UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...

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UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
UMGANG MIT
ANTISEMITISMUS IN
DER GRUNDSCHULE
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin,
­Auseinandersetzung mit antisemitischen
 ­Vorurteilen, Thematisierung des Holocaust
UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
Impressum
Herausgeber                                                           Wir danken für Anregungen und Austausch insbesondere:
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
                                                                      Marina Chernivsky, Kompetenzzentrum Prävention und Empowerment
Bernhard-Weiß-Straße 6
                                                                      der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland
10178 Berlin
Verantwortlich:                                                       Katja Döhnel, Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt
Regina Ultze
                                                                      Florian Eisheuer, Amadeu Antonio Stiftung
Referat II B: Fächer der Berliner Schulen, Rahmenlehrpläne
Dr. Martin Brendebach                                                 Isabel Enzenbach, Zentrum für Antisemitismusforschung
Fachreferent für Gesellschaftswissenschaften
                                                                      Carolyn Gammon

                                                                      Myriam Halberstam, Ariella Verlag
Inhalt und Redaktion
Sabine Huffmann (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie)    Beate Kasche-Sharifi, Leiterin der Schuloase an der Anne-Frank-
                                                                      Grundschule

                                                                      Janine Khoschlessan, Botschaft des Staates Israel

                                                                      Petra Kleiber, Schulleiterin Anne-Frank-Grundschule

                                                                      Sigmount A. Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen
David Gilles                                                          Gemeinde zu Berlin
Franziska Göpner
Veronika Nahm                                                         Pia Lamberty, Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen
Patrick Siegele                                                       Antisemitismus e. V.
Rinske Reiding                                                        Stephanie Mühlbauer, Grundschule am Teutoburger Platz
Robert Zenker
                                                                      Doris Müller, Lehrerin an der Paul-Simmel-Grundschule
Layout
                                                                      Detlef Pech, Professor für Grundschulpädagogik mit dem Schwerpunkt
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Kooperation mit
                                                                      Sachunterricht an der Humboldt Universität zu Berlin
Infotext GbR – Agentur für Content und Grafikdesign (Ute Wibral)
                                                                      Marat Schlafstein, Zentralrat der Juden in Deutschland
Illustrationen
                                                                      Mascha Schmerling, Meet a Jew
Lena Ziyal / Infotext GbR – Agentur für Content und Grafikdesign
                                                                      Benjamin Steinitz, Bundesverband der Recherche- und Informations-
Erscheinungsdatum                                                     stellen Antisemitismus e. V.
Januar 2020
                                                                      Katrin Wank, Lehrerin an der Scharmützelsee-Grundschule

Die Arbeit an der Broschüre wurde mit ermöglicht durch die            Malin Winter, Jugendmuseum Schöneberg
­»Aktionswochen gegen Antisemitismus«, gefördert durch das
                                                                      den Teilnehmenden der Task Force Education on Antisemitism des
 ­Bundesprogramm »Demokratie leben!« des Bundesministeriums
                                                                      American Jewish Committee
  Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
                                                                      den Teilnehmenden der Fortbildungsreise nach Yad Vashem und zu
Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ oder    weiteren israelischen Gedenkstätten in Israel
des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor/die Autorin
bzw. tragen die Autoren/die Autorinnen die Verantwortung.
UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
Sandra Scheeres
Senatorin für Bildung, Jugend und Familie

Sehr geehrte Damen und                          und Schüler sind weniger anfällig für men-

Herren, liebe Schullei­tun­                     schenverachtende Ideologien und Antise-
                                                mitismus. Mit der »Praxisstelle Bildung und
gen, liebe Lehrkräfte,                          Beratung« der Kreuzberger Initiative gegen
                                                Antisemitismus haben wir eine zentrale
                                                Anlaufstelle für Schulen, die sich Antisemi-
jüdische Menschen in Deutschland müssen         tismus entgegenstellen.
immer häufiger erleben, dass Antisemitis-
mus nicht nur ein historisches Phänomen         Während über Jahrzehnte der Fokus dieser
ist, sondern tagtäglich und in der Mitte        Präventionsarbeit auf Schülerinnen und
unserer Gesellschaft vorkommt. Menschen         Schülern der Sekundarstufe lag, haben
werden angefeindet, die sich durch ihre Klei-   inzwischen Vorfälle an Grundschulen und
dung als Jüdinnen und Juden zu erkennen         Rückmeldungen besorgter Lehrkräfte,
geben. Antisemitische Hetze ist in sozialen     Schulleitungen und Eltern die Präventions-
Netzwerken ebenso präsent wie leider die        arbeit mit jüngeren Kindern in den Blick
Beschimpfung und Bedrohung jüdischer            gerückt. Viele Lehrkräfte konstatieren einen
Mädchen und Jungen an Schulen. Wir müs-         Mangel an Bildungsangeboten für die Al-
sen feststellen, dass wir die jahrzehntelange   tersgruppe der sechs- bis zwölfjährigen mit
pädagogische Bemühung, junge Menschen           ihren besonderen Bedürfnissen. Um diese
gemäß dem Schulgesetz gegen das nati-           Lücke zu schließen, haben in den letzten
onalsozialistische Weltbild zu immunisie-       Jahren mehrere außerschulische Lernorte
ren, noch einmal wesentlich intensivieren       vielfältige Angebote geschaffen. Die nun
müssen.                                         vorliegende, gemeinsam mit dem Berliner
                                                Anne-Frank-Zentrum erarbeitete Handrei-
Berlin hat daher mit dem Landeskonzept          chung soll ein weiterer Baustein dazu sein.
»Berlin gegen Antisemitismus« ein Pro-
gramm erarbeitet, mit dem wir Antisemi-         Die Handreichung verfolgt den Ansatz der
tismus in all seinen Erscheinungsformen         »Gemeinsamen Erklärung des Zentralrats
noch entschiedener bekämpfen wollen. Der        der Juden in Deutschland und der Kultus­
Schule kommt dabei eine zentrale Rolle bei      ministerkonferenz zur Vermittlung jüdischer
der Prävention zu: Im Geiste der Aufklärung     Geschichte, Religion und Kultur in der Schu-
und der Demokratie gebildete Schülerinnen       le«. Diese zielt darauf ab, »das Judentum

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UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
in seiner Vielfalt und Authentizität in der
    Schule zu thematisieren sowie den Schüle-
    rinnen und Schülern ein lebendiges und dif-
    ferenziertes Bild des Judentums zu vermit-
    teln. Dazu gehört unabdingbar die Schoa,
    ohne aber jüdisches Leben in Deutschland
    und Europa auf sie zu reduzieren. Auch das
    jüdische Leben nach der Schoa im Zeichen
    der deutschen Teilung und seit der Wieder-
    vereinigung ist für das historisch-politische
    Verständnis von enormem Wert.«

    Für Grundschulkinder ist es wichtig, Jüdin-
    nen und Juden nicht nur in einer histo-
    rischen Rolle als Opfer des Völkermords
    kennen zu lernen, sondern als Menschen,
    die mit ihnen gemeinsam in Berlin leben.
    Diese Handreichung will hierfür altersan-
    gemessene Zugänge aufzeigen und Ihnen
    neue Wege eröffnen, diese wichtige Aufgabe
    zu meistern.

    Ich wünsche dabei viel Erfolg!

