TOCHTERUNTERNEHMEN DEUTSCHER KONZERNE IN DEN USA UND IHR VERHÄLTNIS ZU US-AMERIKANISCHEN GEWERKSCHAFTEN - IG Metall
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01 | 2018 TOCHTERUNTERNEHMEN DEUTSCHER KONZERNE IN DEN USA UND IHR VERHÄLTNIS ZU US-AMERIKANISCHEN GEWERKSCHAFTEN Wilma B. Liebman, Rutgers University School of Management and Labor Relations, New Brunswick, New Jersey, USA I. EINLEITUNG: mehr Einfluss haben sollten. Im Jahr 2009 waren es noch LANDSCHAFT DER EXTREME 25 Prozent. Gleichzeitig waren allerdings auch 35 Pro- zent der Befragten der Ansicht, die Bedeutung von Ge- Schon vor rund 20 Jahren beschrieb der US-amerikani- werkschaften sei zu groß. Bei den Parteigängern der De- sche Wissenschaftler Thomas Kochan1 die industriellen mokraten wünschten sich 55 Prozent mehr Einfluss der Beziehungen in den USA als »Landschaft der Extreme«. Gewerkschaften, bei den Republikanern waren es jedoch Die Spannbreite reiche von unversöhnlichem Lagerden- nur 18 Prozent.3 Die Amerikaner sind also auch in dieser ken und Union Busting bis hin zu ausgeprägt kollaborati- Frage tief gespalten. ven strategischen Partnerschaften. Das Gros, so Kochan, liege jedoch dazwischen und könne vielleicht als Waffen- Die Beziehungen von Tochterunternehmen deutscher stillstand oder mehr oder weniger friedliche Koexistenz Konzerne zu US-amerikanischen Gewerkschaften müssen charakterisiert werden. Vor etwa fünf Jahren fragte ich in diesem Kontext bewertet werden. Und es scheint, dass Kochan, ob er die Situation noch immer so beschreiben sie sich ähnlich verhalten wie US-Unternehmen. Das von würde. Seine Antwort: Es sei jetzt noch schlimmer. Thomas Kochan beschriebene Spektrum findet sich auch bei ihnen – mit einer Ausnahme: Die meisten wollen die Tatsache ist, dass die Arbeitsbeziehungen in den USA Extreme und den kritischen Blick der Öffentlichkeit lieber schon immer eine Landschaft der Extreme waren. Aber vermeiden. die Extreme liegen heute deutlich weiter auseinander, insbesondere aufgrund der Haltung der Unternehmen. In Obwohl die meisten deutschen Firmen zu Hause (und den letzten Jahren sind die Auseinandersetzungen zwi- weltweit) mit Gewerkschaften zusammenarbeiten, haben schen Arbeit und Kapital erbitterter geworden. Das spie- viele von ihnen ihre US-Niederlassungen in den ausgewie- gelt den Zustand unserer Politik wider. Die Entwicklung sen gewerkschaftsfeindlichen Südstaaten errichtet – mit ist vergleichbar mit der Radikalisierung der Republika- deren spezifischer Geschichte, Wirtschaft und politischer nischen Partei. »Es ist noch schlimmer, als es aussieht«, Kultur sowie den dort überall geltenden Right-to-Work- brachten es unlängst die Politikwissenschaftler Thomas Gesetzen.4 Auch wehren sie sich so lange gegen eine ge- Mann und Norman Ornstein auf den Punkt.2 werkschaftliche Organisierung, bis sie gezwungen sind, sie zu akzeptieren. Gewerkschaften und Arbeitsrechtler Tatsächlich dürfen die Arbeitsbeziehungen in den USA nicht isoliert von der Politik betrachtet werden – von den politischen Wirren der letzten Jahre, vom zutiefst Wilma B. Liebman ist eine US-ameri- polarisierten Land und dem Stillstand im Kongress. Ein kanische Arbeitsrechtlerin und war von 1997 bis 2011 Mitglied des National solches politisches Umfeld, verbunden mit einer langen Labor Relations Board, dem obersten Geschichte der institutionalisierten Gewerkschafts- Entscheidungsorgan der US-Bundes- Hintergrund feindlichkeit, führt zwangsläufig zu einem schwierigen behörde für Arbeitsbeziehungen. Als erste Frau in der Geschichte des NLRB Klima. Das US-Arbeitsgesetz, der »National Labor Rela- hatte sie zwischen 2009 und 2011 den tions Act« von 1935, ist das Resultat erbitterter Kämpfe Vorsitz des Gremiums inne. Seither hat und war von Anbeginn umstritten. Noch heute sind we- sie an verschiedenen Universitäten gelehrt, darunter die New York Uni- der das Arbeitsgesetz noch der rechtliche Status von versity, die George Washington University und die Cornell University. Gewerkschaften in allen Teilen der US-Gesellschaft voll- Der Aufsatz basiert auf Ausführungen der Autorin anlässlich einer ständig akzeptiert. Vortragsveranstaltung des Hugo Sinzheimer Instituts in Frankfurt am Main. Er wurde für die Veröffentlichung aktualisiert und erschien zuerst in englischer Sprache in der Ausgabe 4/2016 der Zeitschrift Jüngste Umfragen belegen das: So sind zwar 37 Prozent Soziales Recht. der Öffentlichkeit der Meinung, dass Gewerkschaften 1
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 bezichtigen sie deshalb der Doppelzüngigkeit und werfen Vor diesem Hintergrund haben sich die USA für einzelne ihnen vor, dass sie es sich unter dem Motto: »Andere Län- ausländische Investoren nicht nur zu einem wichtigen Pro- der, andere Sitten« einfach machen würden. duktionsstandort, sondern auch zu einem wichtigen Stand- ort für den globalen Export entwickelt. Das zeigt das Bei- Zu Beginn werde ich zunächst einige grundlegende Fak- spiel BMW. Über die Hälfte der Fahrzeuge, die der deutsche ten über deutsche Investitionen in den USA darlegen. Da- Autobauer in seinem Werk in Spartanburg (South Carolina) nach will ich meine Eindrücke über die Erfahrungen der produziert, werden ins Ausland exportiert.6 US-amerikanischen Gewerkschaften mit deutschen Toch- terunternehmen schildern. Um diese Erfahrungen einzu- Deutsche Investoren sind bereits seit langer Zeit stark in ordnen, beschreibe ich als Nächstes das Arbeitsrecht sowie den USA vertreten. So befanden sich im Jahr 2013 etwa die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, 3.500 Unternehmen mehrheitlich in deutscher Hand. in denen sich die Investitionen und wirtschaftlichen Aktivi- Mit rund 36 Prozent bildete das produzierende Gewer- täten deutscher Niederlassungen in den USA bewegen. Da- be dabei den Schwerpunkt. 2014 war Deutschland der bei lege ich ein besonderes Augenmerk auf den Süden der fünftgrößte ausländische Investor in den USA. Deutsche USA. Zum Abschluss werde ich auf die schwierigen Fragen Firmen beschäftigen über 620.000 Arbeitnehmer. Nach eingehen, die sich aus dieser Diskussion ergeben: Firmen aus Großbritannien und Japan ist dies die dritt- größte Anzahl.7 Insgesamt bringen deutsche Unterneh- • Welche Verpflichtungen haben bzw. sollten deutsche men dem Standort USA großes Vertrauen entgegen – mit Tochterunternehmen haben, sich bei ihrer Geschäfts- Ausnahme einiger Bedenken aufgrund des Mangels an tätigkeit in den USA an einem höheren Standard zu qualifizierten Facharbeitern.8 orientieren, als es das US-Arbeitsrecht verlangt? Bundesstaaten und Kommunen in den USA bemühen sich • Können wir überzeugend argumentieren, dass deut- aktiv um deutsche Investitionen und haben deutschen sche Tochterunternehmen anders als US-Firmen han- Firmen großzügige Subventionen sowie Steueranreize deln sollten? Sollten sie den Ansatz, sich an die ört- gewährt. Dies war besonders in den Südstaaten der Fall: lichen Gepflogenheiten anzupassen, aufgeben und stattdessen, wie es viele von uns