FLEISCHATLAS NEUE THEMEN - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel

Die Seite wird erstellt Hortensia-Barbara Römer
 
WEITER LESEN
FLEISCHATLAS NEUE THEMEN - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel
Zoom     Seitenbreite   Suchen   Zum Inhalt   2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  FLEISCHATLAS
  Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel                               2014

                                              NEUE THEMEN
Zoom                Seitenbreite                  Suchen          Zum Inhalt                          2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

       IMPRESSUM

       Der FLEISCHATLAS 2014 ist ein Kooperationsprojekt von
       Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland
       und Le Monde diplomatique.

       Inhaltliche Leitung:
       Christine Chemnitz
       Reinhild Benning

       Projektmanagement: Dietmar Bartz
       Art Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar

       Übersetzungen: Bettina von Arps-Aubert
       Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger
       Dokumentation und Schlussredaktion: Bernd Cornely, Stefan Mahlke

       Mit Originalbeiträgen von Michael Álvarez Kalverkamp, Wolfgang Bayer,
       Stanka Becheva, Reinhild Benning, Stephan Börnecke, Christine Chemnitz,
       Karen Hansen-Kuhn, Patrick Holden, Ursula Hudson, Annette Jensen, Evelyn Mathias,
       Heike Moldenhauer, Carlo Petrini, Tobias Reichert, Marcel Sebastian,
       Shefali Sharma, Ruth Shave, Ann Waters-Bayer, Kathy Jo Wetter, Sascha Zastiral

       V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung

       2. Auflage, Januar 2014

       Produktionsplanung:
       Norman Nieß, taz Verlags- und Vertriebs GmbH

       Druck: möller druck, Ahrensfelde
       Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.

       Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung –
       Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ (CC BY-SA 3.0 DE). Der Text
       der Lizenz ist unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode
       abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter
       http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/ nachzulesen.

       BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN

       Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin, www.boell.de/fleischatlas
       Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland/Versand, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, www.bund.net
Zoom   Seitenbreite   Suchen       Zum Inhalt                2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

          FLEISCHATLAS
                      Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel

                                          2014
Zoom   Seitenbreite         Suchen            Gehe zu                       2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  INHALT
                  2 IMPRESSUM

                  6 VORWORTE

                50 ÜBER UNS

                  8 ELF KURZE LEKTIONEN                               18 IN DEN SCHLACHTHÖFEN DER WELT
                                                                         Das Töten von Tieren zur Herstellung von
                 10 UNERSÄTTLICHER WELTMARKT                             Nahrungsmitteln ist hoch industrialisiert.
                      In Asien findet im Schnelldurchgang ein            Die Schlachthöfe der globalen
                      Wandel statt, den die Industrieländer              Konzerne verfügen über unvorstellbare
                      längst hinter sich haben: Die Mittelschichten      Kapazitäten und liegen fern der Städte –
                      lösen eine Nachfrage aus, die mit                  Konsumenten sehen keine Verbindung
                      dem Einsatz von Kapital und Technik bedient        mehr zwischen einem lebenden
                      wird. Doch für Rinder ist jetzt weniger            Tier und einem eingeschweißten Filet.
                      Platz als für Schweine und Hühner – vor allem
                      aber boomen indische Büffel.                    20 DEUTSCHES DUMPING-SCHLACHTEN
                                                                         Großbetriebe dominieren auch in
                 12 KONZENTRATION – DIE ZUKUNFT                          Deutschland die Schlachthofbranche.
                    DER GLOBALISIERTEN INDUSTRIE                         Billiglöhne für die Leiharbeiter
                      Größenvorteile senken die Erzeugerpreise           aus dem Osten der EU begünstigen weitere
                      und steigern den Umsatz. Mit Zukäufen              Investitionen der Konzerne. Doch
                      von Unternehmen stoßen die weltweit                gegen noch mehr Mast- und Schlachtanlagen
                      aktiven Fleischkonzerne unter die Größten          regt sich Widerstand.
                      der Lebenmittelbranche vor. Jetzt
                      schlägt die Stunde der Banken, die auf          22 TIERGENETIK: EINE HANDVOLL
                      Rohstoffmärkten spekulieren, Kredite               ARTEN FÜR DIE GANZE WELT
                      anbieten und weitere Fusionen planen.              Das Zuchtmaterial für die meisten Tiere in
                                                                         der industriellen Landwirtschaft
                 14 FREIHÄNDLER WITTERN                                  stammt von einigen wenigen Firmen. Sie
                    MORGENLUFT                                           dominieren auch die Erforschung
                      USA und EU verhandeln über ein neues               neuer Hochleistungsrassen. Dabei macht die
                      Handelsabkommen. Die Wunschliste                   zurückgehende genetische Vielfalt
                      der Industriekonzerne ist lang. Amerikaner         die Nutztiere anfälliger für Schädlinge,
                      möchten europäische Schutzvorschriften             Krankheiten und Wetterextreme.
                      gegen Hormone, Antibiotika und
                      Genmanipulationen aushebeln, Europas            24 HORMONE – DER KAMPF UM DAS NEIN
                      Fleischkonzerne hingegen endlich wieder            Hormonfleisch und -milch sollen in Europa
                      Rindfleisch über den Atlanik verkaufen.            wieder zugelassen werden – darum bemühen
                                                                         sich die USA seit mehr als 25 Jahren.
                 16 ROSAROT IM KÜHLREGAL                                 Dabei sind in der EU nur Wachstums-, nicht
                      Supermärkte mit Kühltruhen und                     aber Sexualhormone verboten.
                      Fast-Food-Ketten mit Qualitätsversprechen
                      verändern das Einkaufen in den                  26 TIERFUTTER VERGEUDET ACKERLAND
                      Städten der Boomländer. Die Städte wachsen         70 Prozent aller agrarischen Nutzflächen
                      so schnell, dass kleine Läden die                  werden heute in irgendeiner Weise
                      Menschen nicht mehr versorgen können.              für die Tierfütterung beansprucht. Dabei
                      Diese Aufgabe übernehmen                           wären sie effizienter für die Produktion
                      kapitalstarke Lebensmittelketten.                  menschlicher Nahrungsmittel zu verwenden.

  4                                                                                                    FLEISCHATLAS 2014
Zoom                 Seitenbreite       Suchen            Zum
                                                           Gehe
                                                              Inhalt
                                                                zu                        2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

       28 SCHNITZEL, WÜRSTCHEN,                            38 URBANE TIERHALTUNG
          GLYPHOSAT                                            Tiere in der Stadt – für viele ein
           Was essen die Tiere, die wir essen? Wenn            Widerspruch in sich. Gehören sie nicht aufs
           Fleisch, Milch und Eier Rückstände von              Land, jenseits von Lärm, Gestank und
           Pestiziden, Herbiziden oder Medikamenten            Luftverschmutzung? Und doch sind gerade
           enthalten, nehmen wir diese Stoffe                  sie für viele ärmere Stadtbewohner
           womöglich auch zu uns. Zwar schützen                eine wichtige Lebensgrundlage, denn
           Gesetze vor den gefährlichsten Substanzen,          sie liefern preiswertere Nahrung
           aber sie bieten auch Schlupflöcher                  als ihre Artgenossen auf dem Lande.
           und ermöglichen Grauzonen, wie das
           Beispiel Glyphosat zeigt.                       40 PROTEIN AUS GRAS UND GESTRÜPP
                                                               Nomaden halten ihr Vieh auf Land, das
       30 ARGENTINIEN, DAS SOJA-REICH                          für Nutzpflanzen ungeeignet ist. Sie
           Die globale Nachfrage nach Tierfutter hat           produzieren große Mengen Nahrungsmittel
           einen neuen Typ Farmer hervorgebracht               und tragen zum Schutz der Natur
           und der Regierung in Buenos Aires                   bei. Aber sie erhalten zu wenig politische
           enorme Steuereinnahmen verschafft. Der              und rechtliche Unterstützung.
           Strukturwandel in der Landwirtschaft                Existenziell bedrohlich sind die
           hat soziale, ökologische und gesundheitliche        Beschränkungen ihrer Wanderwirtschaft.
           Auswirkungen, die in der argentinischen
           Öffentlichkeit kaum diskutiert werden.          42 GUTE LEBENSMITTEL GESUCHT
                                                               Bewusste Verbraucher in der reichen
       32 HÜHNER – WELTWEITER                                  Welt erwarten Fleisch von hoher Qualität
          STEIGFLUG IN DIE FABRIK                              aus umweltfreundlicher, artgerechter
           In den Industrieländern, wo die                     Produktion. Als bewusste Akteure
           Geflügelproduktion hoch industrialisiert            im Nahrungsmittelsystem können sie auch
           ist, wird mittlerweile mehr Hühner-                 „solidarische Landwirtschaft“ treiben.
           als Rindfleisch konsumiert. In Asien wird
           sich die Nachfrage vervielfachen.               44 EINZELN UND GEMEINSAM TIERE,
           Hier endet die Zeit der Kleinproduzenten,          MENSCHEN UND UMWELT SCHÜTZEN
           Händler auf Fahrrädern und                          Eine große Zahl von Organisationen
           Lebendvogelmärkte.                                  und Netzwerken versucht naturgemäßere
                                                               Agrarsysteme durchzusetzen.
                                                                                                                20 Themen
       34 DIE ZWEIFEL DER REICHEN                              Individuelle Entscheidungen können
           In den Industrieländern scheint der                 zu anderen Arten der Ernährung führen.        und 60 Grafiken
           Höhepunkt des Fleischbooms vorbei zu sein.          Am Ende entscheidet die Gesellschaft.          über die Folgen
           Skandale haben die Konsumenten                                                                    der industriellen
           verunsichert, Informationen über die Folgen     46 EINE SINNVOLLE                                   Tierhaltung
           der Massentierhaltung sind weithin                 EU-AGRAR-POLITIK
           zugänglich. Aber Biofleisch bleibt für viele        Jahrzehntelang hat die Gemeinsame
           Menschen zu teuer, und neue                         Agrarpolitik (GAP) der Europäischen
           Gütesiegel verwirren die Interessenten.             Union die landwirtschaftliche Produktion
                                                               verzerrt. Zu langsam wird sie
       36 DIE NEUE HUNGRIGE MITTELKLASSE                       umweltbewusster. Aber es ist auch eine
          – VON RIO BIS SCHANGHAI                              GAP vorstellbar, die aktiv für eine
           Brasilien, Russland, Indien, China und              sozial und ökologisch vertretbare
           Südafrika – woher die Tiere und ihr                 Viehwirtschaft eintritt.
           Futter kommen sollen, um den künftigen
           Fleischkonsum in den fünf „Brics“-Ländern       48 AUTOREN UND QUELLEN VON
           zu decken, weiß heute noch niemand.                TEXTEN, KARTEN UND DATEN