    Mit freundlichen Grüßen

    Sandra Scheeres
    Senatorin für Bildung, Jugend und Familie

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UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
In Berlin befasst sich unsere neue ständige
                                               Ausstellung »Alles über Anne« mit dem
Patrick Siegele                                Thema Antisemitismus in Geschichte und
Direktor des Anne Frank Zentrums               Gegenwart. In der Ausstellung können die
                                               Besucherinnen und Besucher von antise-
                                               mitischen Erfahrungen berichten, die sie
                                               als Betroffene, Freundin, Verwandte oder
Wir freuen uns sehr, dass die erste Auflage    Zeuge erleben. Auch Grundschülerinnen und
dieser Handreichung auf großen Zuspruch        -schüler sind seit vielen Jahren eine wichtige
getroffen ist. Vielen Dank für Ihre zahlrei-   Zielgruppe unserer historisch-politischen
chen positiven Rückmeldungen!                  Bildungsarbeit. Sie nehmen aber nicht nur
Die hohe Nachfrage hat uns darin bestätigt,    an den pädagogischen Programmen in der
dass die Beschäftigung mit dem Thema           Berliner Ausstellung teil, sondern beteiligen
Antisemitismus in der Grundschule bislang      sich auch am bundesweiten Anne Frank Tag
unterrepräsentiert ist. Lehrkräfte äußern      am 12. Juni und besuchen unsere vielen
einen grundlegenden Bedarf an Methoden         Wanderausstellungen bundesweit.
und Zugängen der historischen und politi-      Bei der vorliegenden zweiten Ausgabe der
schen Bildung, die zur kritischen Auseinan-    Handreichung handelt es sich nicht nur um
dersetzung mit antisemitischen Stereotypen     eine Neuauflage, sondern auch um eine in-
und Diskriminierung anregen und einen          haltliche Weiterentwicklung der bisherigen
Beitrag zur Vermittlung gesellschaftlicher     Methoden und Angebote. Besonders das
Vielfalt leisten.                              digitale Lernen haben viele der hier vorge-
Antisemitismus hat in Zeiten der Covid-        stellten Projektpartnerinnen und -partner
19-Pandemie erneut einen Aufschwung            in Form von Onlineangeboten ausgebaut.
erfahren. Nicht nur im Netz oder auf der       Wenn Sie Beratung bei der Vertiefung der
Straße, auch in Schulen werden antise-         Themen wünschen, kommen Sie gern auf
mitische Äußerungen und Einstellungen          uns zu!
durch Anhängerinnen und Anhänger von           Wir wünschen uns, dass die neue Broschüre
Verschwörungsmythen verbreitet. Umso           zum Handeln anregt und alle Lehrkräfte
wichtiger ist es, Antisemitismus so früh wie   dabei unterstützt und begleitet, schon in
möglich zu erkennen und aktiv zu interve-      der Grundschule ein klares Zeichen gegen
nieren.                                        Antisemitismus zu setzen.
Das Anne Frank Zentrum erinnert seit 25
Jahren an das Leben und das Tagebuch
von Anne Frank. Mit Ausstellungen und
Bildungsangeboten schafft es Lernorte,
an denen sich Kinder und Jugendliche mit       Patrick Siegele
Geschichte auseinandersetzen und diese mit     Direktor des Anne Frank Zentrums
ihrer heutigen Lebenswelt verbinden.

                                                                                                5
UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
Thematisierung des
    Holocaust

                                            Alltag von Jüdinnen
                                            und Juden in Berlin
                                            heute

                  Auseinandersetzung mit antisemitischen
                  Vorurteilen und Diskriminierung

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UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
INHALT
ERSCHEINUNGSFORMEN UND AKTUALITÄT DES ANTISEMITISMUS ............................................8

UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE: EINLEITENDE GEDANKEN ................12

ALLTAG VON JÜDINNEN UND JUDEN IN BERLIN HEUTE ..............................................................17

AUSEINANDERSETZUNG MIT ANTISEMITISCHEN VORURTEILEN UND DISKRIMINIERUNG .......30

THEMATISIERUNG DES HOLOCAUST ............................................................................................48

WAS KANN ICH JETZT TUN? ..........................................................................................................66

                                                                                                                                       7
UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
ERSCHEINUNGSFORMEN
UND AKTUALITÄT DES
ANTISEMITISMUS

      Bundesverband der Recherche- und                  Bundesregierung folgt.1 Dort heißt es unter
      Informationsstellen Antisemitismus e. V.          anderem: »Der Antisemitismus ist eine be-
      (Bundesverband RIAS), Pia Lamberty/­              stimmte Wahrnehmung von Juden, die sich
      Benjamin Steinitz                                 als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann.
                                                        Der Antisemitismus richtet sich in Wort
      Antisemitismus ist ein Problem der gesam-         oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische
      ten Gesellschaft und auch heute noch weit-        Einzelpersonen und/oder deren Eigentum
      verbreitet. Die Recherche- und Informati-         sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutio-
      onsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin)     nen oder religiöse Einrichtungen. Darüber
      erfasste 2019 insgesamt 881 antisemitische        hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei
      Vorfälle. Darunter waren 33 Angriffe, 38          als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel
      gezielte Sachbeschädigungen, 59 Bedro-            solcher Angriffe sein. […] Der Antisemitis-
      hungen, 648 Fälle verletzenden Verhaltens         mus manifestiert sich in Wort, Schrift und
      (darunter 54 Versammlungen) und 103               Bild sowie in anderen Handlungsformen, er
      antisemitische Massenzuschriften. Dies sind       benutzt negative Stereotype und unterstellt
      im Schnitt fast zweieinhalb Vorfälle am Tag       negative Charakterzüge.«2
      − allein in Berlin. Ob im Internet oder offline
      auf der Straße, im öffentlichen Nahverkehr        Es gibt verschiedene antisemitische Erschei-
      oder sogar im persönlichen Wohnumfeld             nungsformen, die hier genauer vorgestellt
      der Betroffenen: Antisemitismus ist für die       werden sollen. Sofern nicht anders ver-
      jüdische Community alltagsprägend.
      Als Grundlage für die Erfassung und Be-           1 Die »Arbeitsdefinition Antisemitismus« stellt auch
      kämpfung von Antisemitismus wurde im                die Arbeitsgrundlage für die Recherche- und In-
      Jahr 2013 von der International Holocaust           formationsstelle dar. Sie wurde durch den Verein
                                                          für Demokratische Kultur in Berlin e. V. (VDK
      Remembrance Alliance (IHRA) die soge-               e. V.) vor der Gründung der Recherche- und Infor-
      nannte »Arbeitsdefinition Antisemitismus«           mationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin)
      verabschiedet, der auch seit Herbst 2017 die        an wenigen Stellen ergänzt und nach Spielarten
                                                          des Antisemitismus gegliedert. Die geänderte
                                                          Fassung ist seit Projektbeginn Grundlage der
                                                          Arbeit von RIAS. Weitere Informationen finden Sie
                                                          unter https://report-antisemitism.de/rias-bund
                                                          (18.09.2020)
                                                        2 https://de.wikipedia.org/wiki/European_Forum_
                                                          on_Antisemitism (18.09.2020)

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UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
Erscheinungsformen und Aktualität des Antisemitismus

merkt, sind die im Text genannten Beispiele           Post-Schoa5-Antisemitismus liegt vor, wenn
Vorfälle, die RIAS beispielsweise durch die           Menschen das Ausmaß, die Mechanismen
Onlineplattform www.report-antisemitism.de            (zum Beispiel Gaskammern) sowie die
gemeldet worden sind.                                 Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den
                                                      Jüdinnen und Juden durch das national-
ANTISEMITISCHE                                        sozialistische Deutschland während der
ERSCHEINUNGSFORMEN                                    Schoa bestreiten oder anzweifeln. Auch die
                                                      Behauptung, Jüdinnen und Juden seien für
Beim antisemitischen Othering werden Jü-              die Schoa selbst verantwortlich, oder der
dinnen und Juden nicht als Teil der eigenen           Vorwurf gegenüber dem jüdischen Volk oder
Gesellschaft wahrgenommen und damit als               dem Staat Israel, die Schoa zu erfinden, zu
anders und fremd markiert. Grundzüge die-             übertreiben oder Profit daraus zu ziehen,
ses Otherings zeigen sich, wenn beispiels-            zählen zum Post-Schoa-Antisemitismus.
weise davon ausgegangen wird, dass alle               Eine besondere Komponente ist die der
Deutschen nicht jüdisch und alle Jüdinnen             Schuldabwehr. Diese zeigt sich, wenn sich
und Juden nicht deutsch sind. Auch wenn               Menschen darüber empören, wenn an die
Menschen »Jude« als Schimpfwort verwen-               nationalsozialistischen Verbrechen an
den, zählt dies als Othering. »Jude« ist auch         Jüdinnen und Juden erinnert wird.
aktuell noch ein häufig genutztes Schimpf-
wort an Berliner Schulen, wie eine Doku-              Beim modernen Antisemitismus kommt es
mentation des American Jewish Committee               zu falschen, dämonisierenden oder stereo-
Berlin von 2017 zeigte.3 Dies fängt bereits in        typen Anschuldigungen gegen Jüdinnen und
der Grundschule an. Auch Julia Bernstein et           Juden. Moderner Antisemitismus äußert
al. bestätigen diese Befunde: »Der verbale            sich unter anderem in Form von Verschwö-
Angriff mit der Beschimpfung ›Du Jude‹, der           rungsmythen, indem auf eine angebliche
oftmals auch physische Angriffe begleitet,            jüdische Übermacht verwiesen wird, die im
ist leider sehr gebräuchlich unter Schülerin-         Verborgenen operiere und Kontrolle über
nen und Schülern an jeder Art von Schule              Medien, Wirtschaft, Regierungen oder ande-
geworden.«4                                           re gesellschaftliche Institutionen ausübe.

