VAGABUNDIERENDES VERNETZEN - ENTSTEHUNG UND BEDEUTUNG DES DACHVERBANDS LESBEN UND ALTER
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INHALTSVERZEICHNIS GRUSSWORT VOM Bild: ©arno BERLINER SENAT Grußwort vom Berliner Senat 3 Lesbische Sichtbarkeit 4 Wie alles begann – Ein Netzwerk entsteht Lesben und Alter – Ein Netzwerk wird zum Verband 6 8 LIEBE LESER*INNEN, Altersarmut – Ein lesbisches Thema? 10 Anforderungen an lesbensensible Pflege 12 in Ihren Händen halten Sie ein Produkt unseres Mikroprojekte-Fonds zur Wohnen im Alter 14 Geschichte von Berliner LSBTI-Selbstorganisationen 2020. In der vorlie- genden Broschüre bereitet der Dachverband Lesben und Alter e. V. nicht Treibende Kräfte im Dachverband – Die Mitgliedsorganisationen 18 nur die eigene Geschichte anschaulich auf, sondern präsentiert informa- Soziale Teilhabe 20 tive thematische Exkurse zu den Themen, die Lesben* im und mit Blick Lesben und Alter in der Queeren Community 22 auf das Alter bewegen. Die Broschüre ist damit nicht nur für Geschichts- Dr. Dirk Behrendt interessierte spannend. Die Broschüre ist auch mit Blick auf antidiskri- Rente 24 Senator für Justiz, minierungspolitische Herausforderungen der Gegenwart relevant. Repressionen gegenüber Lesben nach 1949 27 Verbraucherschutz Umzug in das Bundespolitische Zentrum 28 und Antidiskriminierung Liebe Leser*innen, lesbische* Sichtbarkeit ist mir ein Herzensanliegen und seit mehreren Jahren auch ein Schwerpunkt der Förderpolitik des Herausforderungen 30 Berliner Senats. Daher freue ich mich, dass wir im Jahr 2020 gleich drei Meilensteine 32 Projekte mit lesbischem* Schwerpunkt fördern konnten: Internationale Vernetzung 34 Das betrifft zunächst einen Bereich, den die Broschüre zu Recht als wich- tiges Gerechtigkeitsthema herausstellt: sicheres, würdiges und sozial Ausblick – Die Zukunft des Dachverbands Lesben und Alter 36 eingebundenes Wohnen im Alter. Daher fördern wir seit mehreren Jah- Quellenangaben 38 ren ein echtes Leuchtturmprojekt und begleiten die Rad und Tat GmbH beim Aufbau eines Wohn- und Begegnungsorts in der Stadtmitte für Les- ben* im Alter oder mit Pflegebedarf. Seit 2018 loben wir außerdem den Berliner Preis für Lesbische* Sicht- IMPRESSUM barkeit aus. Es ehrt mich besonders, dass ich im vergangenen Jahr Katharina Oguntoye, einer konsequent intersektional denkenden und Herausgeberin: Gestaltung: Allround Team GmbH, Köln Dachverband Lesben und Alter e. V. geschichtsbewussten Pionierin lesbischer* Emanzipation, diesen Preis Sigmaringer Straße 1 Fotos: Archiv Dachverband Lesben und Alter, Pixabay, Unsplash, überreichen durfte. 10713 Berlin Sabine Arnolds, DPWV, Anke Feja, Karin Herold, Doris Leymann, Auch das Projekt Lesbisch*.Sichtbar.Berlin ist in diesem Zusammen- Tel: 030 55249384 Annette Schulz, Beate Chandini Werner, arno. hang zu nennen. Es vernetzt lesbische* Communites und entwickelt kontakt@lesbenundalter.de www.lesbenundalter.de Die vorliegende Broschüre wurde sorgfältig erarbeitet. Trotz aller Sorgfalt Konzepte zur Sichtbarmachung lesbischen* Lebens. Gerade neu auf den Vereinsregister Berlin VR 36281 können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Für Hinweise auf eventuelle Weg gebracht haben wir Projekte zum intergenerativen Austausch unter Fehler sind wir dankbar. Lesben*, zu lesbischem* Empowerment im Beruf und zum Coaching les- 1. Auflage Dezember 2020, Berlin Nachdruck und Vervielfältigung, auch in Auszügen, über analoge oder bischer* Initiativen mit Professionalisierungswunsch. V.i.S.d.P. Carolina Brauckmann digitale Medien bedürfen der Genehmigung durch die Herausgeberin. Alle Rechte vorbehalten. Spannend ist insoweit nicht nur die Geschichte, sondern auch die Zu- Recherche und Text: Susanne Kalka kunft. In diesem Sinne wünsche ich dem Dachverband Lesben und Alter Redaktion: Sabine Arnolds, Spendenkonto: Carolina Brauckmann, Stefanie Soine Dachverband Lesben und Alter e. V. e. V. alles Gute – und Ihnen als Leser*innen eine inspirierende Lektüre! Projektleitung: Sabine Arnolds Bank für Sozialwirtschaft IBAN DE 58 1002 0500 0001 5871 00 3
Bild: K Guinn / Pixabay „Mehr als alles jedoch, denke ich, fürchten wir die Sichtbarkeit, ohne die wir nicht wahrhaftig leben können. [...] Doch diese Sichtbarkeit, die uns höchst verletzlich macht, ist auch die Quelle unserer größten Kraft.“ Audre Lorde, US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin LESBISCHE Sichtbar zu sein spendet gleichzeitig Kraft und macht SICHTBARKEIT Akteurinnen im Dachverband ein zentraler Punkt. Orte besetzen und Macht einfordern bewegung der 1970er Jahre gesellschaftlich mehr verletzlich, die Impulsgeberin der Schwarzen Frauen- Auf den Kraft spendenden Aspekt verweisen ältere Gleichberechtigung und Akzeptanz und auf persön- und Lesbenbewegung in Deutschland, Audre Lorde, Lesben wie Dr. Lising Pagenstecher, Jahrgang 1930, Sichtbarkeit braucht Protago nist*innen, die sich licher Ebene Autonomie erkämpfte, agiert inhaltlich weist in ihrem Zitat auf den Spannungsbogen der viel Historikerin und Soziologin. Erst mit Ende 30 – also mit sichtbar machen und für Veränderungen eintreten. und analytisch stark, stößt aber immer wieder an „besungenen“ Sichtbarkeit hin. Wer sich als lesbische Beginn der Frauen- und Lesbenbewegung – gelang es Die Netzwerkerinnen, Fachfrauen und Gründerinnen Kapazitätsgrenzen, z. B. in der Gremienarbeit. Das gilt Feministin in sozialen Medien politisch äußert, weiß Lising, ihre lesbische Identität anzunehmen und of- des Dachverband Lesben und Alter gehören par sowohl innerhalb der LGBTIQ*-Community als auch von der Verletzlichkeit ein Lied zu singen. Aus Sicht fen zu leben: „Eine ‚lesbische Identität‘ beinhaltet für exellence zu diesen sichtbaren Streiter*innen. innerhalb der Senior*innenarbeit. Der Dachverband des Dachverbands Lesben und Alter grenzt es dabei mich auch Gerechtigkeits- und Emanzipationsvor- Carolina Brauckmann, Historikerin, Gründungsfrau steht auch für den Spagat, einerseits den politischen an eine Binsenweisheit, dass ältere Lesben zweifach stellungen im Hinblick auf das Geschlechter- und das und Vorstand des Dachverbands, zeigt in ihrem Wurzeln der autonomen Lesbenbewegung verbun oder sogar (wie Monika Kehoe 1986 schrieb) dreifach Frauenverhältnis. Denn ich möchte als Lesbe einen Beitrag „Alt, sichtbar, autonom!“ die Bandbreite an den zu sein und andererseits effiziente Lobbyarbeit unsichtbar sind: als Frau, als Ältere, als Lesbe. Die An- gleichberechtigten und gleichgewürdigten Platz ein- Hürden auf, die dabei übersprungen werden müssen, in den Institutionen zu leisten. Denn wie Brauckmann liegen älterer Lesben sichtbar und hörbar zu machen, nehmen als Frau im Geschlechterverhältnis und als und die Ausdauer, die diese Arbeit benötigt. schreibt: „Orte sichtbar besetzen heißt Macht ein- in bessere Bedingungen umzusetzen, bleibt für die Lesbe im Verhältnis zu anders lebenden Frauen.“ Die Generation, die mit der Frauen- und Lesben- fordern“. 4 5
