NACHmachBAR - FACHSTELLE ZWEITE LEBENSHÄLFTE - 17 Beispiele, engagiert Sozialräume zu gestalten - Fachstelle Zweite Lebenshälfte

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NACHmachBAR - FACHSTELLE ZWEITE LEBENSHÄLFTE - 17 Beispiele, engagiert Sozialräume zu gestalten - Fachstelle Zweite Lebenshälfte
NACHmachBAR
17 Beispiele, engagiert Sozialräume zu gestalten

FACHSTELLE ZWEITE LEBENSHÄLFTE
IM REFERAT ERWACHSENENBILDUNG DER EVANGELISCHEN KIRCHE VON KURHESSEN-WALDECK
NACHmachBAR - FACHSTELLE ZWEITE LEBENSHÄLFTE - 17 Beispiele, engagiert Sozialräume zu gestalten - Fachstelle Zweite Lebenshälfte
IMPRESSUM

    Herausgeber
    Fachstelle Zweite Lebenshälfte
    im Referat Erwachsenenbildung der
    Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

    Akademiestr. 7
    63450 Hanau

    ViSdP
    Annegret Zander
    06181 969120
    annegret.zander@ekkw.de
    www.fachstelle-zweite-lebenshaelfte.de

    Gestaltung
    Grafikatelier A. Köhler
    www.die-visiomaten.de

    Fotos
    Textur ©wendeliu - Fotolia.de, ©claudiarndt - Photocase.de (3),
    ©TimToppik -Pphotocase.de (3), ©sedentarydrone - iStockphoto.com (7),
    ©VRD - Fotolia.de (9), ©Hunor Kristo - Fotolia.de (11), ©photocrew - Fotolia.de (12),
    ©Johanna Uminski (25), ©Printemps - Fotolia.de (61)

    Soweit nicht anders angegeben,
    liegen die Rechte der Fotografien bei den Initiativen.

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NACHmachBAR - FACHSTELLE ZWEITE LEBENSHÄLFTE - 17 Beispiele, engagiert Sozialräume zu gestalten - Fachstelle Zweite Lebenshälfte
GRUSSWORT

Gute Nachbarschaft

Die demografische Entwicklung verändert in Verbindung mit den sich wandelnden Al-
tersbildern das Gesicht und auch das Tempo und die Kultur unserer Gesellschaft. Wir be-
ginnen, die Gemeinschaft wieder stärker in den Blick zu nehmen. Die Abhängigkeit vonei-
nander wird so nicht zur Last, sondern zum Gestaltungsspielraum. Als Kirche lernen wir,
zusammen mit der Diakonie als guter Nachbar vor Ort zu handeln und sichtbar zu werden.
Die Entwicklung von Kooperationsräumen wird dies fördern.

Menschen am Beginn der nachberuflichen Phase sind Motoren des Engagements für die
jüngeren und älteren Generationen. Sie gilt es durch die Bereitstellung von Ressourcen,
durch Bildung und Begleitung zu unterstützen.

Ich danke den Initiativen, die in dieser Broschüre mitwirken, für ihre Kreativität, Beharr-
lichkeit und den Einsatz für die Gemeinschaft. Als „nachmachbare“ Beispiele sind sie An-
stoß für weitere Initiativen in unserer Landeskirche.

Martin Hein
Bischof

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INHALT

    Einleitung
    Entdeckungsreise durch die Landeskirche.............................................................................. 5
    Alt? Ist anders!.........................................................................................................................7

    Die Praktischen
    Die Rüstigen Rentner, Neustadt-Mengsberg...........................................................................14
    Gemeinde-Mittagstisch, Ziegenhain.......................................................................................16
    Generationengarten „Zusammenwachsen“; Kassel-Wehlheiden............................................19
    Hausaufgabenhilfe, Hanau.....................................................................................................22

    Die Leidenschaftlichen
    Gib und Nimm, Eschenstruth..................................................................................................25
    Marburger Seniorenkantorei (MSK), Marburg......................................................................... 28

    Die Wissbegierigen
    GRIPS – kompetent im Alter, Kassel........................................................................................32
    Studienreisen 55+, Kaufungen................................................................................................36
    WohnBar, Kirchhain............................................................................................................... 38

    Die Kommunikativen
    Das Dorfcafé, Oberissigheim..................................................................................................42
    Stadtgespräch, Treysa........................................................................................................... 45

    Die Vernetzten
    FÄN – Fachkoordination Älterwerden in Niederzwehren, Kassel-Niederzwehren................... 48
    Miteinander – Füreinander Ottrau e. V., Ottrau.......................................................................52
    mum e. V. – Menschen unterstützen Menschen, Neuenstein.................................................. 56

    Klein & Fein
    Alte Knaben – Seniorengemeinschaft, Fritzlar-Züschen......................................................... 59
    Bi Franz, Wendershausen...................................................................................................... 60
    Nähfrauen, Harleshausen....................................................................................................... 61

    Die Nachbarschaft erkunden
    Selbstbestimmte Bildungs-, Kultur- und Sozialprojekte entwickeln.......................................62
    Literaturtipps........................................................................................................................ 66
    Wir begleiten Sie gerne – Kontakt zur Fachstelle....................................................................67

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EINLEITUNG

Entdeckungsreise durch die Landeskirche

Seit September 2014 arbeiten wir im neuen       sehen, einige Rückmeldungen konnten wir
Team als Fachstelle Zweite Lebenshälfte.        aus Platzgründen leider nicht aufnehmen.
Wir beraten Kirchenkreise und -gemeinden,       Unsere Sortierung der Projekte hätte sicher
bilden Ehrenamtliche und Hauptamtliche in       auch anders aussehen können – auf jeden
der Arbeit mit Menschen in der zweiten Le-      Fall sind wir von der Vielfalt beeindruckt.
benshälfte fort.                                Innerhalb der Kapitel haben wir eine alpha-
Zu Beginn wollten wir uns einen Überblick       betische Reihenfolge gewählt.
verschaffen, in welcher Weise in der EKKW
mit Älteren gearbeitet wird. In einem Rund-
schreiben an alle Pfarrämter baten wir um
Beispiele aus den Gemeinden, wie Älte-          Wieso steht in den Projekten
re sich in ihrer Nachbarschaft engagieren,      so selten „Senioren“ drin?
wie Alt und Jung sich gemeinsam in die Ge-
meinschaft einbringen, Treffpunkte schaffen,
Kleinode für Generationen kreieren oder gar     Ein Stolperstein in der Diskussion um die Ar-
große Projekte starten.                         beit mit Älteren ist immer wieder die Frage:
Unser Blick war und ist dabei unter anderem     „Wie nennen wir das jetzt eigentlich?“ Wenn
auf zwei Aspekte gerichtet                      Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich selbst fra-
                                                gen, ob Sie zu einem Angebot gehen würden,
• den Netzwerkgedanken in der unmittelba-       in der das Wort „Senioren“ vorkommt, wie
  ren Nachbarschaft, also auch über die Gren-   wäre Ihre Antwort? Wir gehen von unwissen-
  zen der Kirchengemeinde hinaus,               schaftlich geschätzten 95 % Ablehnung aus.
• den Inklusionsgedanken, dass Menschen         Das hängt mit einem nach wie vor negativen
  unterschiedlicher Herkunft, Möglichkeiten     Altersbild zusammen, obwohl sich das real
  und Fähigkeiten beteiligt sind.               gelebte Älterwerden faktisch enorm verän-
                                                dert. Einige der Projekte, die wir vorstellen,
Es hat uns nicht überrascht, dass eine Mehr-    verstehen sich selbst nicht als „Seniorenar-
zahl der Beispiele aus der Mitte und dem Nor-   beit“. Es sind aber zum Teil überwiegend Äl-
den der Landeskirche gemeldet wurde. Denn       tere, die in den Projekten aktiv sind. Sie en-
hier hat der demografische Wandel bereits       gagieren sich für Menschen, die älter sind als
sichtbare Spuren gezeichnet und zugleich        sie selbst, aber auch für und mit jüngeren
kreative Kräfte geweckt. Einige Projekte be-    und ganz jungen Menschen.
stehen schon seit vielen Jahren, andere sind
erst vor kurzem ins Leben gerufen worden.       Einige gehen die Sache mit dem Alter forsch
Allen Ideen spürt man das Herzblut engagier-    an, wie z. B. die Seniorenkantorei und entwi-
ter Menschen an. Alle der in den Projekten      ckeln damit ein eigenes Selbst-Bewusstsein
Engagierten sind in der zweiten Lebenshälf-     als die Älteren, die sie nun sind. Andere grei-
te. Die beginnt nach unserem Verständnis et-    fen das Thema mit Witz und Charme auf, wie
wa ab dem 50. Lebensjahr. Viele Frauen und      die „Alten Knaben“ oder die „Rüstigen Rent-
Männer sind bis ins hohe Alter federführend     ner“ – das sind übrigens alles Männer! Wir
engagiert. Einige Projekte sind generationen-   halten sie für Vorreiter einer Zeit, in der wir
übergreifend, wobei wir unter Generationen      selbstbewusst und vergnügt sagen werden:
auch die verschiedenen erwachsenen Jahr-
gänge verstehen. Sicher haben wir viel über-    „Ich bin alt!“