                                                      Israelbezogener Antisemitismus findet bei
                                                      bevölkerungsrepräsentativen Umfragen im-
                                                      mer wieder die größten Zustimmungswerte.
                                                      Natürlich ist nicht jede Kritik am Staat Israel
                                                      antisemitisch. Häufig wird jedoch Antise-
3 https://ajcgermany.org/de/broschuere/ajc-           mitismus über »Israelkritik« transportiert
  studie-2017-salafismus-und-antisemitismus-          und der jüdische Staat dämonisiert, wenn
  berliner-schulen (18.09.2020)
4 Bernstein, Julia (2018): »Mach mal keine Judenak-   eigentlich Jüdinnen und Juden gemeint sind.
  tion!«: Herausforderungen und Lösungsansätze        Hier wird dann »Jude« durch »Zionist«
  in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit
  gegen Antisemitismus, S. 6. Abgerufen von
  https://www.frankfurt-university.de/fileadmin/
                                                      5 Der Begriff Schoa ist Hebräisch und bedeutet
  standard/Aktuelles/Pressemitteilungen/
                                                        »Zerstörung«, »Katastrophe«. Der Begriff wird
  Mach_mal_keine_Judenaktion__Herausforde-
                                                        alternativ zur Bezeichnung Holocaust für die
  rungen_und_Loesungsansaetze_in_der_professi-
                                                        Ermordung der Juden und Jüdinnen im National-
  onellen_Bildungs-_und_Sozialarbeit_gegen_Anti.
                                                        sozialismus verwendet.
  pdf (18.09.2020)

                                                                                                                             9
UMGANG MIT ANTISEMITISMUS IN DER GRUNDSCHULE - Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen ...
Erscheinungsformen und Aktualität des Antisemitismus

                           ersetzt und alle Jüdinnen und Juden werden           einem Mitschüler gefragt, ob sie Jüdin sei.
                           für die Politik Israels verantwortlich ge-           Der Schüler habe daraufhin nach Informa-
                           macht. Israelbezogener Antisemitismus liegt          tionen der Berliner Zeitung mehrfach im
                           auch dann vor, wenn dem jüdischen Volk               bedrohlichen Tonfall das Wort »Jude« ge-
                           das Recht auf Selbstbestimmung abgestrit-            sagt.6 Es wurde ein Fall bekannt, bei dem ein
                           ten wird. Israelbezogener Antisemitismus             achtjähriger Junge in einer Berliner Schule
                           findet sich bereits in der Schule – und oft          im April 2019 einen Witz mit NS-Bezug
                           auch in Verquickung mit anderen Formen.              erzählte, während ein jüdisches Mädchen
                                                                                daneben stand und ihm klar signalisier-
                           ANTISEMITISMUS AN BERLINER                           te, dass sie das nicht gut findet. Im März
                           BILDUNGSEINRICHTUNGEN                                2019 hatte ein Schüler an einer Schule in
                                                                                Weißensee im Englischunterricht quer durch
                           Antisemitismus tritt bereits im frühen               den Klassenraum geäußert: »Habt ihr schon
                           Schulalter auf. Im November 2016 sang ein            einmal ein jüdisches Familienfoto gesehen?
                           Schüler beispielsweise im Deutschunterricht          Da ist nur Rauch drauf.«
                           in einer Schule in Hellersdorf »Tut, tut, tut,
                           die Eisenbahn, wer will mit nach Auschwitz           Auch RIAS Berlin hat für die Jahre 2015 bis
                           fahren?«, woraufhin eine Mitschülerin 36             2019 antisemitische Vorfälle in Berliner
                           Namen von Schülerinnen und Schülern
                           aus anderen Klassen und von Lehrerinnen
                           und Lehrern aufschrieb, die sie deportieren          6 https://www.berliner-zeitung.de/mensch-
                                                                                  metropole/religioeses-mobbing-zweitklaesslerin-
                           würde. An einer Tempelhofer Grundschule                von-mitschueler-mit-dem-tode-bedroht-li.10668
                           wurde im Februar 2018 eine Schülerin von               (18.09.2020)

Tabelle 1: Antisemitische Vorfälle im Kontext von Bildungseinrichtungen in Berlin
zwischen 2015 und 2019

 Bildungseinrichtungen    2015            2016             2017             2018                2019             gesamt

 Universität              2               3                9                10                  3                27

 Weiterführende Schule    3               7                6                18                  8                42

 Grundschule              –               –                1                4                   1                6

 Kindertagesstätte        2               –                1                –                   4                7

 Berufsschule/OSZ         1               2                –                2                   –                5

 gesamt                   8               12               17               34                  16               87

10
Erscheinungsformen und Aktualität des Antisemitismus

Bildungseinrichtungen erfasst, davon 50 in     ›nicht so gemeint‹ entschuldigt.«7
Schulen und 4 in Kindertagesstätten. Diese
Zahlen zeigen die gemeldeten antisemi-         Die Erfassung von antisemitischen Vorfäl-
tischen Vorfälle an, es muss von einer         len durch zivilgesellschaftliche Initiativen
deutlich höheren Dunkelziffer ausgegangen      wie beispielsweise die Recherche- und
werden. Das unterstreicht die Relevanz,        Informationsstellen Antisemitismus Berlin,
jeden Antisemitismus bereits im Schulalter     Bayern und Brandenburg ist eine Möglich-
zu thematisieren.                              keit, Antisemitismus sichtbar zu machen.
                                               Durch die Erfassung und Veröffentlichung
ANTISEMITISMUS                                 von Vorfällen (qualitativ und quantitativ),
SICHTBAR MACHEN:                               Monitoringberichte (zum Beispiel jährlich
EINSTELLUNGSFORSCHUNG,                         zum Qudstag-Marsch) sowie anlassbezo-
STAATLICHE ERFASSUNG UND                       genen Analysen zu Problemfeldern (zum
BETROFFENENPERSPEKTIVEN                        Beispiel: Antisemitismus im Rechtspopulis-
                                               mus, Meldepflicht an Berliner Schulen) ist es
Wenn es um eine öffentliche Auseinander-       eher möglich, die Erfahrungen von Betrof-
setzung mit Antisemitismus geht, wird in       fenen und Antisemitismus als alltagsprä-
der Regel auf die Ergebnisse der quantitati-   gende Erfahrung sichtbar zu machen. Eine
ven Einstellungsforschung zurückgegriffen.     enge Zusammenarbeit mit der jüdischen
Oft findet man bei diesen Studien ver-         und nicht-jüdischen Zivilgesellschaft, dem
gleichsweise niedrige Zustimmungswerte.        sogenannten Melde- und Unterstützungs-
Während sich in Studien oft ein Rückgang       netzwerk, stellt sicher, dass Antisemitismus
von antisemitischen Einstellungen findet,      nicht nur wahrgenommen, sondern auch
stehen diese Ergebnisse den Wahrnehmun-        dokumentiert wird und Betroffene Unter-
gen von Jüdinnen und Juden und auch den        stützung erhalten. RIAS erfasst dabei auch
Polizeistatistiken entgegen. So geben 78       Vorfälle, die nicht strafbar sind. Darüber
Prozent der jüdischen Befragten der Studie     hinaus ermutigt RIAS zum Stellen von
für den zweiten Bericht des Unabhängi-         Anzeigen, bietet eine ladungsfähige Adresse
gen Expertenkreises Antisemitismus des         und begleitet Betroffene zu Gesprächen mit
Deutschen Bundestages 2017 an, Antisemi-       der Polizei, um so Hürden bei den Betroffe-
tismus habe in Deutschland in den letzten      nen abzubauen.
fünf Jahren etwas oder stark zugenommen.
Bezogen auf öffentliche Debatten geht der
Expertenkreis von einer »Perspektivendiver-
genz« aus: »Während Jüdinnen und Juden
mit Antisemitismus konfrontiert sind, wird
gleichzeitig darüber diskutiert, ob Anti-
semitismus in der Gegenwart überhaupt
noch relevant ist. Antisemitische Positionen
werden häufig bagatellisiert oder als          7 Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus
                                                 (2017): Antisemitismus in Deutschland – aktuelle
                                                 Entwicklungen, S. 93. Abrufbar unter
                                                 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/
                                                 downloads/DE/publikationen/themen/heimat-
                                                 integration/expertenkreis-antisemitismus/
                                                 expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland.
                                                 pdf?__blob=publicationFile&v=7 (18.09.2020)

