Tarantel Nr. 88 - Ökologische Plattform bei DER LINKEN
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Nr. 88 Tarantel Zeitschrift der Ökologischen Plattform März I/2020 bei der Partei Industriell oder Bio? Landwirtschaft im Umbruch
Editorial/Impressum Liebe Leserin, lieber Leser, die Bauern fahren mit ihren Traktoren in die Städte, um ihren Unmut über die Maßnahmen der Regierung zur Min- derung der Stickstoffdüngung und Einschränkung des Glyphosat-Einsatzes zu äußern. Dabei will die Regierung nur die EU-Vorschriften umsetzen, denn es drohen Strafzahlungen von 857 000 € – pro Tag. Müssen die Bauern Stickstoff zur Ertragssteigerung und Glyphosat zur kostenarmen Wildkrautbekämpfung aufgeben, dann werden die Erträge um 20 bis 40 Prozent sinken. Da können sie auch gleich zur Biolandwirtschaft ohne Stickstoffdünger und Pestizide übergehen, weil bei dieser Wirtschaftsweise die Erträge auch um etwa 20 Prozent sinken wer- den. – Die Bauern sitzen in der Zwickmühle. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) wollte deshalb am 25. März 2020 das „Dialogforum Stadt.Land.Du“, dessen Auftakt im Januar auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin stattfand, in Marien- münster (Nordrhein-Westfalen) mit einer großen Veranstaltung fortführen und die Bauern beruhigen. Aufgrund des Auftretens des Coronavirus, der zwischenzeitlich zum sogenannten „Lockdown“ führte, wurde die Veranstal- tung allerdings vorerst verschoben. Die Vertreter der biologischen und konventionell-industriellen Landwirtschaft sollen dort aufeinandertreffen. Das BMEL will wohl nur Schiedsrichter sein, denn Klöckner sagte, es wäre klar, „dass keine der Seiten Maximalforderungen durchbringen wird“. Bauernverband und BMEL (Bundesministerium fur Ernährung und Landwirtschaft) setzen sich für den industri- ellen Landbau ein. Deutschland hat nur 5 Prozent Biolandbau, weil diese Wirtschaftsweise ungenügend gefördert und von der Regierung nicht gewollt ist. Nur eine industriemäßige Landwirtschaft hält dem Preisdruck aus Über- see stand, wenn Freihandel vereinbart wurde. In Osterreich ist man dagegen schon bei 20 Prozent Biolandbau. Nur diese Bewirtschaftung des Bodens ist nachhaltig. In diesem Heft wird ein Querschnitt zu den aktuellen Problemen der industriellen Landwirtschaft gegeben. Es gibt sehr viele ungelöste Probleme, die nur durch einen Paradigmenwechsel hin zur biologischen Landwirtschaft gelöst werden können: eine Information für Nicht-Landwirte. Die Redaktion zum Titelbild: Von Gransee in Richtung Rheinsberg werden Jahr für Jahr immer mehr Spargelfelder angelegt. Ein typisches Beispiel für Landwirtschaft, wie sie nicht sein sollte. Die Beete sind mit Folien abgedeckt, damit der Spargel früher wächst – und sie bleibt dann natür- lich auch die Saison über drauf. Da freut man sich über das naturnahe Biotop! Etliche Bauern beheizen sogar die Erde: Damit schafft man es dann, die Energiebilanz von importiertem Spargel zu toppen. – Was tut man nicht alles für den Profit! Und dazu passen dann auch die Billigarbeiter aus dem Osten … (Die Corona-Krise zeigt es: Systemrelevant scheinen nur Autokonzerne, Profifußball und – Spargel zu sein.). Impressum Herausgeber: SprecherInnenrat der Ökologischen Platt- Veröffentlichte Beiträge, auch einzelner Autoren der form; ISSN 2195-027X Ökologischen Plattform, spiegeln nicht in jedem Fall Redaktion: tarantel@oekologische-plattform.de die Auffassung der Ökologischen Plattform als Ganzes (ausschließlich für Belange der Tarantel) wider. Beiträge ohne weitere Quellenangabe stammen Layout: Hans-Jürgen Paasch, Oeste, www.buchgestalter.eu von den Autoren, Beiträge ohne Autorenangaben in der Kontakt: Ökologische Plattform bei der Partei DIE LINKE; Rubrik IN EIGENER SACHE von der Redaktion. Kleine Alexanderstr. 28, 10178 Berlin Geplanter Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: E-Mail: oekoplattform@die-linke.de 15.5.2020 Internet: www.oekologische-plattform.de Elektronische Fassungen dieser und älterer Ausgaben unter Die ÖPF ist ein anerkannter Zusammenschluss der LINKEN www.oekologische-plattform.de/publikationen/tarantel und bundesweit aktiv. Bestellung/Adressänderung: Redaktionsschluss: 15.2.2020 kontakt@oekologische-plattform.de oder Beiträge, Leserbriefe, Buchempfehlungen bitte möglichst https://www.oekologische-plattform.de/ in maschinenlesbarer Form per E-Mail einsenden oder mitgliedschaft/ das Formular auf https://www.oekologische-plattform. Spenden für die „Tarantel“ und ÖPF: Partei DIE LINKE; de/publikationen/tarantel/ benutzen. Ein Anspruch IBAN: DE38 1009 0000 5000 6000 00; BIC: BEVODEBB; auf Rückgabe unverlangt eingesandter Beiträge in Verwendungszweck: Ökologische Plattform – Spende Papierform wird ausgeschlossen. Über eine Veröffent- Neuaufnahmen, Veränderungen, Ergänzungen bei lichung entscheidet der SprecherInnenrat, der sich Adressen/Abonnement der Tarantel bitte über sinnwahrende Kürzungen und ggf. Umformulierungen kontakt@oekologische-plattform.de oder vorbehält. https://www.oekologische-plattform.de 2 Tarantel Nr. 88 Heft I-2020
Landwirtschaft im Umbruch Bauern am Tropf der EU Johanna Schering-Wright Am 21. Februar 2020 lief folgende Meldung über die zunehmende Konzentration in der Landwirtschaft und Presseticker: „EU-Haushaltsgipfel geplatzt“. Wie immer höhere Erträge und Leistungen führen zu ext- schon im November 2019 konnten sich der Rat der EU rem hohen Futtermittelimporten, zu Überproduktion und die Regierungschefs der nun 27 Länder der EU und wiederkehrenden Absatzkrisen. Diese Ausrich- nicht einmal auf einen gemeinsamen Finanzrahmen tung der Landwirtschaft zerstört überall kleinbäuerli- einigen. Auch das EU-Parlament hat eigene Finanzvor- che Betriebe und fördert zudem Hungersnöte in vielen stellungen. Ländern der Erde bei gleichzeitiger Überernährung, Größter Streitpunkt ist nach wie vor das Volumen insbesondere mit Fleisch, in reichen Ländern. Der Kon- des siebenjährigen Finanzrahmens. Die EU-Kommis- kurrenzkampf zwischen den Betrieben auf allen Ebenen sion schlug 2018 vor, dass die Union gut 1,11 Prozent ist unbarmherzig und erzeugt immer wieder Raum für der Wirtschaftsleistung ihrer Mitglieder ausgeben darf. kriminelle Energie, um Profit zu maximieren. Trotzdem Das Europaparlament, das am Ende zustimmen muss, werben Vertreter des Deutschen Bauernverbandes verlangt sogar 1,3 Prozent, was allerdings als völlig und neoliberale Politiker weiterhin für die industrielle utopisch gilt und nicht ernst genommen wird. Der Produktion, Massentierhaltung und