Bild: Alina Grubnyak / Unsplash WIE ALLES BEGANN – EIN NETZWERK ENTSTEHT Lesben und Alter – ein Thema mit Zukunft Der Stein kommt ins Rollen – Die erste bundesweite Fachtagung „Wie wollen wir im Alter leben? tiven gründeten sich. An verschie- gen zum Thema Alter und an einer Wo wollen wir im Alter leben? Mit denen Orten entstanden Besuchs- „Woche der Älteren“. Die Runde woll- „Die Idee der bundesweiten Fach aus Berlin stellten ihre Arbeits wem wollen wir im Alter leben?“ dienste und Wohnprojekte. te, „die traditionelle Altenarbeit für tagung wurde über die Mailing- schwerpunkte vor. Thematisch „Die bundesweiten Lesben gehörten zu den ersten in In Hamburg näherten sich Lesben die Interessen und Bedürfnisse älte Liste verbreitet, und die Rückmel- ging es bereits um Dauerbrenner Fachtagungen bieten der queeren Community, die Ant- dem Altersthema zusätzlich auf rer Lesben öffnen, um das Bewusst- dungen bestätigten schnell: so wie Wohnen, Pflege, Besuchsnet- wichtige inhaltliche worten auf Alters-Fragen suchten. fachlicher Ebene. Bea Trampenau, sein zu schärfen und die Ignoranz zu eine Vernetzung, so ein Fachaus- ze und den Einfluss auf die offene Beiträge von Expert*innen Bereits auf dem Lesbenfrühlings lange im Hamburger Lesbenverein durchbrechen.“ tausch, so ein Kennenler nen ist Altersarbeit. und ermöglichen den treffen 1983 (damals Lesbenpfingst Intervention als Geschäftsführerin Schließlich ging im April 2004 das längst fällig gewesen“, heißt es in Die Teilnehmerinnen waren be- gegenseitigen Austausch treffen) tauschten sich etwa 30 Akti aktiv, beschreibt die Initiative: „Die Netzwerk Lesben und Alter mit der der Tagungsdokumentation. geistert und wünschten sich für der Teilnehmer*innen – vistinnen dazu aus und vernetz- Ehrenamtlichen bei Intervention Mailingliste „lesben.altern“ an den die Zukunft regelmäßige bundes- auch über gemeinsame ten sich auf Initiative der Verlegerin waren älter geworden. Sie woll- Start – ein bundesweiter Austausch Viele engagierte Frauen koordi- weite Fachtagungen, um auch wei- lesben- und frauenpolitische Anke Schäfer (1938–2013). ten in die Facharbeit zum Thema für Fachfrauen und Multiplikatorin- nierten vom 22. bis 24. Oktober terhin im persönlichen Austausch Aktionen von den 1970er 1986 entstand daraus der bundes Alter einsteigen.“ 2002 entstand nen. Schnell kam die Idee auf, sich 2004 erfolgreich die erste bun- zu bleiben. Für 2005 schloss sich Jahren bis heute.“ weite Verein Selbsthilfe alleinle- in Hamburg der Facharbeitskreis nicht nur virtuell, sondern auch desweite Fachtagung „Lesben die Planung gleich an. Die jewei Monika Brunnmüller, bender Frauen im Alter, seit 2000 „Anders Altern“. Gemeinsam erar- persönlich auszutauschen. Die Akti und Alter“ in Hamburg – über 40 ligen Organisatorinnen hielten die belladonna – Kultur, „SAFIA – Lesben gestalten ihr Alter“. beiteten lesbische Vertreterinnen vistinnen formulierten ein Tagungs Lesben aus zehn Bundesländern erarbeiteten Inhalte der Tagungen Bildung und Wirtschaft für Gemeinsam wollten die Frauen al- aus Senior*innenorganisationen, programm, beantragten finanzielle nahmen teil. Verschiedene lesbi- in Dokumentationen fest – abruf- Frauen e. V., Bremen ternative Lebensformen im Alter Lesben - /Frauen - Projekten und Förderung und organisierten Räume sche Projekte, aber auch gemisch- bar auf der Website des Dachver- entwickeln und praktizieren. Wei einzelne Fachfrauen Positionen, in Hamburg. te Arb eitskreise wie BALSAM1 bandes. tere lesbische Gruppen und Initia- beteiligten sich an Fachtagun Zur gleichen Zeit initiierten Lesben zwei weitere Netzwerke, die sich dem Thema Alter widmeten: die Fraueninitiative 04 und der Lesbische Herbst. „Ich erlebte mich als Zeitgenossin, die in der Phase der Zwischenbilanz war: Was haben wir erreicht? Wie wollen wir mit unseren spezifischen Lebensweisen alt werden? Ich fand es faszinierend, dass auf einmal an unterschiedlichen Orten diese Fragen aufleuchteten.” Carolina Brauckmann, Vorstand Dachverband Lesben und Alter; rubicon e. V., Köln 1 Berliner Arbeitskreis lesbische und schwule alte Menschen 6 7
LESBEN UND ALTER – EIN NETZWERK WIRD ZUM VERBAND „Die Energie war ganz eindeutig: Ja, wir gründen einen schlagfertigen Dachverband!“ Bea Trampenau, Grundsteinlegung 2004: Intervention e. V. (bis 2017), Von der Fachtagung zum Netzwerk Hamburg „Der Dachverband Lesben Die Teilnehmerinnen und Orga des Alterns stand dabei neben „Die Bewegung war eine und Alter e. V. stellt für nisatorinnen der ersten bundes- dem Austausch zwischen den Stimmung des Aufbruchs, der mich eine beeindruckend weiten Fachtagung im Jahr 2004 Projekten im Vordergrund. Eine Visionen und der Freude daran, starke Gruppe von legten in Hamburg den Grund- der ersten, die eine wegweisende gemeinsam aktiv zu sein.“ lesbischen, feministisch stein für das Netzwerk „Lesben Idee in den Raum warf, war Bea Jutta Brambach, geprägten Frauen dar, die und Alter“. In den darauffolgen- Trampenau: Weitere Kräfte bün- Vorstand Dachverband sich selbstbewusst für ihre den Jahren bauten die Fachfrauen deln, indem aus dem Netzwerk Lesben und Alter Ziele engagieren. Er ist ein durch regen Austausch von Wis- ein Verband wird. 2007, auf der wichtiger Verband, der sich sen, Adressen und Tipps das Fun- vier ten Fachtagung, leitete sie viel vorgenommen hat, weil dament aus. Die Gruppe „Sappho dazu einen Workshop. Die 20 Teil- er den Finger in Wunden und Methusalem“ organisierte nehmerinnen diskutierten aus- Der Startschuss 2009: Schließlich fassten sie einen Be Die Arbeitsgruppe einigte sich legt und aktiv für die Rechte 2005 die nächste Tagung in Dort- führlich und leidenschaftlich das Wir gründen einen schluss, der in seinen Grundzügen außerdem darauf, den Dachver- lesbischer Frauen kämpft.