Theodosia - SCSC Ingenbohl
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Zeitschrift der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz Institut Ingenbohl CH-6440 Brunnen 136. Jahrgang Nr. 1/2 2021
Redaktionsteam: Schwester Christiane Jungo Schwester Elsit J. Ampattu Schwester Dorothee Halbach Adresse: christiane.jungo@kloster-ingenbohl.ch Layout und Druck: Triner Media + Print 6430 Schwyz Design: Schwester Gielia Degonda 2
Inhalt Theodosia 2021, 1/2 Titelbild 4 Jeder unter der Sonne ist mein 29 Bruder und meine Schwester Editorial 5 Sr. Veera Bara Namugongo, Kampala, Sr. Christiane Jungo, Ingenbohl Vikariat Uganda Von Gottes Geist bewegt, 7 Am Strand liess ich mein 33 als Frauen auf dem Weg Schiff zurück und fand mit dir Sr. Christiane Jungo, Ingenbohl ein neues Meer Sr. Eva Christa Bannwart, Ingenbohl Die zweite Geige 13 P. Emmeram Stacheder OFM, Ingenbohl Der Sonnengesang des heiligen 37 Franziskus Ihr werdet meine Zeugen sein, 16 Sr. M. Raphaela Bürgi †, Ingenbohl Apg 1,8 Zeugin unserer Zeit - Sr. Edith Lang † Stelle dein Leben unter das 47 Sr. Elsit Ampattu, Ingenbohl Geheimnis des Kreuzes Sr. Marie-Salome Schwert, Hegne, Den Jahren Leben geben 22 Provinz Baden-Württemberg Sr. Liliane Juchli † Sr. Edelina Uhr, St. Elisabethenheim, Mitteilungen der Generalleitung 48 Bleichenberg, Zuchwil, Provinz Schweiz Eingegangen in Gottes Verheissung 49 Erinnerungen an Perm 24 2020 Sr. Filipa Macháčková, Kroměříž, Provinz Tschechien 3
Editorial Seit einem guten Jahr leben wir weltweit mit dem Coronavirus. Diese Zeit hat vie- les um uns und vielleicht in uns verändert. Unter den 2,78 Millionen Toten sind auch Mitschwestern aus verschiedenen Provinzen. Viel Selbstverständliches und Ge- wohntes ist plötzlich nicht mehr oder anders als bisher. Diese Umstellungen setzen uns zu. Und doch: Da liegen auch Chancen! Neue Antworten sind gefragt: Wie helfen wir einander? Wie feiern wir unsere Liturgien? Was brauchen wir wirklich? Was gibt uns Halt? Auffallend ist die Natur! Sie scheint nicht um das Virus zu wissen, denn sie ent- faltet sich wiederum mit neuer Kraft. Frühling, neues Leben! Vielleicht entdecken wir auch neue Räume und innere Weiten unserer Seele. Die österlichen Liturgien werden das Ihrige dazu beitragen! Die zwei ersten Beiträge der Doppelnummer «Theodosia» basieren auf religiösen Themen: «Von Gottes Geist bewegt, als Frauen unterwegs» von Sr. Christiane Jun- go als Impulsvortrag zum Tag des gottgeweihten Lebens und «Die zweite Geige» als Predigt am Fest des heiligen Josef von P. Emmeram Stacheder OFM in der Klosterkirche Ingenbohl. Unter dem Titel «Ihr werdet meine Zeugen sein», Apg 1,8, sollen in Zukunft Por träts von Schwestern erscheinen, die als «Zeuginnen unserer Zeit» betrachtet wer- den können. Den Anfang macht Sr. Edith Lang, die vom April 1960 bis August 2020 als «Mutter der Armen» in Indien wirkte. Sr. Elsit hat Erfahrungen von Weggefährt* innen zusammengetragen. «Den Jahren Leben geben», das war ein Motto von Sr. Liliane Juchli. Nach ihrem Tod am 30. November 2020 zeigt Sr. Edelina Uhr, welche Hilfen sie uns angeboten hat für das Älterwerden in Gemeinschaft. Nach 18 Jahren Tätigkeit in Perm haben sich die drei Schwestern von der Pfarrei verabschiedet und sind in ihre Provinzen heimgekehrt. Sr. Filipa Macháčková teilt mit uns «Erinnerungen an Perm». Nach ihrem Einsatz bei den Flüchtlingen in Sizilien ist Sr. Veera Bara Namugongo ebenfalls heimgekehrt und hat in Kampala, Uganda, eine neue Aufgabe übernom- men. Für sie gilt weiter: «Jeder unter der Sonne ist mein Bruder und meine Schwester». 5
«Am Strand liess ich mein Schiff zurück und fand mit dir ein neues Meer», schreibt Sr. Eva Christa Bannwart, die sich nach 43 Jahren Brasilienerfahrung in Ingenbohl neuen Aufgaben zuwendet. Die Bilder von Sr. M. Raphaela Bürgi erfreuen viele Menschen. «Der Sonnengesang des heiligen Franziskus» ist ein Gruss an uns alle, nachdem sie am 7. Januar 2021 gestorben ist. Nach ihrer Erstprofess im Kloster Hegne teilt Sr. Marie-Salome Schwert mit uns die Freude über ihre Berufung: «Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes». Durch die «Mitteilungen der Generalleitung» erfahren wir von der Ernennung der neuen Provinzleitung von Europa Mitte. Angefügt sind ein Dank an Sr. Edelgund Kuhn als langjähriges Mitglied der Redaktionskommission und eine kleine Statistik des Jahres 2020. «Eingegangen in Gottes Verheissung» sind im Jahr 2020 109 Mitschwestern. Mögen sie begleitet sein von unserem Dank und gesegnet von ihrem und unserem Gott! Sr. Christiane Jungo 6
Von Gottes Geist bewegt, als Frauen auf dem Weg Sr. Christiane Jungo, Ingenbohl Am 6. Januar 1997 erklärte Papst Johannes Paul II., dass am Fest der Darstellung des Herrn künftig der «Tag des geweihten Lebens» begangen werden solle. Dieser Tag ist seither im Mutterhaus ein interner Feiertag, dem ein Einkehrtag mit Impulsen für unseren Ordensalltag vorausgeht. Der dies- jährige Denkanstoss folgte dem Jahresmotto «Von Gottes Geist bewegt, als Frauen auf dem Weg». Zum Beginn ein Gebet Jesus. Schauen wir also zuerst in die Bibel! Barmherziger Gott, durch das Leben und Wirken der seligen Maria Theresia Lukas wird in den ersten Kapiteln sei- Scherer hast du der Welt den Reichtum nes Evangeliums nicht müde, das Wirken deines Erbarmens sichtbar gemacht. Du des Heiligen Geistes zu betonen. Für hast sie gelehrt, die Zeichen der Zeit zu ihn war Jesus der Geistträger schlecht- erkennen und mit ihren Schwestern den hin: Jesus verdankt sein Dasein dem Menschen in leiblicher und geistiger Not Heiligen Geist, denn der Heilige Geist zu helfen. Lehre auch uns, in der Kraft war auf Maria herabgekommen, der deines Geistes den Menschen zu die- Heilige Geist senkt sich bei der Taufe nen, für die dein Sohn, unser Herr Jesus auf Jesus, Jesus widersteht durch die Christus am Kreuz gestorben ist. Er, der Kraft des Heiligen Geistes den Versu- in der Einheit des Heiligen Geistes mit chungen in der Wüste. Sein ganzes dir lebt und wirkt in Ewigkeit. Amen. weiteres Leben ist durchwirkt von die- sem Gottesgeist. Im Gebet an Gedenktagen von Mutter M. Theresia hören wir heraus, wie ihr Schon zu Beginn des öffentlichen Wir- von Gott, von Gottes Geist gezeigt wur- kens erzählt Lukas vom Auftreten Jesu de, die Zeichen ihrer Zeit zu erkennen. in der Synagoge von Nazareth. Dort Und wir bitten darum, dass wir in der stellt Jesus gleichsam sein Programm, Kraft des gleichen Geistes Gottes un- sein Leitbild vor. Es heisst: sere Aufgabe hier und heute erfüllen. «Er öffnete die Buchrolle und fand die Stelle bei Jesaja, wo geschrieben steht: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn Ein Blick in die Bibel er hat mich gesalbt. Er hat mich ge- sandt, damit ich den Armen eine frohe «Von Gottes Geist erfüllt», «von Gottes Botschaft bringe; damit ich den Gefan- Geist bewegt», «der Geist Gottes ruht genen die Entlassung verkünde und auf ihm», «Ich habe meinen Geist auf den Blinden das Augenlicht; damit ich ihn gelegt», diese Ausdrücke kennen die Zerschlagenen in Freiheit setze und wir aus der Bibel, meistens in Bezug auf ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Da 7
