Unternehmen zur Verantwortung ziehen - Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen - Brot für die Welt
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Inhalt I. Transnationale Menschenrechtsklagen – Eine Chance auf Gerechtigkeit? . . . . . . . . 4 II. Stand der internationalen und deutschen Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Klagen in den Heimatstaaten transnationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Klagen in den Gaststaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4. Kein effektiver Rechtsschutz für die Betroffenen von Unternehmensunrecht . . . . . . . . . . . . . . . 8 III. Typische Fallkonstellationen – Überwiegende Rechtlosigkeit der Betroffenen . . . . . . 8 1. Landnahmen und Rohstoffgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Staatliche Enteignung ohne angemessene Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Landnahme durch Verträge zwischen Unternehmen und Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Umwelt- und Gesundheitsschäden durch Rohstoff- und Agroindustrien . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Verantwortungslosigkeit entlang der globalen Zulieferketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4. Kriminalisierung und Verfolgung sozialer Proteste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 IV. Hindernisse bei der Geltendmachung vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Praktische und politische Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Schwache staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) Prekäre Sicherheitslage für Betroffene und zivilgesellschaftliche Organisationen . . . . . . . . . . . 19 c) Kapazitäten Betroffener und zivilgesellschaftlicher Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Rechtliche Hindernisse in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Fehlende Haftungsregelungen, insbesondere keine klaren Sorgfaltspflichten im Bezug auf Tochterunternehmen und Zulieferbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 b) Nicht hinreichend geschützte Rechtsgüter im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 c) Keine Klagemöglichkeit für große Betroffenengruppen und hohes Kostenrisiko . . . . . . . . . . . 22 d) Kein Unternehmensstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 V. Gesetzesreformen – Empfehlungen für die Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Gesetzliche Regelung von Umfang und Inhalt unternehmerischer Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Vereinbarkeit mit der Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Einführung von Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4. Einführung von Gruppenklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5. Unternehmensstrafrecht und spezialisierte Staatsanwaltschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2 Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Projekt und Anlass der zweiten Auflage Auf Anregung von Partnern und anderen Men- hat sich die deutsche Bundesregierung in den Jahren schenrechtorganisationen aus dem globalen Süden 2015 und 2016 im Rahmen der Entwicklung des Nati- unterstützen MISEREOR, Brot für die Welt und EC- onalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrech- CHR seit 2009 in einem gemeinsamen Projekt lokale te“ (NAP) intensiv mit dem Thema Unternehmens- Akteure in ihren Bemühungen, gegen transnationale verantwortung und Zugang zu Recht für Betroffene Unternehmen vorzugehen, die an Menschenrechts- von Menschenrechtsverletzungen beschäftigt. In verletzungen beteiligt sind oder von ihnen profi- umfangreichen Beratungsrunden hörte das Auswärti- tieren. Mit finanzieller Unterstützung durch MISEREOR und Brot für die Welt organisierte das ECCHR vier Workshops auf drei Kontinenten „Christo Petrolero“, Statue zu Ehren der Erdöltradition (Kolumbien 2010, Kamerun 2011, in Barrancabermeja, Kolumbien Indien und Philippinen 2013). Diese mehrtägigen Treffen sollten sowohl die Bildung internationaler Allianzen und den Austausch über Klagestra- tegien fördern, als auch den Partner- organisationen von MISEREOR und Brot für die Welt grundlegende Kenntnisse über die Möglichkeiten transnationaler Prozessführung gegen europäische Unternehmen vermitteln. Auf den Workshops wurden sowohl Foto: Müller-Hoff / ECCHR durch das ECCHR vorbereitete Ana- lysen exemplarischer juristischer Fäl- le als auch allgemeine Themen wie Fall-Recherche, Beweisführung in ju- ristischen Verfahren und Sicherheitsfragen diskutiert. ge Amt (AA) als federführendes Bundesministerium Insgesamt haben an den Workshops etwa 150 Perso- zahlreiche Expert_innen zu diesen Themen an. Trotz nen teilgenommen, darunter Vertreter_innen von 82 der bemerkenswerten Bündelung von Fachwissen NGOs, 39 lokale und 14 internationale Anwält_in- im Rahmen dieses Konsultationsprozesses finden nen, vornehmlich aus Europa, Großbritannien und sich nur wenige der vorgebrachten Empfehlungen in den USA, sowie 11 Vertreter_innen aus betroffenen dem im Dezember 2016 verabschiedeten Nationalen Gemeinden und von Gewerkschaften. Im Rahmen Aktionsplan der Bundesregierung. Umso wichtiger dieses Projektes analysierte das ECCHR rund 50 erschien es uns daher, mit einer Neuauflage dieser umfangreiche Einzelfälle von Menschenrechtsverlet- Broschüre darauf hinzuweisen, wie schwerwiegend zungen durch Unternehmen aus der ganzen Welt. Die die menschenrechtlichen Risiken sind, die von un- so gewonnenen Erkenntnisse sind in diese Publikati- verantwortlichem Wirtschaftshandeln ausgehen, und on eingeflossen und wurden in den darauf folgenden wie hoch die Hürden für die Betroffenen sind, wenn thematischen Workshops zu Menschenrechtsverlet- sie ein (mit-)verantwortliches Unternehmen juris- zungen durch Pestizid produzierende Unternehmen tisch zur Rechenschaft ziehen wollen. Die Lösungs- und Bergbaukonzerne angewendet. Seit der ersten ansätze der Bundesregierung werden der Realität, Auflage dieser Broschüre haben sich zum einen die die diese Broschüre nachzeichnet, nicht einmal im laufenden Verfahren weiterentwickelt. Zum anderen Ansatz gerecht. Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen 3