gerne sehen würden, • BMW – ein erstes Anreizpaket von $ 150 Millionen im die »Vordenkerrolle« einnehmen und so dazu beitra- Jahr 1992; $ 103,5 Millionen für die Erweiterung in gen, die vergifteten US-Arbeitsbeziehungen in etwas 2002; 8.000 Beschäftigte (South Carolina). Konstruktiveres zu verwandeln? • Mercedes – ein erstes Anreizpaket von $ 238 Millionen • Lassen es die jeweiligen Eigeninteressen Deutsch- im Jahr 1993, weitere $ 119 Millionen und $ 100 Milli- lands und der USA überhaupt zu, höhere Standards onen für Erweiterungen in 2000 und in 2009; 8.000 anzustreben? Beschäftigte (Alabama). • Volkswagen – ein erstes Anreizpaket von $ 554 Millio- nen 2008; ein Zuschlag in Höhe von $ 263,3 Millionen II. AUSLÄNDISCHE INVESTITIONEN IN DEN in 2014; 2.400 Beschäftigte (Tennessee). USA: DEUTSCHLAND • Jeder dieser Konzerne erhielt zudem kleinere Subven- Die ausländischen Direktinvestitionen (Foreign direct in- tionen für die Ausbildung von Arbeitskräften. vestment – FDI) in den USA beliefen sich 2015 auf die Re- kordsumme von $ 353 Milliarden. Gleichzeitig nimmt der • Airbus – Zusagen im Jahr 2012 in Höhe von $ 158 Mil- weltweite Wettbewerb um ausländische Investitionen zu. lionen; offiziell 2015 mit etwa 250 Angestellten eröff- Der Grund: Immer mehr Entwicklungsländer bringen sich net, ungefähr ein Viertel der Kapazität (Alabama). als Investitionsstandorte in Position. So ist seit dem Jahr 2000 der globale Anteil an den FDI in den entwickelten Wir konzentrieren uns zwar auf deutsche Unternehmen, Ländern zurückgegangen. Dennoch: Insgesamt betrach- aber eine weitere Entwicklung sollte nicht verschwie- tet sind die USA nach wie vor das bevorzugte Ziel auslän- gen werden: Chinas wirtschaftliches Engagement in den discher Direktinvestitionen.5 USA nimmt rapide zu, insbesondere in den Südstaaten. Hintergrund Zwischen 2000 und 2014 investierten Unternehmen aus Ausländische Unternehmen investieren aus vielen Grün- dem Reich der Mitte $ 46 Milliarden, den größten Teil den in den USA. Das Land gilt als vitaler Produktions in den letzten Jahren. In North und South Carolina sind standort mit stabilen rechtlichen Rahmenbedingungen mindestens 20 chinesische Hersteller ansässig, die Infra und als bedeutsames Forschungszentrum mit Universitä- strukturzuschüsse und Subventionen in beträchtlicher ten von Weltklasse. Es bietet einen großen Absatzmarkt Höhe erhalten haben. Grund für die Verlagerungen einiger und eine solide Infrastruktur, die Unternehmen einen ein- Produktionszweige von China in kostengünstigere Länder fachen Marktzugang ermöglicht. Auch die gute inländi- wie die USA sind die steigenden Kosten in der Volksrepu sche Energieversorgung und niedrige Energiepreise sind blik. Hinzu kommt: Der jahrelange Abbau von Produktions- ein wichtiger Aspekt. arbeitsplätzen in den Südstaaten hat dazu geführt, dass 2
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 die dortigen Einwohner händeringend nach Arbeit suchen verbreitet ist. So beharren sie darauf, im Umgang mit und dafür auch bereit sind, niedrigere Löhne hinzunehmen: ihren US-Arbeitnehmern niemanden »von außen« oder keine »dritte Partei« zu benötigen, und verweisen auf an- »[D]er deutliche Anstieg der Lohn- und Energiekosten geblich völlig anders gelagerte Beziehungen, die sie im in China untergräbt seine Wettbewerbsfähigkeit als Pro- deutschen Kontext zu Gewerkschaften und Betriebsräten duktionsstandort. […] Die Löhne in der Fertigungsindus- hätten, weshalb sie es vorzögen, an den US-Standorten trie im Verhältnis zur Produktivität haben sich in China direkt mit jedem einzelnen Beschäftigten zu kommunizie- im letzten Jahrzehnt fast verdreifacht […]. In den Ver- ren. Eine Haltung, die in erster Linie für die US-Gewerk- einigten Staaten sind die Fertigungslöhne im Verhältnis schaften von entscheidender Bedeutung ist, aber auch für zur Produktivität seit 2004 um weniger als 30 Prozent, die deutschen Gewerkschaften – etwa mit Blick auf die auf $ 22,32 pro Stunde, gestiegen […]. Zudem werden transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, die höheren Löhne der US-Beschäftigten durch niedrige selbst wenn TTIP derzeit auf Eis liegt. Erdgaspreise sowie günstige Baumwollpreise, Steuer- vergünstigungen und Subventionen ausgeglichen. […] Die Kritik am Verhalten deutscher Firmen in den USA ist Gemeinhin wurde angenommen, dass China immer bil- ausführlich dokumentiert.11 Meine Beobachtungen stüt- liger sein würde, […]. Aber die Dinge ändern sich weit zen sich eher auf eigene Eindrücke. Um mir einen ge- schneller als erwartet.« 9 nerellen Überblick zu verschaffen, habe ich informelle Gespräche mit Vertretern mehrerer großer US-Gewerk- Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Chi- schaften geführt. Mich interessierten ihre Erfahrungen nesen den US-amerikanischen Süden als attraktiven mit deutschen Unternehmen unterschiedlicher Branchen, Low-Cost-Produktionsstandort betrachten: entweder im Zusammenhang mit Organisierungskampa- gnen oder bei Tarifverhandlungen.12 »Einst der Inbegriff der billigen Massenfertigung, fangen Textilwarenhersteller aus den früheren Billiglohnländern Zunächst umreiße ich einige allgemeine Themen, die sich an, sich in Amerika anzusiedeln. Dies ist ein Aspekt der aus der Diskussion ergaben. Anschließend folgt eine et- Aufweichung von bis dahin klar erscheinenden Grenzen was detailliertere Bewertung zu zwei Aspekten: zur Ent- zwischen Ländern mit hohen und niedrigen Fertigungs- wicklung deutscher Automobilzulieferer in den USA und kosten. Nur wenige hätten dies noch vor zehn Jahren zur Erfahrung der United Automobile Workers (UAW) mit vorausgesagt.« 10 Volkswagen in Chattanooga, Tennessee. Deutsche und US-amerikanische Arbeiter sollten diese Entwicklungen sehr ernst nehmen. 1. Allgemeine Themen Bei meinen Befragungen ist einhellig zum Ausdruck ge- kommen, dass Bündnisse mit deutschen Gewerkschaf- ten als sehr vorteilhaft betrachtet werden und dass es III. DIE VORGESCHICHTE: bereits intensive Kooperationen gibt, beispielsweise »ANDERE LÄNDER, ANDERE SITTEN«? zwischen der UAW und der IG Metall. Häufig sind US-Ge- werkschaften bei Konflikten mit dem Management von Arbeitswissenschaftler, Arbeitsrechtler und Gewerk- Niederlassungen deutscher Firmen in den USA in ho- schaften werfen den US-amerikanischen Tochterun- hem Maße auf die stärkeren Rechte und den größeren ternehmen deutscher (oder generell europäischer) Einfluss der deutschen Gewerkschaften und Betriebs- Unternehmen oft Heuchelei vor. Beklagt wird, dass die räte angewiesen. Es kann zum Beispiel sehr hilfreich meisten deutschen Unternehmen zwar in Deutschland sein, wenn ein deutscher Gewerkschafter eine wich- und weltweit Gewerkschaften anerkennen und mit ihnen tige Funktion im Aufsichtsrat innehat, weil die US-Ge- zusammenarbeiten, dies aber in den USA verweigern. werkschaft so über ein »Sprachrohr ins Unternehmen« Trotz öffentlichem Bekenntnis, so die Kritik, erfüllen sie verfügt. Auch der Betriebsrat kann einen Beitrag dazu eingegangene