begann er, ihnen darzulegen: Heute hat wird nicht müde und bricht nicht zu- sich das Schriftwort, das ihr eben ge- sammen, bis er auf der Erde das Recht hört habt, erfüllt» (Lk 4,17ff). begründet hat.» Mit diesen Worten nimmt Jesus vorweg, Zurück zu Lukas! Es scheint ihm wichtig was er in den kommenden Jahren tun gewesen zu sein, uns klar zu machen, wird, nämlich: Der Geist Gottes bewegt wer Jesus bewegte, eben der Geist ihn, wenn er Kranken die Hände auflegt; Gottes. Jesu Leben wird so zur Bot- wenn er mit Menschen spricht, um die schaft für uns, dass Gottes Geist auch man sonst einen Bogen macht; wenn er uns zugedacht ist. Vor seinem Leiden Menschen ansieht, die sonst keinem versprach Jesus diesen Geist: unter die Augen zu treten wagen. Und «Ich werde den Vater bitten und er wird dieser Geist Gottes ist es, durch den Je- euch einen anderen Beistand geben, sus Leben schafft, sodass Menschen der für immer bei euch bleiben soll, den wieder atmen, lachen und lieben kön- Geist der Wahrheit» (Joh 14,17). nen. Dieser Geist ist schliesslich auch die Kraft, in der Jesus die Liebe gegen Immer wieder wundere ich mich, wie die den Hass und die Gewalt setzt. Die Lie- Apostel, die so nah bei Jesus waren und be ist stärker als der Tod. Und so – vom ihn erlebt haben, ihn kurz vor seiner Geist Gottes bewegt und angetrieben – Himmelfahrt, also fast im letzten Moment ist sein ganzes öffentliches Wirken. fragen konnten: «Stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?» Die In Jesus sieht man auch den «Knecht Antwort Jesu ist klar: Das müsst ihr Gottes», den Jesaja meinte: «Auf ihn hat nicht wissen! Das ist nicht eure Sache! Gott seinen Geist gelegt» (Jes 42,1-4). Was ist denn ihre Sache? «Ihr werdet Was zeichnet diesen Knecht Gottes Kraft empfangen, wenn der Heilige aus? «Er schreit nicht und lärmt nicht Geist auf euch herabkommen wird; und und lässt seine Stimme nicht auf der ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusa- Strasse erschallen.» Der Gesandte Got- lem und in ganz Judäa und Samarien tes tritt also nicht wie ein Fanatiker auf. und bis an die Grenzen der Erde» (Apg Stattdessen wendet er sich dem Einzel- 1,8). Das also ist ihre Sache, ihr Auftrag: nen und Unvollkommenen zu und be- Zeugnis zu geben von dem, was sie bei hütet ihn. «Das geknickte Rohr zerbricht Jesus gesehen und gelernt hatten. er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.» Diese Behutsam- Was geschah nach der Himmelfahrt? keit geht auch mit Ausdauer einher: «Er «Die Apostel verharrten zusammen mit 8
den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern, einmütig im Gebet.» (Apg 1,14.) Und dann: «Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sassen. Und es er- schienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen liess sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt» (Apg 2,1-4). Die nächsten Kapitel der Apostelge- schichte zeigen in vielen Ereignissen, wie die junge Kirche miteinander betet, und wie der Heilige Geist dann Men- schen erfüllt und verändert. Sie beten vor schwierigen Entscheidungen. Sie beten in Notsituationen. Sie beten zum Lobe Gottes im Tempel. Sie beten in ihren Häusern. Und immer wieder erfah- Pfingsten, M. Clara Winkler ren sie, der Geist Gottes kommt in jede Situation, wenn wir ihn darum bitten. Die zeigen, dass jede in ihrer Weise ergrif- Apostelgeschichte wird gleichsam das fen und beauftragt wird. Jede soll auf je Evangelium des Heiligen Geistes. persönliche Art dazu beitragen, das Antlitz der Erde zu erneuern. Der Auftrag Jesu und die Kraft des Hei- ligen Geistes haben die Apostel und die Frauen (die Frauen werden explizit er- Wie war Mutter M. Theresia von wähnt), ja die ganze Gemeinschaft der Gottes Geist bewegt? Gläubigen in der Kirche bis heute her- ausgefordert und oft auch überfordert. Sie selbst spricht kaum vom Heiligen Das Feuer des Geistes, das sich in ein- Geist. Wir können jedoch sehen, wie er zelne Feuerzungen aufteilte, könnte uns in ihr wirkte, wie er sie führte, unter- 9
scheiden und vertrauen lehrte – im serst schwere Zeiten und hätte der lie- Grossen und im Kleinen. Es wäre auch be Gott mich nicht besonders gestärkt, leicht, an ihr die Früchte des Geistes und der Beichtvater nicht beständig zur abzulesen. Ich möchte einfach ein paar Ausdauer aufgemuntert, so wäre ich si- Beispiele erzählen, die uns zeigen, wie cher um den Beruf gekommen (Gewis- sie mit dem Geist Gottes unterwegs sensbericht).» war –, ohne dass ich einen grossen Kommentar dazu gebe! Als sie gefragt wurde, wie sie denn als Generaloberin alles schaffe – Tag für Als sie als schulentlassenes Mädchen Tag – antwortete sie wie selbstver- ins Bürgerspital nach Luzern geschickt ständlich: «Ich überlege – bete – und wurde, war sie von allem recht überfor- handle.» Was mich für die damalige Zeit dert, und sie schreibt: «Ich kam hin, al- verwundert, ist die Tatsache, dass Mut- lein zuerst fiel es mir schwer, nur bestän- ter M. Theresia nicht nur den Geist des dig Religiöses zu sehen und zu hören Rates anrief, sondern für besonders und dazu noch Kranke und Arme immer schwierige Angelegenheiten auch welt- vor Augen. Ich war auch einige Male liche Berater oder einen Anwalt zuzog. über Prediger ungehalten, die gegen Tanz etc. predigten. Doch die Gnade Als sie im Oktober 1878 nach Mähren siegte bald. Nach kurzer Zeit gefiel es (heute Tschechien) zur Visitation kam, mir dort, und ich fing auch an, mehr zu liess sie sich am Vorabend der Einklei- beten und öfter zu den hl. Sakramenten dung die vorgesehenen Schwesternna- zu gehen; und liess mich in den Jung- men zeigen. Es waren lauter deutsch- frauen-Bund aufnehmen, ebenso in den sprachige Namen. Mutter M. Theresia 3. Orden des hl. Vaters Franziskus und verlangte, dass diese sofort gestrichen fing mit Gottes Gnade ernstlich an, an und an ihre Stelle tschechische Namen meiner Verbesserung zu arbeiten» (Ge- gesetzt werden, weil sie fand, deutsche wissensbericht 1867). Sie schreibt «die Namen hinderten die Integration im Gnade», wir könnten sicher sagen, «der Volk. Heute wäre das verständlich, aber Heilige Geist wirkte in ihr». für die damalige Zeit war ihre Entschei- dung sicher überraschend und ausser- Nach den ersten schweren Jahren in gewöhnlich. Ingenbohl bemerkt sie: «Es gab noch andere Schwierigkeiten und Leiden, die Als sie 1886 nochmals zur Generalobe- mir namentlich in meinem Seelenleben rin gewählt wurde, schrieb sie in einem sehr hinderlich waren. Es waren äus- Zirkular am 1. November an die Schwes- 10
