Ressourcenschonung im Anthropozän - Umweltbundesamt

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Ressourcenschonung im Anthropozän - Umweltbundesamt
Ressourcenschonung im Anthropozän

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Ressourcenschonung im Anthropozän - Umweltbundesamt
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Ressourcenschonung im Anthropozän - Umweltbundesamt
GELEITWORT

                                    Im Laufe der Jahrhunderte, vor allem aber in den Jahrzehnten
                                    der Nachkriegszeit, haben die Bürgerinnen und Bürger unseres
                                    Landes einen enormen, aber verborgenen Reichtum angehäuft:
                                    Wir sind umgeben von einem vom Menschen gemachten, sprich
                                    anthropogenen Lager in Höhe von über 50 Milliarden Tonnen
                                    an Materialien. Viel davon befindet sich im Gebäude-, Infra-
                                    struktur-, Anlagen- und Konsumgüterbestand. Noch wächst
                                    dieses anthropogene Lager Jahr für Jahr um weitere zehn Tonnen
                                    pro Einwohner an und stellt für künftige Generationen eine
                                    substanzielle Ressource dar.

                                    Bisher verbaute und unzugängliche Materialien werden freigesetzt, können wie-
Maria Krautzberger                  derverwendet und recycelt werden: Mineralische Materialien wie Beton, Gips
Präsidentin des Umweltbundesamtes
                                    oder Ziegel, Basismetalle wie Stahl, Kupfer oder Aluminium, spezielle Techno-
                                    logiemetalle wie Neodym, Cobalt oder Tantal, aber auch andere Materialien wie
                                    Kunststoffe, Asphalt oder Holz werden wieder als Sekundärrohstoffe zugängig.
                                    Für ein als „rohstoffarm“ geltendes Land wie Deutschland ist dies ein ungeheurer
                                    Reichtum. Insbesondere in Hinblick auf einen zunehmenden internationalen
                                    Wettbewerb um die knappen Rohstoffe der Erde und die notwendige Drosselung
                                    der hohen weltweiten Umweltbelastungen der Primärrohstoffgewinnung.
                                    Inwiefern das anthropogene Lager aber einen wichtigen Beitrag zur Sicherung
                                    der Lebensgrundlagen bestehender und zukünftiger Generationen leisten kann,
                                    hängt davon ab, wie gut es gelingen wird, den Herausforderungen zu begegnen.
                                    Denn die immense Stoff- und Produktvielfalt, komplexe Nutzungskaskaden und
                                    rasante Technologiezyklen der Produkte und Güter erschweren letztlich eine
                                    hochwertige Aufbereitung und Rückgewinnung. Hinzu kommen der demografische
                                    Wandel, die Bedürfnisänderungen einer mobilen, schnelllebigen, digitalen und
                                    alternden Gesellschaft und damit verbundene regional und zeitlich unterschied-
                                    liche Bau-, Sanierungs- und Rückbauerfordernisse.

                                    Seit einigen Jahren ist nun „Urban Mining“ in aller Munde, die quasi bergmän-
                                    nische Rohstoffgewinnung im urbanen Raum – in der Stadt wie auch in der
                                    Kommune. Genauer betrachtet verbergen sich dahinter bislang jedoch häufig
                                    nur Konzepte einer erweiterten Siedlungsabfallwirtschaft. Aber im Gegensatz
                                    zu dieser mit ihren recht kurzen und damit leicht erfass- und prognostizierbaren
                                    Materialumlaufzeiten erfordert eine generationenübergreifende Aufgabe wie
                                    Urban Mining weit umfangreichere Instrumente und eine weit vorausschauende
                                    Strategie zum Stoffstrommanagement. Für derart große Materialmengen, die
                                    erst nach langen Zeiträumen auf die Wirtschaft zukommen, braucht es ein Bewirt-
                                    schaftungskonzept mitsamt einer prospektiven Wissens- und Entscheidungsbasis
                                    für die Sekundärrohstoffwirtschaft und für die Kommunalpolitik. Hierfür
                                    benötigen wir beispielsweise datenbankbasierte, dynamische und kreisscharfe
                                    Prognosemodelle, um vorbereitet zu sein für das, was Urban Mining zum
                                    Ressourcenschutz in einer zukunftsfesten Kreislaufwirtschaft beitragen kann.

                                    Das Umweltbundesamt will mit dieser Broschüre ein gemeinsames Verständnis
                                    zum Urban Mining vermitteln und dazu ermutigen, mit diesem Strategieansatz
                                    konsequent voranzuschreiten. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

                                    Maria Krautzberger
                                    Präsidentin des Umweltbundesamtes
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URBAN MINING

                                  INHALT

               01 / EINFÜHRUNG                                              4

               Urban Mining: Modewort oder Mehrwert?                         5
               Transformationsprozesse im Anthropozän			                     9
               Der Anstieg des anthropogenen Materiallagers		               12

               02 // URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT               16

               Was ist Urban Mining?                                        17
               Lagerbildung langlebiger Güter                               18
               Städtischer und konventioneller Bergbau im Vergleich         22
                                                                                 3
               Landfill Mining                                              27

               03 /// ROHSTOFFPOTENZIALE IM ANTHROPOGENEN LAGER             28

               Der Gesamtbestand                                            29
               Dynamische Lager                                             34
               Besondere Aufmerksamkeit für kritische Rohstoffe             35
               Potenziale: Von Ressourcen zu Reserven                       39

               04 //// STRATEGISCHE LEITFRAGEN                              44

               05 ///// DEN WEG EBNEN – AKTIVITÄTEN UND MASSNAHMEN          48
               Forschung – die richtigen Akzente sind gesetzt               49
               Im Fokus – Erschließung und Aufbereitung von Baurestmassen   50
               Gütegesicherte Recycling-Baustoffe                           52
               Schadstoffe ausschleusen                                     54
               Materialpässe als zeitlose Informationsquelle                56
               Recyclingeffizienz erhöhen – Downcycling verhindern          57

               ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK                                 62
               LITERATURVERZEICHNIS                                         64
               IMPRESSUM                                                    68
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EINFÜHRUNG

                 EINFÜHRUNG

4

                              Bis dieser PKW ausgeliefert
                              wird, hat er bereits
                              einen Rohstoffeinsatz von
                              15 Tonnen.
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URBAN MINING

Urban Mining: Modewort oder                        anthropogene, also vom Menschen angelegte
Mehrwert?                                          Lager immer weiter anwächst, warum es dann
                                                   nicht verstärkt als Rohstoffquelle nutzen? Warum
Rohstoffe sind ein wesentlicher Grundpfeiler       immer tiefer nach Bodenschätzen schürfen
des heutigen Lebens und des Wohlstands. Um         oder die Importe aus fernen Ländern immer
den Bedarf zu decken, ist Deutschland zuneh-       weiter steigern, wenn der materielle Reichtum
mend auf Importe angewiesen – mittlerweile         buchstäblich vor der eigenen Tür liegt? Urban
werden jährlich über ein Drittel der bundesweit    Mining betrachtet unseren unmittelbaren
benötigten Materialien, rund 600 Mio. Tonnen,      Lebensraum selbst als Rohstoffquelle. Es geht
eingeführt. Tatsächlich müssen für diese Importe   im weitesten Sinne um die Gewinnung von
weltweit 1,7 Mrd. Tonnen an Primärrohstoffen       Wertstoffen aus all jenen Quellen, die von
gewonnen und geerntet, d. h. unmittelbar der       Menschenhand geschaffen worden sind, also:
Natur entnommen werden [1]. Denn wir impor-        Gebäude, Infrastrukturen, (langlebige) Konsum-
tieren nicht nur Rohstoffe, sondern vielfach       und Anlagegüter und anderes mehr. Urban
höherverarbeitete Produkte, die entlang ihres      Mining weitet damit das aus der klassischen
                                                                                                        5
bisherigen Lebensweges weitaus mehr Rohstoffe      Recyclingwirtschaft bekannte Diktum „Abfall
erfordern, als es ihr tatsächliches Gewicht        ist Rohstoff“ aus.
vermuten lässt. So hängt allein an einem
importierten Mittelklasse-PKW ein Rohstoffein-     In der Wissenschaft seit Jahren bekannt, hat sich
satz von ca. 15 Tonnen, bis dieser ausgeliefert    das Urban Mining-Konzept binnen Kurzem zu
werden kann. Zu den importierten Rohstoffen        einem Modewort entwickelt, unter dessen
kommen die inländisch gewonnenen – pro Jahr        Deckmantel eine Goldgräberstimmung vor der
ca. 1,1 Mrd. Tonnen [2].                           eigenen Haustür geschürt wird. Zum Teil wird
                                                   suggeriert, dass sich in Bauschutt, Mobiltele-
Insgesamt liegt die direkte Materialnutzung        fonen oder alten Haushaltsgeräten regelrechte
der deutschen Volkswirtschaft – unter Abzug        Schätze verbergen, die nur darauf warten, gehoben
der Exporte – im Inland bei jährlich rund          zu werden. Doch wenn Begriffe wie Elektroschrott,
1,3 Mrd. Tonnen. Die Materialmenge entspricht      Schubladenhandys, Altautorecycling, Wert-
einem würfelförmigen Betonquader mit               stofftonne oder Deponieschatzkarte in einem
800 Meter Kantenlänge, der in dieser Größe         Atemzug genannt werden, liegt der Verdacht nahe,
auch innerhalb der Bundesrepublik verbleibt        dass mit dem Begriff „Urban Mining“ lediglich
– Jahr für Jahr. Wo aber geht dieser immense       ein medienwirksam inszeniertes neues Gewand
Materialstrom hin? Offensichtlich wächst die       für die gesamte Abfall- und Rohstoffwirtschaft
Volkswirtschaft physisch immer weiter an,          gefunden wurde – und damit auch altbekannte
denn weniger als ein Drittel dieser Menge lässt    Antworten für zum Teil altbekannte Fragen und
sich jährlich als Abfall registrieren.             Probleme der Abfallwirtschaft, z. B. zur Getrennt-
                                                   sammlung von Siedlungsabfällen, der Wahrneh-
Angesichts des enormen Rohstoffbedarfs und         mung der Produktverantwortung, dem illegalen
knapper natürlicher Ressourcen sind Alternativen   Elektroschrottexport oder der thermischen
gefragt. Hier setzt eine in den letzten Jahren     Beseitigung, um Schadstoffe auszuschleusen.
populär gewordene Maxime an – Urban Mining,        Eine neue Aufmachung kann zwar hilfreich sein,
zu Deutsch „städtischer Bergbau“: Wenn das         um alten Problemen wieder zu Aufmerksamkeit
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EINFÜHRUNG