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                                         5
Zoom              Seitenbreite      Suchen        Zum Inhalt                2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  VORWORTE

                            F
                                 ragen Sie sich auch manchmal,        Anbau von Futtermitteln in den
                                 woher die Steaks, Würstchen          Entwicklungsländern für den
                                 oder Burger kommen, die              Fleischkonsum der reichen Staaten
                            Sie gelegentlich verspeisen? Und selbst   immer weiter ausdehnen?
                            wenn Sie es wüssten, könnten Sie          Globalisierte Agrarkonzerne auf
                            dann sagen, unter welchen Umständen       der Jagd nach Anbauflächen
                            und mit welchen Folgen das Fleisch        tragen dazu bei, dass Bauern von
                            für Ihre Mahlzeit produziert wurde?       ihrem Land vertrieben werden
                            Nein? Das verwundert nicht, denn          und so die Grundlage ihrer
                            darüber steht auch nichts auf den         Ernährungssicherheit verlieren.
                            Verpackungen von Wurst und Fleisch

                                                                      W
                            in den Supermärkten.                               ie soll außerdem das
                                                                               weltweit vereinbarte Ziel
                            Woher also sollen durchschnittlich                 erreicht werden, den
                            informierte Konsumentinnen                Verlust der biologischen Vielfalt
                            und Konsumenten wissen, dass ihr          bis zum Jahr 2020 zu bremsen? Die
                            Fleischkonsum Auswirkungen                agrarindustrielle Bewirtschaftung
                            rund um den Globus hat? Wer weiß          verwandelt immer mehr artenreiche
                            schon, dass die massenhafte               Wiesen in Mais- oder Soja-
                            und global organisierte                   Monokulturen. Und die Gülle aus
                            Fleischproduktion für die Abholzung       der Massentierhaltung trägt immer
                            des Amazonas-Regenwalds                   weiter zur Überdüngung bei
                            unmittelbar verantwortlich ist?           und ist eine der Hauptursachen des
                            Wer kennt die Auswirkungen                Artensterbens.
                            unserer Agrarexporte auf Armut und
                            Hunger in Ländern wie Kamerun             Die großen Agrarkonzerne
                            oder Ghana, auf Vertreibung               versuchen, die negativen Auswirkungen
                            und Migration, auf Klimawandel und        der Fleischproduktion unter
                            Artenvielfalt?                            den Teppich zu kehren. Ihre Werbe-
                                                                      versprechen suggerieren den
                            Und wie kann das Menschenrecht            Konsumenten das Bild einer
                            auf Nahrung, dem sich fast alle Länder    heimatverbundenen und intakten
                            der Welt verpflichtet haben,              bäuerlichen Tierhaltung – die Leiden
                            überhaupt umgesetzt werden,               der Tiere, ökologische Schäden
                            wenn sich die Flächen für den             oder sozial negative Auswirkungen

          Die Fleisch-
       Industrie will die
       negativen Seiten
       ihrer Produktion
           verbergen

  6                                                                                                 FLEISCHATLAS 2014
Zoom                 Seitenbreite   Suchen       Zum Inhalt                    2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

       werden hingegen verheimlicht.              für eine ökologische, soziale
       Die Heinrich-Böll-Stiftung hat vor         und ethisch vertretbare                               Soll „Konsum
       einem Jahr zusammen mit dem                Landwirtschaft. Deshalb ist es der                 in Verantwortung“
       Bund für Umwelt und Naturschutz            Heinrich-Böll-Stiftung und                            funktionieren,
       Deutschland (BUND) und                     dem BUND so wichtig, über die
                                                                                                       benötigt er viel
       Le Monde diplomatique einen                negativen Auswirkungen
                                                                                                         Information
       „Fleischatlas“ mit Daten und               der Fleischproduktion zu informieren
       Fakten veröffentlicht, der die globalen    und Alternativen aufzuzeigen.
       Zusammenhänge der Fleisch-
       erzeugung durchleuchtete. Jetzt,           Jede und jeder soll selbst entscheiden
       Anfang 2014, veröffentlichen wir           können, was sie oder er essen
       eine Fortsetzung, die erneut               möchte. „Konsum in Verantwortung“
       hinter die Kulissen der Schlachthöfe       wird von immer mehr Menschen
       und der Fleischindustrie blickt.           gefordert. Dafür benötigen
                                                  sie umfangreiche Informationen.

       D
              er Einsatz von Hormonen, die        Wir hoffen, dass wir mit diesem
              Rolle der Fast-Food-Ketten,         „Fleischatlas 2014“ einen Beitrag
              aber auch die neuen Fleisch-        dazu leisten.
       großkonsumenten wie China
       und Indien nehmen wir unter die Lupe.
                                                  Barbara Unmüßig          Hubert Weiger
       Und wir stellen die Frage, welche
                                                  Heinrich-Böll-Stiftung   Bund für Umwelt und
       Auswirkungen das aktuell diskutierte                                Naturschutz Deutschland
       „Freihandelsabkommen“ zwischen
       den USA und der EU für die Bauern,
       ihre Produkte und ihre Tiere hat.

       Weltweit haben es die
       Verbraucherinnen und Verbraucher

                                                 I
       satt, von der Agrarindustrie                  ch will mir mein saftiges Steak
       für dumm verkauft zu werden.                  nicht madig machen lassen!
       Anstatt – wie in der EU und den USA           Die Lebensmittelkonzerne diktieren
       üblich – die Massentierhaltung             doch sowieso die internationale
       mit öffentlichen Geldern zu                Agrarpolitik! – Mit derartigen Aussagen
       fördern, verlangen sie vernünftige         schleichen wir uns aus der
       politische Rahmenbedingungen               Verantwortung und rechtfertigen den
                                                  gleichgültigen Konsum von
                                                  Tieren. Aber das Unbehagen bleibt.
                                                  Wir wollen es genauer wissen,
                                                  informieren uns, lesen kritische
                                                  Zeitungsartikel, erkennen
                                                  Zusammenhänge und engagieren uns –
                                                  weil wir etwas verändern wollen.

                                                  Barbara Bauer
                                                  Le Monde diplomatique

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                                  7
Zoom      Seitenbreite           Suchen         Zum Inhalt                 2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

       ELF KURZE LEKTIONEN
             ÜBER FLEISCH UND DIE WELT

                   ERNÄHRUNG IST NICHT
             1     NUR PRIVATSACHE. Sie hat ganz
                   konkrete Auswirkungen auf das
                   Leben der Menschen in allen Ländern,
                   an die wir häufig nicht denken,
                   wenn wir ein Stück Fleisch essen. Auf
                   die Umwelt, die biologische
                   Vielfalt und das Klima. Auch bei uns.

                                          Wasser, Wald, Landnutzung, Klima und Biodiversität:
                             2            DIE UMWELT LIESSE SICH DURCH EINEN
                                          GERINGEREN FLEISCHKONSUM UND EINE
                                          ANDERE ART DER Produktion leicht schützen.

                                                                 Die globale Mittelschicht isst zu viel Fleisch.
                                                             3   NICHT NUR IN AMERIKA UND
                                                                 EUROPA, SONDERN ZUNEHMEND
                                    4                            AUCH IN CHINA, INDIEN und
                                                                 anderen Boomländern.
         HOHER FLEISCHKONSUM
              FÜHRT ZU EINER
                 INDUSTRIALISIERTEN
                   LANDWIRTSCHAFT.
                           Nur einige wenige
                            internationale                           5
                            Konzerne profitieren
                           von ihr und bauen                 Der Konsum verändert sich. Vor allem
                          ihre Marktmacht                    STÄDTER ESSEN IMMER MEHR
                         immer weiter aus.
                                                             FLEISCH. Bevölkerungswachstum
                                                             spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

  8                                                                                                FLEISCHATLAS 2014
Zoom                 Seitenbreite        Suchen      Zum Inhalt                    2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

                      Kein landwirtschaftlicher
                      Teilbereich ist so stark
                      international verflochten,
                      produziert so massenhaft
                      und wächst gleichzeitig so stark
                      wie die Geflügelproduktion –
                      SEHR ZUM LEIDWESEN                          7   INTENSIVE FLEISCHPRODUKTION
                      DER TIERE, DER KLEINEN                          KANN KRANK MACHEN – nicht nur
                      PRODUZENTEN UND DER                             durch den Gebrauch von Antibiotika und
                                                                      Hormonen, sondern auch
                      UMWELT.
                                                                      durch den exzessiven
                                                                      Einsatz von Pflanzen-
                                     6                                schutzmitteln in der
                                                                      Futterproduktion.

              Urbane und bäuerliche Tierhaltung
              könnenARMUT LINDERN, FÜR  8
              GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT
              UND EINE GESUNDE ERNÄHRUNG                                           9
              sorgen – nicht nur im globalen Süden.
                                                                  FLEISCHKONSUM MUSS KEIN
                                                                  KLIMA- UND UMWELTKILLER SEIN.
                                                                  Im Gegenteil. Wenn Tiere auf Weiden
                                                                  artgerecht und in passender Zahl
                                                                  gehalten werden, kann das sogar vorteilhaft
                                10                                für Klima und Umwelt sein.