Verpflichtungen bezüglich des deutschen leisten, dass es zu einem Dialog mit dem Unternehmen Mitbestimmungsmodells, der Vereinigungsfreiheit, der in Deutschland kommt – »obgleich die Möglichkeiten Interessenvertretung der Arbeitnehmer und mit Blick auf begrenzter sind«. Allerdings, das zeigen die Erfahrun- Tarifverhandlungen nicht, obwohl diese Standards unter gen, kann es beim Versuch, Partnerschaften zwischen Hintergrund anderem im UN Global Compact und in Globalen Rahmen- US-amerikanischen und europäischen Gewerkschaften vereinbarungen festgeschrieben wurden. Auch scheinen aufzubauen, auch zu Frustrationen kommen. Ursache sie in den USA sofort zu vergessen, dass die gute Zusam- dafür sind divergierende Ansätze und Strategien, die menarbeit mit Gewerkschaften ein wichtiger Faktor für sich aus den Arbeitsbeziehungen im jeweiligen Land ihren Erfolg im eigenen Land ist. ergeben. Im Kontext des europäischen Sozialdialogs erscheinen US-Gewerkschaften so möglicherweise als In den meisten Fällen wählen die Unternehmen im »Cowboys« oder als zu konfrontativ. US-Kontext stattdessen den einfachen Weg und neh- men die antigewerkschaftliche Haltung und Praxis an, Hier noch weitere Themen, die sich in meinen Gesprächen die unter Vertretern der hiesigen Wirtschaft und Politik herauskristallisiert haben: 3
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 • Generell spiegelt sich in der Geschichte des Verhält- werkschaftsvermeidung«, indem es Teilzeitkräfte ein- nisses von US-Gewerkschaften und deutschen Unter- stelle, Aufträge auslagere und die daraus resultierende nehmen das Spektrum der Beziehungen zu US-Arbeit- hohe Personalfluktuation ausnutze. Obwohl mit der gebern wider, wie es Thomas Kochan beschrieben hat. Gewerkschaft ein Tarifvertrag abgeschlossen worden Da sich die deutschen Unternehmen nach Ansicht der sei, der das Card-Check-Verfahren, Neutralität und Befragten stärker um ihr öffentliches Image sorgen, den Zugang der Gewerkschaft zum Betrieb beinhalte, fehlen aber wohl die extremen Ausprägungen. sei es für die Gewerkschaft aufgrund der strukturellen Bedingungen, die als »Manipulation« bezeichnet wur- • Es ist schwierig, zu einer allgemeingültigen Bewertung den, schwierig, neue Beschäftigte zu organisieren.14 der deutschen Unternehmen zu kommen, und auch die Gewerkschaften sind nicht alle gleich. Jede Beziehung • Die Frage, ob die deutschen Firmenzentralen Einfluss ist etwas anders und kann sich mit der Zeit ändern – je auf die US-Niederlassungen nehmen würden und wenn nach Gewerkschaft und Unternehmen. So beschrieb ja, wie dieser konkret aussehe, wurde unterschiedlich eine Gewerkschaft ihr Verhältnis mit Siemens als gut, beantwortet. Einige Gewerkschaftsvertreter waren der eine andere hingegen als problematisch. Manche Be- Ansicht, dass die Zentralen ihre Tochterunternehmen ziehungen begannen sogar im Streit, entwickelten mehr kontrollieren müssten, um die Einhaltung der aus sich dann aber gut. So war zum Beispiel die Beziehung Sozialverträgen, Globalen Rahmenvereinbarungen zwischen Bosch und einer Gewerkschaft angespannt. und aus dem deutschen Recht resultierenden stren- Das Unternehmen drohte sogar mit der Ersetzung geren Verpflichtungen sicherzustellen. Ein anderer streikender Arbeiter. Doch dann nahm das Unterneh- Gewerkschafter sagte, die Firmenzentrale sei stark in- men Abstand davon – und mittlerweile läuft es gut und volviert, agiere aber entschieden gewerkschaftsfeind- man hat einen Tarifvertrag unterzeichnet. Ein Gewerk- lich. US-amerikanische Union-Busting-Strategien sei- schafter sagte, in der Regel suchten die deutschen en offenbar nach Deutschland exportiert worden. Unternehmen nicht die Zusammenarbeit. Ist ein Be- trieb aber gewerkschaftlich organisiert, entwickelten • Mehrere Gesprächspartner betonten, dass die Ent- sich die Beziehungen gut. Er führte als Beispiel an, der scheidung deutscher Unternehmen, sich im Süden Marktanteil von Freightliner (einer US-Tochtergesell- der USA anzusiedeln, ebenfalls von Bedeutung sei. Bei schaft von Daimler) sei seit Beginn der Kooperation den Südstaaten handele es sich um eine Region mit mit der UAW im Jahr 2003 jährlich gestiegen. einer schwierigen und komplizierten Geschichte, was Bürgerrechte, Gewerkschaften, die Arbeitsgesetzge- • Einige Gesprächspartner gaben an, dass sich die Be- bung (»Right to Work«), offen antigewerkschaftliche ziehungen zu deutschen Unternehmen verschlechtern Politiker, das außerordentlich wirtschaftsfreundliche könnten, sollten sie Ansätze zur Vermeidung gewerk- Klima und die gewaltigen Subventionen betrifft, um schaftlicher Organisierung verfolgen, was im Einklang deutsche Investitionen anzulocken. mit der generellen Einschätzung von Kochan über die Entwicklung in den USA stände. Ein Gewerkschaftsan- walt sagte, die deutschen Unternehmen »sind vielleicht 2. Deutsche Automobilzulieferer in den USA nicht gerade Walmart, aber trotzdem […].« Und er er- Neben den grundsätzlichen Aspekten sind mir bei den gänzte, dass sich einige aktiv an Kampagnen gegen über 60 in den USA tätigen deutschen Automobilzuliefe- Gewerkschaften beteiligten und häufig viel Geld für rern weitere Besonderheiten bei den Arbeitsbeziehungen Berater ausgäben. Ein Organizer einer Gewerkschaft aufgefallen.15 Mehrere davon, darunter Bosch, Continen- berichtete von einem Autohersteller, der »wild ent- tal und ZF, gehören zu den größten der Welt. So zeigt eine schlossen war, die Gewerkschaft draußen zu halten«. Analyse von 185 US-Standorten deutscher Unternehmen Viele deutsche Unternehmen engagierten US-Mana- mit über 50.000 Arbeitnehmern: Der gewerkschaftliche ger, die von vornherein antigewerkschaftlich einge- Organisationsgrad bei deutschen Zulieferern liegt bei stellt seien. Auch hätten einige Firmen gegen das Ar- 13 Prozent, während er in dieser Branche in den USA ins- beitsrecht verstoßen, indem sie Arbeitnehmer bei der gesamt 20 Prozent beträgt. Viele dieser deutschen Zu- Wahrnehmung ihrer Rechte behindert hätten – zum lieferer sind in den US-Südstaaten ansässig, ein Fünftel Beispiel durch Vorschriften, die die Kommunikation der allein in South Carolina. Dazu kommt: Ist der Kunde eines Beschäftigten über Arbeitsbedingungen oder die Grün- deutschen Zulieferers gewerkschaftlich organisiert, dann Hintergrund dung einer Gewerkschaft unterbinden sollten.13 ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Werk des Zulieferers gewerkschaftlich organisiert ist, fünfmal so groß wie bei • Einige dieser Unternehmen – sogar solche, die gewerk- einem Werk, das einen Kunden ohne Gewerkschaft belie- schaftlich organisiert sind – »machen sich die schwa- fert. chen Arbeitsgesetze zunutze«. Als Beispiel nannte ein Gewerkschaftsanwalt ein deutsches Transportunter- Die deutschen Autohersteller – BMW, Mercedes und nehmen, das in großen Städten der USA Tarifverträge Volkswagen – sind in den US-Südstaaten Alabama, South abgeschlossen habe (»dort, wo sie es müssen«). Diese Carolina und Tennessee ansässig. Viele ihrer Zulieferer Firma widersetze sich einer gewerkschaftlichen Orga- sind ihnen dorthin gefolgt. Aber selbst innerhalb der Süd- nisierung nicht aktiv, betreibe aber »strukturelle Ge- staaten siedeln sich die deutschen Zulieferer bevorzugt 4
