Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
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www.klassikakzente.de • C 43177 • 4 • 2008 Hélène Grimaud Ko n t ra p u n k t de s G e i s t e s Helmut Schmidt Ka n z l e r d e r Ta sten Cecilia Bartoli & Juan Diego Flórez BEl C a n t o i m Doppel Janine Jansen Di e J ug e n d v on heute A n na N e t r e b ko Annas Andenken
Editorial Andreas Kluge Intro 4 Der ultimative Klassik-Canon Große Emotionen auf der großen Leinwand Schnellveröffentlichung Jonas Kaufmann auf DVD und im TV Titel 6 Anna Netrebko: Rendez-vous im Chambre séparée Interview Foto: Felix Broede 10 Juan Diego Flórez: Schlafwandlerische Sicherheit Magazin Liebe Musikfreundin, lieber Musikfreund, 12 Janine Jansen: Die jugend von heute, Anno 1878 wer kann die heißeste Story über Anna Netrebko erzählen? Wer 14 Hélène Grimaud: Der Kontrapunkt des Geistes kennt die intimsten Details aus dem Leben von Lang Lang? 15 Der klassische Fragebogen, Warum musste Rolando Villazòn pausieren? Weshalb singt Elīna beantwortet von René Pape Garanča nicht in Salzburg? Warum lässt sich ein Meisteroboist 16 Das andere Jubiläum: Giacomo Puccini eigentlich sein Instrument klauen? Auf diese und andere Fragen, 17 Lang Lang: Sensibel justiert die die Welt in ihrem Innersten bewegen, suchen seit Jahr und 18 Helmut Schmidt: Erdige Strenge Tag die Medien Antworten. Dabei geht es häufig weniger um 19 Der Weihnachtswunschzettel für die Großen sorgfältige Recherche als vielmehr um „Wer zuerst kommt …“ 20 Fritz Wunderlich und Joan Sutherland oder „Welche Zutat aus der Gerüchteküche kam eigentlich noch in „Alcina“: Zweite Wahl, erste Sahne nicht zum Einsatz?“. Natürlich steht, wer einen bestimmten Be- 21 Till Brönner: Melancholie in ihrer kanntheitsgrad erreicht hat, im Rampenlicht und wird zum Ge- schönsten Form genstand eines öffentlichen und damit zwangsläufig auch medi- 22 Friedrich Gulda: Des Kaisers alter Fritz alen Interesses. Doch darf, wer einmal in diesem Fokus steht, 23 Thomas Quasthoff: Ewigjunger Opernpapa auch nach Belieben ausgeweidet werden nach geheimen Details? 24 Andrea Bocelli: Star ohne Verfallsdatum Vertraulich im Interview weitergegeben Informationen? Privaten 26 András Schiff: Durch die Tür zum Licht Meinungen über Kolleginnen oder Kollegen? Doch eher nicht. 27 Joachim Kaiser: Der Schatz des Mohikaners Was wohl die so agierenden Journalisten sagten, wenn pikante 28 Eloquence: Melodien für Millionen Details aus ihrem Leben oder das eine oder andere Pausenge- 29 Loriot: Loriots Zoologie sprächsprotokoll unter Kollegen munter ans Licht der Öffentlich- 30 Rafał Blechacz: Wohldosiertes, inniges keit gezerrt würde? Musizieren Es gibt für alle Bereiche des Lebens Spielregeln, auch für die 31 Daniel Hope: Schocks vom Rotschopf des öffentlichen Lebens. Und man muss sich nicht unbedingt ein 32 Kinderklassik: Ohrenschmaus unterm Beispiel an den schwarzen Schafen der Branche nehmen, ein Weihnachtsbaum von Respekt und Seriosität geprägter „Ehrenkodex“ hat durch- aus etwas für sich. Auf jeden Fall sollten Sie, liebe Leserin, lieber Reingehört Leser, die drei goldenen Regeln guter Information beachten: 1. 34 Alle neuen Veröffentlichungen Jede Kritik ist subjektiv, daher suche den Vergleich! 2. Je markt- ausführlich vorgestellt schreierischer die Aufmachung im Heft, desto genauer muss der 42 Veröffentlichungsregister Blick hinter die Fakten sein! und 3. Vertraue dem eigenen Urteil. Titelfoto: Esther Haase / DG Voll und ganz vertrauen aber können Sie unserer Ankündi- gung, dass das ZDF auch in diesem wie in den Jahren zuvor, die Service ECHO Klassik Gala der Stars zeitversetzt live im Fernsehen über- 46 Live-Termine trägt. Und zwar am 19. Oktober ab 22.00 Uhr, und mit dabei sind 47 KulturSPIEGEL-Klassik-CD-Bestsellerliste unter anderen Cecilia Bartoli, Danielle de Niese, Albrecht Mayer Vorschau und Andrea Bocelli. In diesem Sinne wünscht Ihnen einen aufschluss- und erfah- KlassikAkzente wird herausgegeben von rungsreichen musikalischen Herbst Ihr Andreas Kluge www.KlassikAkzente.de 3
Intro Der ultimative Klassik-Canon Foto: Pietro Domenigg / Unitel_MR Film Der etwas andere Reiseführer „1000 Places to See Before You Die. Die Lebensliste für den Weltreisenden“ wurde ein Best- seller. Nun gibt es das musikalische Pendant dazu von Matthew Rye unter dem Titel „1001 Klassik-Alben, die Sie hören sollten, bevor das Leben vorbei ist“ in der Edition Olms. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe verfasste kein Geringerer als der Cellist Steven Isserlis, und ausgewählt und vorgestellt werden die 1001 Referenzalben von 35 Musikern und Musik-Kritikern. Sie bespre- chen die Kompositionen von Gesualdo da Venosa, über Monte- verdi, bis hin zu Steve Reich und Karl-Heinz Stockhausen und empfehlen die besten Interpretationen, die schönsten Aufnah- men. Dabei werden in der nun vorliegenden Ausgabe neben zahlreichen Künstlerfotos und historischen Abbildungen die Plattencover der favorisierten Aufnahme gezeigt sowie weitere empfehlenswerte Veröffentlichungen hervorgehoben. Und als i-Tüpfelchen wurde das ganze mit treffenden Zitaten gewürzt. So darf man zu den originalen „Carmina burana“ über Philip Pickets Bonmot „In Anbetracht der teils recht unzüchtigen Inhalte ist es ein Wunder, dass das Manuskript überlebt hat.“ ebenso schmunzeln wie über Sir Simon Rattles Verdikt zu Stock- hausens „Gruppen“: „Ein unvermeidliches Ungetüm.“ Alles in allem ein unterhaltsames Nachschlagewerk für Laien und Exper- Rolando Villazón und Anna Netrebko ten gleichermaßen. Große Emotionen auf der Foto: Elfriede Hanak / Decca großen Leinwand Herbert van Karajan Robert Dornhelm, spätestens seit „Krieg und Frieden“ ein Regisseur für große Gefühle, drehte im Januar und Febru- ar 2008 in den Wiener Rosenhügel-Studios seinen neues- ten Film, der Ende Oktober bundesweit in den deutschen Kinos starten wird: „La bohème“, die opulente Verfilmung einer der berühmtesten und populärsten Opern aller Zeiten. Drehbuch: Giacomo Puccini, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 150. Mal jährt. Anna Netrebko und Rolando Villazón singen und spielen die Hauptrollen in der aufwendigen Produktion, in welcher Dornhelm das welt- berühmte Café Momus und das Leben der Pariser Bohème Ende des 19. Jahrhunderts zum Leben erweckt. Die Musik zum Film basiert auf der „La bohème“-Gesamtaufnahme, die die Deutsche Grammophon während einer Auffüh- rungsserie im Münchener Gasteig im April 2007 live mitge- schnitten und im Mai 2008 veröffentlicht hatte. Produziert wurde die internationale Kinoproduktion von Jan Mojtos Unitel Classica – einem der größten Produzenten klas- sischer Musik weltweit – und Kurt Mrkwicka MR Film mit Unterstützung von ORF Film-/Fernsehabkommen, dem Österreichisches Filminstitut, dem Filmfonds Wien in Steven Isserlis Zusammenarbeit mit IMG und Deutsche Grammophon in 1001 Klassik-Alben – Die Sie hören sollten, bevor das Leben vorbei ist Koproduktion mit dem ZDF. • www.laboheme-derfilm.de Matthew Rye Verlag ISBN 978-3-283-011109 4 www.KlassikAkzente.de
