Transmitter - Freies Sender Kombinat
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/ / / / / / / / a b s e n d e r − a g r a d i o e . V. , V a l e n t i n s k a m p 3 4 a - 2 0 3 5 5 H a m b u r g , p o s t v e r t r i e b s s t ü c k c 4 5 4 3 6 , e n t g e l d b e z a h l t , d p a g / / / / / / / / / transmitter freies Radio im März Freies Sender Kombinat 93,0 mhz Antenne 101,4 mhz kabel www.fsk-hh.org/livestream 0321
Unterstützt das Freie Sender Kombinat! FSK finanziert sich über Fördermitgliederianer. Die redaktionelle Arbeit im Freien Radio ist zwar unbezahlt, trotzdem kostet die Produktion von Sendungen Geld: Miete, Übertragungsleitungen, Technik, GEMA, Telefon, Büromaterial usw. Eine Vielzahl von Unterstützer_innen kann die die Unabhängigkeit von FSK gewährleisten. Wer beschliesst, das Freie Sender Kombinat zu unterstützen (oder jemand anderen davon überzeugt) bekommt dafür eine der hier abgebildeten Prämien. Aber nur, so lange der Vorrat reicht! Margaret Goldsmith: Patience geht vorüber, AvivA- 1 Während an der Front gekämpft wird, feiern die beiden Schulfreundinnen Patience und Grete im April 1918 in einer kleinen Konditorei in Berlin ihr bestandenes Abitur. Beide sind froh, dass ihnen bei der Prüfung kein Bekenntnis zur Nation abverlangt wurde, stimmen sie doch schon lange nicht mehr in den patriotischen Überschwang ihrer Umgebung mit ein: Grete ist Sozialistin und Patience, die eine englische Mutter hat, wurde von den Mitschülerin- nen ständig daran erinnert, dass sie »nicht dazugehört«. Buch 224 Seiten. Zora Neale Hurston: Barracoon, Penguin Verlag 2 Ein einmaliger Zeitzeugenbericht: Die bisher unveröffentlichte Lebensgeschichte des letzten amerikanischen Sklaven„Barracoon“ erzählt die wahre Geschichte von Oluale Kos- sola, auch Cudjo Lewis genannt, der 1860 auf dem letzten Sklavenschiff nach Nordamerika verschleppt wurde. Die große afroamerikanische Autorin Zora Neale Hurston befragte 1927 den damals 86-Jährigen über sein Leben. In berührenden Worten schildert er seine Jugend im heutigen Benin, die Gefangennahme und Unterbringung in den sogenannten „Barracoons“, den Baracken, in die zu verkaufende Sklaven eingesperrt wurden, seine Zeit als Sklave in Alabama, seine Freilassung und seine anschließende Suche nach den eigenen Wurzeln und einer Identität in den rassistisch geprägten USA. Buch 224 Seiten Hartmann | Wimmer: Die Kommunen vor der Kommune 1870/71, Assoziation A 3 Bereits vor der Pariser Kommune 1871 entwickelten sich in Städten wie Lyon, Marseille oder Le Creusot aufständische Bewegungen. So entfesselten die Arbeiter*innen bei der metal- lurgischen Fabrik Schneider in Le Creusot einen gewaltigen Streik und riefen eine »indus- trielle Kommune« aus. Ein Sprecher der Bewegung war der junge Einrichter Adolphe Assi, der seine Erfahrungen später in die Pariser Kommune einbringen sollte. Auch in etlichen anderen Orten kam es zu Erhebungen und wurden »Kommunen« ausgerufen. Mit deren Beginn, so die Historikerin Jeanne Gaillard, hatte die Provinz schon eine oder sogar zwei revolutionäre Phasen erlebt. Dennoch sind sie lange Zeit fast völlig vernachlässigt worden. Das Interesse der linken wie bürgerlichen Geschichtsschreibung galt vorrangig der Pariser Kommune. 144 Seiten, Paperback abschneiden und an FSK schicken / bei fragen anrufen unter 040 43 43 24 Ich werde Fördermitglied*in des FSK Vor/Nachname und spende monatlich.. Straße/Nr. 5,- 10,- Zahlungsweise: monatlich 20,- 50,- vierteljährlich PLZ Ort ... euro halbjährlich Telefon Ich erteile einen Abbuchungsauftrag. Email Wenn das Konto die erforderliche Deckung nicht aufweist, Fördermitglieder bekommen zum Jahresende eine Spenden- besteht seitens des kontoführenden Geldinstituts keine Ver- quittung zugeschickt. Bitte teilt uns Adress-/Kontoänderungen pflichtung zur Einlösung. Der erteilte Abbuchungsauftrag umgehend mit. Es entstehen sonst zusätzliche Kosten. gilt bis er schriftlich oder telefonisch widerrufen wird. Ich will... IBAN das Buch “Margaret Goldsmith: Patience geht vorüber” das Buch “Zora Neale Hurston: Barracoon” BIC Das Buch “Die Kommunen vor der Kommune 1970/71” Ich möchte die Programmzeitschrift Transmitter zugeschickt bekommen und spende zusätzlich 12,- Euro jährlich für die Nichts. danke. Programmzeitschrift Transmitter. Ort / Datum Ich möchte zum Jahresende bitte eine Spendenquittung zugeschickt bekommen. Adresse bitte mitteilen. Unterschrift
Editorial Dieses ist bei einem ersten Anflug von Frühling ge- schrieben - es wird März Inhalt FSK unterstützen seite 2 Das neue Jahr hat Tritt gefasst – es ist die Rede von Licht am Ende des Tun- Texte Seite 3-14 nels. Wäre dem so könnten tatsächliche Sichtbarkeiten, die im Dunkel desselben Was läuft den da? deutlich geworden waren, fassbarer gemacht werden. Unzählige Menschen auf Seite 15 der Welt sind von Impfungen ausgeschlossen und hier hat man um 108 Euro Radioprogramm Seite 16 für die Dosis Überleben eines Menschen Monate verstreichen lassen um den Impressum & Termine Preis zu drücken. Jemand twitterte: „Kapitalistische Biopolitik war immer diffe- letzte Seite rentiell und rassistisch: Sie steigert das Leben der einen, indem sie die anderen ster- ben lässt. Während Corona ist diese Differenz ins Zentrum der ges. Reproduktion gerückt: Arbeiter*innen sind *zugleich* systemrelevant und entbehrlich.“ Die Corona Krise hat eine Vielzahl von Gewaltverhältnissen aufgedeckt – die Betroffenen ein wenig mehr mit Stimme ausge- stattet. Genauer: Die Betroffenen hatten sich die Stimmen zu nehmen und zu geben. Organisation und Selbstorganisation sind mehr in den Fokus gekommen. Die Kündigung der Betriebsrätin im Krankenhauskonzern wegen ihres öffentlichen Auftretens zu den Arbeitsbedingungen auf der In- tensivstation mußte zurück genommen werden. Es ist allerdings auch der Grad der Zurichtung der Individuen sichtbar geworden, welche keinen Begriff von ihrer Eingebundenheit besitzen und in einer Welt der Projektionen leben. Mit allen transmittern während des einen Jahres Corona haben wir versucht, das Dickicht zu öffnen – Land in Sicht zu bekommen und vor allem alles was an Erkenntnis zu machen war auch allgemein zugänglich zu stellen. Hoffen wir mal, daß das im Rahmen des Möglichen einigerma- ßen gelungen ist. Wenn es ein Licht am Ende des Tunnels gibt, dann ist das die Solidarität, die sich ganz allmählich abzeichnet. Stadtteilinitiativen, gewerkschaftliche Basisgruppen, kleinere Streiks mit empfindlichen Wirkungen, wie im Hafen Hamburg und die bundesweite Gedenkbewegung für die Solidarität der Angehörigen der Ermordeten von Hanau. „Leave no one behind“ war am Beginn der Pandemie als