“ mund. 2006 und 2007 zeichnete die Für und Wider eines solchen Dachverband bis heute gilt: band zunächst organisatorisch als Felicitas Drubba, Berliner offene Initiative lesbischer Schritts. Am Ende des Workshops • Neben Organisationen können selbständiges Projekt bei Inter- Förderin, München Frauen RuT verantwortlich. sprachen sie sich mehrheitlich Zwei Jahre später im Frauenbil- Einzelfrauen im Verband agie vention in Hamburg anzusiedeln. Die fachliche Beschäftigung mit dafür aus, einen Dachverband zu dungshaus Charlottenberg auf der ren, sofern sie schwerpunkt- Gedacht war das als Übergangs Themen wie Wohnen, Sterben, gründen, der die Interessen von fünften Fachtagung war es dann mäßig im Bereich „Lesben und lösung, bis zur Gründung eines Tod, Trauer, Pflege, Ehrenamtlich- Lesben im Alter auf Bundesebe- soweit: Die 22 Frauen der Arbeits Alter“ arbeiten. eigenständigen gemeinnützigen keit, Besuchsdienste, Facetten ne vertritt. Sie beauftragten Bea gruppe tauschten sich intensiv • Gemischte Mitgliedsorganisa Vereins. damit, alles für die Gründung vor- über Struktur und Statut eines tionen verfügen über einen les- Am 1. November 2009 fiel dann zubereiten. schlagkräftigen Dachverbands aus. bischen Arbeitsbereich, der der Startschuss. Einstimmig be Eine zentrale Frage dabei: Wer soll autonom arbeiten kann und schlossen die 44 Teilnehmerin- künftig Mitglied werden? Frauen sollen den Verein im nen der Fachtagung die Gründung Verband vertreten. des Dachverbands Lesben und Al- ter mit dem Ziel, die Interessen von älteren und alten Lesben auf politischer Ebene zu vertre- Vorteile eines Dachverbands gegenüber einem losen ten sowie in Senior*inneneinrich- Netzwerk tungen und -Verbände hineinzu- wirken. Zu den wichtigen Themen • mehr Stabilität nach innen, von Lesben und Alter gehören: Al- • professionelleres Agieren nach außen, terssicherung, Wohnen, Gesund- • feste Ansprechpartnerinnen für Politik und Verbände, heitsprävention, Versorgung und • größere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Pflege, Rentenpolitik sowie dro- hende Altersarmut. 9
ALTERSARMUT – EIN LESBISCHES THEMA? Arme Alte – eine wachsende Gruppe Die Armutsquoten von 2006 und 2019. Das Rentensystem trifft Lesben hart Die Altersgruppe der 65-Jährigen und Ein selbstbestimmtes Leben im Alter benötigt – nicht älter wächst am stärksten. Bis heute spiegeln sich die Säulen des Adenauer- „Frauen sind im Alter oftmals auf eine soziale Si- nur – aber auch entsprechende finanzielle Ressour systems in den Rentenansprüchen von Frauen wider. cherung über einen Ehemann angewiesen. Es müsste Alter cen. Bei immer mehr Menschen fallen die Renten Der Gender Pay Gap von 20 Prozent verdoppelt sich aus meiner Sicht jedoch unbedingt so sein, dass ein ansprüche so gering aus, dass sie kaum noch über die 14,0 im Alter zu einem Gender Pension Gap von über würdiges, von einer Ehe unabhängiges Leben im Al- Insgesamt +13,6 % Runden kommen. Die Armutsquote in Deutschland 15,9 40 Prozent. Ehegattensplitting und Witwenrente – ter möglich ist.”, erklärt die Historikerin Dr. Kirsten zeigt, insbesondere Ältere und Alte sind zunehmend anstelle einer eigenständigen Absicherung – blieben Plötz, die sich in ihrer Forschung u.a. mit dem Thema von Armut bedroht. Laut Statistischem Bundesamt Unter 18 18,6 +10,2 % grundsätzlich unangetastet. Lesben, die ebenso wie lesbisches Altern befasst. 20,5 betraf dies im Jahr 2019 insgesamt 15,7 Prozent der Schwule bis in die 2000er Jahre von solchen staatli- In Deutschland leben schätzungsweise mehr als eine über 65-Jährigen. Zwischen 2006 und 2019 stieg die 18– 25 22,3 +15,7 % chen Versorgungsleistungen ausgeschlossen waren, halbe Million Lesben, die über 65 Jahre alt sind. Es Armutsquote der Rentner*innen und Pensionär*in- 25,8 trifft es daher besonders hart. Ausgerechnet viele ist wichtig, die Interessen dieser Frauen sichtbar zu nen um 66 Prozent! Ein trauriger Rekord: Die mit derjenigen, die in der Lesben- und Frauenbewegung machen, damit auch Lesben im Alter ein unabhän- 25–50 13,3 +6,0 % Abstand stärkste Zunahme des Armutsrisikos unter 14,1 der 1970er bis 1990er Jahren den gleichstellungs giges und selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird. allen Gruppen. politischen und gesellschaftlichen Wandel voran- Genau aus dieser Motivation heraus, hat sich im Jahr 50–65 11,3 +6,2 % getrieben haben, leben heute häufig am oder unter 2004 das Netzwerk „Lesben und Alter“ zusammen- 12,0 dem Existenzminimum. Für ihr Engagement nahmen geschlossen. Rentnerinnen besonders oft arm 65 und älter 10,4 +51,0 % sie schlechter und oft sogar unbezahlte Jobs in Kauf. 15,7 Ihre Lebensleistung spielt im Alter weder finanziell Frauen sind hierbei in besonderem Maße benach Rentner*innen 10,3 eine Rolle noch wird sie gesellschaftlich gebührend teiligt. Die konservative und frauenfeindliche Fami und +66,0 % gewürdigt. Pensionär*innen 17,1 lien- und Arbeitsmarktpolitik der frühen Bundesre- publik macht sich bis heute in westdeutschen weib- 0 5 10 15 20 25 30 lichen Lebensläufen bemerkbar: Armutsquote in % 2006 • Die Erwerbsbiographie von Frauen zeigt häufiger 2019 Lücken auf. • Sie arbeiten öfter in Teilzeit. • Sie verdienen im Schnitt 20 Prozent weniger als Der Anteil derjenigen über 65 Jahre und Männer. älter nach Geschlechtern getrennt Für Frauen galt die heterosexuelle Ehe mit dem männlichen Alleinverdiener lange Zeit als alterna- 11,8 tivloses Lebenskonzept. Alleinstehende oder gar weiblich +47,5 % 17,4 frauenliebende Frauen wurden stigmatisiert. Beruf liche Karriere und finanzielle Unabhängigkeit, in der 8,5 männlich +58,8 % Regel mit höherer Bildung verbunden, entsprachen 13,5 nicht der traditionellen Frauenrolle. 0 10 20 30 Armutsquote in % 2006 Quelle: Der Paritätische Armutsbericht 2020 2019 10 11
Bild: Dominik Lange / Unsplash ANFORDERUNGEN zu entfalten. Würdevolle Pflege bei Krankheit und im Alter setzt ter begleitet diesen Prozess durch seine Mitwirkung im Beirat. (https:// AN LESBENSENSIBLE voraus, dass Lebensrealitäten an- www.awo.org/queer-im-alter). PFLEGE erkannt werden. Viele lesbisch lebende Frauen fürchten immer Einiges ist inzwischen auf den noch eher das Gegenteil, sollten Weg gebracht. LSBTIQ*-Pflegewis- sie pflegebedürftig werden und senschaftler*innen treiben eine in einer Alten- oder Pflegeeinrich- bislang – gerade für das lesbische tung leben müssen. Altern und die Pflege – fehlende Forschung voran. Erste Pflege einrichtungen lassen sich u. a. Pflege – mit dem Siegel „Lebensort Viel- ein Thema mit Zukunft falt“ der Schwulenberatung Ber- lin zertifizieren. Handreichungen Bereits während der Aidskrise der und Pflegekonzepte für Aus- und 1980er Jahren setzten sich schwule Fortbildung werden geschrieben. Aktivisten und Pflegekräfte für eine Beispielhaft seien drei Initiativen menschenwürdige, vorurteilsfreie herausgegriffen: Pflege ein und gründeten eigene • 2019 gab die