Claudio Abbado Schnellveröffentlichung Es war einer der Höhepunkte des diesjährigen Musikfesti vals in Luzern: Am 13. August dirigierte Claudio Abbado sein Lucerne Festival Orchestra mit einem durchweg französischen Programm im Rahmen seines Festival de Lucerne und erstmals musizierte die italienische Dirigen- tenlegende gemeinsam mit der lettischen Mezzosopranis- tin Elīna Garanča. Während Abbado mit Berlioz’ „Sympho- nie fantastique“ einmal mehr sein klangmalerisches und musikdramatisches Können unter Beweis stellte, lieh Elīna Garanča ihr „farbenreiches Timbre und ihre natürliche Tongebung“ (NZZ) dem phantasievollen Orchesterlieder- Foto: Harald Hoffmann / DG Zyklus „Shéhérazade“ von Maurice Ravel. Die Deutsche Grammophon hat dieses Konzert live mitgeschnitten und veröffentlicht das Album schon am 29. Oktober als soge- nannten rush release. Jonas Kaufmann Kaufmann auf DVD und im TV Der Münchener Jonas Kaufmann ist zweifellos einer der erfolgreichsten Sänger des Jahres 2008. Mit seinem Decca-Debütalbum sorgte der Tenor für Aufregung im Blätterwald und in den Kulturmagazinen des Fernsehens. Spätestens seit seiner a cappella vorgetragenen Charme- Attacke in der „3 nach 9“-Talkshow und seinen umjubelten „La bohème“-Auftritten in Berlin wusste Deutschland, dass es einen neuen klassischen Superstar hat. Nun kann man Jonas Kaufmann auch endlich in einer seiner Paraderollen auf DVD erleben: als Don Josè in Georges Bizets Oper „Carmen“. Und nicht nur jüngst in Zürich, auch in Glyndebourne und London waren sich Publikum und Kritik einig: Kaufmann ist nach Stimme, Statur und Stamina der perfekte Don José! Am 30. Novem- ber darf er sich im ZDF dann von einer ganz anderen Seite präsentieren: In der traditionellen „Adventsmusik im ZDF“ geht’s an der Seite von Elīna Garanča vornehmlich lyrisch- weihnachtlich zu. Foto: Uli Weber / Decca www.KlassikAkzente.de 5
Titel Rendez-vous im Chambre séparée Mit „Souvenirs“ legt Anna Netrebko ihr vielleicht persönlichstes Album vor – und flirtet dabei nicht nur heftig mit der leichten Muse. Am 29. Juni war im Wiener Ernst-Happel-Stadion alles für den in dem Puszta-Knaller „Heia, in den Bergen“ aus Emmerich Kálmáns großen Showdown vorbereitet, für das finale Kräftemessen zwi- „Die Csárdásfürstin“ nun so viel Pfeffer, dass man nachvollziehen schen den zwei besten Fußballmannschaften Europas, Spanien kann, warum Netrebko bereits als Kind diesem unverwüstlichen (Sieger) und Deutschland (zweiter Sieger). Doch schon zwei Tage Operettenschlager erlegen gewesen sein mag. Und auch das sanfte zuvor hatte sich der Ehrenhof vorm Schloss Schönbrunn in eine „Solveigs Lied“ aus Edvard Griegs Schauspielmusik zu „Peer Gynt“ überfüllte Fanmeile verwandelt. Nicht zum Public Viewing allerdings, ist ein ferner Spiegel von der 15-jährigen Studentin Netrebko, war sondern zum Public Listening. Immerhin war anlässlich der EURO es doch das erste Stück, das sie lernte. 2008 mit Anna Netrebko, Rolando Villazón und dem passionierten Trotz der autobiografischen Einfärbungen, die bei ihrem nun- Kicker Plácido Domingo ein wahres All-Star-Team angekündigt. Der mehr vierten Soloalbum durchaus auszumachen sind, hält man mit Abend sollte zwar vorerst zum letzten Auftritt Netrebkos werden, „Souvenirs“ andererseits doch eigentlich die Visitenkarte der All bevor sie sich danach in die Babypause verabschiedete. Doch bei rounderin Netrebko in den Händen. Schließlich sollten es diesmal der Ope(r)n-Air-Gala dribbelte Netrebko noch einmal nach Herzens- fernab der spektakulären Operngefühle ihre Lieblingsmelodien lust mit den Koloraturen, schlug sie mit ihrem einzigartigen Feinge- sein, mit denen sie als facettenreiche Sängerin beeindruckt. Statt fühl riesige Melodienflanken. Auf dem Spielpan standen jedoch nicht Verdis Violetta nun also Lehárs Giuditta. Statt Massenets Manon all jene Primadonnen- und Belcanto-Hits, mit denen die russische jetzt Offenbachs Giulietta. Überhaupt ist das Repertoire schon fast Stimmschauspielerin ihre Fans ansonsten bis zum hohen Es bis zur enzyklopädisch angelegt, reicht es von Jacques Offenbachs Atemlosigkeit mitreißt. Mit handverlesenen Arien und Liedern auch „Barcarole“, über Andrew Lloyd Webbers lateinisches „Pie Jesu“ aus der Welt der Operette und des Salons bot sie stattdessen bis zu zwei auf wundersamen Melos-Wolken schwebenden Liedern schon mal einen Vorgeschmack auf das Album „Souvenirs“, mit von Richard Strauss. Und wenn man das Andalusische als eigen- dem jetzt die Wartezeit auf Netrebkos Rückkehr weniger überbrückt ständiges Sprachidiom hinzunimmt, präsentiert sich Netrebko in als versüßt werden kann. sage und schreibe zehn verschiedenen Sprachen zugleich als wah- „Souvenirs“ – da schwingt natürlich ein Hauch von Nostalgie re Weltenbürgerin. Da wechselt sie nahtlos von einem französischen mit. Von Netrebkos Erinnerungen an all die ersten vorsichtigen, Chanson Reynaldo Hahns ins Norwegische, vom Tschechischen dann immer selbstbewussteren Schritte auf der Karriereleiter und ins Jiddische des Wiegenliedes „Schlof sche, mein Vögele“, vom schließlich auf dem Glamour-Opernparkett. Tatsächlich steckt allein Italienischen, über das Deutsche ins Russische. 6 www.KlassikAkzente.de
Titel Foto: Esther Haase / DG Auch bei der leichten Muse eine glänzende Figur: Anna Netrebko 8 www.KlassikAkzente.de