I Transnationale Menschenrechtsklagen – Eine Chance auf Gerechtigkeit? Im April 2013 starben mehrere tausend Arbeiter_in- grundlegende Arbeitsrechte verletzt. Allzu oft haben die nen bei dem Zusammensturz des Fabrikkomplexes Rana Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen keinen Plaza in Bangladesch. Die zahlreichen europäischen direkten und effektiven Zugang zum Recht. Auch die Bekleidungsunternehmen, die Textilien in diesem Ge- Arbeit des ECCHR und vergleichbarer juristischer Men- bäude fabrizieren ließen, darunter auch einige deutsche, schenrechtsorganisationen in juristischen Einzelfällen verweigern bis heute jede Anerkennung ihrer rechtlichen in den letzten fünf Jahren zeigt, dass sich deutsche und Verantwortung – unter anderem mit dem Verweis auf europäische Unternehmen aufgrund von Beweisschwie- die lockere Zulieferungsbeziehungen zu den bangla- rigkeiten und rechtlicher Lücken einer angemessenen deschischen Unternehmen. Dies soll eine direkte Ver- rechtlichen Verantwortung oft entziehen können. antwortlichkeit und damit Schadensersatzzahlungen Im Folgenden beschreiben wir exemplarische Fälle, in ausschließen. Auch die Betroffenen der südafrikanischen denen deutsche und europäische Unternehmen an Men- Apartheid-Verbrechen warten bislang vergeblich auf eine schenrechtsverletzungen im globalen Süden beteiligt sind Entschädigung durch die transnationalen Unternehmen, oder mit solchen in Verbindung stehen. Anhand dieser die vom Apartheid-Regime wirtschaftlich profitierten. Fälle stellen wir dar, welchen Schwierigkeiten Betrof- Unternehmen wie Mercedes-Benz ziehen sich darauf fene begegnen, wenn sie diese Unternehmen an ihrem zurück, man habe lediglich Geschäfte gemacht, ohne Hauptsitz in Deutschland oder Europa zur Verantwor- einen Beitrag zu schwersten Menschenrechtsverletzun- tung ziehen wollen. Die Problembeschreibungen beruhen gen zu leisten.1 sowohl auf der Fallarbeit des ECCHR als auch auf den Diese drastischen Beispiele entsprechen den Erfahrun- Erfahrungen der vier Workshops, in denen rund 50 Einzel- gen von MISEREOR und Brot für die Welt sowie ihren fälle vom ECCHR analysiert wurden. Von dieser Analyse Partnerorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika. ausgehend formulieren wir Vorschläge, wie Gesetze in Großflächige Agrarinvestitionen und massiver Rohstoffa- Deutschland geändert werden müssten, damit Betroffene bbau in den Ländern des Südens führen zu rechtswidrigen von Menschenrechtsverletzungen gegen Unternehmen in Landvertreibungen, Umweltverschmutzung sowie bei Deutschland klagen könnten. Fallbeispiele nicht-deut- friedlichem Protest der lokalen Bevölkerung zu Verhaf- scher Unternehmen werden im Folgenden thematisiert, tungen und Übergriffen. Der Verkauf der öffentlichen Da- sofern sie für die Diskussion um Gesetzesreformen in seinsvorsorge an transnationale Unternehmen gefährdet Deutschland relevant sind. Sie sollen verdeutlichen, dass die Basisversorgung der Bevölkerung mit Strom, Wasser auch deutsche Unternehmen in ähnlichen Konstellationen oder Gesundheitsleistungen. In den Zulieferbetrieben Menschenrechtsverletzungen begehen und eine Klage in deutscher und europäischer Unternehmen werden häufig Deutschland aus ähnlichen Gründen scheitern würde. 1 Motion for Certificate of Appealability filed by Daimler AG et. al. In Apartheid Litigation Case, MDL No. 1499 (SAS) ECF Case, http:// www.usa-recht.de/wp-content/uploads/2010/05/Motion-of-Daimler- et-al1.pdf, letzter Zugriff: 02.06.2016; medico international, Daimler, Deutsche Bank und Co.: Das Geschäft mit der Apartheid, https://www. medico.de/daimler-deutsche-bank-und-co-das-geschaeft-mit-der-apart- heid-14723/, letzter Zugriff: 02.06.2016. 4 Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Stand der internationalen II und deutschen Debatte Menschenrechtsverletzungen durch Wirtschaftsun- ternehmen sind seit der Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation – ILO) 1919 immer wieder Gegenstand internationaler Debatten und Regulierungsversuche. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, völkerrechtlich verbindliche Regeln zu schaffen, die den Umfang menschenrechtlicher Ver- pflichtungen von Unternehmen festlegen. Den derzei- tigen internationalen Konsens beschreiben die 2011 vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedeten UN-Leit- prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.2 Die UN-Leitprinzipien verorten die primäre völkerrechtliche Verpflichtung zum Schutz vor Menschenrechtsverletzun- gen durch Unternehmen bei den Staaten, während Un- ternehmen eine Verantwortung haben, Menschenrechte zu respektieren. Auch wenn die UN-Leitprinzipien das Recht von Betroffenen anerkennen, Menschenrechts- verletzungen vor Gerichte zu bringen, stellt dieser Soft- Foto: Lohmann / MISEREOR Law-Standards keine verbindlichen Rechtsansprüche für Steinbrucharbeiter in Chennai, Indien 2 UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNHRC, resolution 17/4 adopted on July 6, 2011, (UN Doc A/HRC/17/4). Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte Der UN-Menschenrechtsrat hat 2011 die UN-Leit- einstimmigen Verabschiedung durch den Menschen- prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die rechtsrat verbindlicher als etwa selbstverpflichtende aus drei sogenannten Säulen bestehen, verabschiedet. Verhaltenskodizes von Unternehmen. Unter anderem Die erste Säule umfasst die völkerrechtlich verbind- stehen demnach die Unternehmen in der Verantwor- liche Pflicht von Staaten, Menschen vor Menschen- tung, regelmäßig menschenrechtliche Risikoanalysen rechtsverletzungen, die Unternehmen begehen, zu und Folgenabschätzungen durchzuführen, möglichen schützen. Die zweite Säule beinhaltet die Verantwor- Risiken sowie negativen Auswirkungen der Unter- tung von Unternehmen, Menschenrechte zu respek- nehmenstätigkeit entgegenzuwirken und darüber tieren. Diese ist zwar nicht völkerrechtsverbindlich, transparent und nachvollziehbar Bericht zu erstatten. sie beschreibt aber den Konsens der internationalen Diese beiden Säulen werden ergänzt durch die dritte Staatengemeinschaft in Bezug auf Maßstäbe für die Säule, in der die Verpflichtung der Staaten festgehal- Unternehmensverantwortung zur Achtung der Men- ten wird, effektive Rechtsmittel für die Betroffenen schenrechte. Die UN-Leitprinzipien sind wegen ihrer von Menschenrechtsverletzungen zu garantieren. Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen 5