                                                                                                                       11
UMGANG MIT ANTI-
SEMITISMUS IN DER
GRUNDSCHULE: EIN-
LEITENDE GEDANKEN

      ANTISEMITISMUS:                                 im Unterricht. Darüber hinaus beinhaltet
      EIN THEMA FÜR DIE                               sie Tipps zur Weiterarbeit und Hinweise zu
      GRUNDSCHULE?                                    außerschulischen Angeboten und Lernorten
                                                      und gibt Hilfestellungen für den Umgang
      Antisemitische Vorurteile, Diskriminie-         mit antisemitischen Vorfällen.
      rungen und Wissensbestände sind in der
      Gesellschaft weit verbreitet und wirken         STRUKTUR DER
      auch auf Kinder im Grundschulalter. Kinder      HANDREICHUNG
      kommen immer wieder – meist nebenbei
      und ungewollt – in Kontakt mit antisemi-        Die Handreichung beinhaltet grundlegende
      tischen Aussagen und Bildern. Wenn diese        Überlegungen, Methoden und Materialien
      Aussagen nicht besprochen und infrage           zu drei Themen:
      gestellt werden, können sich daraus antise-
      mitische Vorurteile und Weltbilder entwi-       X Alltag von Jüdinnen und Juden heute
      ckeln. Kinder im Grundschulalter haben alle       in Berlin
      nötigen Potenziale, die für eine Bearbeitung    X Auseinandersetzung mit antisemitischen
      von Antisemitismus gebraucht werden. Sie          Vorurteilen und Diskriminierung
      verfügen über Empathie, Offenheit und           X Thematisierung des Holocaust
      ein Gerechtigkeitsempfinden. Sie können
      einfache Zusammenhänge untersuchen und          Die drei Themenfelder hängen eng mitein­an­
      verstehen.                                      der zusammen und sind vielfältig verstrickt.
                                                      Die Perspektiven und Erkenntnisse aus ei-
      WAS BIETET DIESE                                nem Thema sind wichtig für die Bearbeitung
      HANDREICHUNG?                                   der anderen Themen. Da viele Schülerinnen
                                                      und Schüler wenig oder gar keinen Kontakt
      Dennoch wird das Thema Antisemitismus           zu Jüdinnen und Juden haben, empfehlen
      in der Grundschule häufig gemieden. Vielen      wir, den Alltag von Jüdinnen und Juden heu-
      erscheint es als zu komplex, zu vielschichtig   te in Berlin vor den anderen beiden Themen
      oder nicht altersgerecht. An dieser Stelle      zu bearbeiten. Ansonsten besteht die Ge-
      möchten wir mit dieser Handreichung an-         fahr, dass Jüdinnen und Juden vor allem in
      setzen. Die Handreichung bietet Ihnen Argu-     einer (Opfer-)Rolle und nicht als handelnde
      mentationshilfen und Methoden zur Arbeit        Individuen wahrgenommen werden.

12
Umgang mit Antisemitismus in der Grundschule: Einleitende Gedanken

UNSICHTBARKEIT VON                                von Selbstzeugnissen oder das Ansehen
JÜDISCHEN SCHÜLERINNEN                            von Interviews ermöglicht der biografische
UND SCHÜLERN IM                                   Ansatz ein vermitteltes Kennenlernen der
KLASSENRAUM                                       anderen Person. Voraussetzung für den
                                                  biografischen Ansatz sind die Neugierde
Auch in Ihrer Klasse sitzen möglicherweise        und die Lust an der Begegnung und die
jüdische Kinder, ohne dass Sie das wissen.        Anerkennung der anderen Erfahrung, die
Manche jüdischen Kinder treten selbstver-         Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der
ständlich als jüdisch auf – andere möchten        eigenen Erfahrung aufweisen kann.
sich nicht als jüdisch zu erkennen geben.
Lehrkräfte müssen hier sehr sensibel sein         OHNE HINTERGRUNDWISSEN
und sich unbedingt an den Bedürfnissen            GEHT ES NICHT
und der Sicherheit der jüdischen Schüle-
rinnen und Schüler orientieren. Prinzipiell       Für eine wirksame Bearbeitung von Antise-
sollten jüdische Kinder nicht als Beispiel, als   mitismus und der Förderung eines nicht-
Expertinnen oder als Vertreter einer Gruppe       diskriminierenden Klimas in der Schule ist
angesprochen werden. Wenn die Kinder eine         es wichtig, dass Lehrkräfte und pädagogisch
solche Rolle von sich aus einnehmen, sollten      Arbeitende Antisemitismus erkennen und
Sie als Lehrkraft darauf achten, dass die         wahrnehmen können. Die Handreichung
Kinder sich mit dieser Rolle wohlfühlen.          stellt Hintergrundinformationen zum The-
                                                  menfeld Antisemitismus zur Verfügung und
DER BIOGRAFISCHE ANSATZ IST                       gibt Hinweise zu Methoden und Materialien
DIE BEVORZUGTE LERNFORM                           für pädagogisch Arbeitende. Zur Weiter­
FÜR DIE GRUNDSCHULE                               bildung sind insbesondere die Fortbildungen
                                                  der zahlreichen Träger der außerschulischen
Der biografische Ansatz eignet sich am            Bildungsarbeit empfehlenswert – i­ndividuell
besten, um die Erfahrungen und die Identi-        oder mit dem ganzen Kollegium. Im Rahmen
täten von Jüdinnen und Juden in Geschichte        des biografischen Lernens muss das Hinter-
und Gegenwart zu beleuchten, seien es             grundwissen nicht an die Schülerinnen und
Erfahrungen von selbstbestimmtem Leben,           Schüler weitergegeben werden – es bildet
selbstbewusster Identität oder Erfahrun-          jedoch den Rahmen für die Auswahl und
gen von Antisemitismus. Durch das Lesen           Bearbeitung der Biografien.

                                                                                                                       13
Umgang mit Antisemitismus in der Grundschule: Einleitende Gedanken

                           PROAKTIVE UND REAKTIVE                           DAS HANDELN IN
                           KONZEPTE KÖNNEN SICH                             DISKRIMINIERUNGS­
                           DEUTLICH UNTERSCHEIDEN                           SITUATIONEN IST PARTEIISCH
                                                                            FÜR DIE BETROFFENEN
                           Die Zugänge zu den Themenfeldern Jüdi-
                           scher Alltag, Anti­semitismus und Natio-         In der Grundschule tritt Antisemitismus
                           nalsozialismus können in der Grundschule         meist in Form von Vorurteilen und Diskrimi-
                           unterschiedlich sein. Oftmals werden Sie als     nierung auf. Antidiskriminierungsarbeit ist
                           Lehrkraft die Themen setzen und eine Un-         in so einer Situation immer parteiisch für die
                           terrichtsreihe planen können. In diesem Fall     Betroffenen von Diskriminierung. Bei antise-
                           können Sie proaktiv nach einem eigenen           mitischen Vorfällen, die sich direkt oder
                           didaktischen Konzept zur Erreichung eines        indi­rekt gegen jüdische Schülerinnen und
                           pädagogischen Ziels agieren. Genauso kann        Schüler richten, ist der Schutz der Betroffenen
                           es aber auch passieren, dass die Themen          besonders wichtig. Wenn eine Situation als
                           von den Schülerinnen und Schülern in den         antisemitisch bewertet wird, ist diese kon-
                           Unterricht getragen werden. Im schlimmsten       ­krete Benennung wichtig, weil sie zu spe-
                           Fall müssen Sie einen Umgang mit antise-          zifischen Konsequenzen im weiteren Han-
                           mitischen Vorfällen in der Klasse finden. In      deln führt. In der Kommunikation mit den
                           diesem Fall sind Sie unvorbereitet mit einer      Schülerinnen und Schülern ist es jedoch
                           Situation konfrontiert, die ganz andere           wichtig, zwischen Verhalten und Person zu
                           pädagogische Konzepte erfordert als der           unterscheiden: Die Aussage/das Handeln ist
                           erste Fall. Dabei ist es wichtig, dass Sie den    antisemitisch, die Schülerin beziehungsweise
                           Vorfall auf der emotionalen Ebene bearbei-        der Schüler ist es in der Regel nicht. Das Klas­-
                           ten und der diskriminier­ten Person einen         senzimmer ist ein Ort, an dem man Feh­ler
                           sicheren Raum bieten. Eine Auseinanderset­        machen kann. Nur wenn Fehler benannt
                           zung auf der inhaltlichen Ebene kann auch         werden, können sie Ausgangspunkt sein, um
                           im zweiten Schritt erfolgen, wenn Sie Zeit        etwas zu lernen. Gleichzeitig ist man nur
                           hatten, sich weiter zu informieren.               bereit, etwas zu lernen, wenn man nicht als
                                                                             Person als »falsch« kategorisiert wird. Mit
                                                                             »parteiisch für die Betroffenen« ist auch ge-
                                                                             meint, dass es in einem ersten Schritt nicht
                                                                             darauf ankommt herauszufinden, wie die