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EINLEITUNG

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    Ist das wirklich nachmachbar?                    Sie sich mit den Akteur_innen der Projekte
                                                     in Verbindung setzen, denn der Austausch
                                                     von Erfahrungen, auch über das, was schief
    Wir hoffen, dass es Ihnen mit den hier vor-      egangen ist, ist beim Neubeginn Gold wert.
    gestellten Beispielen so geht wie uns! Uns       Gerne unterstützen wir als Fachstelle Zwei-
    haben die Ideen begeistert und zum Weiter-       te Lebenshälfte Sie bei der Umsetzung Ihrer
    denken inspiriert. Damit eine Idee zündet,       Ideen. Wir helfen beim Sortieren der Gedan-
    braucht es vor allem eins: Menschen, die für     ken, organisieren passende Fortbildungen
    die Idee brennen. Im Rückblick haben alle        für die Ehrenamtlichen, suchen mit Ihnen
    vorgestellten Projekte etwas festgestellt: Sie   nach Ressourcen, stellen Kontakte zwischen
    hatten eine starke Idee und genügend Leute,      ähnlichen Projekten her usw. Derzeit stellen
    die sie gut fanden. Dann haben sie einfach       wir einen Werkzeugkasten „Mittagstisch“ zu-
    angefangen und die Herausforderungen un-         sammen, damit nicht jede_r wieder bei Adam
    terwegs Schritt für Schritt in Angriff genom-    und Eva und der Recherche der Hygienevor-
    men. Wenn GRIPS in Kassel geahnt hätte,          schriften anfangen muss. Weitere Werkzeug-
    welchen Umfang ihr Projekt erreichen wür-        kästen sollen folgen.
    de: vielleicht hätte sie der Mut verlassen.
    „Kommt Zeit, kommt Rat“, heißt es ja – und       Zögern Sie nicht, mit uns Kontakt
    neben dem Rat auch das Geld bzw. all die         aufzunehmen!
    anderen Ressourcen, die man dann braucht.
    Sehr eindrucksvoll finden wir hier das „Gib-
    und-nimm“ Prinzip, mit dem in der Kirchen-
    gemeinde eine Grundhaltung eingeübt wird,        Danke!
    die wirklich auf Augenhöhe von Mensch zu
    Mensch beginnt.
                                                     Danken möchten wir allen, die sich in 2013 an
    Die Situationen in den Gemeinden sind sehr       der Kollekte für die Seniorenarbeit beteiligt
    unterschiedlich. Städtische oder dörfliche       haben. Durch Ihren Beitrag können wir nun
    Strukturen, Traditionen und Traditionsab-        allen Gemeinden diese Broschüre und damit
    brüche, öffentlicher Nahverkehr oder dessen      unser gemeinsames Wissen gegenseitig zur
    Abwesenheit u. v. m. bringen unterschiedliche    Verfügung stellen!
    Bedarfe hervor. Wir stellen Ihnen Ideen vor,
    die sofort umsetzbar sind und fast keine Res-    Unser besonderer Dank gilt allen, die uns
    sourcen brauchen. Es gibt aber auch umfang-      ihre Ideen und Projekte erzählt und unsere
    reiche Projekte, die in den Sozialraum rund      Fragen beantwortet haben! Danke für Ihre
    um die Kirchengemeinde wirken. Sie alle ha-      Geduld und die Bereitschaft Ihr Wissen und
    ben klein angefangen! Auf jeden Fall finden      Ihre Erfahrung an andere weiter zu geben! Es
    wir: Nachmachen ist erlaubt und möglich!         sind wahre Schätze.

    Einfach anfangen!                                  Pfarrerin Annegret Zander,
    Wir unterstützen Sie!                              Theologische Fachreferentin
                                                       Andreas Wiesner, Dipl. Päd.,
                                                       Pädagogischer Fachreferent
    Keine der vorgestellten Ideen wird sich eins       Ute Schenk-Fischer, Gerontologin M.Sc.,
    zu eins übernehmen lassen. Doch sicher             Projektmitarbeiterin für „NACHmachBAR“
    werden sie dazu anregen, Ähnliches zu ver-

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EINLEITUNG

Alt? Ist anders
Abtritt: Frau S. springt
von der Alterstreppe

Nie vergesse ich Frau Sundmeier (Name ge-
ändert). Sie fehlte auf keinem Tanzseminar
und war kulturell oft unterwegs. Sie war
zierlich, sportlich gekleidet, mit Kurzhaar-
frisur, schnoddrigen Kommentaren und fre-
chem Humor. Eine lebenslustige Frau von
92 Jahren. Wenn unbekannte Gegenüber
ihr überrascht zuriefen „Ich hätte nicht ge-
dacht, dass Sie so alt sind!“, dann konterte
sie – fast schon beleidigt: „Ja, was dachten
Sie denn, wie ich aussehen soll mit 92?“

Vorbei sind die Zeiten des 17. - 19. Jahrhun-
derts, in denen man die Altersstufen des
menschlichen Lebens treppchenweise dar-
stellen konnte. Da ging es bis zur Vierzig
steil bergauf, ab Fünfzig trat Stillstand ein     ner kommen in die Wechseljahre, Frauen
und kurz darauf raste man(n) schnurstracks        starten mit Fünfzig noch mal durch, Paare
durchs Greisenalter ins Grab. „Mann“ des-         finden sich in ihren Achtzigern wie frisch
halb, weil es die Frauen bei vielen dieser Dar-   verliebte Teenager vor. Von „Unruhestand“
stellungen nur bis in die Dreißiger schafften.    redet längst niemand mehr. Man nennt das
Danach verschwanden sie von den Treppen           jetzt „nachberufliche Phase“. Sogar die Wer-
der Lebensalter. Das könnte einerseits dar-       bung punktet immer mehr mit grauhaari-
an liegen, dass die Frauen wegen der vielen       gen Senior-Models. „Die Generation der 65-
Schwangerschaften früh starben – oder dass        bis 85-Jährigen fühlt sich im Durchschnitt
sie ab 40 unsichtbar wurden. Als alte Frauen,     10 Jahre jünger, als es dem tatsächlichen
die unauffällig im Hintergrund dafür sorgten,     Lebensalter entspricht.“, so konstatiert es
dass die Männer blühten und dann gut ver-         die Generali Altersstudie (Monitor 03, Ge-
sorgt ins Grab stiegen. Aber Unsichtbarkeit       nerali Altersstudie 2013, S. 5). Heute kann
ist ein Stadium, aus dem sich die Frauen,         man nicht mehr – wie noch vor 10 Jahren! –
die heute alt werden, Schritt für Schritt he-     sagen, das „neue Alter“ sei vorbildlos. Das
rausarbeiten. Frauen werden inzwischen zu-        Thema Alter ist in der Gesellschaft ange-
meist älter als die Männer und sie legen die      kommen: Fast monatlich kommt eine neuer
Schwarz-, Grau- und Pastelltöne ab. Orange        Film mit alten Menschen in die Kinos, die
und pink gefärbte Haare sieht man bei alten       Ratgeber-Regale in den Buchläden quellen
Damen öfter als bei den jungen Frauen, die        über, Prominente reflektieren öffentlich ihr
Kleidung ist bunt und selbstbewusst körper-       Alter und feiern es. Wir haben jede Menge
betont.                                           gute Vorbilder fürs Älterwerden. Frau Sund-
                                                  meier allen voran, die – statt sich die Trep-
Seit ein paar Jahren gerät in Sachen Älter-       pe hinunter ins Grab zu mühen – dem Tod
werden so einiges durcheinander. Män-             vergnügt vor der Nase herumtanzte.