                             zu verhelfen. Gleichwohl liegt darin die viel        reicherung verhindert werden. Kreislaufwirtschaft
                             größere Gefahr, dass das Innovative verloren geht    erfordert also ein Denken in Stoffströmen aus
                             und Urban Mining zu einer bloßen Worthülse           einer Lebenszyklus-Perspektive, welche die
                             verkommt, die je nach Kontext mit unterschied-       gesamte globale Wertschöpfungskette von der
                             lichen Inhalten gefüllt werden kann. Das wäre        Rohstoffgewinnung bis hin zur Abfallbewirtschaf-
                             bedauerlich, denn Urban Mining enthält               tung berücksichtigt. Urban Mining kann hier als
                             wesentliche neue Ansätze und ist als Strategie       strategischer Ansatz des Stoffstrommanagements
                             auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden            helfen, die Potenziale der Kreislaufwirtschaft zu
                             Kreislaufwirtschaft bedeutsam.                       nutzen und dabei unterschiedliche Interessen
                                                                                  zusammenzuführen [4, 5]. Die folgenden sechs
                             Die Abkehr vom ressourcenintensiven, linearen        Aspekte mögen dies beispielhaft illustrieren:
                             Wirtschaftsmodell des „take, make, consume and
                             dispose“ hin zu einer ressourceneffizienten          1. Erschließung des Sekundärrohstoffauf-
                             Kreislaufwirtschaft ist erklärtes Ziel der EU [3].   kommens und Reduzierung der Importab-
                             Um dahin zu gelangen, müssen die in Produkten        hängigkeit
                             enthaltenen Materialien möglichst in ihrer bishe-    Deutschland verfügt zwar noch über einen
                             rigen Funktionalität in einem Materialkreislauf      nennenswerten einheimischen Bergbau für Roh-
                             gehalten und dabei eine Schad- und Störstoffan-      stoffe wie Kalisalz und Spezialtone, ist aber bei

      Abbildung 1

      Nettoabfallaufkommen in Deutschland pro Kopf [2014]

                     3.000

6

                     2.500       2.581 kg

                                                                                                       96 kg Sonstige
                                                                                                       7 kg Elektroaltgeräte
                                                                                                       70 kg Verpackungen

                     2.000
                                                                                                       98 kg Papier und Pappe
    kg / Einwohner

                                                                                                       30 kg Glas
                                                                                                       71 kg Garten- und Parkabfälle

                                                                                                       51 kg Biotonne
                     1.500                                                                             30 kg Sperrmüll

                                                                                                       175 kg Hausmüll

                     1.000

                                                            733 kg
                      500                                                               629 kg
                                                                                                                        372 kg

                        0
                                                                                                          Abfälle aus der Gewinnung und
                                 Bau- und                Produktions- und           Siedlungsabfälle
                                                                                                          Behandlung von Bodenschätzen
                               Abbruchabfälle             Gewerbeabfälle

                                                                                                                                 Quelle: [9]
Ressourcenschonung im Anthropozän - Umweltbundesamt
URBAN MINING

Erzen und Metallen zu 100 Prozent auf Importe         weil wir einen so hohen anthropogenen Lager-
angewiesen [105]. Deshalb besitzt Recycling           bestand haben? Urban Mining kann helfen,
eine hohe Priorität, so werden beispielsweise         den Primärrohstoffbedarf zu senken und damit
30 Prozent der Kupferhalbzeug- und Kupferguss-        anderen Ländern den Zugriff zu Rohstoffen zu
produktion aus inländischen Kupferschrotten           erleichtern und deren Entwicklung zu begünstigen.
erzeugt. In der deutschen Stahlproduktion werden
bereits mehr als 50 Prozent durch den Einsatz         5. Abfallbewältigung
von Altschrotten und Schrottabfällen aus der          2014 lag das Nettoabfallaufkommen in
Produktion hergestellt. Auch bei kritischen           Deutschland bei rund 350 Mio. Tonnen, das macht
Technologiemetallen wie etwa den in Generatoren       pro Kopf rund 4,3 Tonnen Abfall [9] (s. Abbildung
von Windkraftanlagen zum Einsatz kommenden            1). Nur ein Siebtel davon sind sogenannte haus-
Seltenen Erden Neodym und Dysprosium lässt            haltstypische Siedlungsabfälle wie Hausmüll,
sich mit selektiver Rückgewinnung perspektivisch      Verpackungen, Papier und Glas, die überwiegend
die Importabhängigkeit mindern.                       aus kurzlebigen Gütern stammen. Doch dieser
                                                      relativ kleine Teil bekommt in der öffentlichen
2. Bewältigung von Rohstoffknappheiten                Debatte, etwa um das Wertstoffgesetz, die größte
Viele Zukunftstechnologien basieren auf kriti-        Aufmerksamkeit. Die Novellierung der hebel-
schen Technologiemetallen, d. h. sie sind nicht       wirksameren Gewerbeabfallverordnung ging
nur risikobehaftet in der Beschaffung, sondern        demgegenüber fast lautlos vonstatten. Mit Urban
                                                                                                          Das Recycling von
auch unverzichtbar. Für einige Elemente wie Gold,     Mining rückt die Frage, was mit den restlichen      Metallen trägt
Zinn und Antimon würde ein fortschreitender           3,7 Tonnen und den langlebigen Gütern passiert,     erheblich zur Scho-
                                                                                                          nung natürlicher
Anstieg der Nachfrage schon in drei bis vier          in den Fokus.                                       Ressourcen bei.
Jahrzehnten die derzeitige Reservenbasis, d. h.
die technisch derzeit abbauwürdigen Lagerstät-
ten, überschreiten. Es ist fraglich, ob in gleichem
Umfang neue Lagerstätten entdeckt werden
                                                                                                                                7
können, um die Reservenbasis entsprechend
auszuweiten. Daraus resultierenden Knappheiten
ließe sich durch Urban Mining entgegenwirken.

3. Wirtschaftliche Vorteile
Recycling erhöht die inländische Wertschöpfung
und trägt zu erheblichen Kosteneinsparungen
im produzierenden Gewerbe bei. Die deutsche
Sekundärrohstoffwirtschaft stellte 2007 Kupfer
und Stahl im Gesamtwert von 8,6 Mrd. Euro bereit.
Daraus ergeben sich gegenüber Primärmetallen
Kosteneinsparungen von 1,5 Mrd. Euro [6]. Urban
Mining wird dazu beitragen, die inländische
Wertschöpfung durch Recycling weiter zu
steigern. Schon jetzt sind Recyclingaktivitäten
mit 29,1 Mrd. Euro Umsatz 2014 und einem
jährlichen Wachstum von 3,5 Prozent unange-
fochtener Kernbereich des Gesamtmarktes zur
Kreislaufwirtschaft (41 Prozent) [7].

