THE BLACK RIDER - Schlosstheater Celle
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THE BLACK RIDER THE CASTING OF THE MAGIC BULLETS Musik und Gesangstexte von Tom Waits Regie und Stage Design der Originalproduktion von Robert Wilson Original-Orchestration von Tom Waits und Greg Cohen Buch von William S. Burroughs Dramaturgie von Wolfgang Wiens
DIE FÖRSTEREI IST NICHTS FÜR FEIGLINGE WO DIE DEUTSCHEN IHRE SEELE FINDEN Notiz zur Inszenierung Über unsere Liebe zum Wald Im Wald, so weiß es das Märchen, ist es finster und bitterkalt. Hier sind der „Das Rigide und Parallele der aufrecht stehenden Bäume, ihre Dichte und ihre böse Wolf und die nicht minder böse Hexe zuhause. Und manchmal zeigt sich Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er zwischen den Bäumen auch der leibhaftige Teufel. Doch mit dem Grausen sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und und Schaudern geht allemal auch eine gewaltige Versuchung einher. Der Wald fühlt sich eins mit den Bäumen“ – so schrieb es Elias Canetti, Schriftsteller und ist so unheimlich wie heimelig, ein bizarrer Seelenraum, der zugleich Ängste Aphoristiker deutscher Sprache. schürt und Zuflucht verspricht. In seiner Ursprünglichkeit liefert der Wald das Es war in den Wäldern, in denen die deutsche Nation ihren Anfang nahm. Ver- Gegenbild zu jedweder Form der Vergesellschaftung, in seiner Unverrückbarkeit nichtend schlug – der Legende nach – Hermann der Cherusker im Jahr neun und Beständigkeit trotzt er allem Prozesshaften, das seit der Aufklärung unser nach Christus den römischen Feldherrn Publius Quinctilius Varus im Teutoburger Bewusstsein bestimmt. Im Wald findet man sich ein für alle Mal zurecht – oder Wald. In der Schlacht geeint, entstiegen die Germanen dem Blutbad. Die Wilden man bleibt ihm ewig ausgeliefert. hatten die Zivilisation besiegt – und die Deutschen ihren Ur-Mythos gefunden. Wo ein Wald ist, darf eine Försterei nicht fehlen. Hier hält man nichts von Bü- Für Canetti hat die quasi-religiöse Beziehung der Deutschen zu ihrem Wald chern und von Tinte, sehr viel jedoch von Waffen. „Das Gewehr ist unsre Butter, niemals aufgehört zu existieren. Als er das Eingangszitat 1960 verfasste, war er die Kugeln unser Brot... ein Sesselpuper ist mein Tod...“ Davon ist Förster Bert- geprägt vom Bild, das die Deutschen über Jahrhunderte hinweg von sich und ram mit Blick auf potentielle Schwiegersöhne überzeugt. Tochter Käthchen aber ihrem Wald aufgebaut hatten. Von den Nationaldenkmälern am Kyffhäuser, dem möchte lieber ihr Herz als den Bauch sprechen lassen: statt des Jägerburschen Völkerschlacht-Denkmal, der Hermann-Statue bis zu unzähligen Bismarcktür- Robert, den sie als Wildschwein empfindet, möchte sie den feinsinnigen Buch- men hatten sie alles Erdenkliche in den Wald gestellt. Im Wald waren die Deut- halter Wilhelm heiraten. Mit ihrem romantischen Liebesbegehren stößt sie bei schen immer auf der Suche nach sich selbst: Stets im unumstößlichen Glauben, ihrer Mutter auf offene Ohren, doch im Schützenwesen gilt nun einmal: keine dass die Quelle deutscher Art im Walde rausche. Ehe ohne Probeschuss. Da kann Wilhelm noch so elaborierte Kulturtechniken Die Waldesliebe der Deutschen ist ein eigentümliches Ding. Tief hat sich der beherrschen, mit dem Gewehr ist Robert nicht zu übertrumpfen. Wald als wildromantische Kulisse in das Bewusstsein der Deutschen gegraben, Wilhelm gibt sich jedoch nicht geschlagen: er übt und übt – umsonst. „Einer wie als Schutz- und Freiheitsaum ihre Identität geprägt. Selbst der Sozialdemokrat du trifft nicht mal eine angepflockte Kuh!“, bescheinigt ihm Stelzfuß lapidar und Friedrich Ebert stellte unumstößlich fest, dass das „Herz der Deutschen im Wald eröffnet sein teuflisches Spiel mit gezinkten Kugeln. Lassen auch Sie sich ver- schlägt“. führen. Treten Sie ein in die Welt des Schwarzen Reiters. Seien Sie dabei, wenn Die deutsche Identität ohne den Wald zu denken: es ist ein Ding der Unmög- die Avantgarde der amerikanischen Popkultur sich in freien Assoziationen einem lichkeit. Schillers Räuber hausen dort, Hänsel und Gretel verlaufen sich darin, deutschen Mythos nähert. THE BLACK RIDER ist eine Entdeckungsfahrt ins Rübezahl schützt ihn. Der Topos des Jägers wurde nicht nur im lange als deut- Unbewusste, ein Feuerwerk sadistischer Fröhlichkeit, eine bittersüße Revision sche Nationaloper apostrophierten Freischütz gepflegt. Im