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 in den gewerkschaftsfeindlichsten Bundesstaaten an. So eine maßgebliche Rolle bei der Corporate Governance, kommt es, dass das BMW-Werk in South Carolina pro Jahr bis auf höchster Ebene. Schon bald nach der Eröffnung zwar rund eineinhalbmal mehr Fahrzeuge fertigt als das des Werks begann die UAW mit einer Kampagne zur ge- Mercedes-Werk in Alabama, die Zahl der Beschäftigten werkschaftlichen Erschließung. Volkswagen wurde zudem deutscher Zulieferfirmen in South Carolina aber zweiein- von seinem Weltkonzernbetriebsrat unter Druck gesetzt, halbmal so hoch ist – darunter viele Zulieferer, die Merce- in Chattanooga einen Betriebsrat einzurichten. des in Alabama beliefern. Sowohl Alabama als auch South Carolina sind »Right-to-Work«-Staaten. Aber der gewerk- Die überwiegende Zahl der US-Arbeitsrechtsexperten schaftliche Organisationsgrad lag im Jahr 2015 in Alaba- ging grundsätzlich davon aus, dass VW einen Betriebs- ma mit 10,8 Prozent fünfmal höher als in South Carolina rat in Chattanooga etablieren könne. Allerdings sei dies mit 2,2 Prozent. nicht im Alleingang möglich, sondern bedürfe vorab ei- ner diesbezüglichen Vereinbarung mit einer unabhän- Dazu kommt: Auch das Gros der deutschen Zulieferer gigen Gewerkschaft. Denn: Das US-Arbeitsgesetz, der und ihrer Beschäftigten, die für die sogenannten Big 3, National Labor Relations Act (NLRA), verbietet Arbeitge- die US-Autobauer General Motors, Ford und Chrysler bern per se die Gründung, Kontrolle und Unterstützung produzieren, ist im Süden ansässig. Bei Bosch sind es einer »Arbeitnehmerorganisation«.17 Ein Betriebsrat, der beispielsweise 88 Prozent der Produktionsarbeiter. Und nach den Grundsätzen der deutschen Mitbestimmung das, obwohl sich die Standorte der Big 3 fast ausschließ- konstituiert und tätig würde, könnte im weitesten Sinne lich im Mittleren Westen der USA und in der kanadischen als eine solche »Arbeitnehmerorganisation« betrachtet Provinz Ontario befinden. Dennoch: Fast jedes Bosch- werden.18 Werk in South Carolina liefert an die Big 3. Allein in die- sem Bundesstaat sind 70 Prozent der Bosch-Arbeiter Die UAW war durchaus offen dafür, das deutsche duale beschäftigt. Modell in Chattanooga zu erproben. Sie erwartete dafür von Volkswagen die Anerkennung als Tarifpartei, um zu- Die Arbeitskräfte deutscher Zulieferer im Norden der nächst grundlegende wirtschaftliche Bedingungen tarif- USA sind mit etwa dreimal größerer Wahrscheinlichkeit lich zu regeln. Anschließend sollten Verhandlungen über gewerkschaftlich organisiert als ihre Kollegen im Sü- die Schaffung eines Betriebsrates aufgenommen werden, den. Die UAW vertritt, vorwiegend im Norden, Arbeiter an den die UAW viele ihrer traditionell eigentlich bei der bei mehreren deutschen Zulieferern (Benteler, Freu- Gewerkschaft liegenden Funktionen delegieren würde. denberg, ThyssenKrupp, Kirchhoff und ZF). Ungefähr 4.000 Arbeiter werden durch andere Gewerkschaften Die Verhandlungen von Volkswagen mit der UAW trafen repräsentiert. Zwischen 1998 und 2009 schloss Bosch bei republikanischen Politikern aus Tennessee auf wenig gewerkschaftlich organisierte Werke, eröffnete neue, Begeisterung. Über die Ablehnung des Vorhabens durch gewerkschaftsfreie Betriebe und verlagerte die Produk- US-Senator Bob Corker wurde ausführlich berichtet. Sein tion an diese Standorte. Das einzige Werk in Michigan, in Einwand: »Der Südosten verliert für ausländische Auto- dem die UAW noch vertreten ist, hat radikal Arbeitsplät- bauer an Attraktivität, wenn die UAW dort Fuß fasst.« 19 ze abgebaut: Von den einst 1.200 Arbeitsplätzen blieben Und weiter sagte er: lediglich 97 übrig. »Es ist schier unglaublich, dass das Management die UAW eingeladen hat […]. Sie werden bestimmt zum Ge- 3. Die Volkswagen-Saga genstand vieler Studien betriebswirtschaftlicher Hoch- Die Geschichte von Volkswagen und der UAW, mit der ich schulen – und es bereitet mir eine gewisse Sorge, dass persönlich vertraut bin, ist einzigartig. Sie begann viel- sie in vielerlei Hinsicht zu einer Lachnummer werden versprechend – und endete frustrierend. Das Werk in könnten – wenn sie diesen Schaden anrichten […]. Wir Chattanooga nahm 2011 mit einigen tausend Arbeitern haben mit dem Management gesprochen, und ich kann die Produktion auf. Der Bundesstaat Tennessee und die es kaum fassen, dass sie es so weit haben kommen las- Kommune stellten hohe Startsubventionen bereit. Später sen. Diese Naivität im Umgang mit der UAW gab es vor wurde ein weiteres Subventionspaket in Höhe von $ 263 einigen Jahren noch nicht.« 20 Millionen (einschließlich Ausbildungskosten in Höhe von bis zu $ 12 Millionen) für den Ausbau des Werks gewährt. Im Februar 2014 unterzeichneten die UAW und Volks- Hintergrund 2000 zusätzliche Stellen wurden in Aussicht gestellt.16 wagen eine Vereinbarung, die regelte, wie die Gewerk- Die Ansiedlung in Tennessee war ein Eckpfeiler der schaftswahl für die Arbeiter im Werk vonstattengehen VW-Strategie, die Präsenz auf dem US-Automobilmarkt sollte. VW erklärte, man werde sich einer gewerkschaft- auszubauen. lichen Organisierung nicht entgegenstellen, und gewähr- te der UAW Zugang zu den Beschäftigten. Beide Seiten Volkswagen stand zu seinen Mitbestimmungsprinzipien. sicherten zu, dass, sofern die Wahl zugunsten der UAW Mit Ausnahme von Chattanooga und der Fabriken in China ausgehen würde, ein Betriebsrat eingerichtet würde, der hat jedes VW-Werk weltweit einen Betriebsrat oder eine mit dem US-Arbeitsrecht, den Grundsätzen der deut- andere Form der Arbeitnehmervertretung. Weltweit spie- schen Mitbestimmung sowie der Satzung des VW-Welt- len Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter bei VW konzernbetriebsrats im Einklang stehen sollte. 5
