Ressourcenschonung im Anthropozän - Umweltbundesamt
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GELEITWORT Im Laufe der Jahrhunderte, vor allem aber in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit, haben die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes einen enormen, aber verborgenen Reichtum angehäuft: Wir sind umgeben von einem vom Menschen gemachten, sprich anthropogenen Lager in Höhe von über 50 Milliarden Tonnen an Materialien. Viel davon befindet sich im Gebäude-, Infra- struktur-, Anlagen- und Konsumgüterbestand. Noch wächst dieses anthropogene Lager Jahr für Jahr um weitere zehn Tonnen pro Einwohner an und stellt für künftige Generationen eine substanzielle Ressource dar. Bisher verbaute und unzugängliche Materialien werden freigesetzt, können wie- Maria Krautzberger derverwendet und recycelt werden: Mineralische Materialien wie Beton, Gips Präsidentin des Umweltbundesamtes oder Ziegel, Basismetalle wie Stahl, Kupfer oder Aluminium, spezielle Techno- logiemetalle wie Neodym, Cobalt oder Tantal, aber auch andere Materialien wie Kunststoffe, Asphalt oder Holz werden wieder als Sekundärrohstoffe zugängig. Für ein als „rohstoffarm“ geltendes Land wie Deutschland ist dies ein ungeheurer Reichtum. Insbesondere in Hinblick auf einen zunehmenden internationalen Wettbewerb um die knappen Rohstoffe der Erde und die notwendige Drosselung der hohen weltweiten Umweltbelastungen der Primärrohstoffgewinnung. Inwiefern das anthropogene Lager aber einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Lebensgrundlagen bestehender und zukünftiger Generationen leisten kann, hängt davon ab, wie gut es gelingen wird, den Herausforderungen zu begegnen. Denn die immense Stoff- und Produktvielfalt, komplexe Nutzungskaskaden und rasante Technologiezyklen der Produkte und Güter erschweren letztlich eine hochwertige Aufbereitung und Rückgewinnung. Hinzu kommen der demografische Wandel, die Bedürfnisänderungen einer mobilen, schnelllebigen, digitalen und alternden Gesellschaft und damit verbundene regional und zeitlich unterschied- liche Bau-, Sanierungs- und Rückbauerfordernisse. Seit einigen Jahren ist nun „Urban Mining“ in aller Munde, die quasi bergmän- nische Rohstoffgewinnung im urbanen Raum – in der Stadt wie auch in der Kommune. Genauer betrachtet verbergen sich dahinter bislang jedoch häufig nur Konzepte einer erweiterten Siedlungsabfallwirtschaft. Aber im Gegensatz zu dieser mit ihren recht kurzen und damit leicht erfass- und prognostizierbaren Materialumlaufzeiten erfordert eine generationenübergreifende Aufgabe wie Urban Mining weit umfangreichere Instrumente und eine weit vorausschauende Strategie zum Stoffstrommanagement. Für derart große Materialmengen, die erst nach langen Zeiträumen auf die Wirtschaft zukommen, braucht es ein Bewirt- schaftungskonzept mitsamt einer prospektiven Wissens- und Entscheidungsbasis für die Sekundärrohstoffwirtschaft und für die Kommunalpolitik. Hierfür benötigen wir beispielsweise datenbankbasierte, dynamische und kreisscharfe Prognosemodelle, um vorbereitet zu sein für das, was Urban Mining zum Ressourcenschutz in einer zukunftsfesten Kreislaufwirtschaft beitragen kann. Das Umweltbundesamt will mit dieser Broschüre ein gemeinsames Verständnis zum Urban Mining vermitteln und dazu ermutigen, mit diesem Strategieansatz konsequent voranzuschreiten. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Maria Krautzberger Präsidentin des Umweltbundesamtes
URBAN MINING INHALT 01 / EINFÜHRUNG 4 Urban Mining: Modewort oder Mehrwert? 5 Transformationsprozesse im Anthropozän 9 Der Anstieg des anthropogenen Materiallagers 12 02 // URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT 16 Was ist Urban Mining? 17 Lagerbildung langlebiger Güter 18 Städtischer und konventioneller Bergbau im Vergleich 22 3 Landfill Mining 27 03 /// ROHSTOFFPOTENZIALE IM ANTHROPOGENEN LAGER 28 Der Gesamtbestand 29 Dynamische Lager 34 Besondere Aufmerksamkeit für kritische Rohstoffe 35 Potenziale: Von Ressourcen zu Reserven 39 04 //// STRATEGISCHE LEITFRAGEN 44 05 ///// DEN WEG EBNEN – AKTIVITÄTEN UND MASSNAHMEN 48 Forschung – die richtigen Akzente sind gesetzt 49 Im Fokus – Erschließung und Aufbereitung von Baurestmassen 50 Gütegesicherte Recycling-Baustoffe 52 Schadstoffe ausschleusen 54 Materialpässe als zeitlose Informationsquelle 56 Recyclingeffizienz erhöhen – Downcycling verhindern 57 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 62 LITERATURVERZEICHNIS 64 IMPRESSUM 68
EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG 4 Bis dieser PKW ausgeliefert wird, hat er bereits einen Rohstoffeinsatz von 15 Tonnen.
URBAN MINING Urban Mining: Modewort oder anthropogene, also vom Menschen angelegte Mehrwert? Lager immer weiter anwächst, warum es dann nicht verstärkt als Rohstoffquelle nutzen? Warum Rohstoffe sind ein wesentlicher Grundpfeiler immer tiefer nach Bodenschätzen schürfen des heutigen Lebens und des Wohlstands. Um oder die Importe aus fernen Ländern immer den Bedarf zu decken, ist Deutschland zuneh- weiter steigern, wenn der materielle Reichtum mend auf Importe angewiesen – mittlerweile buchstäblich vor der eigenen Tür liegt? Urban werden jährlich über ein Drittel der bundesweit Mining betrachtet unseren unmittelbaren benötigten Materialien, rund 600 Mio. Tonnen, Lebensraum selbst als Rohstoffquelle. Es geht eingeführt. Tatsächlich müssen für diese Importe im weitesten Sinne um die Gewinnung von weltweit 1,7 Mrd. Tonnen an Primärrohstoffen Wertstoffen aus all jenen Quellen, die von gewonnen und geerntet, d. h. unmittelbar der Menschenhand geschaffen worden sind, also: Natur entnommen werden [1]. Denn wir impor- Gebäude, Infrastrukturen, (langlebige) Konsum- tieren nicht nur Rohstoffe, sondern vielfach und Anlagegüter und anderes mehr. Urban höherverarbeitete Produkte, die entlang ihres Mining weitet damit das aus der klassischen 5 bisherigen Lebensweges weitaus mehr Rohstoffe Recyclingwirtschaft bekannte Diktum „Abfall erfordern, als es ihr tatsächliches Gewicht ist Rohstoff“ aus. vermuten lässt. So hängt allein an einem importierten Mittelklasse-PKW ein Rohstoffein- In der Wissenschaft seit Jahren bekannt, hat sich satz von ca. 15 Tonnen, bis dieser ausgeliefert das Urban Mining-Konzept binnen Kurzem zu werden kann. Zu den importierten Rohstoffen einem Modewort entwickelt, unter dessen kommen die inländisch gewonnenen – pro Jahr Deckmantel eine Goldgräberstimmung vor der ca. 1,1 Mrd. Tonnen [2]. eigenen Haustür geschürt wird. Zum Teil wird suggeriert, dass sich in Bauschutt, Mobiltele- Insgesamt liegt die direkte Materialnutzung fonen oder alten Haushaltsgeräten regelrechte der deutschen Volkswirtschaft – unter Abzug Schätze verbergen, die nur darauf warten, gehoben der Exporte – im Inland bei jährlich rund zu werden. Doch wenn Begriffe wie Elektroschrott, 1,3 Mrd. Tonnen. Die Materialmenge entspricht Schubladenhandys, Altautorecycling, Wert- einem würfelförmigen Betonquader mit stofftonne oder Deponieschatzkarte in einem 800 Meter Kantenlänge, der in dieser Größe Atemzug genannt werden, liegt der Verdacht nahe, auch innerhalb der Bundesrepublik verbleibt dass mit dem Begriff „Urban Mining“ lediglich – Jahr für Jahr. Wo aber geht dieser immense ein medienwirksam inszeniertes neues Gewand Materialstrom hin? Offensichtlich wächst die für die gesamte Abfall- und Rohstoffwirtschaft Volkswirtschaft physisch immer weiter an, gefunden wurde – und damit auch altbekannte denn weniger als ein Drittel dieser Menge lässt Antworten für zum Teil altbekannte Fragen und sich jährlich als Abfall registrieren. Probleme der Abfallwirtschaft, z. B. zur Getrennt- sammlung von Siedlungsabfällen, der Wahrneh- Angesichts des enormen Rohstoffbedarfs und mung der Produktverantwortung, dem illegalen knapper natürlicher Ressourcen sind Alternativen Elektroschrottexport oder der thermischen gefragt. Hier setzt eine in den letzten Jahren Beseitigung, um Schadstoffe auszuschleusen. populär gewordene Maxime an – Urban Mining, Eine neue Aufmachung kann zwar hilfreich sein, zu Deutsch „städtischer Bergbau“: Wenn das um alten Problemen wieder zu Aufmerksamkeit