Landeshauptstadt AIDS-Spezialpflegedienste. Heute, Hannover einen Leitfaden für auch beeinflusst von Stummers Pio Führungskräfte in der ambulan nierarbeit, gehen einige freie Träger ten und stationären Altenpflege voran und schulen ihre Mitarbei heraus. tenden in der, wie es nun heißt, • 2020 erschien das erste Lehr- lebensweltorientierten Pflege. So buch für Pflege und Soziale Ar- Pflege.Andersrum – mit den KundInnen als Mensch, ten Handreichung „Kultursensible führt der AWO Bundesverband bis beit „LSBTIQ* und Alter(n)“ mit frühe Impulse aus sexuelles Wesen, Frau und Les- Pflege für Lesben und Schwule“ Ende 2020 ein neues, bundesweites gesonderten Unterkapiteln auch Hamburg be“ wie eine inklusive Sprachkul- Kriterien für die professionelle Modellprojekt zur Öffnung der Al- für lesbisches Altern. tur, adäquate Biografiearbeit, Ein- Pflege. Ihr Kerngedanke: Men- tenhilfeeinrichtungen der AWO • Aufgrund eines einstimmigen 2003 gründeten die Pflegefach- beziehen der Wahlfamilie, Schutz schen müssen die Möglichkeit ha- für die Zielgruppe LSBTIQ* durch. Stadtratbeschlusses öffnen sich „Menschen mit lesbischer frau Birgit Röschmann und die So- vor Diskriminierung, lesbische ben, auch im Alter ihre Identität Der Dachverband Lesben und Al- seit 2014, gesteuert durch das oder schwuler Identität zialpädagogin Bea Trampenau in Kulturangebote, gleiche Behand- Sozialreferat der Stadt München, professionell und Hamburg Pflege.Andersrum. In lung lesbischer Paare. Trampenau die stationären Pflegeeinrichtun- kultursensibel zu pflegen, Workshops und Vorträgen zeigten prägte dafür den Begriff „lesben- gen der Münchenstift GmbH im setzt ein generelles sie auf, wie „Lesben und Schwulen respektierende Pflege“. Rahmen eines Modellprojekts. Interesse an Menschen in der Pflege in Würde“ begegnet voraus und die Bereitschaft, werden kann. Pflege.Andersrum Bis es aber zum Standard gehört, sich Wissen über die war in verschiedene Facharbeits Konzept kultursensible Pflegepersonal für alternative Le lesbische und schwule kreise involviert, arbeitete mit Pflege auch für Lesben bens- und Liebensformen zu sensi- Kultur anzueignen.“ Senior*innenzentren und Pflege und Schwule bilisieren und spezifisch lesbische Gabi Stummer schulen zusammen. Gemein sam Lebenserfahrungen und Biogra- Bild: Georg Arthur Pflueger / Unsplash mit der Arbeitsgruppe „Quali Gabi Stummer, promovierte Pfle phien als gleichwertig zu berück- tätskriterien ‚Lesben‘ für Alten- gewissenschaftlerin und eine Zeit sichtigen, bleibt der Dachverband und Pflegeheime“ von Anders Al- lang Sprecherin des Dachver- Lesben und Alter an dem Thema tern entwickelten sie Kriterien bands Lesben und Alter, erarbei dran. für einen „respektvollen Umgang tete in ihrer 2015 veröffentlich 12 13
Bild: MichaelGaida / Pixabay Pionierinnen: in Unterfranken bildete Grundka- nen“. Dazu gehören Selbst hilfe Die SAPPhO pital und Grundstock für die 1997 im Alter sowie preiswerten Wohn- Frauenwohnstiftung offiziell gegründete SAPPhO Frauen raum zur Verfügung zu stellen. Mitt- wohnstiftung. Während es zuvor lerweile gibt es drei Lesbenwohn- Für SAFIA, das älteste bundeswei- schon einige Frauenwohnprojekte, projekte, durch die diese Idee ver- tes Netzwerk für Lesben 40+, wa- zum Teil mit lesbischen Beteilig- wirklicht und weitergetragen wird. ren alternative Wohnformen von ten, in Deutschland gab, entstand Neben der Hofgemeinschaft ge- Anfang an ein wichtiges Thema. europaweit das erste Wohnprojekt hören dazu das Stadthaus Hanno- WOHNEN Acht Lesben kauften zeitgleich mit explizit für Lesben. ver sowie die Villa Charlotta und der Vereinsgründung einen Hof in Die Stiftung will Bedingungen da- ein weiteres Haus in Charlotten- Wüstenbirkach, Unterfranken. Da für schaffen, „dass sich Lesben im berg. Mit Sophias Welt in Schries- sie den Hof nicht selbst besitzen Alter neue Lebens- und Wohnfor- heim entsteht zurzeit der nächste IM ALTER wollten, erarbeiteten sie ab 1993 men und Möglichkeiten des Zu- Wohnort. ein Stiftungskonzept. Das Anwesen sammenlebens erschaffen kön- Wie wollen wir wohnen, (nicht vielen Veranstaltungen wissen die nur) wenn wir alt sind? Wie kann Akteurinnen im Dachverband, die „Besonders interessiert ein Altern in Würde ermöglicht Themen Altersarmut und Wohn- mich das Thema Wohnen, werden und wie können kollek- perspektiven treiben ältere les- weil sich damit wesentliche tive Wohnformen dazu beitra- bische Frauen um. Gemeinsa- Themen, wie die Versorgung gen? Wie kann lebenswerter und me Wohnformen von Frauen ge- im Alter, würdevolles Altern, bezahlbarer Wohnraum in Städ- hen auf Wurzeln zurück wie die Verhindern von Isolation ten und auf dem Land erhalten Beginenhöfe im Mittelalter oder und Einsamkeit, auch oder geschaffen werden? Und Frauen wohnprojekte der ersten Pflege und die materielle welche Ressourcen braucht es und zweiten Frauenbewegung. In Versorgung im Alter – für solche Wohnangebote? Die- verschiedenen Städten und Regi- Stichwort Altersarmut se und weitere Fragen bewegten onen Deutschlands wird die Idee von Frauen – und letztlich und bewegen eine ganze Genera- vom gemeinschaftlichen Wohnen das zentrale Thema tion lesbischer Aktivistinnen, die und Leben im Alter oder zwischen Gendergerechtigkeit und in den 1970er und 1980er Jahren den Generationen umgesetzt. An- Teilhabe von Frauen/Lesben für ihre autonome Lebensweise dere kämpfen seit vielen Jahren verbinden.“ gekämpft und viele Nachteile in dafür, diesen Traum endlich zu Jutta Brambach, Kauf genommen hat. realisieren. Zwei Beispiele, deren Geschäftsführung RuT–Rad Auch für den Dachverband Lesben Initiatorinnen oftmals eng mit der und Tat Berlin gGmbH und Alter gehörten Wohnperspek- Entstehungsgeschichte des Dach- tiven früh zu den Hauptthemen, verbands Lesben und Alter ver- Bild: Ravi Patel / Unsplash eng verbunden mit der Frage nach bunden sind, seien hier exempla- den finanziellen Ressourcen. Aus risch herausgegriffen. 14
