Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes

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Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
www.klassikakzente.de • C 43177 • 4 • 2008

Hélène Grimaud
Ko n t ra p u n k t
de s G e i s t e s

Helmut Schmidt
Ka n z l e r d e r Ta sten

Cecilia Bartoli &
Juan Diego Flórez
BEl C a n t o i m Doppel

Janine Jansen
Di e J ug e n d v on heute

A n na N e t r e b ko

Annas Andenken
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Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
Editorial                                     Andreas Kluge
                                                                                                                      Intro
                                                                                                                       4 Der ultimative Klassik-Canon
                                                                                                                         Große Emotionen auf der großen Leinwand
                                                                                                                         Schnellveröffentlichung
                                                                                                                         Jonas Kaufmann auf DVD und im TV

                                                                                                                      Titel
                                                                                                                       6 Anna Netrebko: Rendez-vous
                                                                                                                         im Chambre séparée

                                                                                                                      Interview
                                                                  Foto: Felix Broede
                                                                                                                      10 Juan Diego Flórez: Schlafwandlerische
                                                                                                                         Sicherheit

                                                                                                                      Magazin
Liebe Musikfreundin, lieber Musikfreund,                                                                              12 Janine Jansen: Die jugend von heute,
                                                                                                                         Anno 1878
wer kann die heißeste Story über Anna Netrebko erzählen? Wer                                                          14 Hélène Grimaud: Der Kontrapunkt des Geistes
kennt die intimsten Details aus dem Leben von Lang Lang?                                                              15 Der klassische Fragebogen,
Warum musste Rolando Villazòn pausieren? Weshalb singt Elīna                                                             beantwortet von René Pape
Garanča nicht in Salzburg? Warum lässt sich ein Meisteroboist                                                         16 Das andere Jubiläum: Giacomo Puccini
eigentlich sein Instrument klauen? Auf diese und andere Fragen,                                                       17 Lang Lang: Sensibel justiert
die die Welt in ihrem Innersten bewegen, suchen seit Jahr und                                                         18 Helmut Schmidt: Erdige Strenge
Tag die Medien Antworten. Dabei geht es häufig weniger um                                                             19 Der Weihnachtswunschzettel für die Großen
sorgfältige Recherche als vielmehr um „Wer zuerst kommt …“                                                            20 Fritz Wunderlich und Joan Sutherland
oder „Welche Zutat aus der Gerüchteküche kam eigentlich noch                                                             in „Alcina“: Zweite Wahl, erste Sahne
nicht zum Einsatz?“. Natürlich steht, wer einen bestimmten Be-                                                        21 Till Brönner: Melancholie in ihrer
kanntheitsgrad erreicht hat, im Rampenlicht und wird zum Ge-                                                             schönsten Form
genstand eines öffentlichen und damit zwangsläufig auch medi-                                                         22 Friedrich Gulda: Des Kaisers alter Fritz
alen Interesses. Doch darf, wer einmal in diesem Fokus steht,                                                         23 Thomas Quasthoff: Ewigjunger Opernpapa
auch nach Belieben ausgeweidet werden nach geheimen ­Details?                                                         24 Andrea Bocelli: Star ohne Verfallsdatum
Vertraulich im Interview weitergegeben Informationen? Privaten                                                        26 András Schiff: Durch die Tür zum Licht
Meinungen über Kolleginnen oder Kollegen? Doch eher nicht.                                                            27 Joachim Kaiser: Der Schatz des Mohikaners
Was wohl die so agierenden Journalisten sagten, wenn pikante                                                          28 Eloquence: Melodien für Millionen
Details aus ihrem Leben oder das eine oder andere Pausenge-                                                           29 Loriot: Loriots Zoologie
sprächsprotokoll unter Kollegen munter ans Licht der Öffentlich-                                                      30 Rafał Blechacz: Wohldosiertes, inniges
keit gezerrt würde?                                                                                                      Musizieren
     Es gibt für alle Bereiche des Lebens Spielregeln, auch für die                                                   31 Daniel Hope: Schocks vom Rotschopf
des öffentlichen Lebens. Und man muss sich nicht unbedingt ein                                                        32 Kinderklassik: Ohrenschmaus unterm
Beispiel an den schwarzen Schafen der Branche nehmen, ein                                                                Weihnachtsbaum
von Respekt und Seriosität geprägter „Ehrenkodex“ hat durch-
aus etwas für sich. Auf jeden Fall sollten Sie, liebe Leserin, lieber                                                 Reingehört
Leser, die drei goldenen Regeln guter Information beachten: 1.
                                                                                                                      34 Alle neuen Veröffentlichungen
Jede Kritik ist subjektiv, daher suche den Vergleich! 2. Je markt-
                                                                                                                         ausführlich vorgestellt
schreierischer die Aufmachung im Heft, desto genauer muss der
                                                                                                                      42 Veröffentlichungsregister
Blick hinter die Fakten sein! und 3. Vertraue dem eigenen Urteil.
                                                                                       Titelfoto: Esther Haase / DG

     Voll und ganz vertrauen aber können Sie unserer Ankündi-
gung, dass das ZDF auch in diesem wie in den Jahren zuvor, die
                                                                                                                      Service
ECHO Klassik Gala der Stars zeitversetzt live im Fernsehen über-
                                                                                                                      46 Live-Termine
trägt. Und zwar am 19. Oktober ab 22.00 Uhr, und mit dabei sind
                                                                                                                      47 KulturSPIEGEL-Klassik-CD-Bestsellerliste
unter anderen Cecilia Bartoli, Danielle de Niese, Albrecht Mayer                                                         Vorschau
und Andrea Bocelli.

In diesem Sinne wünscht Ihnen einen aufschluss- und erfah-
                                                                                                                      KlassikAkzente wird herausgegeben von
rungsreichen musikalischen Herbst
Ihr Andreas Kluge

                                                                                                                                                              www.KlassikAkzente.de   3
Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
Intro
    Der ultimative Klassik-Canon

                                                                                                            Foto: Pietro Domenigg / Unitel_MR Film
    Der etwas andere Reiseführer „1000 Places to See Before You
    Die. Die Lebensliste für den Weltreisenden“ wurde ein Best-
    seller. Nun gibt es das musikalische Pendant dazu von Matthew
    Rye unter dem Titel „1001 Klassik-Alben, die Sie hören sollten,
    bevor das Leben vorbei ist“ in der Edition Olms. Das Vorwort zur
    deutschen Ausgabe verfasste kein Geringerer als der Cellist
    Steven Isserlis, und ausgewählt und vorgestellt werden die 1001
    Referenzalben von 35 Musikern und Musik-Kritikern. Sie bespre-
    chen die Kompositionen von Gesualdo da Venosa, über Monte-
    verdi, bis hin zu Steve Reich und Karl-Heinz Stockhausen und
    empfehlen die besten Interpretationen, die schönsten Aufnah-
    men. Dabei werden in der nun vorliegenden Ausgabe neben
    zahlreichen Künstlerfotos und historischen Abbildungen die
    Plattencover der favorisierten Aufnahme gezeigt sowie weitere
    empfehlenswerte Veröffentlichungen hervorgehoben. Und als
    i-Tüpfelchen wurde das ganze mit treffenden Zitaten gewürzt.
    So darf man zu den originalen „Carmina burana“ über Philip
    Pickets Bonmot „In Anbetracht der teils recht unzüchtigen
    Inhalte ist es ein Wunder, dass das Manuskript überlebt hat.“
    ebenso schmunzeln wie über Sir Simon Rattles Verdikt zu Stock-
    hausens „Gruppen“: „Ein unvermeidliches Ungetüm.“ Alles in
    allem ein unterhaltsames Nachschlagewerk für Laien und Exper-                                                                                    Rolando Villazón und Anna Netrebko
    ten gleichermaßen.