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 Mitte Februar fand unter der Leitung der US-Bundesbe- sichert ihnen umfassende Rechte auf freie Meinungs hörde für Arbeitsbeziehungen (National Labor Relations äußerung zu. Trotzdem, so argumentierte die UAW ge- Board – NLRB) eine Abstimmung statt: Die Beschäftigten genüber dem NLRB, könnten bestimmte Bemerkungen votierten mit 712 zu 626 Stimmen gegen die UAW. von Amtsträgern unter Umständen rechtfertigen, eine Wahl für ungültig zu erklären und die Wahl wiederholen Anders als in Deutschland ist im US-amerikanischen zu lassen.23 System der industriellen Beziehungen eine geheime Wahl der Beschäftigten die gängigste Methode, über Die UAW zog ihren Einspruch allerdings wenig später eine gewerkschaftliche Interessenvertretung zu ent- zurück. Sie tat dies, um sich darauf konzentrieren zu scheiden. Das NLRB, das das Votum durchführt, be- können, eine Mehrheit unter den Beschäftigten zurück- scheinigt der Gewerkschaft anschließend das Alleinver- zugewinnen. Auch sollte dem Unternehmen Zeit für die tretungsrecht für die Arbeitnehmer der entsprechenden Erweiterung des Werks eingeräumt werden. Zudem war Mitarbeitergruppe – sofern sich die Mehrheit für eine klar: Selbst bei einer neuen Abstimmung würde es keine Vertretung ausspricht. Ist das nicht der Fall, wird auch Möglichkeit geben, die Politiker davon abzuhalten, erneut das aktenkundig gemacht.21 Die strengen Maßstäbe ei- ihre Meinungen zu äußern. ner NLRB-Wahl stellen sicher, dass die Beschäftigten frei darüber entscheiden können, ob sie gewerkschaft- Im Juli 2014 eröffnete die UAW eine Geschäftsstelle in lich vertreten werden wollen oder nicht. Ferner prüft Chattanooga, die »UAW Local 42«. Das Ziel lautete: Ver- das NLRB Einwände gegen die Abstimmung – sofern der tretung ihrer Mitglieder und Verankerung in der Gemein- Verdacht besteht, dass die Entscheidungsfreiheit der de. Ein knappes halbes Jahr später, im November 2014, Beschäftigten eingeschränkt wurde. Gewerkschafts- etablierte Volkswagen seine »Community Organization wahlen sind in aller Regel umstritten und werden von Engagement Policy« (COE). Sie gewährt Gruppen von Be- Kampagnen für und gegen eine gewerkschaftliche Or- schäftigten, je nach Ausmaß ihrer Unterstützung in der ganisierung begleitet. Belegschaft (bis zu 45 Prozent), gestaffelte Zugangsmög- lichkeiten zum Management. Das Recht, Tarifverhandlun- Während sich Volkswagen neutral verhielt, intervenierten gen zu führen, war damit jedoch nicht verbunden. Im Rah- vor und während der Wahltage Politiker aus Tennessee – men der COE führte VW Gespräche mit der UAW Local 42 darunter der Gouverneur, Senator Bob Corker und ande- und dem »American Council of Employees« (ACE), einer re – und überschwemmten die Medien mit Kommentaren, Beschäftigtengruppe, die aus der Anti-UAW-Kampagne die nur ein Ziel hatten: der UAW die Unterstützung zu ent- während der Wahl 2014 hervorgegangen war. Die UAW, ziehen. So kündigte zum Beispiel Bo Watson, Mitglied im die auf eine Unterstützung von mindestens 45 Prozent Senat von Tennessee, an: verweisen konnte, genoss entsprechend größeren Zu- gang zum Management als ACE mit lediglich 15 Prozent »Sollten die Arbeitnehmer bei Volkswagen für die Ver- nachweisbarer Unterstützung in der Belegschaft. Im Sep- tretung durch die United Auto Workers stimmen, wird tember 2016 schließlich bestätigte VW, dass die UAW wei- es meiner Ansicht nach sehr schwer sein, im Senat von terhin mindestens 45 Prozent der Mitarbeiter vertrete, Tennessee die Zustimmung für zusätzliche Subventio- ACE hingegen den Mindeststandard von 15 Prozent nicht nen durch die Bürger des Bundesstaates Tennessee zur mehr erfülle.24 Expansion oder zu anderen Zwecken zu bekommen. […] Die abstimmenden Arbeitnehmer müssen sich im Kla- Schon ein Jahr zuvor, im Sommer 2015, hatte die UAW ren sein, welche beabsichtigten oder unbeabsichtigten gegenüber Volkswagen erklärt, mittlerweile eine Mehr- Folgen eine Entscheidung für eine Vertretung durch die heit der Beschäftigten als Mitglieder gewonnen zu haben. United Auto Workers haben könnte.« 22 Folglich bitte man um die formelle Anerkennung durch das Unternehmen und die Einleitung von Tarifverhand- Senator Bob Corker, ein ehemaliger Bürgermeister von lungen. Doch dann wurde im September 2015 der VW-Ab- Chattanooga, hatte maßgeblichen Anteil an der Bewilli- gasskandal aufgedeckt. Seitdem liegen diese Bemühun- gung der Subventionen, die VW zur Entscheidung für die gen auf Eis. Ansiedlung in Tennessee bewogen hatten. Nun behaup- tete er öffentlich, VW habe ihm »zugesichert«, dass das Im politischen Lärm, der die Gewerkschaftswahl beglei- Werk im Fall einer Abstimmung gegen die UAW eine neue tete – ebenso wie im Zuge der Diesel-Krise –, ging der Hintergrund Produktlinie bekommen werde. Als ein VW-Unterneh- Versuch von VW und UAW, am Standort einen Betriebsrat mensvertreter daraufhin eine Verbindung zwischen dem nach deutschem Vorbild zu etablieren, nahezu unter. Über Wahlausgang und einem neuen Produkt für das Werk de- Jahre haben US-Arbeitsrechtler und Experten für Ar- mentierte, bekräftigte Corker seine Aussage. Sie sei zu beitsbeziehungen darauf gedrängt, das Betriebsratsmo- »Tausend Prozent« richtig. Der VW-Sprecher habe sich dell in den USA auszuprobieren, während genauso viele auf einen veralteten Diskussionsstand gestützt. das US-Arbeitsrecht bereits für tot erklärten. Sie verfolg- ten das Experiment in Chattanooga mit großem Interesse. Öffentliche Amtsträger in den USA müssen, was Fra- Es galt als mögliche Wasserscheide oder Game Changer, gen einer gewerkschaftlichen Vertretung betrifft, nicht sowohl ganz generell für die amerikanischen Arbeitsbe- neutral sein. Der erste Zusatzartikel der US-Verfassung ziehungen als auch für die Präsenz der Gewerkschaften 6
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 im Süden. Seitens der Arbeitswissenschaften hieß es zum rechts sowie der wirtschaftliche und politische Hinter- Beispiel: grund unter besonderer Berücksichtigung der Situation im Süden der USA. »Die Einführung eines Betriebsrats im Volkswagenwerk in Tennessee könnte eine Partnerschaft der nächsten Generation zwischen Arbeitnehmern und Management 1. Der Stand des US-Arbeitsrechts bedeuten und belegen, dass die Vereinigten Staaten von Das aktuelle US-Arbeitsrecht ist im Wesentlichen ein Pro- bewährten Innovationen anderer Länder lernen und dar- dukt der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und des aus Nutzen ziehen können. Dieser Weiterentwicklung von New Deal, d. h. der Sozialreformen, mit denen Präsident Produktivität und Arbeitsbeziehungen in Amerika stehen Franklin Roosevelt die Krise bekämpfte. Im Jahr 1935 keine rechtlichen Hürden im Wege. Wir hoffen, die ameri- verabschiedete der US-Kongress den National Labor Re- kanischen Manager und Gewerkschaften stehen ihr auf- lations Act, der Lohnabhängigen das Recht zugestand, geschlossen gegenüber.« 25 Gewerkschaften zu bilden und kollektiv mit ihren Unter- nehmern zu verhandeln. Ausdrückliches Ziel des Gesetzes Angesichts dieser Ereignisse stellte sich folgende Frage: war die Bekämpfung der »Ungleichheit der Verhandlungs- Ist Volkswagen mit seinem Versuch, gemeinsam mit der macht« zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern. UAW einen Betriebsrat in Chattanooga einzurichten, eine Laut Kongress habe diese Ungleichheit »wiederholt die Ausnahme? Einige deutsche Experten warnten: Ohne wirtschaftliche Depressionen verschärft, indem sie das rechtliche Rahmensetzung würde kein anderes deut- Lohnniveau und somit die Kaufkraft der Lohnempfänger sches Unternehmen die Mitbestimmung einführen. Und drückte«.29 von keinem anderen Unternehmen könne man erwarten, dem Beispiel von VW in den USA zu folgen. Nach erbitterten Kämpfen wurden kollektive Tarifver- handlungen zu einem festen Bestandteil des US-ame- Es muss nicht erwähnt werden, dass dieses Experiment, rikanischen Wirtschaftslebens. Die Durchsetzung des das so vielversprechend begonnen hatte, bis heute nicht Arbeitsrechts trug zu breitem Wohlstand bei, der nach realisiert wurde. Die Sache weiter verkompliziert hat, dass dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahrzehnte anhielt. Der die Frankfurter Allgemeine Zeitung von einem Brief berich- Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman schrieb: tete, der im Jahr 2013 von zwei Senatoren aus Tennessee »Damals, als Amerika noch eine starke Mittelklasse hatte, an den damaligen VW-Chef Martin Winterkorn geschrie- gab es auch eine starke Gewerkschaftsbewegung. Diese ben wurde. In diesem Schreiben erinnerten sie ihn daran, beiden Umstände waren miteinander verbunden.