Bild: Marcus Lenk / Unsplash Der lange Kampf: RuT – 2020, scheint der Traum vom les- te und organisierte politische können. Ob allein, zu zweit, ge- • passende Alternativen zum Al- Frauen Kultur & Wohnen, bischen Wohn- und Kulturzentrum Unterstützung für das Projekt meinsam mit Freund*innen, Be- leinleben oder klassischen Berlin endlich zum Greifen nah. „RuT – Frauen Kultur & Wohnen“ kannten, Zugehörigen oder einer Senior*innenheimen finden, 2014 entging RuT ein sicher ge- – mitten im Zentrum Berlins. 70 anderen gewählten Wohnform, • durch gemeinschaftliches Woh Das gemeinnützige Beratungs- und glaubtes Grundstück in Neukölln, Mietwohnungen, dazu eine Pfle- jede Lesbe sollte ihr Leben im Alter nen und Wirtschaften Altersar- Kulturzentrum RuT – Rad und Tat – weil die Verkäufer sich mitten in ge-WG mit acht Plätzen, ein Kiez- würdevoll gestalten können. Exis mut begegnen können, Offene Initiative lesbischer Frauen den Verhandlungen doch für einen café, Beratungs- und Veran tenzielle Themen besonders für • Ansprechpartner*innen wie Pfle- plant seit mehr als zehn Jahren ein anderen Interessen ten entschie- staltungsräume sollen in der Nähe Frauen sind: bezahlbarer Wohn- gepersonal haben, die auf ihre inklusives Frauen-/ Lesbenwohn den. Kurz darauf bewarb sich RuT vom Alexanderplatz entstehen. In raum und gemeinschaftlich mit spezifischen Bedürfnisse vor projekt und Kulturzentrum in um ein Teilgrundstück der soge- Kooperation mit einer städtischen anderen im nachbarschaftlichen urteilsfrei eingehen, Berlin, ein langer Kampf mit zarten nannten „Schöneberger Linse“. Wohnungsbaugesellschaft, der Miteinander wirtschaften. Zu den • an der Stadtentwicklung und Hoffnungsschimmern und harten Der Senat suchte via Wettbewerb Grundstück und Haus gehören, zentralen Aspekten von bestehen- Wohnraumgestaltung teilhaben Rückschlägen. 2011 gründete der das beste Konzept für queeres wird das Wohnprojekt nun zwar den und kommenden Projekten können. Verein für die Umsetzung extra Wohnen und lebendige Quartier- nicht als Eigentümerin, aber nach gehören generationsübergreifen- eine gemeinnützige GmbH. Jetzt, mitgestaltung. Im November er- den Wünschen von RuT gebaut – de Kontakte, barrierefreies Woh- Dies setzt auf politischer Ebene hielt RuT den Zuschlag. Die Freu- in erster Linie für ältere und alte nen und eine ökologische Bau- eine umfassende finanzielle Förde- de war groß, bis der Konkurrent Lesben, aber auch jüngere Frauen und Wirtschaftsweise, mit dem Ziel rung voraus, damit Lesbenprojekte Schwulenberatung Widerspruch sollen dort einziehen. eigenständig und vielfältig in einer überhaupt entstehen können und einlegte und Verfahrensfehler bei „Idee des Projektes ist es, einen Gemeinschaft zu leben – bezahlbar das Ziel der Gendergerechtigkeit der Vergabe geltend machte. In inklusiven Ort zu schaffen, an und nachhaltig. Der Dachverband zukünftig in greifbare Nähe rücken einem zweiten kostenintensiven dem frauenliebende Frauen in Lesben und Alter arbeitet daran kann. Verfahren fiel die Entscheidung einer solidarischen Frauen-/Les Strategien für das Planen und Um- doch zugunsten des schwulen Pro- bengemeinschaft wohnen und le setzen zu entwickeln sowie Forde- jekts. Damit konnte die personell ben können und bis zu ihrem Le rungen an Politik und Wohnungs- und finanziell um ein Vielfaches bensende selbstbestimmt und so wirtschaft zu formulieren. Er setzt Fachtag besser aufgestellte Schwulenbera- selbstständig wie möglich blei- sich dafür ein, dass Lesben und al- tung bereits ihr drittes Wohnpro- ben können.“ leinlebende Frauen: Gut (lesbisch) jekt realisieren. (Quelle: https://rut-wohnen.de/ • bis ins hohe Alter selbstbestimmt leben und „Der gesamte Prozess zur Reali unser-haus/) und möglichst autonom bleiben wohnen – sierung des Lesben-Wohn- und Noch ist unklar, wann die ersten können, Utopie oder Kulturzentrums, wozu auch unse- Wohnungen bezogen werden kön- • ihr Leben und die Gemeinschaft Grundrecht? re Erfahrungen rund um das Aus- nen. Den Baustart musste RuT ge- aktiv mitgestalten können, schreibungsverfahren Schöneber- rade erst auf 2022 verschieben. • ein geschütztes Wohnumfeld Bild: Anastasiia Chepinska / Unsplash ger Linse gehören, ist Ausdruck vorfinden, in dem sie sich nicht 26. Okt. 2020 10 –16:30 Uhr von struktureller Diskriminie- erklären müssen und offen und Treffpunkt Freize rung gegenüber Frauen und Aus- Wie wollen Lesben im ohne Diskriminierung leben Am Neuen Garte it, n 64, druck von Macht- und Herrschafts- Alter wohnen? können, 14469 Po tsd am verhältnissen“, beschreibt Pro- • weiterhin Kontakte zu ande- jektleiterin Jutta Brambach den Nicht alle Lesben wollen im Alter ren frauenliebenden/lesbischen Altersarmut und Wohnp erspektiven ixabay Teilhabe lesbische mühsamen Prozess um die Reali- in kollektiven Wohnprojekten le Frauen knüpfen können, auch r und alleinlebende Bild: Mario Hagen/P an der Wohnraumge r Frauen staltung und Stad tentwicklung in Bran denb urg sierung eines Lesbenwohnprojekts. ben oder werden in einer solchen wenn sie immobiler, körperlich Gefördert durch Doch RuT gab nicht auf, kämpf Wohngemeinschaft unterkommen oder mental eingeschränkt sind, Veranstalterin 16 Dachverband Lesben Sigmaringer Straße und Alter e.V. 1, 10713 Berlin Telefon +49 (0)30 55249384 Mail: kontakt@lesbenund , alter.de www.lesbenundalte r.de
TREIBENDE KRÄFTE IM DACHVERBAND – „Als ich zum ersten Mal auf einer Tagung des Dachverbands Lesben und Alter war, fühlte ich DIE MITGLIEDSORGANISATIONEN mich so gut aufgehoben, dass ich sofort eintreten wollte. […] Die gesammelte Viele Mitgliedsorganisationen und Förderinnen des • belladonna – Kultur, Bildung und Wirtschaft für Die Redaktion hat im Herbst 2020 Mitgliedsorganisa- Power, das Wissen und die Dachverbands Lesben und Alter waren von Anfang Frauen e. V., Bremen tionen und Mitgliedsfrauen befragt, was der Dachver- Erfahrungen der Lesben im an Teil des Netzwerks und gehörten zu den Gründe • FLiP e. V. – FrauenLiebe im Pott, Essen band für sie bedeutet und was sie künftig von ihm er- Dachverband zu erleben und rinnen. Viele haben selbst ihre Wurzeln in der west- • frauenberatungsstelle düsseldorf e. V., Düsseldorf warten. Die ausgewählten Zitate stehen für sich. Ein im Miteinander zu spüren, deutschen Frauen- und Lesbenbewegung der 1970er • Fraueninitiative 04 e. V. zentraler Punkt ist die Sichtbarkeit älterer Lesben. gibt mir immer wieder Kraft Jahre. Andere kamen erst später neu dazu. 2020 ge- • FrauenKulturZentrum e. V., Darmstadt und Energie.“ hören 13 Mitgliedsorganisationen dem Dachverband • HAKI e. V., Kiel Pat Wunderlich, an: • Intervention e. V., Hamburg Förderin, Rostock • LIBS – Lesben Informations- und Beratungsstelle s e r w a r t e i c h / e. V., Frankfurt am Main • rosaAlter, Projekt der Münchner Aidshilfe e. V., Wa u t e t München erwarten wir Wa s b e d e vom Dachverband • rubicon e. V., Köln D a c h v e r b a n d • RuT – Rad und Tat – Offene Initiative Lesbischer uns/mir der Frauen e. V., Berlin • SAFIA e. V. Lesben gestalten ihr Alter Lesben und Alter? d A l t e r ? • SAPPhO Frauenwohnstiftung esben un „Der Dachverband bedeutet für mich gemeinsame L lesbenpolitische Interessen und eine lebendige Brücke zwischen Fachlichkeit und Lesbenbewegung. Die lang jährige Verbundenheit mit einigen Frauen aus den „Ich erwarte mir vom Dachverband Lesben und „Ein Gremium wie dieses birgt große Anfängen des Verbandes ist mir ebenso wichtig wie die Alter vor allem die Sichtbarmachung älterer Chancen als Interessenvertretung Möglichkeit zu neuen Begegnungen.