                                                                                                                                                     Große Emotionen auf der
                                                                             Foto: Elfriede Hanak / Decca

                                                                                                                                                     großen Leinwand
    Herbert van Karajan

                                                                                                                                                     Robert Dornhelm, spätestens seit „Krieg und Frieden“ ein
                                                                                                                                                     Regisseur für große Gefühle, drehte im Januar und Febru-
                                                                                                                                                     ar 2008 in den Wiener Rosenhügel-Studios seinen neues-
                                                                                                                                                     ten Film, der Ende Oktober bundesweit in den deutschen
                                                                                                                                                     Kinos starten wird: „La bohème“, die opulente Verfilmung
                                                                                                                                                     einer der berühmtesten und populärsten Opern aller
                                                                                                                                                     Zeiten. Drehbuch: Giacomo Puccini, dessen Geburtstag
                                                                                                                                                     sich in diesem Jahr zum 150. Mal jährt. Anna Netrebko und
                                                                                                                                                     Rolando Villazón singen und spielen die Hauptrollen in der
                                                                                                                                                     aufwendigen Produktion, in welcher Dornhelm das welt-
                                                                                                                                                     berühmte Café Momus und das Leben der Pariser Bohème
                                                                                                                                                     Ende des 19. Jahrhunderts zum Leben erweckt. Die Musik
                                                                                                                                                     zum Film basiert auf der „La bohème“-Gesamtaufnahme,
                                                                                                                                                     die die Deutsche Grammophon während einer Auffüh-
                                                                                                                                                     rungsserie im Münchener Gasteig im April 2007 live mitge-
                                                                                                                                                     schnitten und im Mai 2008 veröffentlicht hatte. Produziert
                                                                                                                                                     wurde die internationale Kinoproduktion von Jan Mojtos
                                                                                                                                                     Unitel Classica – einem der größten Produzenten klas-
                                                                                                                                                     sischer Musik weltweit – und Kurt Mrkwicka MR Film
                                                                                                                                                     mit Unterstützung von ORF Film-/Fernsehabkommen, dem
                                                                                                                                                     Österreichisches Filminstitut, dem Filmfonds Wien in
                               Steven Isserlis                                                                                                       Zusammenarbeit mit IMG und Deutsche Grammophon in
                               1001 Klassik-Alben – Die Sie hören sollten,
                               bevor das Leben vorbei ist                                                                                            Koproduktion mit dem ZDF. • www.laboheme-derfilm.de
                               Matthew Rye Verlag
                               ISBN 978-3-283-011109

4   www.KlassikAkzente.de
Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
Claudio Abbado

                          Schnellveröffentlichung
                          Es war einer der Höhepunkte des diesjährigen Musikfesti­
                          vals in Luzern: Am 13. August dirigierte Claudio Abbado
                          sein Lucerne Festival Orchestra mit einem durchweg
                          französischen Programm im Rahmen seines Festival de
                          Lucerne und erstmals musizierte die italienische Dirigen-
                          tenlegende gemeinsam mit der lettischen Mezzosopranis-
                          tin Elīna Garanča. Während Abbado mit Berlioz’ „Sympho-
                          nie fantastique“ einmal mehr sein klangmalerisches und
                          musikdramatisches Können unter Beweis stellte, lieh Elīna
                          Garanča ihr „farbenreiches Timbre und ihre natürliche
                          Tongebung“ (NZZ) dem phantasievollen Orchesterlieder-
                                                                                      Foto: Harald Hoffmann / DG

                          Zyklus „Shéhérazade“ von Maurice Ravel. Die Deutsche
                          Grammophon hat dieses Konzert live mitgeschnitten und
                          veröffentlicht das Album schon am 29. Oktober als soge-
                          nannten rush release.

                                                                   Jonas Kaufmann

                                                                                                                    Kaufmann auf DVD
                                                                                                                    und im TV
                                                                                                                    Der Münchener Jonas Kaufmann ist zweifellos einer der
                                                                                                                    erfolgreichsten Sänger des Jahres 2008. Mit seinem
                                                                                                                    Decca-Debüt­album sorgte der Tenor für Aufregung im
                                                                                                                    Blätterwald und in den Kulturmagazinen des Fernsehens.
                                                                                                                    Spätestens seit seiner a cappella vorgetragenen Charme-
                                                                                                                    Attacke in der „3 nach 9“-Talkshow und seinen umjubelten
                                                                                                                    „La bohème“-Auftritten in Berlin wusste Deutschland, dass
                                                                                                                    es einen neuen klassischen Superstar hat.
                                                                                                                       Nun kann man Jonas Kaufmann auch endlich in einer
                                                                                                                    seiner Paraderollen auf DVD erleben: als Don Josè in
                                                                                                                    Georges Bizets Oper „Carmen“. Und nicht nur jüngst in
                                                                                                                    Zürich, auch in Glyndebourne und London waren sich
                                                                                                                    Publikum und Kritik einig: Kaufmann ist nach Stimme,
                                                                                                                    Statur und Stamina der perfekte Don José! Am 30. Novem-
                                                                                                                    ber darf er sich im ZDF dann von einer ganz anderen Seite
                                                                                                                    präsentieren: In der traditionellen „Adventsmusik im ZDF“
                                                                                                                    geht’s an der Seite von Elīna Garanča vornehmlich lyrisch-
                                                                                                                    weihnachtlich zu.
Foto: Uli Weber / Decca

                                                                                                                                                        www.KlassikAkzente.de    5
Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
Titel

    Rendez-vous im Chambre séparée
    Mit „Souvenirs“ legt Anna Netrebko ihr vielleicht persönlichstes Album vor – und flirtet dabei
    nicht nur heftig mit der leichten Muse.

    Am 29. Juni war im Wiener Ernst-Happel-Stadion alles für den             in dem Puszta-Knaller „Heia, in den Bergen“ aus Emmerich Kálmáns
    ­großen Showdown vorbereitet, für das finale Kräftemessen zwi-          „Die Csárdásfürstin“ nun so viel Pfeffer, dass man nachvollziehen
    schen den zwei besten Fußballmannschaften Europas, Spanien               kann, warum Netrebko bereits als Kind diesem unverwüstlichen
    (Sieger) und Deutschland (zweiter Sieger). Doch schon zwei Tage          Operettenschlager erlegen gewesen sein mag. Und auch das sanfte
    zuvor hatte sich der Ehrenhof vorm Schloss Schönbrunn in eine           „Solveigs Lied“ aus Edvard Griegs Schauspielmusik zu „Peer Gynt“
    überfüllte Fanmeile verwandelt. Nicht zum Public Viewing allerdings,     ist ein ferner Spiegel von der 15-jährigen Studentin Netrebko, war
    sondern zum Public Listening. Immerhin war anlässlich der EURO           es doch das erste Stück, das sie lernte.
    2008 mit Anna Netrebko, Rolando Villazón und dem passionierten                Trotz der autobiografischen Einfärbungen, die bei ihrem nun-
    Kicker Plácido Domingo ein wahres All-Star-Team angekündigt. Der         mehr vierten Soloalbum durchaus auszumachen sind, hält man mit
    Abend sollte zwar vorerst zum letzten Auftritt Netrebkos werden,        „Souvenirs“ andererseits doch eigentlich die Visitenkarte der All­
     bevor sie sich danach in die Babypause verabschiedete. Doch bei         rounderin Netrebko in den Händen. Schließlich sollten es diesmal
    der Ope(r)n-Air-Gala dribbelte Netrebko noch einmal nach Herzens-       fernab der spektakulären Operngefühle ihre Lieblingsmelodien
     lust mit den Koloraturen, schlug sie mit ihrem einzigartigen Feinge-    sein, mit denen sie als facettenreiche Sängerin beeindruckt. Statt
    fühl riesige Melodienflanken. Auf dem Spielpan standen jedoch nicht     Verdis Violetta nun also Lehárs Giuditta. Statt Massenets Manon
     all jene Primadonnen- und Belcanto-Hits, mit denen die russische        jetzt Offenbachs Giulietta. Überhaupt ist das Repertoire schon fast
    Stimmschauspielerin ihre Fans ansonsten bis zum hohen Es bis zur         enzyklopädisch angelegt, reicht es von Jacques Offenbachs
    Atemlosigkeit mitreißt. Mit handverlesenen Arien und Liedern auch       „Barcarole“, über Andrew Lloyd Webbers lateinisches „Pie Jesu“
     aus der Welt der Operette und des Salons bot sie stattdessen            bis zu zwei auf wundersamen Melos-Wolken schwebenden Liedern
    schon mal einen Vorgeschmack auf das Album „Souvenirs“, mit             von Richard Strauss. Und wenn man das Andalusische als eigen-
    dem jetzt die Wartezeit auf Netrebkos Rückkehr weniger überbrückt        ständiges Sprachidiom hinzunimmt, präsentiert sich Netrebko in
     als versüßt werden kann.                                                sage und schreibe zehn verschiedenen Sprachen zugleich als wah-
          „Souvenirs“ – da schwingt natürlich ein Hauch von Nostalgie        re Weltenbürgerin. Da wechselt sie nahtlos von einem französischen
     mit. Von Netrebkos Erinnerungen an all die ersten vorsichtigen,         Chanson Reynaldo Hahns ins Norwegische, vom Tschechischen
    dann immer selbstbewussteren Schritte auf der Karriereleiter und         ins Jiddische des Wiegenliedes „Schlof sche, mein Vögele“, vom
    schließlich auf dem Glamour-Opernparkett. Tatsächlich steckt allein      Italienischen, über das Deutsche ins Russische.