                             Diskriminierung
                             Diskriminierung ist die Ungleichbehandlung auf Basis von konstruierten Kategorien
                             und Zuschreibungen wie der ethnischen Herkunft, Hautfarbe, das Geschlecht, die
                             Religion, sexuelle Orientierung, der soziale oder sozioökonomische Status, das Alter
                             oder eine Behinderung ohne sachlichen Grund. Obwohl grundlegende Menschenrechte
                             zur Gleichbehandlung aller Menschen in den Verfassungen oder Gesetzgebungen vieler
                             Länder verankert sind, findet Diskriminierung auch weiterhin sowohl auf persönlicher
                             als auch auf gesellschaftlicher Ebene statt.

14
Umgang mit Antisemitismus in der Grundschule: Einleitende Gedanken

antisemitische Handlung eigentlich gemeint        Im Deutschunterricht lassen sich in jeder
war. Denn dann kommt es schnell dazu, dass        Altersstufe problemlos literarische Texte,
man sich ausschließlich mit dem Handelnden        Sach- und Gebrauchstexte oder Texte in
befasst und nicht mit dem Betroffenen. Han-       anderer medialer Form einbeziehen, die die
deln in antisemitischen Diskriminierungs­         Themen der Handreichung berühren. Eine
situationen erfordert auch einen sensiblen        Auswahl wird in den einzelnen Kapiteln
Umgang mit anderen Formen der Diskrimi-           vorgestellt. Auch im Kunst- und Musikunter-
nierung wie Sexismus oder Rassismus.              richt bieten sich zahlreiche Möglichkeiten
                                                  zur Einbindung interreligiöser, antisemi-
BEZÜGE ZUM                                        tismuskritischer und historischer Themen.
RAHMENLEHRPLAN                                    Besonders viele Anknüpfungspunkte finden
                                                  sich im Sachunterricht und in den Gesell-
Der Rahmenlehrplan für die Jahrgangsstu-          schaftswissenschaften. Die Auseinanderset-
fen 1 bis 10 für Berlin und Brandenburg8          zung mit jüdischem Alltag, Antisemitismus
bietet eine ganze Reihe von Anknüpfungs-          und Nationalsozialismus ist elementarer
punkten für die Themen Jüdischer Alltag,          Teil der Orientierung über sich, andere und
Antisemitismus und Nationalsozialismus.           die Welt (Sachunterricht) beziehungsweise
Prinzipiell lassen sich die Themen in fast        der Orientierung in Raum, Zeit und Gesell-
jedem Fach und in jeder Jahrgangsstufe            schaft (GeWi).
einbinden. Die Geschichte von Jüdinnen
und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus
sollte erst ab Jahrgangsstufe 3 behandelt
werden, um die Schülerinnen und Schüler
nicht emotional zu überfordern.

Als übergreifende Bildungs- und Erziehungs-
aufgabe ist der Umgang mit Antisemitismus
Teil einer demokratischen Schulkultur. Eine
Behandlung der drei Themen dieser Hand-
reichung ist – je nach eigener Schwerpunkt-
setzung – in den fachübergreifenden The-
men »Bildung zur Akzeptanz von Vielfalt«,
»Gewaltprävention«, »Demokratiebildung«,
»Interkulturelle Bildung und Erziehung« so-
wie »Kulturelle Bildung« möglich. Es lassen
sich darüber hinaus in den Fächern Deutsch,
Kunst und Musik, ganz besonders auch im
Sachunterricht der Jahrgangsstufen 1 bis 4
und in den Gesellschaftswissenschaften der
Jahrgangsstufe 5 und 6 vielfältige Anknüp-
fungspunkte finden.

8 https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/
  fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/
  rlp1-10/rlp-kompakt-1-10.pdf (18.09.2020)

                                                                                                                       15
1. Jüdisches Gemeindehaus              6. Restaurant Bleibergs          10. Friedhof Schönhauser Allee
         Fasanenstraße 79 –80                     Nürnbergerstraße 45a                Schönhauser Allee 25
     2. J üdisches Museum Berlin            7. Jüdisches Krankenhaus Berlin   11. Jüdisches Gymnasium
         Lindenstraße 9 –14                       Heinz-Galinski-Straße 1            Moses Mendelssohn 
     3. N eue Synagoge                      8. Jüdische Allgemeine                 Große Hamburger Str. 27
         Oranienburger Str. 28–31                  Johannisstraße 5             12. Europäische Janusz Korczak
     4. L iteraturhandlung GmbH             9. Supermarkt KosherLife               Akademie 
         Joachimsthaler Str. 13                     Brunnenstraße 31                  Rathausstraße 17
     5. S portverein Makkabi Berlin e. V.
         Passauer Str. 4

16
ALLTAG VON JÜDINNEN
 UND JUDEN IN BERLIN
 HEUTE

BILDER VON JÜDISCHEN                            schulalter sind diese Bilder noch wandelbar,      »Bei mir ist es so, ich trage
MENSCHEN IN DEUTSCHLAND                         erst später verfestigen sie sich zu Vorurtei-     immer meine Kippa, mein
                                                len und Antisemitismus. Die Grundschule           Hütchen. Wenn ich mein
                                                                                                  Cappy absetze, sieht man
Viele Menschen in Deutschland kennen keine      hat daher eine besondere Aufgabe und
                                                                                                  die Kippa halt. Viele spre­
Jüdinnen und Juden und haben kaum               Verantwortung, differenzierte Bilder vom          chen mich daraufhin an und
Wissen über das Judentum. Dennoch               Jüdischsein zu vermitteln. Wer über ein dif-      fragen halt, ob ich wirklich
existieren zahlreiche Bilder von Jüdinnen       ferenziertes Bild von Jüdinnen und Juden in       jüdisch bin, weil sie das nicht
und Juden oder vom Judentum allgemein.          Deutschland, in Berlin oder im eigenen Kiez       glauben können. Andere
Diese Bilder speisen sich aus Wissen über       verfügt, läuft weniger Gefahr, antisemiti-        ­fragen nicht mal, die akzep­
                                                                                                   tieren es einfach.«
den Holocaust, über Antisemitismus oder         schen Vorurteilen Glauben zu schenken.
                                                                                                   (Schüler)
aus Nachrichtenmeldungen über den
Nahostkonflikt. Nicht zuletzt besteht das       Der erste Schritt zur Prävention von Antise-
Wissen über Jüdinnen und Juden allzu oft        mitismus ist daher, dem medialen Zerrbild
aus tradierten Vorurteilen, Verschwörungs-      von jüdischen Menschen zu begegnen.
theorien und Falschinformationen. Dieses        Schü­lerinnen und Schüler sollen das Juden-
Wissen führt dazu, dass Jüdinnen und Juden      tum als aktuell, vielschichtig und alltäglich
in Rollen (insbesondere als Opfer oder Täter)   kennenlernen. Die Kultusministerkonferenz
wahrgenommen werden und nicht als han-          und der Zentralrat der Juden in Deutschland
delnde Individuen. Jüdinnen und Juden er-       haben dies in einer gemeinsamen Erklärung
scheinen so eher als Fremde denn als Nach-      im Jahr 2016 verdeutlicht: »Kenntnis und
barn, Mitschülerinnen, Freundinnen oder         Erken­nen der Vielfalt und Komplexität des
Bekannte. Daher wird empfohlen, vor einer       Judentums sind wichtige Schritte zu seinem
Auseinandersetzung mit Antisemitismus oder      Verständnis sowie zum Abbau von Vorurtei-
mit Nationalsozialismus und Holocaust in        len. Es gibt nicht die Jüdin oder den Juden,
der Grundschule zuerst jüdischen Alltag und     sondern verschiedene religiöse und kulturel-
jüdische Gegenwart in den Blick zu nehmen.      le Identi­täten. Die Schule sollte das Selbst-
                                                verständnis von Jüdinnen und Juden sowie
Kinder in der Grundschule erhalten meist        den Blick von außen auf das Judentum in
kein strukturiertes Wissen über Jüdinnen        Bezug zueinander setzen.«9
und Juden. Das ist problematisch, da sie die
medial und gesellschaftlich vermittelten
                                                9	 www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUnd-
Bilder durchaus wahrnehmen. Im Grund-              Aktuelles/2016/2016-12-08_KMK-Zentratrat_Ge-
                                                   meinsame-Erklaerung.pdf (18.09.2020)