4. Beitrag zur globalen
Verteilungsgerechtigkeit
Die direkte inländische Materialnutzung ist in
Deutschland mit rund 16 Tonnen pro Kopf und
Jahr noch um das Drei- bis Vierfache höher als in
Schwellenländern wie Indien und etwa doppelt
so hoch wie in China [8]. Und das obwohl oder
Ressourcenschonung im Anthropozän - Umweltbundesamt
EINFÜHRUNG

8

    Gemischte Bau-       6. Ökologische Entlastung                          gesamte etablierte Siedlungsabfallwirtschaft
    und Abbruchab-
    fälle zu recyceln,   Allein das Recycling von Kupfer, Stahl und         subsumiert werden. Vielmehr gilt es, den Fokus
    stellt eine große
    Herausforderung
                         Aluminium spart in Deutschland 406 Petajoule       auf den Gesamtbestand an langlebigen Gütern
    dar. Zukünftig       an Primärenergieaufwand ein, immerhin fast         und deren intelligente Bewirtschaftung in der
    soll daher die
    Getrenntsammlung     drei Prozent des jährlichen Primärenergiever-      Anthroposphäre, dem vom Menschen gestalteten
    verbessert werden.
                         brauchs Deutschlands. Dies entspricht dem          Lebens- und Wirkungsraum, zu legen. Angesichts
                         jährlichen Brennstoffeinsatz von zwei großen       der Verweilzeiten stellt es für Urban Mining eine
                         Braunkohlekraftwerken. Zudem sind mit dem          große Herausforderung dar, für die Gewinnung
                         Recycling weltweite Rohstoffeinsparungen von       von Sekundärrohstoffen aus langlebigen Gütern
                         181 Mio. Tonnen jährlich verbunden, mitsamt        zu erfassen, welche Materialien in welchem
                         den sonstigen Umweltwirkungen durch deren          Umfang wann und wo wieder aus dem anthropo-
                         Veredelung und Weiterverarbeitung (2007) [6].      genen Lager freigesetzt werden.
                         Ein strategischer Ausbau der Sekundärrohstoff-
                         gewinnung durch Urban Mining könnte diese          Im Kontext der globalen Rohstoffgewinnung kann
                         Einsparungen noch beträchtlich erhöhen.            der Urban Mining-Ansatz für einen zukünftigen
                                                                            Paradigmenwechsel stehen: Stoffstrommanage-
                         Damit Urban Mining nicht zu einem inhalts-         ment und Bewirtschaftungskonzept langlebiger
                         leeren Modewort wird, sondern die genannten        Güter als Beitrag zur Schonung natürlicher
                         Möglichkeiten ausgeschöpft werden können,          Ressourcen. Um den grundlegenden Umbruch
                         ist es notwendig, dass der Begriff einheitlich     zu verstehen, hilft ein Blick auf die Anthropo-
                         verstanden wird und inhaltlich klar ausgerichtet   sphäre selbst und ihre Wechselwirkungen mit
                         ist. Unter „Urban Mining“ soll gerade nicht die    der Ökosphäre.
URBAN MINING

Transformationsprozesse im                          und der Bio- und Geosphäre beschreibt, gilt
Anthropozän                                         nach wie vor: Die verschiedenen Sphären sind
                                                    Teil eines nahezu geschlossenen Systems, das
Der hinter dem Urban Mining stehende Wieder-        durch die ständige Energiezufuhr der Sonne
verwendungs- und Verwertungsgedanke ist             angetrieben wird.
keineswegs neu. Die Gewinnung von Sekundär-
rohstoffen aus ausgedienten Gütern ist keine        Neu sind das Ausmaß der Wechselwirkungen,
Erfindung der Moderne. Viele mineralische           das zwischen der menschlichen Sphäre und
Materialien, wie bearbeitete Granitsteine, oder     den anderen Sphären besteht, sowie der rasante
Eisenbeschläge wurden gerade vor der indus-         Anstieg des weltweiten gesellschaftlichen
triellen Revolution bis zur Unbrauchbarkeit         Rohstoffhungers während der letzten Jahrzehnte.
weitergenutzt und wiederverwertet, da sie zu        Ein genauer Blick auf die Anthroposphäre bietet
wertvoll waren und ihre Herstellung zu aufwendig,   den Schlüssel zum Verständnis, warum Urban
um sich ihrer vorschnell zu entledigen. Auch das    Mining in Zukunft von so großer Tragweite sein
Modell, das die Wechselwirkung zwischen dem         wird (s. Abbildung 2).
menschlichen Lebensraum, der Anthroposphäre,

Abbildung 2

Anthropogener Stoffwechsel mit der natürlichen Umwelt

                Erde
                                                                                              Anthroposphäre
                                                                                                                               9

                        Biosphäre

                                                        Aufbereitung                      Produktion

                                                                          Erneuerung
                                                                        Instandsetzung
                                                                           Recycling
                                                                          Verwertung
                                                                       Wiederverwendung

                                                        Verwertung                         Nutzung

                        Geosphäre

                                                                                                                Energie

                                                                                                                Material

                                                                                                Eigene Darstellung nach [10]
EINFÜHRUNG

     Die Anthroposphäre ist der gesellschaftliche,         die Nutzbarmachung fossiler Energieträger –, der
     technologische und kulturelle Wirkungsraum            nicht nur einen massiven Eingriff in geologische
     des Menschen, in dem er lebt, arbeitet, kommu-        Stoffkreisläufe, sondern auch eine großflächige
     niziert und wirtschaftet. Der Mensch entnimmt         Entkopplung der zunehmend industrialisierten
     seiner natürlichen Umwelt Rohstoffe, und bedient      Landwirtschaft von natürlichen Nährstoffkreis-
     sich dabei weiterer natürlicher Ressourcen.           läufen mit sich brachte [14]. Der anthropogene
     Dadurch verlagert er sie in die Anthroposphäre,       Metabolismus hat sich qualitativ und quantitativ
     in der seine von ihm gebauten und betriebenen         seitdem enorm intensiviert, sodass mittlerweile
     biologischen und technischen Prozesse stehen          von einer neuen erdgeschichtlichen Epoche
     und in der seine Aktivitäten stattfinden.             gesprochen wird: dem Anthropozän, dem Zeit-
                                                           alter des Menschen [15, 16]. Ein wichtiges Indiz
     Die entnommenen Rohstoffe werden zu Infra-            dafür, dass die erdgeschichtliche Epoche des
     strukturen, Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie         Anthropozäns begonnen hat, sind menschen-
     Gütern des täglichen Gebrauchs transformiert und      verursachte Phänomene des Klimawandels,
     bilden sogenannte anthropogene Lager. Diese           die Versauerung von Ozeanen, Versteppung,
     Lager umfassen die Masse an Material, die in          Erosion, Schwermetallbelastungen, radioaktive
     einem stofflichen System am Ende eines Bilanz-        Verstrahlung und Biodiversitätsverlust [17].
     zeitraums verbleibt. Die Größe eines Lagers ergibt    Nach biophysikalischen Methoden und Modellen
     sich als Summe des Anfangsbestands sowie des          lässt sich ein globaler „safe operating space“
     Saldos aus Zu- und Abflüssen. Je nachdem, ob ein      definieren, innerhalb dessen ökologischer
     Lager anwächst oder schrumpft, kann es Quelle         Grenzen ein sicheres und nachhaltiges Leben
     oder Senke von Materialien sein [10, 11].             für die Menschheit gewährt bleibt. Für vier von
                                                           neun definierte planetare Grenzen haben wir die
     Die Anthroposphäre ist geprägt durch einen            Belastungsgrenzen aller Wahrscheinlichkeit
     immensen Transformationsprozess. Alle mensch-         nach bereits überschritten [18, 19]. All dies
     lichen Aktivitäten produzieren mit jeder Form der     sind existenzielle Ausprägungen des gestörten
10
     Nutzung von Materialien und deren Umwandlung          Stoffwechsels zwischen der Anthroposphäre und
     Abfälle und Emissionen. Diese werden teils gezielt,   den übrigen Sphären – die Soll-Buchung einer
     teils auch ungewollt in Deponien abgelagert, in       nicht nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise.
     Gewässer eingeleitet oder in die Atmosphäre
     ausgestoßen. Die Anthroposphäre kann als
     eigenständiger Metabolismus aufgefasst werden,
     der Stoffwechselbeziehungen zu seiner Umwelt
     unterhält. In Fachkreisen wird schon seit Langem
     von einem anthropogenen – oder synonym auch
     von einem sozioökonomischen, industriellen oder
     technischen – Metabolismus gesprochen [12, 13].
     Teile der Umwelt wie Geosphäre, Hydrosphäre
     und Atmosphäre werden dabei nicht nur bei der
     Rohstoffentnahme kolonisiert, sondern auch
     infolge des Outputs des anthropogenen Stoff-
     wechsels. Die Grenzen der Sphären sind fließend
     und werden durch dynamische Stoffwechselbe-
     ziehungen permanent verschoben.