       Alternativen gibt es: Viele
       zertifizierte Produktionen des                                         11
       ökologischen Landbaus zeigen, WIE
                                  EINE
                                                                          WANDEL IST MÖGLICH.
       ANDERE FLEISCHPRODUKTION                                           Entgegen der Behauptung, dass
       AUSSEHEN KÖNNTE, die die Umwelt                                    sich die Gewohnheiten beim
       und die menschliche Gesundheit schützt                             Fleischkonsum nicht ändern werden,
       und annehmbare Lebensbedingungen                                   gibt es inzwischen viele Menschen,
       für Tiere garantiert.                                              die es nicht als Verzicht empfinden,
                                                                          kein oder wenig Fleisch zu essen,
                                                                          und die eine gesunde Ernährung
                                                                          und einen verantwortungsvollen
                                                                          Konsum als modernen Lebensstil
                                                                          empfinden.

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                            9
Zoom                     Seitenbreite         Suchen                    Zum Inhalt                             2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  UNERSÄTTLICHER WELTMARKT
                                   In Asien findet im Schnelldurchgang ein Wandel statt, den die Industrieländer
                                   längst hinter sich haben: Die Mittelschichten lösen eine Nachfrage aus, die mit dem
                                   Einsatz von Kapital und Technik bedient wird. Für Rinder ist jetzt weniger Platz als
                                   für Schweine und Hühner – vor allem aber boomen indische Büffel.

                                   D
                                          ie weltweite Nachfrage nach Fleisch steigt                Raum gehalten werden. Damit befriedigen sie die
                                          in den Regionen der Welt ganz unterschied-                unersättliche Nachfrage nach billigem Fleisch.
                                          lich. In Europa und den USA, den traditio-                Bis 2022 wird fast die Hälfte des zusätzlich konsu-
                                   nell großen Fleischproduzenten des 20. Jahrhun-                  mierten Fleischs Geflügel sein.
                                   derts, nimmt der Konsum nur noch langsam zu                           Die Produktion von Rindfleisch hingegen
                                   oder stagniert sogar. Auf die zumeist asiatischen                wächst kaum. Die USA bleiben mit 11 Millionen
                                   Boomländer werden hingegen bis 2022 rund                         Tonnen der größte Rindfleischproduzent der
                                   80 Prozent des Wachstums im Fleischsektor ent-                   Welt. Dennoch beschreibt die Fleischindustrie die
                                   fallen. Das größte Wachstum wird aufgrund der                    Lage als dramatisch schlecht. Für 2013 rechnet sie
                                   immensen Nachfrage der neuen Mittelschichten                     mit einem Rückgang von 4 bis 6 Prozent im Ver-
                                   in China und Indien stattfinden.                                 gleich zum Vorjahr und sieht diesen Trend auch
                                       In China werden heute noch mehr als 50 Pro-                  im Jahr 2014. In anderen traditionellen Erzeuger-
       Exportieren                  zent der Schweine in kleinbäuerlichen Betrieben                 regionen – Brasilien, Kanada, Europa – stagniert
                                      produziert. Das wird ohne Gegensteuern nicht                  oder sinkt die Produktion.
     kann nur, wer die                 mehr lange so bleiben. Die gleichen technik-                      Das Land der Stunde hingegen ist Indien – dank
   Qualitätsansprüche                  und kapitalintensiven Prozesse, die die Tier-                der Produktion von Büffelfleisch. Dessen Wachs-
   der Abnehmerländer                  produktion des Nordens dominieren, wachsen                   tum hat sich zwischen 2010 und 2013 fast verdop-
          erfüllt                     in die lukrativen Märkte des Südens hinein, zu-               pelt, und Indien drängt damit auf den Weltmarkt:
                                     gleich integriert in globale Wertschöpfungsket-                25 Prozent des dort gehandelten Rindfleisches
                                   ten. Dies bedeutet, dass bald auch in den Boom-                  stammt inzwischen vom Subkontinent. Seit 2012
                                   ländern, wenn ein Ferkel geboren wird, schon                     ist Indien – knapp vor Brasilien – der größte Expor-
                                   feststeht, in welcher Stadt und in welchem Super-                teur von Rindfleisch, wenn man Büffel darunter
                                   markt mit welcher Werbung sechs Monate später                    mitversteht. Büffel sind kostengünstig zu halten,
                                   die Filets zu kaufen sein werden.                                weshalb der Kilopreis in der Erzeugung um mehr
                                       Dabei sind die Rahmenbedingungen der Pro-                    als einen Dollar unter dem von Rindfleisch liegt.
                                   duktion heute grundlegend anders als früher.                     Zudem hat die indische Regierung viel Geld in
                                   Die industrielle Tierhaltung in Europa und den                   Schlachthäuser investiert. Hinzu kommen die
                                   USA hatte sich noch mit geringen Futterpreisen,                  hohen Preise für Futtermittel; deren Erlöse lassen
                                   niedrigen Energiekosten und billigem Land eta-                   brasilianische Farmer von Rinder- auf Sojaproduk-
                                   bliert. Heute sind Agrarflächen, Futter und Ener-                tion umsteigen. So werden, wenn auch noch auf
                                   gie knapp und die Kosten hoch. Daher steigt die                  niedrigem Niveau, Marktanteile frei, die die indi-
                                   Gesamtproduktion von Fleisch weniger stark als                   schen Exporteure übernehmen.
                                   noch in den letzten Dekaden. Nur bei Schweinen                        In Afrika wird ebenfalls mehr Fleisch geges-
                                   und Geflügel wächst der Markt. Beide Tierarten                   sen, wenn auch weder die Nachfrage noch das An-
                                   verwerten das Futter gut und können auf engem                    gebot so wächst wie in anderen Teilen der Welt.

  Produktion                             Handel                                      Handel                                Verbrauch

   Weltweit, Prognose für 2013,            Weltweit, Prognose für 2013,               Weltweit, Prognose für 2013,          Weltweit, pro Kopf, Prognose
                                   FAO

                                                                            FAO

                                                                                                                     FAO

                                                                                                                                                           FAO

   in Millionen Tonnen                     in Millionen Tonnen                        in Prozent                            2013, Kilogramm/Jahr

                 13,8                                     0,9                                    9,9
                            68,1                                  8,6
                                                  7,2                                                                               33,3

         114,2      308,2                                  30,2                                     100                                    43,1

                         106,4                             13,3                                        9,.1                                   79,3

       Rind, Kalb       Schwein andere       Rind, Kalb     Schwein andere               Verbrauch im Inland                   entwickelte Länder    weltweit
       Geflügel         Schaf, Ziege         Geflügel       Schaf, Ziege                 Export                                Entwicklungsländer

  10                                                                                                                                         FLEISCHATLAS 2014
Zoom                         Seitenbreite                                Suchen                               Zum Inhalt                                                       2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

                                                                                                                          Globale Fleischproduktion

                                                                                                                                                                                                                                                                   FAO
                                                                                                                                                                                                        50,4
                                                                                                          23,0                                                                       3,2
                                                                                                                                                                               2,5                            17,1
                      19,2              2,1
                                                                                                                12,4                            0,6                      1,7
           11,4                                                                                                                                    0,9                                     0,2     6,5
                                  1,4                                                                   8,1                                  0,4                                                                                                           1,4
                                              1,2                                                                                                                             Russland                               4,1
                                                                                                                                                                                                                                                     1,3
                10,2                                                                                                                           Ukraine                                                                                        0,5
                                                                                                                      1,0
                                       Kanada
                                                                                                                                        1,6                       1,7                                                            1,0
                            0,1                                                                                EU                                                       0,5
                                                                      13,1                                                    0,2             0,3         0,4                                                                                        Japan
                                                                                                                                                                                                                           0,3
                  USA                                                                                                                                                                                                                  0,7
                                                           9,7
                                                                                                              0,3                    Türkei
                                                                                                                                                                Iran           2,9         2,9                              Südkorea
                                                                                             0,1                    0,2                                                                                  China
                                                                                                                                      0,8                   0,5                      0,3
                                                                 3,3                              Algerien                                                                                       0,9
                           2,8
               1,8                                                                                                        0,7               0,1 Saudi-Arabien                                                                                 1,7
                                                                                                                                                                                     Indien
                                                                                                                              Ägypten                                                                               1,5                 0,7
                                                                                                                                                                       1,5     0,8
                     1,2                                                                                                                                                                                      0,2                 0,5               0,1
                                 0,1                                                                                                                                              0,5
                                                                                                                                                                         Pakistan                            Malaysia              Indonesien
                  Mexiko                                                                                                                                                                         0,2
                                                                             0,1                                                                                                     0,2               0,2

                                                                Brasilien                                                        0,3                                                 Bangladesch                                   2,1
                                                                                                                                                                                                                                               1,0
                                                                                                                           0,9         1,5
                                                                                                                                                                                                                                         0,3
                                              2,6                                                                                            0,2                                                                                                     0,6
                         0,6
                                                                       0,5                                                                                                       Rind, Kalb
                      0,5                                                                                                      Südafrika                                                                                               Australien
                                                          1,8                                                                                                                    Schwein
                0,2
                                                                         Uruguay                                                                                                 Geflügel
                                                    0,3                                                                                                                                                                                      0,6            0,5
                       Chile                                                                             Millionen Tonnen, Durchschnitt 2010-                                    Schaf, Ziege
                                                                0,1                                                                                                                                                                                   0,2
                                                                                                         2012, Angaben für 2012 sind geschätzt
                                              Argentinien                                                                                                                                                                                    Neuseeland

       Vielerorts hat in den letzten zehn Jahren die Pro-                                                      inzwischen von den Entwicklungs- und Schwel-
       duktion angezogen, überproportional in bevöl-                                                           lenländern bestimmt. Noch geht nur ein Zehntel
       kerungsreichen Ländern wie Südafrika, Ägypten,                                                          des Fleisches in den Handel. Denn exportieren
       Nigeria, Marokko und Äthiopien. Pro Kopf liegt                                                          kann nur, wer den Qualitätsansprüchen in den
       der Kontinent mit 20 Kilogramm im Jahr unter                                                            Abnehmerländern entspricht und dies auch nach-
       dem weltweiten Durchschnitt. Zugenommen hat                                                             weisen kann. Die Angst vor Tierkrankheiten wie
       der Import von preiswerten Geflügelteilen, oft auf                                                      BSE, Maul- und Klauenseuche oder Vogelgrippe
       Kosten heimischer Erzeuger.                                                                             ist groß. Der zeitweilige Zusammenbruch der Ge-
          Der internationale Fleischhandel nimmt                                                               flügelmärkte in Südostasien und der vollständige
       schnell zu, allein in den letzten zehn Jahren um                                                        Kollaps der britischen Rindfleischexporte haben
       40 Prozent. Heute dominieren noch die Industrie-                                                        gezeigt, wie internationale Handelsströme inner-
       länder den Weltmarkt, doch sein Wachstum wird                                                           halb kürzester Zeit versiegen können.