EINFÜHRUNG zu verhelfen. Gleichwohl liegt darin die viel reicherung verhindert werden. Kreislaufwirtschaft größere Gefahr, dass das Innovative verloren geht erfordert also ein Denken in Stoffströmen aus und Urban Mining zu einer bloßen Worthülse einer Lebenszyklus-Perspektive, welche die verkommt, die je nach Kontext mit unterschied- gesamte globale Wertschöpfungskette von der lichen Inhalten gefüllt werden kann. Das wäre Rohstoffgewinnung bis hin zur Abfallbewirtschaf- bedauerlich, denn Urban Mining enthält tung berücksichtigt. Urban Mining kann hier als wesentliche neue Ansätze und ist als Strategie strategischer Ansatz des Stoffstrommanagements auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden helfen, die Potenziale der Kreislaufwirtschaft zu Kreislaufwirtschaft bedeutsam. nutzen und dabei unterschiedliche Interessen zusammenzuführen [4, 5]. Die folgenden sechs Die Abkehr vom ressourcenintensiven, linearen Aspekte mögen dies beispielhaft illustrieren: Wirtschaftsmodell des „take, make, consume and dispose“ hin zu einer ressourceneffizienten 1. Erschließung des Sekundärrohstoffauf- Kreislaufwirtschaft ist erklärtes Ziel der EU [3]. kommens und Reduzierung der Importab- Um dahin zu gelangen, müssen die in Produkten hängigkeit enthaltenen Materialien möglichst in ihrer bishe- Deutschland verfügt zwar noch über einen rigen Funktionalität in einem Materialkreislauf nennenswerten einheimischen Bergbau für Roh- gehalten und dabei eine Schad- und Störstoffan- stoffe wie Kalisalz und Spezialtone, ist aber bei Abbildung 1 Nettoabfallaufkommen in Deutschland pro Kopf [2014] 3.000 6 2.500 2.581 kg 96 kg Sonstige 7 kg Elektroaltgeräte 70 kg Verpackungen 2.000 98 kg Papier und Pappe kg / Einwohner 30 kg Glas 71 kg Garten- und Parkabfälle 51 kg Biotonne 1.500 30 kg Sperrmüll 175 kg Hausmüll 1.000 733 kg 500 629 kg 372 kg 0 Abfälle aus der Gewinnung und Bau- und Produktions- und Siedlungsabfälle Behandlung von Bodenschätzen Abbruchabfälle Gewerbeabfälle Quelle: [9]
URBAN MINING Erzen und Metallen zu 100 Prozent auf Importe weil wir einen so hohen anthropogenen Lager- angewiesen [105]. Deshalb besitzt Recycling bestand haben? Urban Mining kann helfen, eine hohe Priorität, so werden beispielsweise den Primärrohstoffbedarf zu senken und damit 30 Prozent der Kupferhalbzeug- und Kupferguss- anderen Ländern den Zugriff zu Rohstoffen zu produktion aus inländischen Kupferschrotten erleichtern und deren Entwicklung zu begünstigen. erzeugt. In der deutschen Stahlproduktion werden bereits mehr als 50 Prozent durch den Einsatz 5. Abfallbewältigung von Altschrotten und Schrottabfällen aus der 2014 lag das Nettoabfallaufkommen in Produktion hergestellt. Auch bei kritischen Deutschland bei rund 350 Mio. Tonnen, das macht Technologiemetallen wie etwa den in Generatoren pro Kopf rund 4,3 Tonnen Abfall [9] (s. Abbildung von Windkraftanlagen zum Einsatz kommenden 1). Nur ein Siebtel davon sind sogenannte haus- Seltenen Erden Neodym und Dysprosium lässt haltstypische Siedlungsabfälle wie Hausmüll, sich mit selektiver Rückgewinnung perspektivisch Verpackungen, Papier und Glas, die überwiegend die Importabhängigkeit mindern. aus kurzlebigen Gütern stammen. Doch dieser relativ kleine Teil bekommt in der öffentlichen 2. Bewältigung von Rohstoffknappheiten Debatte, etwa um das Wertstoffgesetz, die größte Viele Zukunftstechnologien basieren auf kriti- Aufmerksamkeit. Die Novellierung der hebel- schen Technologiemetallen, d. h. sie sind nicht wirksameren Gewerbeabfallverordnung ging nur risikobehaftet in der Beschaffung, sondern demgegenüber fast lautlos vonstatten. Mit Urban Das Recycling von auch unverzichtbar. Für einige Elemente wie Gold, Mining rückt die Frage, was mit den restlichen Metallen trägt Zinn und Antimon würde ein fortschreitender 3,7 Tonnen und den langlebigen Gütern passiert, erheblich zur Scho- nung natürlicher Anstieg der Nachfrage schon in drei bis vier in den Fokus. Ressourcen bei. Jahrzehnten die derzeitige Reservenbasis, d. h. die technisch derzeit abbauwürdigen Lagerstät- ten, überschreiten. Es ist fraglich, ob in gleichem Umfang neue Lagerstätten entdeckt werden 7 können, um die Reservenbasis entsprechend auszuweiten. Daraus resultierenden Knappheiten ließe sich durch Urban Mining entgegenwirken. 3. Wirtschaftliche Vorteile Recycling erhöht die inländische Wertschöpfung und trägt zu erheblichen Kosteneinsparungen im produzierenden Gewerbe bei. Die deutsche Sekundärrohstoffwirtschaft stellte 2007 Kupfer und Stahl im Gesamtwert von 8,6 Mrd. Euro bereit. Daraus ergeben sich gegenüber Primärmetallen Kosteneinsparungen von 1,5 Mrd. Euro [6]. Urban Mining wird dazu beitragen, die inländische Wertschöpfung durch Recycling weiter zu steigern. Schon jetzt sind Recyclingaktivitäten mit 29,1 Mrd. Euro Umsatz 2014 und einem jährlichen Wachstum von 3,5 Prozent unange- fochtener Kernbereich des Gesamtmarktes zur Kreislaufwirtschaft (41 Prozent) [7]. 4. Beitrag zur globalen Verteilungsgerechtigkeit Die direkte inländische Materialnutzung ist in Deutschland mit rund 16 Tonnen pro Kopf und Jahr noch um das Drei- bis Vierfache höher als in Schwellenländern wie Indien und etwa doppelt so hoch wie in China [8]. Und das obwohl oder
EINFÜHRUNG 8 Gemischte Bau- 6. Ökologische Entlastung gesamte etablierte Siedlungsabfallwirtschaft und Abbruchab- fälle zu recyceln, Allein das Recycling von Kupfer, Stahl und subsumiert werden. Vielmehr gilt es, den Fokus stellt eine große Herausforderung Aluminium spart in Deutschland 406 Petajoule auf den Gesamtbestand an langlebigen Gütern dar. Zukünftig an Primärenergieaufwand ein, immerhin fast und deren intelligente Bewirtschaftung in der soll daher die Getrenntsammlung drei Prozent des jährlichen Primärenergiever- Anthroposphäre, dem vom Menschen gestalteten verbessert werden. brauchs Deutschlands. Dies entspricht dem Lebens- und Wirkungsraum, zu legen. Angesichts jährlichen Brennstoffeinsatz von zwei großen der Verweilzeiten stellt es für Urban Mining eine Braunkohlekraftwerken. Zudem sind mit dem große Herausforderung dar, für die Gewinnung Recycling weltweite Rohstoffeinsparungen von von Sekundärrohstoffen aus langlebigen Gütern 181 Mio. Tonnen jährlich verbunden, mitsamt zu erfassen, welche Materialien in welchem den sonstigen Umweltwirkungen durch deren Umfang wann und wo wieder aus dem anthropo- Veredelung und Weiterverarbeitung (2007) [6]. genen Lager freigesetzt werden. Ein strategischer Ausbau der Sekundärrohstoff- gewinnung durch Urban Mining könnte diese Im Kontext der globalen Rohstoffgewinnung kann Einsparungen noch beträchtlich erhöhen. der Urban Mining-Ansatz für einen zukünftigen Paradigmenwechsel stehen: Stoffstrommanage- Damit Urban Mining nicht zu einem inhalts- ment und Bewirtschaftungskonzept langlebiger leeren Modewort wird, sondern die genannten Güter als Beitrag zur Schonung natürlicher Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, Ressourcen. Um den grundlegenden Umbruch ist es notwendig, dass der Begriff einheitlich zu verstehen, hilft ein Blick auf die Anthropo- verstanden wird und inhaltlich klar ausgerichtet sphäre selbst und ihre Wechselwirkungen mit ist. Unter „Urban Mining“ soll gerade nicht die der Ökosphäre.