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Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
Foto: Esther Haase / DG

                                      Andächtig:
                            A n na N e t rebko

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Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
Titel

                                      Foto: Esther Haase / DG
    Auch bei der leichten Muse eine
    glänzende Figur:
    Anna Netrebko

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Dass Netrebko neben solchen Ohrwürmern wie dem berühmten
                                                                „Chambre séparée“ aus Heubergers Operette „Der Opernball“ so
                                                                 manche Raritäten aus ihrer russischen Heimat ausgewählt hat,
„Für die ‚Barcarole‘ hat                                         spricht für ihre weiterhin tiefe Verwurzelung, die sie schon 2006
                                                                 mit dem „Russian Album“ dokumentierte. Für „Souvenirs“ wurden

Emmanuel Villaume
                                                                zwei Romanzen von Nikolai Rimsky-Korssakoff ausgesucht, „die
                                                                 unglaublich populär in Russland sind. Aber es gibt sie nur mit
                                                                 Klavierbegleitung. Für dieses Album haben wir Arrangements in

Elīna Garanča und mich                                          Auftrag gegeben. Mir war sehr wichtig, dass die Orchestrierung für
                                                                 diese schönen, aber schlichten Melodien leicht und transparent ist,
                                                                fast wie ein gutes Parfüm – eine davon mit einem zarten orienta-
 regelrecht verführt!“                                           lischen Duft“. Auch bei den 1001 dahinströmenden Duftnoten in
                                                                 Rimsky-Korssakoffs Lied „Gefesselt von der Rose singt die Nacht“
                                                                 konnte sich Anna Netrebko aber nicht nur auf die von ihr geprie-
                                                                 senen Motivationskünste Emmanuel Villaumes verlassen. Bei den
                                                                Aufnahmen stand ihr eine Dame mit wertvollen Tipps zur Seite,
     So international es musikalisch auf „Souvenirs“ zugeht, so muss
 man dafür aber dementsprechend jemanden zur Seite haben, der    die Netrebko noch aus den Zeiten kennt, als sie von Valery Gergiev
 die Fäden mit hellwachem Auge und Ohr zusammenhält. Denn, so    ins Ensemble des Mariinskij-Theaters in St. Petersburg enga-
                                                                 giert worden war. Bis heute ist die legendäre Stimmfachfrau Elena
 der Franzose Emmanuel Villaume, „für einen Dirigenten ist es durch-
 aus nicht einfach, innerhalb von wenigen Minuten von einem StückMatusovskaja am Mariinskij immer noch aktiv. Eine idealere künst-
wieder zu anderen zu wechseln, die in ihrer Stilistik und ihrem  lerische Ratgeberin konnte sich Netrebko somit für „Souvenirs“
 Charakter komplett unterschiedlich sind.“ Dass dem gebürtigen   kaum wünschen. Elena Matusovskaja: „Da die meisten Stücke ja
 Elsässer dieses Kunststück am Pult der Prager Philharmonie ge-  eigentlich für Mezzosopran komponiert worden sind, musste Anna
                                                                 auf ein etwas dunkleres Timbre achten, ohne dabei die strahlen-
 glückt ist, kann man allein aus den Worten Netrebkos heraushören.
„Ich bewundere ihn“, schwärmt die mit dem Bassbariton Erwin      den Höhen zu vernachlässigen. Aber was soll ich sagen: Anna
                                                                 Netrebko besitzt für das alles nicht nur die Technik, sondern auch
 Schrott liierte Netrebko von Emmanuel Villaume. „Er hat eine tolle
Art, mich dazu zu bringen, bei jedem Stück noch mehr Energie     das nötige hohe Kunstverständnis.“
 einzusetzen! Ich liebe das, ich lasse mich gerne anspornen und       Dank dieses Rüstzeugs kann Anna Netrebko daher auch im
                                                                 spanischen Fach auf Anhieb den Schalter von elegisch-sanft auf
 herausfordern. Einfach unglaublich, wie er Elīna Garanča und mich
                                                                furios-frech umlegen. Wenn auf die argentinische Volksmusik-
 regelrecht verführt hat, die ‚Barcarole‘ mit so viel Ausdruck zu sin-
 gen, mit ‚lustvollem Erbeben‘, wie er es nannte.“               bal­lade „La rosa y el sauce“ von Carlos Guastavino ein energie-
      „Souvenirs“ ist somit der erste komplette Studiobeleg dafür,
                                                                 geladener Zapateado folgt, bei dem Netrebko als schwerverliebte
                                                                Zigeunerin Maria dieser Operetten-Zarzuela „La tarántula“ gehörig
 dass Anna Netrebko auch bei der leichten Muse nicht nur eine glän-
                                                                 Beine macht. Und wenn zum schwungvollen Schluss Anna Netreb-
zende Figur macht. Mit diesem Recital setzt sie die große Tradition
 ihrer Kolleginnen und Kollegen wie Elisabeth Schwarzkopf, Anne  ko mit verführerischem Charme und brillanten Koloraturen zahllose
 Sofie von Otter, Fritz Wunderlich und Plácido Domingo fort, die Kusshände verteilt, versteht man nur zu gut, warum auch nach Luigi
 keine Berührungsängste zwischen Operndrama und Operetten-      Arditis „Il bacio“ die gesamte Fanmeile im Schönbrunner Ehrenhof
 delirium kannten und kennen. Und weil Netrebko im wirklichen    Kopf stand.
 Sängerleben eben entgegen aller Yellow-Press-Gerüchte keine    Reinhard Lemelle
 Diva, sondern eine ausgesprochene Mannschaftsspielerin ist, gab
 es bei den Aufnahmesessions erst recht keine Eifersüchteleien, www.deutsche-grammophon.com/netrebko-souvenirs
 beispielsweise zwischen ihr und dem neuen lettischen Mezzostar
 Elīna Garanča. Laut Garanča traf da eher das genaue Gegenteil zu:
„Wir beide haben ein ähnliches Verständnis vom Singen, aber auch
 ein ähnliches Timbre. Und gerade in der ‚Barcarole‘ befinden wir                                        Anna Netrebko, Sopran
                                                                                   Souvenirs             Prague Philharmonia
 uns in einer derartigen Balance und Harmonie, dass es sogar viel-     Deutsche Grammophon               Dirigent:
 leicht für den Hörer spannend sein wird, uns auseinanderzuhalten.               CD 477 7638             Emmanuel Villaume
Unsere Kollegialität, aber auch die Tatsache, dass wir wirklich Freun-         Limited Edition           Veröffentlichung:
                                                                           CD+DVD 477 7451               7. November
 dinnen sind, machte alles so einfach.“

                                                                                                           www.KlassikAkzente.de       9
Annas Andenken - Hélène Grimaud kontrApunkt des Geistes
Interview
                                    Als Elvino in Wien:
                           J u a n D i e g o F l ó rez

                                                          Foto: Wiener Staataoper

10 www.KlassikAkzente.de
Cecilia Bartoli,
                                                                                                                  Mezzosopran
                                                                                                                  Gemma Bertagnolli, Alt
                                                                                 Vincenzo Bellini                 Juan Diego Flórez, Tenor
                                                                                La sonnambula                     Javier Camarena, Tenor
                                                                                          Decca                   Ildebrando d’Arcangelo,
                                                                          Ltd. Edition Hardcover                  Bass u.a. • Orchestra la
                                                                                           Book                   Scintilla • Dirigent:
                                                                                2 CDs 478 1084                    Alessandro de Marchi

Schlafwandlerische Sicherheit
Die Titelrollen von Vincenzo Bellinis „La sonnambula“ sind legendär schwer. Indem sie sich nicht an die
geltende ­Aufführungspraxis halten, haben es sich Juan Diego Flórez und Cecilia Bartoli nicht gerade leichter gemacht.
Im KlassikAkzente-Interview erzählt der peruanische Tenor, warum.