Losung allgegenwärtig – die Entwicklung seitdem unterstreicht die Losung als notwendige Praxis auf Dauer. Der Prozeß gegen den Attentäter aus dem Oktober vor der Hamburger Synagoge hat begonnen und soll Ende März abgeschlossen sein. Am ersten Prozeßtag wurde die Öffentlichkeit vom wei- teren Verlauf ausgeschlossen. Dem FSK gegenüber äußert sich die Justizsenatorin dazu offenbar nicht. Der Ausschluß der Öffentlichkeit sorgt dafür, dass es keinen Diskurs gibt. Der Betroffene des Angriffs erhält im Gegensatz zum Täter keine Öffentlichkeit. Möglicherweise möchte er das auch nicht; wenn doch dann erfährt das niemand so schnell. Bei den Darstellungen zu dem Täter bleibt es bei Erwähnungen der psychatrischen Gutachten während die Zugehörigkeit zur Bundeswehr kein Thema zu sein scheint. Die Argumentation der Staatsanwalt, es habe sich um eine Handlung im Wahn gehandelt bleibt unhinterfragt. Gerade diese Argumentation hätte den Antisemitismus als Wahn zu einem Gegenstand öffentlicher Debatte machen können. Wie auch in Halle bereits zeigt sich, wo der Übergang zur Vernichtungsabsicht hervortritt und das dieses ein verbreitetes ge- sellschaftliches Moment ist. Der Erkenntnis dieses Zusammenhangs hätte der juristische Prozeß dienen können. Der Ausschluß der Öffentlichkeit läßt diese Möglichkeit wohl verstreichen. Im gesamten einjährigen Krisenverlauf hat es sich nachhaltig bewährt, wenn unterschiedliche Anliegen auch auf ihre Verknüpfungen hinwirken. Das Freie Sender Kombinat ist ein Ort, der von seinen* Grundanliegen her auch dafür gemacht ist. Die Praxis dagegen läuft den Notwendigkei- ten hinterher und manchmal auch entgegen, weswegen wir zu einigen Vorgängen hier im Haus Kenntnis geben müssen. Das geschieht mit einer Information weiter hinten im Heft. Damit verabschieden wir uns in einen Monat mit weiteren Herausforderungen tm redaktion + spartakusbriefe 3
Plädoyer für eine Biopolitik von unten. Biopolitik von unten vs. Biopolitik von oben Wie kann eine Kritik des autoritären Liberalis- keine Wohnung haben oder bekommen, um sich mus aussehen? Wie können wir den Techniken der isolieren und zurückziehen zu können; vor allem Individualisierung, Entpolitisierung und Entsolida- aber jenen in den Flüchtlingslagern an der Grenze, risierung entkommen, die lange schon den Spätka- die sowohl dem Virus als auch anderen Gefahren pitalismus prägen und in der Corona-Krise manche ausgesetzt sind, jene also die die Biopolitik von oben Leben prekärer machen als andere? Was kann der „sterben lässt“. »Biopolitik von oben« entgegensetzt werden? Diese Fragen haben wir uns in einem Radiobeitrag bei Medikalisierung der Politik und Politisierung der Radio Nordpol (radio.nrdpl.org) vom letzten Früh- Medizin jahr gestellt. Fast ein Jahr später scheinen sie noch dringender geworden zu sein. Politik und Medizin sind seit langem eng ver- Der politische Umgang mit der Coronakrise ist woben. Auf der einen Seite hat dies zu einem Pro- hierzulande bislang von einer radikal neoliberalen zess der Medikalisierung der Politik geführt, die Regierungsweise geprägt gewesen. Maßgeblich für sich mehr und mehr dem dem Schutz vor Risiken diese ist ein Ausgleich zwischen wirtschaftlichen oder der „Heilung“ ihrer Bürger:innen verschreibt Interessen und der Auslastung des Gesundheitssys- – Risiken, für welche sie oft verantwortlich ist. Auf tems. Die Folge ist bekanntlich, dass das soziale, kul- der anderen Seite erleben wir eine Politisierung der turelle und politische Leben fast vollkommen zum Medizin von oben, deren Aufgabe soziale Kontrolle Stillstand gezwungen wurde, während das wirt- in Verschränkung mit neoliberalen Führungstech- schaftliche Leben in den meisten Branchen erhalten niken ist. Ein besonderer Aspekt der Biopolitik von worden ist. Fragen nach ungleichen Risiken, Betrof- oben ist dabei die Anrufung der Bevölkerung als fenheiten und Schutzbedürfnissen in der Pandemie „verantwortbarer Subjekte“: Werbekampagnen der so gut wie keine Rolle. Regierung vermitteln stets das Bild, die Gesamtsitu- Dass die extreme Rechte wieder auf sozialdar- ation der Infektionsentwicklung liege maßgeblich in winistische „Lösungen“ setzt, die die Corona-Toten denen Händen jeder:s Einzelnen. wie eine „natürliche Selektion“ versteht, mag nicht zu Der französische Politikwissenschaftler Gré- überraschen. Nur nimmt das neoliberale Pandemie- goire Chamayou hat in s“Die unregierbare Gesell- Management „Flatten the Curve“ das Sterben ebenso schaft“ diese Form der neoliberalen Individualisie- in Kauf, indem es offen zwischen dem Schutz des rung im Kontext der Gegenstrategien der Kapital- Lebens und dem Schutz der nationalen Wirtschafts- verbände gegen die emanizipatorischen Bewegun- leistung abwägt – und letzterer dabei Vorrang ein- gen der 70er Jahre nachgezeichnet und zeigt, dass räumt. Denn Zweck dieses Programms ist eine In- sich lange vor der Coronakrise der Geist der indivi- fektions- und Sterblichkeitsrate in einem systemisch duellen Verantwortung für das Gemeinwohl in Poli- tolerablen Rahmen. Gesundheit in diesem Sinn tik und Gesellschaft durchgesetzt hat. heißt: Leben machen und Sterben lassen, »Biopoli- tik« (Michel Foucault). Im Umgang mit dem Coro- Politiken der Sorge navirus geht es eben nicht so sehr um die Behand- lung des einzelnen Individuums, sondern die Regu- Die Coronakrise hat die Fürsorge-, Vorsorge- lierung der Bevölkerung, die Regulierung der Mo- und Versorgungskrise der gegenwärtigen Verhält- bilität der Begegnung oder eben Nicht-Begegnung nisse offenbart und eine sozialpolitisch bislang kon- einzelner. Aber – und dies ist besonders relevant sequenzlosen Debatte um Reproduktions- und Pfle- – auch die Regulierung der Teile der Bevölkerung, gearbeit angestoßen. Während es danach aussieht, die eben nicht isoliert und geschützt werden, die in als würde sich praktisch die Arbeitsbedingungen im den Fabrikhallen, Baustellen, Pflegeeinrichtungen Pflegesektor gar nichts verbessern und keinerlei po- weiterarbeiten müssen, die keinen Schlafplatz oder litische Anstrengung unternommen, an den prekä- 4