Dass Netrebko neben solchen Ohrwürmern wie dem berühmten „Chambre séparée“ aus Heubergers Operette „Der Opernball“ so manche Raritäten aus ihrer russischen Heimat ausgewählt hat, „Für die ‚Barcarole‘ hat spricht für ihre weiterhin tiefe Verwurzelung, die sie schon 2006 mit dem „Russian Album“ dokumentierte. Für „Souvenirs“ wurden Emmanuel Villaume zwei Romanzen von Nikolai Rimsky-Korssakoff ausgesucht, „die unglaublich populär in Russland sind. Aber es gibt sie nur mit Klavierbegleitung. Für dieses Album haben wir Arrangements in Elīna Garanča und mich Auftrag gegeben. Mir war sehr wichtig, dass die Orchestrierung für diese schönen, aber schlichten Melodien leicht und transparent ist, fast wie ein gutes Parfüm – eine davon mit einem zarten orienta- regelrecht verführt!“ lischen Duft“. Auch bei den 1001 dahinströmenden Duftnoten in Rimsky-Korssakoffs Lied „Gefesselt von der Rose singt die Nacht“ konnte sich Anna Netrebko aber nicht nur auf die von ihr geprie- senen Motivationskünste Emmanuel Villaumes verlassen. Bei den Aufnahmen stand ihr eine Dame mit wertvollen Tipps zur Seite, So international es musikalisch auf „Souvenirs“ zugeht, so muss man dafür aber dementsprechend jemanden zur Seite haben, der die Netrebko noch aus den Zeiten kennt, als sie von Valery Gergiev die Fäden mit hellwachem Auge und Ohr zusammenhält. Denn, so ins Ensemble des Mariinskij-Theaters in St. Petersburg enga- giert worden war. Bis heute ist die legendäre Stimmfachfrau Elena der Franzose Emmanuel Villaume, „für einen Dirigenten ist es durch- aus nicht einfach, innerhalb von wenigen Minuten von einem StückMatusovskaja am Mariinskij immer noch aktiv. Eine idealere künst- wieder zu anderen zu wechseln, die in ihrer Stilistik und ihrem lerische Ratgeberin konnte sich Netrebko somit für „Souvenirs“ Charakter komplett unterschiedlich sind.“ Dass dem gebürtigen kaum wünschen. Elena Matusovskaja: „Da die meisten Stücke ja Elsässer dieses Kunststück am Pult der Prager Philharmonie ge- eigentlich für Mezzosopran komponiert worden sind, musste Anna auf ein etwas dunkleres Timbre achten, ohne dabei die strahlen- glückt ist, kann man allein aus den Worten Netrebkos heraushören. „Ich bewundere ihn“, schwärmt die mit dem Bassbariton Erwin den Höhen zu vernachlässigen. Aber was soll ich sagen: Anna Netrebko besitzt für das alles nicht nur die Technik, sondern auch Schrott liierte Netrebko von Emmanuel Villaume. „Er hat eine tolle Art, mich dazu zu bringen, bei jedem Stück noch mehr Energie das nötige hohe Kunstverständnis.“ einzusetzen! Ich liebe das, ich lasse mich gerne anspornen und Dank dieses Rüstzeugs kann Anna Netrebko daher auch im spanischen Fach auf Anhieb den Schalter von elegisch-sanft auf herausfordern. Einfach unglaublich, wie er Elīna Garanča und mich furios-frech umlegen. Wenn auf die argentinische Volksmusik- regelrecht verführt hat, die ‚Barcarole‘ mit so viel Ausdruck zu sin- gen, mit ‚lustvollem Erbeben‘, wie er es nannte.“ ballade „La rosa y el sauce“ von Carlos Guastavino ein energie- „Souvenirs“ ist somit der erste komplette Studiobeleg dafür, geladener Zapateado folgt, bei dem Netrebko als schwerverliebte Zigeunerin Maria dieser Operetten-Zarzuela „La tarántula“ gehörig dass Anna Netrebko auch bei der leichten Muse nicht nur eine glän- Beine macht. Und wenn zum schwungvollen Schluss Anna Netreb- zende Figur macht. Mit diesem Recital setzt sie die große Tradition ihrer Kolleginnen und Kollegen wie Elisabeth Schwarzkopf, Anne ko mit verführerischem Charme und brillanten Koloraturen zahllose Sofie von Otter, Fritz Wunderlich und Plácido Domingo fort, die Kusshände verteilt, versteht man nur zu gut, warum auch nach Luigi keine Berührungsängste zwischen Operndrama und Operetten- Arditis „Il bacio“ die gesamte Fanmeile im Schönbrunner Ehrenhof delirium kannten und kennen. Und weil Netrebko im wirklichen Kopf stand. Sängerleben eben entgegen aller Yellow-Press-Gerüchte keine Reinhard Lemelle Diva, sondern eine ausgesprochene Mannschaftsspielerin ist, gab es bei den Aufnahmesessions erst recht keine Eifersüchteleien, www.deutsche-grammophon.com/netrebko-souvenirs beispielsweise zwischen ihr und dem neuen lettischen Mezzostar Elīna Garanča. Laut Garanča traf da eher das genaue Gegenteil zu: „Wir beide haben ein ähnliches Verständnis vom Singen, aber auch ein ähnliches Timbre. Und gerade in der ‚Barcarole‘ befinden wir Anna Netrebko, Sopran Souvenirs Prague Philharmonia uns in einer derartigen Balance und Harmonie, dass es sogar viel- Deutsche Grammophon Dirigent: leicht für den Hörer spannend sein wird, uns auseinanderzuhalten. CD 477 7638 Emmanuel Villaume Unsere Kollegialität, aber auch die Tatsache, dass wir wirklich Freun- Limited Edition Veröffentlichung: CD+DVD 477 7451 7. November dinnen sind, machte alles so einfach.“ www.KlassikAkzente.de 9
Interview Als Elvino in Wien: J u a n D i e g o F l ó rez Foto: Wiener Staataoper 10 www.KlassikAkzente.de
Cecilia Bartoli, Mezzosopran Gemma Bertagnolli, Alt Vincenzo Bellini Juan Diego Flórez, Tenor La sonnambula Javier Camarena, Tenor Decca Ildebrando d’Arcangelo, Ltd. Edition Hardcover Bass u.a. • Orchestra la Book Scintilla • Dirigent: 2 CDs 478 1084 Alessandro de Marchi Schlafwandlerische Sicherheit Die Titelrollen von Vincenzo Bellinis „La sonnambula“ sind legendär schwer. Indem sie sich nicht an die geltende Aufführungspraxis halten, haben es sich Juan Diego Flórez und Cecilia Bartoli nicht gerade leichter gemacht. Im KlassikAkzente-Interview erzählt der peruanische Tenor, warum. KlassikAkzente: Für Ihre Aufnahme der KlassikAkzente: Haben diese Abwei- KlassikAkzente: Was wären die unabding- „Schlafwandlerin“ haben Sie sich gegen die chungen irgendwelche Auswirkungen auf baren Voraussetzungen für eine Sängerin, üblicherweise aufgeführte Version entschie- die Dramaturgie des Stückes? einen Sänger, um die Partien von Amina und den und für die sogenannte „Rubini“- bezie- Flórez: Absolut nicht, nein. Elvino idiomatisch perfekt zu singen? hungsweise „Pasta“-Version. Was ist der Flórez: Ich sage nur: BELCANTO! „La son- Unterschied? KlassikAkzente: Worin besteht Ihrer Mei- nambula“ ist der absolute Höhepunkt des Juan Diego Flórez: Es gibt eigentlich keine nung nach das größte Missverständnis be- Belcanto: hohe Noten, leicht und unange Unterschiede in den Partituren. In der übli- züglich „La sonnambula“ heute und wie sah strengt produziert, sehr viel Piano-Gesang, cherweise aufgeführten „Sonnambula“-Ver- das früher aus? und jeder Phrase und auch jedem Wort die sion sind einige hohe Noten nicht notiert, Flórez: Ich sehe da keinerlei Unterschiede, Bedeutung geben, die ihnen zukommt! Die die die Aufführungstradition hinzugefügt hat. vielleicht atmet unsere Einspielung etwas Musik