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                                                    tion einer App auf ihrem neuen Smartphone
    Widerstand zwecklos –                           hilft; ein Austausch über Lebensfragen nach
    Lernen bis zum Lebensende                       dem Kirchenkino, eine Weiterbildung wie bei
                                                    der „GRIPS“-Ausbildung in Kassel oder ei-
                                                    ner Schulung zum gezielten Einsatz der Le-
    Von Frau Sundmeiers Lebenslauf kann man         benserfahrungen in neuen Projekten.
    wunderbar ablesen, dass man mit Mitte 60
    noch nicht ausgelernt hat. Sie war immer        Die Entwicklungen werden sich nicht auf-
    neugierig, ließ sich auf neue Themen ein,       halten lassen. Wer aufhört, mitzulernen und
    liebte den Austausch mit bekannten und          die gesellschaftlichen Fragen, die damit ein-
    neuen Menschen.                                 hergehen mitzudiskutieren, wird abgehängt.
                                                    Deshalb ist es notwendig, für ältere und alte
    Wir haben im Vergleich zu den Vorgeneratio-     Menschen immer wieder Anlässe zu schaf-
    nen des vorigen Jahrhunderts eine ganze Le-     fen, in denen diese Einordnungen und Lern-
    bensphase dazu gewonnen, die je nach Ein-       prozesse geschehen können. Die Kirchenge-
    tritt in die nachberufliche Phase und je nach   meinden können hierbei eine wichtige Rolle
    Gesundheitszustand bis zu zwanzig und           spielen, indem sie die vielfältigen Lebens­
    mehr Jahren dauern kann. Und nun denken         themen, die mit dem Älterwerden auftau-
    Sie einmal zurück: Allein in den letzten zehn   chen, in Bildungsangeboten, Gottesdienst
    Jahren hat sich sowohl gesellschaftlich als     und Seelsorge aufgreifen.
    auch auf der Ebene der alltags-technischen
    Entwicklungen enorm viel verändert. Unse-
    re Achtzig- bis Hundertjährigen sind mit der
    Sensation eines Telephons (mit „ph“!) in ei-    Kämpferisch auf die 70 zu
    nem der Haushalte des Ortes aufgewachsen.
    Sie haben die ersten Autos über die Straßen
    schleichen sehen. Heute hat jedes Kind ein      Derzeit und in den kommenden Jahren ge-
    Smartphone (das „ph“ wurde gerettet!), wir      hen die ersten Nachkriegsgeburtenjahrgän-
    leben unser Leben in den sozialen Medien        ge und damit auch die „Alt-Achtundsech-
    öffentlich und die Autos parken sich zum Teil   ziger“ in den Ruhestand. Das wird die Welt
    schon von selbst ein.                           der Älteren erheblich verändern. Wir erle-
                                                    ben einen kulturellen Wandel – auch dies
    Wenn wir das „nach vorne“ in die Zukunft        ist ein wichtiger Aspekt des demografischen
    denken, können wir uns ausrechnen, dass         Wandels, infolge dessen wir nicht mehr von
    wir alle noch sehr viel werden lernen müs-      „dem Alter“ sprechen können. Das Älterwer-
    sen. Vieles wird sich vereinfachen. Techni-     den wird von Individuen gestaltet, genauso
    sche Hilfen in den Haushalten Älterer und       individuell, wie sie ihr Leben bisher gelebt
    Hilfebedürftiger werden zunehmen. Das wird      haben.
    Erleichterungen bringen, aber auch die Not-
    wendigkeit, sich immer wieder neu auf die       Die Werte, die wir in jungen Jahren ausge-
    Veränderungen einzustellen. Wir müssen sie      formt haben, tragen oftmals auch im Alter.
    reflektieren, in unser Weltbild einordnen,      Die Nachkriegsjahrgänge bringen häufig Wer-
    eine eigene Haltung dazu finden. Das wird       te wie Selbstbestimmung und Individualität
    nicht ohne Bildung gehen. Dabei verstehen       mit. Sie sind geübt in Kooperation und Ent-
    wir Bildung in einem sehr weiten Rahmen. Es     wicklung neuer Ideen und bereit, sich für an-
    können zufällige oder – mehr oder weniger       dere zu engagieren.
    – inszenierte und gelenkte Lernerfahrungen
    sein: Eine Begegnung zwischen der Konfir-       Wir müssen uns um die Diskussions- und
    mandin, die der 70-jährigen bei der Installa-   Lernkultur dieser Generation eigentlich kei-

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EINLEITUNG

ne Sorgen machen. Viele von ihnen haben
eine politische Streitkultur entwickelt, für
Geschlechtergerechtigkeit gestritten, die
zukünftigen Generationen ökologisch im
Blick u.v.m. Sie werden kämpferischer und
sicher offener als die bisherigen Generatio-
nen auch ihr Altwerden in die Hand nehmen.
Nicht von ungefähr wird das Thema „Woh-
nen im Alter“ inzwischen heißer und viel-
fältiger gehandelt als bisher. Nun geht es
nicht mehr ausschließlich um den frommen
Wunsch, möglichst lange zu Hause wohnen
zu können. Diese Generation geht das The-
ma zunehmend proaktiv an, richtet sich bar-
rierefrei und auf ihre Bedürfnisse gerichtet
ein, lotet Möglichkeiten des Zusammenwoh-
nens aus.

Insgesamt gehen die Älteren schon jetzt ihr
Älterwerden und ihre nachberufliche Phase       Statt nach dem Glauben wird nach
aktiver an, organisieren sich in Gruppen, mit   dem Sinn gefragt
denen sie gemeinsam ihre Freizeit nach ihren
Interessen gestalten.
                                                Auch in Bezug auf den Glauben gibt es Ver-
Sie bringen auch kulturelle Veränderungen       änderungen. Die Selbstverständlichkeit, mit
mit, die sich in der Arbeit mit Älteren aus-    der Menschen sich der Kirche verbunden
wirken. Denn die Geschmäcker ändern sich,       fühlen, nimmt deutlich ab. Sie liegt laut
auch was das Essen, die Gestaltung von Räu-     der aktuellen EKD-Mitglieder-Studie für die
men, die Kleidung und die Musikvorlieben        60-69-Jährigen nur noch bei 44%. (Zum Ver-
angeht. Wir müssen uns daher kritisch fra-      gleich: 68% der über 75-Jährigen fühlen sich
gen: Sind unsere Räumlichkeiten, Angebote       der Kirche sehr verbunden.) Wir finden zu-
und vor allem unsere Herangehensweise an        nehmend Menschen, die im Alter den Glau-
ehrenamtliches Engagement so gestaltet,         ben genauso kritisch hinterfragen, wie sie
dass diese Menschen sich bei uns wohlfüh-       es in ihren jungen Jahren taten. Nicht mehr
len und mitgestalten können? Bringen wir        die Gottesfrage steht im Vordergrund, son-
genug Vertrauen auf, den Menschen, die          dern die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Lust haben sich jenseits der bereits beste-     In der langen nachberuflichen Phase fordert
henden Angebote zu engagieren, Freiräu-         sie noch einmal deutlich andere Antworten.
me und Ressourcen anzubieten? Die Arbeit        Viele werden sich bewusst, dass wir in der
mit Älteren wird nur dann eine Zukunft ha-      Begegnung mit Menschen Bedeutung in un-
ben, wenn die Älteren selbst sie nach ihren     serem Leben erfahren, ja (mit Klaus Dörner
Vorstellungen und mit ihren Kompetenzen,        gesagt), eine Tagesdosis an Bedeutung für
Talenten, Lebenserfahrungen und Ideen ge-       andere brauchen – und zwar bis zuletzt.
stalten können.
                                                „Großer Gott wir loben dich“ wird als Kir-
Hier legen z. B. die Projekte „Stadtgespräch“   chenschlager der Alten bald abgelöst wer-
und Mum e. V. Spuren in Richtung Mitbestim-     den. Durch welche Lieder? Das ist eine in-
mung auf Augenhöhe und eigenverantwortli-       teressante Frage, denn die „68er“ hatten
chem Engagement.                                sich auch von den liturgischen Traditionen