KlassikAkzente: Für Ihre Aufnahme der            KlassikAkzente: Haben diese Abwei-           KlassikAkzente: Was wären die unabding-
„Schlafwandlerin“ haben Sie sich gegen die       chungen irgendwelche Auswirkungen auf        baren Voraussetzungen für eine Sängerin,
üblicherweise aufgeführte Version entschie-      die Dramaturgie des Stückes?                 einen Sänger, um die Partien von Amina und
den und für die sogenannte „Rubini“- bezie-      Flórez: Absolut nicht, nein.                 Elvino idiomatisch perfekt zu singen?
hungsweise „Pasta“-Version. Was ist der                                                       Flórez: Ich sage nur: BELCANTO! „La son-
Unterschied?                                     KlassikAkzente: Worin besteht Ihrer Mei- nambula“ ist der absolute Höhepunkt des
Juan Diego Flórez: Es gibt eigentlich keine       nung nach das größte Missverständnis be- Belcanto: hohe Noten, leicht und unange­
Unterschiede in den Partituren. In der übli-     züglich „La sonnambula“ heute und wie sah strengt produziert, sehr viel Piano-Gesang,
cherweise aufgeführten „Sonnambula“-Ver-          das früher aus?                             und jeder Phrase und auch jedem Wort die
sion sind einige hohe Noten nicht notiert,       Flórez: Ich sehe da keinerlei Unterschiede, Bedeutung geben, die ihnen zukommt! Die
die die Aufführungstradition hinzugefügt hat.    vielleicht atmet unsere Einspielung etwas Musik komplett aus den Noten ableiten …
Aber Cecilia singt in dieser Aufnahme nur         mehr Intimität, wir haben ja auch auf eine
das, was auch wirklich in der Partitur steht.    stärkere Betonung der lyrischen Momente KlassikAkzente: Wenn denn eine Auf-
Für Elvino trifft mehr oder weniger dasselbe      hingearbeitet.                              nahme in der vorherrschenden, üblichen
zu, ich verzichte bei der Einspielung auf die                                                 „Sonnambula“-Version existierte, die Ihnen
hohen Noten am Ende, die ich normalerwei-        KlassikAkzente: Ist „La sonnambula“ auch gefällt – sowohl als Bühnen- wie auch als
se in den Aufführungen singe.                     heute noch für Bühneninszenierungen inter- Schallplattenproduktion: Welche wäre das?
                                                  essant, oder sollte man sich eher für halb- Flórez: Die Decca-Version mit Luciano Pa-
KlassikAkzente: Wie kommt es, dass die            szenische, quasi konzertante Aufführungen varotti und Joan Sutherland ist die mit Ab-
Rubini-/Pasta-Version heutzutage so selten        entscheiden?                                stand spektakulärste Aufnahme.
aufgeführt wird?                                 Flórez: „La sonnambula“ ist ein Stück, das
Flórez: Das ist manchmal eine Sache der           nicht auf große Bühneneffekte abzielt. In
Aufführungstradition. Wir kennen heutzuta-       „La sonnambula“ geht es primär um den
ge die „Sonnambula“-Version mit den hohen        Gesang! Ich persönlich allerdings ziehe im-
Noten im Stück. Aber wie gesagt, unsere           mer eine Bühnenproduktion vor und ver-
Ausgabe hier ist das, was Bellini wirklich ge-    meide halbszenische Konzertversionen.
schrieben hat.

                                                                                                                www.KlassikAkzente.de 11
Erfrischend natürlich:
    Janine Jansen

                             Foto: Kasskara / DG

12 www.KlassikAkzente.de
Peter Iljitsch Tschaikowsky
                                                                                                        Violinkonzert op. 35 • Souvenir d’un lieu cher
                                                                                                        Decca
                                                                                                        CD 478 0651

                                                                                                        Janine Jansen, Violine
                                                                                                        Mahler Chamber Orchestra
                                                                                                        Dirigent: Daniel Harding

Die jugend von heute, Anno 1878

Die 29-jährige Janine Jansen geht durchaus ruppig um mit ihrem Tschaikowsky –
das Publikum ist begeistert.

Im angelsächsischen Sprach-         (was in der Klassik gänzlich un-      etabliert ist, lässt ihre Interpreta-    und Harding gelingt durch deren
raum ist sie die „queen of the      üblich ist – geklatscht wird am       tion die starken Gefühlslagen            Einsatz Entscheidendes: Die
download“: Kein anderer Klassik-    Ende eines Stückes). Ihren            des russischen Komponisten,              Rauheit und die Bedächtigkeit,
künstler übt gerade auf die „Ge-    Tschaikowsky umweht eine At-          die zwischen Hymnus und Me-              die sie dem Werk angedeihen
neration iPod“ eine ähnliche Fas-   mosphäre von Frische, von ju-         lancholie oszillierende seelische        lassen, verhindern nämlich einen
zination aus wie die berückend      gendlich-rauem Charme, von            Zerrissenheit Tschaikowskys,             Kardinalfehler, den viele Tschai-
schöne, erfrischend natürliche      aufregender Andersartigkeit.          den Ausdruck dominieren.                 kowsky-Interpreten machen: All-
und vollkommen musikbeses-               Die junge Niederländerin be-          Ihr außergewöhnlicher An-           zu oft wirkt dieses Werk, ebenso
sene Geigerin Janine Jansen.        weist von Anfang an ihr ausge-        satz ist voller starker Tempo­           wie etwa die Klavierkonzerte
Auf ihrer neuen CD präsentiert      reiftes Gespür für die Gesetze        wechsel, voller harter, teilweise        oder die Pathétique, süßlich, ver-
die junge Niederländerin jetzt      der Dramaturgie, wenn sie das         fast ruppiger Brüche und Ak-             zärtelt, kitschig, melodramatisch.
ein Werk, das mit seiner unmit-     berühmte, in höchstem Maße            zente, die Janine Jansen auf ih-         Hier ist nichts von alledem: Statt-
telbaren, starken Emotionalität     sangliche Thema des 1. Satzes         rer Barrere-Stradivari von 1727          dessen erscheint ein großer, ein
junge Menschen schon immer          zunächst ganz langsam und lei-        setzt. Das ist live viel leichter ver-   souveräner, ein eherner Tschai-
besonders angesprochen hat:         se, fast schon zögerlich intoniert.   mittelbar als über den Tonträger.        kowsky, dessen seelische Wahr-
Peter Tschaikowskys Konzert         Jansen und der zweite junge           Wie schön, dass die 29-jährige           haftigkeit und symphonische
für Violine und Orchester op. 35.   Star dieser Aufnahme, der Diri-       Künstlerin dennoch das Risiko            Entwicklungskraft in der Tradi-
     Konzertinterpretationen die-   gent Daniel Harding am Pult des       eingegangen ist, ihre ganz eige-         tion Beethovens stehen.
ses Werks gelingen Jansen           Mahler Chamber Orchestra, las-        ne Interpretation in aller Radika-       Harald Reiter
manchmal derart atemberau-          sen der symphonischen Archi-          lität festzuhalten. Manch ein all-       www.janinejansen.com
bend, dass sich die Spannung        tektur Tschaikowskys alle Zeit        zu eng betrachtender „Klassiker“
im Publikum schon nach dem          der Welt, sich zu entfalten. Erst     mag ihre Stilmittel als manieris-
ersten Satz Bahn brechen muss       wenn die Majestät der Musik           tisch empfinden, aber Jansen

                                                                                                                            www.KlassikAkzente.de 13
Magazin
                                                                                                                   Bach
                                                                                                  Deutsche Grammophon
                                                                                                             CD 477 7978
                                                                                             Limited Edition CD 477 6248

                                                                                                Hélène Grimaud, Klavier
                                                                                   Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
                                                                                              Dirigent: Florian Donderer

        Vorliebe für d-Moll:
        Hélène Grim a ud

                                                                                                                                              Foto: Mat Hennek / DG
   Der Kontrapunkt des Geistes
   Hélène Grimaud macht Konzeptalben. Statt sich darauf zu beschränken, einfach eine exzellente Interpretation dauer-
   haft festzuhalten, legt sie durch originelle Gegenüberstellungen verborgene Aspekte und Bezüge in der Musik offen.

   Das neue Album der französi-      und plädiert gleichzeitig für mehr   endete letzte Symphonie und           Busonis spektakuläre Transkrip-
   schen Ausnahmepianistin kon-      Mut im Umgang mit dem Ba-            Beethovens „Neunte“, aber             tion ein Muss. Vor ein paar Jah-
   trapunktiert Originalkompositi-   rockgenie: Mut, der den Ro-          auch Johannes Brahms’ von ju-          ren hat die Musikhistorikerin
   onen Johann Sebastian Bachs       mantikern des späten 19. und         gendlichen Idealen befeuertes         Helga Thoene nachgewiesen,
   mit Bach-Werken, die von eini-    frühen 20. Jahrhunderts noch         erstes Klavierkonzert, zu dem          dass Bach in diesem Satz, der
   gen der bedeutendsten roman-      eignete. „Bach ist so ehrfurcht-     sie eine sehr innige Beziehung         als Reaktion auf den unerwar-
   tischen Klaviervirtuosen und ­    gebietend, dass er viele Musiker     hat. „Ich verstehe nicht, wie         teten Tod seiner Frau entstand,
   -komponisten für das Klavier      völlig eingeschüchtert hat und       man ohne dieses Konzert leben         Choralmelodien chiffriert einge-
   transkribiert worden sind, na-    sie nicht mehr wagen, etwas          kann“, hat sie einmal zum Autor        arbeitet hat, namentlich jene zu
   mentlich von Ferruccio Busoni,    auszuprobieren – dabei war           dieser Zeilen gesagt.                 „Christus lag in Todesbanden“.
   Franz Liszt und Sergej Rachma-    Bach selbst ständig damit be-            Ihre Vorliebe für d-Moll spie-    Ob Grimaud davon Kenntnis hat,
   ninoff. Jedem dieser Arrange-     schäftigt, zu mischen, anzupas-      gelt auch die Bach-CD wider, in        ist nicht bekannt. Aber in ihrer
   ments stellt Grimaud jeweils      sen, neu zu schaffen …“              d-Moll stehen sowohl Bachs            Interpretation hat sie einmal
   Präludium und Fuge aus dem             Hélène Grimaud pflegt ein       Konzert BWV 1052 als auch sei-         mehr jene friedvolle Weltent-
   „Wohltemperier­ten Klavier“ in    geradezu spirituelles Verhältnis     ne „Chaconne“, im Original das         rückung ausmusiziert, für die
   derselben Ton­art gegenüber.      zu d-Moll, der Tonart einer war-     Finale der Partita BWV 2004 für        die Tonart d-Moll steht.
       „Wir Instrumentalisten mes-   men, goldenen Jenseitigkeit, der     Solovioline. Dieser längste und       Harald Reiter
   sen unsere technische und geis-   Tonart des Todes als Erlösung.       komplexeste Einzelsatz, den
   tige Entwicklung daran, wie wir   In d-Moll steht – natürlich –        Bach jemals komponiert hat,
   Bachs Musik spielen – das ist     Mozarts „Requiem“, in d-Moll         war von Anfang an ein Fixpunkt        www.deutschegrammophon.com/
   unser Prüfstein“, sagt Grimaud    stehen Anton Bruckners unvoll-       in Hélène Grimauds Programm,           grimaud-bach