Betroffene von Unternehmensunrecht zur Verfügung. gute Ansatzpunkte, gesetzliche Sorgfaltspflichten in der 2014 begann die Bundesregierung mit der Erstellung nächsten Legislaturperiode erneut auf die Tagesordnung eines Nationalen Aktionsplans (NAP) für „Wirtschaft zu setzen. Der Handlungsdruck auf deutsche Unter- und Menschenrechte“ zur nationalen Umsetzung der nehmen ist angesichts des Risikos einer gesetzlichen UN-Leitprinzipien. Das federführende Auswärtige Amt Regelung mit dem NAP gestiegen. veranstaltete zur Vorbereitung des NAP während des Auf internationaler Ebene konnten eine Reihe von Staa- Jahres 2015 Expert_innenanhörungen, die einen umfas- ten wie Ecuador und Südafrika, unterstützt von einem senden Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, eine Untergrup- Gruppen ermöglichen sollten. Nach zähen regierungs- pe beim UN-Menschenrechtsrat einrichten. Diese Unter- internen Verhandlungen wurde der Aktionsplan im De- gruppe beschäftigt sich mit der Ausgestaltung eines völ- zember 2016 schließlich ohne vorherige Veröffentli- kerrechtlichen Vertrags, der die in den UN-Leitprinzipien chung eines Entwurfs verabschiedet. Die Forderungen beschriebenen menschenrechtlichen Verpflichtungen nach verbesserten gesetzlichen Regelungen, die in der von Staaten im globalen Wirtschaftsgeschehen sowie ersten Auflage der vorliegenden Broschüre formuliert die Sorgfaltspflichten von Unternehmen verbindlich waren, und durch rechtswissenschaftliche Gutachten im Völkerrecht verankert und weiterentwickelt. Die umfangreich weiterentwickelt worden sind, wurden im Arbeitsgruppe wurde zunächst von sämtlichen EU-Mit- Aktionsplan jedoch ebenso wenig berücksichtigt wie die gliedsstaaten boykottiert. Diese Blockadehaltung lässt Forderungen nach besserem Zugang zu Gerichten für inzwischen nach und auch europäische Staaten nehmen Betroffene. Anstatt klare menschenrechtliche Sorgfalts- mittlerweile als Beobachter an den Sitzungen teil. pflichten für Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland festzuschreiben und effektive Klagemöglichkeiten für 1. Menschenrechtsklagen Betroffene zu schaffen, äußert die Bundesregierung gegen Unternehmen lediglich die „Erwartung“, dass deutsche Unternehmen Im Zuge der Umsetzung des Nationalen Aktions- ihre Sorgfaltspflichten wahrnehmen. Immerhin sind ab plans wird es unerlässlich sein, den öffentlichen und 2018 jährliche Überprüfungen der Umsetzung geplant. politischen Druck zur Einführung einer gesetzlichen Ebenso ist zu begrüßen, dass bis 2020 mindestens 50 Sorgfaltspflicht aufrechtzuerhalten, damit Opfer von Prozent aller deutschen Unternehmen ab 500 Mitarbei- Menschenrechtsverstößen deutscher Unternehmen im ter_innen entsprechende Prozesse zur menschenrecht- Ausland künftig eine solide rechtliche Grundlage für lichen Sorgfalt in ihre Managementsysteme integriert Zivilklagen und Strafverfahren in Deutschland erhal- haben sollen. Sollte die Bundesregierung auf Grundla- ten. Dennoch können die Opfer nicht auf den Fortgang ge einer geplanten stichprobenartigen Überprüfung zu internationaler Debatten oder nationaler Gesetzesrefor- dem Ergebnis kommen, dass die Unternehmen diese men warten. Angesichts der Schwäche des deutschen Erwartung nicht erfüllt haben, will sie weitergehende – wie auch vieler anderer europäischer Aktionspläne Maßnahmen, einschließlich einer gesetzlichen Regelung – ist es um so wichtiger, dass Betroffene schon jetzt erwägen. Brot für die Welt, ECCHR und Misereor hatten mit Hilfe lokaler wie internationaler Organisationen sich gemeinsam mit anderen NRO und dem DGB dafür und Anwält_innen Unternehmen vor Gericht bringen; stark gemacht, dass der NAP bereits jetzt eine Gesetze- sowohl in dem Land, in dem die Menschenrechtsver- sinitiative zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht auf letzungen begangen wurden (Gaststaat), als auch in den Weg bringt. Hatten doch die menschengemachten dem Land, in dem das verantwortliche Unternehmen Katastrophen wie der Einsturz des Rana Plaza-Fabrik- seinen Hauptsitz hat (Heimatstaat). So hat es in den komplexes und viele der in dieser Publikation aufge- letzten Jahrzehnten eine Reihe emblematischer Fälle führten Einzelfälle gezeigt, dass mit Corporate Social wie die Klage nigerianischer Bauern gegen Royal Dutch Responsibility (der freiwilligen, unverbindlichen Über- Shell plc (Shell) wegen der Verseuchung ihrer Felder nahme von Verantwortung durch Unternehmen) allein durch Öl vor niederländischen Gerichten gegeben, die die wirklichen menschenrechtlichen Probleme der globa- Klage ecuadorianischer Staatsbürger gegen die Chevron lisierten Wirtschaft nicht in den Griff zu bekommen sind. Corporation (Chevron) wegen Ölverschmutzungen vor Dennoch bieten die im NAP formulierten quantitativen ecuadorianischen Gerichten, die Strafanzeige kolumbi- Zielmarken sowie der angekündigte Monitoringprozess anischer Gewerkschafter gegen die Nestlé S.A. (Nestlé- 6 Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Konzern) in der Schweiz wegen der Ermordung des ter von Unternehmen wegen der Beteiligung an Men- Gewerkschaftsführers Luciano Romero und die Klage schenrechtsverletzungen. So wurde der niederländische pakistanischer Arbeiter_innen vor dem Landgericht Geschäftsmann Frans van Anraat 2007 wegen der Lie- Dortmund gegen den Textildiscounter KiK wegen eines ferung von Giftgas an Saddam Hussein in den 1980er Fabrikbrandes in Pakistan.3 Diese Klagen sind Ausdruck Jahren wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen in letzter eines wachsenden Bewusstseins der Betroffenen von Instanz verurteilt.6 In Deutschland lief bis zum Früh- Menschenrechtsverletzungen, dass sie ihre Rechte vor jahr 2016 ein Ermittlungsverfahren gegen drei Manager verschiedenen nationalen Gerichten und gerade auch des Unternehmens Lahmeyer International wegen ihrer am Hauptsitz des (mit-)verantwortlichen Unternehmens mutmaßlichen Beteiligung an der Vertreibung von min- einfordern können. destens 4.700 Familien durch ein Staudammprojekt im Sudan.7 In Frankreich ermittelt die Staatsanwaltschaft 2. Klagen in den Heimatstaaten gegen Mitarbeiter von Technologie-Unternehmen, die transnationaler Unternehmen Überwachungstechnologie an repressive Staaten wie Ihren Anfang nahm diese Entwicklung Mitte der 1990er Lybien verkauft haben.8 Die Schweizer Justiz beschäf- Jahre mit den Klagen nach dem US-amerikanischen Ge- tigte sich für mehr als zwei Jahre mit einer Strafanzeige setz Alien Tort Claims Act. Der Alien Tort Claims Act ist gegen hochrangige Nestlé-Manager wegen Missach- ein Gesetz aus dem Jahr 1798, das einen zivilrechtlichen tung ihrer Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit Entschädigungsanspruch für Völkerrechtsverletzungen der Ermordung des Gewerkschafters Luciano Romero statuiert. Es wurde von progressiven Menschenrechts- in Kolumbien im Jahr 2005.9 anwält_innen für Klagen gegen Unternehmen wie Shell für dessen Mitverantwortung für die Hinrichtung des 3. Klagen in den Gaststaaten nigerianischen Umweltaktivisten Ken Saro Wiwa oder Viele Klagen und Strafverfahren werden auch in den Mercedes-Benz und die Rheinmetall AG wegen de- Ländern geführt, in denen die Menschenrechtsverlet- ren