NACHmachBAR                                                                                    9
NACHmachBAR - FACHSTELLE ZWEITE LEBENSHÄLFTE - 17 Beispiele, engagiert Sozialräume zu gestalten - Fachstelle Zweite Lebenshälfte
EINLEITUNG

     losgesagt. Kein Wunder, dass inzwischen so-       verbunden sind, geraten doch viele Kinder
     gar auf Beerdigungen Pop-Musik mehr und           gegenüber ihren alten Eltern an Grenzen.
     mehr gefragt ist. Schließlich ist man auf der     Durch den Beruf und die Sorge für die Kinder
     „Stairway to Heaven“ unterwegs. Hier gilt es,     zeitlich stark eingebunden und oft räumlich
     gemeinsam mit den verschiedenen Alters-           voneinander getrennt, können sie längst
     gruppen zu forschen.                              nicht mehr als einzige Sorgegemeinschaft
                                                       wirken. So geschieht es, dass man die Nach-
     Als Kirche bringen wir die Frage nach dem         barin bei den Einkäufen unterstützt und die
     Sinn per se mit ein. Sie schwingt bei runden      eigenen alten Eltern von ihren Nachbarn
     Tischen, Nachbarschaftsprojekten und sogar        Hilfe bekommen. Und das ist gut so! Als Kir-
     bei Kaffee und Kuchen mit. Trauen wir uns         che können wir hier zu einem Paradigmen-
     doch auch, sie noch direkter anzusprechen         wechsel beitragen, der die Familien von dem
     und besonders mit Menschen zu Beginn der          enormen Druck entlastet, überwiegend für
     nachberuflichen Phase in die Lebens- und          die Alten und die Jungen in der Familie ver-
     Sinnfragen einzutauchen!                          antwortlich zu sein. Und wir können den Al-
                                                       ten, aus der (teils selbstgewählten) Isolation
                                                       heraus Brücken schlagen, die vergebens auf
                                                       die Kinder warten– denn die können aus gu-
     Die Nachbarschaft wird zum                        ten Gründen gar nicht kommen.
     Leitbild für ein gutes Leben
                                                       Die EKKW hat sich entschlossen, als Kirche in
                                                       der Fläche präsent zu sein. Mit der Entwick-
     In der Wahrnehmung und Gestaltung der Ar-         lung von Kooperationsräumen können wir je
     beit mit und für Ältere gibt es auf politischer   nach Bedarf in unseren Regionen Schwer-
     Ebene derzeit eine deutliche Schwerpunkt-         punkte setzen und Energien bündeln. Wir
     setzung, die wir kirchlicherseits wahrneh-        können als gute Nachbarn in der Kommune
     men und aufgreifen müssen, um uns nicht           unseren Teil dazu beitragen, dass wir den
     gesellschaftlich ins Aus zu setzen. Die wach-     kollektiven Wunsch verwirklichen, dort zu
     sende Zahl von Älteren in unseren Dörfern         leben, alt zu werden und zu sterben, wo wir
     und Städten ist eine gesamtgesellschaftliche      zuhause sind. Diakonie, Kirchengemeinde
     Aufgabe. Damit einher geht auch eine stei-        und viele Menschen in der nachberuflichen
     gende Zahl von Menschen, die in irgendeiner       Phase, die sich gerne engagieren möchten,
     Weise auf Unterstützung, Hilfe und schließ-       können hier zusammen wirken. Wir müssen
     lich auch Pflege angewiesen sind. Diese Auf-      es auch, wenn wir nicht als Partner der Kom-
     gabe können wir als sorgende Gemeinschaft         munen völlig aus dem Blick geraten und uns
     („Caring Community“) nur gemeinsam lösen.         in schrumpfenden Gemeinden zurückziehen
     Der aktuelle 7. Altenbericht der Bundesre-        möchten. Wir schreiben das hier so deutlich,
     gierung trägt den Titel „Sorge und Mitver-        weil Beobachter der Arbeit der 7. Altenbe-
     antwortung in der Kommune – Aufbau und            richtskommission festgestellt haben, dass
     Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaf-            die Kirche als Nachbar in der sorgenden Ge-
     ten“. Er zeigt die Richtung an, die politisch     meinschaft zunehmend aus dem Blick gerät.
     eingeschlagen werden soll, die sich aber          Aus diesem Grund haben wir unterschiedlich
     auch aus gerontologischer Sicht als not-          aufwändige Methoden beschrieben, den So-
     wendig erweist. Wenn unser Aktionsra­dius         zialraum, in dem wir uns als Kirche bewegen,
     mit zunehmendem Alter kleiner wird, ist es        zu erkunden und als gute Nachbarn aktiv zu
     schließlich die Nachbarschaft, die (wieder        werden. „Einer trage des anderen Last“ wird
     oder vermehrt) zum tragenden Netz für die         zur Gestaltungsgrundlage – und sie beruht
     Menschen wird, die Unterstützung benöti-          auf Gegenseitigkeit und Augenhöhe wirklich
     gen. Auch wenn Familien eng miteinander           aller Altersgruppen.

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EINLEITUNG

Die Projekte FÄN, MuM e. V. und Füreinander-      schen, Dorfcafé und Gib-und-Nimm-Regalen
Miteinander e. V. sind hierzu Ideengeber.         und -Festen, an denen sich alle beteiligen,
                                                  kann die Isolation, die mit der Scham einher-
                                                  geht, aufgebrochen werden.

Wegweiser Altersarmut                             Es wird auch darum gehen, Menschen in ih-
                                                  rer Resilienz zu stärken – ganz klar ein Bil-
                                                  dungsauftrag für die Kirchen. GRIPS-Grup-
Ein weiterer Faktor wird in naher Zukunft         pen und Nachbarschaftshilfen können hier
eine wesentliche Rolle spielen: die steigen-      wirksam werden.
de Altersarmut. Fakt ist: Jetzt und in Zukunft
werden sehr viele Menschen – Frauen noch
mehr als Männer im Ruhestand an und unter
der Armutsgrenze leben. Sie werden zusätz-        Was wir von den Hundertjährigen
lich zur Rente arbeiten müssen. Auch viele        lernen
Menschen mit relativ hoher Bildung werden
mit wenig auszukommen lernen. Noch ist die
Armut in den Gemeinden nicht sichtbar, weil       Noch immer geschieht es, dass Menschen,
die Scham, über Armut zu sprechen, groß ist.      die ein hohes Alter erreicht haben und be-
Auch Menschen, von denen man es nicht den-        dingt durch Krankheit(en) sowie den norma-
ken würde, leben an dieser Grenze. Es wird        len altersbedingten Abbau von körperlichen
eines der letzten Tabus in den Altersthemen       Fähigkeiten kaum noch selbständig leben
sein, die wir auch kirchlicherseits brechen       können, aus unseren Bildungs- und gesell-
und angehen müssen. Dabei geht es nicht nur       schaftlichen Teilhabesystemen herausfal-
um die Versorgung, sondern um die Teilha-         len. Viele alte Menschen und ihre pflegen-
be und Teilgabe älterer Menschen (in Armut):      den Angehörigen leben isoliert und leiden
kulturell, spirituell und auf der Ebene des En-   darunter mehr, als unter der Krankheit und
gagements. Mit dem Angebot von Mittagsti-         den Alterserscheinungen.

NACHmachBAR                                                                                       11
EINLEITUNG

                                                      Das Diktat des „richtigen Alterns“
                                                      hinterfragen