tern, wie schwer es ihr gefallen sei, die- zu helfen, wie es das Eingangsgebet ses Amt nochmals anzunehmen, aber formulierte. Er ist die Kraft gegen Ent- einige Gründe hätten sie dazu bewo- täuschungen und Entmutigungen. Er ist gen, nämlich: «Die Liebe zur Gemein- die Kraft zur Hoffnung – trotz allem. Er schaft, das Vertrauen auf den Beistand ist die Kraft zur Liebe – auch wenn wir von oben, der ihr bis jetzt nicht gefehlt keine Gegenliebe, keine Dankbarkeit zu habe und der Glaube an das tägliche erwarten haben. Er ist die Kraft, die uns Gebet der Schwestern und die ihr bis- absichtslos das Gute tun lässt. her erwiesene Liebe.» Wir wissen es: Wir werden nie vollkom- Als sie schwer krank war und die men sein, sondern immer auf dem Weg Schwestern bangten, wie es ohne sie bleiben. Unsere Konstitutionen betonen weitergehen solle, sagte sie schlicht: in A 7: «Unser Leben ist somit der Ver- «Wenn ich sterbe, wird ein Generalka- such, etwas von jener Torheit der Liebe pitel gehalten, wobei es sich dann sichtbar zu machen, die Christus den schon geben wird.» So kann nur eine Tod am Kreuz, der Menschheit jedoch Frau sprechen, die dem Geist Gottes die Erlösung gebracht hat.» etwas zutraut. Ich möchte noch zwei Impulse anfüh- Viele andere Beispiele liessen sich an- ren, die besonders für die Corona-Zeit führen, die indirekt zeigen, wie Mutter ein Versuch sein könnten. In dieser Zeit M. Theresia mit dem Geist Gottes un- fühlen wir uns äusserlich einge- terwegs war. Der Geist Gottes ruhte schränkt, wir können uns nicht frei be- auch auf ihr und liess sie zu einer star- wegen. Darunter leiden wir mehr oder ken Frau werden. weniger. Beim Nachdenken spürte ich, dass das ja längst nicht alles ist: Der Glaube schliesst uns einen grossen in- Wie sind wir, von Gottes Geist neren Raum auf, in dem wir frei atmen bewegt, auf dem Weg? und uns bewegen können. Wenn ich also an äusseren Grenzen leide, könnte Christus hat uns allen seinen Geist ver- ich mich vielleicht nur einmal umwen- heissen und geschenkt: «Ihn hat er in den und in mich hineinsehen und dabei reichem Mass über uns ausgegossen», entdecken, dass da ein grosser innerer so der Titusbrief (Tit 3,6). Dieser Geist Raum ist, in dem der Glaube und die des Herrn hilft uns nicht nur, den Men- Hoffnung und die Liebe zu Hause sind. schen in leiblicher und geistlicher Not Es ist der Raum des Geistes und des 11
Gebetes. Es ist gleichsam der heilige lehr es fest zu glauben: Raum des Menschen. Vielleicht ist das Jesus erwartet mich. ein Auftrag, den inneren Raum mehr zu Wecke mich, Heiliger Atem, bewohnen und zu pflegen. mach du mich neu bereit in den Dienst zu treten Natürlich können in demselben inneren gegen die Traurigkeit. Raum auch die Angst, die Sorge und Gottes Geist, komm und erleuchte mich die Enttäuschung wohnen. Das gehört mit Entschluss und Rat. zu uns Menschen, dass wir gleichzeitig Sag: der Herr tut heute, verschiedene Geister, Gedanken und was er vor Zeiten tat. Gefühle in uns haben. Ich erinnere mich Fass du mich, Heiliger Atem, an Jesus, wie zu seinen wichtigen Hei- Gottesgeist, treib mich an. lungen die Austreibung böser Geister Dank für Christi Auftrag, Dank, gehört – wie im gestrigen Evangelium dass ich dienen kann. (Mk 1,21 – 28). Wer diese «bösen» Geis- ter auch sein mögen, Fridolin Stier Das Lied ist eigentlich ein persönliches nennt sie die «Aber-Geister»! Und die Gebet, eine Zwiesprache zwischen dem kennen wir wohl. Die Aber-Geister, die einzelnen Menschen und dem Geist so vieles lähmen und hindern. Der Geist Gottes: nimm – zünde an – zeig – komm Gottes will uns erlösen von solchen und berühre – lehr – wecke – mach be- Geistern. Das könnte in diesem Jahr reit – komm und erleuchte – sag – fass auch eine Aufgabe sein, dem Heiligen – treib an. Diese Verben, eigentliche Geist Raum zu gewähren gegen die Wirkworte, zeigen die ganze Breite, in Aber-Geister! der der Geist Gottes in uns wirken will – wenn auch wir wollen. Sag: Der Herr Noch ein letzter Gedanke: Im Kirchen- tut heute, was er vor Zeiten tat. gesangbuch finden wir starke Lieder zum Heiligen Geist. Eines hat es mir be- Unter den Bitten im Lied ist wohl jene in sonders angetan: Nimm du mich, Heili- der 4. Str. ein besonderer Auftrag für die ger Atem (KG 233): heutige Zeit: Nimm du mich, Heiliger Atem, Wecke mich, Heiliger Atem, mach du zünde dein Feuer an, mich neu bereit in den Dienst zu treten zeig den Weg, gib Antwort, gegen die Traurigkeit. aus der ich leben kann. Ein Werk der Barmherzigkeit für heute Gottes Geist, komm und berühre in der Corona-Zeit! mein mir verborgenes Ich, r 12
Die zweite Geige P. Emmeram Stacheder OFM, Ingenbohl Predigt am Hochfest des heiligen Josef 2021 Dass Josef aus Nazareth vor 150 Jahren zum Patron der Weltkirche proklamiert wurde, war Papst Franziskus am 8. Dezember 2020 ein Apostolisches Schreiben Wert. In diesem Text, namens «Patris corde» (Mit dem Herzen eines Vaters), widmet der Papst das Jahr 2021 dem heiligen Josef. Zudem wurde an diesem Tag unser neuer Bischof geweiht mit dem Namen Joseph. Im Kanton Schwyz ist der 19. März ein Feiertag. Die Predigt in der Klosterkirche möchten wir gerne mit vielen teilen. Liebe Schwestern! Tirol ist Josef bei der Geburtsszene dargestellt, wie er an der Feuerstelle Der berühmte Dirigent Leonard Bern- sitzt und für Mutter und Kind eine Sup- stein wurde gefragt: «Welches Instru- pe kocht. Das mag zum Schmunzeln ment ist am schwierigsten zu spielen?» anregen, aber dahinter steht eine wich- Seine Antwort überraschte den Journa- tige Aussage. Diese Art Darstellung ver- listen, als er sagte: «Die zweite Geige! mittelt ein Männerbild, das ein Kontra- Schauen Sie: Nicht nur im Orchester will punkt zu den patriarchalen Rollenzu- heute jeder die erste Geige spielen und weisungen ist. den Ton angeben. Jemanden zu finden, der die zweite Geige mit Begeisterung Der Theologe Josef Wittig hat schon im spielt, das ist eine schwere Angelegen- 19. Jahrhundert Josef als den Vertreter heit. Und jeder weiss es: Wenn man nie- eines neuen Männerbildes bezeichnet. manden hat, der diese wirklich gut D. h.: Es braucht Männer, die auch Ka- spielt, wird man niemals perfekte Har- renz in Anspruch nehmen. Männer, die monie im Klang des Orchesters haben!» kochen und Wäsche waschen, Windeln wechseln. Was lange Zeit belächelt und Der heilige Josef hat sein Leben lang an Stammtischen, dort wo die «richti- «nur» die zweite Geige gespielt. Er war gen Männer» sind, bespöttelt wurde, ist «bloss» der Ersatzvater. Der Ruhm der für viele moderne Väter heute normal ersten Geige, die seine Frau Maria geworden. Die Darstellung des kochen- spielte, ist ihm niemals zuteil geworden. den Josef an der Feuerstelle steht also Obwohl er «bloss» diese Rolle spielte, schon weit vor unserer Zeit für diese war er kein frustrierter Mensch. Durch Haltung. Das passt auch zur Kampagne seine Menschlichkeit konnte Jesus so in der Corona-Zeit: «Hausarbeit ist aufwachsen, dass es von ihm später mehr als Homeoffice.» hiess: «Er war bei Gott und Menschen beliebt.» Ist das alles zu Josef? Ich denke nicht. Die Hinweise aus dem Neuen Testa- Auf einem gotischen Freskenzyklus ment zeigen uns, dass er nicht nur am über das Leben Jesu in einer Kirche in Kochtopf war oder in der Werkstatt. In 13