komplett aus den Noten ableiten … Aber Cecilia singt in dieser Aufnahme nur mehr Intimität, wir haben ja auch auf eine das, was auch wirklich in der Partitur steht. stärkere Betonung der lyrischen Momente KlassikAkzente: Wenn denn eine Auf- Für Elvino trifft mehr oder weniger dasselbe hingearbeitet. nahme in der vorherrschenden, üblichen zu, ich verzichte bei der Einspielung auf die „Sonnambula“-Version existierte, die Ihnen hohen Noten am Ende, die ich normalerwei- KlassikAkzente: Ist „La sonnambula“ auch gefällt – sowohl als Bühnen- wie auch als se in den Aufführungen singe. heute noch für Bühneninszenierungen inter- Schallplattenproduktion: Welche wäre das? essant, oder sollte man sich eher für halb- Flórez: Die Decca-Version mit Luciano Pa- KlassikAkzente: Wie kommt es, dass die szenische, quasi konzertante Aufführungen varotti und Joan Sutherland ist die mit Ab- Rubini-/Pasta-Version heutzutage so selten entscheiden? stand spektakulärste Aufnahme. aufgeführt wird? Flórez: „La sonnambula“ ist ein Stück, das Flórez: Das ist manchmal eine Sache der nicht auf große Bühneneffekte abzielt. In Aufführungstradition. Wir kennen heutzuta- „La sonnambula“ geht es primär um den ge die „Sonnambula“-Version mit den hohen Gesang! Ich persönlich allerdings ziehe im- Noten im Stück. Aber wie gesagt, unsere mer eine Bühnenproduktion vor und ver- Ausgabe hier ist das, was Bellini wirklich ge- meide halbszenische Konzertversionen. schrieben hat. www.KlassikAkzente.de 11
Erfrischend natürlich: Janine Jansen Foto: Kasskara / DG 12 www.KlassikAkzente.de
Peter Iljitsch Tschaikowsky Violinkonzert op. 35 • Souvenir d’un lieu cher Decca CD 478 0651 Janine Jansen, Violine Mahler Chamber Orchestra Dirigent: Daniel Harding Die jugend von heute, Anno 1878 Die 29-jährige Janine Jansen geht durchaus ruppig um mit ihrem Tschaikowsky – das Publikum ist begeistert. Im angelsächsischen Sprach- (was in der Klassik gänzlich un- etabliert ist, lässt ihre Interpreta- und Harding gelingt durch deren raum ist sie die „queen of the üblich ist – geklatscht wird am tion die starken Gefühlslagen Einsatz Entscheidendes: Die download“: Kein anderer Klassik- Ende eines Stückes). Ihren des russischen Komponisten, Rauheit und die Bedächtigkeit, künstler übt gerade auf die „Ge- Tschaikowsky umweht eine At- die zwischen Hymnus und Me- die sie dem Werk angedeihen neration iPod“ eine ähnliche Fas- mosphäre von Frische, von ju- lancholie oszillierende seelische lassen, verhindern nämlich einen zination aus wie die berückend gendlich-rauem Charme, von Zerrissenheit Tschaikowskys, Kardinalfehler, den viele Tschai- schöne, erfrischend natürliche aufregender Andersartigkeit. den Ausdruck dominieren. kowsky-Interpreten machen: All- und vollkommen musikbeses- Die junge Niederländerin be- Ihr außergewöhnlicher An- zu oft wirkt dieses Werk, ebenso sene Geigerin Janine Jansen. weist von Anfang an ihr ausge- satz ist voller starker Tempo wie etwa die Klavierkonzerte Auf ihrer neuen CD präsentiert reiftes Gespür für die Gesetze wechsel, voller harter, teilweise oder die Pathétique, süßlich, ver- die junge Niederländerin jetzt der Dramaturgie, wenn sie das fast ruppiger Brüche und Ak- zärtelt, kitschig, melodramatisch. ein Werk, das mit seiner unmit- berühmte, in höchstem Maße zente, die Janine Jansen auf ih- Hier ist nichts von alledem: Statt- telbaren, starken Emotionalität sangliche Thema des 1. Satzes rer Barrere-Stradivari von 1727 dessen erscheint ein großer, ein junge Menschen schon immer zunächst ganz langsam und lei- setzt. Das ist live viel leichter ver- souveräner, ein eherner Tschai- besonders angesprochen hat: se, fast schon zögerlich intoniert. mittelbar als über den Tonträger. kowsky, dessen seelische Wahr- Peter Tschaikowskys Konzert Jansen und der zweite junge Wie schön, dass die 29-jährige haftigkeit und symphonische für Violine und Orchester op. 35. Star dieser Aufnahme, der Diri- Künstlerin dennoch das Risiko Entwicklungskraft in der Tradi- Konzertinterpretationen die- gent Daniel Harding am Pult des eingegangen ist, ihre ganz eige- tion Beethovens stehen. ses Werks gelingen Jansen Mahler Chamber Orchestra, las- ne Interpretation in aller Radika- Harald Reiter manchmal derart atemberau- sen der symphonischen Archi- lität festzuhalten. Manch ein all- www.janinejansen.com bend, dass sich die Spannung tektur Tschaikowskys alle Zeit zu eng betrachtender „Klassiker“ im Publikum schon nach dem der Welt, sich zu entfalten. Erst mag ihre Stilmittel als manieris- ersten Satz Bahn brechen muss wenn die Majestät der Musik tisch empfinden, aber Jansen www.KlassikAkzente.de 13
Magazin Bach Deutsche Grammophon CD 477 7978 Limited Edition CD 477 6248 Hélène Grimaud, Klavier Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Dirigent: Florian Donderer Vorliebe für d-Moll: Hélène Grim a ud Foto: Mat Hennek / DG Der Kontrapunkt des Geistes Hélène Grimaud macht Konzeptalben. Statt sich darauf zu beschränken, einfach eine exzellente Interpretation dauer- haft festzuhalten, legt sie durch originelle Gegenüberstellungen verborgene Aspekte und Bezüge in der Musik offen. Das neue Album der französi- und plädiert gleichzeitig für mehr endete letzte Symphonie und Busonis spektakuläre Transkrip- schen Ausnahmepianistin kon- Mut im Umgang mit dem Ba- Beethovens „Neunte“, aber tion ein Muss. Vor ein paar Jah- trapunktiert Originalkompositi- rockgenie: Mut, der den Ro- auch Johannes Brahms’ von ju- ren hat die Musikhistorikerin onen Johann Sebastian Bachs mantikern des späten 19. und gendlichen Idealen befeuertes Helga Thoene nachgewiesen, mit Bach-Werken, die von eini- frühen 20. Jahrhunderts noch erstes Klavierkonzert, zu dem dass Bach in diesem Satz, der gen der bedeutendsten roman- eignete. „Bach ist so ehrfurcht- sie eine sehr innige Beziehung als Reaktion auf den unerwar- tischen Klaviervirtuosen und gebietend, dass er viele Musiker hat. „Ich verstehe nicht, wie teten Tod seiner Frau entstand, -komponisten für das Klavier völlig eingeschüchtert hat und man ohne dieses Konzert leben Choralmelodien chiffriert einge- transkribiert worden sind, na- sie nicht mehr wagen, etwas kann“, hat sie einmal zum Autor arbeitet hat, namentlich jene zu mentlich von Ferruccio Busoni, auszuprobieren – dabei war dieser Zeilen gesagt. „Christus lag in Todesbanden“. Franz Liszt und Sergej Rachma- Bach selbst ständig damit be- Ihre