                                                      Aus kirchlicher Perspektive möchten wir
                                                      noch einen kritischen Blick auf das Alter
                                                      in unserer Gesellschaft werfen. Wir beob-
                                                      achten, dass wir an einer Schwelle stehen,
                                                      in der ein „richtiges Altern“ vorgeschrie-
                                                      ben werden könnte: Wer sich nicht gesund
                                                      ernährt, regelmäßig bewegt und sein Ge-
                                                      dächtnis nicht trainiert, könnte alsbald eine
                                                      Abmahnung seiner Krankenkasse und der
                                                      Gesellschaft erhalten. Auch wenn wir es sehr
                                                      befürworten und in unseren Fortbildungen
                                                      unterstützen, dass Menschen aktiv bleiben
                                                      und für sich selbst Verantwortung überneh-
                                                      men, so ist es doch auch wichtig zu sehen
                                                      und zu benennen, dass das Alter schwieri-
                                                      ge Aufgaben mit sich bringt. Die Verände-
     Die Zweite Heidelberger Hundertjährigen-Stu-     rungen im Tagesablauf mit dem Beginn des
     die (2014) verzeichnet eine exponentiell stei-   Ruhestands, der zunehmende Verlust von
     gende Zahl von Hochaltrigen. Trotz vieler        Menschen an den Tod, die Sinnfrage jenseits
     Einschränkungen gesundheitlicher Art ist ein     der Identität als arbeitender Mensch, die
     zunehmender Teil der befragten Hundertjäh-       körperlichen Veränderungen – all dies und
     rigen mit seinem Leben zufrieden. Je mehr sie    vieles mehr kann uns an die Grenzen füh-
     am Leben anderer teilhaben, desto zufriede-      ren. Es kommt der Tag, an dem man beginnt,
     ner sind sie. Was überraschte: Die Hundertjäh-   auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Es
     rigen sorgen sich wenig um sich selbst, dafür    kommen Krankheiten und auch psychische
     umso mehr um die nachfolgenden Generatio-        Grenzen, wenn einem die eigene Endlich-
     nen. Und sie möchten nach wie vor ihre Erfah-    keit zu Leibe rückt. Auch dies gehört zum
     rungen einbringen und weitergeben.               Älterwerden dazu. Wir plädieren dafür, dass
                                                      unser Älterwerden ärgerlich, schwierig und
     Wir können von ihnen viel lernen: Zum Bei-       „erfolglos“ sein darf. Das christliche Men-
     spiel die Aussicht, dass wir uns an die Ver-     schenbild unterstützt, dass wir unvollkom-
     änderungen im Alter, auch an Abhängig-           men, scheiternd und zweifelnd durch unser
     keitssituationen anpassen und unser Leben        Leben gehen dürfen.
     weiterhin als wertvoll begreifen können.
     Damit das geschehen kann, brauchen die           Die Auseinandersetzung mit der menschli-
     Hochaltrigen die Möglichkeit, mit anderen        chen Begrenztheit ist schmerzhaft. Gerade
     Menschen in Kontakt zu treten, sich aus-         hier ist es wichtig, Orte und Gelegenhei-
     zutauschen, Neues zu erfahren und zu ler-        ten zu haben, wo diese Themen öffentlich
     nen. Im Rahmen ihrer Kräfte treffen wir sie      und offen behandelt werden, denn sie be-
     vielleicht „Bi Franz“. Wir werden weiter For-    treffen immer mehr Menschen. Die gebur-
     men entwickeln müssen, wie wir sie auch          tenstarken Jahrgänge steuern auf den Ru-
     zuhause aufsuchen und mit ihnen in Form          hestand und das Alter zu! Als Kirche und
     von sinnstiftenden Begegnungen in Kontakt        als Bildungsort haben wir die Möglichkeit
     bleiben können.                                  und auch die Aufgabe, den Menschen in

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EINLEITUNG

niederschwelligen Begegnungssituationen         unterstützen Sie sie mit Wertschätzung, ab
und öffentlichen thematischen Diskursen         und zu dem Besuch als Pfarrer_in, mit dem
Unterstützung anzubieten.                       Angebot von Fortbildung und dem Kauf von
                                                Arbeitsmaterialien. Diese Ehrenamtlichen
                                                tun einen wertvollen, wichtigen Dienst.

„So alt bin ich noch nicht!“ –                  Ehrlichkeit ist aber auch gefragt, wenn man
Die Zukunft                                     merkt, dass die Energie einer Ehrenamtli-
                                                chen oder auch der Kirchengemeinde nicht
                                                mehr ausreicht, eine kleine Seniorengruppe
Wohin geht die Reise der Kirche mit den Men-    zu tragen. Es kann sein, dass eine Gruppe
schen in der zweiten Lebenshälfte?              mit einem Fest verabschiedet werden muss.
                                                Vielleicht finden sich Zusammenspiele in
Der grundlegende kulturelle Wandel in un-       den Kooperationsräumen und mit den kom-
serer Gesellschaft wird auch in den Kirchen-    munalen Akteuren der Seniorenarbeit. Aber
gemeinden sichtbar. Darum wundert eine          manchmal muss erst etwas beendet sein,
Erfahrung nicht mehr, die fast alle Kirchen-    bevor etwas Neues entstehen kann.
gemeinden kennen: der „klassische“ Senio-
renkreis wirbt vergebens um neue Mitglie-       Die „Entwicklung von Angeboten für Ältere“
der. „So alt bin ich noch nicht!“, lautet die   ist ein Auslaufmodell. In Zukunft werden
allgemein bekannte Abwehr. Dahinter steckt      zusätzlich die Potentiale des Alters ver-
die Wahrnehmung, dass die Form des An-          stärkt zum Tragen kommen – gemeinsam
gebotes nicht den Bedürfnissen der Ange-        unterwegs mit allen Generationen. Unsere
sprochenen entspricht. Je nach Alter, Ge-       Aufgabe wird darin bestehen, Engagement
sundheitszustand, sozialem Hintergrund und      zu ermöglichen und zu unterstützen durch
Bildungsgrad steht, wie eben beschrieben,       (Fort-)Bildung, Bereitstellung und Organi-
eher das Interesse im Vordergrund, sich mit     sation von Ressourcen, durch Vernetzung
anderen aktiv auszutauschen, etwas zu un-       und Koordination. Ziel wird es sein, in un-
ternehmen oder mitzugestalten.                  serer älter werdenden Gesellschaft allen
                                                ein gutes Leben und Zusammenleben zu
Das heißt nicht, dass wir die Angebote für      ermöglichen. Ein Mittagstisch, Lesepaten-
die Alten, die gerne bei Kaffee und Kuchen      schaften Älterer im Kindergarten, Unter-
und einem schönen Programm zusammen-            stützung für Jugendliche beim Einstieg in
sitzen, nicht mehr bräuchten. Für viele alte    die Berufswelt, Bewegungs- und Begeg-
Menschen sind die Seniorenkreise besonde-       nungsangebote für Alte organisiert und ge-
re Treffpunkte in der Woche, eine Möglich-      leitet durch geschulte Männer und Frauen
keit des mühelosen regelmäßigen Kontakts,       im Ruhestand, u. v. m. können dabei für Fa-
eine echte Stärkung für die Seele. Wir müs-     milien und Alte eine wichtige Rolle des so-
sen aber ehrlich damit umgehen, dass diese      zialen Halts spielen.
Gruppen klein sind und nicht mehr wachsen
werden. Wir möchten dazu ermutigen, die-        Es wird eine Aufgabe kirchlicher Bildungs-
sen Gruppen zu erlauben, dass sie Wenige        arbeit sein, die Menschen dabei zu unter-
sein dürfen. Denn die Alten, die zu diesen      stützen, Brücken zwischen den Generatio-
Gruppen kommen, brauchen und genießen           nen zu bauen.
den vertrauten, schützenden Rahmen.

Wo auch immer Sie Ehrenamtliche haben,          Annegret Zander
die nach wie vor mit Freude kleine Gruppen
von Alten zusammenrufen und betreuen,

NACHmachBAR                                                                                   13
INTERVIEWS      DIE PRAKTISCHEN

     Die „Rüstigen Rentner“
     Neustadt-Mengsberg

     Die „Rüstigen Rentner“ sind, wie der Name schon vermuten lässt, Männer im
     Rentenalter, die sich weit über eine Nachbarschaftshilfe hinaus für die Bedürf-
     nisse der Dorfbewohner einsetzen. Dazu gehören Fahrten zum Arzt, zum Ein-
     kaufen, zum Gottesdienst, aber auch praktische Arbeiten wie die Pflege von
     Ruhebänken im Dorfbereich oder die Wartung des Friedhofes. Die Geräte für
     einen Spielplatz haben wir gemeinsam mit Eltern aufgestellt. Auch Rasenmä-
     hen oder kleine handwerkliche Arbeiten im Haus übernehmen wir.

     Zur Entstehung des Projektes                  Kooperationen und hilfreiche
                                                   Unterstützung
     Das Projekt wurde im Rahmen der Wettbe-
     werbe „Unser Dorf hat Zukunft“ von 2011 bis   Die Initiatoren waren der Arbeitskreis Mengs-
     2014 gegründet.                               berg, welcher aus allen politischen Parteien,
                                                   Vertretern der Vereine und der evangelischen
     Wichtig dabei war uns, ältere Bürgerinnen     Kirchengemeinde bestand.
     und Bürger in die Dorfgemeinschaft einzu-
     binden, miteinander und füreinander da zu     Besonders hilfreich war die Zusammenarbeit
     sein.                                         mit der Kirche und der Kommune.

