter erst allmählich Ge-      (Kritik am Prinzip des „laissez faire“, Kritik am extremen wirt-
genstand der wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Forschung         schaftlichen Liberalismus des sogenannten Manchesterliberalis-
werden. Die Herstellung von Zink, von Zinkerz zum Zinkblech,          mus und der Versuch, systemkritische politische Alternativen zu
war „Knochenarbeit“: „Während einer Schicht bewegte der Rös-          denken (F. Engels, K. Marx). Im frühen 19. Jahrhundert verlief
ter mehrere Tonnen Erz. Zwölf Stunden Schwerstarbeit, denn            die Entwicklung des Bergbaus auf dem Kontinent, an die tech-
außerdem belasteten das Gewicht der Röstwerkzeuge und die             nischen Fertigkeiten der Engländer z. T. abknüpfend, sowohl in
durch die verschieden­ hohen Ofenöffnungen erzwungene Kör-            Frankreich als auch in Preußen, wenngleich hier mit zeitlicher
perhaltung insbesondere die Rückenmuskulatur. Zusätzlich              Verzögerung, eher in die Richtung einer vergleichsweise soziale-
führte das Einatmen der entweichenden Gase, schweflige Säure          ren Wirtschafts- und Sozialverfassung.
und Kohlenoxid, die durch die enorme körperliche Anstrengung          Die Ideen der Französischen Revolution, das anhaltende Rin-
noch tiefer inhaliert wurden, zu gravierenden gesundheitlichen        gen progressiver, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu-
Störungen. Chronischer Husten, die „Hüttenkotze“, gereizte            gewandter Kräfte, die Gedanken der „citoyenneté“ einer „un-
Schleimhäute, angegriffene Atmungsorgane, Magenschleimhaut­           teilbaren Nation“, haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Sie
entzündungen, Augen- und Kopfschmerzen waren an der Tages-            haben auf dem europäischen Kontinent und nicht zuletzt links-
ordnung“.34                                                           rheinisch vor allem die Berggesetzgebung maßgeblich geprägt.
Es sei dahingestellt, inwieweit die für Mitte des 19. Jahrhunderts    Dieser Trend war im Bergbau verknüpft mit traditionellen staat-
gewiss fortschrittlichen sozialpolitischen Maßnahmen, das „Pro-       lichen und sozialen Strukturen und Rahmenbedingungen, die
gramme Social de Charles Brouckère“ (Leistungsprämien, Un-            sich in ständisch konzipierten Bergordnungen manifestierten.
fallentschädigungen, Mietzulagen für verdienstvolle Arbeiter u.       Agrarische Traditionen und Gewohnheiten, in engen Räumen
a.m.),35 aus der Sicht der Zinkarbeiter hinreichende Anreize bo-      verharrende Kräfte, dominierten zu Lasten einer Minderheit,
ten, den drängenden Bitten des Unternehmens, sich für diese           des aufstrebenden wirtschaftlichen Bürgertums. Die Übergangs-
Knochenarbeit zu bewerben, nachhaltigen Erfolg hatten. Häufig         phase von der vorindustriellen zur industriellen Produktion
verschwanden die Arbeiter schon nach dem ersten Arbeitstag.36         hatte auf dem Kontinent einen die Zeiten überlappenden Cha-
Das verweist auf einen weiteren zu Beginn des 19. Jahrhunderts        rakter. Vergangene und moderne, in die Zukunft weisende As-
mit dem Wandel ökonomischer Prinzipien und der Kritik an den          pekte waren vermischt. Sie wurden in den zahlreichen absolu-
alten Wirtschaftsformen (Merkantilismus, Gemeinschaftsgüter-          tistischen „Fürstentümern von Gottes Gnaden“ und auch in den
lehre) sichtbar gewordenen allgemeineren Aspekt und histori-          konstitutionellen Monarchien von rückwärtsgewandten, traditi-
schen Kontext.                                                        onsorientierten, noch nicht primär wie später an Gewinnmaxi-
                                                                      mierung und Kostenminimierung ausgerichteten Faktoren be-
                                                                      gleitet.
