Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt

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Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
Unternehmen
zur Verantwortung ziehen
Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
Inhalt
I. Transnationale Menschenrechtsklagen – Eine Chance auf Gerechtigkeit?                                                            . . . . . . . . 4

II. Stand der internationalen und deutschen Debatte .                                                 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
    1. Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
    2. Klagen in den Heimatstaaten transnationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
    3. Klagen in den Gaststaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
    4. Kein effektiver Rechtsschutz für die Betroffenen von Unternehmensunrecht . . . . . . . . . . . . . . . 8

III. Typische Fallkonstellationen – Überwiegende Rechtlosigkeit der Betroffenen .                                                        . . . . . 8
    1. Landnahmen und Rohstoffgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
      a) Staatliche Enteignung ohne angemessene Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
      b) Landnahme durch Verträge zwischen Unternehmen und Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
    2. Umwelt- und Gesundheitsschäden durch Rohstoff- und Agroindustrien . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
    3. Verantwortungslosigkeit entlang der globalen Zulieferketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
    4. Kriminalisierung und Verfolgung sozialer Proteste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

IV. Hindernisse bei der Geltendmachung vor Gericht                                                . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
    1. Praktische und politische Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
      a) Schwache staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
      b) Prekäre Sicherheitslage für Betroffene und zivilgesellschaftliche Organisationen . . . . . . . . . . . 19
      c) Kapazitäten Betroffener und zivilgesellschaftlicher Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
    2. Rechtliche Hindernisse in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
      a) Fehlende Haftungsregelungen, insbesondere keine klaren Sorgfaltspflichten im Bezug
          auf Tochterunternehmen und Zulieferbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
      b) Nicht hinreichend geschützte Rechtsgüter im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
      c) Keine Klagemöglichkeit für große Betroffenengruppen und hohes Kostenrisiko . . . . . . . . . . . 22
      d) Kein Unternehmensstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

V. Gesetzesreformen – Empfehlungen für die Politik .                                                  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
    1. Gesetzliche Regelung von Umfang und Inhalt unternehmerischer Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . 25
    2. Vereinbarkeit mit der Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
    3. Einführung von Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
    4. Einführung von Gruppenklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
    5. Unternehmensstrafrecht und spezialisierte Staatsanwaltschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2       Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
Projekt und Anlass der zweiten Auflage
    Auf Anregung von Partnern und anderen Men-                                          hat sich die deutsche Bundesregierung in den Jahren
schenrechtorganisationen aus dem globalen Süden                                         2015 und 2016 im Rahmen der Entwicklung des Nati-
unterstützen MISEREOR, Brot für die Welt und EC-                                        onalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrech-
CHR seit 2009 in einem gemeinsamen Projekt lokale                                       te“ (NAP) intensiv mit dem Thema Unternehmens-
Akteure in ihren Bemühungen, gegen transnationale                                       verantwortung und Zugang zu Recht für Betroffene
Unternehmen vorzugehen, die an Menschenrechts-                                          von Menschenrechtsverletzungen beschäftigt. In
verletzungen beteiligt sind oder von ihnen profi-                                       umfangreichen Beratungsrunden hörte das Auswärti-
tieren. Mit finanzieller Unterstützung
durch MISEREOR und Brot für die
Welt organisierte das ECCHR vier
Workshops auf drei Kontinenten                                                                                         „Christo Petrolero“, Statue zu Ehren der Erdöltradition
(Kolumbien 2010, Kamerun 2011,                                                                                         in Barrancabermeja, Kolumbien
Indien und Philippinen 2013). Diese
mehrtägigen Treffen sollten sowohl
die Bildung internationaler Allianzen
und den Austausch über Klagestra-
tegien fördern, als auch den Partner-
organisationen von MISEREOR
und Brot für die Welt grundlegende
Kenntnisse über die Möglichkeiten
transnationaler Prozessführung gegen
europäische Unternehmen vermitteln.
Auf den Workshops wurden sowohl
                                        Foto: Müller-Hoff / ECCHR

durch das ECCHR vorbereitete Ana-
lysen exemplarischer juristischer Fäl-
le als auch allgemeine Themen wie
Fall-Recherche, Beweisführung in ju-
ristischen Verfahren und Sicherheitsfragen diskutiert.                                  ge Amt (AA) als federführendes Bundesministerium
Insgesamt haben an den Workshops etwa 150 Perso-                                        zahlreiche Expert_innen zu diesen Themen an. Trotz
nen teilgenommen, darunter Vertreter_innen von 82                                       der bemerkenswerten Bündelung von Fachwissen
NGOs, 39 lokale und 14 internationale Anwält_in-                                        im Rahmen dieses Konsultationsprozesses finden
nen, vornehmlich aus Europa, Großbritannien und                                         sich nur wenige der vorgebrachten Empfehlungen in
den USA, sowie 11 Vertreter_innen aus betroffenen                                       dem im Dezember 2016 verabschiedeten Nationalen
Gemeinden und von Gewerkschaften. Im Rahmen                                             Aktionsplan der Bundesregierung. Umso wichtiger
dieses Projektes analysierte das ECCHR rund 50                                          erschien es uns daher, mit einer Neuauflage dieser
umfangreiche Einzelfälle von Menschenrechtsverlet-                                      Broschüre darauf hinzuweisen, wie schwerwiegend
zungen durch Unternehmen aus der ganzen Welt. Die                                       die menschenrechtlichen Risiken sind, die von un-
so gewonnenen Erkenntnisse sind in diese Publikati-                                     verantwortlichem Wirtschaftshandeln ausgehen, und
on eingeflossen und wurden in den darauf folgenden                                      wie hoch die Hürden für die Betroffenen sind, wenn
thematischen Workshops zu Menschenrechtsverlet-                                         sie ein (mit-)verantwortliches Unternehmen juris-
zungen durch Pestizid produzierende Unternehmen                                         tisch zur Rechenschaft ziehen wollen. Die Lösungs-
und Bergbaukonzerne angewendet. Seit der ersten                                         ansätze der Bundesregierung werden der Realität,
Auflage dieser Broschüre haben sich zum einen die                                       die diese Broschüre nachzeichnet, nicht einmal im
laufenden Verfahren weiterentwickelt. Zum anderen                                       Ansatz gerecht.