Vorliebe für d-Moll spie- Ob Grimaud davon Kenntnis hat, ninoff. Jedem dieser Arrange- schäftigt, zu mischen, anzupas- gelt auch die Bach-CD wider, in ist nicht bekannt. Aber in ihrer ments stellt Grimaud jeweils sen, neu zu schaffen …“ d-Moll stehen sowohl Bachs Interpretation hat sie einmal Präludium und Fuge aus dem Hélène Grimaud pflegt ein Konzert BWV 1052 als auch sei- mehr jene friedvolle Weltent- „Wohltemperierten Klavier“ in geradezu spirituelles Verhältnis ne „Chaconne“, im Original das rückung ausmusiziert, für die derselben Tonart gegenüber. zu d-Moll, der Tonart einer war- Finale der Partita BWV 2004 für die Tonart d-Moll steht. „Wir Instrumentalisten mes- men, goldenen Jenseitigkeit, der Solovioline. Dieser längste und Harald Reiter sen unsere technische und geis- Tonart des Todes als Erlösung. komplexeste Einzelsatz, den tige Entwicklung daran, wie wir In d-Moll steht – natürlich – Bach jemals komponiert hat, Bachs Musik spielen – das ist Mozarts „Requiem“, in d-Moll war von Anfang an ein Fixpunkt www.deutschegrammophon.com/ unser Prüfstein“, sagt Grimaud stehen Anton Bruckners unvoll- in Hélène Grimauds Programm, grimaud-bach 14 www.KlassikAkzente.de
Foto: Mathias Bothor / DG Gods, Kings & Demons Deutsche Grammophon CD 477 6408 René Pape, Bass Staatskapelle Dresden Dirigent: Sebastian Weigle Der klassische Fragebogen Fan von Wagner und Johansson: R e n é Pape beantwortet von René Pape Musik ist eine heilige Welche Begegnung wür- Welcher Komponist Welches Gericht käme Kunst, oder …? den Sie in der Fantasie bzw. welches Werk wird nie auf Ihren Tisch? Ich halte es da mit Morosus gern herbeiführen? Ihrer Meinung nach Das Jüngste. aus Strauss’ „Die schweig- Mozart, Wagner, Scarlett heutzutage überschätzt same Frau“: „Wie schön ist Johansson. Vielleicht in bzw. unterschätzt? Könnte man Ihnen doch die Musik, aber wie umgekehrter Reihenfolge. Von beiden gibt es mehr als in einem Sportstadion schön erst, wenn sie vorbei genug … begegnen? ist.“ Auf welches nicht- Eher in einem Fitnessstudio. musikalische Abenteuer Welche Aussage über Könnten Sie wählen, würden Sie sich gern Musik möchten Sie nie Der einzige Weg, eine in welcher Zeit hätten einmal einlassen? wieder hören? Versuchung loszuwerden, Sie gern gelebt? Fallschirmspringen. Auch Musik sei eine heilige Kunst. ist ihr nachzugeben, Ich würde eher in die Zukunft wenn von 20 Männern 10 sagte Oscar Wilde. als in die Vergangenheit die gleiche Antwort geben Was sagen Sie? reisen wollen. würden. Welches Buch liegt „Wahn, Wahn, überall neben der Stimmgabel Wahn …“ Welchem Maler aus Welches Musikstück und welches auf Ihrem der Vergangenheit oder treibt Ihnen den Schweiß Nachttisch? Gegenwart hätten auf die Stirn? Habe weder das eine noch Sie gern einmal Modell Das, was ich noch nicht das andere. gesessen? studiert habe. Salvador Dalí. Mit welcher Märchen Ihr musikalisches Credo? gestalt würden Sie sich Welches war Ihre musi Cash – keine Schecks! identifizieren? kalisch aufregendste Mit dem Geist aus Aladins René Pape Begegnung? Welchen Komponisten Wunderlampe. Jede neue Begegnung mit der Vergangenheit großen Musikern ist aufre- würden Sie bitten, Welches der vier Tem- gend und spannend. Das ist ein Stück für Sie zu peramente – sanguinisch, die Droge des Musikers. komponieren? melancholisch, chole- Mozart. risch, phlegmatisch – Wie sähe Ihr ideales entspricht Ihrem Wesen Publikum aus? am ehesten? Grün und mit Antenne … Sanfter Choleriker. www.KlassikAkzente.de 15
Magazin Serie: Das andere Jubiläum Giacomo Puccini Giacomo Puccini The Definitive Collection La bohème (Gesamtaufnahme) Decca Decca 11 CDs 475 9404 3 CDs 478 0254 Joan Sutherland • Montserrat Caballé Mirella Freni, Sopran Mirella Freni, Sopran Luciano Pavarotti, Tenor Luciano Pavarotti, Tenor Berliner Philharmoniker Dirigenten: Herbert von Karajan Dirigent: Herbert von Karajan Zubin Mehta u.a. Sahnestücke zum Jubiläum eines Genies Am 22. Dezember dieses Jahres feiert die Opernwelt den 150. Geburtstag von Giacomo Puccini. Decca bringt zur Party gleich zwei besondere Veröffentlichungen mit. Keine Frage: Der unsterbliche Fan- und Kritikerliste um einen Schöpfer von Meisterwerken Platz als eine der besten Opern wie „La bohème“, „Madame einspielungen aller Zeiten kon Butterfly“ oder „Tosca“, die ihn kurriert. Für die, die ihren Puccini zum wohl bedeutendsten italie besonders luxuriös haben wol nischen Opernkomponisten len, ist eben jene „La bohème“ nach Giuseppe Verdi machten, gerade auch einzeln neu aufge bewegt die Emotionen auch im legt worden, und zwar in einer 21. Jahrhundert wie vielleicht Luxusfassung, die, was Klang, kein anderer Komponist. Design, Ausstattung und Bonus- Unter den zahlreichen Wie material betrifft, ihresgleichen derveröffentlichungen klassi sucht. scher Puccini-Aufnahmen, die, Von der Premiere seiner ers auf Hochglanz gebracht, in die ten Oper „Le Villi“ am 31. Mai sem Herbst erscheinen, ragen 1884 im Mailänder Teatro dal zwei besonders heraus: Zum Verme an schuf der damals erst einen ist „Puccini: The Definitive 25-jährige Giacomo Puccini ins Collection“ zu nennen, ein edel gesamt 12 Opern. Sein letztes gestalteter Boxwürfel, der als Werk „Turandot“ hinterließ er bei limitierte Edition einige der be seinem Tod im Jahr 1924 un deutendsten Puccini-Aufnah vollendet. Die melodische men des führenden Opernlabels Schönheit seiner großen Arien, Decca in sich vereint. Die Haup mehr noch aber Puccinis enor trollen in dieser Kollektion, die mes Talent für perfekt getimtes mit „La bohème“, „Madame dramatisches Vorwärtsdrängen Butterfly“, „Tosca“, „Manon Les verleihen seinen besten Werken caut“ und „Turandot“ Puccinis 150. Geburtstag: eine Sogwirkung, der sich auch G i acomo P ucci n i populärste Werke präsentiert, Menschen, die an heutige Reiz sang jeweils das Traumpaar level gewöhnt sind, nur schwer Mirella Freni und Luciano Pava entziehen können. Wie kaum rotti – außer in „Turandot“, wo entstanden, gelten als absolu- heit und Hingabe, mit welchem ein anderer Komponist erreicht der Jahrhunderttenor Pavarotti te Klassiker der Aufnahmege Feuer Karajan etwa Mirella Freni und bewegt Puccini mehr als 80 von den ebenbürtigen Sopranis schichte, gerade auch wegen bei ihrem großen Ausbruch in Jahre nach seinem Tod sein tinnen Dame Joan Sutherland der wegweisenden Leistungen der Arie „Sì. Mi chiamano Mimì“ Publikum – auch diejenigen, die und Montserrat Caballé flan‑ ihrer Dirigenten Zubin Mehta und begleitet, der weiß, warum diese keine regelmäßigen Opern- oder kiert wurde. Vor allem „Turandot“ Herbert von Karajan. Wer schon wahrhaft legendäre Aufnahme Konzertgänger sind. und „La bohème“, beide 1973 mal gehört hat, mit welcher Zart der „Bohème“ auf beinahe jeder Harald Reiter 16 www.KlassikAkzente.de