“ Lesben und deren (feministischer) Geschichte für die Belange älterer Lesben. In Ulrike Schmauch, Förderin, Frankfurt am Main und Lebensleistung. Ebenso erwarte ich mir die dieser Hinsicht erwarte ich, dass Vertretung der politischen wie auch sozialen der Dachverband sich konsequent Interessen älterer Lesben gegenüber allen für die Sichtbarkeit von Lesben ein „Die Mitgliedschaft im Dachverband staatlichen Institutionen.“ setzt. Dazu wünsche ich mir, dass die Lesben und Alter und deren bundes „Mir bedeutet der Dachverband Angelika Schwarz, Fraueninitiative 04 e. V. Sensibilisierung in der Gesellschaft weite Vernetzung unterstützt uns Lesben und Alter viel, da er als Inter für unsere gleichwertigen Lebens beim Aufbau von Strukturen und der essensvertretung für eine teils wenig perspektiven vorangetrieben wird. Entwicklung neuer Ideen, um als sichtbare und diskriminierte Gruppe Außerdem bündelt und kommuni Lesbe im Alter gemeinsam aktiv und älterer Lesben Sprachrohr sein kann „Wir erwarten vom Dachverband, dass er die Anliegen ziert der rege Austausch unterein selbstbestimmt leben zu können.“ und ist, wichtige aktuelle Themen lesbisch-queerer älterer und alter Frauen* in (senior*innen) ander auch Fachkompetenz, die in Barbara Raasch, FLiP e. V., Essen benennt und in die Öffentlichkeit politischen Gremien und bei Veranstaltungen auf Bundesebe landespolitischen Entscheidungen bringt, Forderungen formuliert und ne, z. B. der BAGSO und beim Deutschen Senior*innentag ver Eingang finden kann.“ Impulse setzt.“ tritt und sichtbar macht. Außerdem sollte der Dachverband Pat Wunderlich Karin Klipp, Intervention e. V, dabei unterstützen, das auf Bundesebene Erreichte auch auf Hamburg kommunaler Ebene und in der Praxis umzusetzen.“ Inka Wilhelm, Fachstelle ALTERN UNTERM REGENBOGEN, frauenberatungsstelle Düsseldorf e. V. 18 19
Bild: pasja1000 / Pixabay SOZIALE TEILHABE Mit zunehmendem Alter verbringen Menschen mehr Zeit in ihrem Wohnumfeld, z. B. der eigenen te, die sich speziell an sie richten. Wunsch danach für älter wer- Wohnung. Damit sinkt in der Regel auch die Mobilität. Das Bedürfnis nach sozialen Kontakten ver- Auch innerhalb der LGBTIQ*-Com- dende Lesben durchaus vorhan- schwindet aber im Alter keineswegs. Um Isolation und Einsamkeit im Alter entgegenzuwirken, ist munity gibt es für sie nur wenige den ist. Das Konzept „Queer im es daher besonders wichtig, Senior*innen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermögli- Anlaufstellen. Quartier“ aus NRW ist ein gutes chen. Hier setzt das Konzept der offenen Senior*innenarbeit an. Praxisbeispiel. Lesben fordern Teilhabe! Von den bestehenden Angeboten der offenen Senior*innenarbeit Die Generation der Frauen- und fühlen sich viele ebenfalls nicht „Queer im Quartier“ – Lesbenbewegung hat durch ihren angesprochen. Marie Sichtermann Ein Praxisbeispiel aus Einsatz für Gleichberechtigung verweist im YouTube-Video „les- NRW und Emanzipation wichtige ge- bisch.schwul.älter“ darauf, wie sellschaftliche Veränderungen wichtig in sozialen Kontakten ge- In NRW entwickelten Carolina herbeigeführt, die pluralistische meinsame Erlebnisse und Sprache Brauckmann und Georg Roth und demokratische Gesellschaft sind: von der Fachberatung für gleich- und den Zusammenhalt unterein- geschlechtliche Lebensweisen ander gestärkt. Der Dachverband „Alle wollen im Alter ihre Erin- in der Senior*innenarbeit seit Lesben und Alter kämpft dafür, nerungen miteinander teilen, und 2013 den Ansatz „Queer im Quar- dass diese Frauen im Alter nicht das finde ich elementar wichtig. tier“ – ein wichtiger Schritt für zurück in die Unsichtbarkeit glei Ich möchte mit Frauen zusammen mehr soziale Teilhabe von älte- ten. Damit sie auch im Alter weiter sein, die Kürzel verstehen wie LFT ren Lesben, Schwulen und quee- am gesellschaftlichen Leben teil- oder CSD, die wissen, was WenDo ren Menschen. Ziel des Konzepts haben können, benötigen Lesben ist und wo Femø liegt.“ ist, nicht-hete rosexuell lebende attraktive Angebote der offenen Menschen aktiv in die Quartiers Altersarbeit. Dazu kommt, Lesben werden entwicklung zu involvieren und in heteronormativen Strukturen sie sichtbar zu machen. Dafür ist Der Dachverband Lesben und Al- häufiger diskriminiert. Insbeson- es notwendig, Multiplikator*in- ter e. V. hat in Kooperation mit dere ältere heterosexuelle Men- nen aber auch die Menschen vor der Bundesinteressenvertretung schen hatten in ihrem bisheri- Ort für das Leben und die Be- schwuler Senioren 2018 ein Po- gen Leben oft wenig Berührungs dürfnisse von LGBTIQ*-Personen sitionspapier herausgegeben, in Teilhabe durch offene tur, Bildung, Gesundheit, Sport, Offene Angebote für punkte mit Lesben und Schwulen. zu sensibilisieren. Gemeinsam dem die gesellschaftliche Teilhabe Senior*innenarbeit Wohnen, Ehrenamt und Selbst lesbische Seniorinnen? Im Zuge dessen werten sie gleich mit Community-Organisationen, für ältere Lesben und Schwule hilfe. Moderne Varianten ersetzen geschlechtliche Lebensweisen häu- Kommunalverwaltungen, Seni- gefordert wird (abrufbar unter Die offene Senior*innenar b eit inzwischen häufig traditionelle Ältere und alte Lesben haben figer ab als jüngere. Daher ist es be- or*-innenvertretungen und wei- Veröffentlichungen auf www.les- richtet sich vor allem an ältere Begegnungszentren mit Freizeit- meist seit ihrer Jugend autonom sonders wichtig, die Bedürfnisse teren Playern entwickelt die benundalter.de). Im Positionspa- Menschen, die eigenständig leben, und Bildungsangeboten. Auch eigene Netzwerke aufgebaut. Mit und Wünsche älterer und alter Les- Landesfachberatung dafür Bau- pier appellieren beide Verbände mobil sind und nicht dauerhaft der Fokus hat sich verändert. Die zunehmendem Alter verklei nern ben in der Senior*innen arbeit zu steine. Städte wie Bochum, an Träger*innen der Senior*innen pflegebedürftig. Sie soll unabhän- Zielgruppe wirkt stärker eigen sich diese Netzwerke, sodass sich berücksichtigen, ihnen eine diskri- Düsseldorf, Dortmund und Wup- arbeit und Engagementpolitik gig vom Einkommen gewährleistet verantwortlich und individuell viele Lesben stärker in ihre ei- minierungsfreie soziale Teilhabe zu pertal setzen bereits nieder- sowie Verantwortliche in Bund, werden und ist gesetzlich im So- mit, beispielsweise in Form von genen vier Wände zurückziehen. ermöglichen. schwellige Konzepte wie die Öff- Ländern und Kommunen, ange- zialgesetzbuch (SGB XII) gere- Quartiersprojekten, Selbsthilfe- Zusätzlich gibt es kaum öffentli- nung von Senior*innenzentren messene Rahmenbedingungen gelt. Sie umfasst alle wichtigen ge- gruppen, Ehrenamtsinitiativen che Orte, an denen sich alte Les- Bislang gibt es nur wenige spezi- für lesbische und queere Angebo- für ein diskriminierungsfreies Al- sellschaftlichen Bereiche wie Kul- und Senior*innennetzwerken. ben treffen können oder Angebo- fische Angebote, obwohl der te um. tern zu schaffen. 20 21