Beteiligung an Verbrechen des Apartheid-Regimes zungen begangen wurden. Nur einige Beispiel seien in Südafrika benutzt.4 Dieser Trend setzte sich fort. In hier genannt: Ein Gericht in Ecuador verurteilte Che- Großbritannien klagten zum Teil große Klägergruppen vron zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 18 gegen die Mutterhäuser transnationaler Unternehmen Milliarden US-Dollar wegen der durch die Ölförderung wegen Gesundheitsschäden in Folge von Giftmüllver- des Unternehmens verursachten Umwelt- und Gesund- klappungen vor der Elfenbeinküste oder Asbestabbau heitsschäden.10 Die argentinische Justiz arbeitet derzeit in Südafrika.5 die Rolle großer Konzerne wie Ford Motor Compa- Neben solchen zivilrechtlichen Klagen gibt es auch ny, Mercedes-Benz oder dem Zuckerproduzenten Le- eine Reihe von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren desma bei den Verbrechen der Militärdiktatur in den und zum Teil auch Urteilen gegen einzelne Mitarbei- 1970er/1980er Jahren auf.11 Indische Gerichte befassen 3 Zum Nestlé-Fall mit weiteren Informationen: ECCHR, Strafanzeige of the Position Outside the United States, in: City University of Hong gegen Nestlé wegen der Ermordung des kolumbianischen Gewerkschaf- Kong Law Review, Vol 3:1, 2011, S. 1-41. ters Luciano Romero, https://www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirt- 6 Public Prosecutor v Van Anraat, 22-000509-06, Urteil vom 9. Mai schaft-und-menschenrechte/nestle.html, letzter Zugriff: 17.10.2016; 2007, http://www.haguejusticeportal.net/index.php?id=7548, letzter Zur Chevron-Klage in Ecuador: Business & Human Rights Ressource Zugriff: 17.10.2016. Centre, Case Profile: Texaco/Chevron Lawsuits (re Ecuador), http:// www.business-humanrights.org/Categories/Lawlawsuits/Lawsuitsre- 7 ECCHR, Der Fall Lahmeyer: Deutsche Ingenieursarbeit – ohne gulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/TexacoChevronlawsuitsreEcua- Rücksicht auf Verluste, https://www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirt- dor, letzter Zugriff: 17.10.2016; Zur Shell-Klage in den Niederlanden: schaft-und-menschenrechte/lahmeyer.html, letzter Zugriff: 17.10.2016. Business & Human Rights Ressource Centre, Case Profile: Shell Laws- 8 Business & Human Rights Ressource Centre, Case Profile: Amesys uit (re oil pollution in Nigeria), http://www.business-humanrights.org/ Lawsuit (re Libya), http://www.business-humanrights.org/Catego- Categories/Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/LawsuitsSelected- ries/Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/ cases/ShelllawsuitreoilpollutioninNigeria, letzter Zugriff: 17.10.2016. AmesyslawsuitreLibya, letzter Zugriff: 17.10.2016. 4 Business & Human Rights Ressource Centre, Case profile: Apartheid 9 Siehe FN 3 m.w.N. Reparations Lawsuits (re So. Africa), http://www.business-human- rights.org/Categories/Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/Laws- 10 Siehe FN 3 m.w.N. uitsSelectedcases/ApartheidreparationslawsuitsreSoAfrica, letzter 11 Business & Human Rights Ressource Centre, Case Profile: Ford Laws- Zugriff: 17.10.2016. uit (re Argentina), http://www.business-humanrights.org/Categories/ 5 Einen Überblick bietet: Richard Meeran, Tort Litigation against Mul- Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/ford- tinational Corporations for Violation of Human Rights: An Overview lawsuitreargentina, letzter Zugriff: 17.10.2016. Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen 7
sich aufgrund von Klagen indischer Organisationen mit Sicherheitslage der Betroffenen einer Klage im Wege verantwortungslosen Vertriebspraktiken europäischer stehen. Gleichzeitig bestehen in den Heimatstaaten der Chemie-Konzerne.12 Diese wie auch viele andere Ver- Unternehmen zahlreiche rechtliche Hürden, die den fahren zeigen, dass die juristische Aufarbeitung von Betroffenen einen effektiven Rechtsschutz verwehren. Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen kei- Der Behauptung der Bundesregierung und deutscher Un- neswegs nur am Hauptsitz der jeweiligen Unternehmen ternehmensverbände, dass in Deutschland ausreichende stattfinden kann und soll. Gerade auch die Gaststaaten Klagemöglichkeiten bestünden, um Unternehmen für spielen eine wichtige Rolle, und die Rechtssysteme in ihre Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen zur sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern sind Verantwortung ziehen zu können, treten wir mit dieser dafür nicht immer so ungeeignet wie vermutet. Publikation daher entgegen: Die Fallbeispiele verdeut- lichen, dass deutsche und europäische Unternehmen 4. Kein effektiver Rechtsschutz für die für die negativen sozialen und ökologischen Folgen Betroffenen von Unternehmensunrecht ihres Handeln nach geltendem Recht selten belangt Diese Fälle zeigen, dass Betroffene neben anderen werden können. Die im aktuellen NAP vorgesehene sozialen und politischen Protestformen auch vor den Erwartungshaltung der Bundesregierung an die deut- eigenen oder europäischen Gerichten für Wahrheit und sche Wirtschaft, sich zukünftig mehr um die eigenen Gerechtigkeit kämpfen. Im Verhältnis zu den Rechts- menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu kümmern, verletzungen, die von Unternehmen insbesondere in ohne klare Konsequenzen bei der Nicht-Einhaltung, den Entwicklungs- und Schwellenländern begangen reicht daher nicht aus. werden, ist die Anzahl der juristischen Verfahren jedoch verschwindend gering. Die in den nächsten Kapiteln 12 ECCHR, Bayer: Doppelstandards beim Vertrieb von Pestiziden, https:// beschriebenen Fallbeispiele zeigen, dass oft sehr prakti- www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarindustrie/bayer. sche Gründe wie begrenzte Kapazitäten oder die prekäre html, letzter Zugriff: 17.10.2016. III Typische Fallkonstellationen – Überwiegende Rechtlosigkeit der Betroffenen Sowohl in Lateinamerika als auch in Afrika und Asien diesen menschenrechtlichen Problemen häufig nicht haben sich einige Konstellationen, in denen die Tätigkeit direkt, wohl aber über ihre Geschäftsbeziehungen – über transnationaler Unternehmen zu menschenrechtlichen ihre Lieferkette, Investitionen, Exporte oder Dienstleis- Problemen führt, als typisch erwiesen. Hierzu gehören tungen – im Ausland verbunden. Menschenunwürdige insbesondere: Landnahmen und Vertreibungen im Zu- Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben deutscher Un- sammenhang mit Rohstoffförder- oder Agroindustrie- ternehmen treten regelmäßig auf (3). Darüber hinaus projekten (1). Ebenfalls werden durch derartige Projekte erfahren soziale Bewegungen, die gegen die negativen häufig Gesundheits- und Umweltschäden verursacht, Auswirkungen unternehmerischen Handelns protestie- die der lokalen Bevölkerung ihre Lebensgrundlage ren, regelmäßig gewaltsame Verfolgung durch staatliche entziehen (2). Gerade deutsche Unternehmen sind mit und private Sicherheitskräfte (4). 8 Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