den Kindheitsgeschichten bei Lukas und Matthäus wird Josef «aus dem Ge- schlechte Davids stammend» bezeich- net. Die Volkszählung und die Geburt Jesu in der Davidstadt Bethlehem un- terstreichen das noch. Das ist nicht nebensächlich, sondern für damals hochpolitisch. Wer mit König David und seinem Ge- schlecht in Verbindung gebracht wurde, der stand in Opposition zum Kaiser in Rom und seinen Statthaltern in Judäa. Nachfolger Davids zu sein bedeutete: im Widerstand zu sein. Josef lebte mit seiner Familie in Nazareth in Galiläa. Das war die Gegend des politischen Widerstands. Darum auch der Aus- spruch des Nathanael: «Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?» Heiliger Josef, Kloster Maria Hilf, Bühl, Baden Josef flieht mit Maria und dem Kind nach Ägypten. Warum ausgerechnet immer dort, wo es «Baustellen» gab, ob dorthin? Ägypten war jenes Land, wo in Familie oder Beruf. der politische Aufbruch des Volkes Is- rael begann. Der Auszug aus der An einer Hausfassade in Delft – Nieder- Knechtschaft in das Gelobte Land. lande – ist Josef mit Maria und Jesus «Aus Ägypten habe ich meinen Sohn dargestellt. Von Josef sind nur Gesicht gerufen», heisst es über Jesus. Er führt und Hände deutlich hervorgehoben. die Menschen aus der Knechtschaft Dieser Josef schaut über Frau und Kind der Sünde in die Freiheit der Kinder hinweg in die Ferne. Josef hat mehr im Gottes, in das Reich Gottes. Blick als das, was gerade vor Augen liegt. Auch dort in der belebten Strasse Josef wird in den Evangelien mit «Tek- in Delft. Ein stiller Hinweis, dass im Le- ton» bezeichnet, was so viel wie Bau- ben, in den Alltagspflichten und -ge- handwerker bedeutet. Er war im Leben schäften, mehr zählt als das, was vor 14
Augen liegt. Da geht es um das Zusam- wie es Bernstein gesagt hat, damit die menstehen und das Füreinandereinste- Harmonie des Orchesters im Leben hen. Da geht es um das einfühlsame stimmig ist. Menschen, die den Weit- Dasein statt schnelle Lösungen und blick haben über alles Alltägliche hi Hauruck-Aktionen. Da geht es um den naus. Menschen, die bei aller Unruhe Weitblick und das rechte Einschätzen die Ruhe bewahren und mit Entschie- der sozialen und politischen Lage. Da denheit das Gute tun. Wir brauchen sie geht es um das Grundvertrauen, dass mehr als diese ewigen Dumm-Schwät- miteinander auch ungute und missliche zer und Nervensägen, die das Leben Situationen durchgestanden werden oft so unerträglich machen und nie- können. Solche Menschen brauchen mandem dienen oder nützen, nur alles wir in Kirche und Gesellschaft. Men- und alle herunterziehen. Heiliger Josef, schen wie Josef. Menschen, die die bitte für uns und die Kirche in unserem zweite Geige mit Begeisterung spielen, Land. Amen. r 15
Ihr werdet meine Zeugen sein, Apg 1,8 Zeugin unserer Zeit – Schwester Edith Lang † Gestorben in Balupar, Patna, Provinz Indien Nordost Zusammengestellt von Sr. Elsit Ampattu, Generalrätin, Ingenbohl Das Redaktionsteam der «Theodosia» plant, das Leben und Wirken von Schwestern aus verschiede- nen Provinzen unter dem Titel «Zeugin unserer Zeit» vorzustellen. So werden wir von Zeit zu Zeit in- spirierende Persönlichkeiten unserer Kongregation kennenlernen. Voll Dankbarkeit blicken unsere indischen Mitschwestern auf das Leben von Schwester Edith Lang, deren Leben ein Versuch war, «allen alles zu werden» (1 Kor 9, 22). Ein Blick zurück Lang von uns im Asha Sadan, Holy Cross Convent, Balupar, Patna, Bihar, Die Schwestern in Indien sagen mit viel verabschiedet und ging heim in den Liebe und Respekt, dass Bettiah die Himmel (Sr. Edith = Sr. Irmtraud Lang, «Wiege der indischen Mission» sei. Die- die später wieder ihren Taufnamen an- ser Ausdruck führt uns in das Jahr 1894 genommen hat). Sr. Edith war die letzte zurück, als unsere europäischen Mis- europäische Missionarin in der Nordost- sionarinnen zum ersten Mal indischen Provinz. Jetzt sind nur noch zwei euro- Boden betraten, und dann die Mission päische Missionarinnen in Indien, Sr. Jo- in Bettiah, Nord-Bihar, begonnen ha- hanna Brandstätter, Süd Provinz, und ben. Im Jahr 2019 hatte ich Gelegen- Sr. M. Lucia Grabner, Zentral Provinz. heit, an der Jubiläumsfeier «125 Jahre Präsenz und Mission der Kreuzschwes- In der Tat ist Sr. Edith eine Zeugin unse- tern in Indien» teilzunehmen. Ich be- rer Zeit! Schwestern, die mit ihr gelebt suchte auch den Friedhof in Bettiah, auf haben, waren gerne bereit, einige per- dem die meisten der früheren Missio- sönliche Erfahrungen und Zeugnisse narinnen in Frieden ruhen. Es war ein mitzuteilen. Sowohl in Indien als auch in herzergreifender Moment, eine Reihe Europa hatten viele Paare, die Kinder von schön geschmückten Gräbern zu aus dem Kinderheim Delhi adoptiert ha- sehen. Ich wurde still, und mein Herz ben, die Möglichkeit, mit Sr. Edith in flüsterte: «Danke, liebe Schwestern! Ihr Kontakt zu kommen. Ihre Liebe, Aufop- seid unsere Fürsprecherinnen! Einen ferung, Fürsorge und Hingabe für die grossen Gruss an euch alle, ihr tapferen verlassenen Kinder waren eine Inspira- Frauen, die ihr Zeuginnen des 19., 20. tion für sie. Ihre Zeugnisse sind eben- und 21. Jahrhunderts seid!» falls in diesem Bericht enthalten. Am 26. August 2020 um 14.15 Uhr hat Sr. Edith Lang wurde am 31. Oktober sich unsere geliebte Schwester Edith 1927 geboren. Das war ein ganz beson- 16
sie voller Begeisterung und Liebe, den Armen und Bedürftigen zu helfen. Mitschwestern erinnern sich Sr. Mary James Monteiro lebte viele Jahre mit ihr zusammen und hat viele denkwürdige Erlebnisse mit Sr. Edith, die auch Kindheitserinnerungen mit ihr geteilt hat: «Als Sr. Edith ihre technische Ausbildung als Schneiderin beendet hatte, fragte sie ihre Mutter. ‹Wer ver- dient mehr, eine Schneiderin oder eine Schwester im Kloster?› Ihre Mutter ant- wortete: ‹Natürlich verdient eine Schnei- derin mehr Geld, aber eine Schwester verdient mehr für die Mission und rettet mehr Seelen für den Himmel.› Da ent- schied sie sich, in ein Kloster einzutre- ten, um Seelen für das Reich Gottes zu gewinnen. Im Juli 1947 trat Sr. Edith Lang in die Sr. Edith Lang, 60 Jahre Profess mit Sr. Mary Kongregation der Barmherzigen Schwes- James und Sr. Elisabeth Brandstätter tern vom heiligen Kreuz in Tirol, Öster- reich, ein. Ihre ersten Gelübde legte sie derer Tag für die Eltern Max und Frieda am 23. März 1952 ab. Vom ersten Tag Lang von St. Gerold, Vorarlberg, Öster- an im Kloster erwies sie sich als ein Ge- reich. Ihre Freude war grenzenlos, denn fäss, das ganz von der Liebe zu Gott die Familie wurde mit Zwillingen geseg- und zu den Menschen gefüllt war. Am net: Edith und Peter. Von ihrem Vater 13. April 1960 verabschiedete sie sich erbte sie die Eigenschaften Fleiss, Sorg- von ihrer Familie und Heimat und reiste falt und Organisationstalent, von ihrer nach Indien. Obwohl ihr der Ort, die Mutter das liebevolle und fürsorgliche Menschen, die Sitten, die Traditionen, Wesen. Schon als kleines Mädchen war die Umgebung und die Sprache völlig 17