14 www.KlassikAkzente.de
Foto: Mathias Bothor / DG
                   Gods, Kings & Demons
                   Deutsche Grammophon
                             CD 477 6408

                           René Pape, Bass
                      Staatskapelle Dresden
                 Dirigent: Sebastian Weigle

Der klassische
Fragebogen
                                                                                                Fan von Wagner
                                                                                                und Johansson:
                                                                                                R e n é Pape

beantwortet von René Pape

Musik ist eine heilige             Welche Begegnung wür-       Welcher Komponist                                 Welches Gericht käme
Kunst, oder …?                     den Sie in der Fantasie     bzw. welches Werk wird                            nie auf Ihren Tisch?
Ich halte es da mit Morosus        gern herbeiführen?          Ihrer Meinung nach                                Das Jüngste.
aus Strauss’ „Die schweig-         Mozart, Wagner, Scarlett    heutzutage überschätzt
same Frau“: „Wie schön ist         Johansson. Vielleicht in    bzw. unterschätzt?                                Könnte man Ihnen
doch die Musik, aber wie           umgekehrter Reihenfolge.    Von beiden gibt es mehr als                       in einem Sportstadion
schön erst, wenn sie vorbei                                    genug …                                           begegnen?
ist.“                              Auf welches nicht-                                                            Eher in einem Fitnessstudio.
                                   musikalische Abenteuer      Welche Aussage über
Könnten Sie wählen,                würden Sie sich gern        Musik möchten Sie nie                             Der einzige Weg, eine
in welcher Zeit hätten             einmal einlassen?           wieder hören?                                     Versuchung loszuwerden,
Sie gern gelebt?                   Fallschirmspringen. Auch    Musik sei eine heilige Kunst.                     ist ihr nachzugeben,
Ich würde eher in die Zukunft      wenn von 20 Männern 10                                                        sagte Oscar Wilde.
als in die Vergangenheit           die gleiche Antwort geben                                                     Was sagen Sie?
reisen wollen.                     würden.                     Welches Buch liegt                                „Wahn, Wahn, überall
                                                               neben der Stimmgabel                              Wahn …“
Welchem Maler aus                  Welches Musikstück          und welches auf Ihrem
der Vergangenheit oder             treibt Ihnen den Schweiß    Nachttisch?
Gegenwart hätten                   auf die Stirn?              Habe weder das eine noch
Sie gern einmal Modell             Das, was ich noch nicht     das andere.
gesessen?                          studiert habe.
Salvador Dalí.                                                 Mit welcher Märchen­
                                   Ihr musikalisches Credo?    gestalt würden Sie sich
Welches war Ihre musi­             Cash – keine Schecks!       identifizieren?
kalisch aufregendste                                           Mit dem Geist aus Aladins                         René Pape
Begegnung?                         Welchen Komponisten         Wunderlampe.
Jede neue Begegnung mit            der Vergangenheit
großen Musikern ist aufre-         würden Sie bitten,          Welches der vier Tem-
gend und spannend. Das ist         ein Stück für Sie zu        peramente – sanguinisch,
die Droge des Musikers.            kom­ponieren?               melancholisch, chole-
                                   Mozart.                     risch, phlegmatisch –
Wie sähe Ihr ideales                                           entspricht Ihrem Wesen
Publikum aus?                                                  am ehesten?
Grün und mit Antenne …                                         Sanfter Choleriker.

                                                                                                                            www.KlassikAkzente.de 15
Magazin
   Serie: Das andere Jubiläum
                                                                                                           Giacomo Puccini
                               Giacomo Puccini                                                     The Definitive Collection
                   La bohème (Gesamtaufnahme)                                                                         Decca
                                        Decca                                                              11 CDs 475 9404
                                3 CDs 478 0254
                                                                                      Joan Sutherland • Montserrat Caballé
                              Mirella Freni, Sopran                                                     Mirella Freni, Sopran
                          Luciano Pavarotti, Tenor                                                  Luciano Pavarotti, Tenor
                            Berliner Philharmoniker                                         Dirigenten: Herbert von Karajan
                    Dirigent: Herbert von Karajan                                                           Zubin Mehta u.a.

   Sahnestücke zum Jubiläum
   eines Genies
   Am 22. Dezember dieses Jahres feiert die Opernwelt den 150. Geburtstag von Giacomo Puccini.
   Decca bringt zur Party gleich zwei besondere Veröffentlichungen mit.

   Keine Frage: Der unsterbliche                                                                             Fan- und Kritikerliste um einen
   Schöpfer von Meisterwerken                                                                                Platz als eine der besten Opern­
   wie „La bohème“, „Madame                                                                                  einspielungen aller Zeiten kon­
   Butterfly“ oder „Tosca“, die ihn                                                                          kurriert. Für die, die ihren Puccini
   zum wohl bedeutendsten italie­                                                                            besonders luxuriös haben wol­
   nischen Opernkomponisten                                                                                  len, ist eben jene „La bohème“
   nach Giuseppe Verdi machten,                                                                              gerade auch einzeln neu aufge­
   bewegt die Emotionen auch im                                                                              legt worden, und zwar in einer
   21. Jahrhundert wie vielleicht                                                                            Luxusfassung, die, was Klang,
   kein anderer Komponist.                                                                                   Design, Ausstattung und Bonus-
   	Unter den zahlreichen Wie­                                                                               material betrifft, ihresgleichen
   derveröffentlichungen klassi­                                                                             sucht.
   scher Puccini-Aufnahmen, die,                                                                                 Von der Premiere seiner ers­
   auf Hochglanz gebracht, in die­                                                                           ten Oper „Le Villi“ am 31. Mai
   sem Herbst erscheinen, ragen                                                                              1884 im Mailänder Teatro dal
   zwei besonders heraus: Zum                                                                                Verme an schuf der damals erst
   einen ist „Puccini: The Definitive                                                                        25-jährige Giacomo Puccini ins­
   Collection“ zu nennen, ein edel                                                                           gesamt 12 Opern. Sein letztes
   gestalteter Boxwürfel, der als                                                                            Werk „Turandot“ hinterließ er bei
   limitierte Edition einige der be­                                                                         seinem Tod im Jahr 1924 un­
   deutendsten Puccini-Aufnah­                                                                               vollendet. Die melodische
   men des führenden Opernlabels                                                                             Schönheit seiner großen Arien,
   Decca in sich vereint. Die Haup­                                                                          mehr noch aber Puccinis enor­
   trollen in dieser Kollektion, die                                                                         mes Talent für perfekt getimtes
   mit „La bohème“, „Madame                                                                                  dramatisches Vorwärtsdrängen
   Butterfly“, „Tosca“, „Manon Les­                                                                          verleihen seinen besten Werken
   caut“ und „Turandot“ Puccinis                                                           150. Geburtstag:  eine Sogwirkung, der sich auch
                                                                                   G i acomo P ucci n i
   populärste Werke präsentiert,                                                                             Menschen, die an heutige Reiz­
   sang jeweils das Traumpaar                                                                                level gewöhnt sind, nur schwer
   Mirella Freni und Luciano Pava­                                                                           entziehen können. Wie kaum
   rotti – außer in „Turandot“, wo         entstanden, gelten als absolu­­- heit und Hingabe, mit welchem ein anderer Komponist erreicht
   der Jahrhunderttenor Pava­rotti         te Klassiker der Aufnahmege­ Feuer Karajan etwa Mirella Freni und bewegt Puccini mehr als 80
   von den ebenbürtigen Sopranis­          schichte, gerade auch wegen bei ihrem großen Ausbruch in Jahre nach seinem Tod sein
   tinnen Dame Joan Sutherland             der wegweisenden Leistungen der Arie „Sì. Mi chiamano Mimì“ Pub­likum – auch diejenigen, die
   und Montserrat Caballé flan­­­‑         ihrer Dirigenten Zubin Mehta und begleitet, der weiß, warum diese keine regelmäßigen Opern- oder
   kiert wurde. Vor allem „Turandot“       Herbert von Karajan. Wer schon wahrhaft legendäre Aufnahme Konzertgänger sind.
   und „La bohème“, beide 1973             mal gehört hat, mit welcher Zart­ der „Bohème“ auf beinahe jeder Harald Reiter