Der Fall Addax: Verträge zwischen Unternehmen und Dorfvorstehern zum Nachteil der Bevölkerung? Die Schweizer Firma Addax Bioenergy hat um und Kündigung der ca. 3.800 Arbeitsverträge ist nun die 258 Millionen Euro13 in den Anbau von Zucker- das wirtschaftliche Leben um das Projekt herum zum rohr für Agrosprit in Sierra Leone investiert. Über Erliegen gekommen – mit schlimmen Folgen für die das Tochterunternehmen AddaxBioenergy Sierra Bevölkerung, die sich zwischenzeitlich auf das Pro- Leone (ABSL) hat Addax seit 2008 im Norden des jekt eingestellt und ihre eigene landwirtschaftliche Landes ursprünglich 50.000 Hektar Land14 von Produktion aufgrund der Verpachtung des Landes der dort ansässigen Bevölkerung gepachtet.15 Die stark zurückgefahren hatte.19 Pachtverträge wurden zwischen Vertreter_innen Zwar ist immer noch denkbar, dass einzelne Dorf- des Tochterunternehmens AddaxBioenergy Sierra bewohner_innen vor Gerichten einen angemessenen Leone, den traditionellen Führern der betroffenen Pachtzins oder die Rückgabe ihres Landes einfor- Dorfgemeinschaften und den Gebietsvertretungen dern. Zuständig wären hier entweder sierra-leoni- ausgehandelt, die nach Sierra Leonischem Recht sche Gerichte oder bei abweichender vertraglicher als Landbesitzer gelten. Nach traditionellem Recht Abmachung ein europäisches Gericht. Dies ist aber verwalten sie aber eher das Land als Treuhänder. nur möglich, wenn die möglichen Kläger_innen Das hatte zur Folge, dass ca. 14.000 Familien ihr formal ihre Eigentumsrechte oder Nutzungsrechte Land an Addax verpachteten, aber nur ca. 10% da- von jährliche Pachterträge erhielten. Darüber hinaus 13 Brot für die Welt, The Weakest Should not Bear the Risk. Study. ist der zu entrichtende Pachtzins im Vergleich zu Holding Development Finance Institutions Responsible When Private Sector Projects Fail, Berlin 2016, S. 27, https://www. den zu erwartenden Gewinnen extrem niedrig. Die brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachin- Pachtverträge sehen eine Laufzeit von fünfzig Jahren formationen/Analyse/Analyse_64_en-The_Weakest_Should_not_ Bear_the_Risk.pdf; Deutsche Zusammenfassung unter: http:// mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/ Fachinformationen/Analyse/Zusammenfassung_Analyse64-de_ zwanzig Jahre vor.16 Sie enthielten keine Verpflich- The_Weakest_Should_not_Bear_the_Risk.pdf, letzter Zugriff: tung für das Unternehmen, die gepachteten Flächen 13.12.2016. nachhaltig zu bewirtschaften. Zivilgesellschaftliche 14 Ibid, , S. 12 f. Organisationen – wie das Sierra Leone Network on 15 Inzwischen wird das das Projekt von Sunbird Bioenergy weiter- geführt, die das Land nunmehr nach eigenen Angaben direkt von the Right to Food (SilNoRF) – befürchteten daher der Regierung pachten: http://www.addaxbioenergy.com/uploads/ von Beginn der Investition an, dass das Land in- Press_release-AOG-20160930.pdf, http://www.sunbirdbioenergy. com/projects/sierra-leone-makeni, letzter Zugriff: 13.12.2016. tensiv und in Monokultur genutzt und schließlich 16 Anane, Mike/Abiwu, Cosmos Yao, Independent study report of ausgelaugt den Eigentümern nach Ablauf der Pacht the Addax Bioengery Sugarcane-to-Ethanol Project in the Makeni unfruchtbar überlassen wird.17 Weiterhin mahnten Region in Sierra Leone, Juni 2011, S. 25 ff. 17 Anane, Mike/Abiwu, Cosmos Yao, FN 26, S. 38 ff.; Conteh, Moha- sie an, dass die Qualität der vom Unternehmen als med Sorie, Economic Impacts of Large Scale Leases of Farmland Ersatz bereitgestellten Ackerflächen schlechter sei als on Smallholder Farmers. A Case Study of Leased Farmlands for the Addax Sugarcane Ethanol Project in Sierra Leone, Bochum 2014; vom Unternehmen behauptet und eine ausreichende Sierra Leone Network on the Right to Food, Annual Monitoring Wasserversorgung der Ersatzflächen nicht sicher. Report on the Operations of Addax Bioenergy by Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF). For the Period July Diese Befürchtungen haben sich inzwischen 2012–July 2013. zum Teil bestätigt. Im Frühjahr 2016 verkündete 18 http://www.addaxbioenergy.com/uploads/Press_relea- der Investor die Schließung seiner Bioethanolfa- se-AOG-20160930.pdf, http://www.sunbirdbioenergy.com/pro- jects/sierra-leone-makeni/, letzter Zugriff: 16.10.2016. brik und das Ende seines Projektes in der Region 19 Sierra Leone Network on the Right to Food, Annual Monitoring Makeni.18 Seit Mitte 2015 lag die ehemals als Zu- Report on the Operations of Addax Bioenergy by Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF). For the Period July ckerrohr-Plantage genutzte Fläche von rund 14.000 2015–July 2016 https://brotfueralle.ch/content/uploads/2016/03/ Hektar brach. Mit der Stilllegung der Fabrikanlage MonRep-Addax-2016.pdf, letzterZugriff: 16.10.2016. Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen 9
… Der Fall Addax … nachweisen können.20 Angesichts der sozialen Ge- es eine Rechtspflicht hatte sicherzustellen, dass nur füge traditioneller Dorfgemeinschaften wird es auch rechtmäßige Pachtverträge abgeschlossen werden. meist nicht möglich sein, dass einzelne Dorfbewoh- Eine solche Verantwortung von Mutterunternehmen ner_innen ihre Ansprüche entgegen dem Willen des für die Rechtsgeschäfte ihrer Tochterunternehmen in traditionellen Führers geltend machen. Im Übrigen transnationalen Konstellationen ist in der Schweiz jedoch weder gesetzlich ge- regelt noch gerichtlich aner- kannt. Jede Klage wäre ange- sichts der Rechtsunsicherheit also mit einem hohen Risiko behaftet, sofern die Verfah- renskosten von den Betrof- fenen überhaupt aufgebracht werden können. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Mitverantwor- tung in den Blick genommen werden, welche die interna- tionalen Finanzinstitutionen trifft, die sich an der Förde- rung beteiligt hatten.21 Das Foto: Yvan Maillard, Brot für alle Ausgelaugte Felder nach intensivem Addax-Projekt ist substantiell Zuckerrohr-Anbau durch Addax, Sierra Leone aus Mitteln von acht Entwick- lungsbanken, darunter auch der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft ist es nur schwer praktikabel, Zugang zu einer be- (DEG), gefördert worden. Aber an Transparenz und stimmten Parzelle einzufordern, wenn das restliche Mitbestimmung der lokal Betroffenen hat es immer Land weiterhin an die Plantagenbetreiber_innen wieder gefehlt. Bis auf eine zusammenfassende Stu- verpachtet ist. die sind viele Detail-Analysen, die entsprechend der Gegen das Addax-Mutterunternehmen könnte Umwelt- und Sozialstandards vor und während des eine Verletzung des Rechts auf Eigentum oder sons- Projekts gemacht wurden, bis heute nicht öffentlich tiger Rechte als Entschädigungsklage in der Schweiz verfügbar. Der Einfluss, den diese Institutionen auf geltend gemacht werden. Hierzu müsste aber zum das Projekt genommen haben, ist auch daher noch einen bewiesen werden, dass die Pachtverträge immer nicht ausreichend geklärt. zwischen dem Tochterunternehmen ABSL und den Dorfvorstehern rechtswidrig oder unwirksam waren 20 Das ist im sierra-leonischen Kontext zusätzlich erschwert, da die sowie die Rechte der Landeigentümer verletzen. Landnutzenden gegenüber den Landeigentümern formal recht- lich schlechter gestellt sind, nach traditionellem Verständnis aber Weiterhin müsste bewiesen werden, dass das Mut- legitime Landrechte besitzen. Die VGGT bieten dafür eine gute terunternehmen eine rechtliche Verantwortung dafür Grundlage, deren Anwendung in SL seit 2014 von der Regierung vorgesehen ist. Die neue Landpolitik Sierra Leones greift dies trägt, zu welchen Bedingungen das Tochterunterneh- ebenfalls auf und es steht die Formulierung entsprechender Gesetze men ABSL Pachtverträge abschließt. Es müsste also an, so dass die unterschiedlichen Rechtsverständnisse und sich überlappenden Systeme von formalen und traditionellen Rechten nachgewiesen werden, dass das Mutterhaus auf die gelöst werden sollen. Pachtverträge hätte Einfluss nehmen können und dass 21 Brot für die Welt, FN 23. 10 Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
1. Landnahmen und Rohstoffgewinnung im Tagebergbau betrieben. Die ursprünglich in dem Wenn neue Gebiete für den Abbau extraktiver Rohstoffe Gebiet der Goldminen lebende Bevölkerung besaß keine wie zum Beispiel Kohle oder Gold erschlossen werden, formalen Landtitel, sondern nutzte das Land gemein- geht dies oft mit der unmittelbaren oder schleichenden schaftlich zur Subsistenzwirtschaft nach traditionel- Vertreibung der lokalen Bevölkerung einher. Gleiches lem Recht, welches aus vorkolonialer Zeit stammt und lässt sich im Bereich der Agroindustrie, insbesondere meist nicht aufgeschrieben ist.27 Der ghanaische Staat des großflächigen Anbaus nachwachender Rohstoffe eignete sich das Land auf Grundlage der bestehenden für die Produktion von Biotreibstoffen, beobachten.22 Bergbaugesetze an und vergab als neuer Eigentümer Neben aufstrebenden Wirtschaftsnationen wie China, des Landes Bergbaulizenzen an das transnationale Un- Südkorea und Japan sowie den vom Nahrungsmittelim- ternehmen.28 Nach geltender Rechtslage ist der Staat port abhängigen Golfstaaten investieren transnationale zwar verpflichtet, bei Enteignungen im Rahmen von Großkonzerne der westlichen Industriestaaten oft in Bergbauprojekten Entschädigung an die ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Flächen.23 Europäische und auf dem Land lebende Bevölkerung zu zahlen. Diese nordamerikanische Agrarkonzerne sichern sich Land fällt jedoch wie im Fall der Golden Star-Bergwerke überwiegend zum Anbau von Pflanzen wie Mais, Zu- in Bogoso/ Prestea und Wassa oft ungenügend aus.29 ckerrohr und Ölpflanzen zur Energieproduktion.24 Im Zum einen haben nur diejenigen einen Anspruch auf Bereich der extraktiven Rohstoffgewinnung wie dem Entschädigung, die formal ihre Eigentums- oder traditi- Kohle- oder Edelmetallabbau operieren unzählige glo- onellen Nutzungsrechte belegen können, was gerade bei bal agierende Unternehmen.25 Diese erschließen und traditionellen, gemeinschaftlichen Rechten oft schwierig betreiben über Tochterunternehmen Minen und sonsti- ist, weil sie gerade nicht formal dokumentiert werden. ge Fördergebiete. Abgesichert werden solche Projekte Frauen sind dabei besonders benachteiligt, weil sie in regelmäßig über Freihandelsabkommen und bilaterale Ghana nur beschränkt Landrechte (Eigentum sowie tra- Investitionsschutzabkommen, die es den Gaststaaten oft ditionelle Nutzungsrechte) innehaben und damit auch deutlich erschweren, aus menschenrechtlichen Erwä- nur im beschränkten Umfang Entschädigung erhalten gungen unternehmerische Aktivitäten zu beschränken.26 können.30 Zum anderen sind Entschädigungen in Form Die Landnahmen und Vertreibungen der lokalen Bevölkerung verlaufen sehr unterschiedlich. Teilweise 22 Das Aneignen großer Landflächen in Form sogenannter Auslandsdi- erfolgen sie gewalttätig und ohne jede Absicherung im rektinvestitionen oder mittels langfristiger Pachtverträge wird oft als Landgrabbing bezeichnet. geltenden Recht. Oft sind die Landnahmen, die eine 23 FIAN Factsheet 2010/1, Landgrabbing – Moderne Landnahme und Vertreibung der Bevölkerung nach sich ziehen, aber auch das Recht auf Nahrung. formal legalisiert. Hier lassen sich zwei typische Kons- 24 Hobbeling, Henk, Die neuen Großgrundbesitzer, in: Brot für die Welt/ tellationen der Landnahme mit jeweils charakteristischen EED/FDCL, Land ist Leben – Der Griff von Investoren nach Ackerland, Dossier 5/2011, S. 3-5. Schwierigkeiten für eine gerichtliche Geltendmachung 25 Die meisten Bergbauunternehmen kommen aus dem anglo-amerika- von Entschädigungs- oder Wiedergutmachungsansprü- nischen Raum. Eine Ausnahme ist hier das britisch-schweizerische chen beschreiben. Unternehmen Glencore/Xstrata, welches seit der Fusion einer der großen Player des Rohstoffmarktes geworden ist und seinen Hauptsitz in der Schweiz hat. Vgl. Silverstein, Ken, A Giant among Giants, in: a) Staatliche Enteignung ohne angemessene Foreign Policy, Mai/Juni 2012. Entschädigung 26 German Watch/Misereor, Globales Wirtschaften und Menschenrechte. Deutschland auf dem Prüfstand, Berlin/Aachen, 2014, S. 63 f.; Bur- Oft enteignet der Staat die lokale Bevölkerung, um das kard, Eva-Maria, Zum Spannungsverhältnis von Investitions- und Menschenrechtsschutz, Baden-Baden, 2013. Land, das aufgrund von Staudämmen überflutet oder 27 Sarpong, George A., Improving Tenure Security for the Rural Poor. auf dem Rohstoffe an- oder abgebaut werden sollen, Ghana – Country Case Study, Rom, 2006, S. 2-6. an ein entsprechendes Unternehmen zu verkaufen oder 28 FIAN, Ghana im Goldrausch. Menschenrechte, Landwirtschaft und zu verpachten. Wälder in Gefahr, Köln, 2008, S. 15 ff.; Botchway, F. Nii, Land Ow- nership and Responsibility for the Mining Environment in Ghana, in: Ein Beispiel hierfür sind zwei Goldminenprojekte in Natural Resources Journal, 1998, Vol 38, S. 509-536. Ghana. Das ghanaische Unternehmen Bogoso Gold Ltd., 29 Koomson, Frederick/Akonor, Edgar, Report. Life is more Precious than Tochterunternehmen der kanadischen Bergbaufirma Gold. Effects of Goldmining on Livelyhoods: The Gender Component; FIAN, Ghana im Goldrausch. Menschenrechte, Landwirtschaft und Golden Star Ressources, betreibt zwei Bergwerke in Wälder in Gefahr, Köln, 2008. Bogoso / Prestea und Wassa. Beide Projekte werden 30 Sarpong, George A., FN 18. Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen 11