                                                                    Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen   3
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
I   Transnationale
    Menschenrechtsklagen –
    Eine Chance auf Gerechtigkeit?
       Im April 2013 starben mehrere tausend Arbeiter_in-                                  grundlegende Arbeitsrechte verletzt. Allzu oft haben die
    nen bei dem Zusammensturz des Fabrikkomplexes Rana                                     Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen keinen
    Plaza in Bangladesch. Die zahlreichen europäischen                                     direkten und effektiven Zugang zum Recht. Auch die
    Bekleidungsunternehmen, die Textilien in diesem Ge-                                    Arbeit des ECCHR und vergleichbarer juristischer Men-
    bäude fabrizieren ließen, darunter auch einige deutsche,                               schenrechtsorganisationen in juristischen Einzelfällen
    verweigern bis heute jede Anerkennung ihrer rechtlichen                                in den letzten fünf Jahren zeigt, dass sich deutsche und
    Verantwortung – unter anderem mit dem Verweis auf                                      europäische Unternehmen aufgrund von Beweisschwie-
    die lockere Zulieferungsbeziehungen zu den bangla-                                     rigkeiten und rechtlicher Lücken einer angemessenen
    deschischen Unternehmen. Dies soll eine direkte Ver-                                   rechtlichen Verantwortung oft entziehen können.
    antwortlichkeit und damit Schadensersatzzahlungen                                         Im Folgenden beschreiben wir exemplarische Fälle, in
    ausschließen. Auch die Betroffenen der südafrikanischen                                denen deutsche und europäische Unternehmen an Men-
    Apartheid-Verbrechen warten bislang vergeblich auf eine                                schenrechtsverletzungen im globalen Süden beteiligt sind
    Entschädigung durch die transnationalen Unternehmen,                                   oder mit solchen in Verbindung stehen. Anhand dieser
    die vom Apartheid-Regime wirtschaftlich profitierten.                                  Fälle stellen wir dar, welchen Schwierigkeiten Betrof-
    Unternehmen wie Mercedes-Benz ziehen sich darauf                                       fene begegnen, wenn sie diese Unternehmen an ihrem
    zurück, man habe lediglich Geschäfte gemacht, ohne                                     Hauptsitz in Deutschland oder Europa zur Verantwor-
    einen Beitrag zu schwersten Menschenrechtsverletzun-                                   tung ziehen wollen. Die Problembeschreibungen beruhen
    gen zu leisten.1                                                                       sowohl auf der Fallarbeit des ECCHR als auch auf den
       Diese drastischen Beispiele entsprechen den Erfahrun-                               Erfahrungen der vier Workshops, in denen rund 50 Einzel-
    gen von MISEREOR und Brot für die Welt sowie ihren                                     fälle vom ECCHR analysiert wurden. Von dieser Analyse
    Partnerorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika.                              ausgehend formulieren wir Vorschläge, wie Gesetze in
    Großflächige Agrarinvestitionen und massiver Rohstoffa-                                Deutschland geändert werden müssten, damit Betroffene
    bbau in den Ländern des Südens führen zu rechtswidrigen                                von Menschenrechtsverletzungen gegen Unternehmen in
    Landvertreibungen, Umweltverschmutzung sowie bei                                       Deutschland klagen könnten. Fallbeispiele nicht-deut-
    friedlichem Protest der lokalen Bevölkerung zu Verhaf-                                 scher Unternehmen werden im Folgenden thematisiert,
    tungen und Übergriffen. Der Verkauf der öffentlichen Da-                               sofern sie für die Diskussion um Gesetzesreformen in
    seinsvorsorge an transnationale Unternehmen gefährdet                                  Deutschland relevant sind. Sie sollen verdeutlichen, dass
    die Basisversorgung der Bevölkerung mit Strom, Wasser                                  auch deutsche Unternehmen in ähnlichen Konstellationen
    oder Gesundheitsleistungen. In den Zulieferbetrieben                                   Menschenrechtsverletzungen begehen und eine Klage in
    deutscher und europäischer Unternehmen werden häufig                                   Deutschland aus ähnlichen Gründen scheitern würde.

                                                                                           1   Motion for Certificate of Appealability filed by Daimler AG et. al. In
                                                                                               Apartheid Litigation Case, MDL No. 1499 (SAS) ECF Case, http://
                                                                                               www.usa-recht.de/wp-content/uploads/2010/05/Motion-of-Daimler-
                                                                                               et-al1.pdf, letzter Zugriff: 02.06.2016; medico international, Daimler,
                                                                                               Deutsche Bank und Co.: Das Geschäft mit der Apartheid, https://www.
                                                                                               medico.de/daimler-deutsche-bank-und-co-das-geschaeft-mit-der-apart-
                                                                                               heid-14723/, letzter Zugriff: 02.06.2016.

    4       Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
Stand der internationalen                                                                                                                                                 II
und deutschen Debatte
   Menschenrechtsverletzungen durch Wirtschaftsun-
ternehmen sind seit der Gründung der Internationalen
Arbeitsorganisation (International Labour Organisation
– ILO) 1919 immer wieder Gegenstand internationaler
Debatten und Regulierungsversuche. Bisher ist es jedoch
nicht gelungen, völkerrechtlich verbindliche Regeln zu
schaffen, die den Umfang menschenrechtlicher Ver-
pflichtungen von Unternehmen festlegen. Den derzei-
tigen internationalen Konsens beschreiben die 2011
vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedeten UN-Leit-
prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.2 Die
UN-Leitprinzipien verorten die primäre völkerrechtliche
Verpflichtung zum Schutz vor Menschenrechtsverletzun-
gen durch Unternehmen bei den Staaten, während Un-
ternehmen eine Verantwortung haben, Menschenrechte
zu respektieren. Auch wenn die UN-Leitprinzipien das
Recht von Betroffenen anerkennen, Menschenrechts-
verletzungen vor Gerichte zu bringen, stellt dieser Soft-
                                                                        Foto: Lohmann / MISEREOR

Law-Standards keine verbindlichen Rechtsansprüche für                                                                                    Steinbrucharbeiter in Chennai, Indien

2   UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNHRC,
    resolution 17/4 adopted on July 6, 2011, (UN Doc A/HRC/17/4).

    Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
       Der UN-Menschenrechtsrat hat 2011 die UN-Leit-                                              einstimmigen Verabschiedung durch den Menschen-
    prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die                                              rechtsrat verbindlicher als etwa selbstverpflichtende
    aus drei sogenannten Säulen bestehen, verabschiedet.                                           Verhaltenskodizes von Unternehmen. Unter anderem
    Die erste Säule umfasst die völkerrechtlich verbind-                                           stehen demnach die Unternehmen in der Verantwor-
    liche Pflicht von Staaten, Menschen vor Menschen-                                              tung, regelmäßig menschenrechtliche Risikoanalysen
    rechtsverletzungen, die Unternehmen begehen, zu                                                und Folgenabschätzungen durchzuführen, möglichen
    schützen. Die zweite Säule beinhaltet die Verantwor-                                           Risiken sowie negativen Auswirkungen der Unter-
    tung von Unternehmen, Menschenrechte zu respek-                                                nehmenstätigkeit entgegenzuwirken und darüber
    tieren. Diese ist zwar nicht völkerrechtsverbindlich,                                          transparent und nachvollziehbar Bericht zu erstatten.
    sie beschreibt aber den Konsens der internationalen                                            Diese beiden Säulen werden ergänzt durch die dritte
    Staatengemeinschaft in Bezug auf Maßstäbe für die                                              Säule, in der die Verpflichtung der Staaten festgehal-
    Unternehmensverantwortung zur Achtung der Men-                                                 ten wird, effektive Rechtsmittel für die Betroffenen
    schenrechte. Die UN-Leitprinzipien sind wegen ihrer                                            von Menschenrechtsverletzungen zu garantieren.