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Foto: Felix Broede / DG
      Sensibel justiert

                                                                                                                          Größtmögliche Sensibilität:
                                                                                                                                     L a ng L a n g

Lang Lang spielt die beiden Chopin-Klavierkonzerte ebenso fingerfertig wie klug – und vermeidet dabei
das Offensichtliche, findet „Piano News“-Chefredakteur Carsten Dürer.

Wie oft habe ich in den vergan-         zerte einen Grund, ihn wieder zu     seiner Heimat Polen zu tun hat-            rauschhaft-emotional erklingen.
genen Monaten naserümpfende             loben: der beiden von Chopin.        te, die er als Jugendlicher für im-        Seine Nuancierungen stechen
Kommentare über Lang Lang               Die Einspielung unterstreicht ein-   mer verließ und deren Tanz-                punktgenau heraus. Und dies
gehört, von konservativen Zuhö-         mal mehr Lang Langs Facetten-        rhythmen und Gesänge er nie                macht diese Aufnahme zu et-
rern, von Musikstudenten, von           reichtum. Denn natürlich klingen     vergaß. Aber Lang Lang ist sich            was Besonderem dieser so viel
Professoren und natürlich – allen       diese zwei Klavierkonzerte bei       auch des sensiblen Spielers                gehörten und gespielten Kon-
voran – von Musikkritikern. Man         dem gerade einmal 26-jährigen        Chopin bewusst, der feinsinnig             zerte: Perfektion in Bezug auf
war sich nicht sicher, was man          Pianisten anders als in den Auf-     phrasierte und romantisch zu               das Pianistische wird gepaart
von diesem Jahrhunderttalent            nahmen alter Klavierheroen.          singen verstand, wenn er fürs              mit größtmöglicher Sensibilität.
(das keiner bestreitet) halten soll,    Doch ist dieser Vergleich nicht      Klavier schrieb. Und entspre-              Lang Lang, der klassische Pia-
das kaum musikalische Grenzen           auch vage? Haben sich die            chend hört man da recht verhal-            nist, der Publikums- und Kriti-
kennt, sich für die Musik der Mo-       großen Alten des Klaviers nicht      tene Tempi, in denen Lang Lang             kerliebling, ist wieder da, kann
derne, seiner Heimat China und          gerade auch dadurch einen Na-        zu erzählen versteht, was hinter           immer noch das auslösen, was
der Klassik gleichermaßen ein-          men machen können, dass sie          den Noten verborgen ist. Er lässt          so wichtig, ja das Wichtigste
setzt. Diese Unsicherheit äußert        alte Traditionen über Bord war-      sich nicht auf das Glatteis des            überhaupt auf den Musikbüh-
sich dann meist in lautstarker,         fen und sich emotional ganz und      Virtuosentums führen, eine Ver-            nen ist und ihn so bekannt mach-
ja polemischer Kritik, die jeder        gar auf das Werk einließen?          suchung, der so viele andere               te: Emotionale Ergriffenheit beim
Grundlage entbehrt. Nun kön-                 Lang Lang interpretiert Cho-    Pianisten seines Alters erliegen.          Hörer.
nen diese Kritiker sich freuen,         pin in jeder Nuance überlegt und     Er schwelgt, er justiert sensibel          Carsten Dürer
gibt ihnen doch Lang Lang mit           wirkt dennoch spontan, weiß          Passagen in den Kontext des
einer faszinierenden Neueinspie-        um die in der Person Chopins         Ganzen, er mischt aus der Farb-
lung zweier großer und uneinge-         beständig mitschwingende Me-         palette Klänge zusammen, die               www.deutsche-grammophon.
schränkt beliebter Klavierkon-          lancholie, die auch immer mit        immer singend und dennoch                  com/langlang-chopin

                            Frédéric Chopin
                            Klavierkonzerte 1 & 2
                            Deutsche Grammophon
                            CD 477 7449                                                        Lang Lang • mit David Ritz
                            Deluxe Edition 477 7982                                            Musik ist meine Sprache –
                                                                                               Die Geschichte meines Lebens
                            Lang Lang, Klavier                                                 Ullstein
                            Wiener Philharmoniker                                              ISBN 978-3-550-08736-3
                            Dirigent: Zubin Mehta
                            Veröffentlichung: 14. November                                     Veröffentlichung: 6. November

                                                                                                                                www.KlassikAkzente.de 17
Magazin
                     Musik als Rückzugsort:
                     He l mu t Schmi dt

                                                                                                                                                       Foto: Annette Lederer
   Erdige Strenge
   Helmut Schmidt spielt Klavier, wie er regierte: Klug, präzise, mitfühlend. Die Jubiläumsedition „Kanzler & Pianist“ mit
   dem Film „Helmut Schmidt außer Dienst“ von Sandra Maischberger ehrt den Weltbürger und Musikliebhaber.

   In der Politik ist es auch nicht       Rückzugsort für den Staats-          Philosophen Mark Aurel mehr              die Endlosigkeit des Kosmos
    mehr so, wie es einmal war. Sie       mann gewesen – ein innerer           beeinflusst hätten als die Bibel.        und bleibt doch mit beiden Fü­
    ist ein schnelles Geschäft gewor-     Kosmos, den er überall in der        In seinem Leben siegten die              ßen auf der Erde. Damit ist sie
    den, in dem tagesaktuelle Mei-        Welt aufsuchen konnte. In der        Logik und die Ratio meist über           so etwas wie die klingende
    nungen gefragt sind. Große Visi-      Dokumentation „Außer Dienst“         intuitive Emotionshandlungen –           Charakterisierung des Altkanz­
    onen, klug durchdachte Kon­zep­       von Sandra Maischberger be-          warum sollte das in seinen mu­           lers Helmut Schmidt. Denn auch
   te und vor allen Dingen Konstanz       kennt der Altkanzler, dass er auf    sikalischen Vorlieben anders             sein Handeln ist durch zwei grund­
    sind selten geworden. Außerdem        seinen Reisen oft in Hotelzim-       sein?                                    legende Kriterien bestimmt: die
    hat ein aufgedrehter Ton die Polit-   mern Musik hörte. Bisweilen              Johann Sebstian Bachs mu­            rationale Logik und den huma­
    Rhetorik erobert. Wie anders war      warnt er vor dem Verlust des         sikalischer Kosmos ist die Ver­          nistischen Willen, das Verweilen
    das bei politischen Urgesteinen       Hörens einer ganzen Generati-        schmelzung von strenger Form             auf der Welt für alle erträglich zu
   wie Helmut Schmidt. Bis heute          on: „Es ist wichtig, sich mit der    und irdischer Verbundenheit. Sie         machen.
    kommentiert Schmidt die Tages-        Musik auseinanderzusetzen, um        vereint Freidenkerei mit Boden­
    politik so effizient und verständ-    die Welt nicht nur als Lärm wahr-    ständigkeit, erhebt den Geist in         Axel Brüggemann
    lich wie kaum ein anderer Politi-     zunehmen.“
    ker. Bei ihm hören sich selbst            1984 hat der Altkanzler                                      Kanzler & Pianist
                                                                                      inkl. DVD Helmut Schmidt außer Dienst
    existenzielle Sätze vollkommen        Bach-Klavierkonzerte mit Justus
                                                                                                      Deutsche Grammophon
    klar an. Für seine Botschaften        Frantz, Christoph Eschenbach                        CD + DVD 480 1310 (Querformat)
    braucht er nur wenige Worte.          und Gerhard Oppitz aufgenom-                        CD + DVD 073 4516 (Hochformat)
   Und das klingt dann ungefähr so:       men. Dass er ausgerechnet                                 Helmut Schmidt, Klavier
   „Ohne Musik wäre mein Leben            Bach spielte, scheint typisch für            Sandra Maischberger und Jan Kerhart,
    ganz anders verlaufen.“ Tatsäch-      einen Politiker zu sein, der sagt,                                Buch und Regie
                                                                                                    Veröffentlichung: 7. November
    lich ist die Klassik ein wichtiger    dass ihn die klaren Werke des

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Weihnachtsstimmung mit Pavarotti, Carreras, Ein Opernklassiker mit Brigitte Fassbaender                 Engelsgleiche Stimmen: Berühmte Sopranis-
Domingo und einem Programm von „Adeste und Lucia Popp als Hänsel und Gretel sowie                       tinnen geben sich hier ein feierliches Stelldich-
Fideles“ bis „Climb Ev‘ry Mountain“.        Edita Gruberova als Taumännchen.                            ein.