«30 dass das Unternehmen bei den Verhandlungen über die Ansiedlung von VW in Tennessee die »eindeutige Zusage« Heute, 81 Jahre nach der Verabschiedung des Arbeitsge- gemacht habe, »kein Interesse« an einer Zusammenar- setzes, hat die Anzahl der gewerkschaftlich organisierten beit mit der UAW zu haben und sich den Bemühungen, das Arbeiter im Privatsektor einen historischen Tiefstand er- Werk gewerkschaftlich zu organisieren, zu widersetzen.26 reicht; seit den 1950er Jahren nimmt ihre Zahl beständig ab. Die Verhandlungskraft der Beschäftigten ist infolge- Die Fronten haben sich seither weiter verhärtet. Im Ok- dessen deutlich schwächer geworden, die Ungleichheit tober 2015 beantragte die UAW Local 42 beim NLRB ist höher als in den vergangenen hundert Jahren.31 Eine eine Gewerkschaftswahl für die etwa 165 Facharbeiter übergroße Mehrheit der US-Beschäftigten ist nicht ge- in der Instandhaltung des Werkes in Chattanooga. Diese werkschaftlich organisiert. votierten beim Urnengang am 3. und 4. Dezember 2015 mit großer Mehrheit für eine Vertretung durch die UAW.27 Das Vertrauen in das Arbeitsrecht ließ allmählich nach. Seit Volkswagen weigert sich seither jedoch, mit der UAW in dem New Deal wandelten sich Gesellschaft und Wirtschaft Tarifverhandlungen einzutreten. Man wolle nicht mit ei- schnell und grundlegend, die Arbeitsbedingungen wurden ner Gruppe der Beschäftigten Verhandlungen führen, immer komplizierter. Angesichts des Wettbewerbsdrucks sondern nur für die Arbeiter insgesamt. Das NLRB wider- vonseiten gewerkschaftsfreier oder Billiglohn-Konkur- sprach und urteilte, VW agiere gegen das Gesetz, indem renten – weltweit und im eigenen Land – nahmen Unter- es Tarifverhandlungen verweigere. Daraufhin beantragte nehmen aus ideologischen und wirtschaftlichen Gründen VW bei einem US-Berufungsgericht die Überprüfung die- eine feindliche Haltung gegenüber Gewerkschaften ein. ser Entscheidung. Inzwischen liegt der Fall wieder beim Ihr Ziel lautete mehr Flexibilität, und das Mittel dazu wa- Hintergrund NLRB.28 ren Änderungen ihrer Geschäftsmodelle und Beschäfti- gungsverhältnisse. In der Wirtschaftspolitik setzten sich Deregulierung und Laissez-faire-Ansätze durch.32 Die Bedeutung der Finanzsphäre stieg, während die der Ge- IV. DER HINTERGRUND werkschaften sank. Um diese Diskussion ins rechte Licht zu rücken, empfiehlt In der Folge verschärfte sich der Konflikt zwischen dem es sich, die Rahmenbedingungen für Investitionen und die Arbeitsrecht aus der New-Deal-Ära und den wirtschaft- Geschäftstätigkeit deutscher Unternehmen in den USA lichen, gesellschaftlichen und betrieblichen Realitäten.33 zu betrachten. Dazu gehören der Stand des US-Arbeits- Dazu muss gesagt werden: Die letzte Reform des Arbeits- 7
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 recht fand 1947, am Ende des Zweiten Weltkrieges und auf nehmerischen Erfolg. Die UAW hat solche »gemeinsamen« dem Höhepunkt der Macht der Gewerkschaften statt. Und Projekte immer verfochten. Insbesondere ihr Verhältnis bereits diese Reform war ein Rückschlag für die Gewerk- zu Ford Motors war entscheidend für den Erfolg des Un- schaften. Seither führten alle Bemühungen, das Gesetz ternehmens.39 Die Unternehmen und Gewerkschaften im grundlegend zu novellieren, in eine legislative Sackgasse. Baugewerbe bieten seit Jahrzehnten Lehrlings- und Aus- Die Bemühungen der letzten vierzig Jahre, das Gesetz bildungsprogramme an, haben gemeinsame Sozialsyste- grundlegend zu novellieren, führten allesamt in eine legis- me etabliert und werben zusammen für ihre Branche und lative Sackgasse. Jüngstes Beispiel ist der Employee Free Betriebe. Andere US-Gewerkschaften und Arbeitgeber ha- Choice Act, ein nach Präsident Obamas Amtsantritt 2009 ben Tarifstrukturen entwickelt, mit denen sie effektiv auf im Kongress eingebrachtes Gesetz zur Erleichterung der Veränderungen im Unternehmen reagieren können. Oder gewerkschaftlichen Organisierung. Zwar herrscht allge- man ist gleich zu einer tagtäglichen Zusammenarbeit meine Einigkeit, dass das Arbeitsgesetz veraltet ist und übergegangen, wenn dies für beide Seiten von Vorteil ist. reformiert werden sollte. Weiter reicht der politische Kon- Häufig genannt wird in diesem Zusammenhang die Koope- sens jedoch nicht. Gegner betrachten es als Überbleibsel ration zwischen Kaiser Permanente, einem großen, priva- der New-Deal-Ära, mit einer globalisierten Wirtschaft sei ten Gesundheitsunternehmen mit Hauptsitz in Kalifornien, es unvereinbar.34 Und selbst die Fürsprecher haben ihr und zwölf verschiedenen Gewerkschaften, die Tausende Vertrauen in das Gesetz verloren. Einige glauben, es trage Beschäftigte vertreten.40 Darüber hinaus: Viele Gewerk- zum »Rückgang der Gewerkschaften, zu deren Schutz es schaften und Unternehmen haben Neutralitätsabkommen ursprünglich verabschiedet worden war«, bei.35 geschlossen. Das bedeutet, dass sich das Management während der Organisierungskampagnen neutral verhält. Im Vergleich zur europäischen Tradition des Sozialdialogs wird das US-Arbeitsrecht kritisiert, weil manche Teile zum Partnerschaften zwischen Gewerkschaften und Unterneh- Klassenkampf ermutigen würden. Tatsächlich beruht un- men haben sich oft als fragil herausgestellt. Das Konzept ser System der Arbeitsbeziehungen zum Teil auf einem des Sozialdialogs – geschweige denn der Mitbestimmung – konfrontativen Modell: Im Mittelpunkt des Gesetzes von ist auf unserer Seite des Atlantiks größtenteils unbekannt. 1935 steht die Vorstellung von Kollektivverhandlungen Trotzdem sind die genannten Beispiele Teil des Mosaiks mit einer unabhängigen Gewerkschaft.36 Gleichwohl: Was der US-Arbeitsbeziehungen. Mit anderen Worten: Auch in diesem Kontext am häufigsten zu einer unnötigen Po- diese Beispiele sind Teil der Einstellung »Andere Länder, larisierung beiträgt, ist die äußerst konfliktgeladene At- andere Sitten«. Sie stellen Ansätze einer moralischen Ver- mosphäre, in der das NLRB die Abstimmungen über eine haltensweise dar, die zu oft ignoriert werden. gewerkschaftliche Vertretung abhält. Das Arbeitsrecht gestattet es dem Arbeitgeber, »An- 2. Lohnstagnation und -ungleichheit sichten, Argumente oder Meinungen« zum Ausdruck zu Die Statistikbehörde U.S. Census Bureau verkündete un- bringen, solange dabei »keine Repressalien oder Gewalt längst gute Nachrichten über die Konjunktur: Das Me- angedroht oder Vorteile versprochen werden«.37 Und so dian-Einkommen der US-Haushalte ist gegenüber 2014 äußern die Arbeitgeber ihren Beschäftigten gegenüber inflationsbereinigt um 5,2 Prozent gestiegen. Den höchs- unverhohlen ihre gewerkschaftsfeindlichen Ansichten und ten Anstieg verzeichneten Geringverdiener. »Für Mittel- senden Botschaften aus, die Furcht vor den Konsequen- klasseamerikaner und die Armen war 2015 seit Jahrzehn- zen einer gewerkschaftlichen Organisierung säen sollen – ten das beste Jahr, um sich wirtschaftlich zu verbessern, stets auf dem dünnen Grad zwischen rechtlich zulässiger […] ein Anstieg, der den jahrelangen Enttäuschungen Meinung und widerrechtlicher Drohung. Tatsächlich glau- für amerikanische Arbeiter ein Ende bereitete, aber den ben einige Unternehmer, dass sie zum Widerstand gegen Schaden der großen Rezession noch nicht ganz behoben Gewerkschaften verpflichtet sind, damit die Beschäftig- hat.