     Der anthropogene Stoffwechsel war auf globalem
     Niveau in der Menschheitsgeschichte lange Zeit
     ohne existenzielle Auswirkung auf die natürliche
     Umwelt, deren Senkenkapazität durch ein
     Ineinandergreifen von biologischen und geo-
                                                                                             Der Mensch als
     logischen Stoffkreisläufen in einem stabilen                                            erdgeschichtlicher
     Gleichgewichtszustand verharrte. Es war erst der                                        Faktor: Verlust der
                                                                                             Nacht durch künst-
     revolutionäre industrielle Wandel – getrieben durch                                     liche Beleuchtung.
URBAN MINING

               11
EINFÜHRUNG

       Abbildung 3
       Globale Rohstoffgewinnung [1900 – 2009]
                         70

                         60

                         50
     Milliarden Tonnen

                         40

                         30

                         20

                         10

12

                          0
                          1900     1910     1920          1930          1940      1950        1960        1970     1980       1990    2000      2009

                              Biomasse          Fossile Energieträger          Erze und Industriemineralien       Baumineralien

                                                                                                                                              Quelle: [20]

                                   Der Anstieg des anthropogenen                                   die Gewinnung und Verarbeitung von Erzen,
                                   Materiallagers                                                  Industriemineralien und Baumineralien um ein
                                                                                                   Sechs- bis Achtfaches erhöht [20].
                                   Die beschriebene Intensivierung des anthropo-
                                   genen Metabolismus ließ die globale Rohstoff-                   Die anthropogenen Stoffflüsse zahlreicher Metalle
                                   entnahme binnen des 20. Jahrhunderts um ein                     durch Bergbau, Produktion und Konsum liegen
                                   Achtfaches steigen (s. Abbildung 3). Bei einer                  mittlerweile in der gleichen Größenordnung wie
                                   gleichzeitigen Vervierfachung der Bevölkerungs-                 deren natürliche, geologische Flüsse durch
                                   zahl hat sich der Rohstoffbedarf pro Kopf also                  Sedimentation, Abtragung oder Tektonik [21]. Für
                                   verdoppelt, allein der Biomassebedarf pro Kopf                  Kupfer übersteigen die anthropogenen Flüsse die
                                   ist trotz absolutem Anstieg nahezu unverändert                  natürlichen (mit jährlich ca. 15 Mio. Tonnen)
                                   geblieben (s. Abbildung 4). Die Nutzung fossiler                schon um ein Dreifaches. Eine rasante Entwicklung,
                                   Energieträger, deren mittelbare Auswirkungen                    denn von den schätzungsweise 400 Mio. Tonnen
                                   auf den anthropogenen Klimawandel als eine                      Kupfer, die durch Menschenhand gewonnen
                                   der offenkundigsten „Stoffwechselstörungen“                     wurden, stammen mehr als 97 Prozent aus dem
                                   spürbar sind, hat sich dagegen verdreifacht.                    20. Jahrhundert [22].
                                   Nicht zuletzt mit diesem Energieeinsatz hat sich
URBAN MINING

Abbildung 4
Globale Rohstoffgewinnung pro Kopf [1900 – 2009]
         10

         8

         6
Tonnen

         4

         2

                                                                                                                                        13

         0
          1900     1910    1920        1930          1940       1950        1960        1970    1980       1990   2000     2009

              Biomasse       Fossile Energieträger           Erze und Industriemineralien      Baumineralien

                                                                                                                         Quelle: [20]

Die Qualität der Verlagerung zeigt sich unterdessen         Transformation hat in menschlichen Zeiträumen
in der Diversität an Stoffen, die unter anderem             von nur wenigen Generationen stattgefunden
durch die Entwicklung neuer Technologien                    [25]. Und sie ist vor allem eine Entwicklung
ausgelöst wurde. Wurden zu Beginn des 18.                   der Industrieländer, die zwar nur 15 Prozent
Jahrhunderts nur 14 chemische Elemente in                   der Bevölkerung stellen, aber rund ein Drittel
irgendeiner Form wirtschaftlich genutzt, waren              des globalen Rohstoffverbrauchs haben. Auf
es um 1900 schon 32 der zu diesem Zeitpunkt                 Deutschland bezogen bedeutet das, dass rund
bekannten 83 Elemente. Im Jahr 2000 wurden                  ein Prozent der Weltbevölkerung vier Prozent
alle 80 natürlichen, stabilen Elemente des                  der Rohstoffe für sich beansprucht.
Periodensystems sowie sieben weitere radioaktive
Elemente wirtschaftlich genutzt [23]. Allein                Angetrieben von dem immensen Rohstoffzugriff
auf einer PC-Leiterplatte befinden sich 44 unter-           und Bevölkerungswachstum stieg die globale
schiedliche Elemente[24] (s. Abbildung 5, S. 14)            Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahrhundert
                                                            um den Faktor 24. Dabei hat die Volkswirtschaft
Die systematische und großskalige Verlagerung               auch stofflich – physisch – erheblich „zugelegt“,
vieler Metalle und Mineralien aus der Geosphäre             vor allem durch die Ansammlung von Metallen
in die Anthroposphäre und der dortigen                      und Baumineralien. Sie sind zum Großteil,
EINFÜHRUNG

                              im Gegensatz zu den biotischen und fossilen          rungszuwachs üben einen regelrechten Sog auf
                              Materialien, die überwiegend als Nahrungs- bzw.      Rohstoffe aus. Mehr als 80 Prozent der einge-
                              Futtermittel oder Brennstoff verbraucht werden,      henden Güterströme verbleiben in diesen und
                              noch nach vielen Jahrzehnten in der Anthro-          bilden auf unbestimmte Zeit Lagerstätten [27].
                              posphäre vorhanden und bilden ein enormes            Welche Bedeutung Städte und Siedlungen als
                              Materialreservoir.                                   Rohstofflager haben, hängt außerdem von struk-
                                                                                   turellen Erneuerungs- und Änderungsprozessen
                              Das Gros an Metallen und Baumineralien wandert       ab, denen sie unterliegen. Dichte, Größe und
                              in langlebige Investitionsgüter hochvernetzter       Altersverteilung ihrer Bevölkerung schwanken,
                              städtischer Siedlungen, die dank komplexer           die demografische Entwicklung und Migrations-
                              Infrastrukturen und Logistiksysteme als kulturelle   trends erzeugen eine Pfadabhängigkeit, die
                              und wirtschaftliche Zentren fungieren. Die           über das Schicksal von Städten und Siedlungen
                              anhaltende Urbanisierung seit Mitte des              entscheidet. Bevölkerungsanstieg oder -schwund
                              20. Jahrhunderts hat urbane Kulturlandschaften       ist wegweisend dafür, ob Städte und Siedlungen
                              geschaffen, in denen 2015 rund 55 Prozent der        weiterhin ein starkes physisches Wachstum
                              Weltbevölkerung lebten [26], mit steigender          erfahren oder ihr Materialhaushalt stagniert.
                              Tendenz. Typische urbane Räume mit Bevölke-          Tatsächliche Schrumpfungen sind bislang nur

     Abbildung 5

     Vielfalt von Elementen auf einer Leiterplatte

                                                                                              As
                                    Sc     Se                                                            K                        Cd
14             Cs
                         Hf                                                                                        Sr
                                                                                                                                       Co
          Hg
                                     Th                                                                                 Pt
                        Eu                                                                                                             P

                                    Zr                                                                            La
                                                                                                                                   Cr
          Bi            Be                                                                                              Cl
                                                                                                          Ag
                    S           Ta                                                                                                 Mg
                                                                                                                       Na
                        Mo
            Pd
                                                                                                             Ca              Al             Sn
                                    Au
               Ce
                                                                                                                   Ti             Si

                         Ni                                                                                                            V
                                                                                                                  Br
            Sb                       Mn
                         Zn                                                                                                  Pb
                                          Ba                                                                 Fe
                                                                                                    Cu

       Parts per
       Million (PPM):        10 0              101       102            103          104           105                 106

                                                                                                                  Eigene Darstellung nach [24]
URBAN MINING

                                                              FOTO

                                                                                                                                15

in Ausnahmefällen zu beobachten, werden aber       in den Konsumbereich und Güterbestand. Ein             Allein in deutschen
                                                                                                          Bahnhöfen sind
zukünftig zunehmen. Zwei Entwicklungslinien        weit verbreitetes Diktum lautet: „Abfall ist Materie   rund 32 Mio.
                                                                                                          Tonnen an Mate-
lassen sich daraus ableiten, die auf sehr unter-   am falschen Ort“. Wird dem nicht Rechnung              rialien langfristig
schiedliche Auffassungen verweisen [28]:           getragen, könnten sich regional schon bald             gebunden.