URBAN MINING Transformationsprozesse im und der Bio- und Geosphäre beschreibt, gilt Anthropozän nach wie vor: Die verschiedenen Sphären sind Teil eines nahezu geschlossenen Systems, das Der hinter dem Urban Mining stehende Wieder- durch die ständige Energiezufuhr der Sonne verwendungs- und Verwertungsgedanke ist angetrieben wird. keineswegs neu. Die Gewinnung von Sekundär- rohstoffen aus ausgedienten Gütern ist keine Neu sind das Ausmaß der Wechselwirkungen, Erfindung der Moderne. Viele mineralische das zwischen der menschlichen Sphäre und Materialien, wie bearbeitete Granitsteine, oder den anderen Sphären besteht, sowie der rasante Eisenbeschläge wurden gerade vor der indus- Anstieg des weltweiten gesellschaftlichen triellen Revolution bis zur Unbrauchbarkeit Rohstoffhungers während der letzten Jahrzehnte. weitergenutzt und wiederverwertet, da sie zu Ein genauer Blick auf die Anthroposphäre bietet wertvoll waren und ihre Herstellung zu aufwendig, den Schlüssel zum Verständnis, warum Urban um sich ihrer vorschnell zu entledigen. Auch das Mining in Zukunft von so großer Tragweite sein Modell, das die Wechselwirkung zwischen dem wird (s. Abbildung 2). menschlichen Lebensraum, der Anthroposphäre, Abbildung 2 Anthropogener Stoffwechsel mit der natürlichen Umwelt Erde Anthroposphäre 9 Biosphäre Aufbereitung Produktion Erneuerung Instandsetzung Recycling Verwertung Wiederverwendung Verwertung Nutzung Geosphäre Energie Material Eigene Darstellung nach [10]
EINFÜHRUNG Die Anthroposphäre ist der gesellschaftliche, die Nutzbarmachung fossiler Energieträger –, der technologische und kulturelle Wirkungsraum nicht nur einen massiven Eingriff in geologische des Menschen, in dem er lebt, arbeitet, kommu- Stoffkreisläufe, sondern auch eine großflächige niziert und wirtschaftet. Der Mensch entnimmt Entkopplung der zunehmend industrialisierten seiner natürlichen Umwelt Rohstoffe, und bedient Landwirtschaft von natürlichen Nährstoffkreis- sich dabei weiterer natürlicher Ressourcen. läufen mit sich brachte [14]. Der anthropogene Dadurch verlagert er sie in die Anthroposphäre, Metabolismus hat sich qualitativ und quantitativ in der seine von ihm gebauten und betriebenen seitdem enorm intensiviert, sodass mittlerweile biologischen und technischen Prozesse stehen von einer neuen erdgeschichtlichen Epoche und in der seine Aktivitäten stattfinden. gesprochen wird: dem Anthropozän, dem Zeit- alter des Menschen [15, 16]. Ein wichtiges Indiz Die entnommenen Rohstoffe werden zu Infra- dafür, dass die erdgeschichtliche Epoche des strukturen, Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie Anthropozäns begonnen hat, sind menschen- Gütern des täglichen Gebrauchs transformiert und verursachte Phänomene des Klimawandels, bilden sogenannte anthropogene Lager. Diese die Versauerung von Ozeanen, Versteppung, Lager umfassen die Masse an Material, die in Erosion, Schwermetallbelastungen, radioaktive einem stofflichen System am Ende eines Bilanz- Verstrahlung und Biodiversitätsverlust [17]. zeitraums verbleibt. Die Größe eines Lagers ergibt Nach biophysikalischen Methoden und Modellen sich als Summe des Anfangsbestands sowie des lässt sich ein globaler „safe operating space“ Saldos aus Zu- und Abflüssen. Je nachdem, ob ein definieren, innerhalb dessen ökologischer Lager anwächst oder schrumpft, kann es Quelle Grenzen ein sicheres und nachhaltiges Leben oder Senke von Materialien sein [10, 11]. für die Menschheit gewährt bleibt. Für vier von neun definierte planetare Grenzen haben wir die Die Anthroposphäre ist geprägt durch einen Belastungsgrenzen aller Wahrscheinlichkeit immensen Transformationsprozess. Alle mensch- nach bereits überschritten [18, 19]. All dies lichen Aktivitäten produzieren mit jeder Form der sind existenzielle Ausprägungen des gestörten 10 Nutzung von Materialien und deren Umwandlung Stoffwechsels zwischen der Anthroposphäre und Abfälle und Emissionen. Diese werden teils gezielt, den übrigen Sphären – die Soll-Buchung einer teils auch ungewollt in Deponien abgelagert, in nicht nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise. Gewässer eingeleitet oder in die Atmosphäre ausgestoßen. Die Anthroposphäre kann als eigenständiger Metabolismus aufgefasst werden, der Stoffwechselbeziehungen zu seiner Umwelt unterhält. In Fachkreisen wird schon seit Langem von einem anthropogenen – oder synonym auch von einem sozioökonomischen, industriellen oder technischen – Metabolismus gesprochen [12, 13]. Teile der Umwelt wie Geosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre werden dabei nicht nur bei der Rohstoffentnahme kolonisiert, sondern auch infolge des Outputs des anthropogenen Stoff- wechsels. Die Grenzen der Sphären sind fließend und werden durch dynamische Stoffwechselbe- ziehungen permanent verschoben. Der anthropogene Stoffwechsel war auf globalem Niveau in der Menschheitsgeschichte lange Zeit ohne existenzielle Auswirkung auf die natürliche Umwelt, deren Senkenkapazität durch ein Ineinandergreifen von biologischen und geo- Der Mensch als logischen Stoffkreisläufen in einem stabilen erdgeschichtlicher Gleichgewichtszustand verharrte. Es war erst der Faktor: Verlust der Nacht durch künst- revolutionäre industrielle Wandel – getrieben durch liche Beleuchtung.