Sozial- und ideenpolitische Rahmenbedingungen                         Es fehlte nach den Wirren der napoleonischen Kriege linksrhei-
                                                                      nisch eben nicht nur, wie bekannt, am Kapital, sondern auch
Versucht man den Aufbruch aus der agrarischen Produktions-            am Unternehmergeist freier Konkurrenten. Der rheinische Ban-
weise in die sogenannte „Moderne“ im Rückspiegel der Ge-              kier Schaaffhausen brachte das nach der widerwilligen „Verset-
schichte zu verstehen, verkürzt und vereinfachend nachzuzeich-        zung Preußens an den Rhein“ 1815 süffisant mit dem Bonmot
nen, erkennt man im frühen 19. Jahrhundert zwei besonders             zum Ausdruck, sie hätten eben in eine arme rheinische Familie
nachwirkende, gegensätzliche Entwicklungslinien. Sie sind mit         eingeheiratet.38 In mehrfacher Hinsicht kann die Frühindustria-
der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England be-         lisierung des 19. Jahrhunderts in der Rheinprovinz auch deshalb
ginnenden „Industriellen Revolution“ und der „Französischen           im Sinn eines in Richtung einer „schleichenden Wende zur In-
Revolution“ von 1789 verknüpft. Gelegentlich wird hierfür der         dustrialisierung“ führenden Pfades charakterisiert werden.39 Das
Begriff „Doppelrevolution“ verwendet. Im 18. Jahrhundert wur-         spiegelt sich anschaulich in Quellen der Kunstgeschichte, in der
den in England letztendlich die Grundlagen und Voraussetzun-          Literatur (Victor Hugo), ebenso wie der Rechts-und Wirtschafts-
gen der beginnenden Industriellen Revolution gelegt. Hier der         geschichte wider. Ein Beispiel sind die Lithografien des Künst-
Aufbruch in die Moderne, auf der Grundlage einer rapide zu-           lers Adolphe Maugendre (1809-1895). Erkennbar wird noch

Der Anschnitt 69, 2017, H. 2                                                                                                        81
Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Abb. 6: Werksansicht: Angleur (Belgique). Vue des Usines prise des hauteurs de Chênée. Eine enge Verknüpfung von Landschaft, Transportmitteln und In-
dustrieanlagen ist erkennbar. Arbeitende Personen werden „verlandschaftet“. Reproduktion aus: Adolphe Maugendre: Société Anonyme des Mines et Fo­
nderies de Zinc de la Vieille Montagne, Album de 30 Vues, 1850-1851, Fotograf: Melanie Kohlmeyer/LVR (Repro). (© LVR-Industriemuseum)

Mitte des 19. Jahrhunderts eine äußerst enge Verknüpfung von                nerschaft,43 hat schon 1838 in seiner berühmten Reisebeschrei-
Landschaft und Industrieanlagen, auch arbeitende Personen                   bung von der Maas an den Rhein einen bedingt hellsichtige-
werden zuweilen gleichsam „verlandschaftet“. Ihre Tätigkeiten               ren, kritischeren, die Belange von Menschen und Umwelt nicht
sind in einen erzählerischen, anekdotischen oder stimmungsvol-              vernachlässigenden Eindruck von der schleichenden Verwand-
len landschaftlichen Kontext eingebettet, Arbeitsprozesse blei-             lung der Landschaft am Beispiel der frühen Zinkwerke der SVM
ben meistens unklar, Innenraumdarstellungen mit arbeitenden                 formuliert: „De temps en temps on rencontre tout au bord du
Menschen kommen nur äußerst selten vor. Die Landschaft wird                 fleuve, dans quelques ravin au-dessus passe la route, une fa­
wahrgenommen wie unsere Haut, die Spuren alter und neuer                    brique de zinc dont l’aspect délabré et les toits crevassés, d’ou
Verletzungen bewahrt, die nicht verblassen werden.40                        la fumée s’échappe de toutes les tuiles, simulent un incendie qui
Markant wird dieser Gedanke auf der Titelseine des neuen Bu-                commencent ou qui s’éteint; ou c’est une alunière avec ces vas-
ches von Arnaud Péters zur Geltung gebracht.41 Am Horizont,                 tes monceaux de terre rougeâtre; ou bien encore, derrière une
etwas entrückt die Zinkfabrik von Angleur in Belgien und eine               houblonnière , à côté d’un champs de grosses fèves, au milieu
dampfende Lokomotive, die Zinkblech an nicht bestimmba-                     des parfums d’un petit jardin qui regorge de fleurs et qu‘entou-
re Absatzmärkte transportiert. Im Vordergrund eine idyllische               re une haie rapiécée ça et là avec un treilleis vermoulu, parmi
Landschaft mit klarer Aufgabenzuteilung an deutlich erkennba-               les caquets assourdissants d’une populace de poules d’oies de
re Personen in agrarischer Zeiten im Duktus einer Schäferidyl-              canards.“44
le.42 Viktor Hugo (1802-1885), im Übrigen ein früher Befürworter            Aus gegenwärtiger Perspektive lassen sich in dieser schleichen-
einer Einigung Europas und einer deutsch-französischen Part-                den Wende der Industrialisierung weitere, diese begleitenden

82                                                                                                                      Der Anschnitt 69, 2017, H. 2
Die Anfänge der westeuropäischen Zinkindustrie am Beispiel der Galmei-Bergwerke "Vieille Montagne" (Altenberg): Vom französischen Bergrecht ...