ren Bedingungen und Unterversorgungen etwas zu Helft uns im Kampf gegen diejenigen, die uns un- ändern, ist eine breite Debatte um Reproduktionsar- sere Jobs wegnehmen und uns aus unseren Woh- beit eingetreten. Erzieherische Berufe, bislang eben- nungen hinauswerfen wollen; gegen diejenigen die falls schlecht entlohnt, gelten als systemrelevant. Die sich weigern, uns zu berühren oder uns von unseren gesamte Debatte um Schul- und KiTa-Schließungen Geliebten, unseren Freunden und Gleichgesinnten krankt an der scheinheiligen Adressierung von Kin- trennen wollen. Es gibt nämlich keinerlei Hinweis deswohl, das letztlich nie im Fokus der Maßnahmen darauf, das AIDS durch alltägliche soziale Kontakte steht. Die Coronakrise radikalisiert die alte linke übertragen werden kann. und feministische Debatte um Reproduktionsarbeit bzw. Care Work noch einmal: Es wird deutlich, dass Macht Menschen mit AIDS nicht zum Sündenbock. das Versprechen des Post/Wohlfahrtsstaats, den Gebt uns nicht die Schuld an der Epidemie. Zieht Ausgleich zu schaffen zwischen Produktion und keine verallgemeinernden Schlüsse über unsere Reproduktion, ein Gesundheits- und Sozialsystem Lebensstile. einzusetzen – nie für alle galt. Nicht umsonst tritt Diese Forderung der Entstigmatisierung er- in der Krise das Leid gerade entlang der Achsen zu scheint in der zeitgenössischen Pandemie, die eben Tage, die das Versprechen von Fürsorge und Versor- gerade durch „alltägliche soziale Kontakte übertra- gung systemisch nicht zu halten in der Lage sind: gen“ wird umso radikaler. Der Anspruch von Act Gesundheitssektor, Pflegesektor, Bildung und Erzie- Up stand unter dem Motto: Schweigen heißt Ster- hung, Soziale Arbeit. ben. Die Rechte von Menschen mit AIDS fordern Sorge bzw. Care sind zuletzt fast schon zu ver- ein würdevolles Leben sowie Sterben ein, qualifi- heißungsvollen Worten in linken Kontexten gewor- zierte Versorgung, Aufklärung, ein voll befriedigen- den, aber was kann eine anderen Form der Politisie- des und selbstbestimmtes Dasein sowie das „Recht rung von Gesundheit sein angesichts der herrschen- auf menschlichen Respekt und auf die Wahl unserer den Verhältnisse? wichtigsten Kontaktpersonen“ – Forderungen, die Eine Politik der Sorge entlarvt die neoliberalen in der Coronakrise geradezu abtrus, irreal wirken Bedingungen und immanenten Prekarisierungen mögen. Dass sie das tun, erscheint uns wiederum als und stellt das Versprechen des Post/Wohlfahrts- Symptom linker Sprachlosigkeit und der Erschöp- staats radikal in Frage. Ihr Anspruch muss sein, fung radikaler politischer Programme. angesichts der fortgesetzten Prekarisierung eine an- tirassistische, feministische, antisexistische und an- Wie weiter? tiheteronormative und be_hinderungssensible, also »intersektionale« Politik zu fordern, die Sorge trägt Auch nach einer „überstandenen Corona In- für die ungleichen Verwundbarkeiten in der Krise. fektion“ leiden viele noch über Wochen oder Mo- Eine solche Politik versteht Sorge nicht allein als Ar- nate an ihrer Infektion. Das Phänomen nennen beit, sondern grundsätzlicher als ein Problem der Forscher:innen „Long Covid“. Selbst wenn also ein Sozialität, der Relationität und Verletzlichkeit. Sie Punkt der Kontrolle des Virus durch globale Mas- weist damit die systemische Individualisierung des senimpfungen erreicht ist, bleibt Corona ein zentra- autoritären Liberalismus zurück und fordert die Be- les Gesundheitsthema , oder mit den Worten Ange- rücksichtigung von Betroffenheiten ein. las Merkels, „eine medizinische, eine ökonomische, Historische Bezugspunkte hat diese beispiels- eine soziale, eine psychische Bewährungsprobe.“ weise in der feministischen Tradition, insbesondere in der feministischen Gesundheitsrecherche, in den Eine Politisierung der Medizin findet bereits in Emanzipationsbewegungen des Schwarzen Civil den Kämpfen der Beschäftigten im Gesundheitswe- Rights Movement und in der AIDS-Krise. sen, in den Organisierungen der Gesundheitsbünd- In der jetzigen Situation hilft die Erinnerung an nisse statt und wird praktisch erprobt in exemplari- die Denver-Prinzipien von 1983: Eine Gruppe von schen Projekten wie der Poliklinik in Hamburg oder AIDS-Aktivist*innen versammelte sich in einer Si- Social Solidarity Medical Centre of Thessaloniki tuation, in der über die Krankheit noch so gut wie (Griechenland). Es braucht die Organisierung von nichts bekannt war. Sie deklarierten die Rechte von Patient:innen gemeinsam mit Beschäftigen für den Menschen mit AIDS, sprachen Empfehlungen an Aufbau eigener inklusiver Social Medical Center für Menschen im Gesundheitswesen sowie Empfehlun- eine Gegenperspektive von unten. gen an alle aus. So heißt es dort: von Mr Pinguin & sippurim, Radio Nordpol 5
150 Jahre Pariser Commune Erinnerung an eine halbvergessene Geschichte Am 18. März 1871, vor 150 Jahren, kam es in zu einem gesellschaftlichen Umgestaltungsprozess Paris zu Ereignissen, die bis vor nicht allzulanger an, der bei Zeitgenossen Begeisterung oder tiefen Zeit fester Bestandteil des historischen Gedächtnis Hass hervorrief. Die Trennung von Staat und Re- der internationalen Linken waren. Im September ligion, der Erlass fälliger Mieten, die Überführung 1870 hatten deutsche Truppen die französische von Fabriken in Kollektiveigentum der Beschäftig- Armee besiegt und den französischen Kaiser Na- ten gehörten dazu. Einher ging dieser Prozess mit poleon III. gefangen genommen. Das war der, über einer zunehmenden Beteiligung vor allem klein- dessen Staatsstreich und Selbsternennung eben bürgerlicher und proletarischer Frauen am poli- zum französischen Kaiser Karl Marx den „acht- tischen und militärischen Geschehen. Denn die zehnten Brumaire des Louis Bonaparte“ schrieb bürgerliche Regierung, die gegenüber den Deut- und damit zum Stichwortgeber die Bonapartis- schen kapituliert hatte, nahm den Kampf gegen die mustheorie wurde, einen der marxistischen Ansät- CommunardInnen mit aller Entschiedenheit auf. ze im 20. Jahrhundert, autoritäre bzw. faschistische Nachdem von der Pariser Commune inspirierte Herrschaft zu erklären. Mit der militärischen Nie- Rebellionen in anderen französischen Städten nie- derlage gegen die Deutschen war der französische dergeschlagen waren, marschierten Ende Mai re- Staat weitgehend handlungsunfähig. Während die guläre Truppen in Paris ein und massakrierten die Sieger im Januar 1871 Paris belagerten und zeit- Revolutionäre. Die letzten wurden an der Mauer gleich in einer Geste maximaler Demütigung im des Friedhofs Père Lachaise erschossen, die Mur Schloss von Versailles das zweite deutsche Kaiser- des Fédérés, Mauer der Föderierten (der Angehö- reich gründeten indem sie den den preußischen rigen der Nationalgarde) ist bis heute ein wichtiger König zum deutschen Kaiser machten, erhielt in Gedenkort der französischen Linken, ähnlich dem Paris die Nationalgarde Zulauf. Diese Truppe, wäh- Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde. rend der französischen Revolution aufgestellt und Die Pariser Commune wurde international zur militärisch mittlerweile bedeutungslos, war vor Kenntnis genommen und war ein Vorschein auf allem aufgrund des gezahlten Soldes interessant die politischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts. In für das Pariser Proletariat und verarmte Kleinbür- kurzer Zeit erblühten Hoffnungen auf Emanzipa- ger. Zunehmend den Charakter einer bewaffneten tionsprozesse, gingen Menschen daran ihr Schick- Organisation dieser Schichten annehmend, stellte sal in die Hände zu nehmen. In dem wie dieser sie eine Gefahr für die mittlerweile gebildete bür- lokale Aufbruch in eine menschlichere Welt mit gerliche Regierung, die einen Friedensvertrag mit massiver Gewalt der Verwalter des Bestehenden den Deutschen unterzeichnet hatte, dar. Am 18. niedergeschlagen wurde, kündigt sich der Unter- März nun sollte die Nationalgarde durch Einhei- gang der Räterepubliken und befreiten Territorien ten der regulären Armee entwaffnet werden. Das zwischen 1918 und 1936 an. Frappierend, dass we- Unternehmen misslang gründlich, vor allem auf- nige Wochen vor dieser Revolution, die darauf be- grund der Weigerung der Soldaten, auf die Prole- ruhte, dass sich die ProletarierInnen in der Stunde tarierInnen und KleinbürgerInnen, die sich ihnen der militärischen Niederlage Frankreichs nicht in dabei entgegenstellten zu schießen. Dran glauben den Klassenkompromiss flüchteten, sondern den mussten stattdessen die beiden kommandierenden Hauptfeind im eigenen Land suchten, sich in un- Generäle. mittelbarer Nähe das deutsche Kaiserreich grün- dete, der deutsche Nationalismus einen weiteren Damit begann der Versuch einer Revolution, Schritt auf dem Weg nahm, der ein Menschenleben wie es ihn vorher noch nicht gegeben hatte. Das später in die Barbarei führte. Zentralkomitee der Nationalgarde übernahm die Macht, veranstaltete Wahlen zum Gemeinderat, Kurze Zeit nach der Niederschlagung der zur Commune, aus der ein regierendes Gremium Commune brachte der Transportarbeiter Eugène hervorging, indem proletarische und kleinbürger- Pottier deren revolutionären Kern in einem Ge- liche Anhänger verschiedener linker Strömungen dicht auf den Punkt, dass vertont zu Hymne der den Ton angaben. Und sie setzten, wenn auch auf kommunistischen Linken werden sollte: „Debout! erratische und zum Teil wenig konsequente Weise, l’âme du prolétaire! Travailleur groupons nous 6
enfin. Debout! les damnés de la terre!...“ Dass die Andenken. Heute sind diese Strömungen der Lin- Verdammten dieser Erde die Macht hätten, die ken weithin Geschichte, die Internationale den „Sonn‘ ohn‘ Unterlass“ scheinen zu lassen, die Welt meisten die totgedudelte Hymne des verblichenen endlich menschenwürdig einzurichten, wenn sie Realsozialismus. Das liegt nicht nur an den mitt- nur gemeinsam aufstünden, war ein Versprechen, lerweile vergangenen 150 Jahren. Eine Linke, die dass trotz des Scheiterns der Commune seine nicht mehr davon ausgeht, die Organisation der Glaubwürdigkeit fast ein Jahrhundert lang auch menschlichen Gesellschaft grundlegend umgestal- aus den Pariser Ereignissen des Frühjahres 1871 ten zu können, die das Versprechen wie die Forde- zog. Die blutige Niederschlagung der Commune rungen der Commune für nicht mehr erfüllbar hält interpretierten dabei jene KommunistInnen, die braucht auch Erinnerungsorte wie die Commune nach 1917 erneut versuchten, eine neue Form po- nicht mehr. Das wird gerade auch da deutlich, wo litischer Organisation der Gesellschaft zu schaffen heute doch mal Bezüge zur Commune hergestellt als Hinweis darauf, dass der Bürgerkrieg inhären- werden, z.B. in der „Internationalist Commune ter Bestandteil der Revolution sei und man sich of Rojava“. Vielleicht bewusst, wahrscheinlicher in die Lage versetzen müsse, diesen militärisch zu aber unbewusst, verweist diese Bezugnahme auch gewinnen. Als einem der ersten in einer langen auf die Prekarität und Bedrohung, der jeder lokal Reihe blutig gescheiterter heroischer Versuche die begrenzte Versuch kollektiver Emanzipation aus- Welt besser einzurichten bewahrten auch Linke, gesetzt ist und die drohende Barbarei im Falle des die nach 1917 nicht auf den Aufbau des proleta- Scheiterns. rischen Staates setzten, der Commune lange ein Sten Diesmal geht es ums Ganze. Stadtteilentwicklung von unten - Das Münzviertel plant selber! Aktuell befindet sich das Münzviertel wiede- wie „hoffnungsorte hamburg“ mit ihren vielfälti- rum im sozialen und städtebaulichen Umbruch. gen Angeboten für wohnungslose Menschen, das Im Visier der Stadt steht der Verkauf ihres letzten „Drob Inn“ für drogenabhängige Menschen und Grundstücks (ehemaliges Hillgruber Gelände) im die „alsterdorf assistenz ost“ für Menschen mit Viertel. Die Stadt erklärt das Grundstück kurzer- Assistenzbedarf. hand zum Wirtschaftsförderungsfall (s.: St. Pauli- haus) und verweigert uns, somit jegliche partizipa- Es ist unser fortwährender Widerstand gegen tive Mitsprache. Deshalb: eine tradierte von „oben nach unten“ diktierte Stadtgestaltung, wo die Politikmächtigen intrans- „Kein Verkauf der letzten städtischen Brach- parent als „Gott-Vater“ (wir wissen was für Euch fläche im Münzviertel an externe Investoren! Statt- gut ist) auftreten und somit die betroffenen Men- dessen Verkauf der Grundstücksfläche: Ecke Nor- schen vor Ort mit ihrem Wissen und Alltagspraxis derstraße/Schultzweg in Erbpacht an eine nachbar- von nachbarschaftlichem Miteinander zum bloßen schaftliche Wohn-Genossenschaft, die der sozialen Befehlsempfänger degradieren. Infrastruktur im Viertel Rechnung trägt wie z. B: Wohnungen nach dem „Housing First“ Prinzip für Es ist nicht das erste Mal, dass uns die Politike- jungerwachsene obdachlose Menschen.“: https:// liten der Stadt eine aktive Mitsprache und Mitge- vimeo.com/498912390 staltung bei der sozialen und städtebaulichen Um- gestaltung unserer unmittelbaren Nachbarschaft Seit fast 20 Jahren sind wir im Münzviertel verweigern. Schon der Gründungsanlass unserer gesellschaftspolitisch aktiv. Im Mittelpunkt un- Aktivitäten war 2002 die urplötzlich wie aus blau- serer gemeinwesenorientierten Stadtteilarbeit em Himmel veranlasste Neubebauung des ehema- steht die partizipatorische Quartiersentwicklung. ligen Geländes der Hamburgischen Münzpräge- Ziel dabei ist die nachhaltige Verbesserung der anstalt mitten im Herzen des Viertels. Weder die Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen der damaligen Bauherren (Wichern Baugesellschaft Quartiersbewohner*innen einschl. der großen mBH) noch die kommunalen Politiker*innen in- Anzahl von zentralen Sozialeinrichtungen vor Ort formierten uns im Vorwege. 7