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EINFÜHRUNG Abbildung 3 Globale Rohstoffgewinnung [1900 – 2009] 70 60 50 Milliarden Tonnen 40 30 20 10 12 0 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2009 Biomasse Fossile Energieträger Erze und Industriemineralien Baumineralien Quelle: [20] Der Anstieg des anthropogenen die Gewinnung und Verarbeitung von Erzen, Materiallagers Industriemineralien und Baumineralien um ein Sechs- bis Achtfaches erhöht [20]. Die beschriebene Intensivierung des anthropo- genen Metabolismus ließ die globale Rohstoff- Die anthropogenen Stoffflüsse zahlreicher Metalle entnahme binnen des 20. Jahrhunderts um ein durch Bergbau, Produktion und Konsum liegen Achtfaches steigen (s. Abbildung 3). Bei einer mittlerweile in der gleichen Größenordnung wie gleichzeitigen Vervierfachung der Bevölkerungs- deren natürliche, geologische Flüsse durch zahl hat sich der Rohstoffbedarf pro Kopf also Sedimentation, Abtragung oder Tektonik [21]. Für verdoppelt, allein der Biomassebedarf pro Kopf Kupfer übersteigen die anthropogenen Flüsse die ist trotz absolutem Anstieg nahezu unverändert natürlichen (mit jährlich ca. 15 Mio. Tonnen) geblieben (s. Abbildung 4). Die Nutzung fossiler schon um ein Dreifaches. Eine rasante Entwicklung, Energieträger, deren mittelbare Auswirkungen denn von den schätzungsweise 400 Mio. Tonnen auf den anthropogenen Klimawandel als eine Kupfer, die durch Menschenhand gewonnen der offenkundigsten „Stoffwechselstörungen“ wurden, stammen mehr als 97 Prozent aus dem spürbar sind, hat sich dagegen verdreifacht. 20. Jahrhundert [22]. Nicht zuletzt mit diesem Energieeinsatz hat sich
URBAN MINING Abbildung 4 Globale Rohstoffgewinnung pro Kopf [1900 – 2009] 10 8 6 Tonnen 4 2 13 0 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2009 Biomasse Fossile Energieträger Erze und Industriemineralien Baumineralien Quelle: [20] Die Qualität der Verlagerung zeigt sich unterdessen Transformation hat in menschlichen Zeiträumen in der Diversität an Stoffen, die unter anderem von nur wenigen Generationen stattgefunden durch die Entwicklung neuer Technologien [25]. Und sie ist vor allem eine Entwicklung ausgelöst wurde. Wurden zu Beginn des 18. der Industrieländer, die zwar nur 15 Prozent Jahrhunderts nur 14 chemische Elemente in der Bevölkerung stellen, aber rund ein Drittel irgendeiner Form wirtschaftlich genutzt, waren des globalen Rohstoffverbrauchs haben. Auf es um 1900 schon 32 der zu diesem Zeitpunkt Deutschland bezogen bedeutet das, dass rund bekannten 83 Elemente. Im Jahr 2000 wurden ein Prozent der Weltbevölkerung vier Prozent alle 80 natürlichen, stabilen Elemente des der Rohstoffe für sich beansprucht. Periodensystems sowie sieben weitere radioaktive Elemente wirtschaftlich genutzt [23]. Allein Angetrieben von dem immensen Rohstoffzugriff auf einer PC-Leiterplatte befinden sich 44 unter- und Bevölkerungswachstum stieg die globale schiedliche Elemente[24] (s. Abbildung 5, S. 14) Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahrhundert um den Faktor 24. Dabei hat die Volkswirtschaft Die systematische und großskalige Verlagerung auch stofflich – physisch – erheblich „zugelegt“, vieler Metalle und Mineralien aus der Geosphäre vor allem durch die Ansammlung von Metallen in die Anthroposphäre und der dortigen und Baumineralien. Sie sind zum Großteil,
EINFÜHRUNG im Gegensatz zu den biotischen und fossilen rungszuwachs üben einen regelrechten Sog auf Materialien, die überwiegend als Nahrungs- bzw. Rohstoffe aus. Mehr als 80 Prozent der einge- Futtermittel oder Brennstoff verbraucht werden, henden Güterströme verbleiben in diesen und noch nach vielen Jahrzehnten in der Anthro- bilden auf unbestimmte Zeit Lagerstätten [27]. posphäre vorhanden und bilden ein enormes Welche Bedeutung Städte und Siedlungen als Materialreservoir. Rohstofflager haben, hängt außerdem von struk- turellen Erneuerungs- und Änderungsprozessen Das Gros an Metallen und Baumineralien wandert ab, denen sie unterliegen. Dichte, Größe und in langlebige Investitionsgüter hochvernetzter Altersverteilung ihrer Bevölkerung schwanken, städtischer Siedlungen, die dank komplexer die demografische Entwicklung und Migrations- Infrastrukturen und Logistiksysteme als kulturelle trends erzeugen eine Pfadabhängigkeit, die und wirtschaftliche Zentren fungieren. Die über das Schicksal von Städten und Siedlungen anhaltende Urbanisierung seit Mitte des entscheidet. Bevölkerungsanstieg oder -schwund 20. Jahrhunderts hat urbane Kulturlandschaften ist wegweisend dafür, ob Städte und Siedlungen geschaffen, in denen 2015 rund 55 Prozent der weiterhin ein starkes physisches Wachstum Weltbevölkerung lebten [26], mit steigender erfahren oder ihr Materialhaushalt stagniert. Tendenz. Typische urbane Räume mit Bevölke- Tatsächliche Schrumpfungen sind bislang nur Abbildung 5 Vielfalt von Elementen auf einer Leiterplatte As Sc Se K Cd 14 Cs Hf Sr Co Hg Th Pt Eu P Zr La Cr Bi Be Cl Ag S Ta Mg Na Mo Pd Ca Al Sn Au Ce Ti Si Ni V Br Sb Mn Zn Pb Ba Fe Cu Parts per Million (PPM): 10 0 101 102 103 104 105 106 Eigene Darstellung nach [24]
URBAN MINING FOTO 15 in Ausnahmefällen zu beobachten, werden aber in den Konsumbereich und Güterbestand. Ein Allein in deutschen Bahnhöfen sind zukünftig zunehmen. Zwei Entwicklungslinien weit verbreitetes Diktum lautet: „Abfall ist Materie rund 32 Mio. Tonnen an Mate- lassen sich daraus ableiten, die auf sehr unter- am falschen Ort“. Wird dem nicht Rechnung rialien langfristig schiedliche Auffassungen verweisen [28]: getragen, könnten sich regional schon bald gebunden. sehr große Abfallströme als Materie am falschen 1. Anthropogene Lager als Rohstoffquelle Ort erweisen, mit allen wirtschaftlichen und Die anthropogenen Materiallager, die innerhalb ökologischen Konsequenzen. des vergangenen Jahrhunderts in der gesamten Volkswirtschaft aufgebaut worden sind und noch Welche Haltung das gesellschaftliche Bewusst- immer bedeutend anwachsen, können erhebliche sein dominieren wird, ob die anthropogenen positive Rückwirkungen auf die zukünftige Lager als Vermögen oder Last empfunden Verfügbarkeit von Rohstoffen haben, indem werden, entscheidet sich weniger im globalen aus diesen in großem Umfang Sekundärrohstoffe Metabolismus zwischen Anthroposphäre und erschlossen werden. Ökosphäre. Den Ausschlag wird vielmehr der Stoffwechsel innerhalb unserer anthropogenen 2. Anthropogene Lager als „Abfalllast“ Welt geben. Urban Mining kann hierzu als Stra- Je stärker die Anthroposphäre wächst, desto mehr tegie und Denkausrichtung einen erheblichen verlagern sich auch Abfall- und Emissionspoten- Beitrag leisten. ziale aus der Rohstoffgewinnung und Verarbeitung