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DIE PRAKTISCHEN     INTERVIEWS

Das hatten wir nicht erwartet                   Das Projekt in Zahlen

Negative Überraschungen gab es nicht – nur      Die „Rüstigen Rentner“ sind ein Team von 11
positive.                                       Männern und organisieren sich selbst. Die Fi-
                                                nanzierung erfolgt auf Spendenbasis.
In den Jahren 2011 – 2014 hat die Dorfge-
meinschaft Mengsberg beim Wettbewerb
„Unser Dorf hat Zukunft“ trotz jeweils unter-
schiedlicher Aufgabenstellungen jedes Mal       Was würden Sie im Rückblick
Gold gewonnen.                                  anders machen?
                                                Welche Tipps haben Sie?
Bei dem europaweiten Wettbewerb holten
wir Silber.
                                                Nichts!

                                                Es braucht 1 - 2 Personen die begeistert vor-
Was sehen Sie als den größten                   angehen. Erfolg und Freude bei der Arbeit ist
Erfolg Ihres Projektes an?                      „ansteckend.“ Eine gute Dorfgemeinschaft
                                                mit dem „Wissen voneinander“ war hilfreich.
                                                Zentrale Personen mit Kenntnissen aus
Wir haben Kapazitäten (freie Zeit und Fähig-    möglichst vielen Bereichen des Ortes (z. B.
keiten der Rentner) und Bedarf (Bedürfnisse     Ortsvorsteher/Pfarrer), um Verknüpfungen
meist älterer Mitbürger) erfolgreich zusam-     zu schaffen.
mengeführt. Es kommen neue Rentner und
Aufgaben hinzu.

Die Gruppe läuft selbstständig. Gelebte         Welche Ideen haben Sie für
Nächstenliebe ist uns auch bei der Namens-      die Zukunft Ihres Projektes?
gebung (Elisabeth-Kirchengemeinde Mengs-
berg) bei der Zusammenlegung des Kirch-
spiels zu einer Gemeinde wichtig gewesen.       „Junge“ rüstige Rentner zu gewinnen, damit
                                                die Arbeit der Gruppe lange bestehen bleibt.
Die Entstehung der Gruppe selbst ist ein Er-    Bedarf, Fähigkeiten und Zeit möglichst immer
folg und mittlerweile ein „Selbstläufer“.       in Balance zu halten.

Welche wertvollen Erfahrungen
haben Sie gemacht?                                Kontakt

                                                  Karlheinz Kurz
Vertrauen in die Ehrenamtlichen, welche           Zur Wolfsdelle 11
ihre Fähigkeiten und dementsprechend die          35279 Neustadt (Hessen)-Mengsberg
benötigte Arbeitszeit sehr gut einschätzen           06692 7550
können und sich somit nicht überfordern,             ovmengsberg@aol.com
aber gute Arbeit leisten.

NACHmachBAR                                                                                     15
INTERVIEWS       DIE PRAKTISCHEN

     Gemeinde-Mittagstisch
     Ziegenhain

     Ziel des Gemeinde-Mittagstisches (GMT) ist es, durch eine gemeinsame wöchent-
     liche Mahlzeit eine Plattform für Gespräche und Annäherung zwischen Menschen
     aus unterschiedlichen Lebenslagen anzubieten. Dabei soll insbesondere Men-
     schen aus prekären Lebenssituationen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
     ermöglicht werden. Seit 2011 bietet die Evangelische Kirchengemeinde jeden
     Freitag zwischen 12:00 Uhr und 14:00 Uhr diesen Mittagstisch an und entwickelt
     sich kontinuierlich weiter. Mittlerweile nehmen 80 Personen das Angebot wahr.

                                                      Es folgte eine Zeit des Hinsehens, denn die
                                                      soziale Not versteckt sich oft. Wie könnte ein
                                                      Angebot an diese Menschen aussehen? Soll-
                                                      ten wir Kinder, Familien oder ältere Men-
                                                      schen ansprechen? Sollte es ein regelmä-
                                                      ßiges Mittagessen geben oder einfach eine
                                                      Einladung zu den Festtagen? Schließlich
                                                      entstand ein anfängliches Konzept, welches
                                                      im Kirchenvorstand beraten wurde. Nach
                                                      dem Motto „Probieren ergänzt das Studie-
                                                      ren“ legten wir los.

                                                      Kooperationen und hilfreiche
                                                      Unterstützung

                                                      Die Initiator_innen waren Diakon Jacob, Frau
                                                      Grede, Frau Kessler und Herr Kurz vom Diakoni-
                                                      schen Werk. Die Mitarbeiterinnen der Schwäl-
     Zur Entstehung des Projektes                     mer Tafel standen mit Rat, Tat und Informa-
                                                      tionen an unserer Seite. Das Gesundheitsamt
                                                      hat bei der Erstbegehung der Räume grundle-
     Am Anfang stand wie so oft eine Idee. Oder       gende Tipps für die Hygiene gegeben. Das Pro-
     besser eine gleiche Idee in verschiedenen        jekt „Teilhabe“ des Diakonischen Werkes des
     Köpfen, die in der Frage mündete:                Schwalm-Eder-Kreises hat Verbindungen zur
                                                      Tafel hergestellt. In diesem Projekt sind ver-
     Brauchen Menschen in Notlagen nicht mehr         schiedene Initiativen zusammengeführt. Dies
     als Geld und institutionalisierte Hilfe? Könn-   sind neben dem „Gemeinsamen Mittagstisch“
     te man diesen Mitbürger_innen nicht zeigen,      Ziegenhain u. a. der „EinLaden“ in Homberg/
     dass sie zu einer Gemeinschaft gehören?          Efze und der „Mach mit Treff“ in Fritzlar.

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DIE PRAKTISCHEN         INTERVIEWS

Kommunale und kirchliche Stellen haben
Spenden für konkrete Investitionen gegeben        Anekdotisches
und vermittelt. Nachdem das Gesundheitsamt
grünes Licht gegeben hatte und Ehrenamtli-
che dazu bereit waren, zu kochen und ande-        „Wenigstens an einem Tag in der Woche muss
re Arbeiten rund um den Mittagstisch zu er-       man nicht allein sein.“ Das war wohl die
ledigen, setzten wir unsere Pläne um. Der         schönste Belohnung für die Arbeit der Mit-
Gemeinde-Mittagstisch ist ansonsten eigen-        arbeiterinnen und Mitarbeiter des Gemein-
ständig. Träger ist die Ev. Kirchengemeinde       demittagstisches. Die Worte wurden bei der
Ziegenhain. Über das Projekt „Teilhabe“ ist der   Weihnachtsfeier 2012 von einem unserer Gäs-
GMT mit dem Diakonischen Werkes vernetzt.         te ausgesprochen.

Das hatten wir nicht erwartet                     Welche wertvollen Erfahrungen
                                                  haben Sie gemacht?
Es gab durchweg positive Überraschungen,
nämlich wie die Gäste auf das Angebot re-         Im Vorfeld gab es einige Bedenken und Un-
agierten. Beispiele: Einige Gäste bringen         klarheiten. Wichtig war die Erfahrung, dass
selbstgemachten Kuchen mit, manche stellen        man einfach beginnen kann und es in Ord-
Gemüse und Obst aus den eigenen Gärten zur        nung ist, dann zu sehen, was wächst. Es war
Verfügung, andere stricken für andere Gäs-        schön, zu erleben, wie sich Menschen finden,
te oder Mitarbeitende Strümpfe oder erledi-       die bereit sind, sich für andere Menschen
gen andere Dinge. Erstaunt waren wir sowohl       einzusetzen, wenn man ihnen einen Rahmen
über die Teilnahme vieler Alleinstehender, äl-    und eine sinnvolle Möglichkeit dazu bietet.
terer Mitmenschen als auch die rege Teilnah-      Neu war auch die Erkenntnis, dass jeder un-
me vieler Gemeindemitglieder die, wie man         serer Gäste, der sich für andere Gäste öffnet,
so schön sagt, noch „voll im Leben stehen“.       im Grunde Teil der Mitarbeiterschaft ist, ohne
                                                  es zu wissen.