           The Three Tenors at Christmas                  Humperdinck Hänsel und Gretel (GA)                        Angels: Christmas with the Great
           Decca CD 478 0336                              Decca 2 CDs 478 0143                                      Sopranos Decca CD 478 0337
           Pavarotti • Domingo • Carreras, Tenor          Popp, Sopran • Fassbaender, Mezzo-                        Fleming • Price • Tebaldi, Sopran u.a.
           Diverse Orchester und Dirigenten               sopran • Berry, Bassbariton u.a.                          Dirigenten: Karajan • Neville u.a.

Erstmals auf CD erhältlich: Hermann Preys Die Sopran-Legende der 50er singt 18 Weih- Wie klingt Weihnachten in Argentinien, Austra-
wunderschöne Weihnachtsaufnahmen von nachts-Evergreens sowie die Mozart­-Arien lien oder Korea? Stars wie Magdalena Kožená
1971.                                     „Exsultate, jubilate“ und „Laudate Dominum“. und Roberto Alagna geben Antwort.

           Weihnachtslieder – Christmas Songs             In Dulci Jubilo                                           Christmas Round the World
           Deutsche Grammophon CD 477 7969                Deutsche Grammophon CD 477 7970                           Deutsche Grammophon CD 477 7971
           Hermann Prey, Bariton                          Maria Stader, Sopran                                      Kožená, Mezzosopran • Alagna, Tenor
           Leonard Hokanson, Klavier                      Münchner Chorbuben u.a.                                   u.a. • Dirigenten: Walker • Preston u.a.

Vier Posaunen, Tuba, Orgel: Beeindruckender Ein traditionelles Weihnachtsfest mit Christa               Klassiker aus aller Welt von den Weltstars der
kann man die Weihnachtsklassiker kaum ein- Ludwig, René Kollo, Hermann Prey, Peter                      Klassik: Fleming, Gheorghiu, Carreras und
spielen.                                    Schreier, Fritz Wunderlich und vielen anderen.              viele andere.

           Tochter Zion, freue dich                       Schöne Weihnachten                                        Weihnachtsgala der Weltstars
           Koch CD 477 5041                               Deutsche Grammophon CD 480 1127                           Decca CD 480 1068
           Posaunenquintett Berlin                        Münchener Bach-Orchester u.a.                             Fleming, Sopran • Domingo, Tenor
           Armin Thalheim, Orgel & Cembalo                Dirigenten: Biller • Gardiner • Harrer u.a.               Terfel, Bassbariton u.a.

Barock für besinnliche Tage von Albinoni, Die besten Chöre der Welt jauchzen hier um Eins der meistaufgeführten geistlichen Werke
Corelli, Locatelli, Manfredini, Marcello, Torelli die Wette: Dresdner Kreuzchor, Gabrieli Con- Bachs, hier in einer stimmungsvollen Aufnah-
und Vivaldi.                                      sort, Wiener Sängerknaben und viele andere.  me mit Catherine Bott.

           Festliche Weihnachtskonzerte                   Jauchzet, frohlocket!                                     Bach Weihnachtsoratorium (Querschnitt)
           Decca CD 480 1067                              Deutsche Grammophon CD 480 1066                           L’Oiseau-Lyre CD 480 0279
           Pina Carmirelli, Violine                       Dresdner Kreuzchor • Thomanerchor                         Catherine Bott, Sopran • New London
           Heinz Holliger, Oboe • I Musici                Leipzig u.a.                                              Consort • Dirigent: Philip Pickett

                                                                                                                         www.KlassikAkzente.de 19
Magazin
                                                                                                    Georg Friedrich Händel
                                                                                                 Alcina (Gesamtaufnahme)
                                                                                                   Deutsche Grammophon
                                                                                                              CD 477 8017

                                                                                 Joan Sutherland, Sopran • Norma Procter,
                                                                                    Mezzosopran • Fritz Wunderlich, Tenor
                                                                                  Nicola Monti, Tenor • Capella Coloniensis
                                                                                               Dirigent: Ferdinand Leitner
                                                                                                  Veröffentlichung: 7. November

   Zweite Wahl, erste Sahne
   Joan Sutherland und Fritz Wunderlich in „Alcina“ – ein Traumpaar, das sich niemand hatte vorstellen können.

   Man stelle sich vor: Joan Suther-     aus purer Not. Fünf Tage vor der   die Titelpartie überhaupt drauf- orchester leistete. Am Pult stand
    land und Fritz Wunderlich als        Aufführung hatte man weder ei-     hatte.                             Ferdinand Leitner, der langjäh-
   „Traumpaar“ der 1960er Jahre,         nen Sopran für die Titelpartie          Wenn man den Mitschnitt rige Generalmusikdirektor in
    gemeinsame Auftritte in Mozart-      noch einen Tenor für die männ-     hört, ist von Krisenstimmung Stuttgart. Nach unzähligen Wag-
    und Belcanto-Opern. Theore-          liche Hauptrolle. Die ursprüng-    nichts zu spüren. Fritz Wunder- ner-Aufführungen im sogenann-
   tisch hätte es solche Sternstun-      lich vorgesehene Sopranistin       lich und Joan Sutherland har- ten Winter-Bayreuth war die Ar-
    den auch geben können, in Lon-       musste wegen starker Intonati-     monieren so gut mit den Sän- beit mit der Cappella für ihn will-
    don, in Wien, an der Met in New      onsprobleme entlassen werden,      gerkollegen und dem Orchester, kommene Abwechslung und
   York, auf Schallplatte. Doch es       und der Tenor Nicola Monti hat-    als wären sie seit langem auf- Bereicherung. Die Begeisterung,
   sollte nicht sein. Nur ein einziges   te irrtümlich die falsche Partie   einander eingespielt. Und es ist mit der sich die Musiker für
   Mal sind die beiden Jahrhun-          gelernt, Oronte statt Ruggiero.    ein ganz besonderes Orches- stilgerechte Aufführungen ein-
    dertsänger gemeinsam aufge-          Fritz Wunderlich, der als Oronte   ter, das bei dieser allerersten setzten, steckte ihn an. Es war
   treten: bei der WDR-Aufführung        engagiert war, sprang mutig ein,   Gesamtaufnahme der „Alcina“ eine glückliche Verbindung,
   von „Alcina“ im Händel-Gedenk-        lernte den wesentlich größeren     zu hören ist: die Cappella Colo- die in vielen WDR-Konzerten
    jahr 1959. Zum Glück blieb der       und anspruchsvolleren Part in-     niensis, damals der weltweit und auf Tourneen zu erleben
   Mitschnitt erhalten. Jetzt gibt es    nerhalb von vier Tagen. Und        erste Klangkörper, der konse-Blicktwar.zurück,
                                                                                                                     Dochaber
                                                                                                                            die nicht
                                                                                                                                Aufführung
                                                                                                                                      im Zorn:
                                                                                                                                              von
    ihn erstmals legal auf CD.           glücklicherweise war auch Joan     quent im Sinne der historischenB e „Alcina“
                                                                                                               rthol d G o l d schm idt ein
                                                                                                                        ist ein  Sonderfall,
        Was viele nicht wissen: Die      Sutherland bereit, die Auffüh-     Aufführungspraxis musizierte, absolutes Unikat.
    einmalige Konstellation Suther-      rung zu retten. Sie war damals     ein Spezial-Ensemble, das sich
    land/Wunderlich entstand damals      die Einzige weit und breit, die    der WDR neben dem Sinfonie- Thomas Voigt

                                                                                                                                              Foto: WDR / Heinz Karnine

          „Alcina“ im Großen Sendesaal des WDR:
           Frit z Wund er l ich und J oa n S uth er l a nd

20 www.KlassikAkzente.de
Till Brönner
                                                                                                                                       Rio
                                                                                                                                     Verve
                                                                                                                             CD 178 0680

                                                                                                          Till Brönner, Trompete & Gesang
                                                                                                              Annie Lennox • Aimee Mann
                                                                                                      Sérgio Mendes • Milton Nascimento
                                                                                                                Melody Gardot, Gesang u.a.

www.tillbroenner.com

Melancholie in ihrer schönsten Form
Mit „Rio“ hat der Jazztrompeter Till Brönner ein
Bossa-Nova-Album aufgenommen, das beweist: Musik verbindet –
über alle Stil- und Landesgrenzen hinweg.