                                                   sehr große Abfallströme als Materie am falschen
1. Anthropogene Lager als Rohstoffquelle           Ort erweisen, mit allen wirtschaftlichen und
Die anthropogenen Materiallager, die innerhalb     ökologischen Konsequenzen.
des vergangenen Jahrhunderts in der gesamten
Volkswirtschaft aufgebaut worden sind und noch     Welche Haltung das gesellschaftliche Bewusst-
immer bedeutend anwachsen, können erhebliche       sein dominieren wird, ob die anthropogenen
positive Rückwirkungen auf die zukünftige          Lager als Vermögen oder Last empfunden
Verfügbarkeit von Rohstoffen haben, indem          werden, entscheidet sich weniger im globalen
aus diesen in großem Umfang Sekundärrohstoffe      Metabolismus zwischen Anthroposphäre und
erschlossen werden.                                Ökosphäre. Den Ausschlag wird vielmehr der
                                                   Stoffwechsel innerhalb unserer anthropogenen
2. Anthropogene Lager als „Abfalllast“             Welt geben. Urban Mining kann hierzu als Stra-
Je stärker die Anthroposphäre wächst, desto mehr   tegie und Denkausrichtung einen erheblichen
verlagern sich auch Abfall- und Emissionspoten-    Beitrag leisten.
ziale aus der Rohstoffgewinnung und Verarbeitung
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT

     Urban Mining ist eine
     aktive, gestalterische
     Strategie.

16

                               URBAN MINING ALS
                              BEWIRTSCHAFTUNGS
                                   KONZEPT
URBAN MINING

Was ist Urban Mining?                               benutzten Elektro- und Elektronikgeräten.
                                                    Vielmehr ergänzt und unterstützt es diese
Aus Sicht des Umweltbundesamtes ist Urban           methodisch und konzeptionell.
Mining die integrale Bewirtschaftung des
anthropogenen Lagers mit dem Ziel, aus              Worin sich Urban Mining von der Abfallwirtschaft
langlebigen Produkten, Gebäuden, Infrastruk-        unterscheidet, sind die Systemgrenzen der
turen und Ablagerungen Sekundärrohstoffe zu         Betrachtung. Die Abfallwirtschaft beschäftigt
gewinnen. Als langlebig werden all jene Güter       sich im Kern mit dem Abfallaufkommen an sich,
bezeichnet, die durchschnittlich ein Jahr oder      dessen Menge, Zusammensetzung und einer
länger im Nutzungsraum verbleiben und Lager         bestmöglichen und schadlosen Rückführung der
relevanter Größe bilden. Auch wenn die wört-        Materialien in den Stoffkreislauf. Urban Mining
liche Übersetzung von Urban Mining „städti-         bezieht dagegen den Gesamtbestand an langle-
scher Bergbau“ lautet, geht es nicht allein         bigen Gütern, deren Lagerbildung sich schwerer
um innerstädtische Lager, sondern vielmehr um       erfassen lässt, mit ein, um möglichst früh künf-
alle genannten Güter. Dabei ist es unerheblich,     tige Stoffströme prognostizieren zu können und
                                                                                                       17
ob die Güter noch aktiv genutzt und erst in ab-     bestmögliche Verwertungswege abzuleiten und
sehbarer Zukunft freigesetzt werden, wie im Fall    zu etablieren, noch bevor die Materialien als
industrieller und kommunaler Bauwerke sowie         Abfall anfallen.
Elektrogeräten in Haushalten, oder nicht
mehr in Verwendung sind, wie etwa stillgelegte      Informatorische und prognostische Instrumente
Bahntrassen, Abfalldeponien und Halden. Auch        setzen bereits dann an, wenn Produkte in Verkehr
spielt es keine Rolle, ob die Güter ortsfest sind   gebracht werden. Damit werden Bindeglie-
(z. B. Windkraftanlagen) oder mobil (z. B. Fahr-    der zum Produktions- und Konsumbereich
zeuge). Sie alle sind Teil der Betrachtung.         geschaffen. Der überwiegende Teil der aktiven
                                                    Siedlungsabfallwirtschaft, der sich maßgeblich
Die strategische Ausrichtung ist langfristig.       der Bewirtschaftung von Abfällen kurzlebiger
Sie orientiert sich an den Lebensdauern und         Güter widmet (Biomüll, Leichtverpackungen,
Lagerdynamiken der betrachteten langlebigen         Altglas, Hausmüll), gehört aus Sicht des
Güter und versucht qualitativ hochwertige           Umweltbundesamtes nicht in den Betrachtungs-
Stoffkreisläufe zu etablieren. Urban Mining         bereich des Urban Mining.
zielt auf ein Stoffstrommanagement ab, das vom
Aufsuchen (Prospektion), der Erkundung (Ex-
ploration), der Erschließung und der Ausbeutung
anthropogener Lagerstätten bis zur Aufbereitung
der gewonnenen Sekundärrohstoffe reicht.

Urban Mining ist kein gänzlich von der Abfall-
wirtschaft losgelöster Ansatz. Es ersetzt auch
keineswegs regulierte abfallwirtschaftliche
Bereiche, beispielsweise zur Verwertung von
Altautos oder zur Reduktion der zunehmenden
Menge an Elektronikschrott aus nicht mehr
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT

     Abbildung 6

     Globale Aluminiumflüsse und -bestände [2009]

                                                    Halbzeuge                                        Endprodukte Verwendung

                                                                                                          BAU
                                                                                                        12,1 Mio. t   210 Mio. t

                                                        Bleche und Platten

                                                                                                          VER
             Primäraluminium                                    Folien                                  10,8 Mio. t   179 Mio. t

                29,4 Mio. t                                  Dosenbleche
                                                                                                          VPK
                                                                                                                       5 Mio. t
                                                                                                        7,4 Mio. t

                                                                                                           MB
                                                       Strangpressprodukte                              3,7 Mio. t    66 Mio. t

                                                                                                           ET
                                                                                                        6,2 Mio. t    111 Mio. t

                                                         Drähte und Kabel
                 Recycling
                 42,6 Mio. t
                                                                                                           LG
                                                                                                                       28 Mio. t
                                                                                                        3,8 Mio. t

                                                        Formgussprodukte
              9,8 Mio.   32,8 Mio.
                  t          t                                                                            SON
                                                                                                                      36 Mio. t
                                                                                                        2,4 Mio. t

                                                        Pulver und Pasten
                                                            Sonstige

                                                              24,8 Mio. t                              8 Mio.

18                                               Neuschrotte/Produktionsschrotte

                                                                         Altschrotte

     BAU: Bauwesen           MB: Maschinenbau                       SON: Sonstige
     VER: Verkehr            ET: Elektrotechnik                                                                                            LAGER
     VPK: Verpackungen       LG: Langlebige Gebrauchsgüter

                                                                                                                       Eigene Darstellung nach [29]

                         Lagerbildung langlebiger Güter                                Industrieanlagen derzeit lediglich zehn bis
                                                                                       25 Prozent [29]. Das Materiallager an Aluminium
                         Die Fokussierung auf langlebige Güter im Urban                in Verpackungsmaterialien im Konsumbereich
                         Mining ist notwendig, weil diese ein signifikant              bildet ein geringes Plateau von fünf Mio. Tonnen.
                         anderes Verhalten in den urbanen Lagern                       Hingegen sind es für die Aluminiumanteile in
                         aufweisen als kurzlebige Güter. Hinzu kommt,                  sämtlichen langlebigen Anwendungen bereits
                         dass die von ihnen gebildeten Materiallager um                rund 600 Mio. Tonnen.
                         mehrere Größenordnungen umfangreicher sind.
                         Deutlich wird diese Problematik am globalen                   Ein ähnliches Bild ergibt sich für Kunststoffe. In
                         Aluminiumeinsatz (s. Abbildung 6). Lediglich                  der Bundesrepublik werden ca. 150 Kilogramm
                         ein Sechstel davon kommt in kurzlebigen Gütern                Kunststoffe pro Jahr und Einwohner verarbeitet.
                         zum Einsatz, überwiegend in Verpackungen.                     Hiervon findet sich ca. ein Drittel in kurzlebigen
                         Während jährlich weltweit rund 80 Prozent des                 Gütern wie Verpackungen wieder. Abfallseitig
                         in Verpackungen eingesetzten Aluminiums                       sind die Verhältnisse deutlich verschieden: Bei
                         wieder als Abfall erfasst und recycelbar ist, sind            Kunststoff liegt die Recyclingrate niedriger als
                         es im Gebäudebereich, in Maschinen und                        bei Aluminium. Von den ca. 60 Kilogramm an
URBAN MINING

Abbildung 7

Lagerdynamik kurz- und langlebiger Güter im Vergleich am Beispiel von Aluminium
in Verpackungen und PKW *
Menge

                                                                                                                                                    19
        2010           2015             2020             2025             2030        2035              2040            2045              2050

        * Zur Veranschaulichung wird in der Abbildung davon ausgegangen, dass       Inverkehrbringung – Aluminium in Verpackungen
           von 2010 bis 2020 die gleiche Menge an Aluminium in Verpackungen und
           PKW in Verkehr gebracht wird.                                             Abfall-Aluminium in Verpackungen