Was sehen Sie als den größten
Erfolg Ihres Projektes an?                        Das Projekt in Zahlen

Zu Beginn lag der Fokus stärker auf der Ausga-    Unser Team besteht aus aktuell 22 Perso-
be einer günstigen Mahlzeit für Menschen in       nen. Davon sind 20 ehrenamtlich tätig. Ins-
finanziellen Notlagen. Durch die Entwicklun-      gesamt wurden dem GMT für die Anfangs-
gen innerhalb der Gastgemeinschaft erwei-         phase 5 Wochenstunden des Diakons und 2
terte sich das Konzept hin zu einem Ort der       Wochenstunden für eine Köchin durch die
Begegnung und Vernetzung. Wir sehen in den        Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt.
positiven Rückmeldungen unserer Gäste den         Seit 2014 wird die Arbeit des Diakons durch
größten Erfolg. Aussagen wie: „Ich freue mich     einen ehrenamtlichen Geschäftsführer,
immer, wenn es Freitag wird.“ oder: „Mein Le-     Herrn Günter Pukat, geleistet. Mittlerwei-
ben hat endlich wieder einen Wert, seit ich       le bewirten wir wöchentlich 60 bis 80 Gäs-
wieder unter anderen Menschen bin.“ oder          te. Einmal im Monat treffen sich die Mitar-
„Wenn das hier Kirche ist, finde ich es gut.“     beitenden, um die Planung für die nächsten
Wir denken, das ist ein großer Erfolg.            Wochen durchzuführen.

NACHmachBAR                                                                                        17
INTERVIEWS        DIE PRAKTISCHEN

     Da bereits eine ausreichend ausgestatte-          • Eine möglichst breite Zustimmung inner-
     te Küche vorhanden war, mussten anfäng-             halb des Trägers suchen.
     lich keine Materialien angeschafft werden. Es     • Klare Formulierung der Grundsätze und
     war allerdings erforderlich, einen Hygiene-         Ziele.
     waschplatz zu installieren (ca. 600 €). Theo-     • Den Gästen nicht als „Bedürftigen“ son-
     retisch müssten auch die Personalkosten für         dern als Meistern ihres Lebens begegnen
     die erwähnten 7 Wochenstunden eingerech-            und immer wieder um sie werben.
     net werden. Der Anstieg der Gästezahl mach-
     te schließlich auch die Anschaffung eines
     größeren Herdes und einer Industriespülma-
     schine notwendig. Die Anschaffungskosten          Welche Ideen haben Sie für
     beliefen sich auf ca. 7.000 €. Leistbar ist und   die Zukunft Ihres Projektes?
     war das alles durch Zuschüsse, Teilnahmebei-
     träge, Geld- und Sachspenden. Die Zuschüsse
     kamen vom Diakonischen Werk, Geldspenden          Mit der derzeitigen Gästezahl sind unsere
     von verschiedenen Institutionen und von Pri-      Kapazitäten nahezu erschöpft. Grundsätz-
     vatpersonen. Die Kirchengemeinde beteiligt        lich wird das Projekt in seiner jetzigen Form
     uns regelmäßig an der Kollekte und die Ein-       weiter geführt.
     nahmen vom Gemeinde-Mittagstisch fließen
     in das Projekt. Die einzukaufenden Lebens-
     mittel können wir durch die Einnahmen bei
     der Essensausgabe decken. Ein Essen kostet
     1 €, im Schnitt gibt die Mehrzahl der Gäste je-     Kontakt
     doch eine zusätzliche Spende.
                                                         Günter Pukat
                                                         Gothaer-Str. 9, 34613 Schwalmstadt
                                                            06691 3896
                                                            gueheipuk@online.de

                                                         Variation

                                                         „Gemeinsam lecker essen“
                                                         Einmal im Monat wird vom örtlichen
                                                         Metzger ein Mittagessen in die Alte
                                                         Schule in Witzenhausen-Roßbach gelie-
                                                         fert. Pünktlich um 12 Uhr wird dann ge-
                                                         meinsam gegessen.
     Was würden Sie im Rückblick
     anders machen?                                      Kontakt
     Welche Tipps haben Sie?                             Pfarrer Michael Zink
                                                         Kirchweg 7, 37217 Witzenhausen
                                                            05542 2734
     • Keine Angst vor dem Gesundheitsamt. Vor-             dekanatsbuero.witzenhausen@ekkw.de
       ab genau die nötigen Voraussetzungen be-
       sprechen und die Arbeit begleiten lassen.

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DIE PRAKTISCHEN         INTERVIEWS

Generationengarten „Zusammenwachsen“
Familienbildungsstätte Kassel-Wehlheiden

Verschiedene Generationen treffen sich in einem Garten, um gemeinsam zu
säen, pflanzen, ernten, verwerten, genießen und entspannen! Menschen vie-
ler Nationalitäten kommen zusammen und haben eine friedvolle und ent-
spannte Zeit miteinander. Nicht der Ernte-Erfolg steht im Vordergrund, son-
dern diese kostbare Zeit des Miteinanders in einem kleinen Naturparadies
mitten in Wehlheiden. Inzwischen kommen auch Bewohner und Bewohnerin-
nen eines benachbarten Altenhilfezentrums hinzu, immer in Begleitung von
Betreuer_innen.

                                             uns deshalb sinnvoller als die „Tür und An-
Zur Entstehung des Projektes                 gel“ Begegnungen der Generationen in un-
                                             serer Familienbildungsstätte (FBS).

Dem Grundgedanken für dieses Projekt liegt   Was lag da näher, als in einem Garten die Ge-
die Beobachtung zugrunde, dass Kinder bei    nerationen zusammen wachsen zu lassen.
Aufenthalten in der Natur viel entspannter   Vorteilhaft für dieses Projekt waren natürlich
sind und umso intensiver lernen, je mehr     auch die örtlichen Gegebenheiten: Schule,
Freiräume sie in der Natur haben. Eine Be-   Kindertagesstätte und ein Altenheim in un-
gegnung der Generationen im Freien schien    mittelbarer Nähe.

NACHmachBAR                                                                                   19
INTERVIEWS       DIE PRAKTISCHEN

     Die Initiatorinnen waren Ines Lattemann (Mit-    entsprechend kurz und die Vorbereitungszeit
     arbeiterin der FBS) und Claudia Zahn (Leite-     basierte daher auf viel Kreativität und spon-
     rin der FBS). Gegründet wurde das Projekt im     tanen Einfällen.
     Sommer 2013.

                                                      Was sehen Sie als den größten
     Kooperationen und hilfreiche                     Erfolg Ihres Projektes an?
     Unterstützung
                                                      Immer ist zu spüren, wie sehr alle die ge-
     Schnell wurde klar, dass unsere Idee nicht al-   meinsame Zeit genießen. Einfach sein – unter
     leine von der Familienbildungsstätte umge-       Gottes weitem Himmel.
     setzt werden konnte. Deshalb folgte sehr zei-
     tig eine Anfrage an die damalige Schulleiterin
     der Hupfeldschule, ob sie den benachbarten
     Garten zur Verfügung stellt. Ihre Zusage und     Anekdotisches
     die Genehmigung durch das Gartenamt der
     Stadt folgten sogleich, ebenso die Zusiche-
     rung vom Leiter des Gartenamtes zur Unter-       Letztes Jahr im Mai fand die „Gartenlust“
     stützung des Projektes.                          nach meinem Urlaub statt. Ich hatte also kei-
                                                      ne Zeit, vorher für den Kurs zu werben. Es
     Mit finanzieller Unterstützung des Förder-       kam, wie´s kommen musste. Nur drei Mütter
     vereins der Ev. Familienbildungsstätte und       mit ihren Kindern fanden den Weg in den Gar-
     handwerklicher Unterstützung der Männer          ten. Meine Kollegin versuchte mich zu trös-
     vom Projekt „GALAMA“ (Wiedereingliederung        ten: „Dann haben wir zu Acht eine gute Zeit!“
     von Langzeitarbeitslosen) wurden Hochbee-        Mir war das nicht genug, da die Vorbereitung
     te gebaut und schon wenige Wochen später         sehr intensiv war und ich einfach für mehr
     konnte gesät und gepflanzt werden.               Menschen geplant hatte und entsprechend
                                                      vorbereitet war. So bin ich wieder zurück in
     Weiterhin gab es in der Vergangenheit eine       das Katharina-von-Bora-Haus, habe in alle
     Zusammenarbeit mit der Verbraucherzen­           Räume geschaut und die Menschen dort ein-
     trale Kassel, der „Essbaren Stadt“ Kassel und    geladen, nach ihrem Kurs in den Garten zu
     der Gärtnerei Ullrich. Die gemeinsame Ver-       kommen. Ebenso habe ich Menschen auf der
     anstaltung nannte sich „Gemüsegenuss“ und        Straße angesprochen und eingeladen, mit in
     hatte zum Ziel, regionales Einkaufen und Ko-     den Garten zu kommen. Kaum zehn Minuten
     chen in den Vordergrund zu rücken. Es nah-       später trudelten die ersten „Mutigen“ ein. Mit
     men über 40 Personen (4 Jahre – 79 Jahre) an     35 Personen haben wir den Nachmittag dann
     der Aktion teil. Leider war es nur ein einma-    verbracht. Und viele sind auch jetzt noch bei
     liges Projekt.                                   den Zusammenkünften dabei.