Dagegen liefen wir Sturm und die Herr Mathe hatte es versäumt uns mitzuteilen, Politiker*innen versprachen Besserungen. 2008 er- dass es bereits einen Projektentwickler (HBK Han- klärten sie das Münzviertel im Rahmen von RISE seatische Baukonzept GmbH & Co. KG) für die zum Fördergebiet. Wir spürten Morgenluft und Bebauung gab und dieser hatte kein Interesse an einen Hauch von partizipatorischer Mitgestaltung Wohnprojekte, Ateliers, Wohnraum für obdach- bei der Neubebauung des Grundstücks: ehemalige lose Jugendliche usw. Was übrig bleibt ist „koZe“ Schule für Hörgeschädigte am Schultzweg. im Herzen und kein Schritt zurück. Wir wollen das Ganze! Forciert durch Michael Mathe, den damaligen neuernannten Amtsleiter für Stadt- und Land- Ein steiniger Weg. Michel Mathe, der Vorkos- schaftsplanung HH-Mitte erarbeiteten wir 20011 ter des Senats bringt sich bereits in Stellung: „Es gemeinsam mit Student*innen der HCU über viele ist dem Münzviertel nicht mehr zuzumuten, hier Monate hinweg die inhaltliche und architektoni- noch weitere Sozialprojekte anzusiedeln.“ Quar- sche Neubebauung des ehemaligen Schulgelän- tiersbeiratssitzung Münzviertel Juli 2020.: http:// des. Dabei träumten wir von genossenschaftlichen www.muenzviertel.de/es-ist-dem-muenzviertel- Wohnprojekten, öffentlich geförderte Atelierwoh- nicht-mehr-zuzumuten-hier-noch-weitere-sozi- nungen für Kunst- und Kulturschaffende, Wohn- alprojekte-anzusiedeln-michael-mathe-leiter-des- raum für obdachlose Jugendliche sowie Menschen fachamts-stadt-und-landschaftsplanung-bezirk- im Asylverfahren. Alles für die Katz! samt-hh-mitte-beric/ Stadtteilinitiative Münzviertel 8
Für eine neue Strategie-Debatte 4. Teil Organisation (und damit wechselseitig auch alternen – einmal der Lohnabhängigen, einmal der Strategie) beschreibt Georg Lukács 1923 als Form Frauen* – begriffen werden. Die dazugehörige Ideo- der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis: logiebildung ist bei beiden Phänomenen allerdings „Und wie in jedem dialektischen Verhältnis erlan- diametral entgegengesetzt: gen auch hier die Glieder der dialektischen Beziehung Bei Bullshit Jobs werden gesellschaftlich sinn- erst in und durch ihre Vermittlung Konkretion und lose bis schädliche Tätigkeiten zur Seinserfüllung Wirklichkeit.“1 und sozialem Prestige überhöht, während durch Heute scheinen wir genau die dieser dialekti- Hausfrauisierung die faktisch vor allem von Frauen schen Beziehung innenwohnende Frage der Strate- geleistete, gesellschaftlich höchst notwendige Care- gie und Organisation theoretisch zu vernachlässi- Arbeit ideologisch entwertet wird. gen. Es folgt zugespitzt formuliert eine unwirkliche Theorie und eine theorielose Praxis. Konkrete prak- Diese scheinbar entgegengesetzten Logiken tische Konsequenzen für die Linke heute sind unse- verhalten sich in Wahrheit komplementär zuein- rer Meinung nach der reaktive Charakter der Praxis ander und spiegeln die im Übergang zum Kapita- und Organisationsformen, die sich an verschiede- lismus begründete, im Fordismus bzw. „staatlich nen historischen Formen orientieren, statt in Wech- verwalteten Kapitalismus“4 auf die bessergestellten selwirkung mit der Strategie aus einer umfassenden Arbeiter*innen ausgeweitete Sphärentrennung in Gegenwartsanalyse zu resultieren. männlich/weiblich, öffentlich/privat, produktiv/re- Wir beschäftigen uns seit drei Transmittern produktiv, rational/emotional, Arbeit/Leben5 wider. mit dieser Feststellung und den resultierenden Die Aufwertung der Lohnarbeit bei gleichzeitiger Konsequenzen. Abwertung sorgender Tätigkeiten ist dem kapitalis- tischen Patriarchat damit bereits in seinen Anfän- Zuletzt haben wir verschiedene revolutionäre gen eingeschrieben. Qualitäten2 andiskutiert, auf die Anpassungsfähig- keit des Kapitalismus und die Gefahr der Kommo- Notwendig für unsere Strategiedebatte ist aber difizierung dieser Qualitäten hingewiesen. In Bezug nicht diese bloße Feststellung grundsätzlicher ka- auf die Qualität politische Zeit haben wir im letzten pitalistisch-patriarchaler Dynamiken, sondern die Text mit David Grabers Konzeption der Bullshit Jobs Analyse von deren Spezifika unter heute vorgefun- aufzuzeigen versucht, dass das Kapital Jobs schafft, denen historischen Bedingungen. Hierbei muss die keine sinnvollen Inhalte aus Perspektive der zunächst festgestellt werden, dass die in der Sphä- Lohnabhängigen haben, sondern aufgrund kapita- rentrennung angelegten Spaltungen weniger trenn- listischer Zweckrationalitäten entstehen und funkti- scharf geworden sind. Nur wenige Reaktionäre ver- onal für die Bourgeoisie zur Ideologiebildung und treten noch offensiv, dass Frauen an den Herd gehö- zur In-Arbeit-Haltung der Subalternen sind. ren. Auch die Grenzen zwischen Lohnarbeit im Öf- fentlichen und Sorgearbeit im Privaten verschwim- In diesem Text wollen wir diese Analyse um men zusehends. eine feministische Perspektive erweitern. Bereits Ende der 70er Jahre gab es mit dem Konzept der Dieses Verschwimmen der Abgrenzung ist Er- Hausfrauisierung von Maria Mies eine hieran an- gebnis dessen, was Fraser als „progressiven Neolibe- schließende Theorie: ralismus“6 bezeichnet: Die in einer Phase relativer „Hausfrauisierung der Arbeit war und ist der Stärke der Arbeiter*innenklasse begonnene zweite Trick, durch den das Kapital Frauenarbeit gene- Welle der Frauenbewegung wurde in der danach rell entwertet, unorganisiert/atomisiert erhält, sie einsetzenden kapitalistischen Restauration gespal- dauernd zur Verfügung hat und jederzeit – ohne ten, der liberale bis zentristische Flügel in die neo- Kosten – wieder aufnehmen kann.“3 liberale Herrschaft kooptiert, während der linke Parallel zu den Bullshit Jobs kann die Hausfrau- Flügel in die gesellschaftliche Irrelevanz gedrängt isierung also als Zugriff des kapitalistischen Patri- wurde. Die Veränderungen in dieser Periode sind archats auf die Zeit und Zeitsouveränität der Sub- damit auch neoliberal angeeignete Forderungen der 9
Frauenbewegung: Die Hierarchisierung zwischen Selbstoptimierung integriert werden, welches das Lohnarbeits- und Care-Sphäre wurde nicht prin- Private nach ökonomischen Maßstäben ausrichtet. zipiell aufgehoben, sondern nur erstere für Frauen Dass heute ein riesiger Sektor von warenför- geöffnet. Die notwendigen Haus- und Sorgetätig- mig organisierter Care-Arbeit zu großen Teilen erst keiten wurden nicht radikal umverteilt bzw. kollek- durch deren Kommodifizierung im progressiven tiv neuorganisiert, sondern nur in Teilen staatlich Neoliberalismus entstanden ist, hat grundlegende bzw. privatwirtschaftlich kommodifiziert (v.a. Pflege Bedeutung für potenzielle Arbeitskämpfe in diesem und Erziehung, die wiederum hauptsächlich durch Bereich. Die Schwäche der Linken im Neoliberalis- schlecht bezahlte Frauen* geleistet werden). Die mus spiegelt sich in „gerade erst“ aufgekommenen Politisierung bzw. Sichtbarmachung des Privaten bzw. stark gewachsenen Sektoren besonders stark schließlich konnte teilweise in das Ideologem der wider. 10