die weltweite Ver- aktuelle Finanzrahmen, der 2020 ausläuft, gibt ein Pro- marktung von (deutschen) Agrarprodukten. zent als Obergrenze vor. Weiterer großer Streitpunkt Die GAP der EU bekennt sich zum kapitalistischen ist die Aufteilung des Finanzvolumens in die einzelnen System und stützt dieses. Gleichwohl sind sich die Haushalte. Der Haushalt für die Landwirtschaft nahm politischen Verantwortlichen und die Nutznießer die- über die Jahrzehnte immer weiter ab. Im letzten Vor- ses Systems bewusst, dass gerade bei der Nahrungs- schlag waren es etwa 35 Prozent der Mittel, die direkt mittelproduktion die Grenzen dieses Systems erreicht für die Landwirtschaft budgetiert wurden. Kohäsions- sind. Die Verwerfungen, die dadurch hervorgerufen förderung, also Mittel, die das Zusammenwachsen der werden, lassen bei den Betroffenen die Forderung EU-Länder befördern sollen, wurden sogar auf 34 Pro- nach Überwindung laut werden. Daher einigt man sich zent erhöht und etwa ein Viertel des Haushalts soll für immer wieder auf eine massive Stützung der Bauern, Klimaschutz ausgegeben werden. Auch müssen/sollen wodurch einerseits die landwirtschaftlichen Betriebe zukünftig ambitionierte Aufrüstungsvorhaben der EU „gekauft“ werden, andererseits aber auch in Abhängig- finanziert werden. keit gehalten werden. Immer wieder und zunehmend Bei dem Streit um die Höhe und Verteilung des Bud- reagieren die Landwirte mit groß angelegten Protesten gets geht es natürlich auch darum, wer den größten gegen ihre Zwangslage. So konnten zum Jahresende Nutzen aus dem gemeinsamen Haushalt ziehen darf: eine große Karawane von Traktoren nach Berlin beob- Sind das die sogenannten „Nettoeinzahler“, nämlich achtet werden und auf vielen Feldern grüne Kreuze. die wirtschaftlich starken Mitgliedsstaaten, wozu auch Die Proteste sind vielfältig, durch unterschiedliche Deutschland gehört, oder sollen das die wirtschaftlich Gruppen getragen und auch in ihrer Stoßrichtung sehr Schwächeren sein, die vielfach nur als Verkaufsmärkte unterschiedlich. für die Starken dienen? Durch die Förderung der Landwirtschaft in der GAP Auch in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der wird das Einkommen der Bauern auf einer Überlebens- EU lässt sich dieser Streit nachvollziehen. Die GAP höhe gehalten. Zwar werden durch die Verteilung nach war immer dafür ausgerichtet, die Landwirtschaft und Fläche die Großbetriebe bevorzugt, weil sie weniger Landwirte zu fördern, um möglichst viel zu produzieren. Arbeitskräfte je Fläche haben, aber es reicht auch Als das in den 1980ern in eine hoffnungslose Über- noch für die kleineren und mittleren Betriebe, die noch produktion ausartete, wurde das Subventionsprinzip von den Bundesländern Unterstützung bekommen. umgestellt. Nicht mehr die Produktion von bestimm- Das Einkommen der Bauern in Deutschland wird zu gut ten Nahrungsmitteln wurde gefördert, sondern die 40 Prozent aus den EU-Mitteln gedeckt. Produktion an sich, und zwar über die Fläche, auf der Die Subventionen für die Bauern werden aus der produziert wird. Diese sogenannte Entkoppelung hat öffentlichen Hand bezahlt, sprich: aus Steuergeldern. die Überproduktion dennoch nicht gestoppt. Zudem Jeder EU-Bürger zahlt umgerechnet etwa 114 € im Jahr hat sie dazu geführt, dass immer mehr für den Welt- für das Überleben der Bauern (Zeit, 9.1.2019). markt produziert wird. Weil so viel Geld aus der öffentlichen Hand in die Gleichzeitig bringt diese Entwicklung einen immen- Landwirtschaft fließt, um die Einkommen der Land- sen Druck auf die Umwelt und das Klima mit sich. Die wirte zu stützen, und sich gerade die negativen Heft I-2020 Tarantel Nr. 88 3
Landwirtschaft im Umbruch Anteil des Ein- kommens in der Landwirtschaft durch Subven- tionen (2010–2012) Quelle: https://www. zeit.de/wirtschaft/ 2014-05/ landwirtschaft- subventionen Umweltauswirkungen aus der Landwirtschaft immer Art der Prämie Euro je Hek- stärker erhöhen, wird dies in der öffentlichen Meinung tar Fläche immer stärker thematisiert. Basisprämie je Hektar Fläche 195 Aus diesem Grund wurde schon seit geraumer Zeit Prämie für Umweltleistungen sog. Greening 85 versucht, die Agrarförderung umweltfreundlicher zu Zuschlag für kleinere und mittlere Betriebe machen. Das ganze Fördersystem der GAP wurde bis 90 ha Gesamtfläche dadurch immer komplizierter und detaillierter. Für den 1. Bis 30. ha 50 Neben der ersten Säule der GAP mit den Instrumen- Für den 30. Bis 46. Ha 30 ten der Direktzahlungen und der Marktpolitik, dient die zweite Säule der GAP mit dem Europäischen Landwirt- Zuschlag für Junglandwirte bis 40 Jahre alt, schaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums auf bis zu 90 ha Fläche, für 5 Jahre lang 44 (ELER) der Stärkung der ländlichen Regionen und der Agrarumweltmaßnahmen. Dort werden Maßnahmen gefördert, die weiter gehen als im sogenannten „Gree- Quelle: BML, 2015, https://www.bmel.de/SharedDocs/Down- ning“ der Direktzahlungen vorgeschrieben. loads/Broschueren/UmsetzungGAPinD.pdf?__blob=publicati- Die einzelnen Mitgliedsstaaten in der EU wie auch onFile) die einzelnen Bundesländer in föderalen Mitglieds- staaten haben die Möglichkeit, das Fördersystem nach viel besser für die Umwelt und das Klima ist, nur lang- eigenen Interessenlagen zusammenzustellen und zu sam. erweitern. Das birgt gerade in Deutschland, wo zwi- Nach Angaben des BMEL wurden 2018 in Deutsch- schen Ost- und Westdeutschland erhebliche Unter- land 9,1 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flä- schiede in den Agrarstrukturen bestehen, zusätzliches che nach den Prinzipien des Ökologischen Landbaus Konfliktpotential. bewirtschaftet (siehe Abb. 1). Je nach Bundesland hat In Deutschland kommen die obligatorischen Direkt- der Ökolandbau eine unterschiedliche Bedeutung. Mit zahlungen der ersten Säule zur Anwendung, d. h. die hohen Anteilen ökologisch bewirtschafteter Fläche tra- Basisprämie, die Greening-Prämie, die Junglandwirte- ten im Jahr 2018 das Saarland (16,5 Prozent), Hessen prämie mit Zuschlägen. (14,7 Prozent), Baden-Württemberg (14,0 %) und Bran- Der gegenwärtige Stand der Direkt-Subventionen denburg (12,3 Prozent) hervor, während in Niedersach- je Hektar Fläche in der 1. Säule für Deutschland für sen (4,1 Prozent), Nordrhein-Westfalen (5,9 %) und konventionell wirtschaftende Betriebe ist aus oben Thüringen (6,0 %) der Ökolandbau einen geringeren stehenden Tabelle ersichtlich. Zudem gibt es noch Anteil hatte (BMEL 2019). die Förderung des Ökologischen Landbaus. Auch hier Die Entwicklung der Flächen und der Anzahl der haben die Bundesländer die Möglichkeit die Höhe Betriebe des Ökologischen Landbaus in Deutschland. der Förderung ihren Interessen gemäß anzupassen. Im Haushalt der EU-Staaten werden 2020 turnus- Trotz dieser in manchen Ländern lukrativen Förderung mäßig die Agrarsubventionen in ihrer Höhe und Ver- wächst der Ökologische Landbau, der messbar sehr teilung im Rahmen der GAP neu festgesetzt werden. 4 Tarantel Nr. 88 Heft I-2020