       Kleinere Tiere, größere Mengen                                                                          Stabile Preise nur ohne Spekulanten

         Trends der Fleischerzeugung, in Millionen Tonnen                                                           Reale Fleischpreise, 2005–2021, Dollar pro Tonne
                                                                                                                                                                                                                                                                   OECD/FAO
                                                                                             OECD/FAO

                           Rind, Kalb               Schwein                                                                                               Rind, Kalb           Schwein
                           Geflügel                 Schaf, Ziege                                                                                          Geflügel             Schaf, Ziege
         140                                                                                                         5000

         120
                                                                                                                     4000
         100
         80                                                                                                          3000

         60                                                                                                          2000
         40
                                                                                                                     1000
         20
          0                                                                                                               0
           1995        1999            2003     2007        2011        2015       2019   2021                                1991                 1996                2001                 2006               2011                    2016                 2021

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                                                                                                                                                                             11
Zoom                 Seitenbreite               Suchen            Zum Inhalt                           2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  KONZENTRATION – DIE ZUKUNFT
  DER GLOBALISIERTEN INDUSTRIE
                                     Die Größenvorteile der Fleischkonzerne senken die Erzeugerpreise und steigern
                                     ihre Marktmacht. Mit Zukäufen von Unternehmen stoßen sie unter die Größten
                                     der Lebenmittelbranche vor. Jetzt schlägt die Stunde der Banken, die auf
                                     Rohstoffmärkten spekulieren, Kredite anbieten und weitere Fusionen planen.

                                     I
                                         m September 2013 erwarb Shuanghui Inter-              Schweine und 12 Millionen Vögel – und zwar täg-
                                         national Holdings, Hauptaktionär von Chinas           lich. Sobald das Fleisch vom Knochen getrennt ist,
                                         größtem Fleischverarbeiter, den weltgrößten           wird es in 150 Länder ausgeliefert.
                                     Schweinefleischproduzenten: das US-amerika-                   Da die Gewinnmargen in der Fleischindustrie
                                     nische Unternehmen Smithfield Foods. Der Ge-              gering sind, jagen die Unternehmen Größenvor-
                                     samtpreis der Übernahme lag bei 7,1 Milliarden            teilen hinterher: Sie versuchen die Produktion
                                     Dollar, darunter 2,4 Milliarden Dollar Schulden.          durch mehr Effizienz und zu geringeren Kosten
                                     Dieser Verkauf steht für eine Umstrukturierung,           zu steigern. Dies führt zu einer doppelten Konzen-
                                     die sich weltweit über Ländergrenzen hinweg               tration. Einerseits werden Unternehmen durch
                                       beobachten lässt. Investitionen sind keine Ein-         Fusionen und Übernahmen immer größer und
     Hohe Schulden                       bahnstraße mehr. Firmenkäufer kommen jetzt            expandieren über Grenzen und Arten hinweg.
   der Fleischkonzerne                    auch aus dem globalen Süden und werden im            Andererseits nimmt die Intensität der Fleisch-
    sorgen für immer                      Norden fündig.                                       produktion zu, indem mehr Tiere gehalten und
    neue Eigentümer-                         JBS, ein Rindfleischunternehmen aus Brasi-        schneller und mit weniger Abfall verarbeitet wer-
                                         lien, wurde mit dem Kauf mehrerer Fleischun-          den. Einige Analysten weisen jedoch darauf hin,
         Wechsel
                                       ternehmen in den USA, Australien und Europa             dass das Fleischgeschäft von Natur aus riskant ist:
                                     sowie im eigenen Land Ende der 2000er Jahre zum           Auch wenn man weiß, wie Rinder gezüchtet, ge-
                                     weltweit größten Produzenten von Rindfleisch.             schlachtet, verarbeitet und transportiert werden,
                                     Seit er im Sommer 2013 vom kleineren Konkur-              bedeutet das nicht automatisch, dass man auch
                                     renten Marfrig, seinerseits mit 4,7 Milliarden            Geflügelgroßbetriebe führen kann.
                                     Dollar verschuldet, für 2,5 bis 3 Milliarden Dollar           Schwankende Dünger- und Futtermittelpreise
                                     dessen Firmentochter Seara übernommen hat,                verschärfen das finanzielle Risiko. Höherpreisige
                                     ist JBS auch der weltgrößte Geflügelproduzent.            Tierfuttermittel treiben die Produktionskosten
                                     Der weit verzweigte Konzern gehört inzwischen             in die Höhe, senken die Gewinne und verschie-
                                     sogar zu den zehn führenden internationalen               ben die Nachfrage. Hinzu kommen spekulative
                                     Lebensmittel- und Getränkekonzernen und setzt             Marktmanipulationen, die zu Preissprüngen
                                     mit Lebensmitteln mehr um als Unilever, Car-              führen. Zudem verknappt der Anbau von Pflan-
                                     gill und Danone. Nicht sinnlich vorstellbar sind          zen, die zu Agrokraftstoffen verarbeitet werden,
                                     JBS’ Schlachtkapazitäten: 85.000 Rinder, 70.000           das verfügbare Land. Insgesamt ein Geschäft wie

  Weltmarktpreise für Fleischarten im Vergleich                                Milchprodukte werden teuer

   Indizes, 2002–2004 = 100                                                     Indizes, 2002–2004 = 100
                                                                         FAO

                                                                                                                                                       FAO

                           Rind, Kalb       Schwein
                                                                                                                                                        FAO

                           Geflügel         Schaf, Ziege
       220                                                                        220

       190                                                                        190

       160                                                                        160
                                                                                                                                Fleisch
       130                                                                        130                                           Milchprodukte
                                                                                                                                Lebensmittel
       100                                                                        100

        70                                                                         70
             2007   2008      2009       2010      2011    2012   2013                  2006    2008       2009   2010   2011       2012        2013

  12                                                                                                                                 FLEISCHATLAS 2014
Zoom                     Seitenbreite                               Suchen                          Zum Inhalt                                                2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

       Die Top 10 der Branche

         Konzerne nach Lebensmittelumsätzen (2011–13),

                                                                                                                                                                                                                                        LEATHERHEAD/ETC
         Milliarden Dollar

                                                                                               7
                                                                                       Smithfield Foods.
                                                       3
                                                                                 Gegründet 1936; Umsatz 2012:
                                           Cargill. Gegründet 1865,              13,1 Milliarden Dollar. Größter
                                             Familienunternehmen.                Produzent und Verarbeiter von                                                                          9
                                         Weltumsatz 2013: 32,5 Milliar-           Schweinefleisch in den USA.                                                                  Danish Crown AmbA.
                             33         den Dollar. Hält in den USA einen        Mit Milliardenschulden 2013 an                                                             1998 aus mehreren Fusionen
                                          Marktanteil von 22 Prozent             die halb so große chinesische                                                               entstanden. Umsätze 2012:
                                            bei Fleischprodukten, in                   Shuanghui-Gruppe                                                                     10,3 Milliarden Dollar. Haupt-
                                              Argentinien größter                            verkauft
                                      33            Exporteur                                                             13 10 Danish Crown AmbA
                                                                                                                                                                           niederlassungen in USA, Polen
                                                                                                                                                                          und Schweden, Europas größter
                                                                                                               Vion                                                        Fleischproduzent, weltgrößter
                                                                                                                                9                                                Schweineexporteur
               Cargill                          13                                                                    5                                                                                                            13
                                                                                                                                                      5
                                              Smithfield Foods                                                                                                                                          Nippon Meat Packers
                         3                                                                                                                Vion. 2003 aus mehreren
                                                                                                                                            Fusionen entstanden.
             Tyson Foods                    7                                                                                                                                                                                           6
                                                                                                                                                 Umsatz 2011:
                                            8 Hormel Foods                            39
                                                                                                                                        13,2 Milliarden Dollar. Größter
                                  2                                                                                                      Schweinefleischverarbeiter
                                             10                                                                                         Europas, enormes Wachstum.
                                                                                                                                           2002: 1 Milliarde Dollar
                                                                                                                                              (Vorläuferfirmen)
                          2
                     TysonFood.                                                                                                                                                                                 6
               Gegründet 1935; Umsatz                                                                                                                                                                 Nippon Meat Packers.
             2012: 33,3 Milliarden Dollar.                                                                                                                                                               Gegründet 1949;
             Weltgrößter Fleischhersteller                                                                                                                                                         Umsatz 2013: 12,8 Milliarden
                                                                  15        JBS
             und zweitgrößter Verarbeiter                                                                                           1                                                               Dollar. Bekann als „Nippon
              von Hühnern, Rindern und                                                                                                                                                             Ham“. Betriebe an 59 Stand-
                                                                BRF                                                       JBS. Gegründet 1953;
                     Schweinen                                                                                                                                                                     orten in 12 Ländern, meist in
                                                                                                                      Umsatz 2012: 38,7 Milliarden
                                                                               13 1                                                                                                                    Asien und Australien
                                                                                                                  Dollar. Weltgrößter Fleischverarbei-
                                       10                              4
                                                                            Marfrig                              ter, weltgrößte Schlachtkapazitäten.
                            Hormel Foods.                                                                          Übernahm kürzlich von Smithfield
                    Gegründet 1891; Umsatz 2012:                                                                    Foods die Rindfleischsparte und
                                                                           8
                         8,2 Milliarden Dollar.                                                                        von Malfrig Geflügel- und
                                                                                                         4
                   40 Betriebe und Verteilerzentren,                                                                       Schweinebetriebe
                                                                                            BRF. 2009 als Brasil Foods                                     8
                    Ausrichtung auf „ethnic food“
                          (z. B. mexikanisch,                                                aus der Fusion von Sadia                        Marfrig. 2000 aus mehreren
                               asiatisch)                                                   und Perdigão entstanden.                             Fusionen entstanden.
                                                                                           Umsatz 2012: 14,9 Milliarden                   Umsatz 2012: 12,8 Milliarden Dol-
                                                                                               Dollar. 60 Fabriken in                    lar. Niederlassungen in 22 Ländern.
                                                                                            Brasilien, Vertretungen in                    Viertgrößter Rindfleischproduzent
                                                                                                   110 Ländern                                  der Welt. Verkaufte 2013
                                                                                                                                           seine Geflügel- und Schweinebe-
                                                                                                                                                     triebe an JBS