Auch der Übergang von kollektiver zu indi- vidueller Verantwortung findet sich in den Care- Individualisierung, Atomisierung und Unsicht- Tätigkeiten wieder, in denen Arbeiter*innen ihre barmachung der zeitlich immer weiter prekarisier- Klient*innen, Patient*innen u.a. nicht zum Strei- ten Hausarbeit verschleiern ihre Notwendigkeit als ken alleine lassen wollen. Dabei ist dies nicht nur Hintergrundbedingung der Produktion und verhin- ideologisches Produkt ihres Entstehungs-/Expansi- dern dabei ihre Politisierung. onszeitraums, sondern bringt auch die prinzipielle Ausgerechnet durch die Pandemie scheint es Widersprüchlichkeit kommodifizierter Care-Ar- jedoch einen neuen Fokus auf beide Bereiche zu beit zum Ausdruck. Nicht zuletzt schränkt sie die geben: Sowohl die Relevanz und Wertschätzung Anwendbarkeit der historischen Erfahrungen der von Care-Arbeit, als auch die Frage danach, welche Arbeiter*innenbewegung ein: Jobs wirklich notwendig sind, werden zur Zeit wie- der stärker verhandelt. Zwar spiegelt der bisherige „Es geht also um zwei Produktionen mit zwei Umgang mit der Krise in erster Linie die kapitalis- Zeitlogiken: schneller, rationeller die eine, Ar- tische Hegemonielage wider und läuft auf eine Ver- beit einsparend – sorgsam, pflegend, erhaltend, schärfung der beschriebenen Problematiken hinaus; zeitlich ausgedehnt, ja langsam die andere. Die gleichzeitig wächst aber auch die Zuversicht, dass allmähliche Unterwerfung der langsamen Pro- die Erfahrungen der Pandemie neue Möglichkeiten duktion unter die Kapitalgesetze bringt Zerreiß- für die Auseinandersetzungen um die revolutionäre proben ganz anderer Art ins Leben der davon Qualität Zeit eröffnen könnten. Einer ausführlichen Betroffenen.“7 Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld wid- men wir uns in einem der kommenden Texte. Diese widersprüchliche Zeitlogik findet sich Die Erkenntnis, dass Hausfrauisierung und auch im scheinbar nicht-kommodifizierten Pri- Bullshitjobs zwei Seiten derselben Medaille sind, vatem wieder. Der im Zuge der herrschaftlichen dass die systematische Auf- und Entwertung der Kooptation zum Verschwinden gebrachte Protest vergeschlechtlichten Sphären jeweils dem Zugriff gegen die Hierarchisierung zwischen Lohnarbeits- auf die Zeit der Subalternen und damit potenziell und Care-Sphäre hat im Zusammenhang mit der der politischen Zeit für linke Kämpfe dient, ermög- Erwerbsintegration von Frauen* nicht nur zu dessen licht verbindende Politiken für eine klassenbewuss- Zementierung, sondern zur Zuspitzung der Hierar- te, feministische Bewegung zur erweiterten Verfü- chisierung geführt. Das Familienlohn-Modell muss- gung über unsere Lebenszeit. te vor allem in der Periode seiner Infragestellung zur eigenen Verteidigung zumindest symbolisch Es ist unsere Zeit! eingestehen, dass Hausarbeit existent und für die Hälfte der Gesellschaft eine vollwertige Tätigkeit ist. Maulwurf der Vernunft Demgegenüber ist Hausarbeit in der Doppelverdie- ner-Familie tendenziell reiner Ballast, besitzt keine Literatur: Wertigkeit, wird unsichtbar gemacht und wird, weil 1 Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein, faktisch nach wie vor hauptsächlich durch Frauen* Neuwied 1968[1923]. geleistet, von Männern eher als unerschöpflich vor- 2 Maulwurf der Vernunft, Für eine neue Strategie-Debatte handene Ressource denn als Ergebnis der Arbeit an- zweiter Teil: TM 1220/0121. derer interpretiert. 3 Maria Mies in Knapp/Wetterer (Hrsg.): Soziale Ver- ortung der Geschlechter, Münster 2001. Äquivalent zu Bullshit-Jobs präsentiert sich der 4 Nancy Fraser/Rahel Jaeggi, Kapitalismus. Ein Ge- Zugriff auf die Zeitressourcen der Subalternen als spräch über kritische Theorie, Berlin 2020. Behauptung des Gegenteils: Die kapitalistisch or- 5 Karin Hausen, Die Polarisierung der „Geschlechtscharak- ganisierten Beschäftigungstherapien der Bullshit- tere“ – eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und jobs sind nur vor dem Hintergrund der existenzbe- Familienleben. In: Werner Conze (Hrsg.): Sozialgeschichte drohenden Beschäftigungslosigkeit nicht komplett der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976. unsinnig. Gleichzeitig ist die Unsichtbarmachung 6 Nancy Fraser, Vom progressiven Neoliberalismus weiblich geleisteter Sorgearbeiten nur vor dem Hin- zu Trump. In: American Affairs 4, Denville 2017. tergrund möglich, dass einigen Frauen* Karrieren 7 Frigga Haug, Marxistische Refundierung des Fe- in der Lohnarbeit als scheinbares Privileg zugestan- minismus, feministische des Marxismus. In: den werden. Das Argument 314, Hamburg 2015. 11
Alle Männer sind Täter? Ein Nachwort zu: „Täter – das Männermagazin“ Die Tradition der vergangenen zwei Jahre, einen voll- zu Männlichkeit zu entkommen, aber welche Er- ständigen ausschließlich dem internationalen feministi- fahrung ich eigentlich genau mit Männlichkeit ge- schen Kampftag gewidmeten Märztransmitter durch die macht habe, weiß ich jetzt auch nicht mehr. M8 Gruppe gestaltet, konnten wir in diesem Jahr nicht fortsetzen. Vielleicht nächstes Jahr dann wieder. Für die- Männliche Sozialisation für alle? ses Heft haben wir aus der Gruppe den hier folgenden Text gewinnen können: Im Ankündigungstext für die Sendung hatte ich geschrieben „Joscha X Ende, eine trans Frau, Im Oktober 2020 habe ich im Rahmen des also männlich sozialisiert“. Ich postete das in eine „M8 Feminist Strike Radio Tag“ einen Beitrag für kritische Männlichkeitsgruppe und wurde darauf das FSK gemacht 1. Unter dem Titel „Täter – das hingewiesen, dass „männliche Sozialisation“ für Männermagazin“ wollte ich einen Zugang finden, Menschen mit trans Erfahrung zu behaupten eine über männliche Täterschaft zu reden und redete transphobe Erzählfigur sei. ,Männliche Sozialisati- dabei zumeist über mich selbst. Über den Tag, an on‘, dies schien passend für mich, aber weil ich die dem ich die Sendung machen wollte, sprach ich Kritik verstand und insbesondere verstand, dass es viel mit meinen Mitstreiter:innen in der M8-Gang. erstmal um mich gehen müsste, änderte ich den Es wurde mir klarer und klarer, dass eine allgemei- Ankündigungstext und nahm das „also“ weg. „Jo- ne Thematisierung des Gegenstands „männliche scha X Ende, eine trans Frau, männlich sozialisiert.