                                                                                                                              17
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

                             JÜDISCHE UND ANDERE                            anderen aber komplett unwichtig sein.
                             IDENTITÄTEN                                    Hinter der kollektiven Identität »jüdisch«
                                                                            verbirgt sich eine Vielzahl von individuellen
                             Die Bezüge von jüdischen Menschen zum          Identitäten, die einander ergänzen oder
                             Judentum sind vielfältig und unterschied-      widersprechen können. Die Vermittlung
                             lich. Bezugspunkte können unter anderem        von Judentum muss daher die Vielfältigkeit
                             sein:                                          jüdischen Lebens widerspiegeln. Eine Ver-
                                                                            kürzung oder Vereinfachung auf einzelne
                             X die Zugehörigkeit zu einer religiösen        Aspekte des Judentums birgt immer die
                               Gemeinschaft,                                Gefahr, Vorurteile zu (re-)produzieren.
                             X die Zugehörigkeit zu einer sozialen
                               Gruppe,                                      Jeder Mensch hat viele soziale Rollen,
                             X die Abstammung von einer jüdischen           Interessen, Vorlieben und Denkweisen,
                               Familie,                                     welche die Grundlage für eine individuelle
                             X jüdische Traditionen,                        Selbstverortung bilden. Jüdisch zu sein ist
                             X Erfahrungen von Verfolgung und Ver-          dabei eine Identitätskategorie neben vielen
                               nichtung, vor allem im Holocaust,            anderen, wie zum Beispiel Familienvater,
                             X eine gemeinsame jüdische Perspektive         Kollegin, Fußballfan, Musikliebhaberin oder
                               auf die Welt,                                Autofahrerin. Niemand ist nur jüdisch – ge-
                             X der Bezug auf Israel oder                    nauso wie niemand nur Fußballfan ist. Die
                             X Erfahrungen von Ausgrenzung und              jüdische Identität ist für manche Menschen
                               Antisemitismus.                              eine sehr wichtige Identität, die in andere
                                                                            Identitäten hineinwirkt und diese beein-
                             Einzelne dieser Bezugspunkte können dabei      flusst. Für andere ist sie eine Identität unter
                             für einen Menschen sehr wichtig, für einen     vielen.

                               Was ist jüdisch?
                               Es gibt keine einheitliche Definition von »jüdisch«. Nach jüdischem Recht ist Jude
                               beziehungsweise Jüdin, wer eine jüdische Mutter hat. Dabei ist es egal, welche Reli­
                               gionszugehörigkeit der Vater hat. Es ist auch nicht wichtig, ob man sich im Alltag an
                               die religiösen Gesetze hält oder nicht. Man kann jüdisch sein, ohne an Gott zu glauben.
                               Wer nicht jüdisch geboren ist, kann unter bestimmten Bedingungen auch zum Juden-
                               tum übertreten. Zunehmend identifizieren sich auch einige Menschen als jüdisch, die
                               einen jüdischen Vater und eine nicht-jüdische Mutter haben. Nur ein Teil der Jüdinnen
                               und Juden in Deutschland ist auch Mitglied einer jüdischen Gemeinde.

18
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

                                                19
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

    »Meine Schwester und ich,       JÜDISCHE GEGENWART UND                          der Öffentlichkeit bewusst keine Kleidungs-
     wir spielen Basketball und     IDENTITÄT IN BERLIN                             stücke oder Symbole tragen, die sie als
  unsere Basketballspiele wa­                                                       Jüdinnen und Juden zu erkennen geben.
 ren immer Freitagabend. Wir
                                    Über 10.000 Menschen sind in den jüdischen      Jüdischer Alltag in Berlin bedeutet auch die
    gehen aber jeden Schabbat
   in die Synagoge. Wir hatten      Gemeinden in Berlin organisiert, darüber        Gegenwärtigkeit antisemitischer Bedrohun-
      dann das Glück, dass der      hinaus leben in Berlin schätzungsweise          gen. Bei aller Normalität, unter der Jüdinnen
  Coach es geschafft hat, dass      20.000 Jüdinnen und Juden, die keiner Ge-       und Juden ihren Alltag verbringen, sind die
       die Spiele Samstagnach­      meinde angehören. 75 Jahre nach dem Ho-         Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in
    mittag stattfinden. Es geht     locaust existiert in Berlin, das schon immer    Deutschland immer noch alles andere als
    ja um Punkte und da steht
                                    das Zentrum jüdischen Lebens in Deutsch-        normal.
     unser ganzes Team dahin­
     ter. Aber man fühlt schon,     land gebildet hat, ein lebhaftes jüdisches
      dass es ist nicht so wie in   Alltagsleben. Die vielfältigen Museen, Syna­    JÜDISCHE RELIGION UND
Israel ist, wo automatisch die      gogen, Supermärkte, Cafés, Restaurants,         TRADITION
 Spiele nicht Freitagabend am       Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur
  Schabbat oder Samstagvor­         Hochschule, Verlage, Buchhandlungen und         Das Judentum ist die älteste der drei mo-
   mittag stattfinden. Da fühlt
                                    sogar ein Sportverein sind ein Abbild der       notheistischen Religionen. Heute unter-
    man sich schon manchmal
       anders als die anderen.«     Vielfalt jüdischen Lebens in Berlin.            scheidet man zwischen dem orthodoxen,
                        (Schüler)                                                   dem konservativen und dem Reformjuden-
                                    Der Alltag jüdischer Kinder in Berlin unter­-   tum, die unterschiedliche Traditionen und
                                    scheidet sich meist nur wenig von dem           religiöse Praxen haben. Das Judentum ist
                                    nicht-jüdischer Kinder. Es gibt drei jüdische   jedoch mehr als eine Religion. Wenn nur der
                                    Grundschulen mit unterschiedlichen Pro­filen    religiöse Aspekt jüdischen Lebens themati-
                                    und eine jüdische Gemeinschaftsschule. Dort     siert wird, werden Jüdinnen und Juden leicht
                                    lernen jüdische Kinder meist gemeinsam mit      zu »Anderen« – einer unbekannten Gruppe
                                    nicht-jüdischen Kindern. Freizeitangebote,      mit fremden religiösen Traditionen. Die
                                    die sich insbesondere an jüdische Kinder        Zugänge zum Judentum können sich unter-
                                    richten, gibt es von der jüdischen Gemeinde,    scheiden: Für manche Jüdinnen und Juden
                                    im Sportverein TuS Makkabi Berlin, im ­Fa-      spielt die Religion im Alltag eine große Rolle,
                                    milienzentrum Zion oder von der Zentral-        für andere eher jüdische Traditionen, für
                                    wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.      dritte wiederum ist die jüdische Geschichte
                                    Jüdische Kinder verbringen ihre Freizeit aber   identitätsstiftend. Es gibt viele Jüdinnen und
                                    auch in den nicht-jüdischen Institutionen,      Juden, die sich selbst als nicht religiös, aber
                                    auf Spiel- oder Bolzplätzen, in Sportvereinen   als jüdisch bezeichnen. Ein rein religiöser
                                    oder Musikschulen. Eine große Zahl jüdi-        Zugang, wie er oft im Rahmen des (christli-
                                    scher Kinder besucht die staatlichen Grund-     chen) Religions- oder Ethikunterrichts ver-
                                    schulen, manche machen dort ihre jüdische       wendet wird, kann nur einen von vielen Blick­
                                    Identität zum Thema, andere tun das nicht.      winkeln auf das Judentum liefern. Wer die
                                    Die jüdischen Feiertage werden in den           christlich geprägte Mehrheitsgesellschaft in
                                    Schulen bisher wenig beachtet, obwohl sie       Deutschland beschreiben möchte, würde auch
                                    einen guten Zugang zum Kennenlernen der         nicht mit religiösen Traditionen beginnen.
                                    jüdischen Religion bieten.
                                                                                    Dennoch können in der Grundschule
                                    Viele jüdische Institutionen stehen unter       grundlegende Elemente der jüdischen
                                    dauerhaftem Polizeischutz. Zunehmend            Religion vermittelt werden. Dabei erscheint
                                    berichten Jüdinnen und Juden, dass sie in       es wichtig, die Vielfältigkeit des Umgangs