       geschaffen für Investmentbanker. Tatsächlich                                                        Effizienz birgt aber auch Gefahren. Wo enden
       hat die Wall-Street-Firma Goldman Sachs den                                                     die Größenvorteile, wenn heutzutage bereits bis
       Shuanghui-Smithfield-Deal auf unterschiedliche                                                  zu 100.000 Tiere zugleich gemästet werden kön-
       Art und Weise eingefädelt und abgewickelt. Es                                                   nen? Solche Betriebsgrößen gibt es in den USA be-
       wurde von Smithfield mit der Beratung über po-                                                  reits. Die Logistik ist heute noch beherrschbar, je-
       tenzielle Verkäufer beauftragt, hält selbst einen                                               doch gilt: je größer das System, desto anfälliger.
                                                                                                                                                                                                        Je größer
       fünfprozentigen Anteil an Shuanghui und ist                                                     In der Intensivhaltung breiten sich Krankheits-
       Großhändler von Rohstoffen: 2012 erwirtschafte-                                                 erreger schneller und leichter von einem Tier                                                das System der
       te Goldman Sachs damit rund 1,25 Milliarden Dol-                                                auf das nächste aus, sowohl im Stall wie beim                                               Fleischerzeugung,
       lar, davon 400 Millionen im Food-Bereich.                                                       Transport. Das Gleiche gilt für die Schlachthö-                                              umso anfälliger
           Die doppelte Konzentration in der Fleisch-                                                  fe, da die Geschwindigkeit der Verarbeitung                                                       wird es
       industrie – Expansion der Unternehmen, In-                                                      zunimmt. Außerdem funktioniert das System im
       tensivierung der Produktion – lässt kleineren                                                   Falle einer Katastrophe, etwa einer weitflächigen
       Produzenten kaum eine Überlebenschance. Die                                                     Überschwemmung, nicht mehr. Und wenn die
       multinationalen Strukturen vernichten eine                                                      Verbrauchernachfrage sinkt, droht Unternehmen
       Einkommensquelle der Armen und schränken                                                        mit knappen Reserven der Bankrott. Das wieder-
       gleichzeitig die Produktauswahl für die Verbrau-                                                um macht Versicherungsunternehmen mit maß-
       cher ein. Die Größenvorteile versprechen Aktionä-                                               geschneiderten Risikobewertungen zu wichtigen
       ren und anderen Kapitalgebern höhere Gewinne.                                                   Spielern im modernen Fleischgeschäft.

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                                                                                                                                                      13
Zoom                Seitenbreite                Suchen               Zum Inhalt                                2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  FREIHÄNDLER WITTERN MORGENLUFT
                                  USA und EU verhandeln über ein neues Handelsabkommen. Die Wunschliste der
                                  Industriekonzerne ist lang. Amerikaner möchten europäische Schutzvorschriften
                                  gegen Hormone, Antibiotika und Genmanipulationen aushebeln, Europas
                                  Fleischkonzerne hingegen wollen mehr Rindfleisch über den Atlantik verkaufen.

                                  I
                           n der Europäischen Union basieren die Vor-                                Trade Agreement, TAFTA) entstehen soll. Als Maß-
                           schriften für die Sicherheit von Nahrungsmit-                             nahme zur Stützung der schwächelnden Wirt-
                           teln und Chemikalien auf dem Vorsorgeprin-                                schaft beider Regionen gedacht, könnte dieser
                        zip. Dieser Grundpfeiler europäischen Rechts                                 Vertrag das größte bilaterale Freihandelsabkom-
                        ermöglicht es der EU, alle Einfuhren, die ein po-                            men in der Geschichte werden. Auf beiden Seiten
                        tenzielles Risiko für Mensch oder Umwelt dar-                                des Atlantiks drängen jetzt einflussreiche Inte-
                          stellen, so lange zu beschränken, bis gesicherte                           ressengruppen, darunter der Landwirtschafts-,
          Beamte
                           wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen – im-                            Futtermittel- und Chemiesektor, auf ein Abkom-
    verhandeln heimlich     portiert werden darf nur, was nachweisbar                                men, das Handelsschranken für landwirtschaftli-
   über neue Grenzwerte ungefährlich ist. In den Vereinigten Staaten                                 che Erzeugnisse einschließlich Fleischprodukten
      für Chemikalien       hingegen ist es umgekehrt – exportiert werden                            abbaut. Ein derartiger Vertrag könnte drastische
         im Fleisch        darf alles, was nicht nachweisbar gefährlich ist.                         Änderungen beim Einsatz von Antibiotika in der
                          Derartige Entscheidungen erfolgen mittels einer                            Fleischproduktion, bei der Zulassung von ge-
                        Kosten-Nutzen-Analyse der Risiken und mit Da-                                netisch veränderten Organismen, für den Tier-
                        ten, die als „belastbare wissenschaftliche Fakten“                           schutz und andere Bereiche mit sich bringen. Die
                        gelten – und die etwa im Fall der Unbedenklich-                              Industrie wird bestrebt sein, im Interesse einer
                        keitserklärung für gentechnisch modifizierte Or-                             Ausdehnung ihrer Märkte die jeweils niedrigsten
                        ganismen direkt von der Industrie kamen.                                     Standards auch auf der Gegenseite zuzulassen.
                            Ungeachtet solcher erheblichen Unterschiede                                  Beispielhaft dafür ist Ractopamin, das in den
                        begannen EU und USA 2013 mit Verhandlungen                                   Vereinigten Staaten als Futterzusatz zur Steige-
                        über eine Transatlantische Handels- und Investi-                             rung der Produktion mageren Schweine- und
                        tionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Invest-                          Rindfleischs eingesetzt wird. Sein Einsatz ist in
                        ment Partnership, TTIP), mit der ein Transatlanti-                           160 Staaten, darunter auch der EU, verboten,
                        sches Freihandelsabkommen (Trans-Atlantic Free                               denn es gibt keine unabhängigen wissenschaft-

  Gewinner und Verlierer der transatlantischen Handelsgespräche

   Mögliche Zu- und Abnahmen des realen Pro-Kopf-Einkommens durch stärkeren Wettbewerb, in Prozent. Unterstellt ist der

                                                                                                                                                       IFO
   Wegfall aller Zölle und Einfuhrverbote von EU und USA, ohne dass sich die Handelsvorschriften anderer Staaten anpassen.

                                                                                7,3
                                                                            Schweden 6,2
                                    Kanada                               9,7        Finnland
                                     -9,5                           6,9 GB
                                                                  Irland
                                13,4                                        6,6
                                USA                                      Spanien

                         Mexiko
                          -7,2

            -9,5 bis -6,1
            -6,0 bis -3,1
            -3,0 bis 0,0
             0,1 bis 3,0                                                                                                     Australien
             3,1 bis 6,0                                                                                                        -7,4
             6,1 bis 13,4
             keine Angaben

  14                                                                                                                                      FLEISCHATLAS 2014
Zoom                 Seitenbreite         Suchen             Zum Inhalt                             2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

       lichen Studien, die etwas über die Folgen für die      Fleischhandel zwischen den USA und der EU
       menschliche Gesundheit aussagen könnten. Den
       USA ist es derzeit nicht gestattet, Fleisch von mit      Im- und Exporte, Millionen Dollar

                                                                                                                                              USDA ERS
       Ractopamin behandeltem Vieh in die EU zu ex-                                     2010            2011            2012
       portieren. Amerikanische Agrarkonzerne und
       fleischverarbeitende Unternehmen fordern, dass
                                                                                        946             1.154           988
       die EU dieses Verbot aufhebt und das Thema in
       die TTIP-Verhandlungen aufnimmt.
                                                                    Gesamter
           Nach mehreren Jahren relativer Ruhe wurde              Fleischhandel
       auch ein alter Handelsstreit neu belebt. Im Rah-
       men des TTIP versuchen die USA jetzt wieder, eine
                                                                                        1.652           2.031          2.154
       Zulassung von Peroxysäure zu erhalten. Dieser
       antimikrobiell wirksame Stoff wird in den USA                    USA                                                            EU
       verbreitet zur Desinfektion von Rohgeflügel nach
       dem Schlachten eingesetzt. Die EU, in der Geflü-
                                                                     Rind, Kalb          136             231            223
       gel ausschließlich mit heißem Wasser gereinigt
       werden darf, betrachtet den Einsatz von Peroxy-
                                                                                        298             326             355     Schwein
       säure als Verstoß gegen das Konzept „Vom Erzeu-
       ger zum Verbraucher“ und vom damit verbunde-
       nen möglichst geringen Einsatz von Chemikalien               Geflügel, Eier       219             218            199
       in der Nahrungsmittelverarbeitung.
           Darüber hinaus bietet das TTIP multinationa-
                                                                                         741            868             845          Käse
       len Konzernen die Möglichkeit, die EU-Verbote
       von genetisch veränderten Nahrungsmitteln zu
       unterlaufen, die in den USA als wettbewerbswid-
       rige „technische Handelsschranken“ gesehen
       werden. Umwelt-, Verbraucher- und Tierschützer
       fürchten nun, dass sich die EU bei den Verhand-        sundheitsfolgen der industriellen Tierproduktion
       lungen hinter verschlossenen Türen eine Schwä-         zu beseitigen. Statt die Standards weiter zu ver-
       chung ihrer Schutzvorschriften abhandeln lässt.        wässern, sollten die Verbraucher und Aktivisten
       Die EU ihrerseits versucht das Verbot von Rindflei-    in den USA und der EU ihre Regierungen drängen,
       schimporten aus Europa in die USA zu kippen. Die       mit dem TTIP die Standards auf beiden Seiten des
       Vereinigten Staaten verbieten den Einsatz und          Atlantiks anzuheben. Oder sie sollten die Gesprä-
       die Einfuhr von Futtermittelbestandteilen, die         che komplett abbrechen.
       nachweislich an der Übertragung von BSE, dem
       „Rinderwahn“, beteiligt sind. Die Verfechter von
       Nahrungsmittelsicherheit in den USA sind be-           Futtermittelhandel zwischen den USA und der EU
       sorgt, dass die EU-Vorschriften über den Einsatz
       von aus Wiederkäuern gewonnenen Futtermit-               Im- und Exporte, Millionen Dollar