                                                       Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen           5
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
Betroffene von Unternehmensunrecht zur Verfügung.                                      gute Ansatzpunkte, gesetzliche Sorgfaltspflichten in der
2014 begann die Bundesregierung mit der Erstellung                                     nächsten Legislaturperiode erneut auf die Tagesordnung
eines Nationalen Aktionsplans (NAP) für „Wirtschaft                                    zu setzen. Der Handlungsdruck auf deutsche Unter-
und Menschenrechte“ zur nationalen Umsetzung der                                       nehmen ist angesichts des Risikos einer gesetzlichen
UN-Leitprinzipien. Das federführende Auswärtige Amt                                    Regelung mit dem NAP gestiegen.
veranstaltete zur Vorbereitung des NAP während des                                     Auf internationaler Ebene konnten eine Reihe von Staa-
Jahres 2015 Expert_innenanhörungen, die einen umfas-                                   ten wie Ecuador und Südafrika, unterstützt von einem
senden Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen                                  breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, eine Untergrup-
Gruppen ermöglichen sollten. Nach zähen regierungs-                                    pe beim UN-Menschenrechtsrat einrichten. Diese Unter-
internen Verhandlungen wurde der Aktionsplan im De-                                    gruppe beschäftigt sich mit der Ausgestaltung eines völ-
zember 2016 schließlich ohne vorherige Veröffentli-                                    kerrechtlichen Vertrags, der die in den UN-Leitprinzipien
chung eines Entwurfs verabschiedet. Die Forderungen                                    beschriebenen menschenrechtlichen Verpflichtungen
nach verbesserten gesetzlichen Regelungen, die in der                                  von Staaten im globalen Wirtschaftsgeschehen sowie
ersten Auflage der vorliegenden Broschüre formuliert                                   die Sorgfaltspflichten von Unternehmen verbindlich
waren, und durch rechtswissenschaftliche Gutachten                                     im Völkerrecht verankert und weiterentwickelt. Die
umfangreich weiterentwickelt worden sind, wurden im                                    Arbeitsgruppe wurde zunächst von sämtlichen EU-Mit-
Aktionsplan jedoch ebenso wenig berücksichtigt wie die                                 gliedsstaaten boykottiert. Diese Blockadehaltung lässt
Forderungen nach besserem Zugang zu Gerichten für                                      inzwischen nach und auch europäische Staaten nehmen
Betroffene. Anstatt klare menschenrechtliche Sorgfalts-                                mittlerweile als Beobachter an den Sitzungen teil.
pflichten für Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland
festzuschreiben und effektive Klagemöglichkeiten für                                   1. Menschenrechtsklagen
Betroffene zu schaffen, äußert die Bundesregierung                                        gegen Unternehmen
lediglich die „Erwartung“, dass deutsche Unternehmen                                   Im Zuge der Umsetzung des Nationalen Aktions-
ihre Sorgfaltspflichten wahrnehmen. Immerhin sind ab                                   plans wird es unerlässlich sein, den öffentlichen und
2018 jährliche Überprüfungen der Umsetzung geplant.                                    politischen Druck zur Einführung einer gesetzlichen
Ebenso ist zu begrüßen, dass bis 2020 mindestens 50                                    Sorgfaltspflicht aufrechtzuerhalten, damit Opfer von
Prozent aller deutschen Unternehmen ab 500 Mitarbei-                                   Menschenrechtsverstößen deutscher Unternehmen im
ter_innen entsprechende Prozesse zur menschenrecht-                                    Ausland künftig eine solide rechtliche Grundlage für
lichen Sorgfalt in ihre Managementsysteme integriert                                   Zivilklagen und Strafverfahren in Deutschland erhal-
haben sollen. Sollte die Bundesregierung auf Grundla-                                  ten. Dennoch können die Opfer nicht auf den Fortgang
ge einer geplanten stichprobenartigen Überprüfung zu                                   internationaler Debatten oder nationaler Gesetzesrefor-
dem Ergebnis kommen, dass die Unternehmen diese                                        men warten. Angesichts der Schwäche des deutschen
Erwartung nicht erfüllt haben, will sie weitergehende                                  – wie auch vieler anderer europäischer Aktionspläne
Maßnahmen, einschließlich einer gesetzlichen Regelung                                  – ist es um so wichtiger, dass Betroffene schon jetzt
erwägen. Brot für die Welt, ECCHR und Misereor hatten                                  mit Hilfe lokaler wie internationaler Organisationen
sich gemeinsam mit anderen NRO und dem DGB dafür                                       und Anwält_innen Unternehmen vor Gericht bringen;
stark gemacht, dass der NAP bereits jetzt eine Gesetze-                                sowohl in dem Land, in dem die Menschenrechtsver-
sinitiative zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht auf                               letzungen begangen wurden (Gaststaat), als auch in
den Weg bringt. Hatten doch die menschengemachten                                      dem Land, in dem das verantwortliche Unternehmen
Katastrophen wie der Einsturz des Rana Plaza-Fabrik-                                   seinen Hauptsitz hat (Heimatstaat). So hat es in den
komplexes und viele der in dieser Publikation aufge-                                   letzten Jahrzehnten eine Reihe emblematischer Fälle
führten Einzelfälle gezeigt, dass mit Corporate Social                                 wie die Klage nigerianischer Bauern gegen Royal Dutch
Responsibility (der freiwilligen, unverbindlichen Über-                                Shell plc (Shell) wegen der Verseuchung ihrer Felder
nahme von Verantwortung durch Unternehmen) allein                                      durch Öl vor niederländischen Gerichten gegeben, die
die wirklichen menschenrechtlichen Probleme der globa-                                 Klage ecuadorianischer Staatsbürger gegen die Chevron
lisierten Wirtschaft nicht in den Griff zu bekommen sind.                              Corporation (Chevron) wegen Ölverschmutzungen vor
Dennoch bieten die im NAP formulierten quantitativen                                   ecuadorianischen Gerichten, die Strafanzeige kolumbi-
Zielmarken sowie der angekündigte Monitoringprozess                                    anischer Gewerkschafter gegen die Nestlé S.A. (Nestlé-

6       Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
Konzern) in der Schweiz wegen der Ermordung des                                     ter von Unternehmen wegen der Beteiligung an Men-
Gewerkschaftsführers Luciano Romero und die Klage                                   schenrechtsverletzungen. So wurde der niederländische
pakistanischer Arbeiter_innen vor dem Landgericht                                   Geschäftsmann Frans van Anraat 2007 wegen der Lie-
Dortmund gegen den Textildiscounter KiK wegen eines                                 ferung von Giftgas an Saddam Hussein in den 1980er
Fabrikbrandes in Pakistan.3 Diese Klagen sind Ausdruck                              Jahren wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen in letzter
eines wachsenden Bewusstseins der Betroffenen von                                   Instanz verurteilt.6 In Deutschland lief bis zum Früh-
Menschenrechtsverletzungen, dass sie ihre Rechte vor                                jahr 2016 ein Ermittlungsverfahren gegen drei Manager
verschiedenen nationalen Gerichten und gerade auch                                  des Unternehmens Lahmeyer International wegen ihrer
am Hauptsitz des (mit-)verantwortlichen Unternehmens                                mutmaßlichen Beteiligung an der Vertreibung von min-
einfordern können.                                                                  destens 4.700 Familien durch ein Staudammprojekt im
                                                                                    Sudan.7 In Frankreich ermittelt die Staatsanwaltschaft
2. Klagen in den Heimatstaaten                                                      gegen Mitarbeiter von Technologie-Unternehmen, die
   transnationaler Unternehmen                                                      Überwachungstechnologie an repressive Staaten wie
Ihren Anfang nahm diese Entwicklung Mitte der 1990er                                Lybien verkauft haben.8 Die Schweizer Justiz beschäf-
Jahre mit den Klagen nach dem US-amerikanischen Ge-                                 tigte sich für mehr als zwei Jahre mit einer Strafanzeige
setz Alien Tort Claims Act. Der Alien Tort Claims Act ist                           gegen hochrangige Nestlé-Manager wegen Missach-
ein Gesetz aus dem Jahr 1798, das einen zivilrechtlichen                            tung ihrer Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit
Entschädigungsanspruch für Völkerrechtsverletzungen                                 der Ermordung des Gewerkschafters Luciano Romero
statuiert. Es wurde von progressiven Menschenrechts-                                in Kolumbien im Jahr 2005.9
anwält_innen für Klagen gegen Unternehmen wie Shell
für dessen Mitverantwortung für die Hinrichtung des                                 3. Klagen in den Gaststaaten
nigerianischen Umweltaktivisten Ken Saro Wiwa oder                                  Viele Klagen und Strafverfahren werden auch in den
Mercedes-Benz und die Rheinmetall AG wegen de-                                      Ländern geführt, in denen die Menschenrechtsverlet-
ren Beteiligung an Verbrechen des Apartheid-Regimes                                 zungen begangen wurden. Nur einige Beispiel seien
in Südafrika benutzt.4 Dieser Trend setzte sich fort. In                            hier genannt: Ein Gericht in Ecuador verurteilte Che-
Großbritannien klagten zum Teil große Klägergruppen                                 vron zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 18
gegen die Mutterhäuser transnationaler Unternehmen                                  Milliarden US-Dollar wegen der durch die Ölförderung
wegen Gesundheitsschäden in Folge von Giftmüllver-                                  des Unternehmens verursachten Umwelt- und Gesund-
klappungen vor der Elfenbeinküste oder Asbestabbau                                  heitsschäden.10 Die argentinische Justiz arbeitet derzeit
in Südafrika.5                                                                      die Rolle großer Konzerne wie Ford Motor Compa-
   Neben solchen zivilrechtlichen Klagen gibt es auch                               ny, Mercedes-Benz oder dem Zuckerproduzenten Le-
eine Reihe von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren                                desma bei den Verbrechen der Militärdiktatur in den
und zum Teil auch Urteilen gegen einzelne Mitarbei-                                 1970er/1980er Jahren auf.11 Indische Gerichte befassen