Wirtshaus im Spes- von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, die vor genau 200 Jahren sart hocken die Wildschützen wohl heute noch. Und wenn sie sich heute immer ihre Uraufführung erlebte. häufiger im Wald begraben lassen, in kühler Erde unter hohen Wipfeln, führt das Matthias Schubert die Deutschen in kompostierbaren Urnen dorthin zurück, woher ihre Urväter in Horden über die Römer herfielen. Impressum Christopher Pramstaller Celler Schlosstheater e.V. | Spielzeit 2021/2022 | Intendant: Andreas Döring | Geschäftsführerin: Katharina Lohmann | Redaktion: Matthias Schubert | Gestaltung: Christian Stych „In der Erinnerung der Emigration schmeckt jeder deutsche Rehbraten, als wäre er vom Freischütz erlegt worden.“ Theodor W. Adorno
„Warum soll ich Bücher lesen, wenn ich die Wolken lesen kann und den Himmel und die Sterne und die Bäume und die Tiere. Ich gehe einfach so umher und die Geschichten kommen…“
ROBERT WILSON wurde 1941 in Waco/Texas geboren. Er studierte in New DAS GETRENNTE FREI ZUSAMMENDENKEN York Architektur und Malerei und entwickelte ab Ende der 1960er Jahre eine Robert Wilsons ästhetische Methode neuartige, minimalistische Theaterform, die sich zwischen Performance und Tanz bewegte. Bis heute sind für seine Arbeiten die Magie der Bilder, der Stille, der Obwohl Robert Wilson alle Disziplinen der Bühne selbst verantwortet – ver- Verlangsamung und Wiederholung stilprägend. Seit den 1980er Jahren arbeitete schmilzt er sie nicht, ganz im Gegenteil: er erreicht diese Einheit durch eine Wilson vorrangig in Europa, wo seine „creations“, bei denen er als Regisseur, radikale Trennung der Elemente. Das wäre Brecht sehr recht gewesen, der aber Autor, Bühnenbildner, Lichtdesigner und Choreograph in Erscheinung tritt, große – zu seiner Zeit – nur so denken, es ästhetisch noch nicht realisieren konnte, weil Wirkung entfalteten. Dabei standen ihm so unterschiedliche Musiker wie Philip ihm die Schwerkraft der Disziplinen noch zu sehr im Wege stand – und in diesem Glass, Lou Reed, David Byrne und Herbert Grönemeyer zur Seite. Punkt muß man Brechts Vision auch als Institutionskritik lesen. TOM WAITS, 1949 in Kalifornien geboren, ist Songwriter, Sänger, Pianist und Wilson spricht tatsächlich von seinem Theater selbst als „epic theatre“ und: er Schauspieler. Seine Balladen erzählen von drop-outs, Verlorenen und Versagern. trennt: „Ich habe den größten Teil meines Lebens in Motels zwischen anonymen Leuten • die Bewegungen von der Sprache, – denn die Schauspieler-Sänger-Perfor- verbracht und mit eigenen Augen die Geschichten, die ich wiederzugeben ver- mer tun in der Regel nicht das, wovon sie sprechen, und wenn, dann nicht suche, gesehen“, erklärte Waits auf die Frage, was ihn zu seinen Texten inspiriert naturalistisch habe. Als Schauspieler war Tom Waits in Filmen wie „Down by Law“, „Mystery • er trennt die Sprache von den Körpern – denn die Töne erreichen die Zu- Train“ und „Night on Earth“ von Jim Jarmusch und „Short Cuts“ von Robert schauer nicht auf direktem Wege, sondern durch Mikrophonierung über die Altmann zu erleben. Lautsprecher • er trennt die Körper, schafft zwischen den agierenden Figuren Abstand durch WILLIAM S. BURROUGHS wurde 1914 in St. Louis, Missouri, geboren und starb verschiedene Lichtschichten und trennt sogar die Körperteile voneinander; 1997 in Lawrence, Kansas. Er studierte in Harvard und lernte 1944/1945 Jack auch sie werden durch Licht fragmentiert, sodaß eine einzelne Hand, ein Kerouac und Allen Ginsberg kennen – gemeinsam bildeten sie die Keimzelle der Kopf, ein Fuß, ein Schuh zu erzählen beginnen kann. Beatgeneration. 1951 erschoss Burroughs bei einem „Wilhelm-Tell-Spiel“ unter Alkoholeinfluss versehentlich seine Ehefrau Joan Vollmer und schrieb in den All das versetzt uns als Betrachter in die Lage, das Getrennte frei zusammenzu- Folgejahren manisch jene Texte, die 1959 zur Publikation von „Naked Lunch“ denken, und das kann trotz aller Irritation über die Selbständigkeit der Elemente führten. Zeit seines Lebens blieb Burroughs eine Leitfigur der amerikanischen eine glückliche Erfahrung sein, weil wir – und „wir“ heißt hier „jeder für sich“ Gegenkultur und arbeitete mit Künstlern wie Laurie Anderson, Lou Reed, Kurt – die Einheit als eigene selbst entdecken können. Cobain und David Cronenberg zusammen. Heiner Goebbels DIE SONGS 7. The Flash Pan Hunter 1. The Black Rider 8. In The Morning 2. But He’s Not Wilhelm 9. Crossroads Nachweise DIE FÖRSTEREI IST NICHTS FÜR FEIGLINGE Originalbeitrag 3. November 10. I’ll Shot The Moon WO DIE DEUTSCHEN IHRE SEELE FINDEN von Christopher Pramstaller, Süddeutsche Zeitung, 4. The Briar And The Rose 11. Gospel Train 22. August 2012. 5. Just the Right Bullets 12. Lucky Day DAS GETRENNTE FREI ZUSAMMENDENKEN von Heiner Goebbels, Laudatio auf Robert 6. Chase The Clouds Away 13. The Last Rose Of Summer Wilson anlässlich der Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises 2009.