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT Urban Mining ist eine aktive, gestalterische Strategie. 16 URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGS KONZEPT
URBAN MINING Was ist Urban Mining? benutzten Elektro- und Elektronikgeräten. Vielmehr ergänzt und unterstützt es diese Aus Sicht des Umweltbundesamtes ist Urban methodisch und konzeptionell. Mining die integrale Bewirtschaftung des anthropogenen Lagers mit dem Ziel, aus Worin sich Urban Mining von der Abfallwirtschaft langlebigen Produkten, Gebäuden, Infrastruk- unterscheidet, sind die Systemgrenzen der turen und Ablagerungen Sekundärrohstoffe zu Betrachtung. Die Abfallwirtschaft beschäftigt gewinnen. Als langlebig werden all jene Güter sich im Kern mit dem Abfallaufkommen an sich, bezeichnet, die durchschnittlich ein Jahr oder dessen Menge, Zusammensetzung und einer länger im Nutzungsraum verbleiben und Lager bestmöglichen und schadlosen Rückführung der relevanter Größe bilden. Auch wenn die wört- Materialien in den Stoffkreislauf. Urban Mining liche Übersetzung von Urban Mining „städti- bezieht dagegen den Gesamtbestand an langle- scher Bergbau“ lautet, geht es nicht allein bigen Gütern, deren Lagerbildung sich schwerer um innerstädtische Lager, sondern vielmehr um erfassen lässt, mit ein, um möglichst früh künf- alle genannten Güter. Dabei ist es unerheblich, tige Stoffströme prognostizieren zu können und 17 ob die Güter noch aktiv genutzt und erst in ab- bestmögliche Verwertungswege abzuleiten und sehbarer Zukunft freigesetzt werden, wie im Fall zu etablieren, noch bevor die Materialien als industrieller und kommunaler Bauwerke sowie Abfall anfallen. Elektrogeräten in Haushalten, oder nicht mehr in Verwendung sind, wie etwa stillgelegte Informatorische und prognostische Instrumente Bahntrassen, Abfalldeponien und Halden. Auch setzen bereits dann an, wenn Produkte in Verkehr spielt es keine Rolle, ob die Güter ortsfest sind gebracht werden. Damit werden Bindeglie- (z. B. Windkraftanlagen) oder mobil (z. B. Fahr- der zum Produktions- und Konsumbereich zeuge). Sie alle sind Teil der Betrachtung. geschaffen. Der überwiegende Teil der aktiven Siedlungsabfallwirtschaft, der sich maßgeblich Die strategische Ausrichtung ist langfristig. der Bewirtschaftung von Abfällen kurzlebiger Sie orientiert sich an den Lebensdauern und Güter widmet (Biomüll, Leichtverpackungen, Lagerdynamiken der betrachteten langlebigen Altglas, Hausmüll), gehört aus Sicht des Güter und versucht qualitativ hochwertige Umweltbundesamtes nicht in den Betrachtungs- Stoffkreisläufe zu etablieren. Urban Mining bereich des Urban Mining. zielt auf ein Stoffstrommanagement ab, das vom Aufsuchen (Prospektion), der Erkundung (Ex- ploration), der Erschließung und der Ausbeutung anthropogener Lagerstätten bis zur Aufbereitung der gewonnenen Sekundärrohstoffe reicht. Urban Mining ist kein gänzlich von der Abfall- wirtschaft losgelöster Ansatz. Es ersetzt auch keineswegs regulierte abfallwirtschaftliche Bereiche, beispielsweise zur Verwertung von Altautos oder zur Reduktion der zunehmenden Menge an Elektronikschrott aus nicht mehr
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT Abbildung 6 Globale Aluminiumflüsse und -bestände [2009] Halbzeuge Endprodukte Verwendung BAU 12,1 Mio. t 210 Mio. t Bleche und Platten VER Primäraluminium Folien 10,8 Mio. t 179 Mio. t 29,4 Mio. t Dosenbleche VPK 5 Mio. t 7,4 Mio. t MB Strangpressprodukte 3,7 Mio. t 66 Mio. t ET 6,2 Mio. t 111 Mio. t Drähte und Kabel Recycling 42,6 Mio. t LG 28 Mio. t 3,8 Mio. t Formgussprodukte 9,8 Mio. 32,8 Mio. t t SON 36 Mio. t 2,4 Mio. t Pulver und Pasten Sonstige 24,8 Mio. t 8 Mio. 18 Neuschrotte/Produktionsschrotte Altschrotte BAU: Bauwesen MB: Maschinenbau SON: Sonstige VER: Verkehr ET: Elektrotechnik LAGER VPK: Verpackungen LG: Langlebige Gebrauchsgüter Eigene Darstellung nach [29] Lagerbildung langlebiger Güter Industrieanlagen derzeit lediglich zehn bis 25 Prozent [29]. Das Materiallager an Aluminium Die Fokussierung auf langlebige Güter im Urban in Verpackungsmaterialien im Konsumbereich Mining ist notwendig, weil diese ein signifikant bildet ein geringes Plateau von fünf Mio. Tonnen. anderes Verhalten in den urbanen Lagern Hingegen sind es für die Aluminiumanteile in aufweisen als kurzlebige Güter. Hinzu kommt, sämtlichen langlebigen Anwendungen bereits dass die von ihnen gebildeten Materiallager um rund 600 Mio. Tonnen. mehrere Größenordnungen umfangreicher sind. Deutlich wird diese Problematik am globalen Ein ähnliches Bild ergibt sich für Kunststoffe. In Aluminiumeinsatz (s. Abbildung 6). Lediglich der Bundesrepublik werden ca. 150 Kilogramm ein Sechstel davon kommt in kurzlebigen Gütern Kunststoffe pro Jahr und Einwohner verarbeitet. zum Einsatz, überwiegend in Verpackungen. Hiervon findet sich ca. ein Drittel in kurzlebigen Während jährlich weltweit rund 80 Prozent des Gütern wie Verpackungen wieder. Abfallseitig in Verpackungen eingesetzten Aluminiums sind die Verhältnisse deutlich verschieden: Bei wieder als Abfall erfasst und recycelbar ist, sind Kunststoff liegt die Recyclingrate niedriger als es im Gebäudebereich, in Maschinen und bei Aluminium. Von den ca. 60 Kilogramm an
URBAN MINING Abbildung 7 Lagerdynamik kurz- und langlebiger Güter im Vergleich am Beispiel von Aluminium in Verpackungen und PKW * Menge 19 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 * Zur Veranschaulichung wird in der Abbildung davon ausgegangen, dass Inverkehrbringung – Aluminium in Verpackungen von 2010 bis 2020 die gleiche Menge an Aluminium in Verpackungen und PKW in Verkehr gebracht wird. Abfall-Aluminium in Verpackungen Anthropogenes Lager – Aluminium in Verpackungen Inverkehrbringung – Aluminium in PKW Abfall-Aluminium in PKW Anthropogenes Lager – Aluminium in PKW Eigene Darstellung Bis zu 30 Jahre können vergehen, bis diese Alufelgen wieder aus dem anthropogenen Lager freigesetzt werden.