fremd waren, stellte sie sich mutig ganz Energie. Die Kinder und die Schwestern der Aufgabe, ihre mitfühlende Liebe mit in der Gemeinschaft nannten sie liebe- den armen und bedürftigen Frauen der voll ‹Nani›. Nani ist das Hindi-Wort für St. Rita’s Knitting School Bettiah, West Grossmutter.» Champaran, Bihar, zu teilen. Von 1960 bis 1972 widmete sie sich ganz dem Sr. Pauline Kerketta, die ihre Assisten- Wohl dieser Frauen, die merheitlich Wit- tin im Ozanam-Heim in Delhi war, sagt: wen waren. Eines ihrer besonderen An- «Sr. Edith war so bemüht, jedes Bedürf- liegen war die Erziehung der Kinder von nis der Bewohner so bald wie möglich armen Familien. zu erfüllen, dass auch ich lernte, schnell auf Situationen zu reagieren und ande- Von 1984 bis 1995 reagierte Sr. Edith auf ren zu helfen. Wir haben regelmässig die Not der Zeit und übernahm die Ver- mit den Bewohnern gebetet und ihnen antwortung für das ‹Ozanam-Heim›, ein das Beten beigebracht. Das Heim war Heim für verlassene alte Menschen in immer voll mit armen Menschen. Es Delhi. Ohne jegliche Berührungsängste gab viel zu tun, trotzdem bereitete sie kümmerte sie sich Tag und Nacht um sich jeden Tag eifrig auf die heilige sie und bereitete sie liebevoll auf die Be- Messe in der Rosenkranzkirche vor.» gegnung mit dem Herrn vor, indem sie friedlich bei ihnen wachte und mit ihnen Sr. Pushpita Chathamalil, die Provinz- betete. 1996 übernahm sie die Verant- oberin der Nordost-Provinz, teilt ihre Er- wortung im Holy Cross Social Service fahrung mit, die sie für kurze Zeit mit Centre in Delhi, das sich um verwaiste Sr. Edith gemacht hat: «Das Geheimnis Babys und Kinder kümmert. Eines Ta- von Sr. Edith Langs Erfolg als Ordens- ges sagte sie: ‹Als ich jung war, habe ich frau war ihr strahlendes und anstecken- mich um die alten Menschen geküm- des Lächeln, ihre kindliche Einfachheit, mert, und jetzt in meinem hohen Alter ihr Optimismus, ihre systematische Ar- habe ich das Privileg, mich um die Klei- beit, ihr unbedingtes Vertrauen auf das nen zu kümmern.› Sie war sehr aufmerk- göttliche Eingreifen, ihre herzliche Wert- sam und kreativ für die Bedürfnisse der schätzung für ihre Mitarbeitenden und Kleinen. Für sie war jedes Kind ein kost- ihre harmonische Beziehung zu den bares Geschenk Gottes. So knüpfte sie Oberinnen und den Mitschwestern. Ihre zu jedem von ihnen einen Herz-zu-Herz- sachliche Einstellung zu den Bedürfnis- Kontakt, und nichts konnte sie von die- sen der Menschen, die sie im Kinder- ser liebevollen Aufgabe abhalten. Sie heim und im Ozanam-Heim in Delhi be- zählte nie die Kosten für ihre Zeit und suchten, inspirierte sowohl die Men- 18
schen als auch die Schwestern in der und Liebe zu empfangen. Der Schmutz Gemeinschaft. Selbst wenn das Leben und der Gestank hinderten sie nicht da- in der Gemeinschaft nicht so angenehm ran, das Kind in ihr Herz und in ihre war, blieb sie ruhig und gelassen mit Arme zu schliessen. Ihre Zuneigung einem Lächeln. Sie hegte keinen Groll und Freundlichkeit zog die Kinder mehr gegen diejenigen, die sie verletzt hatten. zu ihr hin als zu irgendjemand anderem Sie vertraute auf die Gnade Gottes und im Haus. Die Besucher betrachteten sie nicht auf menschliches Tun.» als eine besondere Person und fragten nach ihr, wenn sie sie nicht sahen. Man Sr. Teresa Dorjee, eine Rätin der indi- fand sie immer entweder bei den Kin- schen Ostprovinz, Siliguri, hatte die Ge- dern oder beim Nähen und Ordnen von legenheit, mit Sr. Edith Lang in Delhi zu Kinderkleidung. Sie bleibt ein Vorbild leben und teilt ihre Bewunderung: und eine Inspiration für uns alle.» «Sr. Edith war die eifrigste und leiden- schaftlichste Ordensfrau, mit der ich je Sr. Lucy Jose Kakkarakunnel war gelebt habe. Ihre Einfachheit und ihre Oberin des Kinderheims. Sie teilt ihre unübertroffene Hingabe für einen guten schönen Erinnerungen in einigen Worten: Zweck sind in der Tat zutiefst bewun- «Sr. Edith strahlte die Liebe Gottes aus dernswert. Ich war in der Gemeinschaft und tat alles mit grosser Leidenschaft. in Mukherjee Nagar, Delhi, als Studen- Sie kümmerte sich um die Armen und tin. Obwohl sie sehr beschäftigt war, Bedürftigen, unabhängig von Kaste, wartete sie immer auf meine Rückkehr Glaube, Alter und Geschlecht. Sie res- vom College und sorgte dafür, dass ich pektierte jeden Menschen und sah Gott etwas zu essen bekam. Sie liebte junge in jedem. Schwestern; wir scherzten und lachten Unsere geliebte Schwester Edith, und hatten viel Spass zusammen. Ihre wir vermissen dich. Anwesenheit war anregend und inspi- Du hast eine Leere in unseren rierend. Sie war immer die Erste, die ihr Herzen hinterlassen. Zimmer für Besucher freimachte, da wir Deine Scherze und dein Lachen in Delhi nicht genug Zimmer hatten. klingen in uns nach. Wenn die Polizei in Delhi verlassene Du einzigartiges, kostbares Juwel, Kinder fand, rief sie uns jeweils an, um Du bist unsere Fürsprecherin sie in unser Waisenhaus zu bringen. Ich im Himmel.» bin ein paar Mal hingefahren, um Kinder von Polizeistationen zu holen. Sie war Sr. Albina Kisku, von der Tripolia Ge- immer präsent, um das Kind mit Wärme meinschaft schreibt: «Dankbar erinnere 19
Mita lernt ihre Adoptivmutter kennen ich mich an die drei bedeutungsvollen Einmal habe ich zufällig gehört, wie Jahre, die ich als junge Schwester mit unsere Oberin zu einer anderen ihr verbracht habe. Sr. Edith Lang war Schwester in der Gemeinschaft sagte: mein Vorbild, deren Leben und Sen- ‹Ich kann mir dieses Haus ohne dung mich zutiefst beeindruckt hat. Ich Sr. Edith nicht vorstellen.› Das hat mich war sehr berührt von ihrer Nächstenlie- zutiefst berührt. Ihr Herz war offen für be, die sie in- und ausserhalb der Ge- alle – Erwachsene und Kinder. meinschaft übte. Selbst mit einem Fremden ging sie um wie mit einem Be- Von Zeit zu Zeit schickten ihre Verwand- kannten. Sie behandelte sie mit viel Lie- ten etwas Geld für unser Kinderheim. be, Zuneigung und Rücksicht. In ihrer Immer wenn sie gebeten wurde, einen Anwesenheit blieb keiner unbemerkt. Teil für sich selbst zu nehmen, lehnte sie Wann immer Eltern von adoptierten das rundweg ab und sagte: ‹Es ist für Kindern aus Deutschland, der Schweiz, unsere Kinder bestimmt. Sie haben es Italien oder Österreich das Kinderheim am meisten verdient, und ich kann sie in Delhi besuchten, fühlten sie sich sehr nicht berauben.› Es schien, dass sie es geehrt und wie zu Hause, da sie mit ih- genoss, ihr Armutsgelübde in vollen Zü- nen in ihrer eigenen Sprache sprach. gen zu leben. Sie besass nur das Nö- 20