                                                                                                                                              USDA ERS
       telzusätzen nicht ausreichen, um eine Kontami-                                   2010            2011            2012
       nation zu verhindern. Da die EU gegenwärtig so-
       gar noch eine weitere Lockerung der Standards                   Mais              43             239              18
       für diese Futtermittelzusätze erwägt, nähme aus
       US-Sicht das Risiko aufgrund des Handels mit BSE-                   Hirse         38             239              1
       verseuchtem Rindfleisch zu.
           Darüber hinaus gibt es noch den Mechanis-
       mus zur „Schlichtung von Streitigkeiten zwischen              Futtermittel       320             492             265
       Investoren und dem Staat“. Mit dieser bereits in
       vielen Handelsverträgen enthaltenen Klausel                      USA                                                            EU
       kann ein Unternehmen den Staat auf Schaden-
       ersatz für Vorschriften verklagen, die seine Ge-             Ölsaaten           2.072            1.632          2.676
       winne beeinträchtigen. Mit dem TTIP wollen die
       Agrarkonzerne nun diesen Mechanismus auch                          Soja          1 108            795           1 481
       auf die Standards zur Nahrungsmittelsicherheit
       „uneingeschränkt“ anwenden. Mit anderen Wor-
                                                                                         217             270            265    Futtermittel
       ten: Da internationale Investoren durch diesen
       Mechanismus einen Rechtsanspruch auf „stabile
       Investitionsbedingungen“ erhalten, würden alle
                                                                                        872             928            1.016     Ölsaaten
       Verschärfungen von Umwelt- oder Tierschutzge-
       setzen erheblich erschwert.                                                      847              897            976    Olivenöl
           So könnte es durch TTIP deutlich schwieriger
       werden, nachteilige Umwelt-, Sozial- und Ge-

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                                                         15
Zoom                   Seitenbreite            Suchen              Zum Inhalt                                         2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  ROSAROT IM KÜHLREGAL
                                    Supermärkte mit Kühltruhen und Fast-Food-Ketten mit Qualitätsversprechen
                                    verändern das Einkaufen in den Städten der Boomländer. Die Städte
                                    wachsen so schnell, dass kleine Läden ihre Bedeutung verlieren. Deren Aufgabe
                                    übernehmen kapitalstarke Lebensmittelketten.

                                   D
                                           er Metzger, der im Hinterraum seines                         Der Prozess ist gut untersucht: Die erste Welle
                                           Ladens fachgerecht halbe Rinder oder                         begann in den frühen 1990er Jahren in Südame-
                                           Schweine zerlegt und vorne Fleisch und                       rika, in den ersten ostasiatischen Boomländern
                                    Wurst an seine Kunden verkauft, ist in den Indus-                   wie Korea und Taiwan sowie in Südafrika; von
                                    trieländern selten geworden. Heute werden diese                     1990 bis um 2005 stieg der Marktanteil von Super-
                                    verderblichen Lebensmittel auf null bis vier Grad                   märkten von 10 auf bis zu 60 Prozent. Die zweite
                                    heruntergekühlt, vom Großhändler oder gleich                        Welle konnte Mitte bis Ende der Neunziger in Mit-
                                      vom Schlachthof in die Supermärkte geliefert.                     telamerika und südostasiatischen Ländern beob-
           Normierte
                                       Dort legen die Verkäuferinnen das Fleisch nur                    achtet werden; hier lag der Marktanteil um 2005
       Waren erleichtern                noch hinter die Scheiben des Verkaufstresens,                   bei 30 bis 50 Prozent. Die dritte Welle begann um
         Supermärkten                   oder die Kunden holen sich die verpackte                        2000 in China sowie Indien und großen aufho-
       den massenhaften                 Ware direkt aus der Truhe. Damit Selbstbe-                      lenden Volkswirtschaften wie Vietnam; nach we-
            Absatz                     dienungsware tagelang appetitlich aussieht,                      nigen Jahren wuchsen die Umsätze um 30 bis 50
                                     werden Hühnerbrüste und Koteletts in einer                         Prozent jährlich.
                                    möglichst keimkontrollierten Umgebung vaku-                             Die Gründe dafür liegen nicht einfach in der
                                    umverpackt und die Päckchen anschließend mit                        steigenden Kaufkraft der Mittelschichten, son-
                                    einem sauerstoffreichen Gas aufgeblasen. Das                        dern in fundamentalen gesellschaftlichen Verän-
                                    sorgt bei Rind und Schwein für eine rote Färbung                    derungen. In Pakistan etwa schreitet die Urbani-
                                    und suggeriert Frische – auch wenn tatsächlich                      sierung sehr schnell voran, die Metropole Lahore
                                    durch eine mehrtägige Lagerung schon Keime                          wächst um 300.000 Einwohner pro Jahr. Die Lie-
                                    entstanden sein können.                                             ferung von Fleisch und Milchprodukten kommt
                                        Fleisch, vielerorts noch vor zehn, zwanzig Jah-                 auf den traditionellen Handelswegen nicht nach.
                                    ren ein Luxusgut, gehört für immer mehr Men-                        Der Mangel an Waren und ihre schlechte Qualität
                                    schen auch in den Schwellenländern zum festen                       treibt den Mittelstand in die Supermärkte, wie die
                                    Bestandteil ihrer täglichen Ernährung. Das Su-                      Tageszeitung Express Tribune berichtet. Berufs-
                                    permarktmodell kapitalkräftiger Einzelhandels-                      tätige Frauen, weiterhin für die Zubereitung der
                                    ketten wie WalMart aus den USA, Carrefour aus                       Mahlzeiten zuständig, hätten keine Zeit mehr,
                                    Frankreich, Tesco aus Großbritannien und Metro                      von Laden zu Laden zu laufen, um die Qualität des
                                    aus Deutschland eroberte die Welt und löste auch                    empfindlichen Fleisches zu prüfen und mit den
                                    enorme Investitionen heimischer Konzerne aus.                       Verkäufern um Preise zu feilschen.

  China: Schnellimbisse wachsen langsamer                                                               Indien: Der Aufschwung geht weiter

   Jährliches Wachstum von Fast-Food-Geschäften, 2010–14,                                                  Vorhandene und geplante Fastfood-Filialen
                                                                                                                                                                       BUSINESS STANDARD
                                                                                          EUROMONITOR

   und Marktanteile, 2012, in Prozent
        12                                                                                                                     vorhanden, 2012/13
        11                                                                    6,5                                              geplant, 2013/14
        10

        9                                                                       2,3
                                                84,1                            1,5                                         + 125                       + 250
        8
                                                                                        0,6
        7                                                                                 0,4                                602
                                                                                       0,3
        6                                                                     4,3                                                                       500
        5

        4
                                                                                                                                              + 38–50
                       Unabhängige
        3
                                                    Yum!*                Hua Lai Shi                                                            166
                       Ketten
        2                                           McDonald‘s           Shigemitsu
         1                                          Ting Hsin            Kungfu                                           Domino‘s McDonald‘s           Yum!*
        0                                           andere Fast-Food-Ketten
         2010   2011   2012   2013     2014         unabhängige Fast-Food-Geschäfte           *Kentucky Fried Chicken, Pizza Hut, Taco Bell
                               (geschätzt)

  16                                                                                                                                                      FLEISCHATLAS 2014
Zoom                 Seitenbreite         Suchen              Zum Inhalt                                      2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

            Große Einkaufsflächen lohnen sich in Ein-          Der Umsatz kommt aus den Kühltruhen
       zugsgebieten mit mehreren tausend potenziellen
       Kunden. In vielen Regionen mit hoher Mobilität            Verkäufe im Einzelhandel, 2012/13, in Dollar