20
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

mit religiösen Traditionen und Geboten zu       Unterrichts sein. Leider stellen viele Mate-     »Für mich ist es wichtig,
betonen. Prinzipiell ist in der Grundschule     rialien für die Grundschule das Judentum         dass kein klischeehaftes
eine exemplarische Beschäftigung mit aus-       ausschließlich historisch dar. Dies führt eher   Bild von Juden beziehungs­
                                                                                                 weise jüdischem Leben in
gewählten Feiertagen, religiösen Objekten,      zu Fremdheit und Distanz als zu Interesse
                                                                                                 Deutschland aufgezeigt wird.
Geboten oder Traditionen sinnvoller als der     und Annäherung. Religiöse Praxen und Tra-        Die wenigsten Juden halten
Versuch, das Judentum vollständig vorzu-        ditionen sollen daher aus der heutigen Per-      Kaschrut, Schabbat oder die
stellen. Lehrkräfte sollten sich aber in den    spektive dargestellt werden. Sinnvoll kann       Feiertage ein. Nur wenige
grundlegenden Symboliken, Traditionen,          dabei auch ein interreligiöser Vergleich sein.   tragen Kippa und Zizit etc.
Festen und Feiertagen des Judentums aus-        Eine ganze Reihe religiöser Objekte und          Auch die Synagogen sind
                                                                                                 ganz unterschiedlich, inso­
kennen. Sie sind elementar für die jüdische     Traditionen werden ähnlich in allen drei
                                                                                                 fern ist auch ein Synagogen­
Tradition – und für viele sind sie die Grund-   monotheistischen Religionen praktiziert.         besuch mit Kindern kritisch
lage jüdischer Gegenwart.                       Ein solcher Vergleich schlägt Brücken und        zu betrachten.«
                                                ermuntert alle Schülerinnen und Schüler,         (Lehrerin)
JÜDISCHSEIN UND JUDENTUM                        sich mit der eigenen Religion und religiösen
IM UNTERRICHT DER                               Praxis auseinanderzusetzen. Dafür eignet
GRUNDSCHULE                                     sich die Quiz-Methode, die gerade bei jünge-
                                                ren Schülerinnen und Schülern viel Anklang
Für ein Kennenlernen des Alltags heute          findet und Wissen über das Judentum und
empfiehlt sich der biografische Zugang.         andere Religionen spielerisch und leicht
Es gibt eine Reihe von Materialien und          vermittelt.
Kinderbüchern, die Alltagsgeschichten
von jüdischen Kindern und Jugendlichen
erzählen. Einige werden in dieser Broschüre
vorgestellt. In Berlin existiert zudem eine
große Zahl an Lernorten, die auch für Kin-
der im Grundschulalter geeignet sind. Die
Auswahl sollte sich am Lernziel orientieren.
Wenn die Schülerinnen und Schüler jüdische
religiöse Praxis kennenlernen sollen, bietet
sich ein Besuch in der Synagoge an. Möchte
die Lerngruppe etwas über jüdischen Alltag
erfahren, so ist ein Begegnungsprojekt wie
»Meet a Jew« sinnvoller. Einen niedrig-
schwelligen Zugang in der außerschulischen
Bildungsarbeit bietet das Projekt Shalom
Rollberg in Nordneukölln. Hier gestalten
Berliner Jüdinnen und Juden Angebote für
Kinder und Jugendliche aus dem Kiez – von
Kung-Fu bis Kunst. So entstehen Begegnun-
gen, bei denen nicht (religiöse) Unterschie-
de, sondern gemeinsame Aktivitäten im
Vordergrund stehen.

An geeigneter Stelle können die Elemente
des religiösen Judentums auch Thema des

                                                                                                                          21
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

     METHODE: MANCHE JÜDINNEN
     UND JUDEN …

     Themenfelder:                                          ABLAUF
     Judentum, Alltag, Identität
                                                            Dazu erhalten sie die Grafik »Manche Jüdinnen und
     Für wen:                                               Juden … « mit religiösen, traditionellen und alltäg-
     Jahrgangsstufe 1 bis 4                                 lichen Tätigkeiten. Ihre Aufgabe ist es, die Sätze
                                                            (»Manche Jüdinnen und Juden … gehen samstags in
     Dauer:                                                 die Synagoge.«) mit den Bildern zu verbinden, indem
     circa 20 Minuten                                       sie den passenden Buchstaben an das Bild schreiben.
                                                            Wenn alle Schülerinnen und Schüler fertig sind,
     Benötigtes Material:                                   werden die Sätze mit den passenden Bildern nachein-
     Stifte, Kopiervorlage »Manche Jüdinnen und Juden …«    ander vorgestellt. An dieser Stelle kann die Lehrkraft
     (einmal pro Person) Die Materialien können auch hier   Fragen stellen (»Weiß jemand, was eine Synagoge
     heruntergeladen werden:                                ist?«, »War jemand von euch schon einmal in einer
     www.annefrank.de/antisemitismus-grundschule            Synagoge?«) oder Erklärungen geben (»Die Synago-
                                                            ge ist das Gotteshaus der Jüdinnen und Juden. Die
                                                            Gemeindemitglieder gehen dorthin, um zu beten, zu
     ZIEL                                                   lernen und zu diskutieren.«). Auch zu den nicht reli-
                                                            giösen Sätzen können Erklärungen gegeben werden
     Ziel der Methode ist, den Schülerinnen und Schülern    (»Manche jüdische Kinder spielen gerne Fußball. Es
     Vielfalt in der jüdischen Religion und den jüdischen   gibt sogar einen jüdischen Fußballverein in Berlin, der
     Alltag differenziert darzustellen.                     TuS Makkabi Berlin heißt.«).

22
Bild 4
MancheJüdinnen und Juden

                                                      Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

    Ordne die Buchstaben den Bildern zu!
     A … arbeiten an Schabbat nicht.                    I … lieben Gruselgeschichten.
     B … spielen gerne Fußball.                         J … tragen eine Kippa.
     C … fliegen im Urlaub nach Israel.                 K … tragen eine Kette mit Davidstern.
     D … lachen gerne mit Freundinnen und Freunden.     L … haben eine jüdische Mutter.
     E … haben zu Hause eine Menora.                    M … mögen Geschenke.
     F … lesen gerne Zeitung.                           N ... sprechen hebräisch.
     G … gehen Samstags in die Synagoge.                O ... gehen koscher einkaufen.
     H … essen kein Schweinefleisch.                    P ... hören gerne Musik.

                                                                                                      23
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

     QUIZ: CHRISTLICH, MUSLIMISCH,
     JÜDISCH?

     Themenfelder:                                            Reihum dürfen die Gruppen bestimmen, welche
     Judentum, Christentum, Islam                             Kategorie und welche Nummer als nächstes erraten
                                                              werden soll (zum Beispiel Gegenstände 4). Die Lehr-
     Für wen:                                                 kraft nimmt dann das entsprechende Foto und hält es
     Jahrgangsstufe 3 bis 6                                   hoch, sodass alle es gut sehen können. Die Gruppen
                                                              haben nun 30 Sekunden Zeit zu überlegen, ob der
     Dauer:                                                   Gegenstand, das Gebäude oder die Person auf dem
     circa 45 Minuten                                         Foto jüdisch, christlich oder muslimisch ist.