3   Zum Nestlé-Fall mit weiteren Informationen: ECCHR, Strafanzeige                     of the Position Outside the United States, in: City University of Hong
    gegen Nestlé wegen der Ermordung des kolumbianischen Gewerkschaf-                   Kong Law Review, Vol 3:1, 2011, S. 1-41.
    ters Luciano Romero, https://www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirt-
                                                                                    6   Public Prosecutor v Van Anraat, 22-000509-06, Urteil vom 9. Mai
    schaft-und-menschenrechte/nestle.html, letzter Zugriff: 17.10.2016;
                                                                                        2007, http://www.haguejusticeportal.net/index.php?id=7548, letzter
    Zur Chevron-Klage in Ecuador: Business & Human Rights Ressource
                                                                                        Zugriff: 17.10.2016.
    Centre, Case Profile: Texaco/Chevron Lawsuits (re Ecuador), http://
    www.business-humanrights.org/Categories/Lawlawsuits/Lawsuitsre-                 7 ECCHR, Der Fall Lahmeyer: Deutsche Ingenieursarbeit – ohne
    gulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/TexacoChevronlawsuitsreEcua-                 Rücksicht auf Verluste, https://www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirt-
    dor, letzter Zugriff: 17.10.2016; Zur Shell-Klage in den Niederlanden:            schaft-und-menschenrechte/lahmeyer.html, letzter Zugriff: 17.10.2016.
    Business & Human Rights Ressource Centre, Case Profile: Shell Laws-
                                                                                    8   Business & Human Rights Ressource Centre, Case Profile: Amesys
    uit (re oil pollution in Nigeria), http://www.business-humanrights.org/
                                                                                        Lawsuit (re Libya), http://www.business-humanrights.org/Catego-
    Categories/Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/LawsuitsSelected-
                                                                                        ries/Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/
    cases/ShelllawsuitreoilpollutioninNigeria, letzter Zugriff: 17.10.2016.
                                                                                        AmesyslawsuitreLibya, letzter Zugriff: 17.10.2016.
4   Business & Human Rights Ressource Centre, Case profile: Apartheid
                                                                                    9   Siehe FN 3 m.w.N.
    Reparations Lawsuits (re So. Africa), http://www.business-human-
    rights.org/Categories/Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/Laws-                10 Siehe FN 3 m.w.N.
    uitsSelectedcases/ApartheidreparationslawsuitsreSoAfrica, letzter
                                                                                    11 Business & Human Rights Ressource Centre, Case Profile: Ford Laws-
    Zugriff: 17.10.2016.
                                                                                       uit (re Argentina), http://www.business-humanrights.org/Categories/
5   Einen Überblick bietet: Richard Meeran, Tort Litigation against Mul-               Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/ford-
    tinational Corporations for Violation of Human Rights: An Overview                 lawsuitreargentina, letzter Zugriff: 17.10.2016.

                                                                Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen   7
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
sich aufgrund von Klagen indischer Organisationen mit                                  Sicherheitslage der Betroffenen einer Klage im Wege
    verantwortungslosen Vertriebspraktiken europäischer                                    stehen. Gleichzeitig bestehen in den Heimatstaaten der
    Chemie-Konzerne.12 Diese wie auch viele andere Ver-                                    Unternehmen zahlreiche rechtliche Hürden, die den
    fahren zeigen, dass die juristische Aufarbeitung von                                   Betroffenen einen effektiven Rechtsschutz verwehren.
    Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen kei-                                      Der Behauptung der Bundesregierung und deutscher Un-
    neswegs nur am Hauptsitz der jeweiligen Unternehmen                                    ternehmensverbände, dass in Deutschland ausreichende
    stattfinden kann und soll. Gerade auch die Gaststaaten                                 Klagemöglichkeiten bestünden, um Unternehmen für
    spielen eine wichtige Rolle, und die Rechtssysteme in                                  ihre Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen zur
    sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern sind                                    Verantwortung ziehen zu können, treten wir mit dieser
    dafür nicht immer so ungeeignet wie vermutet.                                          Publikation daher entgegen: Die Fallbeispiele verdeut-
                                                                                           lichen, dass deutsche und europäische Unternehmen
    4. Kein effektiver Rechtsschutz für die                                                für die negativen sozialen und ökologischen Folgen
       Betroffenen von Unternehmensunrecht                                                 ihres Handeln nach geltendem Recht selten belangt
    Diese Fälle zeigen, dass Betroffene neben anderen                                      werden können. Die im aktuellen NAP vorgesehene
    sozialen und politischen Protestformen auch vor den                                    Erwartungshaltung der Bundesregierung an die deut-
    eigenen oder europäischen Gerichten für Wahrheit und                                   sche Wirtschaft, sich zukünftig mehr um die eigenen
    Gerechtigkeit kämpfen. Im Verhältnis zu den Rechts-                                    menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu kümmern,
    verletzungen, die von Unternehmen insbesondere in                                      ohne klare Konsequenzen bei der Nicht-Einhaltung,
    den Entwicklungs- und Schwellenländern begangen                                        reicht daher nicht aus.
    werden, ist die Anzahl der juristischen Verfahren jedoch
    verschwindend gering. Die in den nächsten Kapiteln
                                                                                           12 ECCHR, Bayer: Doppelstandards beim Vertrieb von Pestiziden, https://
    beschriebenen Fallbeispiele zeigen, dass oft sehr prakti-                                 www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarindustrie/bayer.
    sche Gründe wie begrenzte Kapazitäten oder die prekäre                                    html, letzter Zugriff: 17.10.2016.

III Typische Fallkonstellationen –
    Überwiegende Rechtlosigkeit
    der Betroffenen
       Sowohl in Lateinamerika als auch in Afrika und Asien                                diesen menschenrechtlichen Problemen häufig nicht
    haben sich einige Konstellationen, in denen die Tätigkeit                              direkt, wohl aber über ihre Geschäftsbeziehungen – über
    transnationaler Unternehmen zu menschenrechtlichen                                     ihre Lieferkette, Investitionen, Exporte oder Dienstleis-
    Problemen führt, als typisch erwiesen. Hierzu gehören                                  tungen – im Ausland verbunden. Menschenunwürdige
    insbesondere: Landnahmen und Vertreibungen im Zu-                                      Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben deutscher Un-
    sammenhang mit Rohstoffförder- oder Agroindustrie-                                     ternehmen treten regelmäßig auf (3). Darüber hinaus
    projekten (1). Ebenfalls werden durch derartige Projekte                               erfahren soziale Bewegungen, die gegen die negativen
    häufig Gesundheits- und Umweltschäden verursacht,                                      Auswirkungen unternehmerischen Handelns protestie-
    die der lokalen Bevölkerung ihre Lebensgrundlage                                       ren, regelmäßig gewaltsame Verfolgung durch staatliche
    entziehen (2). Gerade deutsche Unternehmen sind mit                                    und private Sicherheitskräfte (4).