Foto: Felix Broede / DG Sensibel justiert Größtmögliche Sensibilität: L a ng L a n g Lang Lang spielt die beiden Chopin-Klavierkonzerte ebenso fingerfertig wie klug – und vermeidet dabei das Offensichtliche, findet „Piano News“-Chefredakteur Carsten Dürer. Wie oft habe ich in den vergan- zerte einen Grund, ihn wieder zu seiner Heimat Polen zu tun hat- rauschhaft-emotional erklingen. genen Monaten naserümpfende loben: der beiden von Chopin. te, die er als Jugendlicher für im- Seine Nuancierungen stechen Kommentare über Lang Lang Die Einspielung unterstreicht ein- mer verließ und deren Tanz- punktgenau heraus. Und dies gehört, von konservativen Zuhö- mal mehr Lang Langs Facetten- rhythmen und Gesänge er nie macht diese Aufnahme zu et- rern, von Musikstudenten, von reichtum. Denn natürlich klingen vergaß. Aber Lang Lang ist sich was Besonderem dieser so viel Professoren und natürlich – allen diese zwei Klavierkonzerte bei auch des sensiblen Spielers gehörten und gespielten Kon- voran – von Musikkritikern. Man dem gerade einmal 26-jährigen Chopin bewusst, der feinsinnig zerte: Perfektion in Bezug auf war sich nicht sicher, was man Pianisten anders als in den Auf- phrasierte und romantisch zu das Pianistische wird gepaart von diesem Jahrhunderttalent nahmen alter Klavierheroen. singen verstand, wenn er fürs mit größtmöglicher Sensibilität. (das keiner bestreitet) halten soll, Doch ist dieser Vergleich nicht Klavier schrieb. Und entspre- Lang Lang, der klassische Pia- das kaum musikalische Grenzen auch vage? Haben sich die chend hört man da recht verhal- nist, der Publikums- und Kriti- kennt, sich für die Musik der Mo- großen Alten des Klaviers nicht tene Tempi, in denen Lang Lang kerliebling, ist wieder da, kann derne, seiner Heimat China und gerade auch dadurch einen Na- zu erzählen versteht, was hinter immer noch das auslösen, was der Klassik gleichermaßen ein- men machen können, dass sie den Noten verborgen ist. Er lässt so wichtig, ja das Wichtigste setzt. Diese Unsicherheit äußert alte Traditionen über Bord war- sich nicht auf das Glatteis des überhaupt auf den Musikbüh- sich dann meist in lautstarker, fen und sich emotional ganz und Virtuosentums führen, eine Ver- nen ist und ihn so bekannt mach- ja polemischer Kritik, die jeder gar auf das Werk einließen? suchung, der so viele andere te: Emotionale Ergriffenheit beim Grundlage entbehrt. Nun kön- Lang Lang interpretiert Cho- Pianisten seines Alters erliegen. Hörer. nen diese Kritiker sich freuen, pin in jeder Nuance überlegt und Er schwelgt, er justiert sensibel Carsten Dürer gibt ihnen doch Lang Lang mit wirkt dennoch spontan, weiß Passagen in den Kontext des einer faszinierenden Neueinspie- um die in der Person Chopins Ganzen, er mischt aus der Farb- lung zweier großer und uneinge- beständig mitschwingende Me- palette Klänge zusammen, die www.deutsche-grammophon. schränkt beliebter Klavierkon- lancholie, die auch immer mit immer singend und dennoch com/langlang-chopin Frédéric Chopin Klavierkonzerte 1 & 2 Deutsche Grammophon CD 477 7449 Lang Lang • mit David Ritz Deluxe Edition 477 7982 Musik ist meine Sprache – Die Geschichte meines Lebens Lang Lang, Klavier Ullstein Wiener Philharmoniker ISBN 978-3-550-08736-3 Dirigent: Zubin Mehta Veröffentlichung: 14. November Veröffentlichung: 6. November www.KlassikAkzente.de 17
Magazin Musik als Rückzugsort: He l mu t Schmi dt Foto: Annette Lederer Erdige Strenge Helmut Schmidt spielt Klavier, wie er regierte: Klug, präzise, mitfühlend. Die Jubiläumsedition „Kanzler & Pianist“ mit dem Film „Helmut Schmidt außer Dienst“ von Sandra Maischberger ehrt den Weltbürger und Musikliebhaber. In der Politik ist es auch nicht Rückzugsort für den Staats- Philosophen Mark Aurel mehr die Endlosigkeit des Kosmos mehr so, wie es einmal war. Sie mann gewesen – ein innerer beeinflusst hätten als die Bibel. und bleibt doch mit beiden Fü ist ein schnelles Geschäft gewor- Kosmos, den er überall in der In seinem Leben siegten die ßen auf der Erde. Damit ist sie den, in dem tagesaktuelle Mei- Welt aufsuchen konnte. In der Logik und die Ratio meist über so etwas wie die klingende nungen gefragt sind. Große Visi- Dokumentation „Außer Dienst“ intuitive Emotionshandlungen – Charakterisierung des Altkanz onen, klug durchdachte Konzep von Sandra Maischberger be- warum sollte das in seinen mu lers Helmut Schmidt. Denn auch te und vor allen Dingen Konstanz kennt der Altkanzler, dass er auf sikalischen Vorlieben anders sein Handeln ist durch zwei grund sind selten geworden. Außerdem seinen Reisen oft in Hotelzim- sein? legende Kriterien bestimmt: die hat ein aufgedrehter Ton die Polit- mern Musik hörte. Bisweilen Johann Sebstian Bachs mu rationale Logik und den huma Rhetorik erobert. Wie anders war warnt er vor dem Verlust des sikalischer Kosmos ist die Ver nistischen Willen, das Verweilen das bei politischen Urgesteinen Hörens einer ganzen Generati- schmelzung von strenger Form auf der Welt für alle erträglich zu wie Helmut Schmidt. Bis heute on: „Es ist wichtig, sich mit der und irdischer Verbundenheit. Sie machen. kommentiert Schmidt die Tages- Musik auseinanderzusetzen, um vereint Freidenkerei mit Boden politik so effizient und verständ- die Welt nicht nur als Lärm wahr- ständigkeit, erhebt den Geist in Axel Brüggemann lich wie kaum ein anderer Politi- zunehmen.“ ker. Bei ihm hören sich selbst 1984 hat der Altkanzler Kanzler & Pianist inkl. DVD Helmut Schmidt außer Dienst existenzielle Sätze vollkommen Bach-Klavierkonzerte mit Justus Deutsche Grammophon klar an. Für seine Botschaften Frantz, Christoph Eschenbach CD + DVD 480 1310 (Querformat) braucht er nur wenige Worte. und Gerhard Oppitz aufgenom- CD + DVD 073 4516 (Hochformat) Und das klingt dann ungefähr so: men. Dass er ausgerechnet Helmut Schmidt, Klavier „Ohne Musik wäre mein Leben Bach spielte, scheint typisch für Sandra Maischberger und Jan Kerhart, ganz anders verlaufen.“ Tatsäch- einen Politiker zu sein, der sagt, Buch und Regie Veröffentlichung: 7. November lich ist die Klassik ein wichtiger dass ihn die klaren Werke des 18 www.KlassikAkzente.de