     Das hatten wir nicht erwartet                    Welche wertvollen Erfahrungen
                                                      haben Sie gemacht?
     Wir haben nicht damit gerechnet, das Projekt
     so schnell verwirklichen zu können. Dadurch      Es braucht „nur“ Raum, Zeit und Menschen,
     war die Planungsphase für die Gartenzeiten       damit sich die Generationen mit Achtung

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DIE PRAKTISCHEN        INTERVIEWS

begegnen und vereinter von- und miteinan-
der lernen.                                     Welche Ideen haben Sie für
                                                die Zukunft Ihres Projektes?

Das Projekt in Zahlen                           Wir sind mit der Art und Weise unserer Gar-
                                                tentage sehr zufrieden und werden zurzeit
                                                keine Veränderungen vornehmen.
Die Leitung und Koordination unseres Ge-
nerationengartens haben zwei bei uns be-
schäftigte Fachfrauen (Erzieherin, Sozial­
pädagogin). Bei der einmal im Monat
stattfindenden „Gartenlust“ (offener Gar-         Kontakt
ten für alle Bürger_innen) kommen durch-
schnittlich 40 Personen.                          Ines Lattemann, Claudia Zahn
                                                  Hupfeldstraße 21, 34121 Kassel
Das Grundstück wird kostenfrei von der               0561 15367
Grundschule zur Verfügung gestellt. Die              fbs.kassel@ekkw.de
Grundstückspflege (Mähen, Büsche schnei-
den) erfolgt durch die Schule.

Die Grundausstattung (Beete, Regentonne,
Gartenwerkzeuge, Holzklötze zum Sitzen,
etc.) wurde aus Mitteln des Förderkreises der
Ev. Familienbildungsstätte und aus Projekt-
mitteln der Familienzentrumsarbeit erbracht.

Die Teilnahme an der „Gartenlust“ ist kos-
tenfrei – eine Spende wird erbeten. Diese
und die Zuschüsse des Familienzentrums si-
chern die Honorar- und Sachkosten. Ein ein-
maliger Zuschuss im Rahmen des Program-
mes „Etablierung von Familienzentren in
Hessen“ durch Ministerin Kühne-Hörmann
deckte einen Teil der Investivkosten.

Was würden Sie im Rückblick
anders machen?
Welche Tipps haben Sie?

• Die Bemühungen, Ehrenamtliche für das
  Projekt zu begeistern, würden wir beim
  nächsten Mal intensivieren.
• Vieles kommt beim Tun.
• Mut zum Unperfekten.

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INTERVIEWS      DIE PRAKTISCHEN

     Hausaufgabenhilfe
     Hanau

     Insgesamt 24 Ehrenamtliche im Alter von 50 bis 85 Jahren helfen 70 Schüler
     _innen aus der ersten bis sechsten Klasse bei den Hausaufgaben.

                                                    Vor der Eröffnung des Stadtteilbüros wurde
     Zur Entstehung des Projektes                   nach Angeboten gesucht, um das Haus mit
                                                    Leben zu füllen. Interessierte Mitbürger_in-
                                                    nen in unserem Stadtteil (Kesselstadt-West-
     Das Projekt „Hausaufgabenhilfe“ wurde          stadt) haben die Notwendigkeit erkannt,
     2001 ins Leben gerufen und ist Teil eines      dass Grundschulkinder keine Hausaufgaben
     anderen Projektes. Es gehört zum Angebot       machen können, wenn ihre Mütter nie in ih-
     des „Stadtteilbüros“ (seit 2007: „Weststadt-   rem Leben in eine Schule gegangen sind.
     büro“). Hier kooperieren die Stadt Hanau
     und die Evangelische Kirchengemeinde und       Folgende Werte sind uns wichtig:
     sie bieten gemeinsam verschiedene Kur-         • Zuwendung zu den Schwachen – ohne An-
     se und Beratungen für die Bevölkerung des        sehen von Herkunft oder Religion.
     Stadtteils an. Beteiligt an diversen Veran-    • Sinnvoller Einsatz der eigenen Kompe-
     staltungen sind u. a. auch die vhs, die Aus-     tenzen – auch nach der aktiven Berufs-
     siedlerseelsorge, das Evangelische Jugend-       laufbahn.
     zentrum, das DRK, die Baugesellschaften,       • Ehrenamt soll Spaß machen und begrenz-
     die Schulen und Kindergärten.                    bar sein.

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DIE PRAKTISCHEN        INTERVIEWS

Die Hausaufgabenhilfe wurde von Frau Lips-      Schulen und nach deren Angeboten. Zum
ky vorgestellt und ehrenamtlich realisiert.     Beispiel:

                                                • Seit einigen Jahren wird im Anschluss an
                                                  die Hausaufgabenhilfe ein Lesetraining
Kooperationen und hilfreiche                      angeboten, denn Lesen kann man im Rah-
Unterstützung                                     men der Hausaufgabenhilfe nicht üben.
                                                • Bei der Umstellung von G9 auf G8 boten
                                                  die Damen und Herren der Hausaufgaben-
Die Stadt Hanau finanziert die Räume, in de-      hilfe Extra-Stunden für Fremdsprachen an,
nen die ehrenamtliche Arbeit vor sich gehen       um drei Kindern den Übergang von der Re-
kann. Das ist sehr hilfreich.                     alschule zum Gymnasium zu ermöglichen.
                                                • Derzeit kommen die meisten Kinder aus
Auch die Wahrnehmungen der städtischen            der Grundschule, da die weiterführende
Angestellten, die nebenan arbeiten, sind          Schule und das Jugendzentrum eine Schü-
sehr hilfreich – sie werfen einen Blick von       lerhilfe für höhere Klassen anbieten.
außen auf die Abläufe im Projekt und entde-
cken Dinge, die evtl. dem pädagogischen An-
spruch widersprechen.
                                                Was sehen Sie als den größten
                                                Erfolg Ihres Projektes an?
Das hatten wir nicht erwartet
                                                Der größte messbare Erfolg war das Jahr,
                                                in dem vier Kinder „hochgestuft“ werden
Die Überraschung ist jeden Tag und jedes        konnten – zwei davon konnten im Jahr da-
Jahr wieder neu: wie gern die Kinder zu ihrer   rauf sogar erneut hochgestuft werden. Das
Hausaufgabenhilfe kommen, wie stolz und         bedeutet: zwei Kinder, die zur Sonderschu-
selbstverständlich sie Noten und Klassenar-     le geschickt worden waren, konnten mit Hil-
beiten vorzeigen, wie stark die Bindung an      fe der Hausaufgabenhilfe und der Unterstüt-
die Ehrenamtlichen ist.                         zung des Jugendzentrums die Realschule
                                                besuchen und zwei Kinder konnten von der
Der Stolz und die Freude der Kinder – sicht-    Realschule ins Gymnasium wechseln.
bare Seiten der Bindungen, die entstehen
– lassen den immer wieder einmal entste-        Ansonsten besteht der Erfolg des Projektes
henden Frust über „vorlaute“ oder „freche“      in all den Aha-Erlebnissen, Noten und schu-
Kinder dahin schmelzen und geben Energie        lischen Erfolgen, die die Kinder tagtäglich
für ein neues Halbjahr.                         erleben.

Das Projekt hat sich aus kleinen Anfängen
kontinuierlich vergrößert und kann im Mo-
ment einfach aus raumtechnischen Gründen        Anekdotisches
nicht weiter wachsen.

Das Konzept ist in all den Jahren gleich ge-    Frau Lipsky – unbestrittene Chefin des gan-
blieben: Hilfe bei der Erledigung der Haus-     zen Ladens – wurde mit einem Preis für ihr
aufgaben. Und doch haben sich im Lau-           außerordentliches Engagement geehrt (sie
fe der Jahre einige Angebote und Bedarfe        ist an fast jedem Tag der Woche vor Ort, or-
verändert, je nach den Anforderungen der        ganisiert die Dienstpläne der Ehrenamtli-

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