“ Täterschaft“ aus meiner Perspektive nicht gutgehen Denn Männlichkeit ist ja nicht nur für cis-Perso- würde. Denn von Anfang an standen deutliche und nen, sondern eine queeres Feld und ein weites Feld nachvollziehbare Einwände gegen das im Raum, von trans Erfahrungen, trans Männlichkeiten und was der Titel implizierte: Männlichkeiten in nicht-binären Zusammenhän- gen. Zurück zu mir: bin ich denn nun männlich so- Alle Männer sind Täter! zialisiert? Ich kann heute nur sagen, weiß ich nicht. Ich hatte mich recht intensiv mit Männlich- Männliche Privilegien für mich? keitskritik befasst und irgendwie dachte ich, durch meine zusätzliche Auseinandersetzung mit Männ- Was ich heute denke ist, dass ich Privilegien lichkeit im Rahmen meiner trans Erfahrung, hätte mitnahm, die sich als „Mann“ ergaben. Zugege- ich ein spezifisches Wissen um den Gegenstand, ben etwas, gegen das ich nichts hätte unternehmen das ich teilen könnte. Der Eindruck entstand, weil können – das einzige, was mir einfiele, wäre mich ich im meinem politischen Umfeld mit Cis-Män- schon damals als trans zu outen, und das Privileg nern bzw. patriarchal geprägten Männern zu tun abzuwerfen. Es waren allerdings keine Vorbilder habe und auch im Rahmen von Täterarbeit und der da, die meine spezifische Erfahrung mit der Zu- Auseinandersetzung darüber über Umgänge und richtung durch eine binär formierte Gesellschaft Auswege aus patriarchalen Mustern nachgedacht hätten spiegeln können. Ich sah das Leben, grob hatte. Ich erinnerte mich – und darüber sprach gesagt, allemal als elendig an und die kapitalisti- ich, auch in der Sendung – an die eigenen patriar- sche Zurichtung machte mir und macht mir rich- chalen Dividenden, die ich eingefahren hatte. Klar tig zu schaffen. Ich habe aber von der allgemeinen war ich stets depressiv ab und an psychotisch und Sprechposition profitiert, die Männern zugespro- hatte auch gute Erinnerungen an meine Versuche chen wird. Mir wurde anders zugehört, selbst wenn mich bereits in der Kindheit Mädchen und Frau- ich typisch feminine Inhalte transportierte, wur- en anzuschließen und aus der sinnlosen Referenz den sie ernster genommen, weil ein Mann sie aus- 12
spricht. Auch meine psychosexuelle Disposition Bleibe ich ein Mann und singe euch den Anti-Grö- formierte sich entlang von Männlichkeitserwar- nemeyer oder bin ich eine Frau und rekonstruie- tungen. Ich kann immer nur zurück gucken und re mich als solche? Sozialisiere ich mich grade als mich als sehr von der Welt abgeschnittene und in Frau? Ja, ich habe viele Fragen, aber keine weiteren permanenter Identitätslosigkeit schleifende Person Fragen. Ich sitze hier und denke ernsthaft darüber imaginieren. Suchend nach Orientierung nahm nach ob sich ,trans‘ all allgemeine politische Kate- ich das gesellschaftliche Großkonzept „Männlich- gorie eignet. Dann denke ich über die Verwüstun- keit“ für mich in Anspruch. gen nach, die die Verwissenschaftlichung sozialer Prozesse mit sich bringen kann. Was passiert wenn Wann ist ein Mann kein Mann? wir versuchen uns auf Begriffe zu einigen, die nie- manden ausschließen oder verletzen, oder uns auf Vielmehr als dass ich ein Gefühl von Männ- politische Kampfbegriffe einigen? Für mich muss lichkeit oder eine identitätsbezogene Gewissheit es mehr darum gehen mit Leuten zu reden und so- über mein Geschlecht gehabt hätte, hatte ich ei- ziale Prozesse zuzulassen – das ist revolutionärer gentlich nur innere Leere und die Augen drehten ist als jeder Regenschirmbegriff! Leben statt wissen im Kreis auf der Suche nach Orientierung. Wenn lassen. ich damals hätte sagen können: „Mami, ich bin ein Mädchen!“ Wer weiß was dann? Es ist nicht ge- Weiß, bürgerlich, trans... schehen. Außer ein paar Mal zu sagen: „Ich mag keine Jungsklamotten, die sind alle zu hässlich,“ Ich bin nicht unterprivilegiert, nur als trans hatte ich nicht viel beizutragen. Ich hatte nicht den Frau. Denn ich bin eine weiße trans Frau, die zweit- Eindruck mich maßgeblich von meiner Mutter weise als hipster Dude gelesen wird. Zudem hab oder anderen Frauen oder Mädchen zu unterschei- ich immer fast alle Spielzeuge gehabt, die ich wollte den, aber die Sache war klar: Ich bin ein Mann. und bin ein Ideologiewarenkorb bürgerlicher Her- What‘s a girl supposed to do? Und mit all meiner kunft. Will ich Bürgerlichkeit mit Vergeschlechtli- allemal mangelnden Gewissheit über mich selbst, chung vergleichen? Von der bürgerlichen Ideologie setzte ich den Weg unter dieser Prämisse fort. Die habe ich irgendwann Abschied genommen, ohne Bereiche wo ich Sozialisation am meisten wirksam mich im Anschluss für nicht-bürgerlich zu halten. sehe, ist da wo Geschlecht am Wichtigsten war: in Ich bin auch halb-proletarisch. Identität im bür- Romanzen und Intimbeziehungen, Annäherun- gerlichen Sinne ist nach meinem Verständnis stets gen und Sexualitäten und in Kontexten in denen identitär, weil es von oben nach unten ausrichtet, es um die Durchsetzung von Interessen ging: Auf bestehende Privilegien instrumentalisiert, um mit der Arbeit, aber auch in linken Gruppen. In der mehr Abstand zu gewinnen. Es gibt die Normal- Art, wie ich Sexualisierung und Objektivierung als Ideologie-Identität und ein paar Wohlfahrtsange- mysogyne Strategie erlernt hatte, kam ich mir sehr bote für die Ausgeschlossenen. Es gibt aber keine männlich vor und macht es einen Unterschied, Gleichheit, weil sich das Gemeinwesen, zur Zeit ob ich mich als Frau oder Mann oder nicht-binär verwaltet durch den Staat, nicht auf formale Krite- oder genderqueer lese, dies aber nicht thematisiere rien sondern auf Passkontrollen ausrichtet. Binäre und mich dem zuschreibenden Blick entsprechend Geschlechtlichkeit ist Ideologie, und die Abkehr benehme? Ja, es macht einen, aber ich kann ihn von Ideologie bedeutet Schmerzen, wenn sie dein noch nicht beschreiben. Privileg aufrecht erhielt. Insofern war Männlich- keit kein Privileg für mich. Männer – Ein Begriff für alle? Zuhören statt Zuschreiben Ich bin sehr froh, dass unter dem Titel „Täter – Das Männermagazin“ nun ein Zine2 erscheint und Daria Majewski schreibt in ,Töchter der Räu- verschiedene Stimmen zum dem Thema zu Wort berin‘: „Derzeit scheint es Aufgabe zu sein, aus den kommen – ist das Feld doch weder theoretisch Erfahrungsberichten von Individuen zu abstrahie- noch praktisch auf einen Blick zu bringen. Zudem ren, gemeinsame Erfahrungen in Theoremen zu schmeckt der Versuch einen allgemeinen Hoheits- formulieren, die in historische, gesellschaftliche und anspruch über das Themenfeld zu entwickeln, ökonomische Kontexte gesetzt werden können, und nach männlicher Objektivierungssucht – eklige sich so einer feministischen Theoriebildung anzunä- Soße. Aber warum abgrenzen von Männlichkeit? hern.“ 3 13