Weihnachtsstimmung mit Pavarotti, Carreras, Ein Opernklassiker mit Brigitte Fassbaender Engelsgleiche Stimmen: Berühmte Sopranis- Domingo und einem Programm von „Adeste und Lucia Popp als Hänsel und Gretel sowie tinnen geben sich hier ein feierliches Stelldich- Fideles“ bis „Climb Ev‘ry Mountain“. Edita Gruberova als Taumännchen. ein. The Three Tenors at Christmas Humperdinck Hänsel und Gretel (GA) Angels: Christmas with the Great Decca CD 478 0336 Decca 2 CDs 478 0143 Sopranos Decca CD 478 0337 Pavarotti • Domingo • Carreras, Tenor Popp, Sopran • Fassbaender, Mezzo- Fleming • Price • Tebaldi, Sopran u.a. Diverse Orchester und Dirigenten sopran • Berry, Bassbariton u.a. Dirigenten: Karajan • Neville u.a. Erstmals auf CD erhältlich: Hermann Preys Die Sopran-Legende der 50er singt 18 Weih- Wie klingt Weihnachten in Argentinien, Austra- wunderschöne Weihnachtsaufnahmen von nachts-Evergreens sowie die Mozart-Arien lien oder Korea? Stars wie Magdalena Kožená 1971. „Exsultate, jubilate“ und „Laudate Dominum“. und Roberto Alagna geben Antwort. Weihnachtslieder – Christmas Songs In Dulci Jubilo Christmas Round the World Deutsche Grammophon CD 477 7969 Deutsche Grammophon CD 477 7970 Deutsche Grammophon CD 477 7971 Hermann Prey, Bariton Maria Stader, Sopran Kožená, Mezzosopran • Alagna, Tenor Leonard Hokanson, Klavier Münchner Chorbuben u.a. u.a. • Dirigenten: Walker • Preston u.a. Vier Posaunen, Tuba, Orgel: Beeindruckender Ein traditionelles Weihnachtsfest mit Christa Klassiker aus aller Welt von den Weltstars der kann man die Weihnachtsklassiker kaum ein- Ludwig, René Kollo, Hermann Prey, Peter Klassik: Fleming, Gheorghiu, Carreras und spielen. Schreier, Fritz Wunderlich und vielen anderen. viele andere. Tochter Zion, freue dich Schöne Weihnachten Weihnachtsgala der Weltstars Koch CD 477 5041 Deutsche Grammophon CD 480 1127 Decca CD 480 1068 Posaunenquintett Berlin Münchener Bach-Orchester u.a. Fleming, Sopran • Domingo, Tenor Armin Thalheim, Orgel & Cembalo Dirigenten: Biller • Gardiner • Harrer u.a. Terfel, Bassbariton u.a. Barock für besinnliche Tage von Albinoni, Die besten Chöre der Welt jauchzen hier um Eins der meistaufgeführten geistlichen Werke Corelli, Locatelli, Manfredini, Marcello, Torelli die Wette: Dresdner Kreuzchor, Gabrieli Con- Bachs, hier in einer stimmungsvollen Aufnah- und Vivaldi. sort, Wiener Sängerknaben und viele andere. me mit Catherine Bott. Festliche Weihnachtskonzerte Jauchzet, frohlocket! Bach Weihnachtsoratorium (Querschnitt) Decca CD 480 1067 Deutsche Grammophon CD 480 1066 L’Oiseau-Lyre CD 480 0279 Pina Carmirelli, Violine Dresdner Kreuzchor • Thomanerchor Catherine Bott, Sopran • New London Heinz Holliger, Oboe • I Musici Leipzig u.a. Consort • Dirigent: Philip Pickett www.KlassikAkzente.de 19
Magazin Georg Friedrich Händel Alcina (Gesamtaufnahme) Deutsche Grammophon CD 477 8017 Joan Sutherland, Sopran • Norma Procter, Mezzosopran • Fritz Wunderlich, Tenor Nicola Monti, Tenor • Capella Coloniensis Dirigent: Ferdinand Leitner Veröffentlichung: 7. November Zweite Wahl, erste Sahne Joan Sutherland und Fritz Wunderlich in „Alcina“ – ein Traumpaar, das sich niemand hatte vorstellen können. Man stelle sich vor: Joan Suther- aus purer Not. Fünf Tage vor der die Titelpartie überhaupt drauf- orchester leistete. Am Pult stand land und Fritz Wunderlich als Aufführung hatte man weder ei- hatte. Ferdinand Leitner, der langjäh- „Traumpaar“ der 1960er Jahre, nen Sopran für die Titelpartie Wenn man den Mitschnitt rige Generalmusikdirektor in gemeinsame Auftritte in Mozart- noch einen Tenor für die männ- hört, ist von Krisenstimmung Stuttgart. Nach unzähligen Wag- und Belcanto-Opern. Theore- liche Hauptrolle. Die ursprüng- nichts zu spüren. Fritz Wunder- ner-Aufführungen im sogenann- tisch hätte es solche Sternstun- lich vorgesehene Sopranistin lich und Joan Sutherland har- ten Winter-Bayreuth war die Ar- den auch geben können, in Lon- musste wegen starker Intonati- monieren so gut mit den Sän- beit mit der Cappella für ihn will- don, in Wien, an der Met in New onsprobleme entlassen werden, gerkollegen und dem Orchester, kommene Abwechslung und York, auf Schallplatte. Doch es und der Tenor Nicola Monti hat- als wären sie seit langem auf- Bereicherung. Die Begeisterung, sollte nicht sein. Nur ein einziges te irrtümlich die falsche Partie einander eingespielt. Und es ist mit der sich die Musiker für Mal sind die beiden Jahrhun- gelernt, Oronte statt Ruggiero. ein ganz besonderes Orches- stilgerechte Aufführungen ein- dertsänger gemeinsam aufge- Fritz Wunderlich, der als Oronte ter, das bei dieser allerersten setzten, steckte ihn an. Es war treten: bei der WDR-Aufführung engagiert war, sprang mutig ein, Gesamtaufnahme der „Alcina“ eine glückliche Verbindung, von „Alcina“ im Händel-Gedenk- lernte den wesentlich größeren zu hören ist: die Cappella Colo- die in vielen WDR-Konzerten jahr 1959. Zum Glück blieb der und anspruchsvolleren Part in- niensis, damals der weltweit und auf Tourneen zu erleben Mitschnitt erhalten. Jetzt gibt es nerhalb von vier Tagen. Und erste Klangkörper, der konse-Blicktwar.zurück, Dochaber die nicht Aufführung im Zorn: von ihn erstmals legal auf CD. glücklicherweise war auch Joan quent im Sinne der historischenB e „Alcina“ rthol d G o l d schm idt ein ist ein Sonderfall, Was viele nicht wissen: Die Sutherland bereit, die Auffüh- Aufführungspraxis musizierte, absolutes Unikat. einmalige Konstellation Suther- rung zu retten. Sie war damals ein Spezial-Ensemble, das sich land/Wunderlich entstand damals die Einzige weit und breit, die der WDR neben dem Sinfonie- Thomas Voigt Foto: WDR / Heinz Karnine „Alcina“ im Großen Sendesaal des WDR: Frit z Wund er l ich und J oa n S uth er l a nd 20 www.KlassikAkzente.de