Denkrichtungen beobachten. Sie überschreiten die engen Gren-          licher Sicht. Es spiegelt sich jedenfalls trotzdem um die Jahrhun-
zen des von England und Frankreich geprägten eurozentrischen          dertmitte, aus Unternehmersicht und unabhängig von „sozia-
Weltbildes.                                                           len und ökologischen Fragen“, in dieser Branche eine offenbar
                                                                      selbstverständlich transnationale Kooperationsbereitschaft auf
                                                                      der Seite des Kapitals wider.
Industrieller Kosmopolitismus
Von heute aus gesehen und mit aktualisierendem Impetus wird           Rechtspolitische Aspekte der französischen
jedenfalls gelegentlich gerne betont, dass parallel zu dieser
                                                                      Berggesetzgebung
„Doppelrevolution“ ein universal ausgerichteter, globaler As-
pekt im normativen Sinn sichtbar geworden sei und erinnert            Das weckt nun das eigentliche Interesse an den zu fokussieren-
werden könne.45 Wenn damit nicht nur die Frage der Menschen-          den rechtsgeschichtlichen Fragen, auf die nunmehr einzuge-
rechte in der Französischen Revolution gemeint sein sollte, son-      hen ist. Zu prüfen ist, ob dafür das französische Bergrecht, das
dern auch soziale Fragen im Sinne vormarxistischer und sozia-         linksrheinisch auch nach dem Wiener Kongress noch bis 1865
ler Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien bei einer Minorität        Gültigkeit hatte, eine legitimatorische Grundlage für eine libe-
der Intellektuellen, der „philosophes“ (Rousseau, Mably, Babeuf,      rale Wirtschafts- und Sozialverfassung „avant la lettre“ bietet.
Saint-Simon, bis zu Robert Owen), wenn, gewendet in Richtung          Erfolgte eine reformerische Debatte, die zur Preußischen Berg­
der Frühindustrialisierung, ein hoffender Blick auf empirische        rechtsreform führte, nicht erst sehr viel später in den 1850er
transnationale Kooperationen nicht zuletzt am Rhein avisiert          Jahren? „Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Einführung
worden sein sollten,46 dann ist interessant zu lesen, dass just in    der Gewerbefreiheit in Preußen durch die Stein-Hardenbergi-
einem solchen Kontext auch die Geschichte der „Société Anony-         schen Reformen wurde nun auch für den Bergbau eine liberale
me des Mines et Fonderie de Zinc de la Vieille Montagne“, der         Wirtschafts- und Sozialverfassung etabliert“, unterstrichen dies
Vieille Montagne (SVM), erwähnt wurde. Sie könne als Beispiel         kürzlich Farrenkopf/Przigoda.52
einer sich auf die universelle Phase der Französischen Revoluti-      Waren das Interesse an und die Suche nach liberalen- und de-
on stützenden, kosmopolitischen industriellen Phase („cosmopo-        mokratischen Traditionen im westeuropäischen Verfassungs-
litisme industriel“) charakterisiert werden. 47                       denken ein oder gar das eigentliche Motiv dafür, dass sich Hein-
Sind mit der Entwicklungsgeschichte der SVM tatsächlich etwa          rich Achenbach53 (1829-1890) in den 1860er Jahren in der neuen
nachhaltige kosmopolitische, demokratische Ideen der poli-            „Zeitschrift für Bergrecht“ fortgesetzt über neun Jahre wissen-
tischen Aufklärung gemeint, die erst schrittweise von den sich        schaftlich so intensiv mit dem französischen Bergrecht ausein-
steigernden nationalen Strömungen seit Sieg und Niederlage            andersetzte?54 Kann man den Versuch von Achenbach, die Vo-
Napoleons abgelöst wurden? Könnte es sein, dass die Anfänge           raussetzungen des Preußischen Bergrechts von 1865 und deren
der industriellen Zinkindustrie, gerade im Bergbau und speziell       Verschränkungen, speziell auf der linksrheinischen Seite, mit