     Benötigtes Material:                                     Am Ende der 30 Sekunden zählt die Lehrkraft her-
     Sanduhr oder Stoppuhr (30 Sekunden), 27 Fotos, pro       unter (»Drei, zwei, eins, fertig!«) und alle Gruppen
     Gruppe jeweils eine Symbolkarte Halbmond, Menora,        heben gleichzeitig eine Symbolkarte hoch. Wer richtig
     Kreuz, Quiztafel. Die Materialien können hier herun-     getippt hat, bekommt einen Punkt. Wer keine oder
     tergeladen werden:                                       mehrere Symbolkarten hochgehoben hat, bekommt
     www.annefrank.de/antisemitismus-grundschule              keinen Punkt, genauso bei falschen Tipps.

                                                              Abschließend kann aufgelöst werden, was genau auf
     ZIEL                                                     dem Foto zu sehen ist. Dabei lohnt es sich, auch die
                                                              Schülerinnen und Schüler einzubinden. Danach geht
     Ziel der Methode ist die spielerische Vermittlung von    das Quiz wieder von vorn los, jetzt darf die nächste
     Wissen über das Judentum und andere Religionen. Die      Gruppe Kategorie und Nummer bestimmen. Das Quiz
     Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, dass es        endet, wenn jede Gruppe einmal (beziehungsweise
     zum Teil eindeutig ist, zu welcher Religion ein Gebäu-   zweimal, dreimal oder viermal, je nach verfügbarer
     de, ein Gegenstand oder eine Person zugeordnet wird.     Zeit) die Kategorie und Nummer bestimmt hat.
     Oft ist es aber von außen auch nur sehr schwer zu        Einige Fotos haben Bezüge zu mehreren Religionen,
     bestimmen – insbesondere bei Personen. Zudem wer-        in diesen Fällen können auch verschiedene Antworten
     den Parallelen und Gemeinsamkeiten zwischen den          einen Punkt ergeben. Außerdem sind »Fallen« ein-
     Religionen Christentum, Islam und Judentum deutlich.     gebaut, wo die erste Assoziation falsch ist. Am Ende
                                                              kann eine Diskussion angeschlossen werden über
                                                              Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den
     ABLAUF                                                   Religionen sowie über Zuschreibungen, (Vor-)Urteile
                                                              und Schubladendenken.
     Die Lerngruppe wird in Kleingruppen von 4 bis 5
     Personen eingeteilt, die zusammensitzen. Jede Gruppe     Es kann motivierend sein, wenn es eine Belohnung für
     erhält drei Symbolkarten. Die Quiztafel wird für alle    das Gewinnerteam gibt – diese sollte aber auf jeden
     sichtbar aufgehängt, die Fotos liegen verdeckt bei der   Fall koscher und halāl sein.
     Lehrkraft.

24
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

FILME
Anne Frank Zentrum Berlin                 ARD-Mittagsmagazin:                      Shlomit Tulgan und das
(Hrsg.):                                  Besuch in einer jüdischen                Bubales Puppentheater:
Die Judenschublade                        Schule                                   Das Channukka-Wunder bei
                                                                                   den Lottersteins

                                                                                                                              Foto: Nadja Rentzsch
Wie lebt es sich als junger Jude, als     Kurzes Porträt einer Schülerin der       Mit viel Humor und schrägen Ge-
junge Jüdin im heutigen Deutschland?      jüdischen Lichtigfeld-Schule in          sangseinlagen wird in dieser Geschich-
Die Dokumentation gibt Einblicke in       Frankfurt am Main. In prägnanter und     te das Chanukka-Fest kindgerecht
den Alltag von Jugendlichen zwischen      kompakter Weise wird die Alltagswelt     erzählt. Die beiden Hauptfiguren,
12 und 25 Jahren. Junge Menschen jü-      jüdischer Jugendlicher dargestellt.      Shlomo und sein humorloses Schaf
dischen Glaubens erzählen, kommen-                                                 Mendel, begleiten die Kinder durch die
tieren und beschreiben, wie sie mit       Themenfelder: Schule, Judentum,          Geschichte. Die DVD ermöglicht einen
ihrer Religion und Geschichte, ihren      Antisemitismus                           so ungewöhnlichen wie niedrigschwel-
Hoffnungen und Ängsten im Deutsch-        Für wen: Jahrgangsstufe 5 bis 6          ligen Zugang zu jüdischer Tradition
land der Gegenwart leben.                 Dauer: circa 3 Minuten                   und zum Judentum allgemein.
                                          Preis: kostenfrei, online verfügbar
Themenfelder: Jugend, Alltag,             Link: www.youtube.com/                   Themenfelder: Judentum,
Judentum                                  watch?v=a80qSBb6Ptk                      Religion, Chanukka
Für wen: Jahrgangsstufe 5 bis 6                                                    Für wen: Jahrgangsstufe 1 bis 6
Dauer: circa 60 Minuten                                                            Dauer: circa 50 Minuten
ISBN: 978-3-83460-815-4                                                            ISBN: 978-3-94553-001-6
Preis: kostenfrei, online verfügbar                                                Preis: 14,95 Euro
Link: www.youtube.com/
watch?v=99JeJ7htpJA

Hinweis: Der Dokumentarfilm auf DVD
mit Arbeitsmaterialien ist mittlerweile
vergriffen, kann aber noch über die
Website des Anne Frank Zentrums
bestellt werden: www.annefrank.de/
onlineshop/.

                                                                                                                         25
Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin heute

BÜCHER
Sylvia Dym:                             Myriam Halberstam,                     Ronald H. Isaacs,
Rosch Pina. Jüdisches                   Nancy Cote:                            Kerry M. Olitzky:
Lehrbuch, Band I – Rachel               Ein Pferd zu Channukka                 Kleines 1 × 1 jüdischen
                                                                               Lebens. Eine illustrierte
                                                                               Anleitung jüdischer Praxis
                                                                               und jüdischen Wissens

Rosch Pina ist eine dreiteilige Reihe   Eine liebevolle Geschichte über        Welche Gebetshaltungen kennt
von Lehrbüchern für den jüdischen       Wünsche und deren (ungewollte)         das Judentum? Wie baut man eine
Religionsunterricht. In einer bunten    Konsequenzen. Hannah wünscht           Laubhütte? Wie führt man durch den
und lebendigen Gestaltung vermittelt    sich sehnlich ein Pferd zu Chanukka.   Sederabend? Dieses Buch bietet kurze,
es Grundwissen zum Judentum für         Doch als sie es bekommt, führt das     leicht verständliche, reich illustrierte
Kinder der Grundschule. Band I          zu einer Menge Chaos. Das Buch         Anweisungen für die Praxis jüdischen
behandelt den Schabbat, den jüdi-       erzählt jüdischen Alltag aus einer     Lebens. Wie die Schabbatkerzen
schen Kalender und die jüdischen        Kinderperspektive und lädt ein, sich   entzündet werden, wie man Kranke
Feiertage. Sowohl für jüdische als      anhand von Chanukka mit jüdischen      besucht, wie ein jüdischer Grabstein
auch für nicht-jüdische Kinder bietet   Traditionen zu beschäftigen.           aussieht und wie eine Beerdigung
die Reihe interessante Einblicke in                                            abläuft – solche und ähnliche Fragen
jüdische Religion und Alltag.           Themenfelder: Alltag, Chanukka,        werden in diesem Buch kurz, über-
                                        Judentum                               sichtlich und mit vielen Abbildungen
Themenfelder: Judentum, Feiertage,      Für wen: Jahrgangsstufe 1 bis 4        beantwortet.
jüdischer Unterricht                    Umfang: 32 Seiten, gebunden
Für wen: Jahrgangsstufe 1 bis 4         ISBN: 978-3-94553-022-1                Themenfelder: Judentum, Tradition,
Umfang: 108 Seiten, gebunden            Preis: 14,95 Euro                      jüdischer Alltag
ISBN: 978-3-93465-862-2                                                        Für wen: Lehrkräfte
Preis: 15,00 Euro                                                              Umfang: 192 Seiten
                                                                               ISBN: 978-1-91075-208-1
Hinweis: Band I (Rachel) richtet sich                                          Preis: 24,00 Euro
an Kinder von 6 bis 8 Jahren, Band II
(Ophir) an Kinder von 8 bis 10 Jahren
und Band III (Schai) an Kinder von 10
bis 13 Jahren.

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