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT Verbraucher-Kunststoffabfällen pro Jahr und schnell abgebaut und es etablieren sich neue auf Einwohner sind 60 Prozent Verpackungskunst- Basis der geänderten Produktbeschaffenheiten. stoffabfälle [30, 31]. Auch wenn die Verpackungs- Die aktiven Gesamtlager in Haushalten nehmen kunststoffe abfallwirtschaftlich am relevantesten nicht merklich zu und verbleiben auf verhältnis- erscheinen, haben sie im anthropogenen Lager, mäßig niedrigen Mengenplateaus. Das hat den das sich für Kunststoffe schätzungsweise auf drei Vorteil, dass nicht nur die Produktionsmengen, Tonnen pro Einwohner bemisst, nur eine sehr sondern auch die Abfallaufkommen aus Haus- geringe Bedeutung. halten und Gewerbe planbar sind. Dies ist der wesentliche Aktionsradius von siedlungsabfall- Wie die beiden Beispiele für Aluminium und wirtschaftlichen Maßnahmen. Kunststoffe zeigen, stellen kurzlebige Güter zwar von ihrer Menge her relevante Materialströme Eine solch verlässliche Planbarkeit ist im Fall von dar, erreichen aber im Umlauf zumeist schnell langlebigen Gütern nicht ohne weiteres gegeben. stabile Sättigungen. Lebensmittel, Kosmetik oder Es dauert sehr viel länger, bis sich Materialpla- Reinigungsmittel etwa werden ganz überwiegend teaus herausbilden. Je länger die erwarteten nur in einem Maße produziert und gekauft, wie Nutzungsdauern ausfallen, je unspezifischer die sie auch verbraucht oder entsorgt werden. Lebensdauer der Güter ist, desto dynamischer Werden technologische Neuerungen eingeführt, gestaltet sich die Lagerbildung. Dies zeigt sich in beispielsweise hinsichtlich der Materialauswahl sogenannten logistischen Wachstumskurven mit bei Verpackungen, so werden vorherige Plateaus einem großen zeitlichen Versatz zwischen Input- Abbildung 8 Modellhafte Kaskadennutzung für Holz 20 Wald Rundholz Vollholz-/Furnierprodukte Spanplatten/Holzwerkstoffe Holz zur energe- tischen Nutzung Chemische Produkte Energetische Verwertung Eigene Darstellung
URBAN MINING und Outputflüssen (s. Abbildung 7). Mobile wieder komplexere Plattformchemikalien, z. B. Güter und Komponenten zunächst immobiler zur Kunststoffproduktion, herzustellen. Als finale Güter können durch eine Vielzahl von Lagern Stufe erfolgt die energetische Verwertung, aus der in der Konsumsphäre wandern. So lange allenfalls noch eine Nutzung der verbleibenden diese aktiv genutzt werden, ist dies auch im Asche als Düngezuschlagstoff möglich ist. Sinne einer Kaskadennutzung erstrebenswert (s. Abbildung 8). Unter Kaskadennutzung wird Doch für viele Gütergruppen verliert sich die Spur. die stoffliche Mehrfachnutzung von Produkten Und das nicht nur im Falle einer technisch- und ihrer Komponenten verstanden, bevor diese stofflichen Dissipation, d. h. einer produktions- einer abschließenden energetischen Nutzung oder nutzungsbedingten Feinverteilung von oder Beseitigung zugeführt werden. So kann Stoffen, etwa in Folge korrosions- oder abriebs- beispielsweise Holz, das als hochwertiges bedingter Abnutzung. Diese Spur tritt häufig erst Massivholz im Baubereich genutzt wurde, nach dann wieder zu Tage, wenn die Güter als Abfall Ablauf der Nutzung entweder als solches anfallen, mit mehrjährigem bis hin zu jahrzehn- wiederverwendet oder aber zu Spanplatten telangem Verzug. Obgleich Zeitpunkt und Menge verarbeitet werden, die sich theoretisch auch noch nicht genau vorherzusehen sind, ist mehrfach rezyklieren lassen. Eine weitere Stufe absehbar – so lange das Gesamtmateriallager Bevor es energe- tisch verwertet innerhalb einer Kaskade wäre ein (bio-)chemischer anwächst –, dass langfristig auch der Output, wird, kann Holz Aufschluss oder eine Vergasung zu Synthesegas überwiegend in Form eines behandlungswürdigen über mehrere Stufen stofflich (Wasserstoff und Kohlenstoffmonoxid), um daraus Abfallaufkommens, steigen wird. genutzt werden. 21
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT Städtischer und konventioneller Trotz offensichtlicher Unterschiede lassen sich Bergbau im Vergleich zwischen konventionellem und städtischem Bergbau viele Gemeinsamkeiten entdecken, und Auch wenn die Gewinnung von Sekundärroh- beide Verfahren haben, je nach Rohstoff- bzw. stoffen gemeinhin nicht mit konventionellem Gütergruppe, ihre Stärken und Schwächen in Bergbau in Verbindung gebracht wird, lohnt ein den folgenden zehn Kategorien (s. Tabelle 1): Vergleich der beiden Methoden zur Rohstoffge- winnung. Der konventionelle Bergbau widmet Ein Blick auf die Größe der Lagerstätten offenbart, sich laut Bundesberggesetz der Sicherung der dass gerade auf nationaler Ebene die anthropo- Rohstoffversorgung durch das Aufsuchen, genen Lager die geologischen Ressourcen für Gewinnen und Aufbereiten von Bodenschätzen. einige bedeutsame Rohstoffe vom Umfang her Im Grunde passt diese Beschreibung genauso teils deutlich übersteigen. In Japan etwa wird auf die Gewinnung von Sekundärrohstoffen im das anthropogene Lager an Gold und Silber auf Kontext des Urban Mining. 16 Prozent bzw. 24 Prozent der weltweiten Reserven geschätzt, während das Land über keine Wie im konventionellen Bergbau wird auch im geologischen Ressourcen dieser beiden Metalle städtischen Bergbau zwischen Lagerstätten und verfügt [32, 33]. Die weltweiten anthropogenen Vorkommen differenziert. Diese Differenzierung Ressourcen von Kupfer werden auf bis zu erscheint wichtig, da ja anthropogene Lager bzw. 400 Mio. Tonnen angenommen, knapp 60 Prozent geologische Ressourcen zu einem bestimmten der derzeitigen geologischen Kupferreserven Zeitpunkt nur teilweise abbauwürdig sind. Eine bzw. knapp 20 Prozent der derzeitigen Kupfer- (natürliche) Anhäufung nutzbarer Minerale und ressourcen [34, 35]. Während die gegenwärtig Gesteine wird als „Lagerstätte“ bezeichnet, bekannten geologischen Lagerstätten durch die wenn eine wirtschaftliche Gewinnung in Betracht Rohstoffgewinnung zunehmend schrumpfen, kommt, als „Vorkommen“, wenn sich der Abbau wachsen jene in der Anthroposphäre weiterhin wirtschaftlich nicht lohnt. Die Summe der in stark an. Sobald nicht mehr in gleichem Maße 22 den Lagerstätten enthaltenen Rohstoffmengen neue geologische Lagerstätten exploriert werden, in einer Region bilden die Reserven; die wird der relative Anteil der anthropogenen summierten Rohstoffmengen aller Lagerstätten Ressourcen ansteigen. Werden allerdings die und Vorkommen bilden die geologischen bzw. geologischen Ressourcen einzelner Materialien anthropogenen Ressourcen. global verglichen, aus denen sich zukünftige Tabelle 1 Vergleich von Primärbergbau mit Urban Mining Primärbergbau Urban Mining 1. Größe der Lagerstätten 0 0 2. Prospektionsaufwand + 3. Explorationsgrad + 4. Wertstoffgehalt + 5. Transportentfernung + 6. Nachfrageorientierung + 7. Aufbereitungsaufwand + 8. Umweltauswirkungen + 9. Gesellschaftliche Akzeptanz + 10. Renaturierung + + vorteilhaft 0 ausgeglichen