    8       Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
Der Fall Addax:
Verträge zwischen Unternehmen und Dorfvorstehern
zum Nachteil der Bevölkerung?
    Die Schweizer Firma Addax Bioenergy hat um                    und Kündigung der ca. 3.800 Arbeitsverträge ist nun
die 258 Millionen Euro13 in den Anbau von Zucker-                 das wirtschaftliche Leben um das Projekt herum zum
rohr für Agrosprit in Sierra Leone investiert. Über               Erliegen gekommen – mit schlimmen Folgen für die
das Tochterunternehmen AddaxBioenergy Sierra                      Bevölkerung, die sich zwischenzeitlich auf das Pro-
Leone (ABSL) hat Addax seit 2008 im Norden des                    jekt eingestellt und ihre eigene landwirtschaftliche
Landes ursprünglich 50.000 Hektar Land14 von                      Produktion aufgrund der Verpachtung des Landes
der dort ansässigen Bevölkerung gepachtet.15 Die                  stark zurückgefahren hatte.19
Pachtverträge wurden zwischen Vertreter_innen                        Zwar ist immer noch denkbar, dass einzelne Dorf-
des Tochterunternehmens AddaxBioenergy Sierra                     bewohner_innen vor Gerichten einen angemessenen
Leone, den traditionellen Führern der betroffenen                 Pachtzins oder die Rückgabe ihres Landes einfor-
Dorfgemeinschaften und den Gebietsvertretungen                    dern. Zuständig wären hier entweder sierra-leoni-
ausgehandelt, die nach Sierra Leonischem Recht                    sche Gerichte oder bei abweichender vertraglicher
als Landbesitzer gelten. Nach traditionellem Recht                Abmachung ein europäisches Gericht. Dies ist aber
verwalten sie aber eher das Land als Treuhänder.                  nur möglich, wenn die möglichen Kläger_innen
Das hatte zur Folge, dass ca. 14.000 Familien ihr                 formal ihre Eigentumsrechte oder Nutzungsrechte
Land an Addax verpachteten, aber nur ca. 10% da-
von jährliche Pachterträge erhielten. Darüber hinaus              13 Brot für die Welt, The Weakest Should not Bear the Risk. Study.
ist der zu entrichtende Pachtzins im Vergleich zu                    Holding Development Finance Institutions Responsible When
                                                                     Private Sector Projects Fail, Berlin 2016, S. 27, https://www.
den zu erwartenden Gewinnen extrem niedrig. Die                      brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachin-
Pachtverträge sehen eine Laufzeit von fünfzig Jahren                 formationen/Analyse/Analyse_64_en-The_Weakest_Should_not_
                                                                     Bear_the_Risk.pdf; Deutsche Zusammenfassung unter: http://
mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere                    www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/
                                                                     Fachinformationen/Analyse/Zusammenfassung_Analyse64-de_
zwanzig Jahre vor.16 Sie enthielten keine Verpflich-                 The_Weakest_Should_not_Bear_the_Risk.pdf, letzter Zugriff:
tung für das Unternehmen, die gepachteten Flächen                    13.12.2016.
nachhaltig zu bewirtschaften. Zivilgesellschaftliche              14 Ibid, , S. 12 f.
Organisationen – wie das Sierra Leone Network on                  15 Inzwischen wird das das Projekt von Sunbird Bioenergy weiter-
                                                                     geführt, die das Land nunmehr nach eigenen Angaben direkt von
the Right to Food (SilNoRF) – befürchteten daher                     der Regierung pachten: http://www.addaxbioenergy.com/uploads/
von Beginn der Investition an, dass das Land in-                     Press_release-AOG-20160930.pdf, http://www.sunbirdbioenergy.
                                                                     com/projects/sierra-leone-makeni, letzter Zugriff: 13.12.2016.
tensiv und in Monokultur genutzt und schließlich
                                                                  16 Anane, Mike/Abiwu, Cosmos Yao, Independent study report of
ausgelaugt den Eigentümern nach Ablauf der Pacht                     the Addax Bioengery Sugarcane-to-Ethanol Project in the Makeni
unfruchtbar überlassen wird.17 Weiterhin mahnten                     Region in Sierra Leone, Juni 2011, S. 25 ff.
                                                                  17 Anane, Mike/Abiwu, Cosmos Yao, FN 26, S. 38 ff.; Conteh, Moha-
sie an, dass die Qualität der vom Unternehmen als                    med Sorie, Economic Impacts of Large Scale Leases of Farmland
Ersatz bereitgestellten Ackerflächen schlechter sei als              on Smallholder Farmers. A Case Study of Leased Farmlands for the
                                                                     Addax Sugarcane Ethanol Project in Sierra Leone, Bochum 2014;
vom Unternehmen behauptet und eine ausreichende                      Sierra Leone Network on the Right to Food, Annual Monitoring
Wasserversorgung der Ersatzflächen nicht sicher.                     Report on the Operations of Addax Bioenergy by Sierra Leone
                                                                     Network on the Right to Food (SiLNoRF). For the Period July
    Diese Befürchtungen haben sich inzwischen                        2012–July 2013.
zum Teil bestätigt. Im Frühjahr 2016 verkündete                   18 http://www.addaxbioenergy.com/uploads/Press_relea-
der Investor die Schließung seiner Bioethanolfa-                     se-AOG-20160930.pdf, http://www.sunbirdbioenergy.com/pro-
                                                                     jects/sierra-leone-makeni/, letzter Zugriff: 16.10.2016.
brik und das Ende seines Projektes in der Region
                                                                  19 Sierra Leone Network on the Right to Food, Annual Monitoring
Makeni.18 Seit Mitte 2015 lag die ehemals als Zu-                    Report on the Operations of Addax Bioenergy by Sierra Leone
                                                                     Network on the Right to Food (SiLNoRF). For the Period July
ckerrohr-Plantage genutzte Fläche von rund 14.000                    2015–July 2016 https://brotfueralle.ch/content/uploads/2016/03/
Hektar brach. Mit der Stilllegung der Fabrikanlage                   MonRep-Addax-2016.pdf, letzterZugriff: 16.10.2016.

                                              Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen   9
Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
… Der Fall Addax …
                  nachweisen können.20 Angesichts der sozialen Ge-                                   es eine Rechtspflicht hatte sicherzustellen, dass nur
                  füge traditioneller Dorfgemeinschaften wird es auch                                rechtmäßige Pachtverträge abgeschlossen werden.
                  meist nicht möglich sein, dass einzelne Dorfbewoh-                                 Eine solche Verantwortung von Mutterunternehmen
                  ner_innen ihre Ansprüche entgegen dem Willen des                                   für die Rechtsgeschäfte ihrer Tochterunternehmen in
                  traditionellen Führers geltend machen. Im Übrigen                                  transnationalen Konstellationen ist in der Schweiz
                                                                                                                            jedoch weder gesetzlich ge-
                                                                                                                            regelt noch gerichtlich aner-
                                                                                                                            kannt. Jede Klage wäre ange-
                                                                                                                            sichts der Rechtsunsicherheit
                                                                                                                            also mit einem hohen Risiko
                                                                                                                            behaftet, sofern die Verfah-
                                                                                                                            renskosten von den Betrof-
                                                                                                                            fenen überhaupt aufgebracht
                                                                                                                            werden können.
                                                                                                                                Vor diesem Hintergrund
                                                                                                                            sollte auch die Mitverantwor-
                                                                                                                            tung in den Blick genommen
                                                                                                                            werden, welche die interna-
                                                                                                                            tionalen Finanzinstitutionen
                                                                                                                            trifft, die sich an der Förde-
                                                                                                                            rung beteiligt hatten.21 Das
                                                                                                                              Foto: Yvan Maillard, Brot für alle

Ausgelaugte Felder nach intensivem                                                                                          Addax-Projekt ist substantiell
Zuckerrohr-Anbau durch Addax, Sierra Leone                                                                                  aus Mitteln von acht Entwick-
                                                                                                                            lungsbanken, darunter auch
                                                                                                                            der Deutschen Investitions-
                                                                                                                            und Entwicklungsgesellschaft
                  ist es nur schwer praktikabel, Zugang zu einer be-                                 (DEG), gefördert worden. Aber an Transparenz und
                  stimmten Parzelle einzufordern, wenn das restliche                                 Mitbestimmung der lokal Betroffenen hat es immer
                  Land weiterhin an die Plantagenbetreiber_innen                                     wieder gefehlt. Bis auf eine zusammenfassende Stu-
                  verpachtet ist.                                                                    die sind viele Detail-Analysen, die entsprechend der
                      Gegen das Addax-Mutterunternehmen könnte                                       Umwelt- und Sozialstandards vor und während des
                  eine Verletzung des Rechts auf Eigentum oder sons-                                 Projekts gemacht wurden, bis heute nicht öffentlich
                  tiger Rechte als Entschädigungsklage in der Schweiz                                verfügbar. Der Einfluss, den diese Institutionen auf
                  geltend gemacht werden. Hierzu müsste aber zum                                     das Projekt genommen haben, ist auch daher noch
                  einen bewiesen werden, dass die Pachtverträge                                      immer nicht ausreichend geklärt.
                  zwischen dem Tochterunternehmen ABSL und den
                  Dorfvorstehern rechtswidrig oder unwirksam waren                                   20 Das ist im sierra-leonischen Kontext zusätzlich erschwert, da die
                  sowie die Rechte der Landeigentümer verletzen.                                        Landnutzenden gegenüber den Landeigentümern formal recht-
                                                                                                        lich schlechter gestellt sind, nach traditionellem Verständnis aber
                  Weiterhin müsste bewiesen werden, dass das Mut-                                       legitime Landrechte besitzen. Die VGGT bieten dafür eine gute
                  terunternehmen eine rechtliche Verantwortung dafür                                    Grundlage, deren Anwendung in SL seit 2014 von der Regierung
                                                                                                        vorgesehen ist. Die neue Landpolitik Sierra Leones greift dies
                  trägt, zu welchen Bedingungen das Tochterunterneh-                                    ebenfalls auf und es steht die Formulierung entsprechender Gesetze
                  men ABSL Pachtverträge abschließt. Es müsste also                                     an, so dass die unterschiedlichen Rechtsverständnisse und sich
                                                                                                        überlappenden Systeme von formalen und traditionellen Rechten
                  nachgewiesen werden, dass das Mutterhaus auf die                                      gelöst werden sollen.
                  Pachtverträge hätte Einfluss nehmen können und dass                                21 Brot für die Welt, FN 23.