von Geldzahlungen für die vorwiegend von Subsistenz- Druck, den Pachtabkommen zuzustimmen. Im Übrigen wirtschaft lebende Bevölkerung oft wenig hilfreich. verschärfen die traditionellen Dorfstrukturen, die es den Wenn der Bevölkerung nicht gleichzeitig ausreichendes traditionellen Führern ermöglichen, über die Landtitel Ersatzland angeboten und sinnvolle Angebote gemacht der Dorfbewohner_innen zu verfügen, die Situation. werden, wie das Geld zu verwenden ist, kann es mangels Immer wieder wird berichtet, dass Chiefs nicht im Inte- Erfahrung im Umgang mit Geld nicht nachhaltig genutzt resse der ganzen Dorfgemeinschaft handeln oder durch werden. Im Endeffekt steht der lokalen Bevölkerung die Unternehmen oder Behörden bestochen werden. weniger Fläche für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung, was zur Konsequenz hat, dass Menschen ihren Lebens- 2. Umwelt- und Gesundheitsschäden durch standard nicht halten können und verarmen. In vielen Rohstoff- und Agroindustrien Fällen sind sie dadurch gezwungen, ihren traditionellen Neben der beschriebenen Landnahme ziehen auch große Lebensraum zu verlassen. agroindustrielle ebenso wie Erdöl- oder Bergbauprojekte In solchen Konstellationen können Ansprüche nur oft schwere Umwelt- und Gesundheitsschädigungen gegen den Staat geltend gemacht werden, der die Ent- nach sich.32 Wenn der lokalen Bevölkerung die landwirt- eignung durchgeführt hat. Der Erfolg solcher Klagen schaftlichen Flächen entzogen und sie gegebenenfalls gegen den Staat auf Entschädigungen oder Bereitstellung umgesiedelt wurde, die Plantagen angelegt oder mit alternativer landwirtschaftlicher Flächen hängt davon dem Abbau der energetischen und mineralischen Roh- ab, dass Gerichte willens sind, gegen den jeweiligen stoffe begonnen wurde, führen die starke Bewässerung Staat zu urteilen. Weiterhin müssen Eigentums- oder landwirtschaftlicher Flächen ebenso wie wasserintensiv traditionelle Rechte gerichtsfest bewiesen werden. Das betriebene Rohstoffförderungen häufig zu einer Aus- Unternehmen, welches von der Landnahme profitiert, trocknung umliegender Regionen. Hinzu kommt die kann in diesen Fällen meist nicht belangt werden. Denn Verschmutzung des Grundwassers und der Böden. In die Nutzung des Landes durch das Unternehmen ist der Agroindustrie belasten Pestizide und unsachgemäß durch die Lizenzverträge mit der jeweiligen Regierung entsorgter landwirtschaftlicher Abfall die Wasserqua- formal legalisiert, während die ursprünglichen Landnut- lität. Bei der Rohölförderung kommt es immer wieder zer ihre traditionellen Nutzungsrechte kaum durchsetzen zu Umweltverschmutzungen durch Öllecks. Zudem hat können.31 das Abfackeln des Begleitgases schwerwiegende Aus- wirkungen auf das Mikroklima und die Gesundheit der b) Landnahme durch Verträge zwischen Menschen. Im Bergbau führen veraltete oder nachlässige Unternehmen und Bevölkerung Fördermethoden zu schwerwiegenden Verschmutzun- In einer anderen Konstellation handelt das Unterneh- gen des Trinkwassers sowie der Böden der Region mit men direkt mit den traditionellen Führern der jeweili- Schwermetallen und Giften wie Arsen, Cadmium oder gen Dorfgemeinschaften Pacht- oder Kaufverträge aus. Quecksilber. Oft sind diese Pachtverträge für die Landeigentümer In den bereits beschriebenen ghanaischen Goldmi- sehr ungünstig, was auf das ungleiche Kräfteverhältnis nen-Projekten berichten Organisationen wie WACAM zwischen Unternehmensvertretern und traditionellen (Wassa Association of Communities Affected by Mi- Führern, auch Chiefs genannt, zurückzuführen ist. Viele ning), dass die Bewohner_innen der Region vermehrt an lokale Chiefs kennen die nationalen Gesetze nicht. Hinzu Magen-Darm- und Atemwegserkrankungen leiden, die kommt, dass sie unzureichend über das Vorhaben und auf die durch den Bergbau verursachte Trinkwasser- und die Folgen der Verpachtung informiert sind. Die Verträge Luftverschmutzung zurückgeführt werden.33 Erhöhte und Informationsmaterialien sind selten in der lokalen Schwermetallbelastungen im Trinkwasser und in den Bö- Sprache verfasst, weshalb viele Dorfvorsteher diese nur ungenügend oder gar nicht verstehen. Sie gehen derartige 31 Zu den Problemen und den wenigen Möglichkeiten, in Ghana Entschä- Verträge dennoch ein, weil sie sich Arbeitsplätze auf den digung einzuklagen: Sarpong, George A., FN 18. entstehenden Plantagen oder in den Minen erhoffen und 32 Zu Auswirkungen des Bergbaus in Peru: Misereor, Menschenrechtliche Probleme im peruanischen Rohstoffsektor und die deutsche Mitver- mit Steuereinnahmen sowie der Entwicklung von Infra- antwortung, Aachen 2013. struktur in der Region durch das Unternehmen rechnen. 33 Koomson, Frederick/Akonor, Edgar, FN 20. Zudem setzt die Regierung sie in vielen Fällen unter 34 Misereor, FN 32, S. 22 f. 12 Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
den rufen nicht nur Gesundheitsschäden hervor, sondern beeinträchtigen auch Landwirtschaft und Viehzucht. Seit Inbetriebnahme der Minen sind ein Rückgang der Ernten sowie der Anstieg von Missbildungen und Todesfälle bei Nutztieren zu verzeichnen gewesen. Diese Einbußen in der landwirtschaftlichen Produktion zwangen viele der Bewohner_innen, ihre ursprünglichen Siedlungsgebie- te zu verlassen; die für die Umsiedlung bereitgestell- ten neuen Siedlungen sind häufig nicht ausreichend.34 Wenn derartige Schäden vor Gericht gegen die jewei- ligen Unternehmen geltend gemacht werden sollen, stellen sich insbesondere zwei Probleme: Erstens muss die Kausalität zwischen der Tätigkeit des Unternehmens und den geltend gemachten Schäden bewiesen werden. Foto: Friess / MISEREOR Kläger_innen müssen immer ihren individuellen Scha- den nachweisen und diesen konkret auf das Verhalten Minenkonzern Doe Run Perú, La Oroya, Peru des Unternehmens zurückführen, wenn sie Schadenser- satz geltend machen wollen. Zweitens sind bestimmte Die Fälle Bayer und Syngenta: Pestizidvergiftungen und der schwierige Nachweis der Kausalität Die angesprochenen Beweisprobleme ergeben noch kaum anerkannt.37 Denn es ist äußerst