wegen der nachweisbar letztlich konfliktlosen Zusammenarbeit          der französischen Tradition zu vergleichen, im weiteren Sinn
der deutschen und französischen Bergbeamten in der Frühindus-         auch so deuten, dass auch für Preußen ein anderer Weg in die
trialisierung in diesem „kosmopolitischen“, noch nicht von nati-      Moderne gesucht werden sollte, als das sich im sogenannten
onalen Spannungen bedrohten Geist erfolgten? Auch wenn die-           Direktionsprinzip spiegelnde weniger liberale Verfassungsver-
se Hypothesen historisch und semantisch spekulativ konnotiert         ständnis? Ist das aber wiederum nicht zu spekulativ, eine nor-
sein mögen, man aus begriffsgeschichtlicher Perspektive zu einer      mative Annahme, geprägt von der Hoffnung, in der politischen
anderen Interpretation neigen muss, legitim ist es allemal, wenn      Landschaft des Rheins und linksrheinisch andere Wege der
Historiker auf Umbrüche der eigenen Gegenwart anhand von              deutsch-französischen Beziehungen zu finden als die schritt-
Quellen durch Rekonstruktion und Konstruktion von Vergan-             weise zunehmende Ideologie der Feindschaft, die nach Verdun
genheit aus verändertem Erkenntnisinteresse reagieren.48 Das da-      führte? Lassen die so unterschiedlichen Legitimitätsgrundlagen
mit verbundene, geschichtstheoretische Problem kann hier nicht        der französischen und deutschen Tradition der Bergrechtsge-
behandelt werden.                                                     setzgebung – hier die Bergwerke und Gräbereien zur „Disposi-
Festhalten ließe sich, dass es auf der praktischen, operationalen     tion der Nation“,55 dort das von „Wir Wilhelm, von Gottes Gna-
Ebene zwischen deutschen und französischen Ingenieuren nicht          den König von Preußen“ verordnete Allgemeine Berggesetz für
zuletzt im Zinkhüttenbetrieb und speziell bei der SVM lange kei-      die preußischen Staaten von 1865 (ABG) – die Möglichkeit alter-
ne Berührungs- und Kontaktprobleme, auch unter den Ingeni-            nativ zu beschreitender Pfade erkennen?56
euren kaum sprachliche Verständigungsschwierigkeiten erge-            Die 1869 unwesentlich ergänzte revidierte Monographie jener
ben haben.49 Ein zeitlich etwas versetztes, späteres Beispiel dafür   Abhandlungen Achenbachs ist zunächst einmal vor dem Hin-
findet sich in der Berg- und Hüttenmännischen Zeitung. Der In-        tergrund der politischen Spannungen kurz vor Ausbruch des
genieur Fr. A. Thum berichtet in mehreren Beiträgen über seine        deutsch-französischen Krieges zu sehen. Die Verschränkungen
mehrjährige Tätigkeit und seine Erfahrungen im „Zinkhütten-           der beiden Bergrechtstraditionen fallen auf den ersten Blick des-
betrieb der Altenberger Gesellschaft“ und anderen belgischen          halb bereits weniger ins Gewicht, etwa wenn schon im Titel von
Zinkhütten in den Jahren 1857 bis 1859. Seine vergleichende,          der „Fortbildung“ des französischen Bergrechts durch das preu-
kenntnisreiche und nüchterne Analyse der Verhüttungsmetho-            ßische Bergrecht, und nicht umgekehrt, die Rede ist. In diesem
den und Zinkgewinnung mit den belgischen und schlesischen             Kontext, zumal die Anfänge der westeuropäischen Zinkindus­
Verfahren, ihrer Vor-und Nachteile, ist objektiv, wenngleich zeit-    trie im Focus stehen sollen, ist es ratsam, in diesem Beitrag we-
gemäß an Interessen des Unternehmens50 und nicht gerade am            niger auf solche politischen Aspekte einzugehen und diese nicht
Wohl der Arbeiterschaft orientiert.51 Qualifikation war eben ein      zu vertiefen. Vielmehr gilt es, die rechtsgeschichtlichen Passa-
nicht unbedingt profitabler Kostenfaktor aus betriebswirtschaft-      gen in Verbindung mit der SVM hervorzuheben.