Landwirtschaft im Umbruch Direktsubventio- nen der EU in der Landwirtschaft Quelle: BMEL 2019, http://www.bmel.de/DE/ Landwirtschaft/ Nachhaltige-Landnut- zung/Oekolandbau/_ Texte/ OekologischerLandbau Deutschland.html (2.4.2019); BMEL 2019, Strukturdaten zum Ökolo- gischen Landbau für das Jahr 2018 Es wird wiederum keine zentralen Vorschriften zu den Agrarsystem trägt jedoch zur Klimakatastrophe bei. jetzt „Eco-schemes“ genannten Anforderungen bei den 2017 wurden in Deutschland 7,3 Prozent der Emissio- Direktzahlungen, die das wirkungslose „Greening“ von nen an CO2-Äquivalenten aus dem Sektor Landwirt- 2013 ersetzen sollen, geben. Jedes Mitgliedsland soll schaft emittiert. Gut 40 Prozent dieser Emissionen sein GAP-Strategiepapier selbst erarbeiten. Es wird vor- kamen aus der Tierhaltung und dem Wirtschaftsdün- geschlagen, ab 60 000 € Subventionen je Betrieb diese ger (Methan) und gut 30 Prozent davon aus den Böden jährlich abzuschmelzen. Bei über 100 000 € Förderung (Stickstoffoxide, Lachgas und Kohlendioxid). je Betrieb soll gekappt werden. Dagegen sprechen Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, vor sich gegenwärtig sowohl die deutsche Regierung als denen die Menschheit steht, ist es also dringend auch viele NGOs aus. Es haben sich 20 Verbände unter erforderlich, das Agrarsystem (als Teil des gesamten Federführung von BUND, AbL und EuroNatur zusam- Wirtschaftssystems) grundlegend zu verändern. Die mengefunden, die mit den französischen Verbänden Landwirtschaft der Zukunft kann und muss Klima- kooperieren. Sie haben Vorschläge gemacht, welche schützer sein, indem sie als Kohlenstoffsenke dient. Veränderungen bei der GAP notwendig sind. Es wird Um dies zu erreichen, muss die Agrarpolitik, auch die vorgeschlagen, mindestens 30 Prozent der Direktzah- GAP der EU, Schritt für Schritt grundlegend verändert lungen von Ökovorschriften abhängig zu machen. werden. Dies wird nicht gehen ohne grundlegende Mit diesen Vorschlägen wird das gegenwärtig prak- Transformationen auch in anderen Bereichen. tizierte Agrarsystem kaum verändert werden. Dieses Was wollen NGOs an den Agrarsubventionen ändern? Götz Brandt Leitlinien für eine „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) Die Begründungen für die Notwendigkeit der Subven- wurden in Europa bereits 1958 erarbeitet und 1962 tionen sind vielfältig: erstmals beschlossen. Seitdem erhalten die Bauern f Im Zusammenhang mit der zunehmenden Globali- Europas Subventionen. Insgesamt erhält Deutsch- sierung der Agrarmärkte will man ein „Marktversa- land aus den EU-Mitteln in Höhe von etwa 60 Mrd. € gen“ der europäischen Landwirtschaft vermeiden. 6,2 Mrd. €, davon in der 1. Säule (Direktzahlungen Die Produktionskosten der europäischen Bauern je ha) 4,05 Mrd. €. In der 2.Säule, etwa 30 Prozent sind im Vergleich zu Ländern in Amerika nicht kon- der ausgegebenen Mittel, werden 1,35 Mrd. € an die kurrenzfähig und müssen ausgeglichen werden. Landwirte, Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie, f Im EU-Raum sollten die Nahrungsmittel verbilligt staatlichen Dienststellen zur „Förderung der ländli- werden, damit auch Geringverdiener leben können. chen Entwicklung“ (ELER) verteilt. Die Industrie kann dann Niedriglöhne einführen, Heft I-2020 Tarantel Nr. 88 5
Landwirtschaft im Umbruch Getreideernte in der Altmark (Hohenberg- Krusemark). und damit steigt ihre Konkurrenzkraft. Deutschland und Streuobstwiesen, eine hohe Kulturvielfalt im hat den niedrigsten gesetzlichen Mindestlohn der Anbau, der Umbau der Tierhaltung auf Stroheinstreu, Industriestaaten Mitteleuropas. Der Staat kann mit mehr Tierschutz und mehr Platz für die Tiere und niedrigen Hartz-IV-Alimenten die arbeitslose Bevöl- Auslauf, der Stopp des Biodiversitätsverlusts, die kerung ruhigstellen. Reinhaltung von Wasser und Luft sowie Klimaschutz- f Das Einkommen der Bauern wird auf einer Über- maßnahmen. Bei minimaler Bodenbearbeitung, lebenshöhe gehalten. Zwar werden durch die Ver- umfangreichem Maisanbau und Precision Farming teilung nach Fläche die Großbetriebe bevorzugt, soll dagegen keine Förderung gewährt werden. weil sie weniger Arbeitskräfte je Fläche haben, aber f Es ist ungerecht, dass derjenige, der viel Land hat, es reicht auch noch für die kleinen und mittleren auch viel bekommt. Pressemeldungen belegen das: Betriebe, die noch von den Bundesländern Unterstüt- Etwa 10 Prozent der Betriebe mit dem höchsten zung bekommen. Im Durchschnitt wird das Einkom- Einkommen erhalten die Hälfte der EU-Direktzah- men der Bauern zu 40 Prozent aus den EU-Mitteln lungen. 125 Subventionsempfänger erhielten mehr gedeckt. Ohne diese Subventionen würden alle als 1 Mio € je Betrieb. 80 Prozent der Subventionen Bauern pleitegehen und nur die Agrar-Industrie-Un- erhielten 20 Prozent der Betriebe. 500 Unterneh- ternehmen würden überleben. In anderen Ländern men erhalten mehr als 500 000 €. Vorgeschlagen sind die Subventionen für die Bauern noch höher: wird deshalb eine Deckelung bei 100 000 € Sub- Norwegen – 62,3 Prozent, Schweiz – 62,9 Prozent, ventionen je Betrieb, was 2 Prozent der Betriebe Japan – 47,8 Prozent des Einkommens. treffen würde. Nun kann man Landwirtschaftsbe- f Eine weitere Begründung ist die Sicherung der Ver- triebe auch teilen, kleiner machen, selbständig wirt- sorgung und der Qualität der Nahrungsmittel. Die schaften lassen und damit einen solchen Vorschlag Umweltauflagen der EU sind nämlich höher und unterlaufen. Es ist schon verwunderlich, dass keine verursachen höhere Kosten als Importprodukte aus Vorschläge von den NGOs kommen, die eine Ver- Amerika oder anderen Kontinenten. teilung pro Kopf nach Arbeitskräften verlangen. In Viele NGOs verurteilen die jetzige Verteilung und Art. 39 des Vertrages zur GAP war vor 60 Jahren machen Änderungsvorschläge. Es haben sich 20 Ver- bereits festgelegt worden, dass „der landwirtschaft- bände unter Federführung von BUND, AbL und lichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung EuroNatur zusammengefunden, die mit den französi- des Pro-Kopf-Einkommens … eine angemessene schen Verbänden kooperieren. Sie haben Vorschläge Lebenshaltung zu gewährleisten“ ist. Denn es muss gemacht, welche Veränderungen bei der GAP not- ja nicht die Fläche überleben, sondern die Menschen wendig sind. Es wird vorgeschlagen, mindestens und die Bauernhöfe müssen erhalten bleiben. Bäuer- 30 Prozent der Direktzahlungen von Ökovorschriften liche Betriebe haben eine viel höhere Personalaus- abhängig zu machen. stattung als Agrar-Industrie-Betriebe. Zudem haben f Belohnt werden sollen eine extensive Grünland- und sie meist keine Verengung der Fruchtfolge wie die Ackerwirtschaft, der Verzicht auf Mineraldünger und Großbetriebe, die oft nur Druschfrüchte anbauen Pestizide, die Anlage von Blühstreifen, Lichtäckern und kein Vieh halten, also wenige Arbeitskräfte 6 Tarantel Nr. 88 Heft I-2020