ben, eine Kreuzschwester in Indien, eine sehr liebevolle Person voller Res- pekt für die Menschen. Sie ist für uns ein Vorbild, dem wir im Leben folgen sollten. Sie wird nie vergessen werden.» Prof. Dr. Arno Steudter ist auch ein Wohltäter des Kinderheims in Delhi und hilft vielen Armen und Ausgegrenzten, ihre Würde wiederzuerlangen. Er hat auch ein Kind aus diesem Kinderheim adoptiert. Er schrieb: «Wir alle in Deutschland, die Kinder aus Delhi ad- optiert haben, sind sehr traurig, dass Schwester Edith am 26. August 2020 verstorben ist. Für uns Eltern und unsere Sr. Edith im Kinderheim Delhi adoptierten Kinder aus dem Holy Cross Social Service Centre in Delhi war tigste. Eines ihrer Hobbys war es, die Schwester Edith eine warmherzige, zerrissenen Kleider zu flicken, sei es ihre herzliche und wunderbare Schwester, eigenen oder die der Kinder. Ohne Zwei- die sich so unendlich um unsere kleinen fel hatte sie Gespür für franziskanische Kinder gekümmert hat. Ich kann mich Armut. Man kann von ihr wohl sagen: noch sehr gut an den Moment erinnern, ‹Eine lebende Heilige unserer Zeit›». in dem meine Frau Claudia und ich un- sere erste Begegnung mit Schwester Edith hatten. Es war der 8. Dezember Bekannten ist aufgefallen 2001, als wir zum HCSSC Delhi fuhren, um unsere Tochter Mita zu treffen. Es Herr Norbert Scheiwe ist unser Wohl- war das erste Treffen im Wohnzimmer täter aus Deutschland, der ein Kind aus des alten HCSSC-Hauses mit Schwester dem Kinderheim in Delhi adoptiert hat. Edith, Schwester Lucy Joseph und Mita. Er ist ein regelmässiger Besucher in Es war der Beginn einer wunderbaren den indischen Provinzen und hilft finan- Zeit mit Mita in unserer Familie. Deshalb ziell bei vielen unserer Projekte. Er sind wir sehr dankbar, und Schwester schrieb: «Wir alle sind sehr dankbar, Edith ist immer in unseren Gedanken diese wunderbare Frau gekannt zu ha- und wir werden für sie beten.» r 21
Den Jahren Leben geben Sr. Liliane Juchli † Sr. Edelina Uhr, Elisabethenheim Bleichenberg, Provinz Schweiz Sr. Liliane Juchli hat im Auftrag unserer Gemeinschaft jahrzehntelang «durch ihr Schaffen für die Krankenpflege beigetragen zur diakonischen Kirche und zur heilenden Dimension des Glaubens». Im Jahr der Pflege durfte sie am 30. November 2020 im Haus für Pflege heimgehen. In Fachkreisen ist ihr Wirken über die Landesgrenzen hinaus gewürdigt worden. Sr. Edelina bringt als Mitschwester, ehemalige Schulleiterin für Krankenpflege und Provinzoberin einen anderen Aspekt zur Sprache. Alt werden in der Gemeinschaft 1995 hat sich unsere Provinz stark mit dem Älterwerden unserer Mitschwes- tern auseinandergesetzt. Dabei wurde auch die Option für das Alter getroffen. Im Anschluss daran hat sich Schwester Liliane zusammen mit Schwester Wibo- rada Elsener intensiv mit dieser Thema- tik auseinandergesetzt. Sie hat ver- schiedene Modelle entwickelt, die in der Ordenslandschaft einmalig waren. Sr. Liliane Juchli 1933 – 2020 Zum Einen war es eine Fachausbildung Schwester Liliane verstand es, ihr Wis- für Schwestern, die betagte Schwestern sen «herabzubrechen», verständlich begleiten, betreuen und pflegen, es und nachvollziehbar zu machen für die ging um Sinnfindung und Lebensge- Kursteilnehmerinnen. Aber, wie es ih- staltung im Alter. Wie ich Schwester Li- rem Wesen entsprach, hat sie auch he- liane immer erlebte, so ging es auch in rausgefordert. Das hat bei vielen dieser Fachausbildung zuerst darum, Schwestern Fähigkeiten herausgelockt, bei sich selber zu schauen, und das bei die sonst verborgen geblieben wären. jedem sogenannten Baustein: Das war eine Stärke von Schwester Li- Mein Lebens- und Glaubensweg – liane in ihrem ganzen Leben als Kran- Lebensprozesse und Übergänge kenschwester, Lehrerin für Pflege, Wege zur Lebensganzheit – Schulleiterin, Dozentin: Fordern und Sorge für das Leben fördern! Abschiedlich leben – Pflege ist mehr als… War der Kurs zunächst nur für unsere Sich auf den Weg machen eigenen Schwestern gedacht, kamen 22
bald viele Anfragen von anderen Klös- 5. Baustein tern im In- und Ausland; einerseits weil Wendezeiten der Frau – mein eigenes alle Klöster sich mit dem Älterwerden Frau- und Ordensfrausein der Schwestern befassten, andererseits, 6. Baustein weil das gute Echo der Kurse sich rasch Mitte des Lebens – Leben zwischen verbreitete. So waren die Kurse bald Spannung und Versöhnung kongregationsübergreifend gemischt, 7. Baustein was für alle eine Bereicherung war. Alter als Chance – Vision und Hoffnung Die Übersicht allein zeigt den Reichtum Zum Andern waren es zwei Kurse: dieses Kurses und das Anliegen der «Chancen ab 60 und Chancen ab 70», Ganzheitlichkeit auf. die das Älterwerden der einzelnen Schwestern unterstützt und bereichert Für ihre Anliegen hat sie bis zum haben. Den Kurs «Chancen ab 60» Schluss alles gegeben und an deren habe ich selbst besucht. Zeit zu haben Verwirklichung geglaubt, nämlich: für die Auseinandersetzung mit folgen- Raum schaffen für menschliche, religiö- den Themen war eine Bereicherung: se, kulturelle und schöpferisch-gestal- 1. Baustein terische Bildung, die das Ganzheitliche Und plötzlich bin ich alt – mein Lebens- und das Zeitgemässe beinhaltet, An- und Glaubensweg passungsfähigkeit an die Bedürfnisse 2. Baustein der Zeit, dabei aber die Selbstpflege Übergänge und Reifewege – Heilsge- nicht vernachlässigen. schichte und Berufungsweg 3. Baustein Dir, liebe Schwester Liliane, ein grosser Gesundheit als Gabe und Aufgabe – Dank von mir und uns allen und eine Pflege das Leben, auch Deines tiefe Wertschätzung über den Tod hi 4. Baustein naus. Grenzsituationen des Lebens – Wege zur Lebensganzheit Schwester Edelina Uhr r 23
Erinnerungen an Perm Sr. Filipa Macháčková, jetzt Kroměříž, Provinz Tschechien Die Mission in Perm begann im Jahr 2002. Der damalige Pfarrer hat für die pastorale Tätigkeit und die Sozialarbeit in der Pfarrei Perm um die Unterstützung unserer Schwestern gebeten. Die drei Schwestern Sr. Katarína Jureková (SK), Sr. Petra Krištofíková (SK) und Sr. Filipa Macháčková (CZ) ha- ben in den zurückliegenden 18 Jahren segensreich in der Pfarrei gewirkt und mitgeholfen, das Ge- meindeleben in der Pfarrei aufzubauen. Sie haben mit den Menschen gelebt, ihr Los geteilt und ver- sucht, etwas vom Evangelium, von Jesus Christus sichtbar zu machen. Sie haben nun ihren Auftrag im November 2020 im Namen der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz beendet. Aus ihrem reichen Schatz der Erinnerungen holt Sr. Filipa einige schmerzliche und freudige hervor und teilt sie mit uns. Aller Anfang ist schwer einem Blockhaus, ungefähr eine halbe Stunde Busfahrt von der Kirche ent- «So führt uns Gott an verschiedene fernt, in einer kleinen Siedlung von Orte, um für seine Ehre und zum Wohl 5-stöckigen Häusern, nicht weit vom der Menschen zu wirken.» Zentrum einer Millionenstadt. Hier lern- P. Theodosius Florentini ten wir Menschen, Kultur und Mentalität kennen. Die Pfarrgemeinschaft begeg- Die Stadt Perm in Russland