                                                                                     Anthropogenes Lager – Aluminium in Verpackungen

                                                                                     Inverkehrbringung – Aluminium in PKW

                                                                                     Abfall-Aluminium in PKW

                                                                                     Anthropogenes Lager – Aluminium in PKW

                                                                                                                               Eigene Darstellung

                                                                                  Bis zu 30 Jahre
                                                                                  können vergehen,
                                                                                  bis diese Alufelgen
                                                                                  wieder aus dem
                                                                                  anthropogenen
                                                                                  Lager freigesetzt
                                                                                  werden.
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT

                           Verbraucher-Kunststoffabfällen pro Jahr und           schnell abgebaut und es etablieren sich neue auf
                           Einwohner sind 60 Prozent Verpackungskunst-           Basis der geänderten Produktbeschaffenheiten.
                           stoffabfälle [30, 31]. Auch wenn die Verpackungs-     Die aktiven Gesamtlager in Haushalten nehmen
                           kunststoffe abfallwirtschaftlich am relevantesten     nicht merklich zu und verbleiben auf verhältnis-
                           erscheinen, haben sie im anthropogenen Lager,         mäßig niedrigen Mengenplateaus. Das hat den
                           das sich für Kunststoffe schätzungsweise auf drei     Vorteil, dass nicht nur die Produktionsmengen,
                           Tonnen pro Einwohner bemisst, nur eine sehr           sondern auch die Abfallaufkommen aus Haus-
                           geringe Bedeutung.                                    halten und Gewerbe planbar sind. Dies ist der
                                                                                 wesentliche Aktionsradius von siedlungsabfall-
                           Wie die beiden Beispiele für Aluminium und            wirtschaftlichen Maßnahmen.
                           Kunststoffe zeigen, stellen kurzlebige Güter zwar
                           von ihrer Menge her relevante Materialströme          Eine solch verlässliche Planbarkeit ist im Fall von
                           dar, erreichen aber im Umlauf zumeist schnell         langlebigen Gütern nicht ohne weiteres gegeben.
                           stabile Sättigungen. Lebensmittel, Kosmetik oder      Es dauert sehr viel länger, bis sich Materialpla-
                           Reinigungsmittel etwa werden ganz überwiegend         teaus herausbilden. Je länger die erwarteten
                           nur in einem Maße produziert und gekauft, wie         Nutzungsdauern ausfallen, je unspezifischer die
                           sie auch verbraucht oder entsorgt werden.             Lebensdauer der Güter ist, desto dynamischer
                           Werden technologische Neuerungen eingeführt,          gestaltet sich die Lagerbildung. Dies zeigt sich in
                           beispielsweise hinsichtlich der Materialauswahl       sogenannten logistischen Wachstumskurven mit
                           bei Verpackungen, so werden vorherige Plateaus        einem großen zeitlichen Versatz zwischen Input-

     Abbildung 8

     Modellhafte Kaskadennutzung für Holz
20

              Wald                         Rundholz           Vollholz-/Furnierprodukte

                                                                            Spanplatten/Holzwerkstoffe

        Holz zur energe-
        tischen Nutzung                                                                           Chemische Produkte

                                                                                                                       Energetische
                                                                                                                        Verwertung

                                                                                                                       Eigene Darstellung
URBAN MINING

und Outputflüssen (s. Abbildung 7). Mobile          wieder komplexere Plattformchemikalien, z. B.
Güter und Komponenten zunächst immobiler            zur Kunststoffproduktion, herzustellen. Als finale
Güter können durch eine Vielzahl von Lagern         Stufe erfolgt die energetische Verwertung, aus der
in der Konsumsphäre wandern. So lange               allenfalls noch eine Nutzung der verbleibenden
diese aktiv genutzt werden, ist dies auch im        Asche als Düngezuschlagstoff möglich ist.
Sinne einer Kaskadennutzung erstrebenswert
(s. Abbildung 8). Unter Kaskadennutzung wird        Doch für viele Gütergruppen verliert sich die Spur.
die stoffliche Mehrfachnutzung von Produkten        Und das nicht nur im Falle einer technisch-
und ihrer Komponenten verstanden, bevor diese       stofflichen Dissipation, d. h. einer produktions-
einer abschließenden energetischen Nutzung          oder nutzungsbedingten Feinverteilung von
oder Beseitigung zugeführt werden. So kann          Stoffen, etwa in Folge korrosions- oder abriebs-
beispielsweise Holz, das als hochwertiges           bedingter Abnutzung. Diese Spur tritt häufig erst
Massivholz im Baubereich genutzt wurde, nach        dann wieder zu Tage, wenn die Güter als Abfall
Ablauf der Nutzung entweder als solches             anfallen, mit mehrjährigem bis hin zu jahrzehn-
wiederverwendet oder aber zu Spanplatten            telangem Verzug. Obgleich Zeitpunkt und Menge
verarbeitet werden, die sich theoretisch auch       noch nicht genau vorherzusehen sind, ist
mehrfach rezyklieren lassen. Eine weitere Stufe     absehbar – so lange das Gesamtmateriallager           Bevor es energe-
                                                                                                          tisch verwertet
innerhalb einer Kaskade wäre ein (bio-)chemischer   anwächst –, dass langfristig auch der Output,         wird, kann Holz
Aufschluss oder eine Vergasung zu Synthesegas       überwiegend in Form eines behandlungswürdigen         über mehrere
                                                                                                          Stufen stofflich
(Wasserstoff und Kohlenstoffmonoxid), um daraus     Abfallaufkommens, steigen wird.                       genutzt werden.

                                                                                                                             21
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT

                      Städtischer und konventioneller                    Trotz offensichtlicher Unterschiede lassen sich
                      Bergbau im Vergleich                               zwischen konventionellem und städtischem
                                                                         Bergbau viele Gemeinsamkeiten entdecken, und
                      Auch wenn die Gewinnung von Sekundärroh-           beide Verfahren haben, je nach Rohstoff- bzw.
                      stoffen gemeinhin nicht mit konventionellem        Gütergruppe, ihre Stärken und Schwächen in
                      Bergbau in Verbindung gebracht wird, lohnt ein     den folgenden zehn Kategorien (s. Tabelle 1):
                      Vergleich der beiden Methoden zur Rohstoffge-
                      winnung. Der konventionelle Bergbau widmet         Ein Blick auf die Größe der Lagerstätten offenbart,
                      sich laut Bundesberggesetz der Sicherung der       dass gerade auf nationaler Ebene die anthropo-
                      Rohstoffversorgung durch das Aufsuchen,            genen Lager die geologischen Ressourcen für
                      Gewinnen und Aufbereiten von Bodenschätzen.        einige bedeutsame Rohstoffe vom Umfang her
                      Im Grunde passt diese Beschreibung genauso         teils deutlich übersteigen. In Japan etwa wird
                      auf die Gewinnung von Sekundärrohstoffen im        das anthropogene Lager an Gold und Silber auf
                      Kontext des Urban Mining.                          16 Prozent bzw. 24 Prozent der weltweiten
                                                                         Reserven geschätzt, während das Land über keine
                      Wie im konventionellen Bergbau wird auch im        geologischen Ressourcen dieser beiden Metalle
                      städtischen Bergbau zwischen Lagerstätten und      verfügt [32, 33]. Die weltweiten anthropogenen
                      Vorkommen differenziert. Diese Differenzierung     Ressourcen von Kupfer werden auf bis zu
                      erscheint wichtig, da ja anthropogene Lager bzw.   400 Mio. Tonnen angenommen, knapp 60 Prozent
                      geologische Ressourcen zu einem bestimmten         der derzeitigen geologischen Kupferreserven
                      Zeitpunkt nur teilweise abbauwürdig sind. Eine     bzw. knapp 20 Prozent der derzeitigen Kupfer-
                      (natürliche) Anhäufung nutzbarer Minerale und      ressourcen [34, 35]. Während die gegenwärtig
                      Gesteine wird als „Lagerstätte“ bezeichnet,        bekannten geologischen Lagerstätten durch die
                      wenn eine wirtschaftliche Gewinnung in Betracht    Rohstoffgewinnung zunehmend schrumpfen,
                      kommt, als „Vorkommen“, wenn sich der Abbau        wachsen jene in der Anthroposphäre weiterhin
                      wirtschaftlich nicht lohnt. Die Summe der in       stark an. Sobald nicht mehr in gleichem Maße
22
                      den Lagerstätten enthaltenen Rohstoffmengen        neue geologische Lagerstätten exploriert werden,
                      in einer Region bilden die Reserven; die           wird der relative Anteil der anthropogenen
                      summierten Rohstoffmengen aller Lagerstätten       Ressourcen ansteigen. Werden allerdings die
                      und Vorkommen bilden die geologischen bzw.         geologischen Ressourcen einzelner Materialien
                      anthropogenen Ressourcen.                          global verglichen, aus denen sich zukünftige