BESETZUNG Stelzfuß......................................................................................................... Dirk Böther Bertram, Förster.......................................................................................... Jan Arne Looss Anne, seine Frau........................................................................................... Bérénice Brause Käthchen, deren Tochter............................................................................... Pia Noll Wilhelm, Schreiber....................................................................................... Florian Kleine Robert, Jägerbursche / Ein Wilderer.......................................................... Alexander von Säbel Wilhelms Onkel / Der Herzog..................................................................... Marius Leonard Ein Bote / The Voice..................................................................................... Tiana Kruškić Weitere Rollen.............................................................................................. Ensemble Saxophone, Klarinette, Flöte, Melodica..................................................... Moritz Aring Posaune......................................................................................................... Jan Frederik Schmidt Piano, Trompete........................................................................................... Anthony Williams Bass................................................................................................................ Marcus Lewyn Schlagzeug.................................................................................................... Erik Mrotzek Gitarren, Banjo............................................................................................ Nils Mosen Regie.............................................................................................................. Sebastian Sommer Musikalische Leitung................................................................................... Moritz Aring Bühnenbild.................................................................................................... Lise Kruse Kostümbild................................................................................................... Wicke Naujoks Dramaturgie................................................................................................. Matthias Schubert Regieassistenz............................................................................................... Benjamin Retetzki Inspizienz...................................................................................................... Susanne Könemann Technische Leitung Oliver Neumeyer Stellv. Technischer Leiter und Werkstättenleiter Achim Groffot Bühneninspektor Roberto Langenhan Ausstattungsassistenz Carina Laskowski Bühnentechnik Markus Dräger, Robert Hausmann, Ortwin Maahs, Christian Pohlmann, Jörg Ritzke Beleuchtung Marcel Sonnemann, Jan Feldmann, Götz Schoof, Kai Peter, Ulrich Hentschel Tonabteilung Moritz Bastam (Leitung), Timo Müller Requisite René Hohnsbein, Olaf Ulherr, Mareike Wilken Maske Carmen Bente (Leitung), Maruschka Steins, Jana Plonski Leitung Kostümabteilung Iris Wuthnow Schneiderei Anette Buhr, Barbara Frantz, Anke Jacobs, Ilse- Kathrin Ohlhof, Peter Finzelberg, Mia-Luisa Zühlke (Auszubildende) Ankleiderinnen Christa Brand, Nicole Käser, Lydia Knäusel, Aljona Mielke, Lydia Stammwitz Tischlerei Sven Laudien (Leitung), Lutz Taxweiler Malersaal Birgit Bott (Leitung), Jan Wisniewski Polsterei Hans-Dieter Mehring Premiere am 12.11.2021 im Schlosstheater Aufführungsrechte Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG, Berlin Bild- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind nicht gestattet.
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