ist einer der nete uns mit grosser Offenheit. Unsere Orte, wohin uns Gott geführt hat. Dem Hauptaufgabe bestand darin zu lernen, Antrag der Pfarrei zufolge halfen wir seit die Menschen zu verstehen, die anders dem Jahre 2002 mit der Pfarrkatechese waren als wir, und den Weg zu ihnen zu aus, und wir bemühten uns im Sinne suchen. Das geschieht vor allem durch unseres Charismas, mit den Menschen die Sprache. Deswegen nahmen wir am in diesem räumlich ausgedehnten Land Sprachunterricht der Dozentin der Phi- auf dem Weg zu sein. Unsere wenigen lologie Irina Nikolajevna teil, die unserer Zeilen sind so etwas wie eine kleine Re- Pfarrei angehörte. Sie versuchte, uns miniszenz, eine Erinnerung nach etwas auch mit der russischen Kultur bekannt mehr als 18 Jahren «Arbeit». Aber es ist zu machen – mit der hohen Kultur von viel eher eine Erinnerung daran, wie uns Literatur, Musik, Ballett, Theater, denn der Herr geführt hat. das Äussere der Stadt war das Gegen- teil davon. Die Menschen schienen uns Perm empfing uns mit einer Menge finster und verschlossen zu sein, sie Schnee und Frost, so wie sich die meis- grüssten einander nicht. In der Stras- ten von uns Russland vorstellen. Unser senbahn gab es oft Streit. Erst später erstes «Kloster» war eine 4-Zimmer- nahmen wir wahr, dass die grobe Scha- wohnung mit einer winzigen Küche in le ein gutes und weiches Herz birgt. 24
Trotzdem war die Anfangszeit sehr Eine unserer ersten und sehr schweren schwer. Das, was wir früher über Russ- Erfahrungen war die Zusammenarbeit land gehört hatten, von Hunger nach mit der amerikanischen Organisation Geistigem, von Menschen, die nach «Liebesbrücke», deren Ziel es war, den dem Sinn des Lebens in der Kirche su- Strassenkindern zu helfen. In den 90er chen, bestätigte sich nicht. Wir sind zu Jahren fielen aufgrund des zerfallenden der Zeit gekommen, als die erste Welle staatlichen Systems viele Kinder aus der Suche nach dem Spirituellen nach Schule und Familie. Sie begannen, auf der Perestrojka schon vorbei war. der Strasse zu leben. Kriminalität und Drogenhandel usw. stiegen an. Ein paar Jahre lang halfen wir bei dieser Organi- Auf der Suche nach Aufgaben sation aus, versuchten mit den Kindern in Kommunikation zu treten, sie zu mo- Zugleich entstanden die historisch ers- tivieren, Menschen in Krankenhäusern ten katholischen Diözesen, was zu stür- und Gefängnissen zu besuchen. Lang- mischen Reaktionen in der Gesellschaft sam beruhigte sich die Situation im führte. Der Priester, auf dessen Einla- Land, und es sank das Bedürfnis nach dung wir gekommen waren, entschied dieser Tätigkeit. Zu dieser Zeit kam die sich nach einem halben Jahr, nach Po- Nachfrage eines Schuldirektors nach len zurückzukehren. Er war erschöpft. Aushilfe im Unterricht bei einer Klasse Er hinterliess eine gut geleistete Arbeit, Roma-Kindern. Wir halfen der Lehrerin gute Beziehungen mit anderen Konfes- vor allem im praktischen Unterricht. Es sionen und Religionsgemeinschaften. war eine schöne Erfahrung der Zusam- Deshalb spürten wir die interkonfessio- menarbeit mit der Lehrerin, der Schul- nelle Spannung nie besonders stark und leitung, und wir knüpften freundschaft- hatten deswegen z. B. keine Probleme liche Beziehungen, die über diese Tä- mit unseren Dokumenten o. ä. Und doch tigkeit hinaus erhalten geblieben sind. war die erste Etappe nicht einfach. Am Nach vier Jahren übersiedelten die mühsamsten war es, eine Tätigkeit, eine Roma in eine andere Stadt, die Schule Arbeit zu finden. Es reicht nicht nur «mit wurde geschlossen, und so beendeten den Menschen» zu sein, das «Sein» wir auch unsere Tätigkeit hier. musste eine Form bekommen, musste in der Arbeit für das Wohl der Menschen Eine ähnliche Aufgabe fanden wir in Gestalt finden. Auf diesem Feld ver- einem Kinderheim, in dem wir uns den suchten wir viele Wege zu gehen, um Kindern in ihrer Freizeit widmeten. Die- dem Menschen nah zu sein. se Aufgabe übten wir 15 Jahre lang aus. 25
Betreuung von betagten Menschen Ich nenne nur ein Beispiel einer älteren Frau, um die wir uns fast 15 Jahre mit Eines der wichtigsten Bedürfnisse, das Hilfe ihrer leiblichen Schwester geküm- wir als Priorität sahen, war die Betreu- mert haben. Einmal pro Woche besuch- ung der Alten und Kranken in ihren ten wir sie, kauften für sie ein, kochten, Haushalten. Dieses Anliegen begleitete räumten auf, halfen bei der Hygiene. uns während der ganzen Zeit. Ich kann Frau Irina erzählte oft mit Lachen, was nicht über alle schönen Begegnungen für Vorstellungen sie hatte, bevor sie mit älteren Menschen sprechen, die wir uns kennenlernte. Als sie erfahren hat- betreut und gepflegt haben. Viele von te, dass sie von katholischen Ordens- ihnen sind schon heimgegangen. Unter frauen betreut werde, bekam sie Angst. den Leuten waren nicht nur Mitglieder Sie stellte sich ältere, strenge, trübe unserer Pfarrei. Diese Aufgabe half uns, Frauen vor – und das Gegenteil war der den Menschen nahe zu stehen und die Fall. Oft bat sie uns, länger zu bleiben, Barrieren der Vorurteile und Ängste vor damit sie uns einfach nur anschauen Katholiken zu überwinden. konnte. Sr. Filipa, Sr. Katarina und Sr. Petra mitten unter Pfarreiangehörigen 26
Pfarrkatechese Noch eine Tätigkeit half uns, tiefer in die Gesellschaft zu kommen – die Führun- Was die Pfarrkatechese betrifft, war der gen in der Kirche. Unsere Kirche war Beginn sehr schmerzlich und fast trau- ein historisches Gebäude, und es gab matisch. Zur Katechese kam fast nie- nicht viele in Perm. Am meisten kamen mand, ausser Zwillingen, die auch in Schüler und Studenten, die die Synago- der Sonntagsmesse waren. Ich erinne- ge, die Moschee, die protestantische re mich oft an den heutigen Bischof Ni- Kirche und unsere Kirche besichtigten. kolaj, der damals sagte: «Nach Russ- Es war für uns sehr schön zu erfahren, land kommen Missionare, um zu säen.» dass sie am liebsten dort hingingen, wo Aber es zeigt sich, dass es nicht einmal die Führung mit einem ungewöhnlichen die Zeit zum Säen war, sondern erst die Akzent war – und das war bei uns. Zeit, um den Boden vorzubereiten. Ich kann nach fast 20 Jahren sagen, dass Ein Jahr nach unserer Ankunft sind wir es wirklich so ist. Die Pflanze des Glau- in ein 9-stöckiges Haus umgezogen, bens ist noch sehr zart, und man muss nahe der Kirche. Unter so vielen Men- für sie mit besonderen Aufmerksamkeit schen zu wohnen, war für uns auch sorgen. eine Erfahrung einer ungezwungenen Nähe der Menschen in ihrem Alltag. Sie Wir haben keine Früchte erwartet und hatten sich zwar lange an uns gewön- doch: Vor unserem Abschied von der nen müssen, aber letztendlich sind wir Pfarrei wurden in vielen jungen Familien ein Bestandteil ihres Lebens geworden. Kinder geboren. Wir konnten dabei Ohne es zu ahnen, teilten wir sozusa- auch Freude über unsere katechetische gen ihr Zuhause mit ihnen. Arbeit erleben, Freude über neues Le- ben in der Pfarrei. Unsere Pfarrei wurde zu einer jungen Pfarrei, und das erfüllt Langsamer Abschied uns mit grosser Hoffnung, dass unser Werk weiter lebendig bleib und besteht. Im Jahr 2019 wurde die Entscheidung In den letzten zehn Jahren gab es in der getroffen, die Arbeit in Perm zu been- Pfarrei mehrere Kinder, für die wir Som- den. Vor uns stand ein Jahr der Über- merlager organisieren konnten. Diese gabe unserer Tätigkeit in der Pfarrei. sind in der Erinnerung der Menschen Die Nachricht von unserem Abschied lebendig geblieben. Dazu trug auch die löste in der Pfarrei grosse Trauer aus. gute Zusammenarbeit mit unserem Die Pfarrmitglieder nannten die Zeit Pfarrer, Vater Dimitrij, bei. unseres Wirkens «Flitterwochen», und 27