Der Anschnitt 69, 2017, H. 2                                                                                                         83
Achenbach erwähnt in seiner Betrachtung des französischen            spricht, wie gesagt, viel dagegen. In der Interpretation Achen-
Bergrechts und speziell der französischen Berggesetze vom 28.        bachs überwiegen polarisierende Aspekte, die Gegensätze zwi-
April 1791 und 21. April 1810 als Beispiel für die Einführung der    schen französischen und preußischen Standpunkten. Aus einer
französischen Gesetzgebung auf der linken Rheinseite eine Kon-       politikwissenschaftlichen und rechtsgeschichtlichen Perspektive
zession, die Jahre später (1837) Ausgangspunkt jener Aktienge-       kann man das aber auch noch anders sehen.
sellschaft werden sollte, die sich zum europäischen Marktführer
der Zinkindustrie entwickeln sollte: „Eine zweite sehr wich-
tige Concession auf Grund des Gesetzes vom 28. Juli 1791 war         Die Relevanz des „Pouvoir constituant“
durch kaiserliches Decret vom 24. März 1806 an Jacques Dani-
el Dony zu Lüttich in Betreff der Galmei-Bergwerke am Alten-         Dazu ist es ratsam den historischen Hintergrund der verfas-
berge erteilt worden. Die Galmei-Bergwerke am Altenberge, im         sungspolitischen Entwicklung als Voraussetzung für die Refor-
ehemals österreichischen Herzogthume Limburg gelegen, bilde-         mierung des französischen Bergrechts zu rekapitulieren. Der
ten vor der französischen Occupation ein österreichisches Be-        Standort „Vieille Montagne“ oder „Altenberg“ bei Aachen war
sitztum und wurden vom Staate teils auf eigene Rechnung, teils       seit Jahrhunderten wegen des hohen Zinkgehalts bekannt und
durch Vergebung an Private unter Vorbehalt des Ankaufsrechts         unter allen wechselnden Regierungsformen, zuletzt im ehemali-
des gewonnenen Galmeis zu einem festen Preise ausgebeutet“.57        gen österreichischen Herzogtum Limburg, immer wieder Anlass
Das Dekret, abgedruckt in einem 40 Jahre später erschienenen         und Gegenstand rechtstaatlicher Auseinandersetzungen. Erst
Verwaltungsbericht der SVM, auf den noch ausführlicher ein-          nach der Französischen Revolution 1789 und der schrittweisen
zugehen ist,58 war mit Auflagen erteilt worden, die Achenbach        Besetzung des linken Rheinufers durch Frankreich sowie nach
rezipierte. Die Konzession sollte 50 Jahre dauern, eine jährliche    der Vereinigung mit der Französischen Republik 1794 konn-
Steuer von 40.000 Frs. war gefordert worden, die Dony um 500         ten die linksrheinisch komplizierten und unübersichtlichen ber-
Frs. überboten hatte, weshalb er den Zuschlag vor der Konkur-        grechtlichen Zuständigkeiten geändert werden.61 Vor allem wur-
renz erhalten hatte. Die Akzentuierung des staatlichen Einflus-      de das unter den Bourbonenkönigen Ludwig XIII. bis Ludwig
ses in Achenbachs Text, die Unterwerfung „mehrerer Betriebs-         XVI. missbrauchte „Bergregal“ abgeschafft. Der Staat sollte ge-
und Haushaltsangelegenheiten“, die strenge Überwachung               genüber dem Bergbau mehr oder weniger keine Rechte privater
durch staatliche Behörden59, dürfte allerdings weniger dem           Natur mehr haben. Bergwerke sollten naturrechtlich begründet
„Geist“ des Gesetzes vom 28. Juli 1791 und auch nicht den In-        werden, zum Gegenstand unverletzlichen Eigentums werden, so
tentionen Napoleons entsprochen haben.                               wie dies der Code Napoléon im Artikel 552 vom 21. März 1804
Ich benutze die Bemerkungen Achenbachs für die bereits ange-         kodifiziert hatte. Rechtsgeschichtlich wirkte die maßgebliche
deutete Frage, warum im Kontext einer Untersuchung zur Ge-           Lehre der Französischen Revolution nach, die vom Abbé Siéyès
nese eines preußischen Berggesetzes überhaupt auf ein franzö-        formulierte und ideengeschichtlich begründete Unterscheidung