             10       Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
1. Landnahmen und Rohstoffgewinnung                                im Tagebergbau betrieben. Die ursprünglich in dem
Wenn neue Gebiete für den Abbau extraktiver Rohstoffe              Gebiet der Goldminen lebende Bevölkerung besaß keine
wie zum Beispiel Kohle oder Gold erschlossen werden,               formalen Landtitel, sondern nutzte das Land gemein-
geht dies oft mit der unmittelbaren oder schleichenden             schaftlich zur Subsistenzwirtschaft nach traditionel-
Vertreibung der lokalen Bevölkerung einher. Gleiches               lem Recht, welches aus vorkolonialer Zeit stammt und
lässt sich im Bereich der Agroindustrie, insbesondere              meist nicht aufgeschrieben ist.27 Der ghanaische Staat
des großflächigen Anbaus nachwachender Rohstoffe                   eignete sich das Land auf Grundlage der bestehenden
für die Produktion von Biotreibstoffen, beobachten.22              Bergbaugesetze an und vergab als neuer Eigentümer
Neben aufstrebenden Wirtschaftsnationen wie China,                 des Landes Bergbaulizenzen an das transnationale Un-
Südkorea und Japan sowie den vom Nahrungsmittelim-                 ternehmen.28 Nach geltender Rechtslage ist der Staat
port abhängigen Golfstaaten investieren transnationale             zwar verpflichtet, bei Enteignungen im Rahmen von
Großkonzerne der westlichen Industriestaaten oft in                Bergbauprojekten Entschädigung an die ursprünglich
landwirtschaftlich genutzte Flächen.23 Europäische und             auf dem Land lebende Bevölkerung zu zahlen. Diese
nordamerikanische Agrarkonzerne sichern sich Land                  fällt jedoch wie im Fall der Golden Star-Bergwerke
überwiegend zum Anbau von Pflanzen wie Mais, Zu-                   in Bogoso/ Prestea und Wassa oft ungenügend aus.29
ckerrohr und Ölpflanzen zur Energieproduktion.24 Im                Zum einen haben nur diejenigen einen Anspruch auf
Bereich der extraktiven Rohstoffgewinnung wie dem                  Entschädigung, die formal ihre Eigentums- oder traditi-
Kohle- oder Edelmetallabbau operieren unzählige glo-               onellen Nutzungsrechte belegen können, was gerade bei
bal agierende Unternehmen.25 Diese erschließen und                 traditionellen, gemeinschaftlichen Rechten oft schwierig
betreiben über Tochterunternehmen Minen und sonsti-                ist, weil sie gerade nicht formal dokumentiert werden.
ge Fördergebiete. Abgesichert werden solche Projekte               Frauen sind dabei besonders benachteiligt, weil sie in
regelmäßig über Freihandelsabkommen und bilaterale                 Ghana nur beschränkt Landrechte (Eigentum sowie tra-
Investitionsschutzabkommen, die es den Gaststaaten oft             ditionelle Nutzungsrechte) innehaben und damit auch
deutlich erschweren, aus menschenrechtlichen Erwä-                 nur im beschränkten Umfang Entschädigung erhalten
gungen unternehmerische Aktivitäten zu beschränken.26              können.30 Zum anderen sind Entschädigungen in Form
    Die Landnahmen und Vertreibungen der lokalen
Bevölkerung verlaufen sehr unterschiedlich. Teilweise
                                                                   22 Das Aneignen großer Landflächen in Form sogenannter Auslandsdi-
erfolgen sie gewalttätig und ohne jede Absicherung im                 rektinvestitionen oder mittels langfristiger Pachtverträge wird oft als
                                                                      Landgrabbing bezeichnet.
geltenden Recht. Oft sind die Landnahmen, die eine
                                                                   23 FIAN Factsheet 2010/1, Landgrabbing – Moderne Landnahme und
Vertreibung der Bevölkerung nach sich ziehen, aber auch               das Recht auf Nahrung.
formal legalisiert. Hier lassen sich zwei typische Kons-           24 Hobbeling, Henk, Die neuen Großgrundbesitzer, in: Brot für die Welt/
tellationen der Landnahme mit jeweils charakteristischen              EED/FDCL, Land ist Leben – Der Griff von Investoren nach Ackerland,
                                                                      Dossier 5/2011, S. 3-5.
Schwierigkeiten für eine gerichtliche Geltendmachung
                                                                   25 Die meisten Bergbauunternehmen kommen aus dem anglo-amerika-
von Entschädigungs- oder Wiedergutmachungsansprü-                     nischen Raum. Eine Ausnahme ist hier das britisch-schweizerische
chen beschreiben.                                                     Unternehmen Glencore/Xstrata, welches seit der Fusion einer der
                                                                      großen Player des Rohstoffmarktes geworden ist und seinen Hauptsitz
                                                                      in der Schweiz hat. Vgl. Silverstein, Ken, A Giant among Giants, in:
a) Staatliche Enteignung ohne angemessene                             Foreign Policy, Mai/Juni 2012.

   Entschädigung                                                   26 German Watch/Misereor, Globales Wirtschaften und Menschenrechte.
                                                                      Deutschland auf dem Prüfstand, Berlin/Aachen, 2014, S. 63 f.; Bur-
Oft enteignet der Staat die lokale Bevölkerung, um das                kard, Eva-Maria, Zum Spannungsverhältnis von Investitions- und
                                                                      Menschenrechtsschutz, Baden-Baden, 2013.
Land, das aufgrund von Staudämmen überflutet oder
                                                                   27 Sarpong, George A., Improving Tenure Security for the Rural Poor.
auf dem Rohstoffe an- oder abgebaut werden sollen,                    Ghana – Country Case Study, Rom, 2006, S. 2-6.
an ein entsprechendes Unternehmen zu verkaufen oder                28 FIAN, Ghana im Goldrausch. Menschenrechte, Landwirtschaft und
zu verpachten.                                                        Wälder in Gefahr, Köln, 2008, S. 15 ff.; Botchway, F. Nii, Land Ow-
                                                                      nership and Responsibility for the Mining Environment in Ghana, in:
Ein Beispiel hierfür sind zwei Goldminenprojekte in                   Natural Resources Journal, 1998, Vol 38, S. 509-536.
Ghana. Das ghanaische Unternehmen Bogoso Gold Ltd.,                29 Koomson, Frederick/Akonor, Edgar, Report. Life is more Precious than
Tochterunternehmen der kanadischen Bergbaufirma                       Gold. Effects of Goldmining on Livelyhoods: The Gender Component;
                                                                      FIAN, Ghana im Goldrausch. Menschenrechte, Landwirtschaft und
Golden Star Ressources, betreibt zwei Bergwerke in                    Wälder in Gefahr, Köln, 2008.
Bogoso / Prestea und Wassa. Beide Projekte werden                  30 Sarpong, George A., FN 18.