das half jedem, die Realität positiv an- Angesichts der schweren pandemi- zunehmen. Die Verbreitung der Covid- schen Situation war die Flugverbindung 19-Infektion beeinflusste auch den Pro- mit Europa sehr ungewiss. Unsere Flü- zess des Abschiednehmens. Fast ein ge wurden mehrmals versetzt, und so halbes Jahr war es schwierig, über- war auch der Abschied von der Pfarrei haupt zusammenzukommen. Aber wir sehr einfach und bescheiden. Doch die durften noch erleben, dass nach zwei Emotionen gingen trotzdem hoch – vor Jahren Vorbereitung vier unserer Mäd- allem bei den Kindern in ihrer Unmittel- chen zur Erstkommunion kamen. Es barkeit und Freundlichkeit. war ein wunderschönes Fest. Dank Nun möchten wir unseren Dank an die Schwestern aussprechen, die uns wäh- rend der ganzen Zeit in Perm mit ihrem Gebet begleitet haben. Wir möchten uns auch bei allen bedanken, die uns mit ge- strickten Sachen versorgt haben. Wir glauben, dass diese Zeichen ein Zeugnis waren für die Menschen, ein Zeugnis der Verbundenheit quer durch alle Alters- schichten und Nationalitäten. Wir dan- ken Ihnen von Herzen und bitten Sie um Ihr Gebet für unseren neuen Beginn. Sr. Filipa und Sr. Petra Die Schwestern aus Perm r 28
Jeder unter der Sonne ist mein Bruder und meine Schwester Sr. Veera Bara Namugongo, Kampala, Uganda Die Internationale Union der Generaloberinnen (UISG) in Rom hat anlässlich ihres 50-jährigen Be- stehens im Jahr 2015 ein interkongregationales und internationales Projekt zur Begleitung von Mi granten in Sizilien gestartet. Unsere Kongregation hat sich seit Beginn an diesem Projekt beteiligt. Unter den zehn ersten Schwestern aus acht verschiedenen Kongregationen war auch Sr. Veera Bara vom Vikariat Uganda. Sr. Veera setzte sich sehr engagiert ein, um den Migranten aus den afrikani- schen wie auch aus den asiatischen Ländern beizustehen. Sie nahm sich das Motto des UISG-Pro- jektes zu Herzen: für die Migranten und die italienische Bevölkerung eine Brückenbauerin zu sein. Nach fünf Jahren verlässt sie dieses Projekt und kehrt nach Uganda zurück, um ihre neue Aufgabe in der Vikariatsleitung zu übernehmen. Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie konnte Sr. Vee- ra nicht wie geplant im Sommer nach Uganda zurückkehren. Sie beendete ihr Wirken am 12. Septem- ber und reiste erst am 20. November zunächst nach Indien und ist nun bereits nach Uganda zurück- gekehrt. Von dort aus berichtet sie von ihren Erfahrungen. Der Ausspruch unseres Gründers, den Menschen in Sizilien säen und sie P. Theodosius Florentini, «Jeder unter begleiten. der Sonne ist mein Bruder und meine Schwester», wurde in mir lebendig, als Im Bewusstsein, dass Religionsfreiheit ich die letzten fünf Jahre (2015 –2020) in ein Zeichen des friedlichen Zusammen- Sizilien, im südlichen Teil Italiens, mit lebens ist, lebten wir vor, dass wir Kinder Flüchtlingen lebte. Wenn ich auf diese Gottes sind, indem wir immer wieder mit fünf Jahre zurückblicke, bin ich voll christlichen und muslimischen Flücht- Freude und Dankbarkeit. lingen beteten, entweder in ihren Fami- lien oder in Kirchenräumen. Der Res- Unser Einsatz für die Flüchtlinge in Si- pekt, den wir für die Kostbarkeit des zilien entsprach einer Bitte von Papst Lebens und für die Würde und Freiheit Franziskus an die UISG – Internationale des anderen zeigten, durchbrach die Vereinigung von Generaloberinnen Mauern der Diskriminierung und Gewalt. im Jahr 2015. Wir, zehn Ordensschwes- Wir teilten die geistlichen und morali- tern aus verschiedenen Kongregationen schen Werte im Geist der Evangelisie- mit unterschiedlichen Charismen und rung, und Gott überraschte uns mit eini- Spiritualitäten, wurden ausgewählt, da- gen Migranten, die um die Taufe baten. mit wir kleine Gemeinschaften bilden, Hoffnung leben, Zeichen der Einheit Ich bin Gott sehr dankbar für meine Be- seien, Brücken bauen und den Samen rufung in die Kongregation der Barm- der Versöhnung und des Friedens unter herzigen Schwestern vom heiligen 29
Kreuz, die es mir ermöglichte, unser sis der globalen Familie unter der glei- Charisma und das Motto der Kongre- chen Sonne und der einzigen Sonne zu gation in einem unbekannten Land un- finden. ter fremden Menschen mit anderer Kul- tur und Religion zu leben. 90% der Eines unserer Hauptziele der Mission Flüchtlinge und Migranten, unter denen war es, zwischen Bürgern und Auslän- ich lebte und arbeitete, waren Muslime. dern, zwischen Reichen und Armen, Die unbewusste Angst, die sich ihnen zwischen Ärzten und Kranken, zwi- gegenüber in mir angesammelt hatte, schen Behörden und Untertanen, zwi- begann zu verschwinden, als mir die schen ethnischen Gruppen und Religio- Worte unseres Gründers neu aufgingen: nen Brücken zu bauen. Dies war mit «Jeder Mensch unter der Sonne ist Hilfe der örtlichen Kirchenführer und mein Bruder und meine Schwester.» Behörden verschiedener Verbände Diese Aussage stärkte mich und mir möglich. und die Bindung der Brücken wurde wirklich bewusst, dass alle Men- wurde immer stärker mit festen Steinen, schen Kinder des einen Gottes und Va- Zement und Sand der Liebe und der ters sind. Diese Einstellung half mir, Zusammenarbeit. Ich erinnere mich Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, dankbar an Bischof Mario Russotto von Glaubensbekenntnisse, ethnischer Caltanissetta, den Diözesandirektor der Gruppen und Bildungsstatus den nöti- Caritas, die Leiterin des Diözesanbüros gen Respekt und die hohe Würde ent- für Migranten, die Anwälte, die Sozial- gegenzubringen. Dabei fühlten wir uns behörden der Stadt, die Leiter der so- untereinander wohl. ziokulturellen Einrichtungen, die ver- schiedenen Schulverwaltungen und Die vier Säulen unserer Mission, die Papst Franziskus vor Beginn unseres Einsatzes genannt hatte, waren: «Auf- nehmen, integrieren, fördern und schüt- zen.» Sie gleichen eigentlich unserem Charisma «Option für die Armen» und unserem Motto, «Das Bedürfnis der Zeit ist der Wille Gottes». Die Vorgehenswei- se, das Sprechen, das Zuhören, das Betrachten, das Verstehen und das Wahrnehmen der Situation des anderen hat mir geholfen, eine gemeinsame Ba- Sr. Veera links 30
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