Till Brönner Rio Verve CD 178 0680 Till Brönner, Trompete & Gesang Annie Lennox • Aimee Mann Sérgio Mendes • Milton Nascimento Melody Gardot, Gesang u.a. www.tillbroenner.com Melancholie in ihrer schönsten Form Mit „Rio“ hat der Jazztrompeter Till Brönner ein Bossa-Nova-Album aufgenommen, das beweist: Musik verbindet – über alle Stil- und Landesgrenzen hinweg. Er hat klassische Trompete stu- schen Songwriters Milton Nasci ber, der vor dem Klassiker und Juwelen: diert, bei „Jugend musiziert“ al- mento, wir hören den Jazz-Croo Balkon seiner T i l l B rö n n ER les gegeben – und doch wurde ner Kurt Elling, die Brasilianerin Angebeteten ein er nicht der neue Ludwig Güttler. Vanessa da Mata und die junge Ständchen bringt, Zum Glück. Schließlich verdankt US-Amerikanerin Melody Gardot, und sie doch die Musikwelt Till Brönner seit mit dem verführerischen „High nicht wecken seinem CD-Debüt vor fünfzehn Night“. Auch Sergio Mendes, ei will. Jahren einige der besinnlichsten ner der wichtigsten Bossa-Nova- Jakob Buhre Jazz-Momente – inklusive des Botschafter überhaupt, kam zu überraschenden „Jazz Album“ Brönner ins Studio – singender von Bassbariton Thomas Quast- weise wohlgemerkt. Seine Inter hoff, das Brönner 2007 produ- pretation von Jobims „Ela é cari zierte. Auch durch die Arbeit mit oca“ zählt sicher zu den gefühl Größen wie Hildegard Knef und vollen Höhepunkten des Albums. Mark Murphy hat er sich eine Und auch wenn Grammy-Preis Fangemeinde erspielt, die jede trägerin Aimee Mann in „Amor neue Veröffentlichung mit Span- em paz” die Zeilen „Love is the nung erwartet. Nun ist es wieder saddest thing when it goes away” so weit: „Rio“ steht in den Läden singt, kann man sich dem Ge – und der Name ist Programm. fühl des Saudade kaum mehr Nein, es geht nicht um Karneval, entziehen. sondern um die Bossa Nova, Till Brönner verbindet mit um Antônio Carlos Jobim und „Rio“ Musiker, die ungeachtet Saudade, die wahrscheinlich ihrer geografischen und schönste Form der Melancholie. musikalischen Herkunft Drei Wochen hat Till Brönner gemeinsam eine anzie in Rio de Janeiro Musik aufge- hende Atmosphäre nommen, ist tief in den Bossa- schaffen. Die keinesfalls Nova-Kosmos eingetaucht. Und sich selbst, sondern die sowohl bei der Songauswahl – Emotionalität einer Musik darunter Klassiker und Juwelen zelebrieren, die uns traurige von Jobim und João Donato – Momente versüßen und uns als auch bei der internationalen in süßen Stunden verzaubern Gästeliste muss man ihm ein- kann. Mit verantwortlich für die fach Respekt zollen. Schon der sen Zauber sind ein brasilia Einstieg ist hinreißend: „A flame nisches Quintett – exzellent be still burns inside of me, it feels setzt u.a. mit dem Gitarristen like it will never go out“ – keine Marco Pereira und dem Perkus Geringere als Annie Lennox lässt sionisten Marcos Suzano – und einem bei diesem Song von natürlich Brönners Trompeten Foto: Dieter Eickelpoth Maurício Maestro einen wohligen spiel. Dies klingt auf „Rio“ wie ein Schauer über den Rücken lau liebestrunkenes Herz. Er atmet fen. Kurz darauf erklingt die rüh durch sein Instrument, singt mit rende Stimme des brasiliani- sanfter Stimme, wie ein Liebha www.KlassikAkzente.de 21
Magazin Foto: Alberto Luisa Johann Sebastian Bach Gulda Plays Bach Deutsche Grammophon CD 477 8020 Friedrich Gulda, Klavier Veröffentlichung: November Gelassene Strenge: F r i e drich G ul d a Des Kaisers alter Fritz Als wir Joachim Kaiser baten, etwas über Friedrich Gulda (den er Fritz nennen durfte) zu schreiben, sagte er: „Hab’ ich schon alles.“ Zum Beweis gab er uns einen Text von 1973 – und in der Tat, was Kaiser über Guldas Interpretation des „Wohltemperierten Klaviers“ schrieb, lässt sich auch auf dessen gesamte Bachinterpretation übertragen: Guldas Bach-Einspielungen sind um ein Extrem der Zurückhal- entdecken, zu „spiritualisieren“. Gulda versteht es, seinen Flügel ganz offensichtlich das Ergebnis tung handeln. Wenn sich Gulda Denn er versteht es, die harmo- mittels souveräner Anschlags- einer großen, konzessionslosen – der hier viel freier als bei Beet- nischen Entwicklungen in emp- kunst im jeweils gewünschten Denkanstrengung, deren Essenz hoven spielt, verziert und „deu- findsame Ausdruckskurven zu Sinne zu verwandeln. Manchmal hier mit Hilfe raffinierter pianis- tet“ – für eine bestimmte Ten- übersetzen, dabei aber diesen glaubt man, den „Lautenzug“ zu tischer Techniken und Farben denz entschlossen hat, dann Entwicklungen einen selbstän- hören, manchmal stellt sich Kla- dargestellt wird. Dass diese spielt er sie bis zur Exzentrik aus. digen Rhythmus entgegenzu- vichord-Charakter her, manch- Prinzipien nicht beim ersten Hö- In manchen Fällen ist dabei setzen, der sich eben nicht emp- mal klirrt das Cembalo, manch- ren deutlich werden, hängt mög- der Gewinn ungeheuerlich. Die findsam anschmiegt, sondern mal bezwingt das große Legato licherweise gerade mit einer schönsten Momente des Gulda- zart-spannungsvoll kontrastiert. eines modernen Instruments. Stärke des Guldaschen Bach- schen Bach-Spiels entstehen War etwa schon bei seiner Inter- Wo Guldas Interpretation sich im Spiels zusammen. Er geht näm- immer dann, wenn das Prinzip, pretation der Beethovenschen Raschen, Scharfen, Gestoche- lich keineswegs nur mit einer nach dem Gulda angetreten, in „Mondscheinsonate“ die ruhige nen erschöpft, wo sie nur sou- einzigen „Tendenz“ an Bachs den Hintergrund rückt und die und doch nicht mechanische verän und klar und genau poin- Wunderwerk heran (etwa einer Musik, sanft ihrem eigenen Ge- Belebtheit des Adagios ein in- tiert ist, provoziert sie höchs- motorischen oder einer senti- setz folgend, sich mit sich selbst timer, nie weichlicher Höhe- tens kalte Bewunderung. Doch mentalistischen oder architek- zu unterhalten scheint. punkt, so kehren ähnliche Wun- wenn er eine trillerhafte Sech- tonisch-strukturalistischen oder Guldas Stärke, eine Kunst, der einer klaren, nie monotonen zehntel-Figur geheimnisvoll „klavichordhaften“ oder archai- in der ihm heute niemand gleich- Bestimmtheit in diesen Bach- spannend belebt, wenn er Viel- sierenden beziehungsweise kommt, ist sein Vermögen, eine Einspielungen wieder. schichtigkeiten deutlich macht, modernisierenden), sondern er leise bebende Erregtheit des Merkwürdigerweise interes- wenn er vorführt, was unter sucht das Herz im jeweiligen Ex- Langsamen herzustellen. Stücke, siert man sich bei alledem über- Bachs scheinbarer Eigensinnig- trem. Es kann sich dabei um ein die jeder bessere Klavier-Adept haupt nicht für jene „Stil“-Fra- keit mitschwingt, dann kommt expressives, ein toccatahaftes, vom Blatt spielen zu können gen, die bei Bach-Diskussionen er dem Bach auf den Grund. ein empfindsames oder sogar glaubt, vermag er förmlich zu so oft von der Musik ablenken. Joachim Kaiser, 10. März 1973 22 www.KlassikAkzente.de
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