URBAN MINING Reserven entwickeln können, so haben diese Lagerstätten befinden sich vielfach weit entfernt einen deutlich größeren Umfang als die Lager von den Wirtschaftszentren, in denen die dort der Anthroposphäre. gewonnenen Stoffe nachgefragt und zu höherwer- tigen Produkten verarbeitet werden. Zudem liegen Auch beim Prospektionsaufwand spricht einiges viele geologische Vorkommen in Gegenden mit für das Urban Mining: Das Auffinden von geolo- extremen Klimabedingungen oder mangelhafter gischen Lagerstätten ist neben der Fernerkundung bzw. nicht vorhandener Infrastruktur. Dagegen auch mit vielen bodengeophysikalischen Methoden befinden sich urbane Minen im Prinzip ganz nah (u. a. aus der Magnetik, Seismik, Geoelektrik am Ort des Geschehens. Dies gilt auch für und Gravimetrie) verbunden. Diese müssen vor sogenannte Massenrohstoffe: So liegen etwa Ort stattfinden und erfordern bereits erhebliche Sekundärgesteinskörnungen aus dem Rückbau finanzielle Aufwendungen. Dagegen lassen sich von Bauwerken meist im innerstädtischen anthropogene Lager auch „vom Schreibtisch“ durch Bereich, während im Vergleich dazu Primärkies die Auswertung von Bebauungsplänen, Satelli- aus Steinbrüchen stammt, die mitunter mehr als tendaten, Katastern, Normen und Produktions-, 30 bis 50 Kilometer entfernt sein können. Abfall- und Außenhandelsstatistiken ermitteln. Die Nachfrageorientierung gestaltet sich im Allerdings ist der Explorationsgrad im konventi- Urban Mining als schwierig. Sind Reserven onellen Bergbau deutlich höher. Denn getrieben einmal exploriert und die wirtschaftlichen von wirtschaftlichen Interessen sind geologische Rahmenbedingungen gegeben, so lässt sich die Lagerstätten im Vergleich zu anthropogenen gut Primärproduktion von Rohstoffen in gewissem dokumentiert. Dies hängt auch damit zusammen, Umfang einer gesteigerten Nachfrage anpassen – dass die Erschließung von natürlichen Lagerstätten sei es durch Ausdehnung der Gewinnung oder nicht nur immens kapitalintensiv und risikoreich der effizienteren Aufbereitung. So wurde die ist – rein statistisch führen nur zwei Prozent der weltweite Cobaltgewinnung, getrieben durch die Explorationstätigkeit zur Bergwerksproduktion –, boomenden Anwendungen als Elektrodenmaterial 23 sondern eine Vorlaufzeit, die sogenannte „lead in Hochleistungsakkus, von 2009 bis 2010 um time“, von ca. fünf Jahren mit Beginn der Planung erforderlich ist. Im Jahr 2012 wurden weltweit 22,5 Mrd. Dollar in die Exploration von Nichteisenmetalllagerstätten investiert [36]. Die gezielte Exploration insbesondere nicht mehr genutzter anthropogener Lager ist dagegen noch eine Orchideendisziplin. Was den Wertstoffgehalt der Lager betrifft, steht das Urban Mining gut da: Viele Metalle kommen in ihren natürlichen Erzlagerstätten in geringen Konzentrationen vor. Für Buntmetalle wie Nickel, Kupfer und Blei betragen diese zwischen 0,3 und zehn Prozent. Dagegen liegen dieselben Stoffe in anthropogenen Güterlagern wie Bauteilen, Gusselementen oder Maschinen überwiegend in Reinform oder hochlegiert vor. Ein Meter einer Kupferleitung aus dem Informations- und Kom- Goldanteil = munikationsbereich enthält genauso viel Metall 16 kg Golderz wie 2,5 Tonnen Erz [37]. Der Goldanteil eines durchschnittlichen Mobiltelefons entspricht dem von 16 Kilogramm Golderz. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Transport- entfernung von den Lagerstätten, die den Vermarktungsaufwand bestimmt. Geologische
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT 61 Prozent gesteigert [38]. Und das obwohl Was die jeweiligen Umweltauswirkungen betrifft, Cobalt zu 80 bis 90 Prozent als Koppelprodukt ist die Gewinnung von Primärrohstoffen mit im Nickel- und Kupferbergbau gewonnen wird empfindlichen Eingriffen in Ökosysteme, teils sogar [39]. Im Urban Mining lässt sich dagegen zwar der Freisetzung toxischer Substanzen verbunden. erkennen, wann mit bestimmten Sekundärroh- Die Aufbereitung von Erzen erfordert viel Energie stoffen zu rechnen ist, jedoch ist deren Menge und Wasser. Metalle müssen darüber hinaus mit nicht flexibel regulierbar. hohem energetischen und prozesstechnischen Verhüttungs- und Raffinationsaufwand meist Problematischer im Vergleich zum konventionellen in ihre reduzierte, wirtschaftlich bedeutendste Bergbau ist beim Urban Mining die Gewinnung Reinform überführt werden. Die Erschließung der Rohstoffe aus Materialverbünden, also der und Bereitstellung von Sekundärrohstoffen Aufbereitungsaufwand. Zwar findet im konven- hat demgegenüber zumeist deutliche Vorteile. tionellen Bergbau auch in großem Maße eine Beispielsweise erfordert die Aluminiumproduktion Koppelproduktion statt. 38 von 62 Metallen und aus Schrotten auch unter Berücksichtigung der Halbmetallen werden zu mehr als 50 Prozent als Sammlung nur elf bis zwölf Prozent des Primär- Koppelprodukt mit anderen Metallen gewonnen rohstoff- und Energieaufwandes der Primäralu- [39]. Und tendenziell steigt der Aufbereitungs- miniumproduktion aus der Bauxitverhüttung. aufwand im konventionellen Bergbau an, da Treibhausgaseffekte, Versauerung, bodennahe aufgrund stark steigender Nachfrage und hohem Ozonbildung und Eutrophierungseffekte sind Explorationsgrad zunehmend komplexere dabei 90 bis 95 Prozent niedriger [41, 42]. Lagerstätten erschlossen werden [40]. Allerdings Darüber hinaus unterliegen die Recyclingprozesse ist die Ansammlung von bestimmten Stoffen, die hierzulande deutlich höheren immissionsschutz- sogenannte Vergesellschaftung in geologischen rechtlichen Auflagen, die auch vom Gesetzgeber Formationen und Mineralien durch geochemisch- physikalische Modelle recht gut erforscht. Die Aufbereitungstechnologien sind nach Stand der 24 Technik bereits weit optimiert. Hochtechnisierte und effiziente Flotations-, Suspensions-, Lau- gungs- und Extraktions- sowie Elektrolyseverfahren werden angewandt und stetig weiterentwickelt. Doch das gilt nicht für bereits in Nutzung befind- liche, hochgradig verarbeitete Stoffverbünde. Denn diese Stoffe werden hier in technischen Anwendungen in völlig neue, natürlich nicht vorkommende und sich ständig wandelnde Materialverbünde überführt. Teils werden sie dabei dissipiert, d. h. fein verteilt: weiße LEDs bestehen z. B. aus über zehn Metallen, darunter Germanium, Cer, Gold und Indium. Der Techni- sierungsgrad im Urban Mining steht noch weiter hinter dem im Primärbergbau zurück.