                                                                                                                                                                                   EUROMONITOR
       – in den autogerechten Vorstädten der USA etwa
       – können arme Leute deshalb heute keinen Le-                       über 600 Millionen                 150–299 Millionen                  kein Wachstum
       bensmittelladen mehr zu Fuß erreichen, in dem                      300–599 Millionen                  0,1–149 Millionen                  negatives Wachstum
       sie frische Produkte kaufen können, um sie selbst
       zuzubereiten. Sie bekommen nur noch fertiges Es-
       sen in Fast-Food-Ketten. Sozial- und Ernährungs-                  KA
       forscher bezeichnen solche Gegenden als „Food                                   GB                      CN
                                                                                              DE
       Deserts“, Nahrungswüsten.                                         US
            Der Verkauf von normierten Produkten er-                                                                    Konservierte Fleischerzeugnisse
       leichtert den Lebensmittelketten nicht nur die
       Werbung, sondern verschafft ihnen auch eine
       enorme Marktmacht gegenüber den Lieferanten,
       denen sie die Preise diktieren und die sie jederzeit
       wechseln können. Zugleich machen sich auch die                                                                                                                RU
       Supermarktkonzerne gegenseitig Konkurrenz. So                                                                  US                            TR        IR
       sind die Angebote billig und Produkte aus der Re-                                                                                                                   CN
       gion können sich bestenfalls noch in Nischen hal-                                        Tiefgekühlte Fleischwaren
       ten. Mit der Öffnung der globalen Märkte haben
       Millionen Kleinhändler ihre Existenzgrundlage                                                                            AR
       verloren, weil sie nicht umsatzstark genug waren
       und nicht für angemessene Lagerung und vor al-
                                                                                                               RU
       lem für die kontinuierliche Kühlung von Fleisch,
                                                                                       GB     DE   UA
       Wurst, Eiern oder Frischmilch sorgen konnten.
                                                                     US                                 IR
            Aufgrund des Dumpingwettbewerbs kommt                                      FR
                                                                                              TR
       es immer wieder zu Skandalen mit Gammel- oder                  MX       VE                    SA                    Käse
                                                                                              NG
       verbotenem Hormonfleisch sowie falschen De-                               BR
       klarationen. So landete Esels- statt Rindfleisch auf
       den Tellern von Südafrikanern, in Europa wurde                     AR
       Pferdefleisch als Rind ausgegeben und in die Kühl-
       truhen der Supermärkte verteilt. Und in Indien                                                                                                               RU
                                                                                                                                               DE
       mag manches Stück abgepacktes Büffelfleisch                                                                    US
                                                                                                                                                         IR           CN
       tatsächlich aus einer illegalen Rinderschlachterei                                                                                  FR
                                                                                                                                                               IN
       stammen.                                                                        Milchprodukte                  MX      VE                    NG
                                                                                                                                                                            ID
            In keinem anderen Land der Welt wird so viel
       Fleisch produziert und gegessen wie in China.                                                                                 BR         ZA
                                                                                                                           AR
                                                                                                                                                                             AU
       Vor allem Schweinefleisch ist dort äußerst beliebt.
       Die meisten im Land gezüchteten Tiere kommen
                                                                                                        RU
       bisher noch nicht aus Massenställen. Vielerorts
                                                                                       GB     DE
       gibt es zudem noch keine funktionierenden Kühl-                US                                       CN
       ketten, und so wird ein Großteil des Fleisches ge-                              FR
                                                                                              TR        IR
       schmort oder gekocht an die Endverbraucher ver-                                                                      Tiefgekühltes Geflügel
       kauft. Doch die Nachfrage nach Fleisch aus dem
       Supermarkt wächst und macht inzwischen gut
       10 Prozent des Gesamtumsatzes aus.
            Internationale Fast-Food-Ketten wie Kentucky
                                                                                                                                                                      RU
       Fried Chicken (KFC) und McDonald’s versprechen                                                                                     GB
       ihrer Kundschaft, dass die Zulieferbetriebe zer-                                                                                          FR
                                                                                                                      US
                                                                                                                                                               IR
       tifiziert sein müssen und immer wieder kontrol-
       liert werden. Denn Lebensmittelskandale verder-                     Fertigmahlzeiten mit/ohne Fleisch                                     AL
       ben den Appetit und sind schlecht fürs Geschäft.
                                                                                                                                     BR
       KFC hatte um die Jahreswende 2012/13 zweimal
       Probleme mit antibiotikaverseuchtem Geflügel-
       fleisch. Ihr Geschäft ist daraufhin um 10 Prozent
       eingebrochen und hat sich bis in den Herbst 2013             AR   Argentinien     DE   Deutschland       IR   Iran
                                                                    AU   Australien      AL   Algerien          MX   Mexiko
       nicht erholt. McDo wurde in den Strudel mit hin-
                                                                    BR   Brasilien       FR   Frankreich        NG   Nigeria              TR Türkei                 US USA
       eingezogen – die Verkäufe gingen hier ebenfalls              KA   Kanada          ID   Indonesien        RU   Russland             UA Ukraine                VE Venezuela
       zurück.                                                      CN   China           IN   Indien            SA   Saudi-Arabien        GB Großbritannien         ZA Südafrika

            Auch in China müssen die Endverkäufer nun
       die Endverbraucher fürchten.

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                                                                                                 17
Zoom                   Seitenbreite           Suchen           Zum Inhalt                              2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  IN DEN SCHLACHTHÖFEN DER WELT
                                  Das Töten von Tieren zur Herstellung von Nahrungsmitteln ist hoch industrialisiert.
                                  Die Schlachthöfe der globalen Konzerne verfügen über unvorstellbare
                                  Kapazitäten und liegen fern der Städte – Konsumenten sehen keine Verbindung
                                  mehr zwischen einem lebenden Tier und einem eingeschweißten Filet.

                                  D
                                         as Chicago des beginnenden 20. Jahrhun-            ist auch erforderlich, um der starken Marktmacht
                                         derts gilt als die Wiege der industriellen         der Großabnehmer – der internationalen Han-
                                         Schlachtung. Mit den Fließbändern, die hier        delsketten und Großimporteure – die eigene wirt-
                                  zum ersten Mal systematisch in den Fabriken ein-          schaftliche Stärke entgegenzusetzen. Aber auch
                                  gesetzt wurden, dauerte es insgesamt nur noch             Lohnschlachterei für andere Hersteller ist mög-
                                  15 Minuten, ein Rind zu töten und vollständig zu          lich, wenn zur Verfügung stehende Kapazität und
                                  zerlegen. Bis auf zwölf Millionen im Jahr stieg so        Marktlage dies erlauben – oder erzwingen.
                                  die Zahl der hier geschlachteten Tiere, ein solcher            Die Einführung von öffentlichen oder privaten
                                  Effizienzsprung, dass Henry Ford das Verfahren            Schlachthöfen war in den armen Ländern der ers-
                                  für den Bau von Autos übernahm.                           te gezielte Schritt zur systematischen Hygiene in
                                      Mit der Industrialisierung des Schlachtpro-           der Tierverarbeitung. Am Ende der Entwicklung
                                  zesses setzte auf der ganzen Welt die Zentralisie-        stehen heute Hochleistungsfabriken in den Indus-
                                  rung ein. In den USA bildeten sich bis zur Welt-          trieregionen, verbreitet inzwischen auch in den
                                  wirtschaftskrise zunächst marktbeherrschende              Boomländern. Vor allem die Lebensmittelskan-
                                  Konglomerate, gefolgt von einer langen Phase              dale führten zu strengeren, oft sehr kostspieligen
                                    der Entflechtung. Doch ab den frühen 1970er             Auflagen. Der Kampf um die niedrigsten Schlacht-
       Billigfleisch                 Jahren, als die Deregulierung begann und der           preise wird vor allem auf dem Rücken der Arbeiter
   entsteht auch durch                Börsenboom einsetzte, nahm die Konzentrati-           ausgetragen.
    die Dumpinglöhne                  on schnell wieder zu. Zwischen 1967 und 2010               Weltweit arbeiten mehrere Millionen Men-
     der Schlachthof-                 sank die Zahl der Schlachthöfe in den USA             schen in Schlachthöfen – niemand weiß, wie vie-
                                     von fast 10.000 auf weniger als 3.000. Heute           le es genau sind. Ihre Arbeit gilt als „dirty work“.
         Arbeiter
                                   schlachten dort zehn Konzerne 88 Prozent aller           Vor allem in westlichen Industrienationen erfährt
                                  Schweine. Die globalen Kapazitäten der Firmen             sie kaum soziale Anerkennung und ist kulturell
                                  erreichen Ausmaße, die sinnlich nicht mehr nach-          weitgehend geächtet. Dumpinglöhne und ka-
                                  vollziehbar sind: Die US-Gesellschaft Tyson Foods,        tastrophale Arbeitsbedingungen sind die Regel.
                                  nach JBS aus Brasilien das zweitgrößte Fleisch-           Hohe Arbeitsgeschwindigkeit, die Monotonie der
                                  unternehmen der Welt, schlachtet 42 Millionen             immer gleichen Abläufe, die Unfallgefahr beim
                                  Hühner, 170.000 Rinder und 350.000 Schweine –             Umgang mit gefährlichen Werkzeugen und Che-
                                  pro Woche.                                                mikalien sowie die einseitige Beanspruchung von
                                      Sie stammen meist aus eigener Aufzucht, wer-          Rücken und Gelenken – diese Kombination ist
                                  den in eigenen Fabriken verarbeitet und unter             enorm belastend. Je nach Arbeitsplatz kommen
                                  eigener Handelsbezeichnung vermarktet. Nach               Hitze oder Kälte, Lärm, ein erhöhtes Risiko durch
                                  dem Motto „From farm to fork“, „Vom Hof bis auf           Infektionskrankheiten sowie besonders frühe
                                  die Gabel“, soll so ein möglichst großer Teil der         oder späte Schichten hinzu. Zusätzlich kann für
                                  Wertschöpfungskette ausgenutzt werden. Dies               Arbeitnehmer auch der Umgang mit und die Tö-

  Branchenkonzentration in den USA

   Zahl der Schlachtanlagen                                            Marktanteil der vier größten Schlachtfirmen, in Prozent
                                                                                                                                                 DENNY/ USDA

       12.000                                                                 80
                                                                              70
       10.000
                                                                              60
       8.000
                                                                              50
       6.000                                                                  40
                                                                                                                                    Rind
                                                                              30
       4.000                                                                                                                        Schwein
                                                                              20
       2.000
                                                                              10
           0                                                                   0
                1967       1977        1987        1997       2007                 1965         1975           1985          1995     2005

  18                                                                                                                                FLEISCHATLAS 2014
Zoom                  Seitenbreite                 Suchen             Zum Inhalt                                2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

       Weltweite Schlachtungen: Milliarden Tiere im Jahr

         Amtliche und amtlich geschätzte Zahlen, 2011

                                                                                    517                              58 110
                                        1 383                                                                                 000 000
                                                                                    000 000
               296
               000 000
               24   000 000                 000 000
                                                                 430                             654
                                                                                                  000 000