Landwirtschaft im Umbruch brauchen. Es liegt also nahe, die Forderung nach f Die 2. Säule der Agrarsubventionen, die 24 Prozent Verteilung pro Kopf nach Arbeitskräften aufzustel- der ausgegebenen Mittel umfasst, wird zu wenig len. für Umweltmaßnahmen und Klimamaßnahmen ein- f Die Exportsubventionen der EU für Landwirtschafts- gesetzt. Bisher wurden damit Investitionen in den produkte wurden zwar abgeschafft, aber die euro- Betrieben unterstützt, die Dorferneuerung mitfinan- päischen Bauern können ihre Produkte billiger ziert und der Hochwasser-und Küstenschutz verbes- herstellen als z. B. die Bauern in Afrika, die keine sert. Diese Mittel müssen für den Biolandbau und Subventionen bekommen. Dieser Zustand, der den Klimaschutz eingesetzt werden. zum Niedergang der afrikanischen Landwirtschaft f Es gibt von den NGOs keine Bemerkungen zum Struk- führt, ist ungerecht. Früher wurde gegen die Agrar- turwandel in der Landwirtschaft, dem Höfesterben. subventionen für den Export gewettert, heute, wo Das wird nur von den Bauernverbänden beklagt, die sie weggefallen sind, kommen keine Vorschläge, aber auch keine konkreten Vorschläge machen, wie wie man die afrikanischen Bauern retten kann. dieser seit Jahrzehnten sich beschleunigende Wan- Die abgeschlossenen Freihandelsverträge lassen del hin zu größeren Betrieben zu stoppen wäre. Der einen ungehinderten Import zu. Allerdings haben Wegfall von weit über einer Million Arbeitsplätzen die europäischen Bauern Angst vor dem Abschluss ist für die Politik kein Thema, wo Gegenmaßnahmen des Mercosur-Vertrages mit Ländern Südameri- ergriffen werden müssten. Das wird von der CDU/ kas. Industriezölle für EU-Produkte entfallen, die CSU als gottgegeben hingenommen. Die Subventi- Landwirtschaft Südamerikas erhält Zugang zum onspolitik der EU hat den Strukturwandel jedenfalls EU-Markt. Die dortigen Agrarbetriebe arbeiten mit beschleunigt, also war das so beabsichtigt. niedrigeren Kosten als die europäischen Bauern und f Ein weiterer in den Vorschlägen nicht berück- ohne die hohen Sozial-, Umwelt- und Verbraucher- sichtigter Punkt ist die Zahlung von Prämien an standards der EU. Dann würde es den europäischen Betriebe der Nahrungsgüterindustrie, die Zahlung Bauern so ergehen wie denen in Afrika. großer Beträge an Agrar-Holdings, die nur Mais und f Die Agrar-Direkt-Subventionen haben keine Wirkung Getreide anbauen und an staatliche Einrichtungen, hinsichtlich der Erhaltung der Umwelt und müssen die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben. Diese an ökologische Forderungen geknüpft werden. Wer- sollten von Prämien ausgeschlossen werden. den diese nicht erfüllt, dann dürfen die Zahlungen Die Partei DIE LINKE stimmt mit den Forderungen pro Fläche nicht erfolgen, so die Forderung der der NGOs weitgehend überein. Zusätzlich bringt sie NGOs. Hier geht es darum, die ausgeräumte Land- noch in die Diskussion ein: Flächengebundene Tier- schaft wieder mit Hecken und Waldstreifen für haltung, Deckelung der Tierbestandsgrößen, Zugang Tier- und Insektenleben günstiger zu gestalten, eine der Bauern zum Boden und Verhinderung von Boden- vielgliedrige Fruchtfolge mit dem gleichen Ziel vor- spekulation, Finanzierung von Ausbildungsplätzen, zuschreiben. Nur umweltfreundliche Betriebe soll- Weidetierprämie und Anreize für eine europaeigene ten Subventionen erhalten. Dafür müssen Anreize Eiweißfutterproduktion. geschaffen werden. Gemeinhin ist die EU beratungsresistent gegenüber f Die Förderung des Ökolandbaus müsste verstärkt NGO-Forderungen und es ist nicht damit zu rechnen, werden. Nur dann wird auf Pestizide, insbesondere dass alle diese richtigen Vorschläge berücksichtigt Glyphosat, und Mineraldünger verzichtet und der werden. Solange es keine kostendeckenden Preise, Boden könnte wieder Humus aufbauen. Die Qualität verbunden mit einem angemessenen Gewinn für die der Nahrungsmittel würde sich verbessert. Landwirtschaft gibt, werden die Bauern am Tropf der EU auch weiterhin hängen bleiben. „Buen vivir“ – was ist das? Das Konzept „Buen vivir“ wurde in den neuen Ver- um „gemeinschaftliches Zusammenleben auf nie- fassungen von Ecuador (2008) und Bolivien (2009) mandes Kosten“, um das solidarische Zusammenle- verankert. Der Begriff stammt aus der falschen Über- ben der Völker miteinander und mit der Natur, also setzung für den Ausdruck „sumaq kawsay“ aus der um „Buen convivir“, wie die richtige Übersetzung Quechua-Sprache (Ecuador) oder für „suma qamaña“ lauten müsste. Es geht also nicht darum, immer bes- aus der Aymara-Sprache (Bolivien) in die spanische ser leben zu wollen, sondern um eine solidarische, Sprache. Es geht um mehr als „gutes Leben“, nämlich soziale und ökologische Ökonomie ohne Wachstum. Heft I-2020 Tarantel Nr. 88 7
Landwirtschaft im Umbruch Bodenfruchtbarkeit sinkt – Erträge stagnieren Götz Brandt Bodenfruchtbarkeit ist der Gehalt an Humus in den obe- verwertet und nicht dem Acker zugeführt. Ernterück- ren Schichten (bis 30 cm) der Ackerkrume. Humus ist stände sind lästige Kostenfaktoren und werden nicht verantwortlich für die Versorgung der Pflanzen mit Nähr- mehr zu Humus verarbeitet. Die Humusbildung hat stoffen, die Bindung von Wasser, die Durchlüftung des keinen Marktpreis und wird deshalb unterlassen. Die Bodens und als Substrat für das Leben der Bodenlebe- von der Regierung beschlossene „Nationale Biodiversi- wesen, von denen sich durchschnittlich 1,6 Billionen in tätsstrategie“ von 2007 zeigte keine Wirkung. einem Quadratmeter Ackerkrume befinden (Bakterien, Die industriemäßige landwirtschaftliche Produktion Pilze, Würmer, Larven, Milben, Springschwänze, Schne- nimmt keine Rücksicht auf die Bodenfruchtbarkeit. Der cken, Asseln, Spinnen, usw.). Im Humusgehalt eines Humusabbau hat verschiedene