                                               Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen   11
von Geldzahlungen für die vorwiegend von Subsistenz-                                   Druck, den Pachtabkommen zuzustimmen. Im Übrigen
wirtschaft lebende Bevölkerung oft wenig hilfreich.                                    verschärfen die traditionellen Dorfstrukturen, die es den
Wenn der Bevölkerung nicht gleichzeitig ausreichendes                                  traditionellen Führern ermöglichen, über die Landtitel
Ersatzland angeboten und sinnvolle Angebote gemacht                                    der Dorfbewohner_innen zu verfügen, die Situation.
werden, wie das Geld zu verwenden ist, kann es mangels                                 Immer wieder wird berichtet, dass Chiefs nicht im Inte-
Erfahrung im Umgang mit Geld nicht nachhaltig genutzt                                  resse der ganzen Dorfgemeinschaft handeln oder durch
werden. Im Endeffekt steht der lokalen Bevölkerung                                     die Unternehmen oder Behörden bestochen werden.
weniger Fläche für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung,
was zur Konsequenz hat, dass Menschen ihren Lebens-                                    2. Umwelt- und Gesundheitsschäden durch
standard nicht halten können und verarmen. In vielen                                      Rohstoff- und Agroindustrien
Fällen sind sie dadurch gezwungen, ihren traditionellen                                Neben der beschriebenen Landnahme ziehen auch große
Lebensraum zu verlassen.                                                               agroindustrielle ebenso wie Erdöl- oder Bergbauprojekte
   In solchen Konstellationen können Ansprüche nur                                     oft schwere Umwelt- und Gesundheitsschädigungen
gegen den Staat geltend gemacht werden, der die Ent-                                   nach sich.32 Wenn der lokalen Bevölkerung die landwirt-
eignung durchgeführt hat. Der Erfolg solcher Klagen                                    schaftlichen Flächen entzogen und sie gegebenenfalls
gegen den Staat auf Entschädigungen oder Bereitstellung                                umgesiedelt wurde, die Plantagen angelegt oder mit
alternativer landwirtschaftlicher Flächen hängt davon                                  dem Abbau der energetischen und mineralischen Roh-
ab, dass Gerichte willens sind, gegen den jeweiligen                                   stoffe begonnen wurde, führen die starke Bewässerung
Staat zu urteilen. Weiterhin müssen Eigentums- oder                                    landwirtschaftlicher Flächen ebenso wie wasserintensiv
traditionelle Rechte gerichtsfest bewiesen werden. Das                                 betriebene Rohstoffförderungen häufig zu einer Aus-
Unternehmen, welches von der Landnahme profitiert,                                     trocknung umliegender Regionen. Hinzu kommt die
kann in diesen Fällen meist nicht belangt werden. Denn                                 Verschmutzung des Grundwassers und der Böden. In
die Nutzung des Landes durch das Unternehmen ist                                       der Agroindustrie belasten Pestizide und unsachgemäß
durch die Lizenzverträge mit der jeweiligen Regierung                                  entsorgter landwirtschaftlicher Abfall die Wasserqua-
formal legalisiert, während die ursprünglichen Landnut-                                lität. Bei der Rohölförderung kommt es immer wieder
zer ihre traditionellen Nutzungsrechte kaum durchsetzen                                zu Umweltverschmutzungen durch Öllecks. Zudem hat
können.31                                                                              das Abfackeln des Begleitgases schwerwiegende Aus-
                                                                                       wirkungen auf das Mikroklima und die Gesundheit der
b) Landnahme durch Verträge zwischen                                                   Menschen. Im Bergbau führen veraltete oder nachlässige
   Unternehmen und Bevölkerung                                                         Fördermethoden zu schwerwiegenden Verschmutzun-
In einer anderen Konstellation handelt das Unterneh-                                   gen des Trinkwassers sowie der Böden der Region mit
men direkt mit den traditionellen Führern der jeweili-                                 Schwermetallen und Giften wie Arsen, Cadmium oder
gen Dorfgemeinschaften Pacht- oder Kaufverträge aus.                                   Quecksilber.
Oft sind diese Pachtverträge für die Landeigentümer                                        In den bereits beschriebenen ghanaischen Goldmi-
sehr ungünstig, was auf das ungleiche Kräfteverhältnis                                 nen-Projekten berichten Organisationen wie WACAM
zwischen Unternehmensvertretern und traditionellen                                     (Wassa Association of Communities Affected by Mi-
Führern, auch Chiefs genannt, zurückzuführen ist. Viele                                ning), dass die Bewohner_innen der Region vermehrt an
lokale Chiefs kennen die nationalen Gesetze nicht. Hinzu                               Magen-Darm- und Atemwegserkrankungen leiden, die
kommt, dass sie unzureichend über das Vorhaben und                                     auf die durch den Bergbau verursachte Trinkwasser- und
die Folgen der Verpachtung informiert sind. Die Verträge                               Luftverschmutzung zurückgeführt werden.33 Erhöhte
und Informationsmaterialien sind selten in der lokalen                                 Schwermetallbelastungen im Trinkwasser und in den Bö-
Sprache verfasst, weshalb viele Dorfvorsteher diese nur
ungenügend oder gar nicht verstehen. Sie gehen derartige                               31 Zu den Problemen und den wenigen Möglichkeiten, in Ghana Entschä-
Verträge dennoch ein, weil sie sich Arbeitsplätze auf den                                 digung einzuklagen: Sarpong, George A., FN 18.

entstehenden Plantagen oder in den Minen erhoffen und                                  32 Zu Auswirkungen des Bergbaus in Peru: Misereor, Menschenrechtliche
                                                                                          Probleme im peruanischen Rohstoffsektor und die deutsche Mitver-
mit Steuereinnahmen sowie der Entwicklung von Infra-                                      antwortung, Aachen 2013.
struktur in der Region durch das Unternehmen rechnen.                                  33 Koomson, Frederick/Akonor, Edgar, FN 20.
Zudem setzt die Regierung sie in vielen Fällen unter                                   34 Misereor, FN 32, S. 22 f.

12      Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
den rufen nicht nur Gesundheitsschäden hervor, sondern
beeinträchtigen auch Landwirtschaft und Viehzucht. Seit
Inbetriebnahme der Minen sind ein Rückgang der Ernten
sowie der Anstieg von Missbildungen und Todesfälle bei
Nutztieren zu verzeichnen gewesen. Diese Einbußen in
der landwirtschaftlichen Produktion zwangen viele der
Bewohner_innen, ihre ursprünglichen Siedlungsgebie-
te zu verlassen; die für die Umsiedlung bereitgestell-
ten neuen Siedlungen sind häufig nicht ausreichend.34
Wenn derartige Schäden vor Gericht gegen die jewei-
ligen Unternehmen geltend gemacht werden sollen,
stellen sich insbesondere zwei Probleme: Erstens muss
die Kausalität zwischen der Tätigkeit des Unternehmens
und den geltend gemachten Schäden bewiesen werden.              Foto: Friess / MISEREOR

Kläger_innen müssen immer ihren individuellen Scha-
den nachweisen und diesen konkret auf das Verhalten                                                                     Minenkonzern Doe Run Perú, La Oroya, Peru
des Unternehmens zurückführen, wenn sie Schadenser-
satz geltend machen wollen. Zweitens sind bestimmte