«41 Auch den langfristigen Trend zur Lohnungleich- ten »beide Seiten hören«. Viele Arbeitgeber starten Angst heit konnte er nicht umkehren. einflößende, ausgeklügelte Anti-Gewerkschaftskampa- gnen, wofür sie bezahlte Berater anheuern und Taktiken Die Löhne der US-amerikanischen Arbeiter stagnieren wie die verpflichtende Teilnahme an Versammlungen und seit über 30 Jahren und haben nicht mit den Produkti- Einzelgespräche mit Beschäftigten einsetzen. Die Feind- vitätssteigerungen Schritt gehalten. Darin besteht die seligkeit, die durch solche Kampagnen entsteht, lässt sich »zentrale wirtschaftliche Herausforderung des Lan- Hintergrund nur schwer wieder beilegen. Daher kann es – selbst wenn des«.42 In diesem Zeitraum ging die Zahl der Arbeits- eine Gewerkschaft die Wahl schließlich gewonnen hat – plätze in der Produktion zurück, die Löhne sanken. Laut schwierig sein, Verhandlungen aufzunehmen und einen Erhebungen des Bureau of Labor Statistics von 2011 lag ersten Tarifvertrag abzuschließen. die durchschnittliche Vergütung in deutschen Fertigungs- betrieben bei umgerechnet $ 47,40 pro Stunde und damit Doch trotz der langen konfrontativen Tradition ist das um ein Drittel höher als die Vergütung von $ 35,50 pro nicht die ganze Geschichte: Das Gesetz war eindeutig auf Stunde in den USA. Kooperation ausgerichtet,38 und es gibt bemerkenswerte Beispiele für die Zusammenarbeit von Management und Diese anhaltende Diskrepanz zwischen Produktivität und Belegschaft und für das Engagement beider für den unter- Löhnen ist eine Hauptursache für die ungleiche Einkom- 8
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 mensverteilung in den USA. Gleichzeitig gab es bei den 3. Politik Arbeitnehmerentgelten aus Unternehmenserlösen zwi- Unbestritten ist: Wachsende Ungleichheit und Lohnstag- schen 2000 und 2015 einen Rückgang von 6,8 Prozent. nation spielen mittlerweile eine wichtige Rolle im natio- Das heißt: Ein größerer Anteil floss z. B. in Form von Ge- nalen Diskurs. Diese Probleme beschäftigen US-Bürger, winnen an die Kapitalseite.43 egal welcher ideologischen Prägung, zunehmend. Doch gibt es eine tiefe Kluft zwischen den Lagern, was die Ur- Der Rückgang der Tarifbindung ist zweifelsohne ein wei- sachen und Lösungen anbetrifft – und selbst darüber, wie terer Schlüsselfaktor für die zunehmende Einkommens- schwerwiegend das Problem ist.50 Das Forschungsinstitut ungleichheit. Dies wurde in einem Bericht des Internati- Pew Research Center stellte kürzlich fest: »Die Kampag- onalen Währungsfonds von 2015 über die Entwicklung in ne [zur Präsidentschaftswahl] von 2016 entfaltet sich vor den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Zeitraum von dem Hintergrund heftiger parteipolitischer Spaltung und 1980 bis 2010 belegt. Demnach habe sich das Absinken Feindseligkeit. Anhänger einer Partei haben heute eine des gewerkschaftlichen Organisationsgrades nicht nur weit negativere Meinung über die Gegenpartei als je zu- auf die Löhne im niedrigen und mittleren Bereich aus- vor in den letzten 25 Jahren.«51 gewirkt, sondern gleichzeitig den Anstieg des Anteils der Top-Einkommen am Gesamteinkommen befördert.44 Zwar sind die US-Amerikaner seit jeher gespalten, aber die Trennlinien treten zu bestimmten Zeiten stärker Das schwerwiegende Problem der USA mit der Einkom- hervor. So etwa infolge der Wirtschaftskrise von 2008. mensungleichheit wurde grafisch als »Geschichte zweier Diese Konflikte ziehen Differenzen nach sich, die aus Volkswirtschaften« dargestellt.45 Diese Grafik »erläutert asymmetrischen moralischen Weltanschauungen oder alles, was Sie über Ungleichheit wissen müssen«. 46 divergierenden Ansichten über die sozialen Verhältnis- se hervorgehen. Dazu gehören sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Geschichte und Gegenwart, die Die Geschichte zweier Volkswirtschaften eine Kompromissfindung – zu welchem Thema auch im- mer – erschweren. Die Politik zur Amtszeit von Präsident Durchschnittliches Einkommen der unteren 90 % $ 40.000 1973 2000 2007 Obama wurde von zwei Sozialwissenschaftlern wie folgt $ 35.000 1988 1966 beschrieben: $ 30.000 1983 2013 $ 25.000 1955 »Ohne Zweifel stellen Bitterkeit und Stillstand feste $ 20.000 Bestandteile unseres politischen Systems dar. Und es $ 15.000 1942 stimmt, dass wir mehrere Epochen intensiver Spannung 1917 und Polarisierung hatten […]. Dennoch […] lässt die nä- $ 10.000 here Betrachtung der Präsidentschaft Obamas darauf 1933 $ 5.000 schließen, dass wir es weder mit Routinepolitik noch ei- $0 ner ungewöhnlichen Zeiterscheinung zu tun haben. Wir $0 $ 200.000 $ 400.000 $ 600.000 $ 800.000 $ 1.000.000 $ 1.200.000 erleben eine beispiellose Polarisierung zwischen den Durchschnittliches Einkommen der oberen 1 % Parteien […] sowie die rücksichtslose Delegitimierung des Präsidenten und der erlassenen Gesetze.« 52 Zwischen 1930 und 1980 (auf der linken Seite der Gra- fik) verzeichneten ausschließlich die unteren 90 Prozent Ein Ausdruck dieser scharfen Trennlinien sind tief ver- der Beschäftigten einen spürbaren Einkommensanstieg. ankerte, konträre Ansichten über die Legitimität des Nach 1980 (im oberen Teil der Grafik) stiegen dann nur die Arbeitsrechts und der Gewerkschaften als gesellschaft- Einkommen der oberen 1 Prozent der Lohnabhängigen. liche Institutionen. Von Anfang an kontrovers, sind die Meinungsverschiedenheiten zum Arbeitsrecht seit den Der Nobelpreisträger und frühere Chefökonom der Welt- frühen Jahren der Obama-Administration außerordent- bank, Joseph Stiglitz, bilanzierte: »Ungleichheit geht auf lich erbittert geführt worden.53 Nach dem fehlgeschla- eine bewusste Entscheidung zurück. Es liegt in unserer genen Versuch zur Verabschiedung des Employee Free Macht, sie umzukehren.«47 Choice Act – ein Gesetz, mit dem die Schutzfunktion des Arbeitsrechts gestärkt werden sollte – brachen an vielen »[…] In den 70er Jahren kam es aufgrund von gezielten Fronten heftige politische Kämpfe aus. So gab es während Hintergrund ideologischen, institutionellen und rechtlichen Verände- der Wahlkampagne zur Präsidentschaftswahl 2012 direk- rungen zu einer Neuordnung des Marktes. An deren Spit- te Angriffe gegen Gewerkschaften und Tarifverhandlun- ze stand die Deregulierung, die ihren Anhängern zufolge gen – besonders im öffentlichen Sektor. Aber auch staatli- die Wirtschaft von ihren Fesseln befreien und zum Erblü- che Einrichtungen wie das National Labor Relations Board hen bringen sollte. […] Wenn sich der Staat heraushalten waren betroffen. Die Auseinandersetzungen in Wisconsin würde, so lautete das Argument, würden die Kreativität und Ohio, im Kongress und andernorts waren Bestandteil des Marktes – und der Einfallsreichtum des Finanzsek- einer koordinierten Strategie zur Schwächung der Ge- tors – die Gesellschaft neu beleben.« 48 werkschaften, weil sie Kandidaten und Wahlthemen der Demokratischen Partei unterstützten und weil sie Wähler Aber, folgert Stiglitz: »So ist es nicht gekommen«.49 mobilisieren konnten. 9