sisches Gesetz, das im Kontext der Französischen Revolution          zwischen verfassungsgebender (pouvoir constituant) und ver-
von 1789 steht, eingegangen werden sollte. Welche objektiven         fassungsgegebener (pouvoir constitué) Gewalt, das zeitlose Prin-
Interessen verband damit ein deutscher Oberbergrat und preu-         zip der modernen Staatstheorie.62 Auch der Empereur, der Kai-
ßischer Ministerialrat im engeren Sinn? In einer Rezension zu        ser Napoleon, hatte dies für rechtens befunden: „Napoleon selbst
der zitierten Studie Achenbachs hat der Mitherausgeber Hein-         mit seinen zahlreichen Armeen kann sich nicht eines Ackers be-
rich Brassert im selben Jahrgang der Zeitschrift für Bergrecht er-   mächtigen, denn, das Eigentum eines einzigen verletzen, heißt
wähnt, dass in den ersten zehn Jahrgängen seit 1860 aus einem        das Aller zu verletzen“, kommentierte Napoleon bereits den Ent-
doppelten Grund immer wieder Beiträge Achenbachs zum fran-           wurf einer von ihm geleiteten Staatsratssitzung vom 18. Novem-
zösischen Bergrecht erschienen sind: Zum einen, weil beide Ge-       ber 1809.63
setze, das erwähnte Gesetz vom 28. Juli 1791 und das Gesetz          Auch Bergwerke und Gräbereien standen letztendlich dem
vom 21. April 1810, im Gegensatz zu den Grundanschauungen            Souverän, der Nation, und nicht der monarchischen und stän-
älterer bergrechtlicher Vorgaben eine „totale Umwälzung im li-       destaatlich konstituierten Obrigkeit zu. Nur mit Zustimmung
beralen Sinn zu Wege gebracht […] und einen langsamen, aber          der Nation sollte Bergbau betrieben werden können. Problema-
sicher wirkenden Einfluss auf die Fortbildung der deutschen          tisch war die Position der Grundeigentümer. Einerseits sollte
Bergwerksgesetzgebung erlangt haben“. Zum anderen habe das           ihre Vorrangstellung bei der Nutzung der Bodenschätze sicher-
unter Federführung von Napoleon erarbeitete, 1810 eingeführte        gestellt werden. Für Achenbach war das französische Berggesetz
französische, 50 Jahre lang in den linksrheinischen Landesteilen     vom 21. April 1810 „epochemachend“, weil das Bergbaurecht
Preußens, Bayerns und Hessens „erprobte Bergrecht, ohne die          wie ein Sacheigentum nach den allgemeinen Regeln des Civil-
Vorzüge des einheimischen Rechts aufzugeben“, gewirkt.60 Be-         rechts“ beurteilt wurde, weil Grundeigentümer ein Vorzugsrecht
stätigt Brassert die Hypothese, dass die Beschäftigung mit der       bei Erteilung einer Konzession haben sollten, weil Eigentum un-
französischen Tradition des Bergrechts seit der Französischen        verletzlich sein sollte. Deshalb sollten Ingenieure nur ein Inspek-
Revolution und die zusammenfassende Synopse 1869, vier Jah-          tionsrecht als Sachverständige haben undch nicht in die Rechte
re nach Einführung der Bergrechtsreform und des Allgemeinen          der Grundeigentümer engreifen: „[…] Es ist besser, das persön-
Preußischen Berggesetzes (ABG) auch erfolgt sind, um liberale        liche Interesse wirken zu lassen, als die Überwachung durch In-
Wurzeln, liberale europäische Traditionen zu unterstreichen, die     genieure einzuführen. Es ist ein großer Fehler, wenn die Regie-
in der preußischen Tradition mit ihren zahlreichen, divergieren-     rung zu väterlich sein will“.64 Aus preußischer Sicht und auch für
den Bergordnungen keine Wirkkraft hatten? Sollten tatsächlich,       Achenbach selbst, von Amts wegen eingebunden in eine monar-
auch kurz vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges,            chisch-ständische Verfassung, war es vor dem Hintergrund sol-
im Bergbau nach Wegen der transnationalen wissenschaftli-            cher Prämissen schwierig, die Rolle des Staats und seiner ver-
chen Kooperation gesucht worden sein? Auf den ersten Blick           bliebenen Hoheitsrechte zu bestimmen. Eindeutig waren die