Gründe. Früher wurde Bodens drückt sich seine Fruchtbarkeit aus. Humus von den Bauern das Getreidestroh gewonnen und als besteht zu 58 Prozent aus Kohlenstoff. Der Kohlenstoff- Einstreu in den Ställen und als Futter genutzt. Als Stall- gehalt ist der Maßstab für die Fruchtbarkeit der Böden. mist wurden dann, meist beim Kartoffelanbau, die von Bereits Engels hatte erkannt, dass „die rationelle den Tieren „veredelten“ Pflanzenreste als Humus dem Agrikultur mit dem kapitalistische System unverträg- Boden wieder zugeführt. Bei industrieller Ernte von lich ist“ (Engels, F. MEW 25, S. 131) und jeder Fort- Getreide mit dem Mähdrescher wird heute das Stroh schritt der kapitalistischen Agrikultur ein Fortschritt in der Regel gehäckselt auf dem Acker hinterlassen. in der Kunst ist, den Boden zu berauben (Engels, F. Früher wurden die Stoppeln geschält und in den Boden MEW 23, S. 525). Der Kapitalismus kann sich nur erhal- eingebracht. Heute liegen in Europa 50 Prozent der ten, wenn er die Natur zerstört. Ackerflächen im Winter unbearbeitet brach und wer- Diese Erkenntnisse sind der Grund, warum sich den erst im Frühjahr bearbeitet. Früher wurden als Marxisten nicht wundern, wenn das Bundesumwelt- Überbrückung bis zur Frühjahrsbestellung Zwischen- amt feststellt: Seit etwa 20 Jahren stagnieren in früchte ausgesät und dann als Grün-Dung unterge- Mitteleuropa die Bodenerträge und der Humusge- pflügt. Die Bauern haben früher dafür gesorgt, dass die halt der Böden sinkt. Auch international, so Berichte Bodenfruchtbarkeit erhalten bleibt. Heute wird jeder der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisa- Arbeitsgang zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit ver- tion der UN), gibt es einen Stillstand der Ertragsent- mieden, weil er ja Kosten verursacht. Aber eine rein wicklung. Das Ertragspotenzial neu gezüchteter Sorten mineralische Düngung führt zu Kohlenstoffverlusten. ist ausgereizt, ein Übermaß an Stickstoffdünger bringt Der Boden wird, wie im Gartenbau (Steinwolle, Kokos- keine Ertragssteigerung mehr, die industrielle Agri- fasern) üblich, nur noch als „totes“ Substrat behandelt, kultur stößt an ihre Grenzen. Die Bodenfruchtbarkeit das die Pflanzenwurzeln, den mineralischen Dünger nimmt international bei industrieller Produktionsweise und Wasser aufnimmt. ab. Bei der gegenwärtig weiteren Zunahme der Bevöl- Durch die industriellen Anbaumethoden wird mehr kerung ist dies keine gute Nachricht. Nitrat ausgewaschen, und es entsteht dadurch mehr 78 Prozent der Böden haben einen Kohlenstoffge- Lachgas, welches sich stark auf das Klima auswirkt. halt von unter 4 Prozent, einem Wert, der noch eine Dagegen kompensieren 10 Hektar Zwischenfrucht- normale Bodenfruchtbarkeit anzeigt. Der Trend in anbau die jährlichen Schadgasemissionen eines Deutschland ist, dass im Durchschnitt jährlich von Bundesbürgers. Damit könnte die Landwirtschaft die jedem Hektar Fläche 0,25 t Kohlenstoff verschwinden. Erderhitzung mildern. Das Problem ist, dass Boden 10- bis 40-mal schnel- In der biologischen Landwirtschaft wird versucht, ler verloren geht, als er erneuert werden kann. Der den Humusgehalt der Böden zu verbessern. Das erfolgt Humusgehalt des Bodens muss also sorgsam gepflegt durch eine hohe Kulturvielfalt, strenge Fruchtfolge- werden. Das ist in der industriellen Landwirtschaft regeln, Humusanreicherung durch Klee-Gras-Anbau aber nicht der Fall und unter kapitalistischen Verhält- und Zwischenfrüchte, Stallmistproduktion und ein Ern- nissen auch nicht möglich. terückständemanagement – alles Maßnahmen, die die Bisher war man zuversichtlich, dass die Erträge industrielle Landwirtschaft nicht kennt. Humuserhal- durch den Zuchtfortschritt, die Gentechnik, die erhöhte tung ist auch eine wichtige Aufgabe des Biolandbaus. Düngung, insbesondere mit Stickstoff und die Vermei- Das sichert unsere Ernährungsgrundlage. dung von Ertragsverlusten durch Unkrautbekämpfung mit Pestiziden weiter steigen würden. Aber die Boden- Auch die Natur wartet auf die Revolution. reststoffe wurden vermehrt in den Biogasanlagen Herbert Marcuse, 1972 8 Tarantel Nr. 88 Heft I-2020
Landwirtschaft im Umbruch Nur Ökolandbau kann zukünftig die Welt ernähren! Götz Brandt Erst in den letzten 200 Jahren hat die Weltbevölkerung Kopf von 0,33 (1986) auf 0,15 ha im Jahre 2050 absin- explosionsartig zugenommen. Nach UNO-Schätzung ken (Ökosystem Erde 2019). gab es vor 2000 Jahren nur etwa 300 Mio. Menschen auf Hinzu kommt, dass auch die Fruchtbarkeit der Böden der Erde und vor 500 Jahren waren es auch erst 500 Mio. abnimmt. Der Humusgehalt der Böden ist die Grund- Menschen. Dann setzte ein rapides Bevölkerungswachs- lage der Bodenfruchtbarkeit. Humus hält Wasser und tum ein. 1800 – 1 Mrd., 1927 – 2 Mrd., 1960 – 3 Mrd., Nährstoffe im Boden fest und gibt sie langsam ab. Der 1964 – 4 Mrd., 1987 – 5 Mrd., 1999 – 6 Mrd. (UNDESA Humusgehalt nimmt vor allem wegen der zunehmend Population Division 2007), 2012 – 7 Mrd., 2017 – 7,5 Mrd. industriell geführten Landwirtschaft weltweit ab. Humus (Countrymeters 2020). Das Bevölkerungswachstum wird durch große Mengen Mineraldünger „ersetzt“. Das wird sich wohl noch bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird zunehmend auch in Deutschland so gemacht. fortsetzen. Dann könnten 10 Mrd. Menschen die Erde Fazit: Eine zunehmende Weltbevölkerung muss bei bevölkern (Statista, 2020). Alle diese Menschen wollen abnehmendem Umfang und geringerer Qualität der satt werden. Gegenwärtig ist das jedenfalls nicht der Ackerflächen ernährt werden. Um die Weltbevölkerung Fall, denn 850 Mio. Menschen hungern und 1 Mrd. sind bei dem gegenwärtig sehr hohen Fleischverzehr in eini- unterernährt. Diese Menschen können sich nicht des- gen Ländern satt zu bekommen, müssten die Hektarer- halb ausreichend ernähren, weil die erzeugten Lebens- träge bei Getreide stetig gesteigert werden: Von 2,64 t/ mittel nicht für alle reichen würden, sondern weil ihnen ha im Jahre 2000 auf 3,6 t/ha im Jahre 2025 und auf 4,6 die Mittel fehlen, sich welche kaufen zu können. Die t/ha im Jahre 2050 (Universität für Bodenkultur 2013). kapitalistische Wirtschaftsordnung ist die Ursache. Die Erträge müssten verdoppelt werden. Die Überle- Die Menge der Nahrungsmittel, die gewonnen wer- bensfrage ist, wie kann das erreicht werden? den können, hängen vom Umfang und der Produktivi- In den USA hat die Rockefeller-Stiftung in den 60er tät der Land- und Gewässerflächen ab. Während die Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnen, den Gewässerflächen