schwie- sich auch bei den gesundheitlichen Schäden, die rig, für zivilrechtliche Entschädigungsansprüche auf Plantagen eingesetzte Pestizide verursachen nachzuweisen, dass die das Pestizid produzierenden und besonders schwerwiegende Auswirkungen Konzerne für die jeweiligen Schäden rechtlich ver- für Frauen haben.35 Europäische Unternehmen wie antwortlich sind. In Frage steht insbesondere der Syngenta oder Bayer AG produzieren hochgiftige kausale Zusammenhang zwischen der Produktion Pestizide, die in Europa und Nordamerika bereits des Pestizids und den Gesundheitsschäden der ein- wegen ihrer erheblichen gesundheitlichen Risiken zelnen Arbeiter_in, die erst Monate oder Jahre nach verboten wurden, und verkaufen diese in Ländern der Anwendung auftreten. wie Malaysia, den Philippinen oder Indien.36 Die Zudem stellt sich die Frage, warum gerade die Vertriebsstrukturen in diesen Ländern sind meist Hersteller eines hochgiftigen Pestizids für die Schä- komplex: Die Produktionsstätte verkauft das Pestizid den haften sollen, wenn eine Vielzahl anderer Ak- an Großhändler, die es möglicherweise wiederum an teure ebenfalls eine Rolle bei der gesundheitsschäd- weitere Händler verkaufen, von denen die Planta- lichen Anwendung des Pestizids spielen.38 So kann genbesitzer das Pestizid abkaufen. Auf der Plantage es vorkommen, dass Zwischenhändler Pestizide selbst bestimmen und überwachen Vorarbeiter die aus den mit Warnhinweisen versehenen Original- Lagerung und Anwendung des Pestizids. verpackungen in unauffällige Behälter umfüllen, so Obwohl typische Gesundheitsschäden, die die dass sie nicht mehr als gefährlich erkennbar sind. jeweiligen Pestizide hervorrufen, wissenschaftlich Die Plantagenbesitzer und direkten Arbeitgeber der belegt sind, wurde eine juristische Haftung der pro- Landarbeiter_innen klären häufig nicht angemessen duzierenden Unternehmen für diese Schäden bisher über die Gesundheitsrisiken auf und stellen keine Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen 13
… Die Fälle Bayer und Syngenta … angemessene und funktionstüchtige Schutzkleidung ins Ausland exportiert werden. Die zuständigen deut- bereit. Den Herstellern wird aber auch vorgeworfen, schen Behörden kontrollieren dies aber bislang nur dass die vorgesehene Schutzkleidung für die Arbeit unzulänglich.44 Auch die Schulungen, die die Kon- in tropischem Klima ungeeignet ist.39 Oft ist Be- zerne jährlich durchführen, können nicht verhindern, troffenen lange Zeit nicht bewusst, dass bestimmte dass sich viele tausende Arbeiter_innen schwere Gesundheitsprobleme mit ihrer Arbeit als Pestizid- Vergiftungen zuziehen. Diese Problematik wird auch sprayer_in verknüpft sind. Außerdem werden die in internationalen Soft Law-Verfahren verhandelt: Pestizide verschie- Im Herbst 2015 reichte eine internationale Koalition dener Hersteller oft (ECCHR, Brot für die Welt (Deutschland), Erklärung vor ihrem Einsatz von Bern (Schweiz), Pesticide Action Network Asia gemischt, so dass Pacific (Malaysia) und Kheti Virasat Mission (Indi- umstritten sein en)) eine Beschwerde beim Experten-Gremium für kann, welches Pes- den Umgang mit Pestiziden (Panel of Experts on Pe- tizid von welchem sticides Management) der Welternährungsorganisa- Hersteller die gel- tion (FAO) ein. Die Beschwerde beleuchtet die man- tend gemachten gelhafte Kennzeichnung (Labeling) von Pestiziden, Foto: ECCHR Schäden hervor- die flächendeckend fehlende Schutzkleidung sowie Einsatz von Pestiziden in Punjab, Indien gerufen hat. die unzureichende Schulung von Vertriebspersonen.45 Mittels derzeit Trotz schriftlich festgelegter Verfahrensordnung ver- gültigen Beweisregeln ist es daher schwer nachzu- läuft dieses Soft Law-Verfahren sehr schleppend weisen, dass ein durch Pestizidvergiftung hervorgeru- und unübersichtlich und kann in keinem Fall als ein fener Gesundheitsschaden in dieser Konstellation auf effektives Rechtsmittel verstanden werden. Plantagen auch einem bestimmten Pestizidhersteller zugerechnet werden kann. Lokale Anwält_innen grei- 35 The Permanent People‘s Tribunal. Session on Agrochemical Trans- fen dennoch die Praktiken der großen Konzerne an: national Corporations, 2011, S. 60 ff. Seit 2015 bemühen sich indische Anwält_innen und 36 Neumeister, Lars/Isenring, Richard, Paraquat. Unacceptable He- Aktivist_innen mit Unterstützung der Herausgeber alth Risks for Users, https://www.publiceye.ch/fileadmin/files/ documents/Syngenta/Paraquat/Paraquat_UnacceptableHealth- dieser Publikation darum, die Behörden in Indien wie Risk_3rdEdition_2011_mb_print.pdf, letzter Zugriff: 13.12.2016. auch Bayer dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass 37 Grabosch, Robert, The Distribution of Paraquat: Does Syngenta sie die Verbraucher_innen nicht ausreichend über die Respect Human Rights? Legal Opinion, Bern, 2011. Gefahren der zu befürchtenden Gesundheitsschäden 38 Neumeister, Lars/Isenring, Richard, FN 30, S. 7-13. informieren.40 Denn oft sind die Warnhinweise auf 39 Neumeister, Lars/Isenring, Richard, FN 30, S. 14 f. den Pestizidverpackungen für Bauern und Arbei- 40 ECCHR, Doppelstandards internationaler Chemie- und Agrarkon- zerne, https://www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/ ter_innen nicht verständlich oder sie erfassen die agrarindustrie.html, letzter Zugriff: 17.10.2016. Risiken nur unvollständig.41 Beispielsweise weist der 41 ECCHR, Bayer: Doppelstandards beim Vertrieb von Pestiziden, https://www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarin- Chemiekonzern Bayer in Indien nicht auf die potenti- dustrie/fao-who.html, letzter Zugriff: 17.10.2016. elle Gefährdung des Pestizids Nativo für Ungeborene 42 Ibid. hin.42 Die indische Tochter von Bayer vertreibt das in 43 ECCHR, Anzeige gegen Bayer: Auf Pestizid-Etiketten für Indien Deutschland hergestellte Pestizid in Indien ohne eine fehlen wichtige Warnungen für Schwangere, https://www.ecchr. eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarindustrie/bayer.html, entsprechende Kennzeichnung.43 Das Unternehmen letzter Zugriff: 17.10.2016. ist aber nach dem deutschen Pflanzenschutzgesetz 44 Ibid. verpflichtet, Warnhinweise, die für den Schutz der 45 ECCHR, Bayer und Syngenta: FAO und WHO prüfen, ob Pes- tizid-Vertrieb in Indien gegen internationale Standards verstößt, menschlichen Gesundheit notwendig sind, auf den https://www.ecchr.eu/de/wirtschaft-und-menschenrechte/agrarin- Produktbehältnissen anzubringen, auch wenn diese dustrie/fao-who.html, letzter Zugriff: 17.10.2016. 14 Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen
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