   Die Fälle Bayer und Syngenta:
   Pestizidvergiftungen und der schwierige Nachweis
   der Kausalität
      Die angesprochenen Beweisprobleme ergeben                                           noch kaum anerkannt.37 Denn es ist äußerst schwie-
   sich auch bei den gesundheitlichen Schäden, die                                        rig, für zivilrechtliche Entschädigungsansprüche
   auf Plantagen eingesetzte Pestizide verursachen                                        nachzuweisen, dass die das Pestizid produzierenden
   und besonders schwerwiegende Auswirkungen                                              Konzerne für die jeweiligen Schäden rechtlich ver-
   für Frauen haben.35 Europäische Unternehmen wie                                        antwortlich sind. In Frage steht insbesondere der
   Syngenta oder Bayer AG produzieren hochgiftige                                         kausale Zusammenhang zwischen der Produktion
   Pestizide, die in Europa und Nordamerika bereits                                       des Pestizids und den Gesundheitsschäden der ein-
   wegen ihrer erheblichen gesundheitlichen Risiken                                       zelnen Arbeiter_in, die erst Monate oder Jahre nach
   verboten wurden, und verkaufen diese in Ländern                                        der Anwendung auftreten.
   wie Malaysia, den Philippinen oder Indien.36 Die                                          Zudem stellt sich die Frage, warum gerade die
   Vertriebsstrukturen in diesen Ländern sind meist                                       Hersteller eines hochgiftigen Pestizids für die Schä-
   komplex: Die Produktionsstätte verkauft das Pestizid                                   den haften sollen, wenn eine Vielzahl anderer Ak-
   an Großhändler, die es möglicherweise wiederum an                                      teure ebenfalls eine Rolle bei der gesundheitsschäd-
   weitere Händler verkaufen, von denen die Planta-                                       lichen Anwendung des Pestizids spielen.38 So kann
   genbesitzer das Pestizid abkaufen. Auf der Plantage                                    es vorkommen, dass Zwischenhändler Pestizide
   selbst bestimmen und überwachen Vorarbeiter die                                        aus den mit Warnhinweisen versehenen Original-
   Lagerung und Anwendung des Pestizids.                                                  verpackungen in unauffällige Behälter umfüllen, so
      Obwohl typische Gesundheitsschäden, die die                                         dass sie nicht mehr als gefährlich erkennbar sind.
   jeweiligen Pestizide hervorrufen, wissenschaftlich                                     Die Plantagenbesitzer und direkten Arbeitgeber der
   belegt sind, wurde eine juristische Haftung der pro-                                   Landarbeiter_innen klären häufig nicht angemessen
   duzierenden Unternehmen für diese Schäden bisher                                       über die Gesundheitsrisiken auf und stellen keine

                                               Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen        13
… Die Fälle Bayer und Syngenta …
                  angemessene und funktionstüchtige Schutzkleidung                                   ins Ausland exportiert werden. Die zuständigen deut-
                  bereit. Den Herstellern wird aber auch vorgeworfen,                                schen Behörden kontrollieren dies aber bislang nur
                  dass die vorgesehene Schutzkleidung für die Arbeit                                 unzulänglich.44 Auch die Schulungen, die die Kon-
                  in tropischem Klima ungeeignet ist.39 Oft ist Be-                                  zerne jährlich durchführen, können nicht verhindern,
                  troffenen lange Zeit nicht bewusst, dass bestimmte                                 dass sich viele tausende Arbeiter_innen schwere
                  Gesundheitsprobleme mit ihrer Arbeit als Pestizid-                                 Vergiftungen zuziehen. Diese Problematik wird auch
                  sprayer_in verknüpft sind. Außerdem werden die                                     in internationalen Soft Law-Verfahren verhandelt:
                                                    Pestizide verschie-                              Im Herbst 2015 reichte eine internationale Koalition
                                                    dener Hersteller oft                             (ECCHR, Brot für die Welt (Deutschland), Erklärung
                                                    vor ihrem Einsatz                                von Bern (Schweiz), Pesticide Action Network Asia
                                                    gemischt, so dass                                Pacific (Malaysia) und Kheti Virasat Mission (Indi-
                                                    umstritten sein                                  en)) eine Beschwerde beim Experten-Gremium für
                                                    kann, welches Pes-                               den Umgang mit Pestiziden (Panel of Experts on Pe-
                                                    tizid von welchem                                sticides Management) der Welternährungsorganisa-
                                                    Hersteller die gel-                              tion (FAO) ein. Die Beschwerde beleuchtet die man-
                                                    tend gemachten                                   gelhafte Kennzeichnung (Labeling) von Pestiziden,
                                                           Foto: ECCHR

                                                    Schäden hervor-                                  die flächendeckend fehlende Schutzkleidung sowie
Einsatz von Pestiziden in Punjab, Indien            gerufen hat.                                     die unzureichende Schulung von Vertriebspersonen.45
                                                        Mittels derzeit                              Trotz schriftlich festgelegter Verfahrensordnung ver-
                  gültigen Beweisregeln ist es daher schwer nachzu-                                  läuft dieses Soft Law-Verfahren sehr schleppend
                  weisen, dass ein durch Pestizidvergiftung hervorgeru-                              und unübersichtlich und kann in keinem Fall als ein
                  fener Gesundheitsschaden in dieser Konstellation auf                               effektives Rechtsmittel verstanden werden.
                  Plantagen auch einem bestimmten Pestizidhersteller
                  zugerechnet werden kann. Lokale Anwält_innen grei-
                                                                                                     35 The Permanent People‘s Tribunal. Session on Agrochemical Trans-
                  fen dennoch die Praktiken der großen Konzerne an:                                     national Corporations, 2011, S. 60 ff.
                  Seit 2015 bemühen sich indische Anwält_innen und                                   36 Neumeister, Lars/Isenring, Richard, Paraquat. Unacceptable He-
                  Aktivist_innen mit Unterstützung der Herausgeber                                      alth Risks for Users, https://www.publiceye.ch/fileadmin/files/
                                                                                                        documents/Syngenta/Paraquat/Paraquat_UnacceptableHealth-
                  dieser Publikation darum, die Behörden in Indien wie                                  Risk_3rdEdition_2011_mb_print.pdf, letzter Zugriff: 13.12.2016.
                  auch Bayer dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass                                 37 Grabosch, Robert, The Distribution of Paraquat: Does Syngenta
                  sie die Verbraucher_innen nicht ausreichend über die                                  Respect Human Rights? Legal Opinion, Bern, 2011.

                  Gefahren der zu befürchtenden Gesundheitsschäden                                   38 Neumeister, Lars/Isenring, Richard, FN 30, S. 7-13.

                  informieren.40 Denn oft sind die Warnhinweise auf                                  39 Neumeister, Lars/Isenring, Richard, FN 30, S. 14 f.

                  den Pestizidverpackungen für Bauern und Arbei-                                     40 ECCHR, Doppelstandards internationaler Chemie- und Agrarkon-
                                                                                                        zerne, https://www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/
                  ter_innen nicht verständlich oder sie erfassen die                                    agrarindustrie.html, letzter Zugriff: 17.10.2016.
                  Risiken nur unvollständig.41 Beispielsweise weist der                              41 ECCHR, Bayer: Doppelstandards beim Vertrieb von Pestiziden,
                                                                                                        https://www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarin-
                  Chemiekonzern Bayer in Indien nicht auf die potenti-                                  dustrie/fao-who.html, letzter Zugriff: 17.10.2016.
                  elle Gefährdung des Pestizids Nativo für Ungeborene                                42 Ibid.
                  hin.42 Die indische Tochter von Bayer vertreibt das in                             43 ECCHR, Anzeige gegen Bayer: Auf Pestizid-Etiketten für Indien
                  Deutschland hergestellte Pestizid in Indien ohne eine                                 fehlen wichtige Warnungen für Schwangere, https://www.ecchr.
                                                                                                        eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarindustrie/bayer.html,
                  entsprechende Kennzeichnung.43 Das Unternehmen                                        letzter Zugriff: 17.10.2016.
                  ist aber nach dem deutschen Pflanzenschutzgesetz                                   44 Ibid.
                  verpflichtet, Warnhinweise, die für den Schutz der                                 45 ECCHR, Bayer und Syngenta: FAO und WHO prüfen, ob Pes-
                                                                                                        tizid-Vertrieb in Indien gegen internationale Standards verstößt,
                  menschlichen Gesundheit notwendig sind, auf den                                       https://www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarin-
                  Produktbehältnissen anzubringen, auch wenn diese                                      dustrie/fao-who.html, letzter Zugriff: 17.10.2016.

            14        Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
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