durch Meeresspiegelanstieg infolge amerikanischen Weg der Ertragssteigerung auf land- der Erderhitzung zunehmen, kommt es gegenwärtig wirtschaftlichen Flächen in andere Länder zu exportie- und zukünftig zu einer Abnahme der Ackerflächen. Der ren, um Hungersnöte zu vermeiden. Mexiko und Indien Zeitpunkt des größten Umfangs ackerbaulich genutzter waren die ersten Experimentierfelder. Es wurden Flächen (Peak soil) wurde bereits in den 80er Jahren des Hochertragssorten, Kunstdünger, Pestizide, Maschi- vergangenen Jahrhunderts erreicht (Montgomery, D. R. nen und Knowhow in diese Länder gebracht und zuerst 2010). Weltweit nimmt die Degradation der Böden zu bei Weizen und Mais erprobt – ein großes Geschäft für und umfasste 2008 bereits 38 Prozent (2 Mrd. ha) aller die Agrarmultis. Die Erträge stiegen in den folgenden Böden, wie aus Berichten des Weltagrarrats (Interna- Jahrzehnten und Hungersnöte konnten vermieden wer- tional Assessment of Agricultural Knowledge, Science den. Allerdings entstanden Umweltschäden durch den and Technology for Development) hervorgeht (IAASTD massiven Pestizideinsatz. Es erfolgte eine Dezimie- 2009). Ertragseinbußen und Verlust an Böden entste- rung der Artenvielfalt, die Anfälligkeit der Kulturpflan- hen durch Wassererosion, Winderosion, Überweidung, zen gegen Schädlinge durch die zu schmale genetische Kontamination, Versalzung, Verdichtung und chemische Basis erhöhte sich, die Grundwasservorräte gingen zur und physikalische Degradation durch landwirtschaftli- Neige und die Bodenfruchtbarkeit nahm ab. So begin- che Bearbeitung (WBGU 1994). In Deutschland beträgt gen über 100 000 Kleinbauern in Indien Selbstmord, die mittlere Bodenerosionsrate 8 bis 10 t Boden je Hek- weil sie nicht so rentabel wirtschaften konnten wie die tar und übertrifft damit die jährliche Bodenbildungsrate großen Betriebe (Kaur, J. 2015). Dieser Weg zur Stei- von etwa 2 t/ha um das Fünffache (Graßl, H. 1997). gerung der Erträge war weder umweltfreundlich noch Jährlich gehen weltweit 10 Mio. ha Ackerflächen durch nachhaltig, weil sich die Hochertragssorten als nicht Erosion verloren (Löwenstein, F. 2015). Auch Versalzung überlebensfähig erwiesen. Die indische Regierung führt bei bewässerten Flächen zu Ertragseinbußen oder empfahl den Bauern, wieder zu den alten bewährten sogar Verlust der Flächen. Salze verdunsten nicht, son- Methoden der Bewirtschaftung zurückzukehren. dern reichern sich im Boden an und werden nicht ausge- Der Weg der Industrialisierung der Landwirtschaft, waschen. Jedes Jahr werden weltweit 15 000 km² durch um die Erträge zu steigern, kommt nur in den Ländern Versalzung unbrauchbar (Ökosystem Erde 2016). voran, in denen die Kleinbauern und Hirten verdrängt Bei weiter wachsender Bevölkerung und gleichblei- und Großbetriebe gebildet werden. Jedoch 85 Pro- bender Erosion der Böden wird die Ackerfläche pro zent der weltweit bewirtschafteten Bauernhöfe haben Heft I-2020 Tarantel Nr. 88 9
Landwirtschaft im Umbruch weniger als 2 ha Land und bewirtschaften 65 Prozent Mineraldüngergaben zurückgefahren werden und Pes- der weltweiten Anbaufläche (IAASTD 2009). Diese Bau- tizide vom Acker verschwinden (Greenpeace 2017). ern kann das Kapital nicht direkt ausbeuten. Sie können Bereits 2010 hat die Ökologische Plattform in sich weder neues Saatgut, noch Maschinen, Mineral- der Broschüre „Zukunftsgerechte Landwirtschaft dünger oder Pestizide kaufen, noch auf ihren kleinen in Deutschland“ in der Reihe „Beiträge zur Umwelt- Flächen einsetzen, noch haben sie Zugang zu den politik“ (Bimboes, D.; Brandt, G.; Scheringer-Wright, J. Forschungsergebnissen der Industrieländer. Für diese 2011) eine Antwort auf die Frage gegeben, wie wir bei Betriebe geht es auch gar nicht um eine Senkung der sinkenden Bodenflächen und Verzicht auf Überdün- Stückkosten je Ertragseinheit und die Steigerung der gung und Pestizideinsatz unsere Bevölkerung ernäh- Produktivität je Arbeitskraft, sondern um die Steigerung ren können. Die kurze Antwort ist: Wir müssen unsere der Erträge. Da 70 Prozent aller Hungernden auf dem Ernährungsgewohnheiten umstellen und nur noch Lande leben, ist eine Bekämpfung des Hungers vor Ort die Nahrungsmittelmengen essen, die die Deutsche und eine andere Art der Unterstützung der Kleinbauern Gesellschaft für Ernährung (DGE 2009) empfiehlt: ein erforderlich. Dazu formuliert der Weltagrarbericht 2010 Drittel des gegenwärtigen Fleischverzehrs, nur noch in seinen „10 Einsichten und Herausforderungen“ klare Zweidrittel bei Milchprodukten und die Hälfte beim Leitlinien für Politik und Wirtschaft (GLS 2010). Verzehr von Eiern (Woitowitz, A. 2007). Dann ernähren Auch in den Industrieländern treten die Nachteile wir uns gesund. Vor 100 Jahren hat sich die Bevölke- der industriellen Landwirtschaft immer deutlicher her- rung so ernährt, und es gab weniger Übergewichtige, vor. Die hohe Schadstoffabgabe an die Umwelt wird Diabetiker und Ernährungskrankheiten. Aufgabe der zunehmend zum Problem, ebenso die Verminderung Politik ist es also, die Landwirtschaft auf den Weg zur der Sortenvielfalt bei Pflanzen und Tieren, die fort- Ökologie zu führen und die Bevölkerung zur gesunden schreitende Bodenzerstörung, die Nitratauswaschung Ernährung zu drängen. Das kann aber nur eine antika- in Trinkwasserfördergebieten, die Kontamination mit pitalistische Regierung konsequent durchsetzen, denn Pflanzenschutzmitteln und das Insektensterben, die nur eine solche würde den Einfluss der Agrarmultis auf wachsende Emission an Klimagasen und der hohe die Landwirtschaft unterbinden. Energieverbrauch, die Aufgabe der Fruchtfolgen zugunsten von Monokulturen, der sinkende Humus- Literatur gehalt der Böden und weitere Schäden. Das heißt, die Bimboes, Detlef; Brandt, Götz; Scheringer-Wright, Johanna (2011): industrielle Landwirtschaft hat keine Zukunft. Mittler- Zukunftsgerechte Landwirtschaft in Deutschland. – Beiträge zur weile stagnieren die Erträge bei Raps und Getreide Umweltpolitik 1/2010. – Berlin: Ökologische Plattform bei der Par- tei DIE Linke, Bundesarbeitsgemeinschaft Agrarpolitik und länd- trotz hohem Dünger- und Pestizideinsatz. Resistenzen licher Raum beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE. – https:// bei Insekten und Pilzen sind flächendeckend nach- www.oekologische-plattform.de/wp-content/uploads/2011/12/ bzu_2010-1.pdf (2020-04). weisbar (Topagraronline 2015). Mit neuen Wirkstoff- Countrymeters (2020): https://countrymeters.info/de (2020-04) gruppen und Wirkmechanismen ist nicht zu rechnen DGE (2009): Deutsche Gesellschaft für Ernährung. – Ernährungsbericht (LfULG 2014). Die Welt braucht also einen Paradigmen- 2008. wechsel hin zu einer „ökologischen Intensivierung“. Ein Family Farmers(2014): Feeding the world, caring for the earth. – FAO. Graßl, H. (1997): Brisante Mischung – Böden und globaler Wandel. – In: Übergang von der industriellen Produktionsweise zu Held, M. (Hrsg.): Zum nachhaltigen Umgang mit Böden. – Politische nachhaltigen erneuerbaren Produktionssystemen ist Ökologie 15, Sonderheft 10. – München: oekom, S. 12 16. GLS (2010): Zukunftsstiftung Landwirtschaft: Wege aus der Hungerkrise. notwendig (Family Farmers 2014). Die Erkenntnisse des Weltagrarberichts und seine Vorschläge für eine Viele Völker ernähren sich vorwiegend von Fischen Landwirtschaft von Morgen. – Gemeinschaftsbank für Leihen und und Meeresprodukten. Die Meere werden überfischt. Schenken. Greenpeace (2006): Ein globales Netzwerk von Meeresschutzgebieten. 