URBAN MINING angepasst werden können, um ein höchstmögli- Bergbausektor gewertet [44]. Urban Mining ches Schutzniveau für Mensch und Umwelt bietet hierbei Vorteile. Da es eher der Schonung zu garantieren. Akzeptable Umweltstandards natürlicher Ressourcen dient und Nutzungskon- in den Gewinnungsländern durchzusetzen, kurrenzen entschärfen kann, ist von einer breiten entzieht sich leider oftmals den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Akzeptanz auszugehen. rechtlichen und politischen Einflusssphären. Ist eine Primärrohstoff-Lagerstätte vollständig Bei der Gewinnung von Rohstoffen kommt es ausgebeutet, muss das Bergbaugebiet eine häufig zu Nutzungskonkurrenzen um natürliche Renaturierung erfahren und bei Kontamination Ressourcen wie Wasser und Land. Bei mangelnder ggf. saniert werden Eine Grundvoraussetzung Beteiligung der lokalen Bevölkerung führen die für eine erfolgreiche Nachsorge ist eine effektive Umweltauswirkungen und Nutzungskonkurrenzen Gesetzgebung, vor allem aber ein effektiver nicht selten zu gewaltsamen Auseinandersetzun- Gesetzesvollzug, der in vielen Rohstoffförder- gen [43]. Die gesellschaftliche Akzeptanz, die ländern leider nicht gegeben ist. Dort hinterlässt sogenannte „social license to operate“ wird als der Bergbau nicht selten dauerhaft kontaminierte eines der wichtigsten Geschäftsrisiken im und nicht nachnutzbare Flächen. Werden an- thropogene Lagerstätten ausgebeutet, so kann dies hingegen unmittelbar auch der Nachsorge dienen, indem neben der Gewinnung von Sekun- därrohstoffen Schadstoffe erfasst und schadlos beseitigt werden, noch bevor diese ungewollt aus Gütern in die natürliche Umwelt gelangen. Darüber hinaus lassen sich bebaute Flächen für andere Nutzungsformen zurückgewinnen. 25 Urban Mining bietet gegenüber der Gewinnung von Primärrohstoffen im Bergbau viele Vorteile.
Rohstoffpotenzial auf Altdeponien Bezogen auf den Rückbau einer mittleren Deponie für Hausmüll und hausmüllähnlichen Gewerbeabfall mit 500.000 Tonnen Deponiegut lassen sich Schätzungen zufolge 17.000 Tonnen Eisenschrott, 570 Tonnen Kupferschrott und 330 Tonnen Aluminiumschrott gewinnen. Eine solche Deponie verfügt darüber hinaus über einen geschätzten Energiegehalt von 1.500 Gigawattstunden. Daraus lassen sich in einem Müllheizkraftwerk 740 Gigawattstunden gewinnen, dies entspricht dem Jahresenergieverbrauch einer Stadt mit 15.000 Einwohnern [46]. Abbildung 9 Rohstoffpotenzial einer Hausmülldeponie Fe 17.000 t Eisenschrott 570 t 26 Cu Kupferschrott Deponie mit 500.000 t Hausmüll und hausmüllähnlichem Gewerbeabfall 330 t Al Aluminiumschrott 1.500 GWh Energieinhalt Nutzung von 740 GWh im Müllheizkraftwerk (entspricht dem Jahresenergieverbrauch einer 15.000 Einwohnerstadt) Eigene Darstellung nach [46] Praktische Erfahrungen konnten mit Schlackedeponien gesammelt werden, in denen die bei der Abfallverbrennung anfallenden Schlacken abgelagert werden. Sie weisen ein hohes Potenzial für die Sekundärrohstoffgewinnung auf, da Nichteisenmetalle erst seit jüngster Zeit separiert werden. So wurden 2005 bei einem Rückbau in der Schweiz aus 200.000 Tonnen Material rund 4.270 Tonnen Eisen, Aluminium, Kupfer und Messing gewonnen [45].
URBAN MINING Landfill Mining Eine Sonderdisziplin des Urban Mining ist das sogenannte Landfill Mining – der gezielte Rückbau von Altdeponien und die Gewinnung von Wertstoffen aus Altdeponien und Halden. Vor dem Hintergrund hochvolatiler und langfristig steigender Rohstoffpreise nimmt dabei die Sekundärrohstoffgewinnung an Bedeutung zu. Allerdings sind die Sekundärrohstoffpotenziale ungleich kleiner als in aktiven Lagern. Schätzungen zufolge wurden in Deutschland seit 1975 rund 2,5 Mrd. Tonnen an Siedlungsabfällen, im Zeitraum von 1995 bis 2009 für das sogenannte Mithilfe von Probebohrungen Bauschutt und gewerblichen Abfällen deponiert. Flächenrecycling zur Verfügung stünde, beträgt wird der Wertstoff- gehalt einer still- Unter anderem machen Ersatzbrennstoffe, rund 15.000 Hektar [47]. gelegten Deponie Metalle und Mineralien den Rückbau bestehender untersucht. Deponien erwägenswert. Da es vor 1972 kaum Stillgelegte Deponien bedürfen in der Regel einer geordnete Deponien gab und die flächendeckende kostenintensiven Nachsorge, da sie ein erhebli- Verwertung von Abfällen in Deutschland erst ches Umweltgefährdungspotenzial darstellen, seit 1986 erfolgt, sind insbesondere in alten etwa in Form klimaschädlicher Emissionen (z. B. Deponien viele interessante Materialien zu Methan) oder durch belastetes Sickerwasser. finden. Nach vorsichtigen Schätzungen, die auf Die Nachsorge kann bis zu 200 Jahren dauern. Abfallanalysen und Stoffanalysen aus Rückbau- Allein für die ca. 400 bis 2009 stillgelegten projekten zurückgehen, sind in den Jahren 1975 Abfalldeponien liegen die Kosten der Stilllegung bis 2005 folgende Mengen an verwertbaren und Nachsorge Schätzungen zufolge bei 17 bis 27 Materialien deponiert worden [45]: 36 Mrd. Euro [47]. Rückstellungen sollen diese › 250 Mio. Tonnen Papier, Kunststoffe, Textilien Nachsorgekosten decken, doch wird dies nicht und Holz. Der resultierende Heizwert entspricht immer der Fall sein. Landfill Mining kann dazu einem Materialwert von schätzungsweise beitragen, zukünftige kommunale Haushalte zu 60 Mrd. Euro. entlasten. Im Ergebnis eines interdisziplinären › 26 Mio. Tonnen Eisenschrott, 1,2 Mio. Tonnen Projekts aus Unternehmen, Forschungsinstituten Kupferschrott, 0,5 Mio. Tonnen Aluminium- und Verwaltung wurde 2016 ein Leitfaden veröf- schrott sowie 0,65 Mio. Tonnen Phosphor mit fentlicht, der die vielschichtigen ökonomischen, einem Materialwert von rund 14 Mrd. Euro. rechtlichen, technischen und ökologischen Aspek- te des Landfill Minings für Entscheidungsträger Neben dem Aspekt der Sekundärrohstoffgewin- aufbereitet [48]. nung gibt es noch weitere Motivationsgründe für den Rückbau von Deponien. Standen in Trotz der Abwägungen zum Landfill Mining werden Deutschland in den 1980er-Jahren beim Landfill Deponien auch weiterhin Bestandteil einer Mining besonders die Aspekte der Gewinnung funktionierenden Kreislaufwirtschaft sein, um an Deponievolumen und der Deponiesanierung vorbehandelte Abfälle umweltverträglich entsorgen im Vordergrund, so spielen heute vermehrt auch zu können. Denn es ist nicht immer möglich, eine die Verringerung der Umweltbelastungen, die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung Reduktion der Nachsorgekosten und die Freigabe von Abfällen zu gewährleisten, wie diese der der Standortflächen eine wichtige Rolle. Letzteres Gesetzgeber mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz ist besonders im Fall von Deponien am Rand als Grundpflicht (§ 7 (3) KrWG) fordert, da dies die von Ballungsräumen interessant, bei denen der technische Machbarkeit und die wirtschaftliche Deponiestandort mit fortschreitendem Wachstum Zumutbarkeit voraussetzt. In diesem Fall können der Wohnsiedlungen als Bauland attraktiver ge- Deponien auch als Langzeitlager für Abfälle worden ist. In Deutschland gibt es rund 100.000 betrachtet werden – so z. B. für Aschen aus der registrierte Altablagerungen. Die Fläche, die allein Monoklärschlammverbrennung mit dem Ziel aufgrund der Stilllegung von Siedlungsdeponien einer späteren Phosphorrückgewinnung.
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