                                                                                                                       2 817
                  Büffel           Hühner                         000 000
                  Rinder           Enten
                  Ziegen           Truthähne
                  Schafe           Gänse und
                  Schweine         Perlhühner
                                                                                                                            000 000
         Schlachtungen in den vier wichtigsten Ländern,
         2011, Köpfe

                                                                                                                                              649
           35.108.100                                                 8.954.959.000
                                              46.193.000
              USA     Rinder und                                           USA                      11.080.000.000
                                                 China
                               Büffel                                                                    China
                                        21.490.000
                                           Indien                              5.370.102.000
                                                                                               Geflügel   2.049.445.000                       000 000
                 39.100.000                                                                                Indonesien
                                                                                  Brasilien
                  Brasilien

                                                 59.735.680                                                                     273.080.000
                              110.956.304       Deutschland   661.702.976                                                84.110.000 China
                                  USA                           China                                                      Indien
                                                                                                               38.600.000
                                                                  44.270.000                                                 28.980.000
                                        Schweine                                               Schafe und        Nigeria
                                                                   Vietnam                                                  Bangladesch
                                                                                                      Ziegen

                                                                                                                                                        FAOSTAT
       tung von Tieren belastend sein. Viele Schlachter                     In den meisten Industrieländern wurden die
       nennen „Härte“ als Voraussetzung für die Aus-                    Schlachthöfe aus den urbanen Zentren in die ru-
       übung ihres Berufes.                                             rale Peripherie verlagert. Die Grausamkeit des
           Mit der Industrialisierung des Schlachtens be-               Schlachtens soll den Konsumenten verborgen
       gann aber auch ein Prozess der Dequalifizierung                  bleiben. Hier offenbart sich ein sozialer Prozess:
       und Mechanisierung der Arbeit. Heute brauchen                    Sichtbare Gewalt wird aus dem öffentlichen
       Schlachter die meisten traditionellen Fähigkeiten                Raum verdrängt. Schlachtung und die Schlach-
       und ein Handwerkswissen nicht mehr. Eingestellt                  ter wurden und sind für die meisten Menschen
                                                                                                                                       Die Gewalt der
       werden billige, immer häufiger nur angelernte                    unsichtbar. Die Verbindung zwischen dem
       Arbeitskräfte. Die Arbeitsmigration aus Mexiko                   einst lebenden Tier, das in Viehwaggons in die                Schlachthöfe soll
       nach Nordamerika oder von Ost- nach Westeuro-                    Stadt gebracht wurde, dem früher sicht-, hör-               nicht ins Bewusstsein
       pa und die kurze Verweildauer der Arbeiter füh-                  und riechbaren Tod im Schlachthof und dem                     der Öffentlichkeit
       ren zu Belegschaften, die den Anforderungen der                  Fleischprodukt am Ende dieser Produktion                           gelangen
       Unternehmen weitgehend schutzlos ausgesetzt                      wurde gekappt. Die meisten Konsumenten se-
       sind. Waren die Gewerkschaften auf den Schlacht-                 hen vom Tier heute nur noch ein eingeschweißtes
       höfen bis in die 1960er Jahre noch stark, ist ihre               Erzeugnis im Supermarkt. Die Vermutung liegt
       Arbeit in den vergangenen beiden Jahrzehnten                     nahe, dass ein Besuch im Schlachthof, um diese
       deutlich schwieriger geworden. Und Tarifverträ-                  Anonymisierung zu durchbrechen, die Bereit-
       ge sind weltweit überwiegend unbekannt.                          schaft zum Fleischverzehr nicht erhöht.

       FLEISCHATLAS 2014                                                                                                                                19
Zoom                   Seitenbreite            Suchen                Zum Inhalt                             2-Seiten Vollbildmodus ein/aus

  DEUTSCHES DUMPING-SCHLACHTEN
                                 Großbetriebe dominieren auch in Deutschland die Schlachthofbranche. Billiglöhne
                                 für die Leiharbeiter aus dem Osten der EU begünstigen weitere Investitionen der
                                 Konzerne. Doch gegen noch mehr Mast- und Schlachtanlagen regt sich Widerstand.

                                 D
                                         eutschland steht bei der Schweineschlach-                  per Stromschlag betäubt. Arbeiter hängen sie in
                                         tung mit über 58 Millionen getöteten Tie-                  ein „Schlachtband“ ein. Von hier an übernimmt
                                         ren pro Jahr auf Platz 1 der europäischen                  die Maschine die Zerlegung der Tierkörper. Die
                                 Spitzenproduzenten, beim Rindfleisch auf Platz                     Teile kommen in ein Kühlhaus, bis sie zur Weiter-
                                 2 hinter Frankreich. Auch bei Hühnern gehört                       verarbeitung transportiert werden.
                                 Deutschland zu den Top 5. Bundesweit existieren                        2012 waren in Deutschland fast 28.000 Men-
                                 knapp 350 Schlachthöfe mit jeweils über 20 Be-                     schen im Bereich Schlachtung sozialversiche-
                                 schäftigten. Die meisten dieser Betriebe sind klein                rungspflichtig beschäftigt. Die tatsächlichen
                                 bis mittelgroß; Betriebe mit mehr als 500 Arbeit-                  Arbeitsverhältnisse und die enorme Fluktuation
                                 nehmern sind selten.                                               erschweren präzise Angaben. Durch die EU-Richt-
                                        Dennoch ist der deutsche Schlachtmarkt                      linie zur grenzüberschreitenden Entsendung von
      Tierschützer
                                     zentralisiert. Die vielen kleineren Unterneh-                  Arbeitnehmern ist Deutschland zu einem Billig-
     kritisieren die                 men spielen in Bezug auf die absolute Menge                    lohnland geworden. In den Betrieben arbeiten
   Quälerei des Tötens,               an geschlachteten Tieren nur eine geringe                     vor allem polnische, rumänische oder bulgari-
    Tierrechtler das                 Rolle. Über 55 Prozent des Schlachtwertes                      sche Leiharbeiter, angeworben von Unterneh-
      Töten selbst                   entfielen im Jahr 2012 auf die drei größten                    men in ihren Heimatländern, die sie dann nach
                                   Schweineschlachtkonzerne – Tönnies, Vion und                     Deutschland schicken. Ohne Mindestlohn oder
                                 Westfleisch. Bei den Rindern teilen sich die fünf                  flächendeckende Tarifverträge sind Stundenlöh-
                                 größten Unternehmen etwa die Hälfte des Mark-                      ne unter 5 Euro für Leiharbeiter keine Seltenheit.
                                 tes, der Branchenprimus Vion liegt dabei mit fast                  Untergebracht werden sie in wenig attraktiven
                                 25 Prozent deutlich vorn. Bei Geflügel führt die                   Sammelunterkünften. Manche Schlachter arbei-
                                 PHW Gruppe die Branche an, bekannt durch ihre                      ten scheinselbständig, weil die Unternehmen die
                                 Handelsmarke Wiesenhof.                                            Lohnnebenkosten senken wollen.
                                      Jede Tierart erfordert ein anderes Schlachtsys-                   Die niedrigen Löhne in Deutschland führen
                                 tem, das sich an ihren Körpern orientiert. Rinder                  dazu, dass Fleischkonzerne aus Nachbarländern
                                 werden meistens mit einem Bolzenschuss be-                         ihre Tiere zur Schlachtung nach Deutschland
                                 täubt, Schweine mit Gas oder der Elektrozange.                     bringen. Der Großkonzern Danish Crown ver-
                                 Beide werden anschließend mit einem Kehlen-                        lagerte tausende Arbeitsplätze von Dänemark
                                 schnitt getötet, nach dem Entbluten in das Pro-                    nach Deutschland. Einige Staaten und Initiati-
                                 duktionsband eingehängt und von den Arbeitern                      ven legten deshalb offiziell bei der Europäischen
                                 zerlegt. Wie die Bundesregierung 2012 auf eine                     Kommission Beschwerde ein. Die belgische Regie-
                                 Kleine Anfrage der Grünen bestätigte, ist die Be-                  rung sowie eine Initiative französischer Schlacht-
                                 täubung bei 4 bis 9 Prozent der Rinder und bei                     betriebe sehen in den deutschen Dumpinglöh-
                                 10 bis 12 Prozent der Schweine mangelhaft oder                     nen Wettbewerbsverzerrungen. Im Januar 2014
                                 fehlt sogar ganz. Die Schlachtung von Hühnern                      kündigten die Gewerkschaft Nahrung, Genuss,
                                 ist stärker automatisiert. Sie werden in ein elekt-                Gaststätten (NGG) und Vertreter der deutschen
                                 risch geladenes Wasserbecken getaucht und so                       Fleischindustrie nun an, einen Mindestlohn von
                                                                                                    7,75 Euro/Stunde einzuführen, der schrittweise
                                                                                                    auf 8,75 Euro steige. Dies gelte auch für die aus-
  Fleischproduktion in Deutschland                                                                  ländischen Beschäftigten, die bei Subunterneh-
                                                                                                    men in ihren Heimatländern angestellt sind.
   Millionen Tonnen                                                                                     Damit hofft die Branche, endlich aus den Ne-
                                                                                         DESTATIS

       6                                                                                            gativ-Schlagzeilen zu kommen. Bei den Arbeits-
       5                                                                                            bedingungen kann die NGG jedoch nicht allzu
                                                                                                    viel ausrichten. Die meist kurzen Beschäftigungs-
       4
                                                                                                    verhältnisse in Deutschland und Sprachprobleme
                                               Rind              Schwein
       3
                                               Geflügel          Schaf
                                                                                                    mit den Arbeitnehmerorganisationen im Ausland
       2                                                                                            erschweren eine dauerhafte grenzüberschreiten-
                                                                                                    de Zusammenarbeit. Viele Arbeiter haben außer-
       1
                                                                                                    dem Angst, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie Kri-
       0
        2003    2004      2005   2006   2007    2008      2009      2010   2011   2012
                                                                                                    tik äußern.
                                                                                                        Auch Tierschutzverbände und Tierrechtsor-
                                                                                                    ganisationen kritisieren die Schlachtbranche. Ers-

  20                                                                                                                                   FLEISCHATLAS 2014
Sie können auch lesen