90 Prozent aller Fischbestände sind bereits gefährdet. Roadmap to recovery: A Global Network of Marine Reserves – Deut- Viele Fischgründe sind erschöpft. Es fehlt ein globales sche Kurzfassung. https://www.greenpeace.de/themen/meere/ meeresschutzgebiete/ein-globales-netzwerk-von-schutzgebieten Netz von Schutzgebieten (Greenpeace 2006). Fast jeder (2020-04). zweite Fisch stammt heute aus Aquakultur. Bereits 2012 Greenpeace (2017): Kursbuch Agrarwende 2050 – ökologische Landwirt- schaft in Deutschland. – https://www.greenpeace/sites/www.green- wurden mehr Nahrungsmittel aus Aquakultur erzeugt peace.de/files/publications/20170105_agrarwende_2050_lf.pdf als aus der Rindfleischproduktion. Aber auch bei der (2020-04). Aquakultur werden Antibiotika und Pestizide eingesetzt IAASTD (2009): Agriculture at a Crossroads – Report. Vol. I–V, – Washing- ton, Covelo, New York: Island Press. und Fische verfüttert (Ökosystem Erde 2014). Kaur, Jasleen (2015): Die grüne Revolution in Indien. – https://www.prezi. Wird ein Kurswechsel hin zu einer ökologischen com/iq1mtibulght/die-grune-revolution-in-indien/ (2020-04). Landwirtschaft vollzogen ‒ was bei den gegenwärtigen LfULG (2014): Resistenzen gegenüber Pflanzenschutzmitteln. – Schriften- reihe, Heft 5/2014. – https://publikationen.sachsen.de/bdb/artrikel/ politischen Kräfteverhältnissen wenig wahrscheinlich 21133 (2020-04). ist ‒ dann muss mittelfristig damit gerechnet werden, Löwenstein, F. (2015): Es ist genug da. Für alle. dass die Erträge um 30 bis 40 Prozent sinken, weil 10 Tarantel Nr. 88 Heft I-2020
Landwirtschaft im Umbruch Montgomery, David R. (2010): Dreck. Warum unsere Zivilisation den Topagraronline (2015): Themen/Antibiotika-Resistenz. – 12. 5. 2015. – Boden unter den Füssen verliert. https://www.topagrar.com/themen/antibiotika-resistenz-10108295. Ökosystem Erde (2014): Die Plünderung der Meere. http://www.oekosys- html (2020-04). tem-erde.de/html/ueberfischung.html (2020-04). UNDESA Population Division (2007): World Population Prospects. The Ökosystem Erde (2016): Die Zerstörung der Böden. – http://www.oeko- 2006 Revision. Executive Summary. – New York: United Nations. system-erde.de/html/bodengefaehrdung.html (2020-04). Universität für Bodenkultur Wien (2013): Department für nachhaltige Agrar- Ökosystem Erde (2019): Die Folgen der Industriellen Landwirtschaft. systeme. – https://www.naturland.de/images/Erzeuger/Fachthemen/ www.oekosystem-erde.de/html/industrielle_landwirtschaft_02.html Fachveranstaltungen/11-2013_Bodenfruchtbarkeit (2020-04 nicht (2020-04). mehr verfügbar) Statista (2020): Prognose zur Entwicklung der Weltbevölkerung von 2010 WGBU (1994): Welt im Wandel: Gefährdung der Böden. Berlin. bis 2100 (in Milliarden). – https://de.statista.com/stratistik/daten/ Woitowitz, A. 2007: Auswirkungen einer Einschränkung des Verzehrs von studie/1717/umfrage/prognose-zur-entwicklung-der-weltbevoelke- Lebensmitteln tierischer Herkunft auf ausgewählte Nachhaltigkeits- rung (2020-04). indikatoren. Emissionen der Landwirtschaft senken Götz Brandt Die Landwirtschaft erzeugt, in den letzten 14 Jah- dort nachgelesen werden. Hier werden nur Vorschläge ren etwa gleichbleibend, jährlich (2018) 63,3 Mio. t unterbreitet, die über diese Ziele hinausgehen oder Kohlendioxid-Äquivalente. Das sind 7 Prozent der dort nicht enthalten sind. Gesamtemissionen Deutschlands. Darin nicht ent- halten sind die Treibstoffe für die Motoren, die Emis- Kohlendioxid sionen der Mineraldüngerherstellung, die Emissionen, die durch den Import von Futtermitteln (Soja von Wie oben schon berichtet, sind die Kraftstoffe, die abgebranntem Urwald) entstehen. Werden diese ein- in der Landwirtschaft verbraucht werden, nicht im gerechnet, wurden in der Literatur auch schon mal Bereich „Landwirtschaft“ mitgezählt worden. Bei der 100 Mio. t CO2-Äquivalente angegeben. Eine Beson- allgemeinen Forderung, dass wir aus der Nutzung von derheit der landwirtschaftlichen Emissionen ist, dass Erdöl aussteigen müssen, muss auch für die Landwirt- sie vorwiegend aus Methan (25-mal klimaschädlicher schaft untersucht werden, wie das am schnellsten als CO2) und Lachgas (300-mal schädlicher) bestehen. geht. Das BMEL macht keine Vorschläge zu diesem Dadurch resultieren 60 Prozent des Methans und bis Problem: „Nicht zuständig.“ zu 85 Prozent des Lachgases in Deutschland aus der Immerhin werden in der Landwirtschaft jährlich Landwirtschaft. Eine weitere Besonderheit ist, dass 1,6 Mio. t Diesel verbraucht, die zu Emissionen von etwa 50 Prozent der Emissionen aus der Tierhaltung etwa 4 Mio. t CO2 führen. Eine nicht zu vernachlässi- (Verdauung, Wirtschaftsdünger) stammen und hier gende Größe bei 35 Mio. t Diesel-Gesamtverbrauch in insbesondere von Wiederkäuern (Rindern, weniger von Deutschland. Diesel kann man durch Rapsöl ersetzen, Schafen) und deren Verdauung, die zum Ausrülpsen das weitgehend CO2-neutral produziert werden kann. von Methan führen. Ein natürlicher Vorgang, der sich Forschungen zu diesem Thema laufen seit 2002 mit nicht abstellen lässt. positivem Ergebnis. Die Traktorhersteller John Deere, Das BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Fendt und Deutz-Fahr bieten Traktoren an, die mit Landwirtschaft) hat auf der Grundlage des Klima- Rapsöl fahren. Diese Hersteller arbeiten an Rapsöl- schutzgesetzes von 2019 Klimamaßnahmen für die Motoren, die die Abgasstufe V einhalten. Außerdem Landwirtschaft in 10 Punkten formuliert. Damit sollen kann man fast jeden Trecker umbauen lassen. 