Er hat klassische Trompete stu-      schen Songwriters Milton Nasci­        ber, der vor dem                                                   Klassiker und Juwelen:
diert, bei „Jugend musiziert“ al-     mento, wir hören den Jazz-Croo­       Balkon seiner                                                      T i l l B rö n n ER
les gegeben – und doch wurde          ner Kurt Elling, die Brasilianerin    Angebeteten ein
er nicht der neue Ludwig Güttler.    Vanessa da Mata und die junge          Ständchen bringt,
Zum Glück. Schließlich verdankt      US-Amerikanerin Melody Gardot,         und sie doch
die Musikwelt Till Brönner seit       mit dem verführerischen „High         nicht wecken
seinem CD-Debüt vor fünfzehn         Night“. Auch Sergio Mendes, ei­        will.
Jahren einige der besinnlichsten      ner der wichtigsten Bossa-Nova-       Jakob Buhre
Jazz-Momente – inklusive des         Botschafter überhaupt, kam zu
überraschenden „Jazz Album“          Brönner ins Studio – singender­
von Bassbariton Thomas Quast-        weise wohlgemerkt. Seine Inter­
hoff, das Brönner 2007 produ-         pretation von Jobims „Ela é cari­
zierte. Auch durch die Arbeit mit     oca“ zählt sicher zu den gefühl­
Größen wie Hildegard Knef und        vollen Höhepunkten des Albums.
Mark Murphy hat er sich eine         Und auch wenn Grammy-Preis­
Fangemeinde erspielt, die jede       trägerin Aimee Mann in „Amor
neue Veröffentlichung mit Span-       em paz” die Zeilen „Love is the
nung erwartet. Nun ist es wieder     saddest thing when it goes away”
so weit: „Rio“ steht in den Läden    singt, kann man sich dem Ge­
– und der Name ist Programm.         fühl des Saudade kaum mehr
Nein, es geht nicht um Karneval,      entziehen.
sondern um die Bossa Nova,                Till Brönner verbindet mit
um Antônio Carlos Jobim und          „Rio“ Musiker, die ungeachtet
Saudade, die wahrscheinlich           ihrer geografischen und
schönste Form der Melancholie.        musikalischen Herkunft
      Drei Wochen hat Till Brönner    gemeinsam eine anzie­
in Rio de Janeiro Musik aufge-        hende Atmosphäre
nommen, ist tief in den Bossa-       schaffen. Die keinesfalls
Nova-Kosmos eingetaucht. Und         sich selbst, sondern die
sowohl bei der Songauswahl –         Emotionalität einer Musik
darunter Klassiker und Juwelen       zelebrieren, die uns traurige
von Jobim und João Donato –          Momente versüßen und uns
als auch bei der internationalen      in süßen Stunden verzaubern
Gästeliste muss man ihm ein-          kann. Mit verantwortlich für die­
fach Respekt zollen. Schon der       sen Zauber sind ein brasilia­
Einstieg ist hinreißend: „A flame     nisches Quintett – exzellent be­
still burns inside of me, it feels   setzt u.a. mit dem Gitarristen
like it will never go out“ – keine   Marco Pereira und dem Perkus­
Geringere als Annie Lennox lässt     sionisten Marcos Suzano – und
einem bei diesem Song von             natürlich Brönners Trompeten­
                                                                            Foto: Dieter Eickelpoth

Maurício Maestro einen wohligen      spiel. Dies klingt auf „Rio“ wie ein
Schauer über den Rücken lau­          liebestrunkenes Herz. Er atmet
fen. Kurz darauf erklingt die rüh­   durch sein Instrument, singt mit
rende Stimme des brasiliani-         sanfter Stimme, wie ein Liebha­

                                                                                                                                             www.KlassikAkzente.de 21
Magazin
    Foto: Alberto Luisa

                                                                                                       Johann Sebastian Bach
                                                                                                           Gulda Plays Bach
                                                                                                       Deutsche Grammophon
                                                                                                                CD 477 8020

                                                                                                       Friedrich Gulda, Klavier
                                                                                                       Veröffentlichung: November

                                                                                                                                    Gelassene Strenge:
                                                                                                                            F r i e drich G ul d a

   Des Kaisers alter Fritz
   Als wir Joachim Kaiser baten, etwas über Friedrich Gulda (den er Fritz nennen durfte) zu schreiben, sagte er: „Hab’
   ich schon alles.“ Zum Beweis gab er uns einen Text von 1973 – und in der Tat, was Kaiser über Guldas Interpretation
   des „Wohltemperierten Klaviers“ schrieb, lässt sich auch auf dessen gesamte Bachinterpretation übertragen:

   Guldas Bach-Einspielungen sind         um ein Extrem der Zurückhal-            entdecken, zu „spiritualisieren“.     Gulda versteht es, seinen Flügel
    ganz offensichtlich das Ergebnis      tung handeln. Wenn sich Gulda           Denn er versteht es, die harmo-       mittels souveräner Anschlags-
    einer großen, konzessionslosen        – der hier viel freier als bei Beet-    nischen Entwicklungen in emp-         kunst im jeweils gewünschten
   Denkanstrengung, deren Essenz          hoven spielt, verziert und „deu-       findsame Ausdruckskurven zu            Sinne zu verwandeln. Manchmal
    hier mit Hilfe raffinierter pianis-   tet“ – für eine bestimmte Ten-          übersetzen, dabei aber diesen         glaubt man, den „Lautenzug“ zu
   tischer Techniken und Farben           denz entschlossen hat, dann             Entwicklungen einen selbstän-         hören, manchmal stellt sich Kla-
   dargestellt wird. Dass diese           spielt er sie bis zur Exzentrik aus.    digen Rhythmus entgegenzu-            vichord-Charakter her, manch-
   Prinzipien nicht beim ersten Hö-       In manchen Fällen ist dabei             setzen, der sich eben nicht emp-      mal klirrt das Cembalo, manch-
    ren deutlich werden, hängt mög-       der Gewinn ungeheuerlich. Die          findsam anschmiegt, sondern            mal bezwingt das große Legato
    licherweise gerade mit einer          schönsten Momente des Gulda-           zart-spannungsvoll kontrastiert.       eines modernen Instruments.
   Stärke des Guldaschen Bach-            schen Bach-Spiels entstehen            War etwa schon bei seiner Inter-       Wo Guldas Interpretation sich im
   Spiels zusammen. Er geht näm-          immer dann, wenn das Prinzip,           pretation der Beethovenschen          Raschen, Scharfen, Gestoche-
    lich keineswegs nur mit einer         nach dem Gulda angetreten, in          „Mondscheinsonate“ die ruhige          nen erschöpft, wo sie nur sou-
    ein­zigen „Tendenz“ an Bachs          den Hintergrund rückt und die           und doch nicht mechanische            verän und klar und genau poin-
   Wunderwerk heran (etwa einer           Musik, sanft ihrem eigenen Ge-          Belebtheit des Adagios ein in-        tiert ist, provoziert sie höchs-
    motorischen oder einer senti-         setz folgend, sich mit sich selbst     timer, nie weichlicher Höhe-           tens kalte Bewunderung. Doch
    mentalistischen oder architek-        zu unterhalten scheint.                 punkt, so kehren ähnliche Wun-        wenn er eine trillerhafte Sech-
   tonisch-strukturalistischen oder           Guldas Stärke, eine Kunst,          der einer klaren, nie monotonen       zehntel-Figur geheimnisvoll
   „klavichordhaften“ oder archai-        in der ihm heute niemand gleich-        Bestimmtheit in diesen Bach-          spannend belebt, wenn er Viel-
   sierenden beziehungsweise              kommt, ist sein Vermögen, eine          Einspielungen wieder.                 schichtigkeiten deutlich macht,
    modernisierenden), sondern er         leise bebende Erregtheit des                Merkwürdigerweise interes-        wenn er vorführt, was unter
   sucht das Herz im jeweiligen Ex-       Langsamen herzustellen. Stücke,         siert man sich bei alledem über-      Bachs scheinbarer Eigensinnig-
   trem. Es kann sich dabei um ein        die jeder bessere Klavier-Adept         haupt nicht für jene „Stil“-Fra-      keit mitschwingt, dann kommt
    expressives, ein toccatahaftes,       vom Blatt spielen zu können             gen, die bei Bach-Diskussionen        er dem Bach auf den Grund.
    ein empfindsames oder sogar           glaubt, vermag er förmlich zu           so oft von der Musik ablenken.        Joachim Kaiser, 10. März 1973

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