LESBEN UND ALTER IN DER QUEEREN Partnerorganisation: www.csd-ist-fuer-alte-da.de r Schwule Senioren CSD ist feü da! Bild: David Peterson / Pixabay Al t COMMUNITY Der Dachverband Lesben und Alter setzt als Reaktion auf die Marginalisierung und um den politischen Ein- fluss zu stärken, auf die Zusammenarbeit mit zivilge- sellschaftlichen Organisationen und Verbänden. Originäre Partner*innen sind dabei die LGBTIQ*-Organi- sationen. Im Altersbereich ist dies zuvorderst die 2015 gegründete Bundesinteressenvertretung schwuler Bis heute ist der Dachverband die deutschlandweit Senioren (kurz: BISS). Lesben und Alter und BISS ar- BISS || KAPITEL XYZ einzige Interessenvertretung, die sich ausschließlich beiten vertrauensvoll zusammen. Zweimal jährlich dem Themenfeld „Lesben und Alter“ annimmt und werden auf Netzwerktreffen gemeinsame Aktionen, älteren lesbischen/frauenliebenden Frauen eine Projekte, Initiativen und Auftritte geplant. 2018 gaben Stimme gibt. Die Organisationen und Einzelfrauen, beide Verbände anlässlich des Deutschen Senioren die sich auf den ersten Vernetzungstreffen von Lesben tages das gemeinsame Positionspapier zur sozialen „Lesbisch ist mehr als und Alter zusammenschlossen, gehörten zu den Ers Teilhabe lesbischer und schwuler Senior*innen her- eine Identitätskategorie. ten, die sich auf fachlicher Ebene mit diesem Thema aus, 2019 eines zur Europawahl. Neben der bundes- Die Verwendung der auseinandersetzten. Analog zur Gesamtgesellschaft weiten Lobbyarbeit setzen sich beide Verbände auch Bezeichnung Lesbe ist eine stellt auch innerhalb der LGBTIQ*-Community das für mehr Sichtbarkeit innerhalb der queeren Com- politische Aussage.“ Thema Altern ein Randthema dar. Damit droht aus- munity ein. Die Kampagne „CSD ist für Alte da“ für Carolina Brauckmann gerechnet der Generation Stonewall und Frauen- einen altersgerechten Christopher Street Day setz- bewegung 2.0, die entscheidende gesellschaftliche te 2019 Maßstäbe und fand bei vielen CSD-Organisa- Veränderungen und Verbesserungen angestoßen tor*innen Anklang. Ziel der Kampagne ist, auch die hat, wieder im Hintergrund zu verschwinden. Les- Pionier*innen der Lesben- und Schwulenbewegung bische ältere Frauen, die wie dargelegt dreifach um und ihre Bedürfnisse auf den heutigen CSD-Paraden Sichtbarkeit kämpfen müssen, trifft das besonders und Dyke* Marches einzubeziehen, indem auf diese Weitere lesbische und queere hart. Gruppe durch altersgerechte Maßnahmen Rücksicht Netzwerke genommen wird. Bei den regelmäßig stattfindenden Lesbenfrühlings Trotz der engen Kooperation zwischen dem les- treffen, die ihren Ursprung in der Lesbenbewegung bischen und dem schwulen Altersverband bleibt es haben, war und ist der Dachverband mit seinen wichtig, dass beide eigenständig die Interessen ihrer Themen seit vielen Jahren präsent. Die gegenüber jeweiligen Zielgruppe voranbringen. Lesben und schwulen Angeboten bundesweit deutlich geringer Schwule wurden unterschiedlich sozialisiert und hat- ausgeprägte Infrastruktur stellt den Dachverband in ten im Zuge dessen auch unterschiedliche Heraus- seiner Arbeit immer wieder vor neue Herausforde- forderungen zu bewältigen. Schwule Männer waren rungen. Ganz zu Recht sind in den letzten 10 bis 15 vor allem mit dem Paragraph 175 des Strafgesetz- Jahren die Stimmen von trans* und inter* Aktivist*in- buches und der AIDS-Krise konfrontiert. Lesbische nen hör- und sichtbarer geworden. Für den Dachver- Frauen kämpften hingegen innerhalb der Frauen- band bedeutet dies, sein Selbstverständnis in Be- und Lesbenbewegung um ihr im Grundgesetz fest- zug auf queere und LSBTIQ* Politiken weiterzuent- geschriebenes Recht auf Gleichberechtigung, ein wickeln und dabei die politische Relevanz lesbischer autonomes Leben und sexuelle Selbstbestimmung. Sichtbarkeit und Identität zu repräsentieren. 23
RENTE Vom Gender Pay zum Rentenversicherungssys- Gender Pension Gap tem benachteiligt Frauen Die Erwerbsbiographien von Das liegt vor allem daran, dass das sicherung ist deshalb ein aktu- Frauen und Männern in Deutsch- deutsche Rentenversicherungs elles Thema. Da Frauen im Schnitt land unterscheiden sich deut- system nach dem sogenann deutlich weniger in ihrer Erwerbs lich. Frauen arbeiten häufiger in ten Äquivalenzprinzip funktio phase einzahlen als Männer, „Gerade lesbische schlechter bezahlten Berufen, niert: Je mehr in das gesetzliche fällt die Rente für sie auch häu- Frauen sind häufiger als gelangen seltener in Führungs- Rentensystem während des Er- fig deutlich niedriger aus. Grund heterosexuelle Frauen positionen und arbeiten öfter in werbslebens eingezahlt wurde, sicherungselemente gibt es im darauf angewiesen, allein Teilzeit. Hinzu kommt, sie unter- desto höher sind auch die Ren deutschen Rentensystem kaum. nur von ihrer eigenen brechen wesentlich öfter ihre Er- tenansprüche. Entscheidend war Altersrente zu leben.“ werbstätigkeit, um sich um Kinder hierfür die Rentenreform von Reingard Wagner, oder pflegebedürftige Angehörige 1957, die diese neue Berechnung Die Grundrente: Vorstand Dachverband zu kümmern. Dieser drastische auf Grundlage der Erwerbsphase Viele Frauen und Lesben Lesben und Alter; Unterschied zwischen weiblichen vorgab. Dadurch vergrößerte fallen raus Intervention e. V., und männlichen Erwerbsbiogra- sich auch der Abstand zwischen Hamburg phien spiegelt sich nicht nur im Frauen- und Männeraltersruhe- Auch die ab 2021 kommende Gehalt wider, sondern auch später geldern. Grundrente erhalten nur Per- in der Rente. Der sogenannte Gen- Diese Grundprinzipien der Ren sonen, die mindestens 35 Jahre der Pay Gap von 20 Prozent ver- tenreform von 1957 gelten bis heu- eingezahlt haben. Der Paritätische doppelt sich im Rentenalter auf te. Die daraus resultierende struk- Gesamtverband äußert sich im Ar- einen Gender Pension Gap von turelle Ungleichheit zwischen mutsbericht 2020 kritisch zu die über 40 Prozent. Frauen und Männern in der Alters- ser Rentenreform: „Die verabschiedete Grundrente Ohne, meist besserverdienenden gung betrifft vor allem auch les- ist kein effektives Instrument der Ehemann, verschlechtert sich die bisch lebende Frauen. Viele Les- Armutsvermeidung, sondern dient finanzielle Situation zusätzlich. ben leben im Rentenalter am in erster Linie der Honorierung der oder unter dem Existenzminimum sog. ‚Lebensleistung‘ in der Ren Im Jahr 2016 mussten 21 Prozent oder müssen bis ins hohe Alter tenversicherung. Zur wirksamen der alleinlebenden Frauen über hinzuverdienen. Bis in die 2000er Bekämpfung der Altersarmut sind 65 mit weniger als 900 Euro mo Jahre hinein stand lesbischen andere Maßnahmen notwendig.