Deutsche Konzerne in den USA und US-amerikanische Gewerkschaften | Wilma B. Liebman 01 | 2018 Die Wirtschaftskrise und die Präsidentschaft Obamas ha- Belegschaft nach sich zieht«, so Nikki Haley, die damalige ben den alten Streit in den USA über die Rolle des Staa- Gouverneurin von South Carolina und jetzige US-Bot- tes, insbesondere bei der Regulierung der Wirtschaft schafterin bei den Vereinten Nationen. und des Marktes, neu entfacht. Die US-Gesellschaft ist in dieser Frage tief gespalten. Einige sehen den Staat als »Gewerkschaften versuchen, sich überall Zugang zu ein soziales Gut. So glauben sie, dass der wirtschaftliche verschaffen. Sie werden langsam verzweifelt. Deshalb Wohlstand des Landes nur mit einer Politik wiederherge- versuchen sie sich, wo immer es geht, einzuschleichen. stellt werden kann, die die Kaufkraft der Lohnabhängigen Es ist meine Aufgabe sicherzustellen, dass ich sie immer stärkt. Andere akzeptierten von vornherein weder die wieder hinauswerfe.« 55 im Zuge des New Deal der 30er Jahre verabschiedeten Gesetze noch die damit transportierte Vision nationaler Die Unternehmensstrategie vieler deutscher Hersteller Macht. Für sie ist der Staat ein Feind, der mit seinen Regu- beinhaltet mittlerweile die Ansiedlung großer Fabriken in lierungen Jobs vernichtet. Donald Trump hat die Wut ge- den US-Südstaaten. Fabrice Bregier, Chef des Airbus-Kon- gen die staatliche Regulierung in seiner Präsidentschafts- zerns, hat angekündigt, das neue Airbus-Werk in Alaba- kandidatur ausgenutzt. ma werde billiger sein als Fabriken in Deutschland oder Frankreich. »Europa muss effektiv etwas unternehmen, Der Wahlkampf von 2016 hat diese Konflikte verschärft, um wettbewerbsfähig zu bleiben«,56 sagte er. Und was weil er die beispiellose Ernüchterung über die Regierung, er damit meinte, sind niedrigere Kosten, einschließlich die politische und wirtschaftliche Ordnung sowie über die der Lohnkosten. Das Southern Business and Development etablierten Parteien ins Zentrum rückte. Bei den Vorwahlen Magazine stellte dazu fest: »In den letzten zehn Jahren stimmten die Arbeiter für Trump und Bernie Sanders, die sind 39 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen sich in Stil und Politik zwar stark voneinander unterschie- in den USA an den Süden geflossen.« Eine zunehmende den, aber beide Außenseiter waren. Obwohl die Unzufrie- Anzahl ausländischer Hersteller, hieß es weiter, »will ein denheit viele Ursachen hat, steht Folgendes im Mittelpunkt: gutes Geschäft machen. Sie sind äußerst kostenbewusst die Erosion der Mittelschicht und ihrer Lebensart sowie die […], und die Kosten für viele Dinge – einschließlich Land, enttäuschte Erwartung, es werde der nächsten besserge- Infrastruktur, Strom und Löhne – sind üblicherweise im hen als der Elterngeneration. Es existiert ein tief sitzender Süden am geringsten.«57 Die Entscheidung für den Süden Groll angesichts von Langzeitarbeitslosigkeit, des Verlus- ist auch eine gegen Gewerkschaften. Der Handelsminis- tes von Arbeitsplätzen an ausländische Mitbewerber, der ter von Alabama sagte über Airbus: »Die Tatsache, dass Verlagerung von US-Unternehmen ins Ausland sowie an- Alabama ein Right-to-Work-Staat ist, war, meiner Ansicht gesichts des Outsourcings ganzer Beschäftigungsberei- nach, auch sehr wichtig.«58 che durch digitale Technologien. Unmut nährt sich auch aus der zunehmenden Einkommensungleichheit, aus der Geringe Lohnkosten und die Abwesenheit von Gewerk- Habgier von Unternehmen, der staatlichen Sanierung ver- schaften lockten schon die Textilfabriken aus den Neu- antwortungsloser Banken sowie aus internationalen Han- englandstaaten und anschließend weitere Industrie- delsvereinbarungen, die großen Unternehmen zulasten sparten aus dem Norden in die Südstaaten. Obwohl sich der US-Arbeiter Vorteile bringen. Bei der Wahl zwischen vereinzelt Gewerkschaften bildeten (z. B. in der Kohle- Trump und Hillary Clinton war vorher nicht klar zu erken- und Stahlindustrie in Alabama, in der Öl- und Papierin- nen, wem die US-Arbeiter bei der Präsidentschaftswahl im dustrie in Texas und in mehreren Automobilwerken), ist November 2016 ihre Stimme geben würden. es der Wirtschaft im Süden gelungen, die Gewerkschaften draußen und die Löhne niedrig zu halten. Zwar zieht der Eines war jedoch sicher: Der unerwartete und anhalten- Süden namhafte Unternehmen an, und die Löhne in der de Zuspruch für Trump und Sanders sowie die Anzeichen Produktion sind generell höher als die in anderen Sek- eines sich andeutenden Aktivismus der Lohnabhängigen toren der Region.59 Dennoch bleibt der Süden ärmer als (z. B. der Kampf der Geringverdiener für einen Mindest- andere Gegenden der USA.60 Was negative Konsequen- lohn von $ 15)54 unterstreichen deutlich, wie schlecht es zen für das öffentliche Schulsystem hat: Es »bildet Arbeit- um die Lage der US-Arbeitnehmer bestellt ist. nehmer aus, denen selbst grundlegende Qualifikationen fehlen«.61 Das Lohnniveau im Süden übt indes landesweit einen Abwärtsdruck aus – besonders auf die Produktion 4. Der amerikanische Süden: und den Einzelhandel im Mittleren Westen (ein Beispiel Hintergrund Eine komplizierte politische Realität hierfür ist das in Arkansas ansässige Unternehmen Wal- Die Verhältnisse zwischen dem Süden und dem Rest des mart). Die Right-to-Work-Gesetze haben sich nun auch Landes sind schon seit Langem kompliziert. Auch die Ar- auf die Bundesstaaten im sogenannten Rostgürtel, Mi- beitsbeziehungen in den USA können nicht isoliert da- chigan, Indiana und Wisconsin, ausgebreitet. 2016 wurde von betrachtet werden. Zu berücksichtigen ist auch die West Virginia zum 26., 2017 folgte Kentucky als 27. Right- Einstellung in den Südstaaten gegenüber der Arbeiter- to-Work-Staat. bewegung. Der Süden wirbt intensiv und großzügig um ausländische Investitionen, besonders des produzieren- Mehrere Historiker und Politikkommentatoren haben den Gewerbes. Aber: Diese Unternehmen sind »nicht will- kürzlich die Gründe für das »Durchhaltevermögen des Sü- kommen, wenn dies eine gewerkschaftlich organisierte dens«62 und seine politische Macht im Land untersucht: 10
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