Dies empfiehlt sich nicht nur aus Gründen in- tegorien als Ideologie, Geschlecht als Traumbild, tellektueller Redlichkeit oder gar fröhlicher Neu- Geschlecht als erotischer Sinn – als Körpergrenze? gier, sondern auch im Wissen um die Falschheit Solange ihr die Abschaffung des Patriarchats im der Verhältnisse. Der Versuch eine Ideologie mit Auge behaltet, bin ich interessiert. der anderen zu versöhnen – und innerhalb dieser Verhältnisse sind alle Kategorien, die zu ihrer Ver- Der patriarchale Anspruch auf das Objekt und wirklichung keine revolutionäre Transformation der radikale Anspruch auf dessen Ende voraussetzen, Ideologie – ist kein ernstgemeinter Prozess. Deswegen hab ich mich ja von der bürger- Wenn ich nachschlage wie männliches Begeh- lichen Diskurs-Demokratie entfernt, weil die ge- ren funktioniert, steht da stets als Erstes: Männer dankliche Auseinandersetzung damit gesundheits- reagieren mehr auf optische Reize. In dieser Logik schädlich und auch Zeitverschwendung ist. Die wird dem Mann alles aus ,natürlichen‘ Gründen Zwänge ernst zu nehmen und als solche ernsthaft zum Gegenstand. Der entscheidende, patriarchale zu analysieren unterschlägt die willkürliche, inter- Moment ist aber nicht die Objektivierung, sondern essensgeleitete Beliebigkeit unter der ideologische das Anrecht auf Objektvierung und das Anrecht Kategorien konstruiert werden. Aus Absurdem auf das Objekt. Es geht also nicht nur um Unter- folgt Absurdes – der staatlichen Bürokratie begeg- werfung unter das Männerstarren, sondern um ne ich mit Närrinnenkappe – ist das schon wieder Entmenschlichung. So spielte sich sich für mich ein Privileg? Es wäre halt irgendwie schön eine männliches Begehren ab. Deswegen „Täter- das Kampfformation zu haben ist die Welt doch schon Männermagazin“. Das ist patriarchale Ideologie so voller Ohnmacht. Aber alle Menschen mit trans und nichts ,Natürliches‘. Aber wer macht denn Erfahrungen zu revolutionären Subjekten zu er- überhaupt Ideologiekritik? Wer hat denn die Auf- klären, die die Geschlechterordnung zerschlagen hebung der Verhältnisse im Blick? Ich rede doch passt nicht auf die Erfahrungsberichte von trans sonst auch nur im Rahmen von ,Verhandlungen‘ Personen. mit Liberalen. Die reden ja auch über Kunst, über Erfolg, über Arbeit, über Geschlecht. Diese Begrif- Patriarchat zerschlagen! fe haben mit meinen aber nix zu tun. Ich bin wohl zuvorderst einfach raus aus diesem Scheißhau- Geht es bei Männlichkeitskritik um Scheiß- fen. Anti-alles, gegen Deutschland, gegen Bullen, Verhalten, um toxische Maskulinität, um die per- gegen Binarität, gegen Staat, Kapital und Nation, manente Kritik oder Abschaffung von Männlich- gegen „wie es mir erging, soll es auch dir ergehen“ keit oder ist das Problem im Begriff des ,autöritä- - traditionalistische Rachefantasien, den autoritä- ren Charakters‘ besser erfasst? Ist Cis-Männlich- ren Charakter. Am Beispiel ,trans‘: Die rechtliche keit eine Trauma-Reaktion, die intergenerational Gleichstellung aller trans Personen ist das Ziel weitergegeben wird? Reproduziert sich binäre und dennoch werden sie dann gleichgestellt in Männlichkeit im Befehle empfangen und Unter- der bürgerlichen Gesellschaft. Aber das stört uns ordnen – also auf der Arbeit? Ist Vermännlichung Linksradikale ja auch sonst nicht, außer wir sind patriarchale Identitätswerkstatt gegen die eigene Verelendungstheoretiker:innen. Sozialität? Wer kassiert Täterschaftsdividenden in der Bruderhorde? Statt Antworten hier ein kleiner Weiß, deutsch, queer... anekdotischer Realitätsausschnitt: eine Freundin sagte gestern über Hetero-Sex: „die Möglichkeiten Ich bin wie gesagt neben meiner Existenz auch sind sehr begrenzt“. Mich erinnerte das an Hiphop: eine bürgerliche Identitätsplattform. Hier in D- die Möglichkeiten sind sehr begrenzt. Erinnert das Land wo Ausbeutungsbeziehungen aus der gan- nicht an Cis-Männlichkeit? zen Welt zusammen laufen ist mein politischer Alle können männlich sein, aber es wird halt Kampf ein Doppelter. Um die Befreiung von mir von den Reaktionären an von außen Beobachtba- selbst und die Befreiung aller aus den Verhältnis- ren festgemacht, als welches Geschlecht sie sich sen: Ein dialektischer Kampf, dialektische Arbeit, und dich beschämen. Und wie beim Kapitalismus dialektischer Prozess. Und die in Frage Stellung auch, gibt es nur eine aristokratische Mikro-Elite und Aufweichung der binären Geschlechterord- von Geschlechtsgewinner:innen. Alles vergiftet, nung unterbricht die Zurichtung deshalb, weil das alles ein fauler Deal. Weiblichkeit als Alles, Männ- System noch keine Antwort darauf hat. Worauf lichkeit als Trauma, bürgerliche Geschlechtska- denn? Dass es an manchen Stellen starrer Binari- 14
tät nicht mehr Bedarf, aber noch nicht genügend gerecht werden. Erst jetzt lerne ich, dass ich auch Ideologie zur Hand ist, um die ratlosen Subjekten mir verpflichtet bin. sicher davon abzuhalten aus allgemeiner Desillusi- onierung und Ekel an der Einrichtung dieser Welt Natürliche Männlichkeit bekämpfen, als kons- Queer-Kommunist*innen zu werden. titutives Element patriarchaler Strukturen und als Es wird nicht ewig dauern. Wenn die reaktio- faule Ausrede für allerlei Scheißverhalten nären Kräfte diese Welt nicht wegtreten, dann wird die liberale Front auch diese Lücken fachkundig Solange ich mich als Mann zu verstehen hatte, zuteeren und wir werden in der selben unfreien konnte ich mein Scheiß-Verhalten ja erklären Welt mit mehr Kategorien leben. Geschlechtskritik weil ich ein Mann war. Jetzt hab ich keine Ausre- ist ja auch deshalb so populär, weil sie für weiße de mehr, wenn ich scheiße bin, bin ich Scheiße. Personen als Emanzipationsperspektive in An- Als Mann werde ich ab und an gelesen und auch spruch genommen werden kann, nicht wie Aus- jetzt könnte ich Täterin werden, eine ideologische schlüsse über Klasse oder „Rasse“. Geschlecht lässt Ausrede dafür hätte ich aber keine mehr parat, so sich zwar nicht wegkonstruieren aber in bestimm- denke ich, jetzt gerade. ten Beziehungsformationen ist nicht-binäres leben möglich. Aber vermischt dieser Gedanke nicht von Joscha Xenia Ende queere Themen mit trans Themen? 2021, jxen.de, xende@riseup.net Ich bin nicht, auch nicht männlich 1 https://www.freie-radios.net/105455 Mein Innenleben strukturiere ich in gedankli- 2 Ihr könnt das Zine ab 4/2021 hier chen Architekturen. Ich sortiere und verallgemei- lesen: www.täter-magazin.de nere mein Innenleben entlang der Zuschreibungen um im Alltag durchzukommen. Ich kann also gar 3 Daria Majewski, Töchter der Räuberin – zur nicht nicht-Mann sein, wenn andere dies von mir Gemeinsamkeit von cis und trans Weiblich- erwarten und solange ich denke ich müsste dem keit, in Feministisch Streiten, 2018 15
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