“ natlich auskommen, unter den Frauen nicht einmal die eingetra- alleinlebenden Senioren waren gene Lebenspartnerschaft zu. Die Frauen zahlen aus den genann es nur 15 Prozent. damit verbundenen Vorteile des ten Gründen durchschnittlich et- deutschen Steuer- und Sozialsys- was weniger als 30 Jahre in die Strukturell benachteiligt das tems blieben ihnen verwehrt. Das Rente ein. Damit geht die Grund deutsche Rentensystem Frauen, betrifft insbesondere ältere Les- rente an den Erwerbsbiogra- die ein eigenständiges Leben ben, die heute bereits eine Rente phien der meisten Frauen vorbei. führen wollen. Diese Benachteili beziehen. 25
REPRESSIONEN GEGENÜBER LESBEN „Das Ausmaß an NACH 1949 Repression, an Selbstverleugnung aus der Angst heraus ist bedrückend und in meinen Augen eine Bis heute ist nur wenig darüber destens in die 1980er Jahre – wenn Art der Gewalt gegen bekannt, welche Diskriminie den Gerichten bekannt war, dass frauenliebende Frauen, rungserfahrungen lesbisch leben die Mütter lesbisch lebten. Damit die bisher in keiner Weise de Frauen in der jungen BRD und das nicht passierte, verbarg man- thematisiert, geschweige DDR gemacht haben. Homosexua che Mutter ihre Lebensgefährtin. denn öffentlich diskutiert lität war zur damaligen Zeit mas- […] Bei weiterer Forschung zeigte wird.” siven staatlichen und gesellschaft- sich bald, dass es auch noch in den Jutta Brambach lichen Repressionen unterworfen. 1990er Jahren alltäglich war, wenn Dies zeigt sich besonders offen- Gerichte lesbischen Müttern deren sichtlich in Paragraph 175, der Kinder nahmen. Oder wenn damit männliche Homosexualität unter gedroht wurde.“ Strafe stellte. Deswegen anzuneh- (Dr. Kirsten Plötz, von der Seite Der Dachverband men frauenliebende Frauen wären https://sorgerecht-lesbischer- bemerkbar. Dieser blinde Fleck in Lesben und Alter fordert von staatlichen Repressionen und muetter.de/) der Geschichte gehört dringend eine Reform der Rente gesellschaftlicher Diskriminierung Mit ihrer Forschung gibt Dr. Kirsten aufgearbeitet. Die betroffenen nicht betroffen gewesen, ist je Plötz diesen Frauen eine Stimme. Frauen sind inzwischen 60 Jahre „Wer in der Rentenpolitik davon ren. Aus diesen Gründen fordert stark. Hierfür wurde unter ande- doch ein Trugschluss. Viele frauen Lesbische und frauenliebende und älter und haben bislang we redet, die Lebensleistung von der Dachverband Lesben und Al- rem im Oktober 2019 die Fach liebende Frauen unterdrückten Mütter mussten nach der Schei- der eine öffentliche Entschuldi Menschen müsse anerkannt wer- ter eine Rentenreform, die die Er- tagung „Altersarmut ist weiblich ihre wahre Identität oder lebten dung in ständiger Angst leben, das gung noch eine Entschädigung für den, muss die Kriterien zum Be- werbsbiographien lesbischer Frau- – für eine geschlechtergerechte sie nur im Verborgenen aus. Und Sorgerecht für ihre Kinder zu verlie- erlittenes Unrecht erhalten. urteilen dieser Leistung über die en berücksichtigt. Die einzelnen Absicherung im Alter alleinleben- oft fehlten ihnen ganz einfach die ren. Als Grund gaben Gerichte an, Wichtig ist, die Erfahrungen les- Länge und Höhe von Gehaltszah- Forderungen des Dachverbands der lesbischer Frauen“ organisiert. Worte für ihr Begehren. bei einer lesbisch lebenden Mutter bischer Frauen in BRD und DDR lung hinausdenken.“ (www.lesbe- sind dabei: Dort diskutierten Vertreter*innen sei das Kindeswohl gefährdet. Der differenziert in den Blick zu neh- nundalter.de) von Beratungseinrichtungen mit Drohender drohende Sorgerechtsentzug war men. In der DDR waren lesbische • Einbeziehung von gesellschaftli- Politiker*innen, Sozialverbänden Sorgerechtsentzug bei sowohl für die Mütter als auch für und frauenliebende Frauen durch Der Dachverband Lesben und Al- chem Engagement auf die Ren- und Fachfrauen über die Benach- lesbischen Müttern ihre Kinder mit Scham und Ängs den § 151 auch strafrechtlich be ter setzt sich dafür ein, dass Les- tenjahre, teiligung von Lesben und alleinste- ten verbunden. Viele Betroffene droht. Dafür können die betrof- ben im Rentensystem nicht länger • Überprüfung der Einstufung des henden Frauen im deutschen Ren- Ein großes Unrecht, das lesbischen sind bis heute nicht in der Lage, fenen Frauen inzwischen einen benachteiligt werden. Die Alters- Eckrentners mit 35 Beitragsjah- tensystem. Müttern zur damaligen Zeit wi über ihre Erfahrungen zu spre Antrag auf Entschädigung stel- sicherung muss für alle zum Le ren, derfuhr, war der drohende Sorge chen. len (kostenfreies Beratungstele- ben reichen. Die Grundrente muss • Anerkennung der Lebensleis- rechtsentzug. Die ehemalige Vor- fon: 0800 1752017). Aber auch für daher weitergedacht werden und tung lesbischer Frauen, standsfrau des Dachverbands Les- Blinder Fleck in der die Zeit zwischen Gründung der nicht nur diejenigen berücksichti- • Verstärkte Forschung zu den Le- ben und Alter und Historikerin Dr. Geschichte beiden deutschen Staaten bis zur gen, die mindestens 35 Jahre ins bensverhältnissen von Lesben Kirsten Plötz forscht schon seit Wiedervereinigung gilt es, die je Sozialversicherungssystem ein- 60+. vielen Jahren zu diesem wichtigen Die Unsichtbarkeit lesbischer Le weils greifenden gesellschaftli- gezahlt haben. Vielmehr sollte die Der Dachverband Lesben und Al- Thema. bensentwürfe in der jungen BRD chen Mechanismen und die Fol- Grundrente allen die Teilhabe am ter macht sich auch in der Öffent „Bundesdeutsche Gerichte entzo- und DDR macht sich auch in der gen nicht strafrechtlich relevanter gesellschaftlichen Leben garantie- lichkeit weiterhin für dieses Thema gen Müttern ihre Kinder bis min mangelnden Forschung darüber Repressionen zu erforschen. 26 27
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