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Bestimmungen auch im französischen Bergrecht nicht geregelt.         und Des Arts vermittelt einen Eindruck der sozialen Macht- und
Die Rechte der Grundeigentümer waren nur bis zu einer Tiefe          Interessenstrukturen. Charles Amé Joseph Le Hon (1792-1868)
von 30 Fuß gewährleistet. Tiefer liegende Schätze verblieben im      war von 1831 bis 1842 Gesandter und erster belgischer Botschaf-
Besitz des Staates.                                                  ter in Paris. 1836 wurde er in den belgischen Grafenstand erho-
Auch wenn darauf an dieser Stelle nicht eingegangen werden           ben, von 1847-1857 war er Mitglied der Zweiten Kammer. Sein
soll, lässt sich aber dennoch bereits ein klarer Gegensatz zur       Sohn Louis Xavier Léopold Le Hon war 1851-1856 Kabinettschef
deutschen Tradition erkennen. Im Gegensatz zum Bergbau der           des Grafen Charles Auguste Louis de Morny (1811-1865) in Pa-
deutschen Staaten, in denen das Bergregal, die alten Bergordnun-     ris. Dieser wiederum ist der Sohn von Hortense de Beauharnais,
gen und das Direktionsprinzip, das ständisch-korporative Sys-        verheiratet mit Louis-Napoléon Bonarparte, somit ein Halbbru-
tem des monarchischen Obrigkeitsstaates weiterhin Gültigkeit         der Napoleons III. Er war ein erfolgreicher Rübenzuckerfabri-
besaßen, hatte das bereits im Ancien Régime und anderen Län-         kant mit besten Beziehungen zur bürgerlich belgischen Elite und
dern diskutierte demokratische Legitimationsprinzip des moder-       der Finanzwelt. Alfred Mosselmann ist der Sohn des wohlhaben-
nen Verfassungsstaates offensichtlich auch im Bergbau der napo-      den Pariser Kaufmanns François Mosselmann, der sein Kapital
leonischen Regierung noch Bestand. Auch der Empereur, der            durch Verbindungen zur Waffenindustrie in napoleonischer Zeit
Kaiser Napoleon, hatte es, wie gesagt, für rechtens befunden.        und im Rahmen der Säkularisierung kirchlichen Besitztums er-
Das französische Berggesetz vom 21. April 1810 eröffnete in Ver-     heblich erweitern konnte. Ihm ist es zu verdanken, dass der früh-
bindung mit dem in der Nationalversammlung am 28. Juli 1791          zeitig in finanzielle Schwierigkeiten geratene Konzessionär des
beschlossenen Bergbaugesetz, jedenfalls die Möglichkeit, vie-        Altenbergs, der Chemiker Dony, bis zu seinem frühen Tod (1819)
le kleinere „Gerechtsame“ im Namen der Nation, dem „pouvoir          noch weiter arbeiten konnte. Alfred Mosselmann und seine elf
constituant“, zu konzentrieren und zu einer Konzession zusam-        Geschwister wuchsen in einer Villa in Paris in der Chaussé d’An-
menzufassen. Inwieweit dieses Gesetz, das zu Zeiten der DDR          tin auf. Seine Schwester Fanny68 war verheiratet mit Charles Amé
gelegentlich sogar schon als „Epochengesetz des Kapitalismus         Joseph Le Hon, der dieses Gutachten erstellte. Die privaten Net-
der freien Konkurrenz“ bezeichnet wurde,65 im Sinne Achen-           ze dieser weltoffenen Frau etwa zu Graf Charles Morny, eben-
bachs eine „liberale Umwälzung“ inkludierte, ist in der franzö-      falls Mitglied des Verwaltungsrates, sind häufig beschrieben
sischen Literatur umstritten.66 Es ist ratsam, diesen Komplex aus    worden.69 Der Aufstieg der SVM zu einem weltweit operieren-
einer zeitlich verschobenen Perspektive der späten 1840er Jah-       den Unternehmen gelang sicherlich auch deshalb, weil, theore-
re, mehr als 40 Jahre nach der Übertragung des Altenbergs durch      tisch gewendet, es gelungen war, frühzeitig ökonomisches Kapi-
kaiserliches Dekret am 17. Dezember 1805 an den Chemiker Jean        tal geschickt durch kulturelles und soziales Kapital im Sinne der
Jacques Daniel Dony (Lüttich) und der Bestätigung der Konzes-        Definition von Pierre Bourdieu zu ergänzen.