     Tabelle 1
     Vergleich von Primärbergbau mit Urban Mining

                                                         Primärbergbau                   Urban Mining

      1. Größe der Lagerstätten                          0                               0

      2. Prospektionsaufwand                                                             +

      3. Explorationsgrad                                +

      4. Wertstoffgehalt                                                                 +

      5. Transportentfernung                                                             +

      6. Nachfrageorientierung                           +

      7. Aufbereitungsaufwand                            +

      8. Umweltauswirkungen                                                              +

      9. Gesellschaftliche Akzeptanz                                                     +

      10. Renaturierung                                                                  +

                                                                                                 + vorteilhaft   0 ausgeglichen
URBAN MINING

Reserven entwickeln können, so haben diese           Lagerstätten befinden sich vielfach weit entfernt
einen deutlich größeren Umfang als die Lager         von den Wirtschaftszentren, in denen die dort
der Anthroposphäre.                                  gewonnenen Stoffe nachgefragt und zu höherwer-
                                                     tigen Produkten verarbeitet werden. Zudem liegen
Auch beim Prospektionsaufwand spricht einiges        viele geologische Vorkommen in Gegenden mit
für das Urban Mining: Das Auffinden von geolo-       extremen Klimabedingungen oder mangelhafter
gischen Lagerstätten ist neben der Fernerkundung     bzw. nicht vorhandener Infrastruktur. Dagegen
auch mit vielen bodengeophysikalischen Methoden      befinden sich urbane Minen im Prinzip ganz nah
(u. a. aus der Magnetik, Seismik, Geoelektrik        am Ort des Geschehens. Dies gilt auch für
und Gravimetrie) verbunden. Diese müssen vor         sogenannte Massenrohstoffe: So liegen etwa
Ort stattfinden und erfordern bereits erhebliche     Sekundärgesteinskörnungen aus dem Rückbau
finanzielle Aufwendungen. Dagegen lassen sich        von Bauwerken meist im innerstädtischen
anthropogene Lager auch „vom Schreibtisch“ durch     Bereich, während im Vergleich dazu Primärkies
die Auswertung von Bebauungsplänen, Satelli-         aus Steinbrüchen stammt, die mitunter mehr als
tendaten, Katastern, Normen und Produktions-,        30 bis 50 Kilometer entfernt sein können.
Abfall- und Außenhandelsstatistiken ermitteln.
                                                     Die Nachfrageorientierung gestaltet sich im
Allerdings ist der Explorationsgrad im konventi-     Urban Mining als schwierig. Sind Reserven
onellen Bergbau deutlich höher. Denn getrieben       einmal exploriert und die wirtschaftlichen
von wirtschaftlichen Interessen sind geologische     Rahmenbedingungen gegeben, so lässt sich die
Lagerstätten im Vergleich zu anthropogenen gut       Primärproduktion von Rohstoffen in gewissem
dokumentiert. Dies hängt auch damit zusammen,        Umfang einer gesteigerten Nachfrage anpassen –
dass die Erschließung von natürlichen Lagerstätten   sei es durch Ausdehnung der Gewinnung oder
nicht nur immens kapitalintensiv und risikoreich     der effizienteren Aufbereitung. So wurde die
ist – rein statistisch führen nur zwei Prozent der   weltweite Cobaltgewinnung, getrieben durch die
Explorationstätigkeit zur Bergwerksproduktion –,     boomenden Anwendungen als Elektrodenmaterial
                                                                                                         23
sondern eine Vorlaufzeit, die sogenannte „lead       in Hochleistungsakkus, von 2009 bis 2010 um
time“, von ca. fünf Jahren mit Beginn der
Planung erforderlich ist. Im Jahr 2012 wurden
weltweit 22,5 Mrd. Dollar in die Exploration von
Nichteisenmetalllagerstätten investiert [36]. Die
gezielte Exploration insbesondere nicht mehr
genutzter anthropogener Lager ist dagegen noch
eine Orchideendisziplin.

Was den Wertstoffgehalt der Lager betrifft, steht
das Urban Mining gut da: Viele Metalle kommen
in ihren natürlichen Erzlagerstätten in geringen
Konzentrationen vor. Für Buntmetalle wie Nickel,
Kupfer und Blei betragen diese zwischen 0,3
und zehn Prozent. Dagegen liegen dieselben
Stoffe in anthropogenen Güterlagern wie Bauteilen,
Gusselementen oder Maschinen überwiegend in
Reinform oder hochlegiert vor. Ein Meter einer
Kupferleitung aus dem Informations- und Kom-
                                                                                         Goldanteil =
munikationsbereich enthält genauso viel Metall                                          16 kg Golderz
wie 2,5 Tonnen Erz [37]. Der Goldanteil eines
durchschnittlichen Mobiltelefons entspricht dem
von 16 Kilogramm Golderz.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Transport-
entfernung von den Lagerstätten, die den
Vermarktungsaufwand bestimmt. Geologische
URBAN MINING ALS BEWIRTSCHAFTUNGSKONZEPT

     61 Prozent gesteigert [38]. Und das obwohl           Was die jeweiligen Umweltauswirkungen betrifft,
     Cobalt zu 80 bis 90 Prozent als Koppelprodukt        ist die Gewinnung von Primärrohstoffen mit
     im Nickel- und Kupferbergbau gewonnen wird           empfindlichen Eingriffen in Ökosysteme, teils sogar
     [39]. Im Urban Mining lässt sich dagegen zwar        der Freisetzung toxischer Substanzen verbunden.
     erkennen, wann mit bestimmten Sekundärroh-           Die Aufbereitung von Erzen erfordert viel Energie
     stoffen zu rechnen ist, jedoch ist deren Menge       und Wasser. Metalle müssen darüber hinaus mit
     nicht flexibel regulierbar.                          hohem energetischen und prozesstechnischen
                                                          Verhüttungs- und Raffinationsaufwand meist
     Problematischer im Vergleich zum konventionellen     in ihre reduzierte, wirtschaftlich bedeutendste
     Bergbau ist beim Urban Mining die Gewinnung          Reinform überführt werden. Die Erschließung
     der Rohstoffe aus Materialverbünden, also der        und Bereitstellung von Sekundärrohstoffen
     Aufbereitungsaufwand. Zwar findet im konven-         hat demgegenüber zumeist deutliche Vorteile.
     tionellen Bergbau auch in großem Maße eine           Beispielsweise erfordert die Aluminiumproduktion
     Koppelproduktion statt. 38 von 62 Metallen und       aus Schrotten auch unter Berücksichtigung der
     Halbmetallen werden zu mehr als 50 Prozent als       Sammlung nur elf bis zwölf Prozent des Primär-
     Koppelprodukt mit anderen Metallen gewonnen          rohstoff- und Energieaufwandes der Primäralu-
     [39]. Und tendenziell steigt der Aufbereitungs-      miniumproduktion aus der Bauxitverhüttung.
     aufwand im konventionellen Bergbau an, da            Treibhausgaseffekte, Versauerung, bodennahe
     aufgrund stark steigender Nachfrage und hohem        Ozonbildung und Eutrophierungseffekte sind
     Explorationsgrad zunehmend komplexere                dabei 90 bis 95 Prozent niedriger [41, 42].
     Lagerstätten erschlossen werden [40]. Allerdings     Darüber hinaus unterliegen die Recyclingprozesse
     ist die Ansammlung von bestimmten Stoffen, die       hierzulande deutlich höheren immissionsschutz-
     sogenannte Vergesellschaftung in geologischen        rechtlichen Auflagen, die auch vom Gesetzgeber
     Formationen und Mineralien durch geochemisch-
     physikalische Modelle recht gut erforscht. Die
     Aufbereitungstechnologien sind nach Stand der
24
     Technik bereits weit optimiert. Hochtechnisierte
     und effiziente Flotations-, Suspensions-, Lau-
     gungs- und Extraktions- sowie Elektrolyseverfahren
     werden angewandt und stetig weiterentwickelt.
     Doch das gilt nicht für bereits in Nutzung befind-
     liche, hochgradig verarbeitete Stoffverbünde.
     Denn diese Stoffe werden hier in technischen
     Anwendungen in völlig neue, natürlich nicht
     vorkommende und sich ständig wandelnde
     Materialverbünde überführt. Teils werden sie
     dabei dissipiert, d. h. fein verteilt: weiße LEDs
     bestehen z. B. aus über zehn Metallen, darunter
     Germanium, Cer, Gold und Indium. Der Techni-
     sierungsgrad im Urban Mining steht noch weiter
     hinter dem im Primärbergbau zurück.
URBAN MINING