20 Fir- gegenüber 2014 bis 2050 insgesamt 14 Mio. t CO2- men gibt es in Deutschland, die das machen. Jeder Äquivalente eingespart werden. Die Ziele sind sehr Landwirt könnte seinen Treibstoff selbst anbauen und allgemein formuliert und nicht durch konkrete Maß- brauchte dazu etwa 5 bis 10 Prozent seiner Acker- nahmen untersetzt. Aber die Einsparungen sind schon fläche. Er wäre dann unabhängig von Preisen und beziffert und schwanken zwischen insgesamt 10,4 und Lieferengpässen bei fossilen Treibstoffen. Pflanzenöl 25,3 Mio. t CO2. für Traktoren das gegenwärtig an 95 Tankstellen in Eine sehr gute Untersetzung und Kritik der 10 Deutschland neben den Ölmühlen getankt werden Ziele des BMEL mit konkreten Forderungen, die beim kann (1,25 €/l), ist zwar von der Treibstoffsteuer BMEL fehlen, lieferte der NABU (http://www.nabu.de/ (45 ct/l) befreit. Wird aber die Agrardieselbeihilfe natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/ (Steuererstattung) mit 21,48 ct/l und der gegenwärtig klimaschutz/25508.html). Diese Forderungen, mit niedrige Dieselpreis (1,30 €/l) bei Agrardiesel gegen- denen der Autor im Prinzip übereinstimmt, können gerechnet, dann ist Pflanzenöl gegenwärtig je nach Heft I-2020 Tarantel Nr. 88 11
Landwirtschaft im Umbruch Dieselpreis 10 bis 20 ct/l teurer. Das ist der Grund, Die gegenwärtige Förderung beim Biolandbau mit weshalb die Landwirte zurückhaltend sind bei der Nut- 250 €/ha (1. bis 5-Jahr) und nachfolgend von 210 €/ha zung von Rapsöl als Traktortreibstoff. Acker- und Grünland ist viel zu gering und muss erhöht Auf diesem Einspargebiet von CO2 sollte das BMEL werden. die Förderhebel richtig stellen und den Übergang zu Rapsöl als Traktorentreibstoff in wenigen Jahren rea- Methan lisieren. Die Steuerentlastung reicht nicht aus, sie muss erhöht werden auf 75 ct/l. Nur dann können In Deutschland leben 11,6 Mio. Rinder, davon 4,1 Mio. 4 Mio. t CO2 eingespart werden. Milchkühe. Über die Verdauung im Pansen der Tiere Ein weiteres Gebiet, bei dem viel CO2 entsteht, ist die wird Methan erzeugt, je Kuh 300 bis 500 Liter am Tag. Herstellung von Mineraldünger. Auch für dieses Gebiet Im Jahr ist das je Kuh so viel wie ein Mittelklassewagen ist das BMEL „nicht zuständig“. Verantwortlich zeigt bei 18 000 km Fahrweg im Jahr an Klimagasen aus- sich das BMEL nur für das Entweichen von Lachgas stößt. Deutsche Kühe stoßen weniger Methan aus als beim Ausbringen des Düngers. Aber die Mineraldün- der weltweite Durchschnitt, weil sie eine hohe Milch- gerherstellung ist eine Vorleistung der Industrie für die leistung haben, die nur durch leicht verdauliches Futter Landwirtshaft und muss dieser zugerechnet werden. (Getreide, Soja) erzielt werden kann. Dieses geht schnel- Spezifische Mineraldünger sind auch im Ökolandbau ler durch den Pansen und erzeugt weniger Methan. Bei zugelassen, die bevorzugt aus natürlichen Lagerstät- Heu- und Grasfütterung wird mehr Methan ausgesto- ten von Kaliumrohsalze, Kaliumsulfat, Magnesiumsul- ßen. Eine klimafreundliche, methanfreie Kuh ist eine fat und weicherdigen Rohphosphaten stammen. Nur Illusion, obwohl viele Wissenschaftler daran arbeiten, mineralische Stickstoffdünger sind nicht zugelassen. durch gezielte Fütterung den Methanausstoß zu senken. Die notwendige Stickstoffversorgung erfolgt über den Die Wiederkäuer erzeugen in Deutschland etwa Anbau von Leguminosen (Klee, Erbsen, Saubohnen, 30 Mio. t CO2-Äquivalente, fast die Hälfte der Emis- Lupinen) und über Wirtschaftsdünger (Stallmist, Jau- sionen, die der Landwirtschaft zugerechnet werden. che, Gülle). Eine Senkung dieser Emissionen ist nur durch weniger In der deutschen Landwirtschaft werden jährlich Verzehr von Rindfleisch und Milchprodukten realisier- etwa 1,5 Mio. t Stickstoffdünger eingesetzt. Diese wer- bar, was zu einer Abnahme der Bestände führt. Der den vorwiegend im Haber-Bosch-Verfahren gewonnen, Import und Export von Rindfleisch und Milchprodukten bei dem je Tonne Ammoniak (NH3), Ausgangsstoff aller muss unterbunden werden, damit ein geringerer Ver- Stickstoffdüngemittel, zwei Tonnen Kohlendioxid ent- zehr auch wirksam wird. weichen. Bei einem Einsatz von 1,5 Mio. t Stickstoff- Ein Weg, den Verzehr von Rindfleisch zu senken, düngemitteln (2019) sind das 3 Mio. t CO2, die allein ist die Verteuerung über eine höhere Mehrwertsteuer bei der Herstellung der Düngemittel entstehen. gegenüber anderen Fleischarten, die kein Methan Diese Klimagasemissionen können vollständig nur erzeugen. Das müssten schon 30 bis 50 Prozent durch Abkehr von der industriellen Landwirtschaft MwSt. sein, sonst hat das keine Lenkungswirkung. mit ihrem hohen Einsatz von Stickstoffdüngern hin Bernd Vogt (Vorstandssprecher des AgrarBündnisses, zur Biolandwirtschaft erreicht werden. Bereits 2002 16.1.2020) schlägt auch eine Erhöhung der MwSt. vor, hatte die Bundesregierung das Ziel gesetzt, bis 2010 aber auf alle Fleischarten, um erforderliche Stallum- den Anteil des Biolandbaus auf 20 Prozent zu erhö- bauten finanzieren zu können. Das ist der falsche Weg. hen. Dieses Ziel wurde verfehlt, erreicht wurden nur Nicht tiergerechte Ställe sollten stillgelegt werden 5,9 Prozent. Das 20-Prozent-Ziel wurde in der „Nach- und der Fleischverzehr insgesamt von 60 wieder auf haltigkeitsstrategie ökologischen Landbau“ (ZöL) 26,2 kg (1950) je Bürger gesenkt werden. Das würde beibehalten für das Jahr 2030. Diese Ziele sind nicht die Erderhitzung aufhalten. Dieser Prozess muss mit ausreichend. Von den 260 000 Landwirtschafts-Be- einer staatlich gelenkten Aufklärungskampagne und trieben sollen sich, so das Ziel der Bundesregierung, einem Rindfleisch-Bashing verbunden werden. nur 30 000 Betriebe auf Ökolandbau umstellen. Bis Das gleiche gilt für Milchprodukte. Auch diese 2030 müssen aber 100 Prozent erreicht werden. sollten teurer gemacht werden. Vor allem Butter und Werden die Steigerungsraten der letzten 10 Jahre Käse. Dadurch würde der Bedarf an Milch sinken und im Verbandsbiolandbau beibehalten, dann dauert es Kühe könnten abgeschafft werden. Einen solchen Plan noch 68 Jahre, bis 100 Prozent Biolandbau erreicht sollte das BMEL vorlegen, damit die 30 Mio. t CO2 aus werden. Bis dahin hat sich die Erderhitzung bereits Methanquellen um mindestens 10 Mio. t gesenkt wer- manifestiert und die Selbstverbrennung der Mensch- den können. Auf der anderen Seite wirkt Dauergrün- heit nimmt ihren Gang. Das BMEL wird seiner Verant- land als CO2-Senke. Wenn Wiederkäuer entsprechend wortung nicht gerecht. ihrer biologischen Ausstattung gehalten und gefüttert 12 Tarantel Nr. 88 Heft I-2020
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