sion am 24. März 1806 durch Napoleon, noch einmal aufzugrei-         Beschränken möchte ich mich auf die juristischen Argumentation
fen. Letztlich wurden nämlich erst zu diesem Zeitpunkt die we-       und die Intention des Gutachtens. 40 Jahre nach der Debatte zum
sentlichen rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass        Stellenwert demokratischer Legitimationsprinzipien im Bergbau
die ewigen Auseinandersetzungen um den „Altenberg“ ruhig             im Sinne des „pouvoir constituant“, der These vom grundsätz-
gestellt werden konnten, denn die Erfolgsgeschichte des Unter-       lichen Verfügungsrecht der „Nation“ über die Bergwerke, soll-
nehmens zum führenden westeuropäischen Zinkproduzenten               te offensichtlich nachgewiesen werden, dass jene im Kontext der
nahm erst nach der Niederlage der freiheitlichen demokratischen      Französischen Revolution geführten Argumente letztlich inzwi-
Bewegungen 1848 ihren Lauf, zunächst bis ins Rheinisch-Westfä-       schen obsolet waren. Das scharf- und spitzfindige Gutachten des
lische Industriegebiet. Vor diesem historisch-politischen Hinter-    Grafen Le Hon sollte belegen, dass die 1837 gegründete Aktien-
grund könnte das nachfolgende Gutachten des Grafen Le Hon            gesellschaft SVM nunmehr der alleinige rechtmäßige und legiti-
durchaus auch kritisch gesehen werden.                               me Erbe des „Altenbergs“ war. Die SVM könne aus historischen
                                                                     und rechtsgeschichtlichen Gründen diese Konzession für sich be-
                                                                     anspruchen. Die Legitimation sei nicht befristet, nicht temporär
Die Legitimitätsgrundlagen der SVM aus unterneh-                     gewährt worden. Die ursprünglich an Dony erteilte Konzessi-
                                                                     on sei inzwischen sowohl durch den belgischen Staat als zuletzt
menshistorischer Sicht
                                                                     durch den Königlichen Gerichtshof Paris sanktioniert worden
Der zweisprachige Bericht einer Sitzung der SVM vom 16. April        und daher auf „immerwährende Dauer“ an die SVM übergegan-
1849 unter dem Vorsitz des Direktors der Gesellschaft Saint-Paul     gen. Diese Gesellschaft habe somit das Recht und das Monopol,
de Sinçay wurde 1853, in „Anbetracht der Wichtigkeit der ent-        diesen wertvollen Berg nach ihren Vorstellungen ausbeuten. Er
haltenen Tatsachen“ auf Beschluss des Verwaltungsrates in einer      sei ihr unantastbares Eigentum. […] „keine auf das Recht und
Aachener Druckerei (C. H. Müller) veröffentlicht.67 Der 110 Sei-     nicht auf die Gewalt gestützte, regelmäßige Macht kann das in
ten umfassende Bericht in deutscher und französischer Sprache        Frage stellen“, so das Résumé des Gutachtens.70
wurde ergänzt durch einen Anhang „offizieller Urkunden“ und          Der industrielle Aufschwung des Unternehmens hatte von nun
Schriftstücke zur Vorgeschichte der Vieille Montage sowie Doku-      an eine neue, in der Tat nicht mehr umstrittene legitime Grund-
mente von 127 Seiten zu juristischen Auseinandersetzungen auf        lage, erst jetzt konnte ohne Bedenken juristischer Natur der Auf-
unterschiedlichen Ebenen seit der Französischen Revolution bis       schwung der Firma dynamisiert werden. Das mit zahlreichen Be-
in die 1840er Jahre. Diese in der Literatur wenig beachtete Quelle   legen unterfütterte Gutachten fasste gleichsam alle juristischen
ist für unseren Zusammenhang aus soziopolitischer und juristi-       Argumente noch einmal zusammen, die in der Vergangenheit
scher Perspektive von Interesse.                                     in zahlreichen Prozessen gegen die SVM und seine Vertreter auf
Allein schon die Zusammensetzung des Verwaltungsrates, die           öffentlich rechtlicher und privater Ebene ausgefochten worden
Grafen Le Hon, Vilain XIII, de Morny und die Herren Alfred           waren. Das Gutachten ließ auch für Dritte keinen Zweifel dar-
Mosselmann, Julius Nagelmackers, Joseph Périer, Ernst André          an aufkommen, dass es legitim war, weiterhin aus einer Position

Der Anschnitt 69, 2017, H. 2                                                                                                       85
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