angepasst werden können, um ein höchstmögli-         Bergbausektor gewertet [44]. Urban Mining
ches Schutzniveau für Mensch und Umwelt              bietet hierbei Vorteile. Da es eher der Schonung
zu garantieren. Akzeptable Umweltstandards           natürlicher Ressourcen dient und Nutzungskon-
 in den Gewinnungsländern durchzusetzen,             kurrenzen entschärfen kann, ist von einer breiten
entzieht sich leider oftmals den wirtschaftlichen,   gesellschaftlichen Akzeptanz auszugehen.
rechtlichen und politischen Einflusssphären.
                                                     Ist eine Primärrohstoff-Lagerstätte vollständig
Bei der Gewinnung von Rohstoffen kommt es            ausgebeutet, muss das Bergbaugebiet eine
häufig zu Nutzungskonkurrenzen um natürliche         Renaturierung erfahren und bei Kontamination
Ressourcen wie Wasser und Land. Bei mangelnder       ggf. saniert werden Eine Grundvoraussetzung
Beteiligung der lokalen Bevölkerung führen die       für eine erfolgreiche Nachsorge ist eine effektive
Umweltauswirkungen und Nutzungskonkurrenzen          Gesetzgebung, vor allem aber ein effektiver
nicht selten zu gewaltsamen Auseinandersetzun-       Gesetzesvollzug, der in vielen Rohstoffförder-
gen [43]. Die gesellschaftliche Akzeptanz, die       ländern leider nicht gegeben ist. Dort hinterlässt
sogenannte „social license to operate“ wird als      der Bergbau nicht selten dauerhaft kontaminierte
eines der wichtigsten Geschäftsrisiken im            und nicht nachnutzbare Flächen. Werden an-
                                                     thropogene Lagerstätten ausgebeutet, so kann
                                                     dies hingegen unmittelbar auch der Nachsorge
                                                     dienen, indem neben der Gewinnung von Sekun-
                                                     därrohstoffen Schadstoffe erfasst und schadlos
                                                     beseitigt werden, noch bevor diese ungewollt
                                                     aus Gütern in die natürliche Umwelt gelangen.
                                                     Darüber hinaus lassen sich bebaute Flächen für
                                                     andere Nutzungsformen zurückgewinnen.

                                                                                                            25

                                                                                        Urban Mining
                                                                                        bietet gegenüber
                                                                                        der Gewinnung von
                                                                                        Primärrohstoffen
                                                                                        im Bergbau viele
                                                                                        Vorteile.
Rohstoffpotenzial auf Altdeponien

     Bezogen auf den Rückbau einer mittleren Deponie für Hausmüll und hausmüllähnlichen Gewerbeabfall mit
     500.000 Tonnen Deponiegut lassen sich Schätzungen zufolge 17.000 Tonnen Eisenschrott, 570 Tonnen Kupferschrott
     und 330 Tonnen Aluminiumschrott gewinnen. Eine solche Deponie verfügt darüber hinaus über einen geschätzten
     Energiegehalt von 1.500 Gigawattstunden. Daraus lassen sich in einem Müllheizkraftwerk 740 Gigawattstunden
     gewinnen, dies entspricht dem Jahresenergieverbrauch einer Stadt mit 15.000 Einwohnern [46].

     Abbildung 9

     Rohstoffpotenzial einer Hausmülldeponie

                                                                    Fe          17.000 t
                                                                                Eisenschrott

                                                                                570 t
26
                                                                    Cu          Kupferschrott

         Deponie mit
         500.000 t Hausmüll
         und hausmüllähnlichem
         Gewerbeabfall

                                                                                330 t
                                                                    Al          Aluminiumschrott

                       1.500 GWh
                            Energieinhalt

                                                                                  Nutzung von 740 GWh
                                                                                  im Müllheizkraftwerk
                                                                                  (entspricht dem Jahresenergieverbrauch
                                                                                  einer 15.000 Einwohnerstadt)

                                                                                                        Eigene Darstellung nach [46]

     Praktische Erfahrungen konnten mit Schlackedeponien gesammelt werden, in denen die bei der Abfallverbrennung
     anfallenden Schlacken abgelagert werden. Sie weisen ein hohes Potenzial für die Sekundärrohstoffgewinnung auf,
     da Nichteisenmetalle erst seit jüngster Zeit separiert werden. So wurden 2005 bei einem Rückbau in der Schweiz aus
     200.000 Tonnen Material rund 4.270 Tonnen Eisen, Aluminium, Kupfer und Messing gewonnen [45].
URBAN MINING

Landfill Mining

Eine Sonderdisziplin des Urban Mining ist
das sogenannte Landfill Mining – der gezielte
Rückbau von Altdeponien und die Gewinnung von
Wertstoffen aus Altdeponien und Halden. Vor
dem Hintergrund hochvolatiler und langfristig
steigender Rohstoffpreise nimmt dabei die
Sekundärrohstoffgewinnung an Bedeutung zu.
Allerdings sind die Sekundärrohstoffpotenziale
ungleich kleiner als in aktiven Lagern.

Schätzungen zufolge wurden in Deutschland seit
1975 rund 2,5 Mrd. Tonnen an Siedlungsabfällen,        im Zeitraum von 1995 bis 2009 für das sogenannte       Mithilfe von
                                                                                                              Probebohrungen
Bauschutt und gewerblichen Abfällen deponiert.         Flächenrecycling zur Verfügung stünde, beträgt         wird der Wertstoff-
                                                                                                              gehalt einer still-
Unter anderem machen Ersatzbrennstoffe,                rund 15.000 Hektar [47].                               gelegten Deponie
Metalle und Mineralien den Rückbau bestehender                                                                untersucht.

Deponien erwägenswert. Da es vor 1972 kaum             Stillgelegte Deponien bedürfen in der Regel einer
geordnete Deponien gab und die flächendeckende         kostenintensiven Nachsorge, da sie ein erhebli-
Verwertung von Abfällen in Deutschland erst            ches Umweltgefährdungspotenzial darstellen,
seit 1986 erfolgt, sind insbesondere in alten          etwa in Form klimaschädlicher Emissionen (z. B.
Deponien viele interessante Materialien zu             Methan) oder durch belastetes Sickerwasser.
finden. Nach vorsichtigen Schätzungen, die auf         Die Nachsorge kann bis zu 200 Jahren dauern.
Abfallanalysen und Stoffanalysen aus Rückbau-          Allein für die ca. 400 bis 2009 stillgelegten
projekten zurückgehen, sind in den Jahren 1975         Abfalldeponien liegen die Kosten der Stilllegung
bis 2005 folgende Mengen an verwertbaren               und Nachsorge Schätzungen zufolge bei 17 bis
                                                                                                                                    27
Materialien deponiert worden [45]:                     36 Mrd. Euro [47]. Rückstellungen sollen diese
› 250 Mio. Tonnen Papier, Kunststoffe, Textilien       Nachsorgekosten decken, doch wird dies nicht
   und Holz. Der resultierende Heizwert entspricht     immer der Fall sein. Landfill Mining kann dazu
   einem Materialwert von schätzungsweise              beitragen, zukünftige kommunale Haushalte zu
   60 Mrd. Euro.                                       entlasten. Im Ergebnis eines interdisziplinären
› 26 Mio. Tonnen Eisenschrott, 1,2 Mio. Tonnen         Projekts aus Unternehmen, Forschungsinstituten
   Kupferschrott, 0,5 Mio. Tonnen Aluminium-           und Verwaltung wurde 2016 ein Leitfaden veröf-
   schrott sowie 0,65 Mio. Tonnen Phosphor mit         fentlicht, der die vielschichtigen ökonomischen,
   einem Materialwert von rund 14 Mrd. Euro.           rechtlichen, technischen und ökologischen Aspek-
                                                       te des Landfill Minings für Entscheidungsträger
Neben dem Aspekt der Sekundärrohstoffgewin-            aufbereitet [48].
nung gibt es noch weitere Motivationsgründe
für den Rückbau von Deponien. Standen in               Trotz der Abwägungen zum Landfill Mining werden
Deutschland in den 1980er-Jahren beim Landfill         Deponien auch weiterhin Bestandteil einer
Mining besonders die Aspekte der Gewinnung             funktionierenden Kreislaufwirtschaft sein, um
an Deponievolumen und der Deponiesanierung             vorbehandelte Abfälle umweltverträglich entsorgen
im Vordergrund, so spielen heute vermehrt auch         zu können. Denn es ist nicht immer möglich, eine
die Verringerung der Umweltbelastungen, die            ordnungsgemäße und schadlose Verwertung
Reduktion der Nachsorgekosten und die Freigabe         von Abfällen zu gewährleisten, wie diese der
der Standortflächen eine wichtige Rolle. Letzteres     Gesetzgeber mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz
ist besonders im Fall von Deponien am Rand             als Grundpflicht (§ 7 (3) KrWG) fordert, da dies die
von Ballungsräumen interessant, bei denen der          technische Machbarkeit und die wirtschaftliche
Deponiestandort mit fortschreitendem Wachstum          Zumutbarkeit voraussetzt. In diesem Fall können
der Wohnsiedlungen als Bauland attraktiver ge-         Deponien auch als Langzeitlager für Abfälle
worden ist. In Deutschland gibt es rund 100.000        betrachtet werden – so z. B. für Aschen aus der
registrierte Altablagerungen. Die Fläche, die allein   Monoklärschlammverbrennung mit dem Ziel
aufgrund der Stilllegung von Siedlungsdeponien         einer späteren Phosphorrückgewinnung.
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